Interaktion und Organisation in pädagogischen Feldern1
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1.[056:3] Es handelt sich um einen autobiographischen Text, also um die Darstellung einer subjektiven Erfahrung. Ein Mensch teilt mit, was ihm unter dem Namen„Erziehung“angetan wurde, und wir erfahren, in welchen sprachlichen (kognitiven) Mustern er diese Erfahrung darstellt; genauer sollten wir vielleicht sagen: wir beobachten die Erfahrung , die für uns hier nichts anderes ist als die Darstellung in seinen sprachlichen Mustern.
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2.[056:4] Das Ensemble von Interaktionen, das auch für„Erziehung“heißt, wird als nach institutionellen Regeln ver|A 13|laufend dargestellt: Es ist nicht von den konkreten Individuen die Rede, die seine Eltern waren, sondern von seinen„Erziehungsberechtigten“, von der Rechtsförmigkeit jener Interaktionen also, die sich zwischen Eltern und Kindern abspielen; nicht von seiner Erziehung allein, die sich von der anderer unterscheidet, sondern auch, was Kindern allgemein widerfährt.
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3.[056:5] Diese institutionalisierte Interaktion wird in einer Herrschaftsdimension beschrieben, in der die Beteiligten sich nach Gründen ihres Handelns unterscheiden: wächst zwar„nach dem Wunsche seiner Erziehungsberechtigten“, aber„gegen seinen Willen“in jener Stadt auf. Die„Gefühls- und Verstandesbereitschaft“bleibt eingekerkert |a 40|in die„Hilflosigkeit seiner von allen Seiten ungeschützten Kindheit und Jugend“,„wie in eine Schreckensfestung“.
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4.[056:6] Das ganze Geschehen ist in eine weitere gesellschaftliche Stituation eingefügt, deren Symbol hier die Stadt Salzburg ist, in – wie sagt –„Existenzumstände in dieser Stadt“, die in einer Art verzweifelter Kontraktion auf einen Begriff gebracht, deren erfahrene Realität – und das ist offenbar eine Erfahrung von„Gesellschaft“– sinnlich nachvollziehbar gemacht wird, sofern Symbole überhaupt so etwas vermögen: Das Kind wurde„in den Schauprozeß ihrer Weltberühmtheit wie in eine perverse Geld- und Widergeld produzierende Schönheits- als Verlogenheitsmaschine“hineingezogen.
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5.[056:7] Und dies alles wird in einem einzigen Satz dargestellt, freilich in einem komplizierten hypotaktischen Gefüge. Und dies mit gutem Grund: bei der Sache, von der die Rede ist, handelt es sich offenbar um einen Komplex von Ereignissen, die – wollte man sie gesondert darstellen – ihre eigentümliche Bedeutung verlieren würden; eine Bedeutung, die nur in der gleichzeitigen Präsenz aller Komponenten die gleiche bleibt. Die konkrete Erfahrung kann für offenbar nur durch solche Gleichzeitigkeit – wenigstens die eines Satzes – dargestellt werden. Die analytische Auflösung in ihre einzelnen Momente müßte – so möchte ich interpretieren – den Sinn verfälschen, den die Darstellung jener Bedeutung hat.
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–[056:9] Kategorien zur Beschreibung des Subjektes:„Wunsch“und„Wille“,„Gefühls-“und„Verstandesbereitschaft“,„Mittel-“und„Hilflosigkeit“,„Charakter-“und„Geistesentwicklung“,„Erinnerung“.
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–[056:10] Kategorien zur Beschreibung der„Existenzumstände“:„Geld“und„Widergeld“,„Schönheits- als Verlogenheitsmaschine“, die„Stadt“.
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–[056:11] Kategorien zur Beschreibung der Mittelglieder zwischen dem Subjekt und seinen Umständen:„Erziehungsberechtigte“,„Schreckensfestung“,„Eingeschlossene“,„Verurteilte“.
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–[056:13] pädagogische und – offenbar doch – nicht-pädagogische Felder.„Existenzumstände“, der Geldverkehr, die„Verlogenheitsmaschine“der bürgerlich-salzburgischen Kultur: gehören sie dazu?
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–[056:14] Organisationen: Sind das auch die„Erziehungsberechtigten“in ihrer Rolle oder hat man dabei eher an gedacht, an Verwaltung, Hierarchie, Professionalisierung, Entscheidungskompetenz, Qualifikation?
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–[056:15] Interaktionen: Das ist keine Kategorie zur Beschreibung von Subjekten, so wie es |a 41| offenbar im Auge hat; mit ihr sollen Handlungen beschrieben werden, Mitteilungsmodi, Verständigungen, Deutungen, Schemata.
