Interaktion und Organisation in pädagogischen Feldern [Textkritische interaktive Ansicht mit a als Leittext]
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Interaktion und Organisation in pädagogischen Feldern1
1Der Text ist gegenüber der Vortragsfassung leicht geändert.

[056:1]
Der in dieser Stadt nach dem Wunsche seiner Erziehungsberechtigten, aber gegen seinen eigenen Willen AufgewachseneB und von frühester Kindheit an mit der größten Gefühls- und Verstandesbereitschaft für diese Stadt einerseits in den Schauprozeß ihrer Weltberühmtheit wie in eine perverse Geld- und Widergeld produzierende Schönheits- als Verlogenheitsmaschine, andererseits in die Mittel- und Hilflosigkeit seiner von allen Seiten ungeschützten Kindheit und Jugend wie in eine Angst- und Schreckensfestung Eingeschlossene, zu dieser Stadt als zu seiner Charakter- und Geistesentwicklungsstadt Verurteilte, hat eine, weder zu grob, noch zu leichtfertig ausgesprochen, mehr traurige und mehr seine früheste und frühe Entwicklung verdürstende und verfinsterende, in jedem Fall aber verhängnisvolle, für seine ganze Existenz zunehmend entscheidende, furchtbare Erinnerung an die Stadt und an die Existenzumstände in dieser Stadt, keine andere
(Th. Bernhard, Die Ursache, S. 8)
.
[056:2] In diesem Textauszug von Thomas Bernhard ist das Thema, über das ich sprechen soll, präziser angegeben, als in den Texten, die unter dem Namen von Wissenschaft sich um die Klärung der Fragen zu bemühen scheinen, von denen mit Hilfe der Stichworte
Interaktion
und
Organisation
die Rede sein soll. Jedenfalls gilt das für meine Sicht, für das, was mir an diesem Thema wichtig ist, für die Art, in der man, wie ich meine, das Thema behandeln sollte. Wovon ist bei Thomas Bernhard die Rede?
  1. 1.
    [056:3] Es handelt sich um einen autobiographischen Text, also um die Darstellung einer subjektiven Erfahrung. Ein Mensch teilt mit, was ihm unter dem Namen
    Erziehung
    angetan wurde, und wir erfahren, in welchen sprachlichen (kognitiven) Mustern er diese Erfahrung darstellt; genauer sollten wir vielleicht sagen: wir beobachten die Erfahrung Thomas Bernhards, die für uns hier nichts anderes ist als die Darstellung in seinen sprachlichen Mustern.
  2. 2.
    [056:4] Das Ensemble von Interaktionen, das auch für Bernhard
    Erziehung
    heißt, wird als nach institutionellen Regeln ver|A 13|laufend dargestellt: Es ist nicht von den konkreten Individuen die Rede, die seine Eltern waren, sondern von seinen
    Erziehungsberechtigten
    , von der Rechtsförmigkeit jener Interaktionen also, die sich zwischen Eltern und Kindern abspielen; nicht von seiner Erziehung allein, die sich von der anderer unterscheidet, sondern auch, was Kindern allgemein widerfährt.
  3. |B 20|
  4. 3.
    [056:5] Diese institutionalisierte Interaktion wird in einer Herrschaftsdimension beschrieben, in der die Beteiligten sich nach Gründen ihres Handelns unterscheiden: Bernhard wächst zwar
    nach dem Wunsche seiner Erziehungsberechtigten
    , aber
    gegen seinen Willen
    in jener Stadt auf. Die
    Gefühls- und Verstandesbereitschaft
    bleibt eingekerkert |a 40|in die
    Hilflosigkeit seiner von allen Seiten ungeschützten Kindheit und Jugend
    ,
    wie in eine Schreckensfestung
    .
  5. 4.
    [056:6] Das ganze Geschehen ist in eine weitere gesellschaftliche Stituation eingefügt, deren Symbol hier die Stadt Salzburg ist, in – wie Bernhard sagt –
    Existenzumstände in dieser Stadt
    , die in einer Art verzweifelter Kontraktion auf einen Begriff gebracht, deren erfahrene Realität – und das ist offenbar eine Erfahrung von
    Gesellschaft
    – sinnlich nachvollziehbar gemacht wird, sofern Symbole überhaupt so etwas vermögen: Das Kind wurde
    in den Schauprozeß ihrer Weltberühmtheit wie in eine perverse Geld- und Widergeld produzierende Schönheits- als Verlogenheitsmaschine
    hineingezogen.
  6. 5.
    [056:7] Und dies alles wird in einem einzigen Satz dargestellt, freilich in einem komplizierten hypotaktischen Gefüge. Und dies mit gutem Grund: bei der Sache, von der die Rede ist, handelt es sich offenbar um einen Komplex von Ereignissen, die – wollte man sie gesondert darstellen – ihre eigentümliche Bedeutung verlieren würden; eine Bedeutung, die nur in der gleichzeitigen Präsenz aller Komponenten die gleiche bleibt. Die konkrete Erfahrung kann für Bernhard offenbar nur durch solche Gleichzeitigkeit – wenigstens die eines Satzes – dargestellt werden. Die analytische Auflösung in ihre einzelnen Momente müßte – so möchte ich interpretieren – den Sinn verfälschen, den die Darstellung jener Bedeutung hat.
[056:8] Ich sagte eingangs, daß mir in dem Zitat von Thomas Bernhard das Thema präziser angegeben zu sein scheint, als anderenorts. Indessen: es ist die Präzision der ästhetischen, nicht der wissenschaftlichen Darstellung der Welt. Sind wir an der Prüfung der intersubjektiven Gültigkeit dargestellter Erfahrung interessiert, dann müssen wir – wohl oder übel – die Kom|A 14|plexität solcher Darstellung auflösen bzw. reduzieren, und zwar auf solche Problemstellungen, die mit unseren, den wissenschaftlichen Mitteln bearbeitbar sind. Der erste Schritt in dieser Richtung ist die Klassifikation des Objektbereichs. Auch Thomas Bernhard klassifiziert, und zwar – sehr vergröbernd angedeutet – in folgende Ereignis- oder Phänomen-Klassen:
  • [056:9] Kategorien zur Beschreibung des Subjektes:
    Wunsch
    und
    Wille
    ,
    Gefühls-
    und
    Verstandesbereitschaft
    ,
    Mittel-
    und
    Hilflosigkeit
    ,
    Charakter-
    und
    Geistesentwicklung
    ,
    Erinnerung
    .
  • [056:10] Kategorien zur Beschreibung der
    Existenzumstände
    :
    Geld
    und
    Widergeld
    ,
    Schönheits- als Verlogenheitsmaschine
    , die
    Stadt
    .
  • |B #21|
  • [056:11] Kategorien zur Beschreibung der Mittelglieder zwischen dem Subjekt und seinen Umständen:
    Erziehungsberechtigte
    ,
    Schreckensfestung
    ,
    Eingeschlossene
    ,
    Verurteilte
    .
[056:12] Der Vorstand der
Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft
, als er das Thema formulierte, klassifizierte anders:
  • [056:13] pädagogische und – offenbar doch – nicht-pädagogische Felder. Th. Bernhards
    Existenzumstände
    , der Geldverkehr, die
    Verlogenheitsmaschine
    der bürgerlich-salzburgischen Kultur: gehören sie dazu?
  • [056:14] Organisationen: Sind das auch die
    Erziehungsberechtigten
    in ihrer Rolle oder hat man dabei eher an Max Weber gedacht, an Verwaltung, Hierarchie, Professionalisierung, Entscheidungskompetenz, Qualifikation?
  • [056:15] Interaktionen: Das ist keine Kategorie zur Beschreibung von Subjekten, so wie es |a 41|Thomas Bernhard offenbar im Auge hat; mit ihr sollen Handlungen beschrieben werden, Mitteilungsmodi, Verständigungen, Deutungen, Schemata.
[056:16] Ich könnte mir nun – im Sinne des Themas – Hypothesen denken, in denen die Ausdrücke
Interaktion
,
Organisation
und
pädagogisches Feld
oder ihre sprachlichen Äquivalente Terme sind, die in einen logischen und empirisch sinnvollen Zusammenhang gebracht werden; also z.B. die folgende Formulierung von Hurrelmann:
[056:17]
Der Spielraum für die Veränderung der unsere Schulen kennzeichnenden hierarchischen, starr leistungsfixierten und gegenüber individuellen Bedürfnissen und Affekten relativ repressiven Interaktions- und Kommunikationsstrukturen ist sehr klein
(Hurrelmann 1975, S. 203)
.
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[056:18] Näher bestimmte oder doch wenigstens näher bestimmbare Elemente von Interaktionen werden hier zu
Strukturen
zusammengefaßt, von denen angenommen wird, daß sie eine spezifische Wirkung auf
Bedürfnisse und Affekte
haben, andererseits aber selbst abhängig sind von Systemmerkmalen einer Organisation (Hierarchie und Leistungserwartung) – und dies soll gelten für das pädagogische Feld
Schule
. Das, was von Thomas Bernhard als komplexe Gleichzeitigkeit, eher als ein semantisches Feld dargestellt wurde, das wird hier nach abhängigen und unabhängigen Variablen gegliedert, gleichsam nach Maßgabe des herrschenden Habitus der Sozialwissenschaft klassifiziert. Der Erfolg, den diese Vorgehensweise hat, d.h. der Erkenntnisgewinn, den sie erbringt, scheint mir unbestreitbar und besonders in zweierlei Hinsicht unproblematisch zu sein:
  • [056:19] Man kann tatsächlich mit Erfolg Gesellschaften in Teilsysteme klassifizieren, von denen das Erziehungssystem eines ist, innerhalb solcher Teilsys|B 22|teme
    Organisationseinheiten
    ausmachen, die definierte Ziele verfolgen und
    mit deren Hilfe die Interaktionsprozesse grundlegend aufgebaut und Interaktions- und Handlungszusammenhänge strukturiert
    werden
    (Hurrelmann 1975, S. 31)
    .
