Die Funktion des Symbols in der Erziehung
1. Geschichtliche Erinnerungen
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1.[115:7] Eine für das Verständnis menschlicher Bildung elementare Unterscheidung sei die zwischen“Gestalt”und“Form”:“Gestalt ist der Ausdruck eines inneren Lebens, einer inneren, wirkenden, lebendigen Kraft; Form dagegen ist zugleich überwiegend von einer äußeren Kraft bedingt; Gestalt ist innerer Lebensausdruck, Form ist dagegen vorwaltend der Ausdruck eines durch Kraft bedingten äußeren Ebenmaßes.”6“Habitus”und“Forma”des , also |a 100|zwischen leibhafter Gestalt und gestaltbildender Kraft, bei allerdings, in Übereinstimmung mit üblich gewordenem Sprachgebrauch, nun in die“lebendige”“Ein blühendes Mädchen ist das reizendste Symbol vom reinen guten Willen”8“Bildungstriebes”“nisus formativus”“Morphologie”.
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2.[115:8] An und erinnert auch ein zweites Argument : Zwischen Triebkraft und Gestalt gebe es einen“innigen Zusammenhang”derart, daß nicht nur die Kraft zu bestimmten Gestalten führe und die Gestalten wiederum der Kraft neue Richtung gäben, sondern auch so, daß darin ein Wechselspiel von Ruhe und Bewegung anschaulich werde, und zwar schon für das Kind.“Ich selbst erinnere mich bestimmt aus meinem sehr frühen Knabenalter, daß mich das Betrachten ebenmäßiger ... Figuren und Formen und auch solcher Blumen mit einer tiefen Sehnsucht erfüllte, indem ich immer ahnete, es müßte aus diesen Formen ein höherer Geist mich an- und zu mir sprechen.”10“tief”, der Geist kein“höherer”sein – besteht hier, bei , offenbar die Meinung, es gebe Gestalten, vorzugsweise“natürliche”, in denen Ruhe und Bewegung, Morphem und Bildungskraft, derart anschaulich werde, daß sich diese“Dialektik”, dieses Wechselspiel, bei ruhiger und aufmerksamer Betrachtung auf das Kind übertrage. Dieser Vorgang – so meint – sei vorsprachlich und mithin vorbegrifflich und könne gerade deshalb ein“Ahnen und Sehnen”11
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3.[115:9] Diese Beziehung zwischen Kind und Natur nennt“sinnbildlich (symbolisch) ..., denn alles, was uns zunächst als Naturerscheinung umgibt ... hat sinnbildliche Bedeutung”“... dann auch alles, was aus dem menschlichen Geiste, Gemüte und Leben hervorgeht.”13“sinnbildliche Ansicht”des Lebens ist die Grundlage seiner pädagogischen Theorie, aber auch – wie er meinte – seiner Praxis in der Konstruktion von Kinderspielen. Aber damit war er schon in einer ambivalenten Problemstellung. Einerseits schwärmte er von dem Schwärmer :“Das Denken ist nur ein Traum des Fühlens, ein erstorbenes Fühlen, ein blaßgraues, schwaches Leben”“symbolisch”sei in dem Sinne, daß in ihr Göttliches sich offenbare. war da vorsichtiger; zwischen Wort und Bild, Verstandesbegriff und vorbegrifflicher symbolischer Repräsentation, zwischen Denken und Fühlen also, gebe es eine schwierig zu balancierende Beziehung; wenn man das nicht |a 101|beachte, dann entstünden“die doppelt bösen symbolisch-mystischen Ungeheuer”14“exakte sinnliche Phantasie”15“Idee”der Urpflanze versuchte, deren Gestaltwandel (Metamorphose) Bildungsbewegungen überhaupt, also nicht nur bei Pflanzen und Tieren, zeige. Derartiges hatte gewiß auch im Sinn, als er immer wieder auf die bildende Wirkung hinwies, die die aufmerksame Betrachtung einer Blume als Symbol lebendiger Gestalt habe. Andererseits aber folgte er nicht Aufforderung zum synthetisierenden Blick, sondern folgte der seit europäisch gebräuchlichen pädagogischen Attitüde des Zerlegens in Elemente, aus denen sich dann, so die Hoffnung, ein Ganzes, eine lebendige Gestalt werde bilden lassen ( war skeptisch:“Das Lebendige ist zwar in Elemente zerlegt, aber kann es aus diesen nicht wieder zusammenstellen und beleben.”“unsichtbare Mittelpunkte”“Keime”, auf die jede Teilungsoperation bezogen sei. Zwischen organologischer Symboltheorie und geometrischer Systemtheorie – um modernistisch zu sprechen – schwankt er hin und her. Es ist ein Schwanken zwischen der Lokalisierung des Symbols als Darstellung des begrifflich nicht Bewußten und als Darstellung rationaler Konstruktion von Bildungsprinzipien, als Darstellung des je zwar verständlichen, aber akzentuiert Individuellen und dem gattungsmäßigen oder gar kosmischen Allgemeinen, als Darstellung der eher spontanen oder eher rezeptiven Seite des Bildungsprozesses.
