Das Ferdinando Galiani
zugeschriebene Zitat findet sich in dem hier von Mollenhauer genutzten
Band von Gleichen-Rußwurm (1910, S. 359–360), jedoch ohne konkrete
Herkunftsangabe. [Klaus-Peter Horn]
Editorische Anmerkung
Vgl. Plessner,
1959 [Sandra Berkefeld]
Editorische Anmerkung
Der von
Mollenhauer genutzte Ausdruck der
„freien jugendlichen
Geselligkeit“
kann so bei Schleiermacher nicht gefunden werden.
Siehe aber Schleiermachers Ausführungen zur
„dritte[n]
Periode der Erziehung“
(Schleiermacher 1826/1957, S. 159–166
und S.
350–357). [Klaus-Peter Horn]
Einige Überlegungen zu einer pädagogischen Theorie der
Geselligkeit
AB√
[018:2] Es mag nach Ironie und Mißachtung des akademischen
Ernstes klingen, wenn man ein Studiensemester, das es auf
wissenschaftliche Arbeit ab|b 240|gesehen hat und
zudem für viele den Beginn des Studiums markiert, mit einer
Abhandlung über
„Geselligkeit“
einleitet. Allerdings wäre Ironie meinem Gegenstand nicht fremd; vielmehr ist
sie dort ein durchaus belebendes Element. Sie selbst ist – wenn es in diesen einleitenden Sätzen noch erlaubt
ist, aphoristisch zu sprechen – eine gleichsam gesellige Form des Geistes und der Vernunft. Diese Form, in den Berliner Salons zwischen 1790 und 1810 als
„romantische Ironie“
bekannt geworden, ist – und damit
versuche ich den ersten Schritt in Richtung auf eine akade|A B 120|mische Behandlung des Themas – für die Entstehungsgeschichte
der deutschen Erziehungswissenschaft kein unerhebliches, vielmehr ein höchst
bedeutsames Phänomen. Das stimmt allerdings nur, wenn man die Geschichte der
Erziehungswissenschaft nicht mit dem psychopathisch-ungeselligen Rousseau, nicht
mit dem rustikal-ungeselligen Pestalozzi, sondern mit dem geistreich-rationalen
Gesprächspartner der Gebrüder Schlegel, Friedrich Daniel Schleiermacher, beginnen läßt.
Schulmänner freilich werden diese Feststellung verdrießlich finden, fehlt
doch gerade der für die Entwicklung einer schulbezogenen
Erziehungswissenschaft bedeutende Johann Friedrich Herbart in meiner Aufzählung.
Indessen: Herbart konnte
sich, von einem zaghaften Ansatz während seiner Göttinger Zeit abgesehen,
nicht entschließen, das Phänomen der Geselligkeit in den Umkreis seiner
pädagogischen Reflexionen aufzunehmen. Ob diese theoretische Abstinenz etwas
zu tun hat mit seiner pädagogisch motivierten Vorliebe für drittklassige
Literatur – er empfahl als erzieherisch wertvoll Iffland und Kotzebue zu einer Zeit, als in deutschen Bürgerhäusern in
abendlicher Geselligkeit Schillers
„Wallenstein“
mit
verteilten Rollen gelesen wurde –AB√ möchte ich nicht entscheiden.
[018:3] Für die weitere Entwicklung der Pädagogik
ist Herbart
einflußreicher geblieben als Schleiermacher. Die Ansätze einer
pädagogischen Reflexion im Hinblick auf die Bildungsbedeutung
von Geselligkeit verschwanden wieder, kaum daß sie entstanden
waren. Diese Verkümmerung im theoretischen Horizont einer
wissenschaftlichen Disziplin wäre, da es sich ja nur um ein
geringes Detail handelt, unerheblich, wenn sie nicht bedeutenden
Symptomwert hätte. Diesen symptomatischen Charakter
nachzuweisen, will ich im Folgenden versuchen.Schlaglichtartig
wird das gemeinte Problem deutlich in einer Bemerkung Herman
Nohls vom Jahre 1915: es zeige sich, daß die
Geselligkeit der Salons
„kein wirkliches Bedürfnis deutscher Art
ist, wie denn auch die deutsche Frau in ihrer echtesten
Erscheinung zu einer solchen Leistung nicht be|A B 121|stimmt ist“
AB√1)
|BA 180|1)
H. Nohl, Vom deutschen Ideal der Geselligkeit, in: H. Nohl, Pädagogische Aufsätze, Langensalza AB√1929², S. 132.
. Statt dessen wird die Geselligkeit der Jugendbewegung
empfohlen:
„Diese neue Geselligkeit kennt nur
Tätige, und diese Selbsttätigkeit wird das Prinzip der
Lebensführung überhaupt. Man meidet Gasthäuser, man
kocht und |b 241|baut“
AB√2)
|AB 180|2)
A. a. O., S.
133.
. Damit war die Bahn frei für die pädagogische
Rechtfertigung eines Typus von Geselligkeit, der mit der
bürgerlichen Geselligkeit von Aufklärung, Klassik und Romantik
kaum mehr als den Namen gemeinsam hat. Der in genauen
Interpretationen von Nohl vorgenommene Rückgriff auf die Texte Garves, Schillers, Fichtes
und Schleiermachers im ersten Teil seines Aufsatzes
hatte sich nicht gelohnt. Im ideologischen Schluß wird das
anfangs gesammelte Kapital wieder verspielt.Ich möchte nun
in meinen Erörterungen zeigen,
1.
[018:4] daß die bürgerliche Geselligkeit der
Aufklärung ein Ort der Emanzipation war, der
eine politisch bildende Funktion erfüllte,
2.