  • [056:20] Andererseits scheint plausibel, daß diejenigen sozialen Gebilde, die in der Sozialwissenschaft als
    Organisationen
    klassifiziert werden, ein Spezifikum moderner Gesellschaften sind, wenn
    modern
    heißen soll: Gesellschaften, die ihre Reproduktionsprobleme nicht auf der Basis von face-to-face-Beziehungen lösen können, sondern dazu abstrakter Steuerungsinstrumente bedürfen. In diesem Sinne hat Luhmann beispielsweise das gegenwärtige System sozialer Hilfen beschrieben im Vergleich zu den Hilfe-Systemen archaischer Kulturen (Luhmann 1973).
[056:21] Folgt man einer solchen Klassifikation gesellschaftlicher Ereignisse, dann liegt ein Modell nahe, das Hurrelmann entworfen hat und in der Familie, Schule und Beruf als Komponenten des gesellschaftlichen Teilsystems
Erziehung
erscheinen, innerhalb dessen Interaktionen unter besonderen organisatorischen Bedingungen im Hinblick auf Ziele und Mittelwahl so abgestimmt werden, daß die Reproduktion des gesellschaftlichen Systems im Ganzen nicht gefährdet wird.
[056:22] So kann man über Organisation und Interaktion reden; man muß es aber nicht. Ich möchte im folgenden das Thema so be|A 16|handeln, daß Organisation und Interaktion nicht als zwei mehr oder weniger kovariierende Variable bestimmt werden, sondern als verschiedene Aspekte desselben Gegenstandes, den ich interpersonales Handeln nenne. Thomas Bernhard hat diese Auffassung des Themas dadurch symbolisiert, daß er alles in einem Satz zusammenzog und die Aspekte des Gegenstandes gleichsam nach den Regeln der Grammatik verknüpfte. Ich möchte meine Auffassung des Themas dadurch erläutern, daß ich – der Klassifikation Bernhards folgend – drei Ebenen der Analyse interpersonalen |a 42|Handelns vorschlage: die Ebene der Möglichkeitsbedingung für das Interagieren von Subjekten (1); die Ebene der Verhältnisse, die solchen Interaktionen historisch Sinn und Richtung geben (3); die Ebene der Organisiertheit von Interaktion unter besonderen institutionellen Bedingungen (2).
[056:23] Zuvor jedoch möchte ich kurz auf einen Einwand eingehen, der an dieser Stelle möglich, wenngleich nicht sinnvoll wäre: Es ist ein inzwischen schon traditionell gewordener Streit, ob man die Erforschung pädagogischer Prozesse mit makro- oder mikrosozialen Themen oder Fragestellungen beginnen solle, ob man zunächst einen Begriff des gesellschaftlichen Zusammenhanges sich bilden müsse, innerhalb dessen Erziehungsvorgänge lokalisiert werden können – eben dies könnte mir hier schon vorgehalten werden – oder ob man |B #23|im ersten Schritt sich nicht eine präzise Vorstellung davon verschaffen solle, wie die Beziehungen der Menschen zueinander beschaffen, welches und wie die Mittel sind, deren sie sich, deren wir uns, in den einfachen, alltäglichen Formen interpersonalen Handelns bedienen. Diese Frage ist denkbar ungeeignet, zum Gegenstand prinzipieller Kontroversen gemacht zu werden. Jedem, der über Erziehung in einer definierten historischen Situation redet, kann beides vorgehalten werden: Er müsse wissen, welche gesellschaftliche Funktion ein je besonderes pädagogisches Ereignis habe, um die Bedeutung seiner einzelnen Elemente auszumachen, das pädagogische Geschehen nach seinen Gründen und Zwecken erklären zu können – oder : er müsse wissen, was das für die beteiligten Individuen überhaupt ist: ein pädagogisches Ereignis; was dort mit welchen Mitteln geschieht, was die Beteiligten überhaupt tun, wenn sie versuchen zu lehren, zu lernen, sich zu verständigen, ein Selbstbild zu entwickeln usw. Solche Vorhaltungen sind zwar bedenkenswert, für den je konkreten Forschungsprozeß jedoch folgen|A 17|los, weil sie offenbar weit über das hinausgehen, was gegenwärtig von den streitenden Parteien eingelöst werden kann. Man sieht das – um ein Beispiel zu nennen – an den beiden so gut etikettierten theoretischen Positionen einer
materialistischen
und
interaktionistischen
Handlungs- und Sozialwissenschaft: In materialistisch oder makrosozial ansetzenden Untersuchungen erscheinen die Bestimmungen der interpersonalen pädagogischen Situation nur noch Illustrationen dessen, was makroanalytisch postuliert oder analysiert wurde; die Methode ist häufig der nur noch auf Plausibilität rechnende Analogie-Schluß, der Nachweis struktureller Ähnlichkeiten an ausgewählten Beispielen. In interaktionistisch orientierten Arbeiten dagegen finden wir zwar viel Analyse von interpersonellen Vorgängen im Detail, auch mit relativ reichhaltigem analytischen Instrumentarium, der Bezug aber zu den besonderen historisch-gesellschaftlichen Kontexten, zu gesellschaftlichen Funktionen und den Bedingungen solcher Funktionen findet nur in der Form von Andeutungen und Verweisen, in Versicherungen, daß man diesen Aspekt nicht vergessen habe oder gar, daß er zukünftig noch auszuarbeiten sei, statt. Die wechselseitige Kritik dieser Positionen – wenn man die Art, in der die Auseinandersetzung geführt wird, überhaupt Kritik nennen will – hat, wenn ich recht sehe, bisher keinen Erkenntnisfortschritt gebracht. Fortschritt indessen zeigte sich dort, wo Untersuchungen in ein gleichsam mittleres Feld vorstießen, wo der Gegenstand als interpresonales Handeln bestimmt wurde und versuchsweise analytische Begriffe zur Beschreibung nicht von je besonderen und konkreten Interaktionen, sondern von generellen Mustern oder Strukturen vorgeschlagen oder erprobt wurden. Das ist – nach meiner Kenntnis der Lage – z. B. der Fall in den Arbeiten von Bourdieu/Passeron, bei Cicourel und der unter dem Namen Ethnomethodologie auch jetzt bei uns bekannt werdenden Forschungsrichtung, im ethnologischen Struk|B 24|turalismus, besonders aber auch in der marxistischen Studie Ottomeyers. Ich will versuchen, mich in dem gleichen Problemfeld zu bewegen.
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1. Organisierte Interaktion in ihrer fundamentalen Gestalt

[056:24] In einem Aufsatz mit dem Titel
Generative Semantik und die Struktur der sozialen Interaktion
führt Cicourel folgendes Zitat von De Mauro an und interpretiert es als Beschreibung |A 18|der für interpersonelles Handeln in jedem Fall geltenden Grundstruktur:
[056:25]
In dem Maße, in dem du der gleichen Gemeinschaft angehörst wie ich, warst du einem sprachlichen und kulturellen Training unterworfen, das meinem ähnelt, und in dem Maße habe ich deshalb gute Gründe für die Annahme, daß deine Aussagen für uns beide eine ähnliche Bedeutung haben. Und die
Hypothese
, die ich aufstelle, wenn ich dich sprechen höre, ebenso wie du sie aufstellst, wenn du mit mir sprichst, wird für uns beide durch unser gesamtes Verhalten bestätigt
(Zit. nach Cicourel 1976)
.
[056:26] An diesem Zitat ist mir dreierlei wichtig:
  1. 1.
    [056:27] Interpersonales Handeln kommt nur zustande, sofern es für die Partner der Interaktion geteilte Bedeutungen gibt, d.h. Symbole, die sich für alle Beteiligten mit der Vorstellung gleicher Operationen verbinden. Man kann diesen Satz auch als den Bestandteil einer Definition verstehen und so formulieren:
    Interpersonale Handlung
    sollen nur solche Situationen heißen, in denen ... usw.
  2. 2.
    [056:28] Das Verhalten der Partner zueinander ist organisiert, geordnet, und zwar dadurch, daß beide durch eine kognitive Struktur verbunden sind: Sie operieren mit Hypothesen über ihr wechselseitiges Verhalten, die sich auf die Bedeutung gründen, die die verwendeten Symbole haben (dies ist übrigens ein Hinweis darauf, daß wissenschaftliche Methode nichts ist, als eine Art Perfektionierung dessen, was auch die Grundlage des Alltagshandelns darstellt). Daß das Verhalten der Partner zueinander
    organisiert
    ist, heißt also hier nichts anderes, als daß sie beide Regeln folgen, die das Kodieren von Gemeintem betreffen und die Zuordnung eines solchen Kodes (solcher Symbole) zu entsprechenden Operationen des interpersonalen Verkehrs.
  3. 3.
    [056:29] Die Verwendung des Ausdrucks
    Gemeinschaft
    in dem zitierten Text (
    In dem Maße, in dem du der gleichen Gemeinschaft angehörst wie ich
    ) sollte nicht irreführen. Zwar enthält der Ausdruck eine historische Einschränkung. Diese Einschränkung aber ist nicht identisch mit den Bezugssystemen, die innerhalb einer Gesellschaft oder Kultur in der Form von Klassen oder Schichten bestehen. Diese
    Gemeinschaft
    ist überall dort gegeben, wo überhaupt noch sinnvolle Interaktion möglich ist – und das ist selbst in der Be|B 25|ziehung zu Schi|A 19|zophrenen der Fall. Aber auch diese Erläuterung bleibt noch mißverständlich, und zwar nach der anderen Seite hin: In interpersonalen Situationen wird nicht nur je ein Ausschnitt aus dem komplexeren sozialen Zusammenhang präsentiert, dem die beteiligten Partner zugehören; diese Situationen selbst müssen so gedacht werden, daß die immer noch relative Vielfalt der Situationsthematik nur eingeschränkt aktualisiert wird, und zwar nach Maßgabe der Wahrscheinlichkeit, mit der jene Hypothese – die
    Annahme, daß deine Aussagen für uns beide eine ähnliche Bedeutung haben
    – bestätigt werden kann.
