1.2 Autorität und Familie
[V47:128] Die Resultate der Studien über den
Zusammenhang von
»Autorität und Familie«
(E. Fromm
1936) fassen wir in folgenden Thesen
zusammen:Thesen
-
1.
[V47:131] In der bürgerlichen Gesellschaft ist der
soziale Ort der Bildung des Charakters – und damit psychische Vermittlungsagentur zwischen
Gesellschaft und Individuum – vor allem die Familie in den Jahren der
Kindheit.
-
2.
[V47:132] Medium dieser
Charakterbildung sind die durch die Struktur der Familie
vorgezeichneten Interaktionen innerhalb der Familie und die
psychischen Verarbeitungsweisen der damit einhergehenden
Erfahrungen.
-
3.
[V47:129] Resultat dieser
»Vergesellschaftung«
des Menschen ist eine
spezifische Formung des Charakters, der die Individuen zur
Unterwerfung unter Autoritäten disponiert.
-
4.
[V47:130] Diese Formung des Charakters wird
»autoritärer Charakter«
genannt.
Er hat sein Fundament in einer besonderen, dem
Bewußtsein nur schwer zugänglichen Zurichtung der seelischen
bzw. Triebstruktur.
-
5.
[V47:133] Die erzeugte
Autoritätsbindung der heranwachsenden Menschen bindet sie an die herrschenden Verhältnisse
ungeachtet dessen, daß diese als ökonomische und politische
Organisationsform objektiv überholt sein mögen. Sie legt die Menschen auf einen bestimmten Verhaltenstypus fest und hindert sie zudem an der Einsicht, daß diese
gesellschaftliche Organisationsform nicht allein die
Entfaltung ihrer produktiven Möglichkeiten hemmt, sondern zunehmend
die Lebensbedingungen selbst |A 29|gefährdet und zerstört.
[V47:141] Eine wesentliche
geschichtliche Voraussetzung dafür, daß die Familie hier derart hervorgeheben wird, ist einerseits der Umstand, daß der Sozialisationsprozeß in der
bürgerlichen Gesellschaft sich zunehmend in dem scheinbar außergesellschaftlichen Raum der
familialen Privatsphäre institutionell verselbständigte.
Dadurch entzieht sie sich auf Grund ihres privaten und zum Teil intimen
Charakters der |B 16|totalen
Vergesellschaftung. Denn sie gehorcht nicht allein den
gesellschaftlich herrschenden Gesetzen von Warenproduktion
und Warentausch, Über- und Unterordnung, Verausgabung der
Arbeitskraft und deren Regeneration. Die mütterliche Zuwendung und Sorge, die väterlichen Funktionen des Schutzes und der Lebensvorsorge, die Bindung an das biologische Generationenverhältnis, die Emotionalität der Beziehungen
zwischen den Familienmitgliedern sind Elemente
solcher Privatisierung.
[V47:198] Andererseits aber ist dieser
(seit dem 18. Jahrhundert deutlicher zu beobachtende) Prozeß
eng mit der Ökonomischen Entwicklung verknüpft: Für die
bürgerliche Familie (die
»proletarische«
nimmt zunächst eine andere Entwicklung) trennen sich Stätte
der Erziehung und Stätte der Arbeit bzw. der produktiven
Haushaltsverrichtungen; das Produktionsmittel-Eigentum des
Vaters geht an den Sohn über; die geschlechtsspezifische
Arbeitsteilung zwischen Mutter und Vater bleibt bestehen;
die Phase der Unselbständigkeit der Kinder :wird verlängert;
das emotionale Klima der Familie fungiert als Kompensation
der Belastungen durch die Arbeit. Derartige Beobachtungen
gehören inzwischen zum allgemein akzeptierten Bestand des
Wissens über die soziale Lage der Familie und ihrer
Geschichte. Einen knappen Überblick finden Sie bei
[V47:199]
K. Mollenhauer/M. Brumlik/H. Wudtke: Die Familienerziehung, München
1975, genauere Informationen bei
[V47:200]
H. Rosenbaum (Hrsg.): Seminar: Familie und
Gesellschaftsstruktur, Frankfurt/M. 1978
[V47:201] Das Charakteristische der oben aufgeführten 5
Thesen liegt Der Widerspruch in der
bürgerlichen Familienun – im Unterschied zu
anderen Familienforschern (z.B. H. Schelsky, R. König) – darin, daß jene zwei Datengruppen
»dialektisch«
miteinander verknüpft
werden. Die Entstehung eines familialen Binnenraumes, der
anders ist als die Welt der Produktion, der Ökonomie, der
politischen Herrschaft, wird gleichsam
»doppelt«
gedeutet:
-
–
[V47:202] Dieser Binnenraum bedeutet einerseits
einen Gewinn an Unabhängigkeit des Kindes von den
Zumutungen des Lebens der Erwachsenen, einen Gewinn an
Schutz, einen Gewinn an ungestörter Bildungszeit.
