
Vorwort
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–[091:17] Es scheint mir gegenwärtig nützlich, das Nachdenken über Pädagogik stärker auf das zu lenken, was wir„Bildung“nennen, als auf die planvoll absichtlichen Einwirkungen auf Kinder, die wir„Erziehung“nennen. Ob diese Einwirkungen ihr Ziel, die beabsichtigten Effekte, wirklich erreichen, ist höchst zweifelhaft. Ein Zweck-Mittel-orientiertes, pädagogisch planvolles Handeln, das wegen dieser Orientierung erfolgreich ist, gibt es nicht. Wenn dieses Handeln erfolgreich ist, dann deshalb, weil die Kinder in einem verträglichen Milieu, in einer„gebildeten“Lebensform aufwuchsen. Das bedeutet nicht, daß die Kenntnis empirischer Details aus der Sozialisationsforschung nicht hilfreich sei. Wir wissen heute relativ zuverlässig – um zynisch zu sprechen –, was man tun müßte, um Kinder neurotisch zu machen; wir wissen aber nicht annähernd mit gleicher Zuverlässigkeit, was getan werden muß, damit sie es nicht werden. Da liegt die Vermutung nahe, daß es unsere Lebensformen im ganzen sind, die darüber entscheiden.
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–[091:18] Das zweite Motiv für die hier vorgelegten Arbeiten hat es deshalb mit dem Verhältnis des Erwachsenen zu seiner Lebensform zu tun. Ich riskiere eine kühne empirische Hypothese: Nur wo dieses Verhältnis„in Ordnung“ist, gelingt auch der Bildungsprozeß des Kindes. (Das muß man erläutern, hier lauern mannigfache Mißverständnisse.) Dieses„in Ordnung sein“kann heute keine Familie, keine Schule, kein Heim, keine Beratungsstelle allein garantieren. Sie können nicht„in Ordnung bringen“, was im gesellschaftlich-kulturellen Leben zerrüttet ist. Die regionalen und sozio-ökonomischen Verteilungen von Jugendkrimi|A 10|nalitäts-Ziffern, Arbeitslosenraten, Verhaltensstörungen, Kindesmißhandlungen, leidvollen Schulkarrieren, Unfalltoten, Ausländerdiskriminierungen belehren uns über die Objektivität dieses Sachverhaltes. Keine einzelne Familie, keine Schule kann das in Ordnung bringen. Neokonservative Wertappelle sind in dieser Frage eher kontraproduktiv. Aber wir können uns als Erwachsene fragen, wie es uns gelingen mag, in den Zonen zwischen objektiver Bedrohung und privatem Eigenraum, zielgerichteter Einwirkung auf das Kind und zwangloser Präsentation des eigenen Lebens, gesellschaftlicher Anpassung an die herrschenden Überlebensstrategien und verantwortbaren Sinnentwürfen, einen guten Weg zu finden.„Über Kindheit läßt sich nur reden, wenn man über Erwachsene spricht“„Bildung“wichtiger als„Erziehung“, eine„gebildete Lebensform“pädagogisch prognosefähiger als rational kalkulierte Zweck-Mittel-Handlungen sei, dann meine ich nicht die von gleichsam endgültig kritisierte Attitüde des„Bildungsbürgers“, sondern dies: ein Leben zu führen, das – im Kontakt und in Auseinandersetzung mit dem, was die Thematik meiner Kultur ist – von mir |B 18|vor der Zukunft meiner Kinder, sofern ich welche habe oder sie mir anvertraut sind, verantwortet werden kann.
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–[091:19] Um sich mit diesem Problem zu konfrontieren, muß man freilich nicht die Environments von , die Bilder , oder gesehen, die Sprachkunstwerke oder , die Athenäumsfragmente oder die Autobiographie gelesen haben. Dennoch hängt, drittens, mein Interesse an„Umwegen“mit derartigen Produkten zusammen. Ästhetische Produkte sind, wenn sie gut sind, durch zweierlei ausgezeichnet: sie provozieren nicht nur die Vernunfttätigkeit des Betrachters/Lesers/Hörers, sondern zugleich auch dessen Sinnestätigkeit, und sie sind gleichsam Seismographen für den Zustand der Kultur. Das ist freilich eine triviale Feststellung: sie könnte aber folgenreich sein, wenn man für die erziehungswissenschaftliche Tätigkeit daraus die Konsequenz zöge, kulturtheoretische Analysen in den Kanon pädagogischer Forschung aufzunehmen. Die Auseinandersetzung mit Objekten der Kunst-Produktion ist in diesem Zusammenhang besonders ausgezeichnet, da derar|A 11|tige Produkte Symptom und Kritik zugleich sind, und zwar in einem nicht-theoretischen Diskurs. Ihre Analyse, so vermute ich, belebt unsere hermeneutischen Fähigkeiten und damit eine kritische Sicht dessen, was das„Bildende“an unseren Lebensformen ist oder sein könnte.
Interaktion und Organisation in pädagogischen Feldern
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1.[056:3] Es handelt sich um einen autobiographischen Text, also um die Darstellung einer subjektiven Erfahrung. Ein Mensch teilt mit, was ihm unter dem Namen„Erziehung“angetan wurde, und wir erfahren, in welchen sprachlichen (kognitiven) Mustern er diese Erfahrung darstellt; genauer sollten wir vielleicht sagen: wir beobachten die Erfahrung , die für uns hier nichts anderes ist als die Darstellung in seinen sprachlichen Mustern.