[056:30] Es ist offenbar sinnvoll, damit zu rechnen, daß interpersonale Situationen, in dem Maße, in dem ein
working consensus
hergestellt wird (der interaktionistische Ausdruck für die stattfindende interpersonale Prozedur), in einigen Dimensionen jene
Gemeinschaft
herstellen oder bestätigen, in anderen verleugnen oder die entsprechende Hypothese |a 44|falsifizieren. – Im idealisierten Normalfall von Alltagsinteraktionen ist dieser Sachverhalt beunruhigend: Man entdeckt Vieldeutigkeit von Zeichen, die für eindeutig gehalten wurden, neue Zeichen, die unbekannt waren, Nicht-Dekodierbarkeit von Zeichen durch den Interaktionspartner. Soziale Institutionen, insbesondere die Einrichtungen des Erziehungssystems, haben im (nicht idealisierten, sondern empirischen) Regelfall die Funktion, solche Beunruhigung zu liquidieren, Eindeutigkeit herzustellen,
Gemeinschaft
der Symbolwelten und damit der Lebenswelten durch Ausschließung des Abweichenden zu sichern2
|A 35||B 38| 2Dies ist ein Hinweis darauf, daß
labeling
-Probleme prinzipiell keine Besonderheit von durch Machtstrukturen verzerrten Interaktionen sind, sondern einen Grundsachverhalt von Weltdeutung darstellen. Eigenschaftszuschreibungen, wie sie der
labeling-approach
kritisch analysiert, sind demnach besondere historische Erscheinungen, deren Möglichkeitsbedingung in der
Indexikalität
jeder Interaktion zu suchen ist.
.
[056:31] Aber zurück zu dem, was als unerläßliches Fundament organisierter, d.h. geordneter, für die Interaktionspartner sinnvoller interpersonaler Situationen gelten kann. Cicourel hat versucht, dafür einen ersten Katalog aufzustellen, und zwar:
  1. 1.
    [056:32] Die Reziprozität der Perspektiven, d.h. die wechselseitige Voraussetzung, daß bei Vertauschung der Positionen die Erfahrungen dieselben sein würden.
  2. 2.
    [056:33] Die Verwendung von Normalformen, d.h. das Interagieren mit der Annahme,
    daß jede Kommunikation in einen Korpus gemeinsamer Kenntnisse oder dessen,
    was jedermann kennt
    , eingebettet ist
    (S. 34)
    .
  3. 3.
    [056:34] Die et-cetera-Annahme. In jeder Kommunikation treten – im Regelfall – Unstimmigkeiten auf; sprachliche oder nichtsprachliche Ausdrücke können zu vage, mehrdeutig oder verstümmelt sein; die Interaktionspartner müssen infolgedessen Bedeutungen
    auffüllen
    , sofern sie nicht auf |a 20|Verständigung verzichten wollen; das aber kann nur nach Regeln geschehen, die sich in ihrer Anwendung bei zurückliegenden Situationen bereits bewährt haben.
  4. 4.
    [056:35] Indexikalische Ausdrücke. Reziprozitätshypothese, Verwendung von Normalformen und et-cetera-Annahmen sind in entwickelter Form nur möglich, wenn es für die Interaktionspartner einen Mindestbestand gemein|B 26|samer Erfahrung gibt, der dadurch, daß er in Symbolen verschlüsselt ist, auch kommunizierbar wird. Solche Symbole oder auch
    Vokabularien
    sind also Indizes der Erfahrungen, sind Klassifikationen der erfahrenen Welt. In ihnen drücken sich die Inhalte einer individuellen oder kollektiven Lebenswelt ebenso aus, wie ihre formalen Bestimmungen, Abstraktionsprinzipien, Relevanzkriterien.
  5. 5.
    [056:36] Diesen vier Interpretationsdimensionen Cicourels möchte ich – noch auf der gleichen Ebene von Abstraktion vom historisch Besonderen angesiedelt – eine weitere hinzu fügen. Indexikalische Ausdrücke – z.B. im Text Thomas Bernhards
    Erziehungsberechtigte
    ,
    Geld
    ,
    Hilflosigkeit
    ,
    Schreckensfestung
    usw. – treten nicht als vereinzelte auf, sondern in kognitiven Kontexten, in denen Pragmatisches ausgedrückt wird. Perspektiven sind nicht nur überhaupt reziprok, sondern sie sind es mit Bezug auf besondere inhaltlich bestimmte soziale Erfahrungen. Auch der
    Korpus gemeinsamer Kenntnisse
    ist geordnet, nach Mustern der Verknüpfung seiner Elemente in einen syntaktisch-logischen Zusammenhang gebracht. Der
    Text
    jeder Interaktion (die sprachliche und nicht-sprachliche Symbolik) ist also notwendig auch strukturiert durch Deutungsmuster die den Handlungsschritten ihre besondere kognitive Struktur geben.
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[056:37] Um zu erläutern, was mit dieser Interpretationsdimension gemeint ist, gebe ich einige Beispiele:
[056:38]
Ich befinde mich bei den Dorzé aus dem südlichen Äthiopien und untersuche ihre Symbolik. Man erklärt mir, wie die Felder bestellt werden. Ich höre zerstreut zu. Man sagt mir, wenn das Familienoberhaupt die erste Saat nicht selbst auswirft, die Ernte schlecht wird. Das notiere ich sofort.
[056:39]
Ich beobachte das Kommen und Gehen auf dem Marktplatz; ein angenehmes Schauspiel, ich erinnere mich an den Markt in der Rue Moffetard. Es taucht eine Gruppe von Würdenträgern auf, die sich nicht um die Händler schert, und geht in umge|A 21|kehrtem Uhrzeigersinn um den Platz herum. Ich frage: darf man nur in dieser Richtung die Runde machen? Warum? Es ist Tradition. Und weiter? Man kreist in Richtung der Sonne. Wie das? Nun ja, von rechts nach links. Ich belästige meine Informanten mit Fragen.
[056:40]
Mein Assistent behauptet mitten am Nachmittag, er sei müde, und legt sich schlafen. Verlorene Zeit! Er erwacht, fühlt sich unwohl und verdächtigt den bösen Blick. Also doch nicht ganz verloren...
[056:41]
Oder um ein anderes Beispiel zu nehmen: wenn ein Dorzé-Freund mit sagt, daß die Schwangerschaft der Frauen neun Monate währt, dann denke ich:
gut, das wissen sie also
. Und wenn er hinzufügt:
aber im Clan X dauert sie acht oder zehn Monate
, dann denke ich:
das ist symbolisch
. Warum?
Weil es falsch ist.
(D. Sperber 1975, S. 14f.)
.
[056:42] Durch die Verschränkung des Vertrauten mit dem Fremden gibt Dan Sperber eine gute Veranschaulichung des Problems: Die Deutungsmuster des Autors sind die der kausalen, an der Erfahrung falsifizierbaren Verknüpfungen von Ereignissen; er stellt entsprechende Fragen, notiert die in dieses Muster |B 27|nicht passenden Beobachtungen
sofort
, identifiziert Mitteilungen als
falsch
. Aber sind sie das? Der Ausdruck
falsch
, verknüpft mit dem erfahrungswissenschaftlichen Deutungsmuster, ist selbst Bestandteil einer kulturellen Symbol-Organisation, und zwar auf signifikante Weise verschieden von dem der Dorzé. Oder: Der Autor beobachtet das
Kommen und Gehen auf dem Marktplatz
und deutet die Vorgänge nach ästhetischem Muster:
ein angenehmes Schauspiel
. Aber der
Markt in der Rue Moffetard
, an den ihn die Szene erinnert, liegt in Paris – und selbst dort, nicht erst in Äthiopien, würden die Akteure ihre Handlungen vermutlich durchaus anders als in ästhetischen Theoremen interpretieren.
[056:43] Es handelt sich bei den Deutungsmustern also um das, was wir
Theorie
nennen, und zwar auf der Ebene des Alltagshandelns: ein geordneter Zusammenhang von symbolischen Konstrukten, in denen Vergangenes verständlich, in denen zukünftiges Handeln begründbar gemacht werden kann. In diesem Sinne enthält die folgende Selbstinterpretation des Glasmachers Josef Peukert eine relativ elaborierte Theorie, die sich aus verschiedenen Deutungsmustern zusammensetzt:
[056:44]
Die Erinnerung aus meiner frühesten Jugendzeit sind traurige Bilder des Proletarierelends, wie sie in tausendfältigen |A 22|Formen in der modernen Gesellschaft überall zu Tage treten. Bitterste Not und Entbehrung verursachten den frühen Tod meiner Mutter durch die schreckliche Proletarierkrankheit, welche zwei Fünftel der Bevölkerung meiner Heimat dahinraffte, obwohl der ganze Distrikt, im Isergebirge und den Ausläufern des Riesengebirges, von Natur aus ein wahrer Luftkurort für Schwindsüchtige sein sollte. Allein die Glasindustrie, auf welche neun Zehntel der Bevölkerung in den Tälern und Bergen für ihren Lebensunterhalt angewiesen sind, fordert ununterbrochen ihre Opfer, speziell unter den
Schleifern
und
Bläsern
. Die Produkte, die in Gestalt von Perlen, Prismen, Knöpfen, Broschen, Ohrgehängen und sonstigem Aufputz für Frauen, Kinder und Männer in der ganzen Welt verbraucht werden, lassen nicht erkennen, welche unendliche Summen von Leiden, Elend und Menschenleben darin krystallisiert glänzen. Besonders in Zeiten geschäftlicher Depression, wenn die Glasarbeiter nicht das nötigste zum Leben verdienen, wie es gerade in meiner frühen Kindheit der Fall war, wirkt die Schwindsucht entsetzlich
(Emmerich 1974, S. 103)
.
|a 46|
[056:45] Schon die Wahl der Autobiographie als Form der Mitteilung stellt eine Entscheidung für die zeitliche Anordnung von Ereignissen dar und bedeutet eine Einordnung des Faktums
Erinnerung
in den Zusammenhang erfahrungsgeleiteter Chronologie. Materielle Situation, Krankheit und Tod werden in einem kausalen Deutungsmuster interpretiert, statistische Angaben werden als Beweismittel definiert; und schließlich wird – in den Konstrukten der akademischen Theorie ausgedrückt – die eigene Existenz als ein Moment im Zusammenhang von Entfremdung, Mystifikation und Warentausch gedeutet in jenem eindrucksvollen Satz:
Die Produkte, die in Gestalt von Perlen, Prismen, |B 28|Knöpfen ... und sonstigem Aufputz ... in der ganzen Welt verbraucht werden, lassen nicht erkennen, welche unendliche Summen von Leiden ... darin krystallisiert glänzen.