-
–
[V47:203] Er bedeutet aber andererseits auch, daß
dem Kind der gesellschaftliche Sinn und die Richtung
seiner Bildung verborgen bleiben können. Es ist nämlich
für das Kind nicht mehr anschaubar, auf welche Weise die
Regeln des Familienlebens mit den Regeln der produktiven
Existenz des Erwachsenenlebens zusammenhängen.
|B 17|
[V47:204] Die relative Unabhängigkeit, die die bürgerliche
Familie und ihr Kind einerseits gewinnen, führt andererseits
wiederum in Abhängigkeit. Es wird also eine eigentümliche
Ambivalenz (Mehrdeutigkeit) der modernen Familie behauptet;
und daraus entstehen häufig Mißverständnisse, je nachdem,
welche der beiden Seiten gerade in den Vordergrund der
Betrachtung rückt, auf welche der beiden Deutungen ein Leser
oder Hörer empfindlicher reagiert. Wir erläutern dieses
Problem dadurch, daß wir noch einmal auf die 5 Thesen
ø [Lasse Clausen]
ein- eingehen.
[V47:205] Die erste These behauptet,
daß in der
»
bürgerlichenFamilie als
»Vermittlungsagentur«
zwischen Individuum und
Gesellschaft Gesellschaft«
– also in den
ersten Anfängen ungefähr mit Renaissance und Reformation
(15./16. Jahrhundert) beginnend, geschichtlich deutlich
erkennbar im 18. Jahrhundert – die Familie zur
»Vermittlungsagentur zwischen Gesellschaft
und Individuum«
wird. Im privaten, von der sozialen
Öffentlichkeit zunehmend stärker abgeschirmten Intimraum
bekommt das Heranwachsende Kind seine erste
gesellschaftliche Form, und es entsteht auch ein
gesellschaftliches Bewußtsein von dieser Funktion der
Familie. Im Anschluß an Helvetius (1715–1771) formuliert Horkheimer diese neue Funktion so:
[V47:206]
»Unter den Verhältnissen, welche die
seelische Prägung des größten Teils aller Individuen
sowohl durch bewußte als durch unbewußte Mechanismen
entscheidend beeinflussen, hat die Familie eine
ausgezeichnete Bedeutung. Die Vorgänge in ihr formen das
Kind von seinem zartesten Alter an und spielen bei der
Entfaltung seiner Fähigkeiten eine ausschlaggebende
Rolle. So wie im Medium dieses Kreises die Wirklichkeit
sich spiegelt, erfährt das Kind, das in ihm aufwächst,
ihren Einfluß. Die Familie besorgt, als eine der
wichtigsten erzieherischen Mächte, die Reproduktion der
menschlichen Charaktere, wie sie das gesellschaftliche
Leben erfordert ...«
(Fromm, E.:/u.a. 1936, S. 49f.)
[V47:207] Wir wollen diese Behauptung noch mit einigen
Sätzen erläutern:
[V47:208] Wenn es heißt, die Familie besorge
»die Reproduktion der menschlichen
Charaktere,wie sie das gesellschaftliche Leben
erfordert«
, dann richtet sich das gegen eine
Auffas|B 18|sung, nach der die Familie
vorwiegend der Hort des Allgemein-Menschlichen sei, ein Ort,
an dem das Kind nicht für die geschichtlich besonderen
gesellschaftlichen Verhältnisse gebildet werde, sondern
vornehmlich im Hinblick auf das
»Menschentum«
in ihm, weshalb es auch sinnvoll sei,
die Familie als gleichsam
»ewige«
Institution zu betrachten. Die Kritische Theorie – hier
Horkheimer – behauptet
demgegenüber, daß die Erfordernisse des
»gesellschaftlichen Lebens«
sich bis in den
intim-privaten Bereich der Familienverhältnisse hinein
Geltung verschaffen. Die Familie hängt
»nicht nur von der geschichtlich konkreten
gesellschaftlichen Realität ab«
, (in dem Sinne
beispielsweise, in dem die empirische Sozialisations- und
Familienforschung einen Zusammenhang zwischen Armut und
Familienleben
ermittelt [Lasse Clausen]
eremittelt),
»sondern ist bis in ihre
innerste Struktur hinein gesellschaftlich vermittelt«
(Institut
für Sozialforschung: Soziologische Exkurse,
Frankfurt/M. 1956).
[V47:209] Das heißt: Sie ist nicht
übergeschichtlich-allgemein, sondern geschichtlich-typisch,
bringt nicht Menschen überhaupt hervor, sondern bestimmte
»Sozialcharaktere«
. Das geschieht
dadurch, daß in den Familien, die der gleichen
gesellschaftlichen Formation angehören, der
Sozialisationsprozeß im Prinzip nach den gleichen Mustern
abläuft und zu gleichartigen Resultaten führt. Deshalb kann
man sagen, daß die so erzeugte sozialtypische
Charakterstruktur die individuelle Verschiedenheit
überwiegt, und dies, obwohl es seit der Renaissance zum
Grundbestand bürgerlicher Überzeugungen gehört, gerade die
Individualität der sozialen Typik entgegenzusetzen.
[V47:210] Wie kann man sich nun vorstellen, daß und auf
welche Weise das
»gesellschaftliche
Leben«
sich
»bis in die innerste
Struktur«
der Familie hinein Geltung verschafft?