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–[056:19] Man kann tatsächlich mit Erfolg Gesellschaften in Teilsysteme klassifizieren, von denen das Erziehungssystem eines ist, innerhalb solcher Teilsys|B 22|teme„Organisationseinheiten“ausmachen, die definierte Ziele verfolgen und„mit deren Hilfe die Interaktionsprozesse grundlegend aufgebaut und Interaktions- und Handlungszusammenhänge strukturiert“(Hurrelmann 1975, S. 31).
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–[056:20] Andererseits scheint plausibel, daß diejenigen sozialen Gebilde, die in der Sozialwissenschaft als„Organisationen“klassifiziert werden, ein Spezifikum moderner Gesellschaften sind, wenn„modern“heißen soll: Gesellschaften, die ihre Reproduktionsprobleme nicht auf der Basis von face-to-face-Beziehungen lösen können, sondern dazu abstrakter Steuerungsinstrumente bedürfen. In diesem Sinne hat beispielsweise das gegenwärtige System sozialer Hilfen beschrieben im Vergleich zu den Hilfe-Systemen archaischer Kulturen (Luhmann 1973).
1. Organisierte Interaktion in ihrer fundamentalen Gestalt
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1.[056:27] Interpersonales Handeln kommt nur zustande, sofern es für die Partner der Interaktion geteilte Bedeutungen gibt, d.h. Symbole, die sich für alle Beteiligten mit der Vorstellung gleicher Operationen verbinden. Man kann diesen Satz auch als den Bestandteil einer Definition verstehen und so formulieren:„Interpersonale Handlung“sollen nur solche Situationen heißen, in denen ... usw.
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2.[056:28] Das Verhalten der Partner zueinander ist organisiert, geordnet, und zwar dadurch, daß beide durch eine kognitive Struktur verbunden sind: Sie operieren mit Hypothesen über ihr wechselseitiges Verhalten, die sich auf die Bedeutung gründen, die die verwendeten Symbole haben (dies ist übrigens ein Hinweis darauf, daß wissenschaftliche Methode nichts ist, als eine Art Perfektionierung dessen, was auch die Grundlage des Alltagshandelns darstellt). Daß das Verhalten der Partner zueinander„organisiert“ist, heißt also hier nichts anderes, als daß sie beide Regeln folgen, die das Kodieren von Gemeintem betreffen und die Zuordnung eines solchen Kodes (solcher Symbole) zu entsprechenden Operationen des interpersonalen Verkehrs.
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3.[056:29] Die Verwendung des Ausdrucks„Gemeinschaft“in dem zitierten Text („In dem Maße, in dem du der gleichen Gemeinschaft angehörst wie ich“) sollte nicht irreführen. Zwar enthält der Ausdruck eine historische Einschränkung. Diese Einschränkung aber ist nicht identisch mit den Bezugssystemen, die innerhalb einer Gesellschaft oder Kultur in der Form von Klassen oder Schichten bestehen. Diese„Gemeinschaft“ist überall dort gegeben, wo überhaupt noch sinnvolle Interaktion möglich ist – und das ist selbst in der Be|B 25|ziehung zu Schi|A 19|zophrenen der Fall. Aber auch diese Erläuterung bleibt noch mißverständlich, und zwar nach der anderen Seite hin: In interpersonalen Situationen wird nicht nur je ein Ausschnitt aus dem komplexeren sozialen Zusammenhang präsentiert, dem die beteiligten Partner zugehören; diese Situationen selbst müssen so gedacht werden, daß die immer noch relative Vielfalt der Situationsthematik nur eingeschränkt aktualisiert wird, und zwar nach Maßgabe der Wahrscheinlichkeit, mit der jene Hypothese – die„Annahme, daß deine Aussagen für uns beide eine ähnliche Bedeutung haben“– bestätigt werden kann.
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1.[056:32] Die Reziprozität der Perspektiven, d.h. die wechselseitige Voraussetzung, daß bei Vertauschung der Positionen die Erfahrungen dieselben sein würden.
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2.[056:33] Die Verwendung von Normalformen, d.h. das Interagieren mit der Annahme,„daß jede Kommunikation in einen Korpus gemeinsamer Kenntnisse oder dessen,(S. 34)‚was jedermann kennt‘, eingebettet ist“
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3.[056:34] Die et-cetera-Annahme. In jeder Kommunikation treten – im Regelfall – Unstimmigkeiten auf; sprachliche oder nichtsprachliche Ausdrücke können zu vage, mehrdeutig oder verstümmelt sein; die Interaktionspartner müssen infolgedessen Bedeutungen„auffüllen“, sofern sie nicht auf |a 20|Verständigung verzichten wollen; das aber kann nur nach Regeln geschehen, die sich in ihrer Anwendung bei zurückliegenden Situationen bereits bewährt haben.