AB Ganz anders der Bericht eines Jugendamtes:
[056:46]
A. ist das dritte von sechs Kindern und das einzige Mädchen in der Geschwisterreihe. Ihre Geburt soll normal verlaufen sein. Bis Anfang 1972 soll A. zu Hause keinerlei Schwierigkeiten bereitet haben. Sie war der verwöhnte Liebling ihrer Eltern. 1972 begann A. zu rauchen, die Schule zu schwänzen, kam nach dem Unterricht nicht nach Hause und blieb teilweise auch nachts weg. In einem Gespräch am ... mit Herrn Rektor X von der Schule Y teilte dieser mit, das A. bereits in einzelnen Fächern nicht mehr am Unterricht teilnehme, z.B. Ko|A 23|chen und Sport. Zuletzt erschien sie nur noch stundenweise in der Schule. A. wurde seit Jahren in der Jugendschutzstätte ... (Name) ... betreut. Vor Schulabschluß wurden ihr von dort aus zwei Stellen für ein kurzes Praktikum zur Erleichterung der Berufsfindung vermittelt. Bei der Friseurstelle sprach A. überhaupt nicht vor, und in dem Einzelhandelsgeschäft erschien sie nach zwei Tagen nicht wieder. Auf ihre emotionalen Bedürfnisse, die sie wechselnd bei jungen Männern ihres Milieus zu befriedigen suchte, konnte von der Jugendschutzstätte nicht mehr steuernd und klärend eingewirkt werden
(A. Kirchherr 1974, S. 43ff.)
.
[056:47] Zwar werden auch hier die Ereignisse nach dem Muster einer Chronologie gedeutet; die zeitliche Abfolge aber gliedert sich nach Ereignissen, die offenbar durch eine Hypothese strukturiert sind, in der die Familienstellung, das als abweichend definierte Verhalten und der Kontakt mit Institutionen die relevanten Variablen sind (Stellung in der
Geschwisterreihe
,
verwöhnter Liebling der Eltern
,
keinerlei Schwierigkeiten
,
blieb teilweise nachts weg
,
begann zu rauchen
,
die Schule schwänzen
,
Unterricht
,
Jugendschutzstätte
,
Berufsfindung
usw.). Schließlich ist interessant, was der Leser nicht erfährt: Motive und Intentionen des Mädchens, die Bedeutung, die die im Text nur äußerst knapp angedeuteten sozialen Beziehungen für sie selbst haben, der Kontext sozioökonomischer Umstände, in denen sie aufwuchs und lebt usw. Mit ziemlicher Sicherheit würde ein nicht standardisiertes Interview mit diesem Mädchen andere Deutungsmuster zum Vorschein bringen als die, die im Jugendamtbericht enthalten sind. Nun, das sind triviale Feststellungen angesichts der Tatsache, daß
Labeling approach
,
Stigma
-Begriff,
Etikettierung
zum begrifflichen Instrumentarium von Grundstudiengängen geworden sind. Worauf es mir indessen ankommt, ist an dieser Stelle nur dies:
  • [056:48] die These, daß Deutungsmuster – wie indexikalische Ausdrücke, Reziprozität der Perspektiven usw. – zu den fundamentalen Dimensionen sinnvollen Handelns gehören;
  • [056:49] daß Indizes, aber mehr noch die Reziprozität der Perspektiven, Normalformen und et-cetera-Annahmen in ihrer je besonderen Bestimmtheit erst beschreibbar werden, wenn ich auch die Deutungsmuster beschreibe, in denen sie sich artikulieren:
  • |A 24|
  • |B 29|
  • [056:50] die These, daß auch dasjenige, was wir
    wissenschaftliche
    Definition eines Problems nennen, solche Deutungsmuster enthält oder realisiert.
[056:51] Im Anschluß an eine neuerdings auch hierzulande stärker diskutierte sozialwissenschaftliche Forschungsrichtung möchte ich diesen Ansatz als die Darstellung eines
ethnome|a 47|thodologischen Interesses der Pädagogik
bezeichnen. Seit Friedenberg den Umgang, den die amerikanische Gesellschaft mit ihrer Jugend pflegt,
kolonialistisch
nannte, dürfte der Gedanke, die Erziehungswissenschaft solle sich bei der Erkenntnis ihres Gegenstandes des verfremdenden Blicks ethnologischer Methoden bedienen, nicht gerade neu sein. Was Ethnozentrismus für die Ethnologen bedeutet, das bedeutet für die Pädagogik der Kulturzentrismus wissenschaftlicher Theorien, die sich selbst nicht mehr im Lichte der Lebenswelten reflektieren, die sie sich zum Gegenstand machen. Reisen in die Kindheit – wenn erlaubt ist, so zu reden – auch in das Jugendalter, in die Freizeitwelt von Gymnasiasten, die Lebenswelt von Strafgefangenen, den Alltag einer Arbeiterfamilie sind für uns alle, wie ich vermute, auch wie Reisen in fremde Länder3
|A 35||B 38| 3Mir scheint, daß eine Komponente – vielleicht die wichtigste – dessen, was
Handlungsforscher
im Sinn haben, wenn sie die Aufhebung der
Subjekt-Objekt-Beziehung
im Forschungsprozeß fordern, in der ethnomethodologischen Position relativ präzise und vor allem weniger mißverständlich formuliert ist. So ist der Hauptvorwurf, den die Ethnomethodologie gegen die Form, in der Sozialwissenschaft vorwiegend betrieben wird, erhebt, daß
die Sozialwissenschaften aus der Arena alltäglichen Handelns ausgestiegen sind und mit ihren reifizierenden Konstrukten sich das betrachten, was
da unten
vor sich geht
(Weingarten/Sack/Scheinkein 1975, S. 20)
.
.

2. Organisierte Interaktion auf der Stufe von Institutionen

[056:52] Es wird gegen das hier verwendete begriffliche Instrumentarium und die darin enthaltene Theorie gern eingewandt, sie seien
unhistorisch
. Es ist bei der Verwendung dieses Vorwurfs nicht immer ganz klar – vor allem dann, wenn er besonders forsch vorgetragen wird was eigentlich gemeint ist. Aus der Vielzahl möglicher Bedeutungen möchte ich nur zwei hervorheben:
  1. 1.
    [056:53] Die Bezeichnung
    unhistorisch
    , auf Begriffe und Theorien angewandt, kann heißen, daß der Verwender solcher Theorien und Begriffe sich über deren Genese keine Rechenschaft gegeben hat, so daß er mindestens den Anschein erweckt, als kenne er den historischen Ort seines Denkens nicht. Nimmt man diesen Einwand ernst, hat es wenig Sinn, Beteuerungen darüber abzugeben, daß man über solche Zusammenhänge sehr wohl nachgedacht habe; ebenso nutzlos wäre es, wollte man in allgemeinen Formulierungen auf die historische Bestimmtheit der eigenen Begriffe hinweisen, so z.B. angesichts der zentralen Stellung, die der Ausdruck
    Kosten-Nutzen
    in manchen |A 25|sozialpsychologischen Interaktionstheorien,
    symbolischer Austausch
    oder
    Identitätsbalance
    in anderen hat. Eine Erörterung dieses Problems müßte sich vermutlich der Frage zuwenden, in welchem Verhältnis indexikalische Ausdrücke einer gesellschaftlichen Alltagspraxis zu den Termen einer Theorie stehen. Damit aber hängt die andere Frage zusammen, ob nämlich die in den Begriffen der Theoreme zur Sprache gebrachten Sachverhalte nur in demjeni|B 30|gen historischen Rahmen existieren, für den sie als indexikalische Ausdrücke interpretiert werden können. Kurz: Wer sich dieser Aufgabe zuwenden wollte, müßte sich zu einer sowohl erkenntniskritischen wie historischen Argumentation entschließen. Das aber geht über den Rahmen meiner Möglichkeiten hier und jetzt hinaus.
  2. 2.
