
1 Literatur zur Einführung
2 Weiterführende Literatur
Glossar
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Bildungsprozeß[V48:32] Das Insgesamt von Erfahrungen und Lernschritten, durch welche das Subjekt eine für es selbst und andere verstehbare Gestalt erwirbt
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Desymbolisierung[V48:33] Der Vorgang, durch den ein Symbol (z.B. ein Wort) seine allgemein geteilte Bedeutung verliert, sei es, daß es zum Bestandteil einer (z.B. neurotisch verformten)“Privatsprache”wird, sei es, weil der Benutzer des Symbols (der Sprecher) die Bedeutung nicht mehr durch seine Erfahrung auffüllen kann (Klischee)
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Ego/Alter[V48:34] Ego = Ich, Alter = der Andere. Diese Bezeichnungen für die Partner einer Interaktion werden gewählt, um deutlich zu machen, daß es sich in interpersonellen Situationen immer um die Verschränkung von Perspektiven handelt: jeder sieht gleichsam“die anderen”(Alter) von seinem“Ich”(Ego) her und sieht auch sein“Ich”von diesem“anderen”her
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Generative Grammatik[V48:35] Wer eine natürliche Sprache spricht, ist in der Lage, beliebige neue Sätze zu erzeugen (generieren) und nie zuvor gehörte Äußerungen zu verstehen. Wie ist dies möglich? Die Antwort auf diese Frage versucht die generative Grammatik. Nach , der sie entwickelt hat, verdankt sich der produktive Sprachgebrauch am Ende einer allgemeinen, universalen Sprachkompetenz, über die jeder verfügt. Sie ist nicht erworben, sondern angeboren. Die universale angeborene Kompetenz enthält das Reservoir möglicher grammatischer Regelsysteme und zugleich die Prinzipien, nach denen jeder einzelne daraus im Verlauf des Spracherwerbs auf der Basis defekter und beschränkter Daten seine spezielle Grammatik erwählt. Die angeborene Kompetenz sichert und bestimmt unter den Sprachspielbedingungen des jeweiligen Sozialisationsprozesses den sukzessiven Aufbau einer empirisch geeigneten Grammatik, die dann ihrerseits als festes System generativer Regeln (Erzeugungsregeln) Produktion und Verständnis einer potentiell unendlichen Anzahl nie gehörter und gleichwohl wohlgeformter Sätze ermöglicht.
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Hermeneutik[V48:36] Im Gegensatz zum Erklären gesetzmäßiger Zusammenhänge, wie sie den Naturwissenschaften zugrundeliegen, ist Hermeneutik das nachvollziehende Erfassen fremder Sinnformen durch Auslegung von Texten, Dokumenten, Äußerungen etc. Erfahrungsgrundlage der Hermeneutik sind also sprachlich vermittelte |A 9|Interaktionen zwischen handelnden Subjekten und die darin zur Anwendung und zum Ausdruck kommenden Sinnorientierungen. Die klassische Hermeneutik strebte an, durch das Hineinversetzen in die historische Situation des Sprechers, Autors etc. diesen besser zu verstehen als er sich selbst verstehen kann.
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Implementation[V48:37] Alle Maßnahmen, die zur Einführung eines ausgearbeiteten Curriculums in das bestehende Schul- und Unterrichtssystem dienen.
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Kognitive Psychologie[V48:38] Gegenstand der kognitiven Psychologie sind die Erkenntnistätigkeiten (kognitive Operationen) des Subjekts und ihre Entwicklung. , der bedeutendste Vertreter der kognitiven Psychologie, beschreibt die Erkenntnistätigkeit als einen Vorgang der Assimilation und Akkomodation. Assimilation heißt die Anpassung der Wirklichkeit an die eigenen Operationspläne (kognitive Schemata) und Akkomodation die Anpassung der Pläne an die Wirklichkeit. Die kognitiven Schemata sind genauso Bedingung der Erkenntnis, wie der Gegenstand, auf den sie sich richten. In sehr detaillierten Untersuchungen versucht zu zeigen, wie im Verlauf der Entwicklung aus den einfachsten kognitiven Schemata der senomotorischen Phase (z.B. dem Greifschema des Säuglings) über eine irreversible Stufenfolge immer umfassendere Systemstrukturen entstehen (z.B. der Begriff der Perspektive). Je umfassender generalisierter eine kognitive Struktur ist, desto stabiler ist sie auch. Mit jeder Entwicklungsstufe wird für das Subjekt die Bewältigung kognitiver Konflikte wahrscheinlicher. Die Untersuchungen der Genfer Gruppe um galten u.a. der Entwicklung der Raumvorstellung, des Zeit-, Zahl- und Mengenbegriffs und der Entstehung der Symbolfunktion. Diese Untersuchungen sind in Amerika vor allem von auf gegriffen und weitergeführt worden.