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4.[056:35] Indexikalische Ausdrücke. Reziprozitätshypothese, Verwendung von Normalformen und et-cetera-Annahmen sind in entwickelter Form nur möglich, wenn es für die Interaktionspartner einen Mindestbestand gemein|B 26|samer Erfahrung gibt, der dadurch, daß er in Symbolen verschlüsselt ist, auch kommunizierbar wird. Solche Symbole oder auch„Vokabularien“sind also Indizes der Erfahrungen, sind Klassifikationen der erfahrenen Welt. In ihnen drücken sich die Inhalte einer individuellen oder kollektiven Lebenswelt ebenso aus, wie ihre formalen Bestimmungen, Abstraktionsprinzipien, Relevanzkriterien.
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5.[056:36] Diesen vier Interpretationsdimensionen möchte ich – noch auf der gleichen Ebene von Abstraktion vom historisch Besonderen angesiedelt – eine weitere hinzu fügen. Indexikalische Ausdrücke – z.B. im Text„Erziehungsberechtigte“,„Geld“,„Hilflosigkeit“,„Schreckensfestung“usw. – treten nicht als vereinzelte auf, sondern in kognitiven Kontexten, in denen Pragmatisches ausgedrückt wird. Perspektiven sind nicht nur überhaupt reziprok, sondern sie sind es mit Bezug auf besondere inhaltlich bestimmte soziale Erfahrungen. Auch der„Korpus gemeinsamer Kenntnisse“ist geordnet, nach Mustern der Verknüpfung seiner Elemente in einen syntaktisch-logischen Zusammenhang gebracht. Der„Text“jeder Interaktion (die sprachliche und nicht-sprachliche Symbolik) ist also notwendig auch strukturiert durch Deutungsmuster die den Handlungsschritten ihre besondere kognitive Struktur geben.
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–[056:48] die These, daß Deutungsmuster – wie indexikalische Ausdrücke, Reziprozität der Perspektiven usw. – zu den fundamentalen Dimensionen sinnvollen Handelns gehören;
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–[056:49] daß Indizes, aber mehr noch die Reziprozität der Perspektiven, Normalformen und et-cetera-Annahmen in ihrer je besonderen Bestimmtheit erst beschreibbar werden, wenn ich auch die Deutungsmuster beschreibe, in denen sie sich artikulieren:
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–[056:50] die These, daß auch dasjenige, was wir„wissenschaftliche“Definition eines Problems nennen, solche Deutungsmuster enthält oder realisiert.
2. Organisierte Interaktion auf der Stufe von Institutionen
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1.[056:53] Die Bezeichnung„unhistorisch“, auf Begriffe und Theorien angewandt, kann heißen, daß der Verwender solcher Theorien und Begriffe sich über deren Genese keine Rechenschaft gegeben hat, so daß er mindestens den Anschein erweckt, als kenne er den historischen Ort seines Denkens nicht. Nimmt man diesen Einwand ernst, hat es wenig Sinn, Beteuerungen darüber abzugeben, daß man über solche Zusammenhänge sehr wohl nachgedacht habe; ebenso nutzlos wäre es, wollte man in allgemeinen Formulierungen auf die historische Bestimmtheit der eigenen Begriffe hinweisen, so z.B. angesichts der zentralen Stellung, die der Ausdruck„Kosten-Nutzen“in manchen |A 25|sozialpsychologischen Interaktionstheorien,„symbolischer Austausch“oder„Identitätsbalance“in anderen hat. Eine Erörterung dieses Problems müßte sich vermutlich der Frage zuwenden, in welchem Verhältnis indexikalische Ausdrücke einer gesellschaftlichen Alltagspraxis zu den Termen einer Theorie stehen. Damit aber hängt die andere Frage zusammen, ob nämlich die in den Begriffen der Theoreme zur Sprache gebrachten Sachverhalte nur in demjeni|B 30|gen historischen Rahmen existieren, für den sie als indexikalische Ausdrücke interpretiert werden können. Kurz: Wer sich dieser Aufgabe zuwenden wollte, müßte sich zu einer sowohl erkenntniskritischen wie historischen Argumentation entschließen. Das aber geht über den Rahmen meiner Möglichkeiten hier und jetzt hinaus.