    [056:54] Die Anwendung des Ausdrucks
    unhistorisch
    auf Theorien und Begriffe kann aber außerdem auch heißen, daß in ihnen der Gegenstand der Erkenntnis so konstruiert wird, |a 48|daß das historische Gewordensein nicht mehr beschreibar ist. Nun ist das nicht notwendigerweise ein Einwand, sondern zunächst nur der Ausdruck dafür, daß der Kritiker sich offenbar für einen anderen Gegenstand der Erkenntnis interessiert. Für die Erziehungswissenschaft jedoch erscheint mir plausibel, wenngleich nicht zwingend, ihre Gegenstände so zu konstruieren, daß deren Änderung in der Form begrifflich-konstitutiver Merkmale in die Konstrukte aufgenommen wird. Das Thema
    Interaktion und Organisation
    scheint mir eben dieses Interesse auszudrücken;
    Organisation
    nämlich ist in der gegenwärtigen Sozialwissenschaft wie auch im Alltagshandeln ein indexikalischer Ausdruck für eine bestimmte Klasse von Variablen, die sich auf die historisch besonderen Bedingungen von Interaktionen beziehen. Ich will versuchen, im Anschluß an den ersten Schritt meiner Überlegungen, einige Fragen aufzuwerfen.
[056:55] Die Klassifikation pädagogischer Ereignisse in
Organisation
einerseits und
Interaktion
andererseits war in der Forschung der letzten Jahre relativ erfolgreich. Wir haben gelernt, daß in der Schule nicht nur gelernt, sondern auch selektiert und legitimiert wird, oder – mit den Worten Hurrelmanns – angemessene Qualifikationen bereitgestellt, die Sozialstruktur reproduziert und normative Loyalität gesichert wird (Hurrelmann 1975, S. 149). Wir haben ferner gelernt, daß die Erfüllung solcher Aufgaben in Art und Umfang abhängig ist von Merkmalen wie Hierachie, Entscheidungskompetenzen, Rol|A 26|lenvorschriften, Arbeitsteilung, Zeit-Buget, Differenzierung usw., Merkmale also, die dem Ausdruck
Organisation
als der Bezeichnung eines räumlich lokalisierbaren sozialen Gebildes subsumiert werden können. Und im Hinblick auf die Folgen resümiert Hurrelmann im Anschluß an Wellendorf den gegenwärtigen Stand des Wissens in der allgemeinen Hypothese:
Allen Beteiligten wird mit den Mitteln symbolischer Repräsentation nahegebracht, unter welchen Bedingungen sie im Schulsystem zu handeln, welche Werte sie zu akzeptieren und welchen Herrschaftsstrukturen sie sich anzupassen haben
(Hurrelmann 1975, S. 155)
. Vergleichbares läßt sich von anderen
pädagogischen Feldern
behaupten:
  • [056:56] Die Handlungsspielräume von Sozialarbeitern, ihre Beziehungen zu den Klienten, ihre Fähigkeit, die Reziprozitäts-Hypothese nicht nur virtuell zu unterstellen, sondern konkret darzustellen, varrieren vermutlich mit |B 31|den Kompetenzverteilungen im Jugendamt, mit der Art der praktizierten Arbeitsteilung, mit der Rechtsförmigkeit der definierten Fälle usw.
  • [056:57] Die Gruppenbeziehungen von Kindern und Jugendlichen in Heimen hängen ab von organisatorischen Merkmalen wie Gruppengröße, Rollendefinition der Mitarbeiter, Heimgröße, der geplanten oder nicht geplanten Ökologie usw.
  • [056:58] Eine therapeutische Beratung wird vermutlich variieren, je nachdem, welchen Professionalisierungsgrad der Berater hat, in welcher ökonomischen Form die Beratung geschieht, ob es sich um ambulante oder stationäre Beratung handelt, ob es institutionelle Regeln der Selektion von Klienten gibt und welche usw.
  • [056:59] Entsprechende Behauptungen für die Familie liegen auf der Hand: Die Entstehung der Organisationsform der bürgerlichen Kleinfamilie hat für ihren Interaktionszusammenhang weitreichende Folgen gehabt, unter Umständen sogar spezifische Pathologien erzeugt usw.
[056:60] Spätestens im letzten Fall könnte allerdings die Verwendung des Ausdrucks
Organisation
problematisch erscheinen. Einleuchtend und zweckmäßig erscheint mir die Definition, die Luhmann (1973) einmal implizit und in Bezug auf das System sozialer Hilfen verwendet hat. Danach wären Organisationen solche soziale Regeln, die – auf |a 49|Dauer gestellt – symbolischen und materiellen Austausch auch dann möglich machen, wenn der sinnlich-empathische Anreiz zur Hilfeleistung weggefallen |A 27|ist – z.B. dadurch, daß einerseits die konkrete Anschauung von Bedürftigkeit in irgendeiner Hinsicht unwahrscheinlicher geworden ist und andererseits Wahrnehmungsschemata entstehen, die die Aufforderung zur Hilfe, die ein konkreter Fall bedeuten könnte, personal abzuweisen erlaubt. In einer solchen Situation muß gesichert sein, daß – unabhängig von Motivationen – Hilfe erfolgt.
[056:61] Auf den ersten Blick also scheint diese Definition mit der Familie, einem Beratungsgespräch, einer therapeutischen Wohngemeinschaft unvereinbar zu sein – aber auch nur auf den ersten Blick. Mir scheint, daß die
Organisation
genannten räumlich lokalisierbaren sozialen Gebilde nichts anderes sind, als besonders explizite Festsetzungen wesentlicher Komponenten jeder Interaktion, gleichsam
eingefrorene
Bestandteile, die sichern helfen, daß gesellschaftlich für relevant gehaltene Interaktionen ihre Form behaltenAB unabhängig von besonderen Situationen und Motivationen. Was mich interessiert, ist – um im Bild zu bleiben – der Vorgang des
Einfrierens
bzw.
Auftauens
. Aus diesem Grunde schlage ich vor, den Ausdruck
Organisation
zur Bezeichnung einer Dimension von Interaktionen zu verwenden
.
[056:62] Obwohl etymologische Rekonstruktionen keine historische Beweiskraft haben – sie zeigen eher die Folgen historischer Prozesse, nicht ihre Ursa|B 32|chen – scheint mir die Erinnerung der ursprünglichen Wortbedeutung nützlich.
Organisation
ist abgeleitet aus griechisch
organon
= Gerät, Werkzeug; dieses wiederum geht zurück auf
ergatsomai
(εϱγαζομαυ) = arbeiten, tätig sein, ein Handwerk treiben. Mir ist diese Wortbedeutung – mit der, ich wiederhole es, nichts bewiesen werden kann – sympathisch, illustriert sie doch, was ich sagen will: Werkzeuge haben eine ihnen eigentümliche Doppelbedeutung. Einerseits sind sie Mittel der Hervorbringung, der Bearbeitung, der Erarbeitung von etwas, andererseits symbolisieren sie nicht nur solche Tätigkeiten, sondern auch den pragmatischen Kontext von Interaktionen, und zwar unabhängig von besonderen Situationen und Motivationen: Der Webrahmen, der Handwebstuhl, der mechanische Webstuhl, das Schaltpult, der platonische Dialog, die scholastische Disputatio, der Federhalter, das Pendel, die sozialwissenschaftliche Methode.
[056:63] Und nun ein praktische Hinweis: Ein heilpädagogisches Kinderheim wandte sich an uns mit der Anfrage, ob wir bei dem |A 28|Versuch, eine neue Konzeption zu entwickeln und zu verwirklichen, behilflich sein könnten. Der sich über 18 Monate erstreckende Beratungsprozeß durchlief die folgenden Stadien:
  1. 1.
    [056:64] Wir machten uns auf regelmäßigen Mitarbeiterversammlungen ein Bild von der Beurteilung der Situation durch die Mitarbeiter des Heims, von den Informations- und Entscheidungsregeln, von den expliziten Konflikten und beteiligten uns an der Diskussion von Vorschlägen der Mitarbeiter zu einer neuen Konzeption.
  2. 2.
    [056:65] Wir führten nicht-standardisierte Interviews mit den Mitarbeitern durch, und zwar nach den Regeln der nicht-direktiven Gesprächstherapie. Die Auswertung ergab ein höchst konflikthaftes Bild der Deutung der Heimsituation durch die Mitarbeiter. Gemeinsam war allen Deutungen die Kritik daran, daß die Kinder und Jugendlichen in einem Gefühl totaler Versorgung lebten; die Kritik an der Spezialisierung von Rollen; die stark erlebte Diskrepanz von Wollen und Können; die häufig eher subjektivistische Definition von Problemen; die Schuldgefühle angesichts der Tatsache, daß subjektivistische Deutungen nicht zum erwünschten Handlungsziel führen.
  3. |a 50|
  4. 3.
    [056:66]
    Auf der Basis dieser mit dem Personal des Heims diskutierten Auswertung der Interviews machten wir einen Vorschlag zur Umorganisation des Heims, der sich an allen von den Mitarbeitern selbst formulierten Handlungszielen orientierte. Unter der Bedingung des durch die Pflegesätze gegebenen Finanzierungsrahmens machten wir (hier abgekürzt) folgende Vorschläge:
    • Verringerung der Kinder und Jugendlichen von 38 auf 21.
    • Verringerung der Gruppengröße auf 5.
    • |B 33|
    • Die Gruppen sind Haushaltseinheiten in dem Sinne, daß sie die volle Verfügung über die Pflegesätze haben und in allen Reproduktionsfunktionen souverän sind.
    • Das Verwaltungs- und spezialisierte Therapiepersonal ist den Gruppen untergeordnet, erbringt für diese Dienstleistungen.
    • Die Spezialisierung in einzelne Versorgungsrollen (Küchenpersonal, Reinigungspersonal, Erziehungspersonal, Therapie-Personal usw.) wird so weit wie irgend möglich aufgehoben. Die Erzieherrolle wird als integrierte Rolle konzipiert.
    • Die Gesamtarbeitszeit der Erzieher (einschließlich Kochen etc.) bleibt gleich.
  5. |A 29|
  6. 4.