[018:5] daß von jener Zeit an die Geschichte der Geselligkeit mit
der Geschichte der Pädagogik eng verknüpft ist,
3.
[018:6] daß die rational-kritische Funktion von Geselligkeit |a 15|durch einige pädagogische Theoreme sehr
geschwächt wurde bzw. völlig verschwand,
4.
[018:7] daß diese Schwächung im Zusammenhang mit
gesamtgesellschaftlichen Prozessen steht, deren Symptom sie ist,
und
5.
[018:8] daß das Problem der Geselligkeit ein legitimes und
ertragreiches Thema der Erziehungswissenschaft ist.
I.
[018:9] In seiner
„Theorie des geselligen Betragen“
schreibt Schleiermacher:
„Freie, durch keinen äußeren Zweck
gebundene und bestimmte Geselligkeit wird von allen gebildeten
Menschen als eins ihrer ersten und edelsten Bedürfnisse laut
gefordert ... Es muß also einen Zustand geben ...b√ der die Sphäre eines Individuums in die Lage |A B 122|bringt, daß sie von den Sphären anderer
so mannigfaltig als möglich durchschnitten werde, und jeder seiner
eigenen Grenzpunkte ihm die Aussicht in eine andere und fremde Welt
gewähre ... Diese Aufgabe wird durch den freien Umgang vernünftigerb√ sich untereinander bildender Menschen gelöst.“
3)
|AB 180|3)Fr. D. Schleiermacher, Versuch einer Theorie des geselligen Betragens, in: Fr. D. Schleiermacher, Ausgewählte Werke, Bd. II, hrsg. von Otto Braun, Leipzig, S.
1.
In diesen Sätzen, die nicht nur als Forderung, sondern auch als
ziemlich genaue Beschreibung einer bestimmten Art von Geselligkeit zu
verstehen sind, erreicht ein Prozeß seinen Höhepunkt, der – durch die
Aufklärung hindurch – den historischen Typus der bürgerlichen Geselligkeit
hervorgebracht hat.
[018:10] Dieser Prozeß beginnt im 17. Jahrhundert. Neben der Hofhaltung
absolutistischer Monarchen auf dem Kontinent und der schon fade werdenden
Geselligkeit am Hof der englischen Könige fängt das Bürgertum an, ein
soziales Feld zur Verhandlung seiner eigenen Angelegenheiten aus|b 242|zubilden. Diese Geselligkeit trägt einen entschieden
urbanen Charakter. Sie entsteht und hält sich ausschließlich in den Städten.
In England sind es zunächst die Kaffeehäuser, in denen man zusammenkommt. Um
1710 soll es davon in London bereits 3000 gegeben habenAB√4)
|AB 180|4)L. Stephen, English Literature and Society in the 18th
Century, London 1947, S.
37.
. Die sonst peinlich eingehaltenen Standesgrenzen spielten hier kaum
noch eine Rolle; breite Schichten des Mittelstandes, Handwerker und Krämer
trafen mit dem Adel und dem bürgerlichen Patriziat zusammen. Man diskutierte
und kritisierte das, was den bürgerlichen Markt zu füllen begann. Neben
ökonomischen und sozialen Problemen war das vor allem die Welt der
Literatur, Kunst und Philosophie.
[018:11] Um 1730 haben die Kaffehäuser ihre Blütezeit schon überschritten. Sie werden abgelöst von den
Salons der wohlhabenden Familien, in denen sich die geistige Welt Londons
traf, eine immer entschiedener werdende Repräsentation bürgerlichen
Bewußtseins.
[018:12] Dies war besonders deutlich in Frankreich vor der Revolution. In
den Salons des Finanzministers Necker, des Philosophen Holbach, der Familien d’Epinay, Deffant und wie sie sonst
hießen, diskutierten Atheisten mit Geistlichen, Literaten mit Bankiers,
formierten sich die Enzy|A B 123|klopädisten, wurden die
Argumente der Revolution vorbereitetAB√5)
|AB 180|5)Vgl. A. von Gleichen-Rußwurm, Das galante Europa. Geselligkeit der großen Welt 1600–1789, Stuttgart 1911,
S. 357
ff.; ferner J. Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, Neuwied 1962.
. Nahezu alle großen Schriftsteller des 18. Jahrhunderts hatten ihre
Gedanken zuerst in diesen Salons zur Diskussion gestellt. Vermutlich in Bezug auf die englischen Anfänge dieser bürgerlichen Geselligkeit nannte
Galiani Paris das
Kaffeehaus Europas,
„le café de
l’Europe“
.
[018:13] Deutschland, nach der Formulierung Pleßners
„die verspätete Nation“
, folgt AB√hier zuletzt. Eine ausgebildete Form bürgerlicher Geselligkeit zeigt
sich erst im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts. Charakteristisch ist
allerdings, daß sie sich gegen ökonomische und aktuell-politische Interessen
stärker isoliert hat, als die englische oder französische. Sie hatte von vornherein einen
Zug größerer Privatheit, einen Keim des Unpolitischen im Vergleich mit ihren
europäischen Schwestern. Wer in die geselligen Zirkel, Salons und
Tischgesellschaften in Heidelberg, Frankfurt, Weimar und Berlin eintritt,
läßt seinen sozialökonomischen Status gleichsam hinter sich; er erwirbt im
Medium dieser halb-privaten Geselligkeit einen Status, der im
Herrschaftssystem der ständischen Gesellschaft keinen Ort hat, er tritt in
den Stand der Gebildeten einAB√6)
|AB 180|6)W. Roessler, Die
Entstehung des modernen Erziehungswesens in
Deutschland, Stuttgart 1961, S. 194
ff. und 216
ff.