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2.[056:54] Die Anwendung des Ausdrucks„unhistorisch“auf Theorien und Begriffe kann aber außerdem auch heißen, daß in ihnen der Gegenstand der Erkenntnis so konstruiert wird, |a 48|daß das historische Gewordensein nicht mehr beschreibar ist. Nun ist das nicht notwendigerweise ein Einwand, sondern zunächst nur der Ausdruck dafür, daß der Kritiker sich offenbar für einen anderen Gegenstand der Erkenntnis interessiert. Für die Erziehungswissenschaft jedoch erscheint mir plausibel, wenngleich nicht zwingend, ihre Gegenstände so zu konstruieren, daß deren Änderung in der Form begrifflich-konstitutiver Merkmale in die Konstrukte aufgenommen wird. Das Thema„Interaktion und Organisation“scheint mir eben dieses Interesse auszudrücken;„Organisation“nämlich ist in der gegenwärtigen Sozialwissenschaft wie auch im Alltagshandeln ein indexikalischer Ausdruck für eine bestimmte Klasse von Variablen, die sich auf die historisch besonderen Bedingungen von Interaktionen beziehen. Ich will versuchen, im Anschluß an den ersten Schritt meiner Überlegungen, einige Fragen aufzuwerfen.
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–[056:56] Die Handlungsspielräume von Sozialarbeitern, ihre Beziehungen zu den Klienten, ihre Fähigkeit, die Reziprozitäts-Hypothese nicht nur virtuell zu unterstellen, sondern konkret darzustellen, varrieren vermutlich mit |B 31|den Kompetenzverteilungen im Jugendamt, mit der Art der praktizierten Arbeitsteilung, mit der Rechtsförmigkeit der definierten Fälle usw.
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–[056:57] Die Gruppenbeziehungen von Kindern und Jugendlichen in Heimen hängen ab von organisatorischen Merkmalen wie Gruppengröße, Rollendefinition der Mitarbeiter, Heimgröße, der geplanten oder nicht geplanten Ökologie usw.
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–[056:58] Eine therapeutische Beratung wird vermutlich variieren, je nachdem, welchen Professionalisierungsgrad der Berater hat, in welcher ökonomischen Form die Beratung geschieht, ob es sich um ambulante oder stationäre Beratung handelt, ob es institutionelle Regeln der Selektion von Klienten gibt und welche usw.
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–[056:59] Entsprechende Behauptungen für die Familie liegen auf der Hand: Die Entstehung der Organisationsform der bürgerlichen Kleinfamilie hat für ihren Interaktionszusammenhang weitreichende Folgen gehabt, unter Umständen sogar spezifische Pathologien erzeugt usw.
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1.[056:64] Wir machten uns auf regelmäßigen Mitarbeiterversammlungen ein Bild von der Beurteilung der Situation durch die Mitarbeiter des Heims, von den Informations- und Entscheidungsregeln, von den expliziten Konflikten und beteiligten uns an der Diskussion von Vorschlägen der Mitarbeiter zu einer neuen Konzeption.
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2.[056:65] Wir führten nicht-standardisierte Interviews mit den Mitarbeitern durch, und zwar nach den Regeln der nicht-direktiven Gesprächstherapie. Die Auswertung ergab ein höchst konflikthaftes Bild der Deutung der Heimsituation durch die Mitarbeiter. Gemeinsam war allen Deutungen die Kritik daran, daß die Kinder und Jugendlichen in einem Gefühl totaler Versorgung lebten; die Kritik an der Spezialisierung von Rollen; die stark erlebte Diskrepanz von Wollen und Können; die häufig eher subjektivistische Definition von Problemen; die Schuldgefühle angesichts der Tatsache, daß subjektivistische Deutungen nicht zum erwünschten Handlungsziel führen.
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3.[056:66]Auf der Basis dieser mit dem Personal des Heims diskutierten Auswertung der Interviews machten wir einen Vorschlag zur Umorganisation des Heims, der sich an allen von den Mitarbeitern selbst formulierten Handlungszielen orientierte. Unter der Bedingung des durch die Pflegesätze gegebenen Finanzierungsrahmens machten wir (hier abgekürzt) folgende Vorschläge:
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–Verringerung der Kinder und Jugendlichen von 38 auf 21.
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–Verringerung der Gruppengröße auf 5.
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–Die Gruppen sind Haushaltseinheiten in dem Sinne, daß sie die volle Verfügung über die Pflegesätze haben und in allen Reproduktionsfunktionen souverän sind.
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–Das Verwaltungs- und spezialisierte Therapiepersonal ist den Gruppen untergeordnet, erbringt für diese Dienstleistungen.