    [056:67] Die Verwirklichung dieser
    organisatorischen Zwischenziele
    – sie sollten ja nur einige Voraussetzungen für eine befriedigendere Interaktion mit den Kindern und Jugendlichen sein – stieß nun auf große Schwierigkeiten, trotz des Zielkonsens, der unter den Mitarbeitern herrschte. Die entscheidende Barriere dabei war – wenn ich recht sehe – die Neu-Definition des beruflichen Handelns der Erzieher. Unser Plan machte offenbar – so trivial er auch ist – explizit, daß
    Verwirklichung einer pädagogischen Konzeption
    nicht nur eine Neu-Instrumentierung personunabhängiger formaler Voraussetzungen bedeutet, sondern daß es sich zugleich um eine Neu-Instrumentierung des Handlungs- und Interpretationsrepertoires der Heim-Mitarbeiter handelt.
[056:68] Aus dieser Erfahrung ziehe ich den folgenden Schluß: ist man an der Veränderung eines pädagogischen Handlungsfeldes interessiert, dann ist es nicht sinnvollAB über
Verhältnisse
zu reden, ohne dasjenige zur Sprache zu bringen, was solche
Verhältnisse
als Handlungsrepertoire der Individuen
sind
; allerdings scheint es ebensowenig sinnvoll zu sein, jenes Handlungsrepertoire zu diskutieren, ohne sich über seine vom einzelnen Subjekt unabhängige (
intersubjektive
) Existenzweise und Bedeutung Rechenschaft zu geben. In diesem Sinne interpretiere ich, was Marx in der 3. Feuerbach-These schreibt:
Die materialistische Lehre von der Veränderung der Umstände und der Erziehung vergißt, daß die Umstände von den Menschen verändert und der Erzieher selbst erzogen werden muß
(Marx 1958, S. 5f.)
. Ähnlich heißt es in der Deutschen Ideologie:
Die Verhältnisse der Individuen können unter allen Umständen nichts anders als ihr wechselseitiges Verhalten sein
(a.a.O., S. 423)
4
|A 35||B 38| 4 Ottomeyer (1974) weist mit Recht darauf hin, daß
Verhältnisse der Individuen
nicht gleichbedeutend sind mit
persönlichen
Verhältnissen, da – nach den Worten von Marx
innerhalb der Teilung der Arbeit die persönlichen Verhältnisse notwendig und unvermeidlich sich zu Klassenverhältnissen fortbilden und fixieren
(Mew, Bd. 3, S. 422)
und also
eine eigene, sinnlich wahrnehmbare Gestalt neben ihrem (der Individuen, K. M.) persönlichen Verhalten zueinander
annehmen
(Ottomeyer 1974, S. 68)
.
; indessen ist doch dieses wechselseitige Verhalten auch so zu denken, daß es nicht nur aus der Reziprozität der interagierenden Individuen resultiert, sondern ebenso sich gleichsam gegenständlich verdichtet und für weiteres Verhalten als Vorgabe in der Form eines gesellschaftlichen Verhältnisses fungiert, bis hin zu jener
sachlichen Gewalt über uns, die unserer Kontrolle entwächst
|a 51| (a.a.O., S. 33)
. So einleuchtend das sein mag: damit ist |B 34|kaum mehr als ein theoretisches Dilemma bezeichnet, das selbst in der gegenwärtigen Diskussion zur Möglichkeit einer
materialistischen
Sozialisations- oder Interaktionstheorie nur beschrieben, keineswegs aber gelöst wird5
|A 35||B 39| 5Der Schwierigkeit, die
interaktionistische
Autoren mit den
Verhältnissen
haben, entspricht die Schwierigkeit, die
materialistische
Autoren mit dem
Verhalten
haben. Bisweilen ent|A 36|steht der Eindruck, als seien letztere lediglich dazu in der Lage, Verhalten bzw. Interaktion als abhängige Variable zu begreifen. Die mit viel Fleiß betriebene
Kritik
an interaktionstheoretischen Arbeiten blieb denn auch eigentümlich leer im Hinblick auf weiterführende theoretische Perspektiven (vgl. dazu neuerdings z.B. Osterland 1976) – wenn man nicht schon Appelle dafür halten will. Gewiß aber scheint mir das Problem mit den Mitteln rein begrifflicher Erörterungen, der wechselseitigen Vorrechnung von Versäumnissen oder
Unterschlagungen
, nicht zu lösen, sondern nur durch eine Forschungsarbeit, die bereit ist, auch ins Detail zu gehen, sei es in die Struktur von Interaktionsprozessen (wie z.B. in den Arbeiten U.Oevermanns), sei es in eine genaue Geschichtsschreibung von Sozialisation und Interaktion (wie z.B. in den Arbeiten Ph. Ariès oder H. Rosenbaums).
. Vielleicht aber läßt sich dies festhalten: pädagogisches Handeln als Sonderfall jenes wechselseitigen Ver|A 30|kehrs von Individuen wird allemal instrumentiert durch Elemente, mit denen der Pädagoge seinem Handeln Stetigkeit, Dauer und Wirksamkeit verleiht oder doch zu verleihen sucht. Die Werkzeuge, die solches leisten, Bestandteile von
Verhältnissen
also, sind seine Handlungsmuster, seine Methoden, sind die Definitionen von Objekten und Beziehungen, deren er sich bedient, also auch seine
Curricula
, ein Webstuhl, ein Senkblei, ein Rechenautomat, ebenso aber auch seine Arbeitszeit, seine Sprache, sein Verhältnis zu seinem eigenen Leib. Änderung einer
Organisation
nach dem gebräuchlichen soziologischen Verständnis dieses Begriffs ist also mindestens auch eine Änderung dieser Handlungsmuster und Definitionen. Die theoretische Konstruktion des Problemfeldes nach Maßgabe von Organisation und Interaktion als zweier Variablen -Klassen, von denen die eine als eine Bedingung der anderen angenommen wird, ist sicher für viele Fragestellungen nützlich, auch im Bereich des Erziehungssystems. Ich habe indessen die Vermutung, daß jene
symbolische Repräsentation
von
Interaktionsmustern
, von denen Hurrelmann spricht, wenn man ein Interesse an deren Veränderung hat, einer anderen theoretischen Konstruktion bedarf. Gesucht ist also mindestens eine Theorie, die die Organisiertheit pädagogischer Interaktionen in Termen ihres Werkzeuggebrauchs und der in ihnen symbolisierten Handlungsmuster beschreibt, um so den Anschluß an den materiellen Prozeß der Geschichte zu finden.

3. Organisierte Interaktion auf der Stufe von
Verkehrsformen

[056:69] Bourdieu hat die analytische Hypothese geäußert, daß der Begriff des
Habitus
geeignet sei, Regelmäßigkeiten des pädagogisch-interpersonalen Handelns zu studieren, die weder sich aus den fundamentalen Bedingungen von Interaktionen überhaupt, noch aus den historisch besonderen Bedingungen dieser oder jener Einrichtungen erklären lassen, sondern nur noch aus den Reproduktionsinteressen der je historisch besonderen Gesellschaft. Er hat damit eine dritte Ebene der Organisiertheit von Interaktionen angesprochen, auf der so etwas wie der Algorithmus eines Erziehungssystems formulierbar sein müßte (Bourdieu 1970, S. 125ff.). Der Ausdruck
Habitus
symbolisiert für |a 52|Bourdieu den Versuch,
im Zentrum des Individuel|A 31|len selber Kollektives zu entdecken
(Bourdieu 1970, S. 132)
, er verbindet den Einzelnen – wir |B 35|können sagen: jede einzelne pädagogische Interaktion –
mit der Kollektivität seines Zeitalters
, weist den
anscheinend noch so einzigartigen Projekten Richtung und Ziel
(ebd.)
. Dieses anspruchsvolle wissenschaftliche Programm hat Bourdieu zunächst am Beispiel der Gotik illustriert und generalisierend behauptet:
In einer Gesellschaft, in der eine Schule das Monopol der Vermittlung von Bildung innehat, finden die geheimen Verwandtschaften, das einigende Band der menschlichen Werke ... ihren prinzipiellen Nexus in der Institution Schule, fällt dieser doch die Funktion zu ... Individuen hervorzubringen, die mit diesem System der unbewußten (oder tief vergrabenen) Schemata ausgerüstet sind, in dem ihre Bildung bzw. ihr Habitus wurzelt
(a.a.O., S. 139)
, ein System von Mustern,
die es erlauben, alle typischen Gedanken, Wahrnehmungen und Handlungen einer Kultur zu erzeugen
(a.a.O., S. 143)
, eine Art generativer Grammatik der Kultur also (vgl. auch Bourdieu 1973, besonders S. 44ff.).
[056:70] Obwohl sich Bourdieu an keiner Stelle auf den marxistischen Begriff der
Verkehrsformen
bezieht, scheint mir die Ähnlichkeit in mindestens einer Hinsicht doch unverkennbar. Auf unseren Gegenstand bezogen, möchte ich so formulieren: in beiden Fällen – wie übrigens auch in der strukturalistischen Ethnologie – richtet sich das Interesse darauf, zu ermitteln, ob es einen für Gesellschaftsformationen je spezifischen Satz von Regeln des interpersonalen Handelns gibt,die sowohl die Muster scheinbar individuell besonderer Interaktion, wie auch die auf der zweiten Stufe von Organisiertheit angesiedelten Muster institutioneller Interaktion generieren.
[056:71] Duhm und Ottomeyer sind, wenn ich sie recht verstanden habe, von dieser Annahme ausgegangen, und zwar in der marxistischen Version der Fragestellung.