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4.[115:10] Derartige Schwierigkeiten zeigen sich deutlich in kritisch gemeinter Auseinandersetzung mit dem“Orbis pictus ”des . war, wie wir wissen, eine ziemlich ambivalente Figur der europäischen Geistes- und Bildungsgeschichte. Einerseits den symbolischen Gesten des Hochmittelalters noch innerlich verbunden – weshalb mit ihm nichts Rechtes anzufangen wußte – war er andererseits auch der“Erfinder”planmäßig über viele Lebensaltersstufen hin rational konstruierter Curricula. Sein“Orbis pictus”ist die populäre Version seiner Pädagogik, ein Bilderbuch, in dem ganzheitliche Symbolisierungen von lebenswichtigen Situationen und anatomisch-analytisches Interesse am Zergliedern sich eigentümlich mischen. diagnostiziert den“Orbis pictus”als Symptom einer prekären Kulturbewegung; in der Diktion der idealistischen Philosophie schreibt er:“Die dem Kinde und dem Menschen entfremdete umgebende Welt wurde ihm nun eine gemalte Welt”16“Sachen selbst”“In dem Sich-Beschäftigen und Spielen des Kindes, besonders in den ersten Lebensjahren, bildet sich im Vereine mit der Umgebung desselben und unter deren stillen, unbemerkten Einwirkung, nicht allein der Keim, sondern auch der Herzpunkt seines ganzen zukünftigen Lebens in Beziehung auf alles das aus, was wir in einem Keime und Herzpunkte als schon gegeben erkennen müssen: also Eigenlebigkeit, Selbstigkeit, einstige Persönlichkeit.”17“Keime”und“Herzpunkte”). Andererseits entwirft der gleiche ein Kindheitscurriculum, in dem er derartige Redeweisen in den Wind zu schlagen scheint, z.B. durch seine vielfältigen Teilungen des Würfels als ein elementares Spielmaterial, als Trainingsinstrument für kognitive Operationen, die historisch-faktisch dem“” und dem“-Baukasten”näher stehen als seinen spekulativen Bezugnahmen auf Natur, Ganzheit oder“Lebenseinigung”.
2. Fortschritte und Rückschritte
3. Wege zu einer pädagogischen Symboltheorie
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1.[115:20] Symbole sind metaphorisch. Sie bringen, wie die diskursive Rede, etwas zum Vorschein oder zum Bewußtsein, aber auf andere Weise. Eine Metapher lehrt uns, wie sagt, etwas“zu sehen als...”22“auch”ein Schnekkenhaus sei. Das ist nun nicht etwa eine zu überwindende und dann zu vergessende Vorstufe intellektuell-aufgeklärten Verhaltens, sondern vielmehr der Anfang eines intelligiblen Weltverhältnisses, das erst noch zu entwickeln ist. Die entwickelte Form |a 106|nämlich besteht aus den folgenden Gliedern: Die Perzeption von A und ihre sprachlich-diskursive Repräsentation; das metaphorische Ikon B, das es erlaubt, A“zu sehen als”sei es B; schließlich die Brücke C zwischen beiden, häufig, aber nicht treffend,“Ähnlichkeit”genannt. Das Herstellen dieser Brücke ist eine kognitive Leistung des Ich, die deshalb gelingen kann, weil beides, das sinnenhaft präsentierte Ikon und der entsinnlicht diskursive Satz, einen gemeinsamen Sinn-Grund hervorbringen können, obwohl zwischen beiden die Sinngrenze entsteht, die das“Imaginierte”vom“Wirklichen”scheidet. In dem Spannungsverhältnis zwischen beiden liegt also das“Bewegende”,“Belebende”, wie man um 1820 gesagt hätte, kurz das Bildende der Metapher und des Symbols. Freilich gibt es tote Metaphern, banale und abgenutzte. Wenn ich jetzt sage:“Ich bin mit meinen Gedanken zu diesem Vortrag, angesichts der konkurrierenden Symboltheorien, in einen dunklen Tunnel geraten, ohne den Ausgang zu sehen”auch noch schief ist, vermag sie nichts in Bewegung zu bringen, weder bei mir noch bei Ihnen. Sie ist ein Stück konventionelle Rhetorik wie der Satz des unlustigen Jugendlichen:“Ich bin sauer.”Derart abgestorbene Metaphern haben ihre symbolische Qualität eingebüßt, wie der Schnuller anstelle des Deckenzipfels, der Turnschuh, die konfektionelle Spielpuppe mit Punk-Frisur.