. Charakteristisch für diesen Sachverhalt ist die bedeutende Rolle, die
jüdische Familien in diesem Zusammenhang spielen. Selbst nur ungenügend
in|b 243|tegriert durch die antisemitische Tradition,
die in Preußen, besonders aber in Österreich diesen Familien den sozialen
Rang versagte, |a 16|waren sie gleichsam der ideale Ort für
eine freie kritische Diskussion, die nicht unmittelbar in die ökonomischen
und politischen Interessen eingriff. Die Geselligkeit in den Häusern Moses Mendelssohns, Fanny Arnsteins und Rahel Varnhagens
ist dafür ein BeispielAB√7)
|AB 180|7)Vgl. H. Arendt, Rahel Varnhagen.Lebensgeschichte einer deutschen Jüdin aus der
Romantik, München 1959; H. Spiel, |AB 181|Fanny
von Arnstein oder die Emanzipation. Ein Frauenleben an der Zeitenwende 1758–1818, Frankfurt/Main 1962.
. Der Unterschied zwischen der deutschen und der englischen
Geselligkeit des bürgerlichen Typs im Hinblick auf ihre Verbundenheit mit
der realen Gesellschaft zeigt sich besonders deutlich darin, daß in London
die sozialkritische Satire ein wesentliches Element der Zusammenkünfte in
Kaffeehäusern und Salons war; die Realität der englischen Gesellschaft war
in diesen Zusammenkünf|A B 124|ten eben nicht suspendiert. Anders in Deutschland: Literatur und Philosophie waren
die nahezu ausschließlichen Gegenstände der Gespräche. In diesem Klima
konnte das gedeihen, was Herbert Marcuse den
„Begriff der affirmativen Kultur“
genannt hatAB√8)
|AB 181|8)
H. Marcuse, Über den affirmativen Charakter der Kultur, in: H. Marcuse, Kultur
und Gesellschaft I, Frankfurt/Main 1965.
. Es ist der Begriff einer Kultur, die sich über die faktische
Schlechtigkeit der realen Gesellschaft erhebt und eine Gemeinschaft scheinbar freier Individuen konstituiert, die
im Gespräch sich gegenseitig der sogenannten kulturellen seelischen Werte
versichern.
„Das Höchste, was aus dem Menschen gemacht werden
kann, weist in seiner Verwirklichung auf eine Gemeinschaft freier
und vernünftiger Personen, in der jeder dieselbe Möglichkeit zur
Entfaltung und Erfüllung aller seiner Kräfte hat.“
9)
|AB 181|9)A. a. O., S.
70.
Die Realisierung dieser Utopie sollte
„durch die kulturelle Bildung der Individuen in
Angriff genommen werden ... nicht durch einen Umsturz der
materiellen Lebensordnung, sondern durch ein Geschehen in der Seele
des Individuums“
AB√10)
|AB 181|10)
A. a. O., S. 71.
. Genau dies ist in dem eingangs gegebenen Schleiermacher-Zitat angesprochen, wo von der
„freie(n), durch keinen äußeren Zweck gebundene(n) und
bestimmte(n) Geselligkeit“
die Rede ist. Ganz ähnlich heißt es
bei Humboldt,
daß
„der freie und alltägliche Umgang in engeren und
weiteren Verbindungen ... kleineren und größeren gesellschaftlichen
Zirkeln“
jeden Einzelnen
„empfänglicher und eigentümlicher mache“
, und zwar
„unter der Bedingung
einer vollkommenen Freiheit ... mit gänzlicher Vermeidung allen
Scheins von Absicht. Alles soll von selbst entstehen, alles Spiel
und Erholung, nichts Ernst oder Geschäft sein“
AB√11)
|AB 181|11)
W. v. Humboldt, Plan einer vergleichenden Anthropologie, in: Werke
in fünf Bänden, hrsg. von A. Flitner und K. Giel, Band I, Darmstadt 1960, S. 343.
. Die von Humboldt
zitierte
„vollkommene
Freiheit“
war allerdings nur der Schein von Freiheit.
|b 244|
[018:14] Dieses Produkt bürgerlicher Geselligkeit, die Beruhigung der
Individuen beim Schein der Freiheit ist, da aus dieser Geselligkeit die
deutsche Bildungstheorie hervorwuchs, für die Pädagogik folgenreich
geworden. Wir finden seine Spuren nicht nur in den mediokren Auslassungen
zur sogenannten musischen Bildung, in der Praxis der außerschulischen
Jugendbildung, es geistert auch in den Be|A B 125|griffen Bildungsgut und
Bildungswert, in manchen Schultheorien und der Praxis der Bildungspläne bis
hin zu den Argumenten für eine musisch statt grundwissenschaftlich
orientierte Lehrerbildung nach. Freilich: die intellektuelle Schwäche, durch die sich derartige Gedankengänge heute
auszeichnen, ist denen kaum anzulasten, die sich wöchentlich etwa bei Rahel Varnhagen in der
Jägerstraße trafen: Fichte,
Humboldt, die beiden
Schlegel,
Schleiermacher, Gentz, Brinkmann, Kleist.
[018:15] Unabhängig von dieser Besonderheit im Kreise der deutschen
Gebildeten ist doch der bürgerlichen Geselligkeit Europas Wesentliches
gemeinsam:
1.
[018:16] Das Bürgertum entdeckt für sich, was bisher nur der
politisch herrschenden Klasse vorbehalten war: den geselligen
Müßiggang.
2.
[018:17] Dieser Müßiggang erschöpft sich, nach einer Formulierung
Thorstein
Veblens12)
|AB 181|12)
Th. Veblen, Theorie der feinen Leute, Köln o. J.