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2.[056:4] Das Ensemble von Interaktionen, das auch für„Erziehung“heißt, wird als nach institutionellen Regeln ver|A 13|laufend dargestellt: Es ist nicht von den konkreten Individuen die Rede, die seine Eltern waren, sondern von seinen„Erziehungsberechtigten“, von der Rechtsförmigkeit jener Interaktionen also, die sich zwischen Eltern und Kindern abspielen; nicht von seiner Erziehung allein, die sich von der anderer unterscheidet, sondern auch, was Kindern allgemein widerfährt.
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3.[056:5] Diese institutionalisierte Interaktion wird in einer Herrschaftsdimension beschrieben, in der die Beteiligten sich nach Gründen ihres Handelns unterscheiden: wächst zwar„nach dem Wunsche seiner Erziehungsberechtigten“, aber„gegen seinen Willen“in jener Stadt auf. Die„Gefühls- und Verstandesbereitschaft“bleibt eingekerkert in die„Hilflosigkeit seiner von allen Seiten ungeschützten Kindheit und Jugend“,„wie in eine Schreckensfestung“.
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4.[056:6] Das ganze Geschehen ist in eine weitere gesellschaftliche Situation eingefügt, deren Symbol hier die Stadt Salzburg ist, in – wie sagt –„Existenzumstände in dieser Stadt“, die in einer Art verzweifelter Kontraktion auf einen Begriff gebracht, deren erfahrene Realität – und das ist offenbar eine Erfahrung von„Gesellschaft“– sinnlich nachvollziehbar gemacht wird, sofern Symbole überhaupt so etwas vermögen: Das Kind wurde„in den Schauprozeß ihrer Weltberühmtheit wie in eine perverse Geld- und Widergeld produzierende Schönheits- als Verlogenheitsmaschine“hineingezogen.
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5.[056:7] Und dies alles wird in einem einzigen Satz dargestellt, freilich in einem komplizierten hypotaktischen Gefüge. Und dies mit gutem Grund: bei der Sache, von der die Rede ist, handelt es sich offenbar um einen Komplex von Ereignissen, die – wollte man sie gesondert darstellen – ihre eigentümliche Bedeutung verlieren würden; eine Bedeutung, die nur in der gleichzeitigen Präsenz aller Komponenten die gleiche bleibt. Die konkrete Erfahrung kann für offenbar nur durch solche Gleichzeitigkeit – wenigstens die eines Satzes – dargestellt werden. Die analytische Auflösung in ihre einzelnen Momente müßte – so möchte ich interpretieren – den Sinn verfälschen, den die Darstellung jener Bedeutung hat.
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–[056:9] Kategorien zur Beschreibung des Subjektes:„Wunsch“und„Wille“,„Gefühls-“und„Verstandesbereitschaft“,„Mittel-“und„Hilflosigkeit“,„Charakter-“und„Geistesentwicklung“,„Erinnerung“.
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–[056:10] Kategorien zur Beschreibung der„Existenzumstände“:„Geld“und„Widergeld“,„Schönheits- als Verlogenheitsmaschine“, die„Stadt“.
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–[056:11] Kategorien zur Beschreibung der Mittelglieder zwischen dem Subjekt und seinen Umständen:„Erziehungsberechtigte“,„Schreckensfestung“,„Eingeschlossene“,„Verurteilte“.
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–[056:13] pädagogische und – offenbar doch – nicht-pädagogische Felder.„Existenzumstände“, der Geldverkehr, die„Verlogenheitsmaschine“der bürgerlich-salzburgischen Kultur: gehören sie dazu?
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–[056:14] Organisationen: Sind das auch die„Erziehungsberechtigten“in ihrer Rolle oder hat man dabei eher an gedacht, an Verwaltung, Hierarchie, Professionalisierung, Entscheidungskompetenz, Qualifikation?
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–[056:15] Interaktionen: Das ist keine Kategorie zur Beschreibung von Subjekten, so wie es offenbar im Auge hat; mit ihr sollen Handlungen beschrieben werden, Mitteilungsmodi, Verständigungen, Deutungen, Schemata.
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–[056:19] Man kann tatsächlich mit Erfolg Gesellschaften in Teilsysteme klassifizieren, von denen das Erziehungssystem eines ist, innerhalb solcher Teilsys|B 22|teme„Organisationseinheiten“ausmachen, die definierte Ziele verfolgen und„mit deren Hilfe die Interaktionsprozesse grundlegend aufgebaut und Interaktions- und Handlungszusammenhänge strukturiert“(Hurrelmann 1975, S. 31).
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–[056:20] Andererseits scheint plausibel, daß diejenigen sozialen Gebilde, die in der Sozialwissenschaft als„Organisationen“klassifiziert werden, ein Spezifikum moderner Gesellschaften sind, wenn„modern“heißen soll: Gesellschaften, die ihre Reproduktionsprobleme nicht auf der Basis von face-to-face-Beziehungen lösen können, sondern dazu abstrakter Steuerungsinstrumente bedürfen. In diesem Sinne hat beispielsweise das gegenwärtige System sozialer Hilfen beschrieben im Vergleich zu den Hilfe-Systemen archaischer Kulturen (Luhmann 1973).