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–Die Spezialisierung in einzelne Versorgungsrollen (Küchenpersonal, Reinigungspersonal, Erziehungspersonal, Therapie-Personal usw.) wird so weit wie irgend möglich aufgehoben. Die Erzieherrolle wird als integrierte Rolle konzipiert.
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–Die Gesamtarbeitszeit der Erzieher (einschließlich Kochen etc.) bleibt gleich.
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4.[056:67] Die Verwirklichung dieser„organisatorischen Zwischenziele“– sie sollten ja nur einige Voraussetzungen für eine befriedigendere Interaktion mit den Kindern und Jugendlichen sein – stieß nun auf große Schwierigkeiten, trotz des Zielkonsens, der unter den Mitarbeitern herrschte. Die entscheidende Barriere dabei war – wenn ich recht sehe – die Neu-Definition des beruflichen Handelns der Erzieher. Unser Plan machte offenbar – so trivial er auch ist – explizit, daß„Verwirklichung einer pädagogischen Konzeption“nicht nur eine Neu-Instrumentierung personunabhängiger formaler Voraussetzungen bedeutet, sondern daß es sich zugleich um eine Neu-Instrumentierung des Handlungs- und Interpretationsrepertoires der Heim-Mitarbeiter handelt.
3. Organisierte Interaktion auf der Stufe von
„Verkehrsformen“
Zirkulation | Produktion | Konsumtion | |
Verhältnisse | |||
auf Dauer gestellte Form (Regel) der Interaktion | |||
Problematik der individuellen Interaktionen |
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1.[056:73] Die in den Sphären von Produktion und Zirkulation herrschenden Verkehrsformen„prägen“auf irgendeine Weise die Interaktionsgewohnheiten der Individuen derart, daß sie auch in der Konsumptionssphäre und den offenbar schwer zuzuordnenden Bereichen verschiedener Erziehungsfelder sich Geltung verschaffen. scheint dieser Meinung zu sein und auch AB√ wenn sie schreibt:„Es ist festzustellen,daß im besonderen Produktionsbereich Sozialisation die Mutter exakt das Gefüge von Interaktionsformen |a 54|reproduziert, das – im perspektivischen Wechsel – als(Osterland 1976, S. 121). Dafür wäre allerdings erforderlich, eine psychologische Transfer-Theorie zu explizieren, die erklärbar macht, warum Interaktionsmuster, die in der einen Sphäre in Geltung |A 34|sind, von den Individuen auch in der anderen praktiziert werden.‚Verkehrsformen‘der kapitalistischen Güterproduktion zugeordnet war“
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2.[056:74] Kann man sich nicht entschließen, einer solchen, vielleicht relativ naiven„Abbild“-Annahme zu folgen, dann liegt die Antwort nahe, in der der Zusammenhang zwischen Verkehrsformen und Interaktionsformen sphären-spezifisch bestimmt wird. Das bedeutet für gegenwärtige – und wie mir scheint, eben nicht nur kapitalistische – Bedingungen, daß das soziale Verhalten der Individuen teils unter die geltenden ökonomischen Regeln gezwungen wird (entgegenständlichte Arbeit, Warentausch, Quantifizierung von Leistung und ihren Äquivalenten usw.), teils gegenüber den Belastungen durch die ökonomischen Sphären kompensatorisch ist8. Um diese Hypothese plausibel zu machen, wäre die Explikation einer Theorie erforderlich, in den z.B. die Feststellung von Versagungen am Arbeitsplatz schlüssig innerfamiliale Interaktionsmuster als„Kompensation“erklären könnten.
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3.[056:75] Schließlich zeigt sich in der gegenwärtigen Diskussion noch ein dritter heuristischer Zugang zur Lösung des Problems: die Suche nach Schemata interpersonalen Handelns, die so allgemein sind – wir könnten auch sagen: die derart fundamental die historische Form eines gesellschaftlichen Habitus definieren – daß sie sich für alle relevanten Interaktionsfelder als dominante nachweisen lassen. Wiederum hat ein solches Schema |B 38|herauszuarbeiten versucht, und zwar„die Abstraktheit der interpersonellen Beziehungen“bzw. den Verlust„gemeinsamer Gegenständlichkeit“der Interaktionspartner: in der Produktionssphäre zeige sich das an der Instrumentalisierung und der Konzentration des Interesses auf die quantitativen Aspekte des Arbeitsprozesses9, in der Familie am„Überhandnehmen des Beziehungsaspektes von Kommunikation über den Inhaltsaspekt“(Ottomeyer1974, S. 130)