AB√ nicht in
„demonstrativer Verschwendung“
und
„neiderfülltem Vergleich“
, sondern hat die Diskussion der eigenen Angelegenheiten zum Gegenstand.
3.
[018:18] Diese Diskussion ist kritisch, insofern sie sich auf
Vernunft gründet, in rationaler Argumentation fortschreitet.
4.
[018:19] Darin, in solcher rationalen Diskussion, ist die
bürgerliche Geselligkeit antidogmatisch und ein gesellschaftlich realer
Schritt auf dem Wege der Emanzipation. Sie ist damit die halb private,
halb öffentliche Vorwegnahme der bürgerlichen Freiheit, ein Datum im
europäischen Demokratisierungsprozeß. Im geselligen Räsonnement
emanzipiert sich der Untertan zum Bürger.
[018:20] Der affirmative Begriff von Kultur aber, von dem die Rede war,
verhinderte nicht nur das gesellschaftliche Fortschreiten dieser Ansätze in
Deutschland, sondern auch die Transposition der gemachten Erfahrungen in die
pädagogische Praxis. Daß solche Intentionen vorhanden waren, scheint mir
nicht bezweifelbar. Bildung als das Ergebnis einer geselligen Wechselwirkung
zwischen Individuen, die |A B 126|kritisch und distanziert
die menschlichen Werke einer rationalen Erörterung unterzogen, war ja erlebt
worden. Die Hoffnung, jene Erfahrungen für eine vernünftiger geordnete
Gesellschaft auf dem Wege über Erziehung diestbar zu machen, schien den Zeitgenossen so utopisch nicht zu sein.
Schließlich läßt sich die
„Pädagogische Provinz“
in
Wilhelm Meisters Wanderjahren
durchaus als eine besonders extentive Form von Geselligkeit interpretieren, und Schleiermacher hat 1826 in seiner Erziehungstheorie ver|b 245|sucht, der
„freien jugendlichen
Geselligkeit“
einen wichtigen und
funktionsfähigen Ort zwischen Schule und Erwachsensein zuzuweisen.
[018:21] Die Geschichte aber lief anders, als der idealistische Optimismus
sich vorstellte. Geselligkeit wurde nicht ein Ort der Einübung kritischen
Bewußtseins, kein Ort vernünftiger Diskussion, kein Ort sozialschöpferischer
Aktivität, sondern ein Instrument gesellschaftlicher HerrschaftAB√ auch dort, wo sie sich – wie in der Jugendbewegung – polemisch
gebärdete.
II.
[018:22] Interessant, weil die ideologische Situation um die Mitte des 19.
Jahrhunderts ziemlich genau wiederspiegelnd, sind die Vorstellungen des Sozialtheoretikers Wilhelm Heinrich Riehl zu
unserem Gegenstand. In den Pariser Salons war ein Bewußtsein von der
materiellen Basis des Glücks lebendig; Inhalt dieser Geselligkeit war, in
einem weiten Sinne, die politische Philosophie; sie konnte sich daher als
ein realer Faktor im gesellschaftlichen Prozeß darstellen. Bei den deutschen
Gebildeten war diese real-gesellschaftliche Verbindung schon verblaßt zur
Idee einer
„Gemeinschaft im wahren Menschentum“
. Im Laufe
des 19. Jahrhunderts, verschwand dieser Ansatz völlig. Die Geselligkeit
verlor den Zusammenhang mit Öffentlichkeit und wurde intim; oder, wo sie
ihren halböffentlichen Charakter behielt, verlor sie ihre kritische Potenz
|a 17|und wurde re|A B 127|staurativ.
„Die Salons verschwinden nicht einfach aus der
preußischen Hauptstadt, sondern bilden sich um Personen von Rang und
Namen“
, bevölkern sich mit Militärs und BeamtenAB√13)
|AB 181|13)
H. Arendt, a. a. O., S.
119.
. Die von Achim von
Arnim gegründete christlich-deutsche Tischgesellschaft ist, die
neuen Tendenzen vorwegnehmend, dafür exemplarisch. Die Statuten dieses
geselligen Zirkels verbieten Frauen, Franzosen, Philisten und Juden den Zutritt. In dieser Zeit schreibt Rahel Varnhagen:
„Bei meinem Teetisch ... sitze nur ich mit
Wörterbüchern; Tee, wird gar nicht bei mir gemacht ... So ist alles
anders! Nie war ich so allein. Absolut. Nie so durchaus und bestimmt
ennuyiert ... Im Winter und im Sommer auch noch, kannt’ ich einige
Franzosen ... Die sind alle weg. Meine deutschen Freunde, wie lange
schon; wie gestorben, wie zerstreut.“
14)
|AB 181|14)Zitiert bei H. Arendt, a. a. O., S.
140.
[018:23] Für Wilhelm Heinrich
Riehl aber ist solche Entwicklung nicht das Zeichen einer
geschichtlichen Regression, sondern eine Wiederkehr gesunder Verhältnisse.
Er postuliert:
„Die Sitte des geselligen Lebens soll in der
Familiensitte wurzeln ... Je weiter sich der gesellige Kreis von der
Familie entfernt, um so bedeutungsloser wird er.“
15)
|AB 181|15)W. H. Riehl, Die Familie, Stuttgart AB√1904, 12. Aufl.,S.
265.