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Konstrukt[V48:39] Eine in theoretischer Arbeit entwickelte Vorstellung von einem Wirklichkeitsausschnitt (z.B.“Interaktion”,“Intelligenz”), das Ergebnis also der konstituierenden Tätigkeit des Verstandes, mit deren Hilfe wir versuchen, uns die“Wirklichkeit”verständlich zu machen. Der Ausdruck“Konstrukt”soll deutlich machen, daß wissenschaftliche Begriffe die Wirklichkeit nicht abbilden, sondern nur Versuche darstellen, auf kontrollierte Weise überhaupt etwas über sie aussagen zu können.
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Offene Curricula[V48:40] Im Unterschied zu den“geschlossenen Curricula”ist in den“offenen”weder der individuelle Lernverlauf samt seinem Ergebnis, noch die Tätigkeit des Lehrers durch Vorgabe detaillierter Lernsequenzen determiniert. Das Interesse der offenen Curricula ist die Entfaltung von Kreativität. Dieses Interesse verbietet eine rigide Vorausplanung und damit Normierung und Kanalisierung des Unterrichtsprozesses. Dennoch wird auf Planung nicht verzichtet. Aber Planung und Durchführung sind nicht mehr institutionell scharf voneinander geschieden. Beim offenen Curriculum sind Lehrer wie Schüler an der Planung des Unterrichts genauso beteiligt wie an seiner Durchführung.
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Verdinglichung[V48:41] Alles was wir wissen ist präformiert durch unser wahrnehmendes Organ. Die Wirklichkeit, der wir uns gegenübersehen, ist Produkt unserer Erkenntnis und als solches historisch und revidierbar. Dort, wo der historische Charakter unserer Erkenntnis geleugnet und die Begriffe und Vorstellungen einer möglichen Korrektur entzogen werden, sprechen wir von ihrer Verdinglichung.
Lernziele
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▷[V48:43] wissen, wie einige Erziehungswissenschaftler der Gegenwart versucht haben, die Anregungen der Kritischen Theorie für die Bearbeitung pädagogischer Probleme (Interaktionsanalyse, Didaktik, Methoden der Forschung fruchtbar zu machen;
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▷[V48:44] verstanden haben, wie innerhalb der Erziehungswissenschaft, im Anschluß an die Kritische Theorie, der Zusammenhang zwischen theoretischer Arbeit und praktischer Bedeutsamkeit hergestellt werden kann;
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▷[V48:45] imstande sein, ein pädagogisches Thema ihrer Wahl analog zu skizzieren.
3.0 Einleitung
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–[V48:49] wo Beziehungsprobleme angesprochen werden,
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–[V48:50] wie solche Probleme beschrieben wurden,
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–[V48:51] wie die Art dieser Probleme erklärt wird.
3.1 Erziehung als Interaktion
3.1.1 Die Struktur interpersonellen Handelns
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▷[V48:60] das“Ich”sagen und meinen, und also auch“Du”sagen und meinen kann,
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▷[V48:61] das sich selbst als vom“Du”getrenntes, aber auch mit dem“Du”verbundenes“Ich”bestimmen kann,
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▷[V48:62] das so zu einer bestimmten Gestalt sowohl seines“Ich”als auch seiner“Ich-Du”-Beziehung einerseits sich bildet, andererseits in jenem Prozeß gebildet wird –
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1.[V48:65] Der sich bildende heranwachsende Mensch ist das Subjekt (Ego) seines Bildungsprozesses; er bildet sich zu einem empfindenden, urteilenden und verantwortlich handelnden MenschenB√.