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2.[115:21] Symbole spielen also mit der Differenz zwischen Begrifflichem und Vorbegrifflichem. Ihre der Möglichkeit nach bildende Funktion können sie nur solange bewahren, als sie nicht zum konventionellen Partikel des Ambiente werden. So wie die Metapher, als sprachliche Form, konventionell oder idiomatisch werden kann, so können auch ikonische Repräsentanten zu“künstlichen”Zeichen werden (), die für die Bildungsbewegung unseres Organismus irrelevant sind. Die Milieus bürgerlicher Wohnungen sind in diesem Sinne zumeist Arsenale abgestorbener Symbolwelten. Familienfotografien, ererbte Möbelstücke, die Posters an den Wänden der Kinderzimmer, die Reproduktionen von Kunst unterscheiden sich darin in der Regel nicht. Sie bekräftigen einen erreichten kulturellen Stand, aber bringen nichts mehr in Bewegung, es sei denn, ein Künstler arrangiert sie neu, ein sensibler Interpret erweckt sie wieder. Sie sind“affirmativ”, und zwar dadurch, daß sie nur syntaktisch, als Ordnungselemente fungieren. Gelegentlich aber kann ihnen ihre semantische Funktion zurückgewonnen werden, etwa so, wie es angesichts eines scheinbar toten Hotelzimmers beschrieb.23 Was geschieht in derartigen Situationen? Ich sehe die folgenden Komponenten: Es entsteht ein prekäres Gleichgewicht zwischen Assimilation und Akkommodation (in der Terminologie ), zwischen Rezeptivität und Spontaneität (in der Sprache ); diese seelische Lage entsteht dadurch, daß einerseits die produktive Tätigkeit des Sich-Aneignens von Äußerem gesteigert, andererseits die Empfänglichkeit für die Objekt-Charakteristik des sinnlichen Eindrucks besonders stark ausgeprägt ist; produktiv ist diese Situation für das Subjekt u.a. deshalb, weil, in dieser Balance, die begrifflich vermessenen Orientierungen suspendiert und die Bedeutungen vorbegrifflicher Sinneserfahrungen aktiviert werden können – ohne darüber Formen und Konzepte gänzlich zu vergessen; das ist deshalb möglich, weil der Grund des Selbstbewußtseins, der Grund von Selbstgewißheiten, vermutlich nicht (nur) im cogito, sondern mindestens auch im bedeutungsvollen Spüren meiner selbst zu suchen ist.24 Symbole haben – wie z.B. das Kreuz, der , die Betonwand, die Traumfigur, die kindliche Kritzelzeichnung, die Träller-Melodie, der Schreibtisch des Vaters, das Hotelzimmer – immer eine der Möglichkeit nach doppelte Funktion: sie sind“sozialisatorisch”, also vergesellschaftend wirksam, insofern sie zum kulturellen Arsenal gehören; sie sind vor-so|a 107|zialisatorisch, vor-begrifflich,“reflexiv”wirksam, sofern sie es vermögen, einen kulturellen“Habitus”in Bewegung zu bringen.