Und weiter: |b 246|
„Das gesellige Leben im deutschen bürgerlichen und
bäuerlichen Haus hat seinen Ausgang genommen aus der Spinnstube der
Hausfrau ... Je gesunder, fröhlicher und fruchtbringender deutsche
Geselligkeit sein soll, umsomehr wird man zu diesem altväterlichen
Urbilde zurückkehren müssen.“
AB√16)
|AB 181|16)
A. a. O., S. 266.
AB√Der restaurativ-ideologische Charakter solcher Formulierungen bedarf
kaum noch der Interpretation. Die Geselligkeit des Bürgertums, und mit ihr
der Begriff des Gebildeten, zieht sich endgültig aus der Sphäre des
Politischen zurück. Dieser Rückzug erfährt seine ideologische Rechtfertigung
durch jenen affirmativen Begriff von Kultur, der sich über Zivilisation
erhaben dünkt und sich aufspaltet in den schöngeistigen Genuß sogenannter
kultureller Güter und die Pflege einer volksnahen oder volkstümlichen
Geselligkeit: die Bürgertochter am Pianoforte auf der einen Seite und |A B 128|auf der anderen der Wandervogel, der
intellektuelle Primitivität mit Rebellion verwechselt.
[018:24] Damit war die rationale Diskussion als Element der Geselligkeit
aufgegeben. Geselligkeit sollte aus der irrationalen Basis eines gemeinsamen
Lebens wachsen, in Jugendbünden, in Schulstuben und schließlich auch in der
Lehrerbildung. Geselligkeit wurde zu einem
„musischen“
Phänomen erklärt und als solches auch etabliert. Hatten die Salons des
französischen Bürgertums noch die Revolution diskutierend vorbereiten und so
an der realen Veränderung von Gesellschaft mitarbeiten können, so vermochte dieser neue affirmative
Typus nichts gegen die Realität der faschistischen Barbarei. Im Gegenteil: ohne es zu merken, wurde er deren brauchbares Instrument. Herman Nohl – ohne das von ihm Beschriebene zu durchschauen – formuliert das so:
„Man ging auf das Volksmäßige zurück“
, es hat
„dazu geholfen, das Verlangen nach Gemeinsamkeit und
Einheitlichkeit deutlicher zu machen und zu fördern“
, das Volkslied sei ein Ausdruck dieses
„Grundzuges“
.
„Weitere Grundelemente dieser Geselligkeit sind
Wandern, Tanzen und Theaterspielen. Diese neue Geselligkeit kennt
nur Tätige, und diese Selbsttätigkeit wird das Prinzip der
Lebensführung überhaupt.“
17)
|AB 181|17)H. Nohl, a. a. O., S.
133.
Das war 1915. (Zwischen den hier beschriebenen Phänomenen, den
nationalsozialistischen Volksfesten und Hans
Zehrers schlechter Meinung AB√vom Räsonnement Intellektueller besteht ein Zusammenhang.)
III.
[018:25] Indessen scheint mir auch dieser Typus von Geselligkeit schon fast
verschwunden zu sein. Er existiert – wenn ich recht sehe – nur noch in der
Form pädagogischer Instrumentalisierung. Singen, Tanzen und Spielen werden
als Mittel im Erziehungsprozeß in schulischen und außerschuli|b 247|schen Bereichen eingesetzt in der Hoffnung, daß sie ein geselliges, kommunikationsreiches Klima schaffen, |A B 129|Gruppen konstituieren. Für die Kleingruppenforschung vielleicht ein dankbares Forschungsobjekt; aufs Ganze gesehen, als Geselligkeit mit
gesellschaftlich und erzieherisch ernst zu nehmender Funktion ohne
Bedeutung. Geselligkeit dieser Art ist ein Hobby unter vielen. Unterdessen
aber ist ein neuer Typus entstanden, dessen Ausbreitung sich in der
Gegenwart abspielt: Geselligkeit als Form des kollektiven Konsums. Parties,
Klubs,
„Beat“
-Veranstaltungen und die vergeblichen
Bemühungen von Jugendkulturringen können – in der Sphäre der Heranwachsenden
– als deren Repräsentanten AB√gelten.
„Die bürgerlichen Formen der Geselligkeit haben im
Laufe unseres Jahrhunderts Substitute gefunden, denen ...
tendenziell doch eines gemeinsam ist: die Abstinenz vom
literarischen und politischen Räsonnement. Im Modell weicht die
gesellige Diskussion einzelner den mehr oder minder unverbindlichen
Gruppenaktivitäten. Auch diese finden feste Formen des informellen
Beisammenseins; ihnen fehlt jedoch die spezifische Kraft der
Institution, die einst den Zusammenhang der geselligen Kontakte als
das Substrat der öffentlichen Kommunikation sicherte – um
„group
activities“
bildet sich kein Publikum.“
18)
|AB 181|18)J. Habermas, a. a. O., S.
180.
Mit anderen Worten: Die Geselligkeit ist sprachlos geworden; die
Diskussion dessen, was die Individuen im geselligen Prozeß sich aneignen,
entfällt. Der Vorgang der Aneignung selbst verhindert das Räsonnement.
Soweit wir über empirische Befunde verfügen, bestätigen sie diese Hypothese.
Moderne Geselligkeit scheint ein Widersacher von Aufklärung zu sein.
[018:26] Den Ursachen dieser Konstellation nachzugehen, würde ein eigenes
Forschungsprogramm innerhalb der Freizeitforschung erfordern. Die folgenden
Bedingungen aber scheinen hier ins Spiel zu treten:
[018:27] 1. Die allgemeinen Bedingungen moderner Freizeit. Moderne
Geselligkeit als ein Freizeitphänomen unterliegt denselben Bedingungen, die
im Verhältnis von Arbeit und Freizeit die Fremdbestimmung dieser Sphäre
ausmachen.
|A B 130|
[018:28] 2. Statusprobleme und die Bedürfnisse nach demonstrativem Konsum.
Sie sind in der modernen Geselligkeit nicht suspendiert, sondern
strukturieren sie und begrenzen das in ihr Mögliche.