[V47:211] Das ist Gegenstand der zweiten
These: Es sind die Familiale
InteraktionInteraktionen und die psychischen
Verarbeitungsweisen. Was heißt das?
|B 19|
[V47:212] E. Fromm erläutert das im
Hinblick auf die Beziehung zwischen Vater und Sohn am
Beispiel einer Kleinbauernfamilie, und zwar
»idealtypisch vereinfacht«
:
[V47:213]
»Für den Bauern ist, durch seine
ökonomische und soziale Situation bedingt, jedes
Familienmitglied in allererster Linie eine
Arbeitskraft, die er bis zum möglichen Maximum
ausnutzt. Jedes neuankommende Kind ist eine
potentielle Arbeitskraft, deren Nutzen allerdings
erst dann in Erscheinung tritt, wenn das Kind alt
genug ist, um mitzuarbeiten. Bis dahin ist es nur
ein Esser, mit dem im Hinblick auf seine spätere
Verwertung vorlieb genommen wird. Hierzu kommt, daß
dieser Bauer auf Grund seiner Klassensituation einen
Charakter entwickelt hat, in dem der vorherrschende
Zug die maximale Ausnutzung aller ihm zur Verfügung
stehenden Menschen und Güter ist und in dem Liebe,
das Streben nach dem Glück der geliebten Person um
ihrer selbst willen, ein kaum entwickelter Zug ist.
Der Vater steht dem Sohn von vornherein in einem
Verhältnis gegenüber, das kaum durch Liebe und
wesentlich durch Feindseligkeit und durch die
Tendenz der Ausbeutung charakterisiert wird. Aber
die gleiche Feindseligkeit wird sich, wenn er älter
ist, auch beim Sohn entwickeln. Alter und Tod des
Vaters können den Sohn davon befreien, Objekt der
Ausbeutung zu sein, und ihm einmal eine
Entschädigung für alles Erlittene dadurch gewähren,
daß er selbst zum Herrn wird. Das Verhältnis beider
wird einen Zug der Todfeindschaft tragen, und das
wirft seine Schatten auf die Einstellung des Vaters
voraus, wenn ein neuer Sohn auf die Welt kommt.
Diese Atmosphäre bestimmt wesentlich auch die
Reaktion und die psychologische Gesamtentwicklung
des heranwachsenden Sohnes.«
(Adorno, Th. W.: Studien über Autorität und
Familie, S. 89)
[V47:214] Für die Bauernfamilie der Gegenwart trifft diese
Behauptung wohl nicht mehr zu; auch im 19. Jahrhundert mag
es nicht in jedem Fall so gewesen sein. Aber auf die Frage,
ob die Beschreibung empirisch zutrifft, kommt es uns hier
weniger an, als darauf, auf welche Weise die Kritische
Theorie argumentiert, welche Art von Daten sie in ihren
Hypothesen zu verknüpfen sucht; und das wird in dem
zitierten Text recht deutlich:
-
–
[V47:215] Die
»ökonomische und
soziale Lage«
bedingt, als was die
Familienmitglieder sich wechselseitig sehen, vor allem:
in welcher Hinsicht dem Bauern sein Sohn wert
ist.
-
–
[V47:216] Diese Sichtweise des Bauern-Vaters
betrifft nicht nur die Gegenwart des Sohnes, sondern
auch seine Zukunft.
- |B 20|
-
–
[V47:217] Zwar
»liebt«
auch der
Bauer seinen Sohn; die damit gegebene Art der Beziehung
aber tritt zurück, wird von der ökonomischen Sichtweise
dominiert.
-
–
[V47:218] Da der Sohn weiß, daß auch er einmal zum
»Herrn«
wird, schickt er sich in
die Gehorsamsforderungen des Vaters und die Ausbeutung
seiner Arbeitskraft.
-
–
[V47:219] Dies alles formt die Arten des Umganges
zwischen Vater und Sohn (Interaktion) bis in die
alltäglichsten Situationen hinein.
-
–
[V47:220]
»Diese Atmosphäre«
,
d.h. die Dauerhaftigkeit und Unausweichlichkeit dieses
Typs von Interaktionen greift in den seelischen und
Triebhaushalt, in die
»psychologische
Gesamtentwicklung«
des Sohnes ein; sie formt
seinen Charakter derart, daß er – sofern die
ökonomischen Bedingungen gleich bleiben – so wird wie
sein Vater, einen dieser Lage entsprechenden
»Sozialcharakter«
annimmt.
[V47:221] E. Fromm vergleicht diese
Familiensituation mit der des Proletariers im 19.
Jahrhundert, mit der einer Arztfamilie und eines Postbeamten
(a.a.O., S. 89
ff.). Er will damit zeigen, daß es
sinnvoll und notwendig ist, nicht von
»der«
Familie allgemein zu sprechen, sondern Familien
je im Kontext typischer gesellschaftlicher Situationen zu
beschreiben, weil nur so deutlich werde, was die einzelnen
Interaktionen für das Leben der Familienmitglieder bedeuten.
Die entscheidenden Komponenten der Familiensituation sind
dabei (um es noch einmal zusammenzufassen):
-
–
[V47:222] die ökonomische Lage,
-
–
[V47:223] die wechselseitige Definition der
Familienmitglieder (das, als was sie sich sehen),
-
–
[V47:224] das Verhältnis der verschiedenen
Sichtweisen zueinander,
-
–
[V47:225] die damit korrespondierenden
Interaktionen,
-
–
[V47:226] die auf diese Weise hervorgebrachte
Struktur des Charakters.