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2.[V48:66] Er ist aber auch – in diesem Bildungsprozeß – abhängig von anderen (Alter), mit denen er interagiert; er kann sich nur bilden im Hinblick auf diese anderen; er verdankt also seine Subjektivität der Interaktion mit diesen, bildet deshalb nicht nur sich selbst, sondern wird auch von diesen Beziehungen gebildet.
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3.[V48:67] Beide – Ego und Alter, bzw. das Insgesamt der interpersonellen Beziehungen der sich bildenden Subjekte – leben in einem Kontext, in Lebenszusammenhängen, den vorwiegend nicht sie bestimmen, sondern der bereits historisch bestimmt ist. Ihre Interaktionen also sind höchstens nur zum Teil ihr eigenes Werk. Zum anderen Teil sind sie“Ausdruck”oder“Resultat”oder“Spiegelung”dessen, was historisch geworden ist: der kulturellen Traditionen, der Formen gesellschaftlichen Verkehrs, der Machtverhältnisse, der Weisen der gesellschaftlichen Produktionen usw. – und zwar deshalb, weil“Alter”, d.h. die Beziehungspersonen für das sich bildende Subjekt, immer schon in diese historischen Verhältnisse eingebunden sind.
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–[V48:77] sie machen eine Erfahrung mit dem anderen, nehmen sein Verhalten, sein Handeln wahr und
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–[V48:78] sie verarbeiten diese Erfahrung zu einer Darstellung dem anderen gegenüber, zu eigenem Handeln.
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▷[V48:87] beide leben in einer gemeinsamen symbolisch organisierten“Welt”, können sich also prinzipiell verständigen, sind damit aber auch zugleich an Geschichte und die je besondere Gesellschaftsformation gebunden.
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▷[V48:88] Durch die Gebundenheit an viele andere“enthält”gleichsam das Subjekt selbst diese anderen, das was an ihnen wiederkehrt, dauerhaft ist und was ihnen allen gemeinsam ist: die Regeln, nach denen Interaktionen typischerweise ablaufen.
Übungsaufgabe
3.1.2
“Gestörte” Interaktion
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1.[V48:103] Die Verständigung zwischen A und B kann mißlingen; d.h. die Symbole, die beide verwenden, werden nicht in hinreichendem Ausmaß von beiden geteilt, sind nicht hinreichend verständlich, sei es, weil sie noch unbekannt sind, sei es, weil sie vieldeutig geworden sind; (für den letzten Fall z.B.: die Mutter sagt zu ihrem Kind:“Komm mein Schatz”; dem Kinde aber bleibt undeutlich, ob diese soziale Geste Zuwendung, Kontrolle oder etwas anderes bedeutet). (“Zur Begründung einer materialistischen Sozialisationstheorie”, Frankfurt 1972) nennt solche Verzerrung von Interaktion, wenn durch psychische oder situative Zwänge Bedeutungsteile der sprachlichen Verständigung entzogen bleiben,“Desymbolisierung”oder“Klischee”(S. 128 ff.)
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2.[V48:104] Die“wahrhaftige”Darstellung A’s für B kann mißlingen. A kann Schwierigkeiten haben, auszudrücken, was er meint, z.B. dadurch, daß die Situation ihm einen angemessenen Ausdruck nicht gestattet (er möchte weinen, aber“ein Junge weint doch nicht”)B√
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3.[V48:105] Die“richtige”Erfahrung der Interaktionspartner B√kann verfehlt werden; d.h. die Wahrnehmung des anderen, das Bild, das A sich von B macht, kann z.B. diffus oder stereotyp sein, was wiederum die Selbstdarstellung A’s gegenüber B beeinträchtigen kann.