1. Organisierte Interaktion in ihrer fundamentalen Gestalt
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1.[056:27] Interpersonales Handeln kommt nur zustande, sofern es für die Partner der Interaktion geteilte Bedeutungen gibt, d.h. Symbole, die sich für alle Beteiligten mit der Vorstellung gleicher Operationen verbinden. Man kann diesen Satz auch als den Bestandteil einer Definition verstehen und so formulieren:„Interpersonale Handlung“sollen nur solche Situationen heißen, in denen ... usw.
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2.[056:28] Das Verhalten der Partner zueinander ist organisiert, geordnet, und zwar dadurch, daß beide durch eine kognitive Struktur verbunden sind: Sie operieren mit Hypothesen über ihr wechselseitiges Verhalten, die sich auf die Bedeutung gründen, die die verwendeten Symbole haben (dies ist übrigens ein Hinweis darauf, daß wissenschaftliche Methode nichts ist als eine Art Perfektionierung dessen, was auch die Grundlage des Alltagshandelns darstellt). Daß das Verhalten der Partner zueinander„organisiert“ist, heißt also hier nichts anderes, als daß sie beide Regeln folgen, die das Kodieren von Gemeintem betreffen und die Zuordnung eines solchen Kodes (solcher Symbole) zu entsprechenden Operationen des interpersonalen Verkehrs.
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3.[056:29] Die Verwendung des Ausdrucks„Gemeinschaft“in dem zitierten Text („In dem Maße, in dem du der gleichen Gemeinschaft angehörst wie ich“) sollte nicht irreführen. Zwar enthält der Ausdruck eine historische Einschränkung. Diese Einschränkung aber ist nicht identisch mit den Bezugssystemen, die innerhalb einer Gesellschaft oder Kultur in der Form von Klassen oder Schichten bestehen. Diese„Gemeinschaft“ist überall dort gegeben, wo überhaupt noch sinnvolle Interaktion möglich ist – und das ist selbst in der Be|B 25|ziehung zu Schi|A 19|zophrenen der Fall. Aber auch diese Erläuterung bleibt noch mißverständlich, und zwar nach der anderen Seite hin: In interpersonalen Situationen wird nicht nur je ein Ausschnitt aus dem komplexen sozialen Zusammenhang präsentiert, dem die beteiligten Partner zugehören; diese Situationen selbst müssen so gedacht werden, daß die immer noch relative Vielfalt der Situationsthematik nur eingeschränkt aktualisiert wird, und zwar nach Maßgabe der Wahrscheinlichkeit, mit der jene Hypothese – die„Annahme, daß deine Aussagen für uns beide eine ähnliche Bedeutung haben“– bestätigt werden kann.
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1.[056:32] Die Reziprozität der Perspektiven, d.h. die wechselseitige Voraussetzung, daß bei Vertauschung der Position die Erfahrungen dieselben sein würden.
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2.[056:33] Die Verwendung von Normalformen, d.h. das Interagieren mit der Annahme,„daß jede Kommunikation in einen Korpus gemeinsamer Kenntnisse oder dessen,(S. 34)‚was jedermann kennt‘, eingebettet ist“
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3.[056:34] Die et-cetera-Annahme. In jeder Kommunikation treten – im Regelfall – Unstimmigkeiten auf; sprachliche oder nichtsprachliche Ausdrücke können zu vage, mehrdeutig oder verstümmelt sein; die Interaktionspartner müssen infolgedessen Bedeutungen„auffüllen“, sofern sie nicht auf Verständigung verzichten wollen; das aber kann nur nach Regeln geschehen, die sich in ihrer Anwendung bei zurückliegenden Situationen bereits bewährt haben.
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4.[056:35] Indexikalische Ausdrücke. Reziprozitätshypothese, Verwendung von Normalformen und et-cetera-Annahmen sind in entwickelter Form nur möglich, wenn es für die Interaktionspartner einen Mindestbestand gemein|B 26|samer Erfahrung gibt, der dadurch, daß er in Symbolen verschlüsselt ist, auch kommunizierbar wird. Solche Symbole oder auch„Vokabularien“sind also Indizes der Erfahrungen, sind Klassifikationen der erfahrenen Welt. In ihnen drücken sich die Inhalte einer individuellen oder kollektiven Lebenswelt ebenso aus wie ihre formalen Bestimmungen, Abstraktionsprinzipien, Relevanzkriterien.
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5.[056:36] Diesen vier Interpretationsdimensionen möchte ich – noch auf der gleichen Ebene von Abstraktion vom historisch Besonderen angesiedelt – eine weitere hinzufügen. Indexikalische Ausdrücke – z.B. im Text„Erziehungsberechtigte“,„Geld“,„Hilflosigkeit“, Schreckensfestung“ usw. – treten nicht als vereinzelte auf, sondern in kognitiven Kontexten, in denen Pragmatisches ausgedrückt wird. Perspektiven sind nicht nur überhaupt reziprok, sondern sie sind es mit Bezug auf besondere inhaltlich bestimmte soziale Erfahrungen. Auch der„Korpus gemeinsamer Kenntnisse“ist geordnet, nach Mustern der Verknüpfung seiner Elemente in einen syntaktisch-logischen Zusammenhang gebracht. Der„Text“jeder Interaktion (die sprachliche und nicht-sprachliche Symbolik) ist also notwendig auch strukturiert durch Deutungsmuster die den Handlungsschritten ihre besondere kognitive Struktur geben.