Aufgabe 1
[V47:227] Versuchen Sie, in der
Beschreibung einer Ihnen bekannten Familie (z.B. auch Ihrer
eigenen) zu prüfen, ob die Verwendung der genannten
Gesichtspunkte zum Verständnis dessen verhilft, was es
heißt, daß
»das gesellschaftliche Leben«
sich
»bis in die innerste Struktur«
der
Familie hinein Geltung verschafft.
[V47:228] Innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft gibt es
also, nach Meinung der Kritischen Theorie, durchaus
verschiedene Typen von Familien (Bauernfamilie,
Arbeiterfamilie, Angestelltenfamilie, Akademikerfamilie
usw.). Aber dennoch haben sie alle etwas Gemeinsames, das
mit der historischen Formation
»Bürgerliche
Gesellschaft«
von ihren Anfängen bis in ihre hoch-
und spätkapitalistischen Phasen zusammenhängt: die
eigentümliche Form, die das Problem der Autorität angenommen
hat, sowohl nach seiner gesellschaftlichen als auch nach
seiner psychischen Seite hin. Das ist in unseren Thesen 3-5
angesprochen. Sie sollen nun erläutert werden.
1.3 Der autoritäre Charakter
[V47:229] In der dritten These hieß es,
daß die gerade skizzierten Interaktionen in der Familie samt
ihren Bedingungen dazu führen, daß die heranwachsenden
Individuen zur Unterwerfung unter Autoritäten
disponiert werden. In den
»Studien über
Autorität und Familie«
werden zur Erläuterung
dieser Behauptung drei Argumentationen zur Diskussion
gestellt:
[V47:230] Mit-Hilfe von ideengeschichtlichen
Argumenten wird gezeigt, wie:durch einige
frühbürgerliche Lehren, besonders Luthers
und Calvins, eine Bereitschaft der Menschen
erzeugt oder doch mindestens bestärkt wurde, gegen
gesellschaftliche Autoritäten nicht zu opponieren, sondern sie
anzuerkennen, und zwar auch dann, wenn ihre Legitimität nicht
einsichtig ist.
[V47:231] Mit Hilfe von ökonomiegeschichtlichen
Argumenten wird gezeigt, wie diese Art der Anerkennung
von Autoritäten (die als religiöse Gebote in Erscheinung treten
können, aber auch abstrakter als
»Naturnotwendigkeiten«
oder
»Sachzwänge«
) die Arbeitsamkeit des Menschen steigert,
ihn aber zugleich stärker an die so geschaffenen Formen der
Arbeit bindet.
[V47:232] Mit Hilfe von sozialpsychologischen
Argumenten wird gezeigt, wie man es erklären könnte,
daß jener oben zitierte Bauernsohn nun nicht nur seinem Vater
gehorsam ist (das wäre noch relativ leicht verständlich, erhält
er doch als Gegenleistung gegen den aufgebotenen Gehorsam das
Erbe), sondern bereit ist, gesellschaftliche
Autorität überhaupt fraglos zu akzeptieren. Denn eben
dies glauben die Autoren der
»Studien«
in
allen Schichten der bürgerlichen Gesellschaft zu erkennen.
[V47:146a] Im
klassisch-bürgerlichen
›Idealfall‹
verbindet sich also Die Funktion des
Vatersder familialeMachtanspruch des Vaters mit seiner lebenserhaltenden
ökonomischen Funktion für die
›Seinen‹
.
Dadurch
»wird die Kindheit in der
Kleinfamilie zur Gewöhnung an eine Autorität, welche
die Ausübung einer qualifizierten gesellschaftlichen
Funktion mit der Macht über Menschen in
undurchsichtiger Weise vereinigt.«
(KT I, 339)
|B 23|
[V47:146b] Freilich entbehrt dieses
Autoritätsverhältnis nicht einer partiellen Rationalität.
Zwar zwingt die fraglose, sittlich überhöhte väterliche
Autorität dem Kinde ein äußerstes Maß von Triebunterdrückung
und Pflichterfüllung ab; zugleich aber bietet der Vater auf
Grund seiner tatsächlichen Stellung dem Kinde (dem Sohn) die Chance, den durch diese Unterdrückung
bedingten Konflikt
›realistisch‹
zu
lösen. Durch die identifikatorische Unterwerfung unter die
väterlichen Forderungen, durch deren Übernahme ins eigene
Selbst (als Forderungen des Über-Ichs) kann das Kind werden wie der (idealisierte!) Vater selbst, an dem es
zugleich ein Vorbild erfolgreicher Realitätsbewältigung
hat.