[018:29] 3. Das Erwartungsstereotyp von Geselligkeit. Es verlangt
Verhalten, Aktivität und Attitüde statt Gespräch und kritischer
Aneignung.
[018:30] 4. Die kollektive Form konsumptiver Aneignung. Sie befördert,
besonders bei Jugendlichen, die Regression in infantiles Verhalten.
[018:31] 5. Die zivilisatorische Perfektion und ihr repressiver Charakter.
Sie reduziert die verbalen Formen der Kommunikation und motiviert die am
geselligen Prozeß Beteiligten in Richtung auf höheren Konsumstandard, |b 248|statt in Richtung auf eine instrumentelle Verwendung
dieses Standards. (Die Formulierung dieser Hypothese ist deshalb wichtig,
weil unter Pädagogen der außerschulischen Jugendbildung häufig die
entgegengesetzte Meinung vertreten wird.)
|a 18|
[018:32] 6. Die Siedlungsstruktur moderner Großstädte. So wie die
bürgerliche Geselligkeit nicht nur ein urbanes Phänomen, sondern die Stadt
eine ihrer wesentlichen Entstehungsbedingungen war, scheint die Art des
modernen Städtewachstums tief in die Gesellungsformen der Menschen, in Art
und Inhalt ihrer geselligen Kommunikation einzugreifenAB√19)
|AB 181|19)Vgl. A. Mitscherlich, Die
Unwirtlichkeit unserer Städte, Frankfurt/Main 1965.
. Zwar befördert die fortschreitende Entwicklung der
Industrielandschaften die Rationalität technischer Planung, ja fordert diese
geradezu als ein Instrument des Überlebens heraus. Ob sie aber zugleich auch
die in geselliger Kommunikation mögliche kritische Reflexion der Bürger,
ihre politisch-rationale Beteiligung am öffentlichen Geschehen begünstigt,
scheint mir mehr als fraglich.
IV.
[018:33] Die Beschreibung müßte detaillierter, der Nachweis von Strukturen
und deren Bedingungen reichhaltiger und weniger lückenhaft geführt werden,
als es hier der Fall war. |A B 131|Ich konnte nur die drei
Typen knapp umreißen und auf ihre gesellschaftlichen Bedingungen hinweisen.
Die Vielfalt der geschichtlichen Formen ging dabei verloren. Eine Erinnerung
an die geselligen Phänomene der Jahre nach dem ersten Weltkrieg, an die Geselligkeit der proletarischen politischen
Bewegungen im 19. Jahrhundert, an die vorbürgerlichen geselligen Formen des
Mittelalters, des städtischen Patriziats, der HanseAB√ genügt, um darauf hinzuweisen, daß es sich in diesen Überlegungen nur
um drei tendenzielle Typen handelt; Typen allerdings, die von der Aufklärung bis heute die größte
gesellschaftliche Bedeutung erlangt haben und für die Erziehungsgeschichte am wirksamsten gewesen sind.
[018:34] Der erste Typus ist der bürgerlich-öffentliche. Er reicht ungefähr
von den englischen Kaffeehäusern (1680) bis zum Salon der Rahel Varnhagen (1805). Sein
Grundbegriff ist die Kritik.
[018:35] Der zweite Typus ist der bürgerlich-affirmative. Er reicht von der
christlich-deutschen Tischgesellschaft der Berliner Romantik bis in die
Jugendbewegung und deren gesellige Nachwehen. Sein Grundbegriff ist der
kulturelle Genuß.
[018:36] Der dritte Typus ist der kollektiv-konsumptive. Er befindet sich
noch im Stadium der Ausbreitung. Sein Grundbegriff ist die Teilnahme am
Verbrauch.
[018:37] Nur die letzten beiden Typen sind für die Entwicklung unseres
Erzie|b 249|hungswesens relevant geworden: der
bürgerlich-affirmative sowohl als pädagogisches Programm wie auch als
Realität der Praxis im musischen Kulturbetrieb von Schulen,
Volkshochschulen, Jugendverbänden usw.; der kollektiv-konsumptive als
Realität jugendlichen Daseins heute, der gegenüber die Pädagogik sich in der
Rolle des Zuschauers vorfindet, ohne diesen vermutlich sehr wirkungsvollen
Faktor im Prozeß des Heranwachsens irgend mit einplanen zu können (dabei soll durchaus noch offen bleiben, ob
eine solche Einplanung überhaupt wünschenswert ist); die jugendliche
Geselligkeit reiht sich gleichsam von sich aus in den Kreis der
erziehungsrelevanten Institutionen ein.
|A B 132|
[018:38] Der bürgerlich-öffentliche Typus hat – metaphorisch gesprochen –
die Niederungen der Pädagogik gar nicht erst erreicht. Er blieb eine Sache
für Erwachsene. Als er sich anschickte, aus seinen Erfahrungen pädagogisches
Kapital zu schlagen, war seine Zeit schon vorbei; die sozialen
Konstellationen des 19. Jahrhunderts begünstigten ihn nicht mehr, sondern
unterdrückten ihn. Unterdrückung aber muß Geselligkeit besonders hart
treffen, wenn es stimmt, worin alle Theoretiker unseres Gegenstandes von
Castiglione über Montaigne, Locke, Knigge, Schleiermacher bis zu dem Soziologen Georg Simmel20)
|AB 181|20)G. Simmel, Soziologie der Geselligkeit, in: Verhandlungen des ersten deutschen
Soziologentages, Tübingen 1911.
sich einig sind: daß der Sinn
von Geselligkeit, die Motive, die die Individuen zu ihr zusammenführen,
Befreiung von dem Druck der ökonomischen und politischen Verhältnisse ist,
und sei diese Befreiung auch nur vorübergehend, und sei sie auch nichts als
eine ideologische Beruhigung und Kompensation unglücklicher Zustände.