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–[056:51] die These, daß Deutungsmuster – wie indexikalische Ausdrücke, Reziprozität der Perspektiven usw. – zu den fundamentalen Dimensionen sinnvollen Handelns gehören;
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–[056:52] daß Indizes, aber mehr noch die Reziprozität der Perspektiven, Normalformen und et-cetera-Annahmen in ihrer je besonderen Bestimmtheit erst beschreibbar werden, wenn ich auch die Deutungsmuster beschreibe, in denen sie sich artikulieren;
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–[056:53] die These, daß dasjenige, was wir„wissenschaftliche“Definition eines Problems nennen, solche Deutungsmuster enthält oder realisiert.
2. Organisierte Interaktion auf der Stufe von Institutionen
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1.[056:56] Die Bezeichnung„unhistorisch“, auf Begriffe und Theorien angewandt, kann heißen, daß der Verwender solcher Theorien und Begriffe sich über deren Genese keine Rechenschaft gegeben hat, so daß er mindestens den Anschein erweckt, als kenne er den historischen Ort seines Denkens nicht. Nimmt man diesen Einwand ernst, hat es wenig Sinn, Beteuerungen darüber abzugeben, daß man über solche Zusammenhänge sehr wohl nachgedacht habe; ebenso nutzlos wäre es, wollte man in allgemeinen Formulierungen auf die historische Bestimmtheit der eigenen Begriffe hinweisen, so z.B. angesichts der zentralen Stellung, die der Ausdruck„Kosten-Nutzen“in manchen |A 25|sozialpsychologischen Interaktionstheorien,„symbolischer Austausch“oder„Identitätsbalance“in anderen hat. Eine Erörterung dieses Problems müßte sich vermutlich der Frage zuwenden, in welchem Verhältnis indexikalische Ausdrücke einer gesellschaftlichen Alltagspraxis zu den Termen einer Theorie stehen. Damit aber hängt die andere Frage zusammen, ob nämlich die in den Begriffen der Theoreme zur Sprache gebrachen Sachverhalte nur in demjeni|B 30|gen historischen Rahmen existieren, für den sie als indexikalische Ausdrücke interpretiert werden können. Kurz: Wer sich dieser Aufgabe zuwenden wollte, müßte sich zu einer sowohl erkenntniskritischen wie historischen Argumentation entschließen. Das aber geht über den Rahmen meiner Möglichkeiten hier und jetzt hinaus.
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2.[056:57] Die Anwendung des Ausdrucks„unhistorisch“auf Theorien und Begriffe kann aber außerdem auch heißen, daß in ihnen der Gegenstand der Erkenntnis so konstruiert wird, daß das historische Gewordensein nicht mehr beschreibbar ist. Nun ist das nicht notwendigerweise ein Einwand, sondern zunächst der Ausdruck dafür, daß der Kritiker sich offenbar für einen anderen Gegenstand der Erkenntnis interessiert. Für die Erziehungswissenschaft jedoch erscheint mir plausibel, wenngleich nicht zwingend, ihre Gegenstände so zu konstruieren, daß deren Änderung in der Form begrifflich-konstitutiver Merkmale in die Konstrukte aufgenommen wird. Das Thema„Interaktion und Organisation“scheint mir eben dieses Interesse auszudrücken;„Organisation“nämlich ist in der gegenwärtigen Sozialwissenschaft wie auch im Alltagshandeln ein indexikalischer Ausdruck für eine bestimmte Klasse von Variablen, die sich auf die historisch besonderen Bedingungen von Interaktionen beziehen. Ich will versuchen, im Anschluß an den ersten Schritt meiner Überlegungen, einige Fragen aufzuwerfen.
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–[056:59] Die Handlungsspielräume von Sozialarbeitern, ihre Beziehungen zu den Klienten, ihre Fähigkeit, die Reziprozitäts-Hypothese nicht nur virtuell zu unterstellen, sondern konkret darzustellen, variieren vermutlich mit |B 31|den Kompetenzverteilungen im Jugenamt, mit der Art der praktizierten Arbeitsteilung, mit der Rechtsförmigkeit der definierten Fälle usw.
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–[056:60] Die Gruppenbeziehungen von Kindern und Jugendlichen in Heimen hängen ab von organisatorischen Merkmalen wie Gruppengröße, Rollendefinition der Mitarbeiter, Heimgröße, der geplanten oder nicht geplanten Ökologie usw.
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–[056:61] Eine therapeutische Beratung wird vermutlich variieren, je nachdem, welchen Professionalisierungsgrad der Berater hat, in welcher ökonomischen Form die Beratung geschieht, ob es sich um ambulante oder stationäre Beratung handelt, ob es institutionelle Regeln der Selektion von Klienten gibt und welche usw.
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–[056:62] Entsprechende Behauptungen für die Familie liegen auf der Hand: Die Entstehung der Organisation der bürgerlichen Kleinfamilie hat für ihren Interaktionszusammenhang weitreichende Folgen gehabt, unter Umständen sogar spezifische Pathologien erzeugt usw.
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1.[056:67] Wir machten uns auf regelmäßigen Mitarbeiterversammlungen ein Bild von der Beurteilung der Situation durch die Mitarbeiter des Heims, von den Informations- und Entscheidungsregeln, von den expliziten Konflikten und beteiligten uns an der Diskussion von Vorschlägen der Mitarbeiter zu einer neuen Konzeption.