[056:72]
Man kann annehmen, daß der zum Bestandteil von Ich-Identität gewordene Zwang, die fremde Perspektive mißtrauisch zu antizipieren ... nicht auf Tauschbeziehungen im ökonomischen Sinne ... beschränkt bleibt. Das habitualisierte Mißtrauen muß auf die anderen Bereiche und Formen sozialer Interaktion ausstrahlen
(Ottomeyer 1974, S. 96)
. Der Argumentationsmodus bei Duhm ist ähnlich:
Im Verkauf der eigenen Arbeitskraft als Ware drückt sich ein ganz spezifisches zwischenmenschliches Verhältnis aus: Der Mensch trennt ei|A 32|nen Teil seiner Persönlichkeit (die Arbeitskraft) von sich ab und bietet ihn einem anderen Menschen als Ware an; auf dieser Trennung von Mensch und Eigenschaft basiert die Beziehung dieser beiden Menschen bzw. Klassen. Da die große Mehrheit der Bevölkerung existenziell auf solche Beziehungen angewiesen ist, bildet die Trennung des Individuums von einem Teil seiner Persönlichkeit eine allgemeine Grundlage für die zwischenmenschlichen Beziehungen in der kapitalistischen Gesellschaft
(Duhm 1975, S. 82)
. Mich interessiert an dieser Stelle nicht die psychologische Mystik, die hier ihr |B 36|Unwesen treibt, am Zitat von Ottomeyer nicht die Fehlinterpretation eines interaktionistischen Theorems, nicht die Tatsache, daß beide Autoren, in offensichtlicher Verkennung dessen, was sie selber tun, als empirische Gewißheit ausgeben, was doch höchstens Vermutung sein kann, im Grunde aber nur einen analytischen Status hat – mich interessiert vielmehr die theoretische Konstruktion, in der zwei Klassen von organisierter Interaktion definiert werden, von denen die eine das generative Prinzip für die andere enthalten soll, eine
allgemeine Grundlage
AB wie Duhm schreibt, eine Art
Ausstrahlung
, wie es bei Ottomeyer heißt. Die eine Klasse organisierter Interaktion, im makrosozialen Bereich angesiedelt, umfaßt diejenigen Phänomene, die bei Marx
Verkehrsformen
heißen und in den institutionalisierten Regeln des Güteraustauschs und der Güterproduktion empirisch faßbar sein sollen. Die andere Klasse organisierter |a 53|Interaktion umfaßt die empirisch beschreibbaren besonderen Interaktionsformen im pädagogischen Feld (bevorzugtes Demonstrationsobjekt in der marxistich-interaktionstheoretischen Literatur ist die Familie). Die heuristische, aber bislang noch wenig erfolgreich gebliebene Hypothese ist, daß beiden Klassen von Ereignissen die gleichen Prinzipien der Organisation von Interaktion zugrunde liegen, oder – mit Bourdieu gesprochen – den gleichen Habitus reproduzieren. Ottomeyer – wenn ich ihn recht verstehe – bietet nun implizit zur Klärung der Zusammenhänge ein Klassifikationsschema an, in dem er nicht nur ökonomische Sphären, sondern zugleich
Verhältnisse
und
Verhalten
unterscheidet und zwischen diesen beiden auf Dauer gestellte Interaktionsregeln annimmt, die sich in besonderen Institutionen (z.B. der Familie) oder Organisationen manifestieren. Schematisch könnte das folgendermaßen aussehen: |A 33|
Zirkulation Produktion Konsumtion
Verhältnisse
auf Dauer gestellte Form (Regel) der Interaktion
Problematik der individuellen Interaktionen
Pädagogische Felder sind offenbar – folgt man dieser Klassifikation – unterschiedlich auf die ökonomischen Sphären hin orientiert. Was im sogenannten Ausbildungssektor noch relativ glatt gelingen mag (allerdings auch hier |B 37|nur mit Verkürzungen) – für die Primärsozialisation, die sich unter gegenwärtigen Bedingungen vornehmlich in der Familie abspielt, stellt sich das theoretische Problem auf kompliziertere Weise6
|A 36||B 39| 6Ein Beleg dafür sind die Bemühungen Lorenzers (1973), auch die Tatsache, daß Ottomeyer offenbar mit der Familie, obwohl sie ihn zu faszinieren scheint, nicht viel anzufangen weißAB außer sie als
Gegenmilieu
zu etikettieren. Welche Problematik sich dahinter verbirgt, haben sehr scharf, aber leider nur programmatisch Negt/Kluge in dem Hinweis auf die
besondere Produktionsweise der Frau
und deren Zusammenhang mit der familialen Interaktion bezeichnet
(O. Negt/A. Kluge 1973², S. 44)
.
. Allgemeiner und als Annahme ausgedrückt: Je mehr ein pädagogisches Feld dadurch definiert ist, daß der Pädagoge (Eltern, Erzieher, Lehrer usw.) durch die Art der herrschenden
Figuration
7
|A 36||B 39| 7Zum Begriff
Figuration
vgl. N. Elias (1970) und Mollenhauer/Brumlik/Wudtke (1975), S. 160ff.
zur ernsthaften Berücksichtigung der subjektiv besonderen Befindlichkeit des
Educandus
genötigt ist, um so komplizierter stellt sich die theoretische Frage, wie der Zusammenhang zwischen Verkehrsformen und Interaktionsformen bestimmt werden kann. Mit scheinen gegenwärtig drei hypothetische Antwort-Modi für solche Bestimmung diskutabel:
  1. 1.
    [056:73] Die in den Sphären von Produktion und Zirkulation herrschenden Verkehrsformen
    prägen
    auf irgendeine Weise die Interaktionsgewohnheiten der Individuen derart, daß sie auch in der Konsumptionssphäre und den offenbar schwer zuzuordnenden Bereichen verschiedener Erziehungsfelder sich Geltung verschaffen. Duhm scheint dieser Meinung zu sein und auch A. OsterlandAB wenn sie schreibt:
    Es ist festzustellen,daß im besonderen Produktionsbereich Sozialisation die Mutter exakt das Gefüge von Interaktionsformen |a 54|reproduziert, das – im perspektivischen Wechsel – als
    Verkehrsformen
    der kapitalistischen Güterproduktion zugeordnet war
    (Osterland 1976, S. 121). Dafür wäre allerdings erforderlich, eine psychologische Transfer-Theorie zu explizieren, die erklärbar macht, warum Interaktionsmuster, die in der einen Sphäre in Geltung |A 34|sind, von den Individuen auch in der anderen praktiziert werden.
  2. 2.
    [056:74] Kann man sich nicht entschließen, einer solchen, vielleicht relativ naiven
    Abbild
    -Annahme zu folgen, dann liegt die Antwort Ottomeyers nahe, in der der Zusammenhang zwischen Verkehrsformen und Interaktionsformen sphären-spezifisch bestimmt wird. Das bedeutet für gegenwärtige – und wie mir scheint, eben nicht nur kapitalistische – Bedingungen, daß das soziale Verhalten der Individuen teils unter die geltenden ökonomischen Regeln gezwungen wird (entgegenständlichte Arbeit, Warentausch, Quantifizierung von Leistung und ihren Äquivalenten usw.), teils gegenüber den Belastungen durch die ökonomischen Sphären kompensatorisch ist8
    |A 36||B 39| 8
    Zum einen sind sie (die sozialen Beziehungen in der Konsumtionssphäre, K. M.) abstrakt in dem Sinne, daß sie abgelöst und entleert sind von der gegenständlichen Produktionstätigkeit und der Konstitution einer gemeinsamen gegenständlichen Welt in der Auseinandersetzung mit der äußeren Natur. Zum anderen haben sie, weil sie durch und durch von den reproduktiven Notwendigkeiten affiziert sind, unter denen die Individuen stehen, einen zwanghaften Kompensationscharakter
    (Ottomeyer 1974, S. 128).
    . Um diese Hypothese plausibel zu machen, wäre die Explikation einer Theorie erforderlich, in den z.B. die Feststellung von Versagungen am Arbeitsplatz schlüssig innerfamiliale Interaktionsmuster als
    Kompensation
    erklären könnten.
  3. 3.
    [056:75] Schließlich zeigt sich in der gegenwärtigen Diskussion noch ein dritter heuristischer Zugang zur Lösung des Problems: die Suche nach Schemata interpersonalen Handelns, die so allgemein sind – wir könnten auch sagen: die derart fundamental die historische Form eines gesellschaftlichen Habitus definieren daß sie sich für alle relevanten Interaktionsfelder als dominante nachweisen lassen. Wiederum Ottomeyer hat ein solches Schema |B 38|herauszuarbeiten versucht, und zwar
    die Abstraktheit der interpersonellen Beziehungen
    bzw. den Verlust
    gemeinsamer Gegenständlichkeit
    der Interaktionspartner: in der Produktionssphäre zeige sich das an der Instrumentalisierung und der Konzentration des Interesses auf die quantitativen Aspekte des Arbeitsprozesses9
    |A 36||A 39| 9
    Ottomeyer (1974, S. 129, Anm. 7)
    zitiert Marx:
    Indem daher die entfremdete Arbeit dem Menschen den Gegenstand seiner Produktion entreißt, entreißt sie ihm sein Gattungsleben, seine wirkliche Gattungsgegenständlichkeit
    .
    , in der Familie am
    Überhandnehmen des Beziehungsaspektes von Kommunikation über den Inhaltsaspekt
    (Ottomeyer1974, S. 130)
    10
    |A 36||B 39| 10 zutreffend ist. Die offenbare Gleichsetzung von
    Entgegenständlichung
    und
    Überhandnehmen des Beziehungsaspektes
    ist historisch höchst ungenau, jedenfalls dann, wenn der Ausdruck
    Gegenständlichkeit
    sich ausschließlich auf die Auseinandersetzung mit der äußeren Natur bezieht; plausibel wenigstens erscheint mir die Hypothese, daß die Thematik interpersonaler Kommunikation (ihr Inhalt also) sich in dem Maße verändert, in dem sich die Modi der Auseinandersetzung mit äußerer Natur verändern. Das hat Elias (1939) schon zeigen können: Die Dringlichkeit der physischen |A 37|Überlebensprobleme und die Thematik (der Inhaltsaspekt) von Interaktionen kovariieren offenbar dergestalt, daß, je größer die Entlastung von Problemen der
    Gattungsgegenständlichkeit
    ist, um so relevanter der Affekthaushalt des Individuums als Interaktionsthematik wird.