[V47:233] Wir lassen dazu hier noch einmal ein Zitat folgen,
allerdings nicht aus den
»Studien«
, sondern aus den
zwanzig Jahre später erschienenen
»Soziologischen
Exkursen«
:
[V47:234]
»
Gerade die Sphäre der Intimität, die an
der Familie entscheidend dünkt, ist gesellschaftlichen
Wesens und nicht zu trennen von dem Prinzip der
Lohnarbeit, das während der Entfaltung der bürgerlichen
Gesellschaft sich durchsetzte. Der Antike war diese
Intimität ganz fremd; Platons Phaidon zufolge schickt
Sokrates, der sonst gerade für Innerlichkeit spricht,
vor seinem Tod die nächsten Angehörigen hinaus, um
ungestört sich mit seinen Freunden unterhalten zu
können. Erst in der neueren Zeit transponierte die
Familie die Anforderungen der Gesellschaft ins Innere
der ihr Anvertrauten, machte sie zu deren eigener Sache
und
»verinnerlichte«
die Menschen
dadurch. Damit sie in der harten Welt der Lohnarbeit und
ihrer Zucht nicht verzweifelten, sondern ihren Mann
stellten, genügte es nicht, dem pater familias bloß
gehorsam zu sein, sondern man mußte ihm gehorsam sein
wollen:
»Fürchten und Lieben«
gebietet Luther in einem Atem. Schonungslosigkeit gegen
sich und andere mußte den Individuen zur zweiten Natur
werden. Die Unterordnung unter den kategorischen
Imperativ der Pflicht wurde zwar erst von Kant
prinzipiell formuliert, aber die bürgerliche
Gesellschaft hatte es von Anbeginn darauf abgesehen. Sie
folgte aus dem Gebrauch der Vernunft. Wer nur nüchtern
genug und ohne Ablenkung die Welt betrachtet, muß
erkennen, daß er sich fügen, sich unterzuordnen hat; wer
es nach bürgerlichem Ideal zu etwas bringen, ja wer
nicht untergehen will, muß es anderen recht machen
lernen.«
(Institut
für Sozialforschung: Soziologische Exkurse,
Frankfurt/M. 1956, S. 121)
[V47:235] Aber immer noch bleibt bei solchen Behauptungen
offen, wie nun die
»Verinnerlichung«
geschieht, wie diese
»Zurichtung«
des
Menschen zu denken ist.
[V47:236] Wir formulierten ja in der vierten
These, daß es sich bei dieser Formung des Charakters
unreine Zurichtung der Triebstruktur
handele.
|B 24|
[V47:153] Vor allem Erich
Fromm
hat die Triebtendenzen und seelischen Mechanismen
untersucht, die der charakterbedingten Autoritätsbindung
zugrunde liegen. (Fromm E.: Sozialpsychologischer Teil, in: Studien über Autorität und Familie, 1936).
[V47:154a] Für den Fortbestand jeder Gesellschaftsform stellt sich das Problem, die Mitglieder zur Anerkennung oder
wenigstens zur Hinnahme der Produktions- und
Herrschaftsverhältnisse und der daraus hervorgehenden
gruppen- und klassenspezifischen Privilegien und
Beschränkungen zu veranlassen.
[V47:154b] Psychologisch betrachtet lautet die
Frage: Wie muß der Prozeß der Persönlichkeitsbildung
verlaufen, damit die Individuen die mehr oder weniger große
Diskrepanz zwischen den beschränkten Befriedigungs|A 36|möglichkeiten
einerseits, den
›überschießenden‹
Triebansprüchen und Bedürfnissen andererseits in sozial
angepaßter Weise bewältigen? – oder: Wie kann die
potentielle Bedrohung der herrschenden Ordnung durch die an
der Befriedigung gehinderten Bedürfnisse psychisch
neutralisiert werden – auch und gerade dann, wenn der
geforderte Verzicht entgegen den eigenen Interessen
geleistet werden soll? Fromm
beantwortet diese Frage mit Hilfe des psychoanalytischen
Modells,Es, Ich und Über-Ich das die verschiedenen psychischen
Funktionen der Persönlichkeit unter drei angenommenen seelische Instanzen – Es, Ich und Über-Ich – (Vgl. Glossar und die einführende Literatur!).
[V47:154c] Der in der bürgerlichen Gesellschaft
herrschende Charaktertypus scheint ihm nun ein solcher zu sein, in
dem ein mächtiges Über-Ich ein nur schwach ausgebildetes
Ich beherrscht und in dem die Triebe (Es) vorwiegend auf masochistische (aber
auch sadistische) Befriedigungsformen hin orientiert
werden.
[V47:237] Das Über-Ich bildet sich durch den Wunsch des Sohnes,
wie der Vater zu sein. Die Art, in der der Vater sich dem .Sohn
gegenüber gibt, seine Autorität, bildet gleichsam in dem Sohn
die wesentlichen Züge dieses
»Vater-Seins«
ab
und wird damit zu einem Teil der Seele, dem
»Über-Ich«
. Dieses Über-Ich übernimmt zunehmend mehr, was
zunächst der Vater besorgte: Über die Einhaltung der moralischen
Gebote zu wachsen. Für die
Problemstellung der Kritischen Theorie ist nun |B 25|bedeutsam, daß die
internalisierte familiale Autorität (das Über-Ich) in
beständiger Wechselwirkung mit den gesellschaftlichen
Autoritäten steht, sich dadurch festigt und zugleich
gesellschaftlichen Bewegungen anpaßt:
[V47:165]
»Das Verhältnis Über-Ich: Autorität ist
dialektisch. Das Über-Ich ist eine Verinnerlichung der
Autorität, die Autorität wird durch Projizierung der
Über-Ich-Eigenschaften auf sie verklärt und in dieser
verklärten Gestalt wiederum verinnerlicht. Autorität und
Über-Ich sind voneinander überhaupt nicht zu trennen.