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2.[056:68] Wir führten nicht-standardisierte Interviews mit den Mitarbeitern durch, und zwar nach den Regeln der nicht-direktiven Gesprächstherapie. Die Auswertung ergab ein höchst konflikthaftes Bild der Deutung der Heimsituation durch die Mitarbeiter. Gemeinsam war allen Deutungen die Kritik daran, daß die Kinder und Jugendlichen in einem Gefühl totaler Versorgung lebten; die Kritik an der Spezialisierung von Rollen; die stark erlebte Diskrepanz von Wollen und Können; die häufig eher subjektivistische Definition von Problemen; die Schuldgefühle angesichts der Tatsache, daß subjektivistische Deutungen nicht zum erwünschten Handlungsziel führen.
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3.[056:69]Auf der Basis dieser mit dem Personal des Heims diskutierten Auswertung der Interviews machten wir einen Vorschlag zur Umorganisation des Heims, der sich an allen von den Mitarbeitern selbst formulierten Handlungszielen orientierte. Unter der Bedingung des durch die Pflegesätze gegebenen Finanzierungsrahmens machten wir (hier abgekürzt) folgende Vorschläge:
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–Verringerung der Kinder und Jugendlichen von 38 auf 21.
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–Verringerung der Gruppengröße auf 5.
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–Die Gruppen sind Haushaltseinheiten in dem Sinne, daß sie die volle Verfügung über die Pflegesätze haben und in allen Reproduktionsfunktionen souverän sind.
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–Das Verwaltungs- und spezialisierte Therapiepersonal ist den Gruppen untergeordnet, erbringt für diese Dienstleistungen.
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–Die Spezialisierung in einzelne Versorgungsrollen (Küchenpersonal, Reinigungspersonal, Erziehungspersonal, Therapiepersonal usw.) wird so weit wie irgend möglich aufgehoben. Die Erzieherrolle wird als integrierte Rolle konzipiert.
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–Die Gesamtarbeitszeit der Erzieher (einschließlich Kochen etc.) bleibt gleich.
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4.[056:70] Die Verwirklichung dieser„organisatorischen Zwischenziele“– sie sollten ja nur einige Voraussetzungen für eine befriedigendere Interaktion mit den Kindern und Jugendlichen sein – stieß nun auf große Schwierigkeiten, trotz des Zielkonsens, der unter den Mitarbeitern herrschte. Die entscheidende Barriere dabei war – wenn ich recht sehe – die Neu-Definiton des beruflichen Handelns der Erzieher. Unser Plan machte offenbar – so trivial er auch ist – explizit, daß„Verwirklichung einer pädagogischen Konzeption“nicht nur eine Neu-Instrumentierung personunabhängiger formaler Voraussetzungen bedeutet, sondern daß es sich zugleich um eine Neu-Instrumentierung des Handlungs- und Interpretationsrepertoires der Heim-Mitarbeiter handelt.
3. Organisierte Interaktion auf der Stufe von
„Verkehrsformen“
Zirkulation | Produktion | Konsumtion | |
Verhältnisse | |||
auf Dauer gestellte Form (Regel) der Interaktion | |||
Problematik der individuellen Interaktion |
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1.[056:76] Die in den Sphären von Produktion und Zirkulation herrschenden Verkehrsformen„prägen“auf irgendeine Weise die Interaktionsgewohnheit der Individuen derart, daß sie auch in der Konsumptionssphäre und den offenbar schwer zuzuordnenden Bereichen verschiedener Erziehungsfelder sich Geltung verschaffen. scheint dieser Meinung zu sein und auch , wenn sie schreibt:„Es ist festzustellen, daß im besonderen Produktionsbereich Sozialisation die Mutter exakt das Gefüge von Interaktionsformen reproduziert, das – im perspektiven Wechsel – als(Osterland 1976, S. 121). Dafür wäre allerdings erforderlich, eine psychologische Transfer-Theorie zu explizieren, die erklärbar macht, warum Interaktionsmuster, die in der einen Sphäre in Geltung |A 34|sind, von den Individuen auch in der anderen praktiziert werden.‚Verkehrsformen‘der kapitalistischen Güterproduktion zugeordnet war“
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2.[056:77] Kann man sich nicht entschließen, einer solchen vielleicht relativ naiven„Abbild“-Annahme zu folgen, dann liegt die Antwort nahe, in der der Zusammenhang zwischen Verkehrsformen und Interaktionsformen sphären-spezifisch bestimmt wird. Das bedeutet für gegenwärtige – und wie mir scheint, eben nicht nur kapitalistische – Bedingungen, daß das soziale Verhalten der Individuen teils unter die geltenden ökonomischen Regeln gezwungen wird (entgegenständlichte Arbeit, Warentausch, Quantifizierung von Leistung und ihren Äquivalenten usw.), teils gegenüber den Belastungen durch die ökonomischen Sphären kompensatorisch ist7. Um diese Hypothese plausibel zu machen, wäre die Explikation einer Theorie erforderlich, in der z.B. die Feststellung von Versagungen am Arbeitsplatz schlüssig innerfamiliale Interaktionsmuster als„Kompensation“erklären könnte.