[018:39] Würde sich in der Realität gegenwärtiger Geselligkeit, im
kollektiv-konsumptiven Typus nachweisen lassen, daß er nicht nur keine Entlastung bringt, sondern selbst eine Form von
Unterdrückung ist, dann hätten wir Veranlassung genug, vom Ende der
Geselligkeit als einem gesellschaftlich nennenswerten Phänomen zu sprechen.
Vieles deutet darauf hin, daß dem so ist.
[018:40] Eine Reihe von Beobachtungen AB√indessen lassen auch vermuten, daß die Geschichte der Geselligkeit noch nicht an ihr Ende
gekommen sein muß. Es ist ja nicht nur die Aufgabe der Theorie, das
Faktische zu beschreiben und zu erklären, sondern zugleich auch das
Real-Mögliche in ihre Analysen aufzunehmen, besonders in einer Disziplin,
die zu pragmatischer Theorie verpflichtet ist. Sehr detaillierte
Beobachtungen jugendlichen Verhaltens bei städtischen geselligen
Veranstaltungen, in Freizeitheimen und im Tourismus lassen folgendes
vermuten (und manche Ergebnisse der allgemeinen Jugendforschung stützen diese Vermutung21)
|AB 181|21)L. v. Friedeburg, Zum Verhältnis von Jugend und Gesellschaft, in: Jugend in
der modernen Gesellschaft, hrsg. von L. v. Friedeburg, Köln 1965; Jugend|b 250|tourismus, hrsg. im Auftrage der Arbeitsgemeinschaft f. Jugendpflege und Jugendfürsorge und des Studienkreises für
Tourismus von Heinz Hahn, München 1965; Helmut Kentler/Thomas Leithäuser/Hellmut Lessing, Forschungsbericht Jugend im Urlaub, München 1965 (als Manuskript
vervielfältigt).
): die |b 250|kollektiv-konsumptive Geselligkeit bringt den Teilnehmern nicht die
Befriedigung, die sie erhoffen, nicht die Entlastung, die sie brauchen, die
Emanzipation, die sie |A B 133|suchen. Im Vorgang des Teilnehmens und Mitmachens entstehen kurzlebige Verhaltensweisen, Attitüden und Kommunikationsformen, in denen sich so etwas wie eine Gegen-Kultur anzukündigen scheint. Diese Phänomene treten nur in kleineren Gesellungsformen auf und meist dort, wo ein besonders starker Druck durch den öffentlichen Konsumstandard empfunden wird, oder wo überhaupt – z. B. an den Küsten Siziliens – die
vertraute Sozialwelt suspendiert ist. Die bisweilen anzutreffende Findigkeit
Jugendlicher im Erdenken erotisch-sexueller Spiele und ihre allgemeine
Konzentration auf diesen Bereich ist nicht ein jugendgefährdendes Phänomen,
sondern weist auf die sozialen Repressionen hin, die so stark sind, daß
einzig in diesem Bereich das Bedürfnis nach AB√Glück sich eine Befriedigung verspricht.
[018:41] Solche Beobachtungen, ließen sie sich durch weitere signifikant
unterstützen, könnten zu Tage bringen, daß die zu Beginn des 19.
Jahrhunderts abgebrochene Entwicklung einer emanzipierten Geselligkeit nicht
bereits den Anfang vom Ende ihrer Geschichte bedeutet. Für die Entwicklung
eines demokratischen Erziehungswesens und den Fortschritt der Emanzipation
wäre dieser Sachverhalt von besonderer Wichtigkeit, da vermutlich mit der
andauernden Vergrößerung des sogenannten Freizeitbereichs auch die Bedeutung
der Bildungsmotivationen wachsen werden, die von hier kommen oder ausbleiben. Die Formen von Geselligkeit,
die die Gesellschaft hervorzubringen imstande sein wird, werden dabei kein
unerheblicher Faktor sein. Zum Optimismus freilich besteht wenig Anlaß.
AB
Zur pädagogischen Theorie der Geselligkeit
AB
[018:1] Die Beschäftigung mit pädagogischen Problemen
der Geselligkeit könnte leicht vermuten lassen, daß hier ein
abseitiges Thema dem akademischen Rückzug in die Idylle dienen soll.
Der Begriff Geselligkeit läßt sich dem Leistungsprinzip unseres
Bildungswesens kaum zuordnen, er scheint bildungspolitisch ohne
Bedeutung zu sein, er hat es auf den ersten Blick eher mit Amusement und Zeitvertreib als mit
ernsthaftem Lernen zu tun. Erinnerungen an das Biedermeier, an
Dorflinden und die Volkstümelei der Jugendbewegung geben der Skepsis
anscheinend recht. Die Jazzkeller-Kulturen der fünfziger Jahre,
Gammler-Parties und Hippie-Feste und das zur pädagogischen
»Methode«
geronnene Entertainment der
Freizeitgeselligkeit in
»Heimen der offenen Tür«
scheinen die Reihe der Traditionen lediglich mit anderen Mitteln
fortzusetzen. Gilt das auch für die eigentümlich spröde
Geselligkeit, die für politische Studenten- und Schülergruppen seit
einigen Jahren charakteristisch ist? Gerade hier, so könnte man
meinen, zeigt sie sich als ein höchst unwichtiges Anhängsel
politischer Aktivität, als unbedeutende Begleiterscheinung eines
Lernens in Gruppen, das ganz andere Absichten verfolgt.
AB
Ist es also Ironie, die die Wahl des Themas
nahelegt?