Das Über-Ich ist die verinnerlichte äußere Gewalt, die
äußere Gewalt wird so wirksam, weil sie |A 39|Über-Ich-Qualitäten erhält.«
(Fromm, E.: a.a.O., S. 85)
[V47:167]
»Das Kind soll glauben, die Eltern lögen nie und erfüllten tatsächlich alle die moralischen Forderungen,
die sie dem Kinde auferlegen ... Gerade in diesem Stück der
Familienerziehung zu den moralischen Qualitäten, die das
Kind von Anfang an als mit der Autorität verknüpft sehen
lernt, liegt eine ihrer wichtigsten Funktionen bei der
Erzeugung des autoritären Charakters. Es gehört gewiß zu den
schwersten Erschütterungen im kindlichen Leben, wenn es
allmählich sieht, daß die Eltern in Wirklichkeit den eigenen
Anforderungen nur wenig entsprechen. Aber indem es durch die
Schule und später durch die Presse usw. neue Autoritäten an
die Stelle der alten setzt, und zwar solche, die es nicht
durchschaut, bleibt die ursprünglich erzeugte Illusion von
Moralität der Autorität bestehen. Dieser Glaube an die
moralische Qualität der Macht wird wirkungsvoll durch die
ständige Erziehung zum Gefühl der eigenen Sündhaftigkeit und
moralischen Unwürdigkeit ergänzt. Je stärker das
Schuldgefühl und die Überzeugung eigener Nichtigkeit ist,
desto heller strahlt die Tugend der Oberen. Der Religion und
strengen Sexualmoral kommt die Hauptrolle bei der Erzeugung
der für das Autoritätsverhältnis wichtigen Schuldgefühle
zu.«
(Fromm, E.: a.a.O., S. 130)
[V47:168] Fromm
bezeichnet diesen Charaktertypus als masochistischMasochismus und bringt damit zum Ausdruck, daß der
Charakterzug der Unterwerfungsbereitschaft auch Befriedigung
verschaffe. Worauf aber beruht die (behauptete) Lust an der
Unterwerfung, die doch immer auch Selbstaufgabe ist?
[V47:169] Wenn es infolge der Familienstruktur
und der in der Erziehung wirksamen Zwangsmoral zu einer starken
Ich-Entwicklung nicht kommen kann und das Erheben eigener
Ansprüche zugunsten der Identifikation mit den sozialen
Autoritäten aufgegeben wird, bietet der Masochismus eine
adäquate Lösung:
|B 26|
[V47:170]
»Die im Masochismus liegende
Befriedigung ist von negativer und positiver Art:
negativ als Befreiung von Angst, beziehungsweise
Gewährung von Schutz durch Anlehnung an eine gewaltige Macht, positiv als Befriedigung
der eigenen Wünsche nach Größe und Stärke durch das
Aufgehen in der Macht.«
(Fromm, E.: a.a.O., S. 123)
[V47:174] Außerdem hat das
»Autoritäre
Individuum«
schon in der familialen Sozialisation gelernt,
[V47:175]
»... jeden Mißerfolg nicht bis zu seinen
gesellschaftlichen Ursachen zurückzuführen, sondern bei den
individuellen stehenzubleiben und diese entweder religiös
als Schuld oder naturalistisch als mangelnde Begabung zu
hypostasieren.«
(Horkheimer, M.: Autorität und Familie, S. 125)
[V47:238] Das alles sind freilich nur grobe Skizzierungen der
Problemstellung. Eine wirklich befriedigende Darstellung müßte
viel genauer auf die psychoanalytische Theorie Bezug nehmen und
auch sich präziser auf die historischen Details einlassen. Das
ginge jedoch entschieden über die Absicht dieser Studieneinheit
hinaus, in der es uns ausschließlich darauf ankommt, die Art der
Problemstellungen der Kritischen Theorie deutlich zu machen. Die
empirischen Antworten dürfen demgegenüber zurücktreten, zumal
ungewiß ist, ob sie bei genauer Prüfung derart zuverlässig und
eindeutig sind, wie die Verfasser der
»Studien«
1936 annahmen.
[V47:239] Mindestens eine Schwierigkeit war schon
konstatierbar, als die Kritische Theorie ihre ersten Konzepte
entwickelte. Wir haben sie in der fünften
These formuliert. Jene Krise der
Autorität und
»Faschistischer
Charakter«
Autoritätsbindung, die für Familien- und
Erbverhältnisse der Bourgeoisie im 19. Jahrhundert
charakteristisch war und auch noch für die zitierte
Bauernfamilie galt, konnte in den zwanziger und dreißiger Jahren
des 20. Jahrhunderts nicht mehr als typisch gelten.
-
–
[V47:240] Wenn es kein väterliches Erbe mehr
gibt,
-
–
[V47:241] wenn kein Glaube mehr eine Autorität verlang,
die über die Ökonomie hinausweist,
- |B 27|
-
–
[V47:242] wenn zudem das demokratisch verfaßte
Gemeinwesen die Sicherheit nicht zu geben vermag, die einst
durch den Stand und die Religion vermittelt wurde
[V47:243] dann geraten nicht nur die Vater-Sohn-Beziehungen,
sondern die gesellschaftlichen Autoritäten in die Krise. Die
Ansprüche auf Gehorsam werden tendenziell sinnlos und können nur
noch
»repressiv«
aufrechterhalten werden. Die
Angst vor dem Zerbrechen der sozialen Ordnungen verleitet dazu,
nach
»Autoritäten überhaupt«
zu suchen, um
die Sicherheiten wieder zu gewinnen.