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3.[056:78] Schließlich zeigt sich in der gegenwärtigen Diskussion noch ein dritter heuristischer Zugang zur Lösung des Problems: die Suche nach Schemata interpersonalen Handelns, die so allgemein sind – wir könnten auch sagen: die derart fundamental die historische Form eines gesellschaftlichen Habitus definieren –, daß sie sich für alle relevanten Interaktionsfelder als dominante nachweisen lassen. Wiederum hat ein solches Schema |B 38|herauszuarbeiten versucht, und zwar„die Abstraktheit der interpersonellen Beziehungen“bzw. den Verlust„gemeinsamer Gegenständlichkeit“der Interaktionspartner: in der Produktionssphäre zeige sich das an der Instrumentalisierung und der Konzentration des Interesses auf die quantitativen Aspekte des Arbeitsprozesses8, in der Familie am„Überhandnehmen des Beziehungsaspektes von Kommunikation über den Inhaltsaspekt“(Ottomeyer1974, S. 130)
Streifzug durch fremdes Terrain: Interpretation eines Bildes aus dem Quattrocento in bildungstheoretischer Absicht
Vorbemerkung
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1.[080:5] Oberflächlicher Hinweis auf den Gegenstand der Interpretation,
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2.[080:6] Beschreibung und Deutung einiger formaler Charakteristika,
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3.[080:7] Ikonographie der Bildelemente,
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4.[080:8] Versuch einer Bestimmung der grundlegenden Sinnstruktur des Bildes.
1. Hinweis auf den Gegenstand
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–[080:14] Wer sind die drei so verschiedenartigen Männer auf der vorderen Bildebene?
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–[080:15] Haben sie im Hinblick auf die Geißelungsszene irgendeine bestimmbare Bedeutung?
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–[080:16] Wer ist der Mann im Turban, der uns den Rücken zukehrt?
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–[080:17] Was für eine merkwürdige Kopfbedeckung hat ?
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–[080:18] Ist die Wahl der Architektur zeitgenössische oder kunsthistorische Konvention oder Träger von besonderer Bedeutung?
2. Beschreibung und Deutung einiger formaler Charakteristika
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–[080:29] die Irritation zwischen Fluchtpunkt und Bildmitte und damit eine Bewegung des Auges des Betrachters,
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–[080:30] die Konfrontation von Perspektive und Planimetrie und damit die Konstruktion von zwei Realitätsebenen,
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–[080:31] die perspektivische Trennung und planimetrische Verbindung der beiden Szenen und damit die Verknüpfung der zunächst getrennten Realitätsebenen.
3. Zur Ikonographie
4. Sinnstruktur und Habitus
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–[080:65] Nicht nur in den Briefen, auch in den in Dialogform abgefaßten theoretischen Schriften der Humanistenwaren die Dialogpartner bekannte und lebende Personen; die theoretischen Topoi konnten sich deshalb, sollte nicht Lächerlichkeit riskiert werden, nur in Grenzen von den tatsächlichen Beziehungen entfernen.
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–[080:66] Stilisiertes und Triviales standen sich nicht wie zwei„Welten“gegenüber, sondern waren aufeinander bezogen: Die Stilisierung war eine allseits akzeptierte Deutung alltäglicher Beziehungen, die als Teil des Alltags fungierte.
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–[080:67] Die Wertungskategorien, nach denen eine gewisse Schlichtheit, persönliche Bestimmtheit, Individuelles, emotionale Tönung usw. notwendig den menschlichen Beziehungen zugehört, entstammen der Gegenwart und waren Zeitgenossen jedenfalls nicht in gleichem Maße selbstverständlich; das legt die Vermutung nahe, daß für diese Zeitgenossen„Intimes und Abstraktes in ihrem Bewußtsein nicht getrennt wurde“(Batkin 1979, S. 201)„die Stilisierung des Lebens stimmte mit dem Leben überein“(a.a.O., S. 204)„Der berüchtigte Individualismus der Renaissance, der sich in der Tat mit großem Pathos manifestierte, war mit einem Individuum verbunden, das noch recht weit von der atomaren, sich selbst genügenden, eifersüchtig über die Unantastbarkeit des Privatlebens wachenden Persönlichkeit späterer Zeiten entfernt war“(ebd.)
Gianazzo: Oh, ein höchst wertvolles Ding! Diese meine Hände und Augen sind nicht so sehr mein Eigen...
Lionardo: Wunderbar! Was mag das sein?
Gianazzo: Man kann es keinem hinterlassen, nicht verringern, in keiner Weise kann dies Ding dir nicht gehören, sofern du nur willst, daß es dein ist.
Lionardo: Und wenn es mir beliebt, wird es einem anderen gehören?
Gianazzo: Wenn du willst, wird es nicht dein Eigen sein: die Zeit, mein lieber Lionardo, die Zeit, liebe Kinder!“
Nachbemerkung
Zur Entstehung des modernen Konzepts von Bildungszeit
Schulordnungen
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–[091:78] Trägerschaft und allgemeine Begründung für die Einrichtung von Schulen;
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–[091:79] Einteilung der Kinder in Klassen („Haufen“);
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–[091:80] Festlegung der Unterrichtszeiten;
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–[091:81] Verteilung der Unterrichtstätigkeiten über den Tag;
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–[091:82] Festlegung von Wochenplänen;
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–[091:83] Besoldung der Lehrer;
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–[091:84] Betragens-Regeln für Schüler und Lehrer.