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4.[V48:106] Schließlich kann – im Zusammenhang mit solchen Interaktionsstörungen – auch das Verhältnis jedes der Interaktionspartner zu sich selbst problematisch sein: B√ wenn ein farbiges Kind in den USA beim Spiel mit Puppen zu erkennen gibt, daß die farbigen Puppen immer die“bösen”, die weißen dagegen immer die“guten”sind; es hat sich in diesem Fall das Bild, das sich andere von ihm machen, derart zu eigen gemacht, daß es sich selbst ebenso sieht, wie andere (die Weißen) es sehen; sein“Selbst”ist“entfremdet”und dergestalt werden auch die Interaktionen sein, in die es eintritt
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▷[V48:113] aus der Kommunikationsforschung, daß Mittel und Inhalte der Interaktion diese bestimmen, also auch für Störungen als ursächlich angenommen werden können;
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▷[V48:114] aus der therapeutisch orientierten Familien- und Interaktionsforschung, daß die Beziehungsdefinitionen in interpersonellen Situationen nicht nur die wechselseitigen Erfahrungen der Interaktionspartner, sondern auch deren Selbstbild bestimmen;
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▷[V48:115] aus der kognitivistischen Psychologie, daß Form und Verlauf von pädagogischen Interaktionen eine kognitive Struktur haben, gleichsam ein intellektuelles Reservoir mobilisieren, das die Interaktion beeinflußtB√.
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–[V48:119]die kognitive Struktur,
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–[V48:120]die Beziehungsdefinitionen,
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–[V48:121]die Inhalte von Kommunikationen,
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–[V48:122]die symbolischen Kommunikationsmittel.
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▷[V48:125] sie können sich darin zeigen, daß es einem oder mehreren Interaktionspartnern an“Handlungsfähigkeit”mangelt;
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▷[V48:126] sie können sich darin zeigen, daß sie, obschon sie über die erforderliche Handlungsfähigkeit verfügen, daran gebunden sind, ihre Handlungsfähigkeit zur Darstellung zu bringen, also auch für Problematisierungen,“metakommunikativ”einzusetzen.
3.1.3 Die sozialen Kontexte der pädagogischen Interaktion
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▷[V48:132] einerseits jedes Individuum immer schon Gesellschaft gleichsam“in sich trägt”, als eine Art“Ensemble gesellschaftlicher Verhältnisse”() beschrieben werden kann,
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▷[V48:133] andererseits es im Laufe seiner Biographie diesen gesellschaftlichen Verhältnissen nicht mit einem Schlage und im Ganzen ausgesetzt ist, sondern immer nur stückweise, in Form einzelner Erwartungen, sozialer Institutionen, vorgefundener Regeln des gesellschaftlichen Verkehrs usw. –
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1.[V48:135]Das Kind lebt“zunächst”im sozialen Kontext von Situationen . Es ist Erwachsenen ausgesetzt; in der Interaktion mit ihnen erwirbt es die Kenntnis der Bedeutung von Gesten, erwirbt es Sprache und Denken, Motive und Einstellungen, lernt es Wünsche zu äußern und zu unterdrücken. Innerhalb dieses Rahmens kann die Tätigkeit des Erziehers als“Strukturieren von Situationen”begriffen werden; alle interpersonellen Situationen haben eine“Intentionalität”, d.h.B√ die Interaktionspartner verfolgen Absichten, die nicht notwendig übereinstimmen. |B 21|Die pädagogische Situation unterscheidet sich indessen dadurch von anderen, daß der Erzieher (wegen seiner Verpflichtung, sein Handeln im Sinne der idealen Interaktionssituation, die wir“Diskurs”nennen, zu legitimieren) gehalten ist, sich kritisch nicht nur mit den Intentionen des Kindes, sondern auch mit seiner eigenen auseinanderzusetzen.