[V47:244] Der
»autoritäre«
Charakter wird
»faschistisch«
.
[V47:245] Diese Linie haben wir vielleicht zu rasch gezogen.
Sie soll auch hier den möglichen Zusammenhang nur andeuten. Das
Strukturproblem familialer Autorität,
das die Kritische Theorie dahinter sieht, ist indessen in den
»Soziologischen Exkursen«
gut formuliert
worden:
[V47:246]
»Gesellschaftlichen Ursprungs, läßt die
Krisis der Familie sich weder verleugnen noch als bloßes
Symptom von Verfall und Dekadenz abtun. Wo die Familie
den Angehörigen Schutz und Wärme gewährte, konnte ihre
Autorität sich rechtfertigen. Zumal das tradierbare
Eigentum bildete ein kräftiges Motiv für den Gehorsam
des Erben. Heute, in einer Welt, in der technisches
Geschick und Wendigkeit über das Schicksal der Menschen
zu entscheiden beginnen und obendrein in den meisten
Ländern das bürgerliche Eigentum für eine stets
wachsende Zahl von Familien ausgehöhlt, wenn nicht gar
vernichtet wurde, verliert der Begriff des Erben seinen
Sinn. Nicht viel anders ergeht es der Autorität über die
Töchter, die als gelernte und ungelernte Arbeiterinnen
und Angestellte sich außerhalb des Hauses ihr Brot
verdienen können und darum nicht länger mehr an die
archaisch-hauswirtschaftlichen Verhältnisse sich
gebunden wissen, auf denen ihr traditionelles Verhältnis
zur Familie beruht. In der Krisis der Familie wird
dieser die Rechnung präsentiert nicht bloß für die rohe
Unterdrückung, die der schwächeren Frau und vollends den
Kindern bis an die Schwelle des neuen Zeitalters vom
Familienoberhaupt vielfach widerfuhr, sondern auch für
ökonomisches Unrecht, die Ausbeutung
hauswirtschaftlicher Arbeit in einer sonst den
Marktgesetzen gehorchenden Gesellschaft. Eingeklagt
werden auch alle Triebverzichte, welche die
Familiendisziplin den Mitgliedern auferlegt, ohne daß im
Bewußtsein der Familienmitglieder diese Disziplin stets
sich rechtfertigte; ohne daß die meisten recht an die
Aussicht glaubten, für dergleichen Verzichte etwa durch
gesichertes und tradierbares Eigentum entschädigt zu
werden wie die Begünstigten auf der Höhe des |B 28|liberalen Zeitalters. Die
Familienautorität, zumal als eine der Sexualtabus hat
sich gelockert, weil die Familie den Lebensunterhalt
mehr zuverlässig garantiert und weil sie das Individuum
gegen die immer übermächtiger andrängende Umwelt nicht
mehr zureichend schützt. Die Äquivalenz von dem, was die
Familie erheischt, und dem, was sie gewährt, wankt.
Jeder Appell an die positiven Kräfte der Familie als
solcher hat deshalb etwas Hohles.«
(Institut
für Sozialforschung: Soziologische Exkurse, Frankfurt/M., S.
123)
[V47:247] Diese Situationsskizze war schon in der Tendenz und
für das sogenannte Kleinbürgertum zutreffend, als jene Menschen
Kinder waren, die in den
»Studien zum autoritären Charakter«
(Th.
W. Adorno, Frankfurt/M. 1973)
befragt wurden. Diese von Adorno und
anderen in der Emigration in den USA durchgeführte Untersuchung
befaßte sich mit der Frage, wieweit auch Bürger der USA bereit
sein würden, faschistischer Propaganda zu folgen und wie
Charakterstruktur und soziale Lage derer beschaffen waren, die
solche Bereitschaft aufwiesen. In der
»Vorrede«
zur deutschen Übersetzung der
»Studien«
schreibt L. von Friedeburg, Schüler von Adorno und
Horkheimer und derzeit Direktor des
Instituts für Sozialforschung:
[V47:248]
»Die Untersuchungen ließen sich von der
Hypothese leiten, daß die Anfälligkeit für faschistische
Propaganda weniger mit politischen, wirtschaftlichen und
sozialen Vorstellungen per se zusammenhänge, sondern daß
solche Meinungen als Reaktionen auf psychische
Bedürfnisse zu verstehen, Ausdruck einer bestimmten, der
autoritätsgebundenen Charakterstruktur seien. Die
psychologischen Bedingungen, unter denen es zur Bildung
des autoritätsgebundenen Charakters komme, wurden vor
allem in den Sozialisationspraktiken der
mittelständischen patriarchalischen Familie der
zwanziger Jahre gesehen, in der die väterliche Autorität
durch keine unabhängige bürgerliche Existenz mehr
gestützt wurde. Diesen Hypothesen entsprechend bezogen
sich die empirischen Erhebungen der vierziger Jahre auf
eine relativ homogene Gruppe, die weiße, in den USA
geborene und in den Großstädten der Westküste lebende
Mittelschicht; innerhalb dieser Probandengruppe
überwogen die zwischen 1910 und 1925 Geborenen. Für
diese Schicht dürften die Ergebnisse der Studie
repräsentativ gewesen sein.«
(a.a.O., S.
XI)
.