AB
ø
AB
ø
AB
,
AB
folgenden
AB
.
bAB
1
AB
Nohl
AB
Nohl
b
Pädagogische
Aufsätze
AB
²
AB
ø
AB
ø
AB
.
bAB
2
AB
ø
AB
[018:3a] Für die weitere Entwicklung der Pädagogik
ist Herbart
einflußreicher geblieben als Schleiermacher. Die Ansätze einer
pädagogischen Reflexion im Hinblick auf die Bildungsbedeutung
von Geselligkeit verschwanden wieder, kaum daß sie entstanden
waren. Diese Verkümmerung im theoretischen Horizont einer
wissenschaftlichen Disziplin wäre, da es sich ja nur um ein
geringes Detail handelt, unerheblich, wenn sie nicht bedeutenden
Symptomwert hätte. Diesen symptomatischen Charakter
nachzuweisen, will ich im folgenden versuchen.
[018:3b] Schlaglichtartig
wird das gemeinte Problem deutlich in einer Bemerkung Herman
Nohls vom Jahre 1915: es zeige sich, daß die
Geselligkeit der Salons
»kein wirkliches Bedürfnis deutscher Art
ist, wie denn auch die deutsche Frau in ihrer echtesten
Erscheinung zu einer solchen Leistung nicht be|A B 121|stimmt ist«
.
1
H. Nohl, Vom deutschen Ideal der Geselligkeit, in: H. Nohl, Pädagogische
Aufsätze, Langensalza ²1929, S. 132.
Statt dessen wird die Geselligkeit der Jugendbewegung
empfohlen:
»Diese neue Geselligkeit kennt nur
Tätige, und diese Selbsttätigkeit wird das Prinzip der
Lebensführung überhaupt. Man meidet Gasthäuser, man
kocht und |b 241|baut«
.
2
A. a. O., S.
133.
Damit war die Bahn frei für die pädagogische
Rechtfertigung eines Typus von Geselligkeit, der mit der
bürgerlichen Geselligkeit von Aufklärung, Klassik und Romantik
kaum mehr als den Namen gemeinsam hat. Der in genauen
Interpretationen von Nohl vorgenommene Rückgriff auf die Texte Garves, Schillers, Fichtes
und Schleiermachers im ersten Teil seines Aufsatzes
hatte sich nicht gelohnt. Im ideologischen Schluß wird das
anfangs gesammelte Kapital wieder verspielt.
[018:3c] Ich möchte nun
in meinen Erörterungen zeigen,
b
bürgerliche Geselligkeit der
Aufklärung
b
Ort der Emanzipation war, der
eine politisch bildende Funktion erfüllte
AB
;
AB
;
AB
;
b
I.[Sandra Berkefeld]
I
AB
Die bürgerlich-aufgeklärte Geselligkeit
AB
Betragens
b
,
b
,
bAB
3
AB
F.
AB
Schleiermacher
b
Versuch[Sandra Berkefeld]
Versuche
AB
F.
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Schleiermacher
b
Ausgewählte
Werke
AB
hrsgg.
AB
Braun
AB
.
bAB
4
AB
Stephen
b
English Literature and Society
in the 18th Century
AB
ø
bAB
Kaffeehäuser
AB
.
bAB
5
AB
Gleichen-Rußwurm
b
Das galante Europa
AB
,
AB
Habermas
b
Strukturwandel der
Öffentlichkeit
AB
ø
bAB
bezug
AB
auch
AB
ø
AB
.
bAB
6
AB
Roessler
b
Die
Entstehung des modernen Erziehungswesens in
Deutschland
AB
ø
AB
.
bAB
7
AB
Arendt
b
,
b
Lebensgeschichte einer deutschen Jüdin aus der
Romantik
AB
Spiel
b
Fanny
von Arnstein oder die Emanzipation
b
Zeitenwende[Sandra Berkefeld]
Zeitwende
AB
ø
bAB
nicht
AB
.
bAB
8
AB
Marcuse
AB
Marcuse
b
Kultur
und Gesellschaft I
AB
ø
AB
zu erheben vermeint
bAB
9
AB
.
bAB
10
AB
ø
AB
.
bAB
11
AB
v. Humboldt
b
Werke
in fünf Bänden
AB
hrsgg.
AB
Flitner
AB
Giel
AB
ø
AB
wir finden sie
AB
ø
AB
Die
bAB
12
AB
Veblen
b
Theorie der feinen Leute
AB
,
b
Angelegenheit
bAB
dienstbar
bAB
extensive
AB
,
AB
Die bürgerlich-affirmative Geselligkeit
bAB
widerspiegelnd
AB
.
bAB
13
AB
Arendt
AB
ø
bAB
Philistern
bAB
14
AB
Arendt
bAB
15
AB
Riehl
b
Die Familie
AB
¹²
AB
ø
AB
ø
AB
.
bAB
16
AB
Das zu einer Zeit, als die proletarische Familie
wahrhaftig andere als Spinnstubenprobleme zu lösen hatte!
b
der
AB
,
b
Herman[Sandra Berkefeld]
Hermann
AB
formulierte
bAB
17
AB
Nohl
AB
der schlechten
AB
mancher Zeitgenossen
AB
Die Geselligkeit des kollektiven Konsums
b
geselliges,[Sandra Berkefeld]
geselliges
AB
denkbares
AB
ø
AB
dieses Typs
AB
›group
activities‹
bAB
18
AB
Habermas
AB
.
bAB
19
AB
Mitscherlich
b
Theorie der feinen Leute
AB
ø
AB
Geselligkeit und Pädagogik
AB
Ersten
AB
, der[Lasse Clausen]
der poetischen Gesellschaften des Barocks
b
,
AB
erlangten
AB
waren
AB
irgendwie
bAB
20
AB
Simmel
b
Verhandlungen des ersten deutschen
Soziologentages