Armenordnungen
Der Körper im Augenschein – Rembrandts Anatomie-Bilder und einige Folgeprobleme
1. Die Ausgangslage
2. Zwei Bilder
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–[091:131] Nicht nur Dr. ist bekannt, sondern auch alle seine beteiligten Kollegen; dies u. a. deshalb, weil nachträglich das Blatt, das der hinterste der Teilnehmer in der Hand hält und das ursprünglich eine anatomische Zeichnung trug, mit den Namen der Beteiligten übermalt wurde. Auch der Kollege am äußersten linken Rand wurde später hinzugemalt. Ob van Loenen, die am höchsten plazierte Figur, ursprünglich einen Hut trug oder nicht, darüber gibt es Streit in der Fachwelt. Auch der Name des Leichnams ist bekannt. Es handelt sich also um ein Gruppenporträt, eine bezahlte Auftragsarbeit, ein„Trionfo“18 des Dr. inmitten seiner Mitarbeiter, so wie der zuvor erwähnte Holzschnitt ein„Trionfo“des war.
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–[091:132] Das Buch vorne links ist offensichtlich ein anatomisches Lehrbuch. Man weiß nicht, ob es eine Schrift des , des oder eines anderen ist. Als ziemlich sicher kann gelten, daß es sich um„De homini corporis fabrica“des Vesalius handelt19. Ikonographisch wichtig ist dieses Bildelement, weil es eine historische Brücke baut: Überlieferte Meinung, in Büchern bewahrt, wird an der augenscheinlichen Erfahrung überprüft.
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–[091:133] Dr. hat offensichtlich seine Sektion mit dem Aufschneiden der Hand begonnen. Das nun war gegen alle Regel, denn man begann mit der Bauchdecke. Entweder ist das widersinnig, falsch oder – es ist symbolisch! Da man von dem präzisen Beobachter das erste nicht annehmen kann, muß das zweite wahr sein. Dies zu akzeptieren fällt uns leicht, da von dem symbolischen Topos von Unterarm und Hand schon die Rede war: Dr. also führt uns diesen Topos vor, der besagt, daß in der Bauform der menschlichen Hand die Weise des menschlichen Daseins, im Unterschied zum tierischen, ausgezeichnet sei.
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–[091:134] Etwas schwieriger schon ist die Identifikation der Gebärde van Loenens. Er soll ursprünglich, wie Dr. selbst, einen |A 106|Hut getragen haben20. Das würde passen, wenn man akzeptieren könnte, daß Dr. und van Loenen die beiden nicht nur porträthaft, sondern auch emblematisch herausgehobenen Figuren sind. Nicht nur van Loenens Position im Bild, sondern auch die Geste seiner rechten Hand spricht dafür! Diese Hand ist in der Kollegen-Gruppe ein ikonisches Zentrum; es ist der ausgestreckte Zeigefinger des aus der überlieferten Ikonographie, wenngleich bürgerlich-profan zurückgenommen, gleichsam unaufdringlich dem Betrachter zu denken gebend: Siehe da! Und van Loenen ist auch die einzige Figur, die zweifelsfrei dem Betrachter des Bildes in die Augen sieht.
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–[091:135] Ikonographisch können wir also sagen: Bild-Diskurs führt uns eine Argumentationskette vor, die, grob und knapp gesprochen, so verläuft: Der berühmte Anatom Dr. seziert eine Leiche, kontrolliert dabei seine Operation an der Überlieferung (das Buch rechts im Bild), stellt dies in der Community of Scientists vor den kritischen Kollegenblicken auf die Probe21, demonstriert zudem – eine emblematische Opposition zum naiven Realismus – die anthropologische Würde seines Gegenstands (dadurch, daß er mit der Sektion der Hand beginnt); van Loenen, jedenfalls schlägt uns dies vor, bekräftigt diesen Willkürakt durch den Hinweis: Dieser Leib ist nicht nur dieser Leib!
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–[091:140] Die Ähnlichkeit mit einem (Abb. 8, siehe S. 102) wurde in der Fachliteratur schon diskutiert24. Diese Lesart verweist auf Vergangenheit, auf Traditionen des ästhetischen Diskurses. Seit der Kunsttheorie der italienischen Renaissance25 signifizieren die„scorci“, die perspektivischen Verkürzungen, besonders des menschlichen Körpers, große Meisterschaft. Also ein -Imitat? In der Konkursmasse , die 1656 versteigert wurde, befand sich ein Foliant mit Bildern (vermutlich Kopien)26.
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–[091:141] Die zweite Lesart führt mich in gleichsam entgegengesetzte Richtung. In den 50er Jahren dieses Jahrhunderts empfahl uns der Anthropologe in seinen Lehrveranstaltungen eine selbstreflexive Übung, die jeder machen sollte, der beginnt, über Probleme der philosophischen Anthropologie nachzudenken: Man solle sich hinlegen, an seinem Körper entlang bis auf die Füße schauen und dabei genau registrieren, was man sieht, und was das, was man sieht, bedeutet! (oder auch ) zeigt uns den spiegelbildlichen Fall. Hängt damit die eigentümliche Faszination zusammen, die derartige Bilder haben?
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–[091:142] Die dritte Lesart ergibt sich nun fast wie von selbst: Von 1629 bis 1649 lebte in Holland, zumeist in Amsterdam. Sein„Discours“wurde 1637 in Leydengedruckt (also erst nach der , |B 100|aber vor der ). Zeitlebens war leidenschaftlicher Amateur-Anatom. Wir können wohl annehmen, daß beide, und , sich während der anatomischen Winter-Saison gelegentlich sahen. Und da Dr. auch ein Gönner des in diesem Zeitraum in Amsterdam weilenden , dieser wiederum auch mit persönlich bekannt war, ist es möglich, daß alle drei gelegentlich zusammentrafen27. Sollte nicht vielleicht auch dabei gewesen sein? Und könnte es nicht ebenso wahrscheinlich sein, daß bei solchen oder anderen Gelegenheiten und über„cogtito ergo sum“sprachen? Ist also die ein cartesianisches Bild?