[V47:249] Die soziale, vor allem familiale Lage derjenigen,bei
denen Das
»Abstraktwerden«
des autoritären Charakters die autoritär-faschistische
Disposition ermittelt wurde, entsprach der oben zitierten
Situationsskizze. Obwohl also die politischen und ökonomischen
Umstände, unter denen sich |B 29|der von Horkheimer und Fromm
beschriebene Typus bürgerlich-familialer Autorität
herausgebildet hatte, nicht mehr existierten, blieb er dennoch
als Verhaltenstypus bestehen und zwar sowohl in den bürgerlichen
Mittelschichten als auch in der Arbeiterschaft.
[V47:250] Adorno kommentiert:
[V47:251]
»Das wird nur den überraschen, der alle
wichtigen Unterschiede in den sozialen Verhaltensweisen
aus der sozioökonomischen Gruppenzugehörigkeit zu
erklären gewohnt ist«
.
(a.a.O., S.
98)
.
[V47:252] Diejenigen sozialen Verhaltensweisen bzw.
Charakterdispositionen, die hier
»autoritär«
genannt werden, sind also nicht mehr aus der besonderen sozialen
Lage einer Teilgruppe der Gesellschaft zureichend zu erklären.
Damit hängt auch der empirische Befund zusammen, daß die
ermittelten Einstellungen des
»autoritären
Charakters«
die Form generalisierender Vorurteile haben.
Es hat sich im 20. Jahrhundert offenbar beides verändert:
-
–
[V47:253] Die Lebensverhältnisse der Menschen sind
»abstrakter«
geworden, und zwar in dem
Sinne, daß für die Bildung ihres Bewußtseins und ihrer
Motive weniger die besondere soziale
Lage (Bauer,-Handwerker, Bourgeois) ausschlaggebend ist,
sondern eher die allgemeine Form des
Waren- und Arbeitsmarktes.
-
–
[V47:254] Mit den Einstellungen ist Ähnliches geschehen:
auch sie tendieren dazu,
»abstrakt«
zu
werden, d.h. sich von den konkreten Erfahrungen zu lösen und
– von diesen unabhängig – sich als generalisierende
Vorurteile zu verfestigen.
[V47:255] Hinweis:
[V47:256] Die genaue Beschreibung der in
den
»Studien«
gemessenen Einstellungen würde
hier zu weit führen. Sie können sie nachlesen in Th. W. Adorno: Studien zum autoritären Charakter,
Frankfurt/M. 1973, besonders Seite 81–84.
|B 30|
Aufgabe 2
[V47:179]
[V47:180] Beantworten Sie anhand der bisherigen Ausführungen
die folgenden Fragen in Stichworten:
-
a)
[V47:181] Welches ist die historisch-politische
Ausgangsfrage der
»Studien über Autorität
und Familie«
?
-
b)
[V47:182] Welche Gründe sprechen für eine Verbindung von
Kritischer (Gesellschafts-)Theorie und psychoanalytischer
Theorie?
-
c)
[V47:183] Worin sehen Fromm
und Horkheimer die
grundlegenden Bedingungen für die Ausbildung des autoritären
Charakters?
|A 44|
[V47:184] Aufgabe 3
[V47:185]
[V47:186]
(Vorbemerkung: Diese
Aufgabe ist ebenso wie die Aufgabe 4 dieser Kurseinheit mit der Lektüre eines längeren
Textes verbunden. Wir gehen davon aus, daß Sie in der
vorgesehenen Zeit nur eine dieser beiden Aufgaben bearbeiten
können, und bitten Sie, sich bei der Wahl der Aufgabe von
Ihrem sachlichen Interesse bestimmen zu lassen.)
[V47:187] Es ist Ihnen vielleicht aufgefallen, daß die
bisherige Darstellung der Autoritätsproblematik zwei
›Einseitigkeiten‹
aufweist, denn
-
1.
[V47:188] ist fast nur von der männlichen Seite der
Sozialisation – von Vätern und Söhnen also – die Rede
gewesen;
-
2.
[V47:189] wurden fast ausschließlich die
gesellschaftlich funktionalen – d.h. die bestehenden
Verhältnisse stützenden – Leistungen der Familie und der
Charakterbildung aufgezeigt.
[V47:190] Auch wenn auf diesen beiden Aspekten der Hauptakzent
der
»Studien über Autorität und Familie«
liegt, bedarf dieses Bild der
Korrektur.
[V47:191] Lesen Sie deshalb im folgenden Text: M. Horkheimer: Autorität und Familie. In: Horkheimer: Traditionelle und
kritische Theorie, 1970 (Taschenbuchausgabe) die
Seiten 218 (unten) – 230!
[V47:192] Beantworten Sie dann die folgenden Fragen:
-
–
[V47:193] Wie wird die Situation der Frau in der
Kleinfamilie beschrieben?
-
–
[V47:194] Welche Rolle spielt die Mutter für die
Sozialisation der Kinder?
-
–
[V47:195] Welche Unterschiede lassen sich im Verlauf des
Erziehungsprozesses für Jungen und Mädchen vermuten?
- |A 45|
-
–
[V47:196] Welche gegen-gesellschaftlichen Kräfte
erwachsen nach Horkheimers Auffassung
(unter bestimmten Bedingungen) aus der Familie?
-
–
[V47:197] Welche fördernde oder hemmende Rolle spielt
dabei die Frau?