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3.[115:22] Symbole sind also, in Erziehungskontexten,“Übergangsobjekte”“Übergangsobjekt”– das Stofftier, der Deckenzipfel – bedeute einerseits die Brust der Mutter, sei aber andererseits im Erleben des Kindes ein durchaus anderer Gegenstand äußerer Realität; ebendies ermögliche ein zwangloses Hin-und-her-Pendeln zwischen dem“rein Subjektiven”und der“Objektivität”, zwischen Innenwelt und Außenwelt, damit das Objekt diese Funktion erfüllen kann, muß es eine leibnahe Charakteristik haben; es fungiert emanzipatorisch insofern, als es dem Subjekt hilft, sich aus den engsten biologisch gegebenen Personenbeziehungen und Verhältnissen zu befreien; es fungiert regressiv insofern, als das Subjekt sich gleichsam zurückziehen kann in die Situation primärer Leiberfahrung. Derartiges ist, denke ich, nicht auf die frühe Kindheit beschränkt, sondern, seiner Struktur nach, dicht mit dem Gelingen oder Mißlingen von Bildungsprozessen überhaupt verknüpft. Man darf allerdings den Ausdruck“regressiv”nicht entwicklungspsychologisch mißverstehen: Dieser – wie ich nun sagen möchte – symbolvermittelte Rückgang auf elementare Bedeutungen von Leiberfahrungen ist vielleicht der letzte durch Argumentationen noch erreichbare Grund für das, was“” die“transzendentale Kommunikationsgemeinschaft”“symbolische Regression”eine Ebene möglichen Verstehens anfügen oder entgegenhalten, die zwar auch sprachlich eingeholt werden muß, ihren Grund aber in der verständigungsfähigen Leiberfahrung hat, in vorbegrifflichen Gewißheiten also. Idee des“Übergangsobjektes”dafür schon die ästhetische Theorie, vor allem der Romantik, parat.
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4.[115:23] Eine pädagogische Symboltheorie ist eine Theorie der ästhetischen Dimension der Bildung. Alles, was über die bildende Wirkung von Symbolen gesagt wird, wurde schon in der ästhetischen Theorie als Problemstellung umrissen, sofern in dieser auch über die Erziehungs- und Bildungsfunktion ästhetischer Ereignisse nachgedacht wurde. In vielleicht etwas zu grober Vereinfachung möchte ich behaupten, daß es einen roten Faden gibt, der sich, bildungstheoretisch, seit“Kritik der Urteilskraft”durch die kunst- und musikästhetischen Argumentationen bis in unsere Tage hindurchzieht: es ist die Erläuterung, Erweiterung und Modifikation von Behauptung, das ästhetische Urteil sei“reflexiv”. Nicht als -Interpretation, sondern nur als Beschreibung dieses roten Fadens – und zugleich als Zusammenfassung der von mir hier referierten Gedanken, deren Ende Sie sicher schon dringlich erwarten – möchte ich einige Bestimmungen riskieren: Ein ästhetischer Gegenstand ist nicht schon dadurch verstanden, daß man ihn oder seine Elemente den kulturell kursierenden Verstandes-Begriffen subsumiert; er enthält vielmehr in sich eine Art Reflexionsaufforderung, den zu ihm passenden Begriff, also auch die Wirkung, die er auf mich macht, allererst zu finden. Das gilt auch für den Fall der symbolisierenden Tätigkeiten von Kindern und Jugendlichen; es sind reflexive Begriffsfindungsbewegungen. |a 108|Solche Bewegungen, ich nenne sie bildend, inszenieren ein Spiel zwischen“Verstand und Sinnlichkeit”(wie und sagten), zwischen“Fühlmensch und Denkmensch”“verrottete Gefühlsästhetik”“daß die Gefühle, derer sich die Musik mit ... Bestimmtheit bemächtigt, keineswegs Regungen sind, die auch außerhalb der Musik ... existieren und deren tönendes Abbild die Musik wäre”“Qualitäten”“der andere Ausdruck anderer Gefühle”28“Selbst”erreicht, zu der das Ich sich in ein anderes Verhältnis setzt, sich als Ich anders hervorbringt, als im alltäglich-praktischen oder im theoretisch-epistemischen. Um es knapp und ein wenig anschaulicher zu sagen: Im Symbolspiel bringt das Kind – wenn es mit dem Teddybär schmust, das Schneckenhaus als Katze verwendet, die“Da-da”-Zeigegeste inszeniert – sein“Ich”hervor als eines, das zwei relative Freiheiten genießt: frei von den alltäglich-praktischen Zumutungen, von Erwartungen und korrespondierenden Affekten/Gefühlen (nun kann es selbst hervorbringen, was es fühlen mag), und frei von der Schwierigkeit, erkennen zu sollen. Nicht anders ergeht es dem aufmerksamen Erwachsenen, wenn er eine Zeichnung von oder sieht, oder wenn er die“” von hört (wie schwierig auch immer die musiktheoretische Frage beschaffen sein mag, ob es so etwas wie musikalische Semantik, außerhalb der konventionell eingewöhnten Konnotationen, überhaupt gebe; jedenfalls hat man bisher, wenn ich recht sehe, noch keine musikalischen Archetypen identifizieren können). Wir fühlen uns, indem wir die besondere symbolisch-ästhetische Wirkung realisieren,“spüren”und uns auf dieses Spüren wie das Kind im Spiel konzentrieren, auf eigentümliche Weise“frei”.