3. Folgen und Folgerungen
Anmerkungen zu einer pädagogischen Hermeneutik
1. Annäherung an das Problem
2. Exposition
3. Hinweis auf
4. Hermeneutisches Urteilen und Wissen
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1.[086:25] Die„Absprünge“können nur verstanden werden, wenn ich den„Text“nicht nur als ein Produkt des Denkens verstehe, sondern auch als eine Äußerung des Zusammenseins von Leib und Seele.
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2.[086:26] Eine derartige Äußerung kann überhaupt nur verständlich sein, sofern wir unterstellen, daß der Mensch/das Kind sich nicht nur als empfängliches/rezeptives Wesen, sondern auch als tätiges/spontanes bildet – dies sind die |B 117|grundlegenden, die„elementaren“psychischen Funktionen 21. Sofern das Kind empfänglich ist, nimmt es die Ordnungen auf; sofern es tätig ist, tritt es in Opposition zu ihnen.„Das bestimmt vorher gewußte Wollen“„höchste Punkt der Entwicklung der Selbsttätigkeit22 “„Grammatiken“gebildeten Äußerungen – |A 131|bis hin zu den für schlechterdings unverständlich bleibenden Träumen23.
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3.[086:27] Aber selbst hier noch darf, wenngleich von„Denken“nicht die Rede sein kann, nicht etwa nur„dumpf ordnende Natur“(Rilke )S. 62 angenommen werden, da ja dem Redenden oder sonstwie sich Äußernden nicht bestritten werden kann, daß er imstande ist, das unverständlich Scheinende in die Einheit seines Ich einzufügen. Deshalb könne, so , nur die Rede sein von einem„freien Spiele der Vorstellungen, wobei unser Wille passiv ist, das geistige Sein aber doch in Tätigkeit24.“
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4.[086:28] Dies nun können wir auf keinerlei zuverlässige Weise wissen, so etwa, wie wir die Folgerichtigkeit einer Argumentation oder die Gesetze einer Naturerscheinung wissen können. Wir können es nur unterstellen, sofern wir es von uns selbst schon wissen; nämlich:„Dabei müssen wir die eigene Selbstbeobachtung zugrunde legen25.“
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5.[086:29] Nun ist die fünfte Komponente der Schleiermacherschen Problemkontur nicht mehr überraschend: Wenn die„Selbstbeobachtung“die einzige Gewißheit vermittelt, die uns für das Verstehen der„Absprünge“in den Äußerungen des anderen bleibt, dann können wir uns offenbar und letzten Endes nur durch den anderen, und den anderen nur durch uns erkennen. Die ursprüngliche Entgegensetzung, der einerseits der Impuls für jede Hermeneutik entspringt und die andererseits ihr Verstehensziel sein muß, ist das Verhältnis von Ich und Du. Gegen gerichtet, meint , daß es unzureichend sei zu sagen, im„Ich-Setzen“setze dieses Ich sich lediglich einem Nicht-Ich entgegen. Das sei gar kein Gegensatz, aus dem irgendeine Bewegung sich entwickeln könne, weil dieses„Nicht-Ich“schließlich alles Mögliche sein könne,„nur eine Negation“„Ich-sagen ein beständiges Du-suchen“„Postulieren“dieses„Du“26 Nur unter der Bedingung dieser Annahme ist es dann auch sinnvoll, die„Selbstbeobachtung“zum letzten Kriterium hermeneutischen Verstehens zu machen.
Schluß
Der frühromantische Pädagoge
1. Fragmente
2. Geselligkeit
3. Schamhaftigkeit
Schluß
Stationen der europäischen Pädagogik
Geldwirtschaft und Stadtkultur
Liberalität und große Industrie
Demokratie und Gerechtigkeit
Zur Lage der Gegenwart: Kommunikation und Umwelt
Literatur
Quellennachweise
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1.[091:297] Interaktion und Organisation in pädagogischen Feldern: Hauptvortrag auf dem Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft in Duisburg 1976, veröffentlicht in H. Blankertz (Hg.): Interaktion und Organisation in pädagogischen Feldern, Zeitschrift für Pädagogik, 13. Beiheft, Weinheim 1977, S. 39 ff.
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2.
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3.[091:299] Zur Entstehung des modernen Konzepts von Bildungszeit, Manuskript 1985.
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4.[091:300] Der Körper im Augenschein: Vortrag auf dem transdisziplinären Kolloquium„Der Schein des Schönen“, Venedig, März 1985.
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5.
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6.[091:302] Der frühromantische Pädagoge F. D. Schleiermacher: Unter dem Titel„Zwischen Geselligkeit, Scham und Zweifel: bildungstheoretische Notizen zum frühromantischen Schleiermacher“in: Neue Sammlung, Heft 1, Januar/Februar/März 1985, S. 16 ff.; und in: D. Lange (Hg.), Friedrich Schleiermacher 1768–1834, Göttingen 1985, S. 193 ff.
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7.