    Affektmodellierung
    (Elias) wird dann zum Inhalt. Statt
    Verlust
    der Gattungsgegenständlichkeit könnte man auch sagen:
    Entlastung
    von der Gattungsgegenständlichkeit. Man ahnt, wieviele Probleme hier noch zu klären – will heißen: noch klar zur Sprache zu bringen sind, ehe man sich an ihre Lösung machen kann.
    . Das Forschungsprogramm für einen solchen Ansatz |a 55|bestünde also darin, Interaktionsdimensionen zu ermitteln, mit deren Hilfe Grundmuster der Interaktion und damit zugleich auch historisch fundamentale Bedeutungsschemata beschreibbar wären, und zwar sowohl auf der Ebene von Verkehrsformen wie auch auf der Ebene von Interaktion in pädagogischen Feldern11
    11In Mollenhauer/Brumlik/Wudtke (1975, S. 176ff.) haben wir dazu einen sehr vorläufigen Vorschlag gemacht in Form von Dimensionen der Beschreibung von Interaktionsschemata, die
    gesamtgesellschaftlich
    oder
    gesamtkulturell
    in Geltung sein könnten: personale versus funktionale Beziehungsdefinitionen, gleichberechtigte versus herrschaftsbestimmte Beziehung, inhaltlich bestimmte versus formal bestimmte Interaktion, subjektive versus mechanische Zeitschemata, problematisierende versus konventionalistische Interaktionsmuster. Das war ein erster Versuch, der gewiß revisionsbedürftig ist; mir erscheint er erfolgversprechend – wie die Idee einer strukturalistischen Pädagogik.
    .
[056:76] Mir scheint ein solcher Ansatz erfolgversprechend und interessant zu sein, würde er doch erlauben, die Grundregel zu formulieren, denen sowohl die besonderen Interaktionen wie auch die
auf Dauer gestellten
Instrumentierungen (in Form |A 35|von organisierten sozialen Gebilden) innerhalb einer bestimmten Gesellschaftsformation folgen. Den strukturalistischen Verfahren der Ethnologen ähnlich, könnte es auf diese Weise gelingen, die geheime
Syntax
unseres Erziehungssystems zu entschlüsseln (den Habitus nicht nur als kulturelle Formation zu begreifen) und theoretisch begründete Alternativen zu konstruieren, in denen Deutung und Handlung, Beziehung und Inhalt, Pädagogik und Ökonomie vermittelt sind. Eben diese Perspektive schien mir im eingangs zitierten Text von Thomas Bernhard ausgesprochen, wenngleich in einer symbolischen Verdichtung, die dem Wissenschaftler erst die Aufgabe vorgibt, nicht schon die Lösung.

Literatur

    [056:77] Bourdieu, P.: Zur Soziologie der symbolischen Formen. Frankfurt/M. 1970.
    [056:78] Bourdieu, P./Passeron, J.-C.: Grundlagen einer Theorie der symbolischen Gewalt. Frankfurt/M. 1973.
    [056:79] Cicourel, A. V.: Sprache in der sozialen Interaktion. München 1975.
    [056:80] Duhm, D.: Warenstruktur und zerstörte Zwischenmenschlichkeit. Köln 1975.
    [056:81] Elias, N.: Über den Prozeß der Zivilisation. Basel 1939, 2. Bd.
    [056:82] Elias, N.: Was ist Soziologie. München 1970.
    [056:83] Emmerich, W.: Proletarische Lebensläufe, Bd. 1. Reinbek 1974.
    [056:84] Hurrelmann, K.: Erziehungssystem und Gesellschaft. Reinbek 1975.
    [056:85] Kirchherr, A.: Pragmatische Verwahrlosungstheorien in der Sozialarbeit. Göttingen 1974, Ms.
    [056:86] Lindesmith, A. R./Strauss, A. L.: Symbolische Bedingungen der Sozialisation, Teil 1. Düsseldorf 1974.
    [056:87] Lorenzer, A.: Zur Begründung einer materialistischen Sozialisationstheorie. Frankfurt/M. 1972.
    [056:88] Marx, K./Engels, F.: Werke, Bd. 3. Berlin 1958.
    [056:89] Mayntz, R.: Soziologie der Organisation. Reinbek 1963.
    [056:90] Mollenhauer, K./Brumlik, M./Wudtke, H.: Die Familienerziehung. München 1975.
    [056:91] Negt, O./Kluge, A.: Öffentlichkeit und Erfahrung. Zur Organisationsanalyse von bürgerlicher und proletarischer Öffentlichkeit. Frankfurt/M. 1973².
    [056:92] Osterland, A.: Die Verwendung polit-ökonomischer Kategorien in Lorenzers Vermittlungsversuch von Psychoanalyse und Historischem Materialismus. In: Menne, K./Looser, M./Osterland, A./Brede, K./Moersch, E.: Sprache, Handlung und Unbewußtes. Kronberg 1976.
    [056:93] Ottomeyer, K.: Soziales Verhalten und Ökonomie im Kapitalismus. Gaiganz 1974.
    |a 56|
    [056:94] Sperber, D.: Über Symbolik. Frankfurt/M. 1975.
    [056:95] Strauss, A. L.: Spiegel und Masken. Die Suche nach Identität. Frankfurt/M. 1968.
    [056:96] Weingarten, E./Sack, F./Schenkein, J. (Hrsg.): Ethnomethodologie. Beiträge zu einer Soziologie des Alltagshandelns. Frankfurt/M. 1976.
AB
ø
B
,
B
Schauprozess
AB
verdüsternde
AB
verfinsternde
AB
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Frage
AB
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und
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AB
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dem
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AB
derer
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noch als Illustrationen
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B
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B
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komplexen
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berunruhigend
AB
1
AB
Besonderheiten
B
[056:30-31] Es ist offenbar sinnvoll, damit zu rechnen, daß interpersonale Situationen, in dem Maße, in dem ein
»working consensus«
hergestellt wird (der interaktionistische Ausdruck für die stattfindende interpersonale Prozedur), in einigen Dimensionen jene
»Gemeinschaft«
herstellen oder bestätigen, in anderen verleugnen oder die entsprechende Hypothese |a 44|falsifizieren. – Im idealisierten Normalfall von Alltagsinteraktionen ist dieser Sachverhalt berunruhigend: Man entdeckt Vieldeutigkeit von Zeichen, die für eindeutig gehalten wurden, neue Zeichen, die unbekannt waren, Nicht-Dekodierbarkeit von Zeichen durch den Interaktionspartner. Soziale Institutionen, insbesondere die Einrichtungen des Erziehungssystems, haben im (nicht idealisierten, sondern empirischen) Regelfall die Funktion, solche Beunruhigung zu liquidieren, Eindeutigkeit herzustellen,
»Gemeinschaft«
der Symbolwelten und damit der Lebenswelten durch Ausschließung des Abweichenden zu sichern
1Dies ist ein Hinweis darauf, daß
»labeling«
-Probleme prinzipiell keine Besonderheiten von durch Machtstrukturen verzerrten Interaktionen sind, sondern einen Grundsachverhalt von Weltdeutung darstellen. Eigenschaftszuschreibungen, wie sie der
»labeling-approach«
kritisch analysiert, sind demnach besondere historische Erscheinungen, deren Möglichkeitsbedingung in der
»Indexikalität«
jeder Interaktion zu suchen ist.
. Aber zurück zu dem, was als unerläßliches Fundament organisierter, d.h. geordneter, für die Interaktionspartner sinnvoller interpersonaler Situationen gelten kann. Cicourel hat versucht, dafür einen ersten Katalog aufzustellen, und zwar:
AB
Position
AB
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AB
hinzufügen
AB
Schreckensfestung“
B
überhaupt
AB
ø
AB
mir
B
[056:38-41]
»Ich befinde mich bei den Dorzé aus dem südlichen Äthiopien und untersuche ihre Symbolik. Man erklärt mir, wie die Felder bestellt werden. Ich höre zerstreut zu. Man sagt mir, wenn das Familienoberhaupt die erste Saat nicht auswirft, die Ernte schlecht wird. Das notiere ich sofort. Ich beobachte das Kommen und Gehen auf dem Marktplatz; ein angenehmes Schauspiel, ich erinnere mich an den Markt in der Rue Moffetard. Es taucht eine Gruppe von Würdenträgern auf, die sich nicht um die Händler schert, und geht in umge|A 21|kehrtem Uhrzeigersinn um den Platz herum. Ich frage: darf man nur in dieser Richtung die Runde machen? Warum? Es ist Tradition. Und weiter? Man kreist in Richtung der Sonne. Wie das? Nun ja, von rechts nach links. Ich belästige meine Informanten mit Fragen. Mein Assistent behauptet mitten am Nachmittag, er sei müde, und legt sich schlafen. Verlorene Zeit! Er erwacht, fühlt sich unwohl und verdächtigt den bösen Blick. Also doch nicht ganz verloren... Oder um ein anderes Beispiel zu nehmen: wenn ein Dorzé-Freund mir sagt, daß die Schwangerschaft der Frauen neun Monate währt, dann denke ich:
gut, das wissen sie also
. Und wenn er hinzufügt:
»aber im Clan X dauert sie acht oder zehn Monate«
, dann denke ich:
das ist symbolisch
. Warum?
Weil es falsch ist.
«
(D. Sperber 1975, S. 14f.)
.
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Verschiedenen
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1975
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Neuinstrumentierung
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Zirkulation Produktion Konsumtion
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