“Sie hat es nämlich in einer besonderen, von anderen Situationen zu unterscheidenden Weise mit der intentionalen Komponente zu tun. Wir wollen diese Komponente die Meta-Intentionalität der pädagogischen Situation nennen. Für jede menschliche Kommunikation – also auch für die pädagogische – muß unterstellt werden, daß die Partner der Situation eigene Intentionen haben und diese in ihren kommunikativen Akten zum Ausdruck bringen. Ferner muß unterstellt werden, daß das Postulat gilt, daß die Intentionen des anderen in der jeweils eigenen Interaktionsstrategie reflektiert, also nicht nur berücksichtigt, sondern als ernsthaft akzeptiert werden. Das gilt auf der naiven Ebene, ohne Berücksichtigung eines etwa kalkuliert geplanten Situations-Arrangements durch einen der Partner. Aber gerade dies ist für pädagogische Situationen charakteristisch: daß einer der Partner, derjenige nämlich, der sich in der Rolle des Pädagogen definiert, für sich in Anspruch nimmt, Situationen zu strukturieren, und zwar so, daß seine Chance der Einflußnahme in der Situation größer ist als die der anderen Partner. Er nimmt sogar – noch weitergehend – für sich in |A 33|Anspruch, daß ihm selbst, wenn nicht ein Monopol, so doch ein entschiedenes Übergewicht institutionell gesichert wird, um Situationen überhaupt vorweg und nicht erst in der Situation selbst zu strukturieren. Das macht das spezifische Herrschaftsgefälle aus, das wir in der Erziehungswirklichkeit antreffen.”(Mollenhauer 1972, S. 120/121)
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2.[V48:136]Nun sind aber die verschiedenen Komponenten der pädagogischen Situation, die subjektive Lebenswelt, nicht in gleicher Weise für die Interaktionspartner verfügbar. Einen sprachlichen Ausdruck können sie bei Nicht-Verstehen vielleicht noch ändern, eine bestimmte Handlung willentlich unterlassen. Andere Teile der Situation dagegen sind“resistenter”und zudem häufig unbewußt: ein bestimmter Sprachstil, Phantasien und Ängste, Einstellungen, Erwartungen, für selbstverständlich gehaltene Normen des Handelns usw. Diese Teile der Situation sind gleichsam abgespalten von dem, was dem reflektierenden Bewußtsein der Interaktionspartner jederzeit zur Verfügung steht; sie verweisen damit auf einen die Situation übergreifenden sozialen Kon|B 22|text: den Kontext lebensgeschichtlich wirksamer sozio-ökonomischer und institutioneller Bedingungen. Durch ihn werden subjektive Erfahrungen nicht nur präformiert, sondern auch gestützt und auf Dauer gestellt. Sie erzeugen gleichsam die im Alltagshandeln in der Regel unreflektierte“Startmasse”, mit der die Interaktionspartner sich in die pädagogische Situation hineinbegeben. Sie geben der pädagogischen Situation gesellschaftlich Form und Inhalt, ihre Analyse hilft deshalb aufzuklären, wo die Bedingungen gestörter pädagogischer Interaktionen zu suchen sind. Aus diesem Grunde überlassen auch die Vertreter |A 34|der“Kritischen Erziehungswissenschaft”solche Aufklärung nicht dem Soziologen, sondern verstehen sie als einen Kernbestand ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit:
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▷die Analyse pädagogischer Institution und der von diesen abhängigen Berufsrollen,
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▷die Analyse der Instanzen sozialer Kontrolle (Jugendamt, Erziehungsheim)
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▷die Ermittlung der Wirkungen des sozialen Status (Schichtspezifische Sozialisation) auf den Umgang zwischen Erwachsenen und Kindern, usw.
Dieser dritte soziale Kontext – oder auch: diese dritte Stufe der Organisiertheit pädagogischer Interaktionen – ist B√noch kaum wissenschaftlich ausgearbeitet. Das Programm solcher Ausarbeitung hat Mollenhauer zu skizzieren versucht B√:“ hat die analytische Hypothese geäußert, daß der Begriff des(Mollenhauer 1977, S. 51f).‘Habitus’geeignet sei, Regelmäßigkeiten des pädagogisch-interpersonalen Handelns zu studieren, die weder sich aus den fundamentalen Bedingungen von Interaktionen überhaupt, noch aus den historisch besonderen Bedingungen dieser oder jener Einrichtungen erklären lassen, sondern nur noch aus den Reproduktionsinteressen der je historisch besonderen Gesellschaft. Er hat damit eine dritte Ebene der Organisiertheit von Interaktionen angesprochen, auf der so etwas wie der Algorithmus eines Erziehungssystems formulierbar sein müßte (Bourdieu 1970, S. 125 ff.) Der Ausdruck‘Habitus’symbolisiert für den Versuch,‘im Zentrum des Individuellen selber Kollektives zu entdecken’(Bourdieu 1970, S. 132), er verbindet den Einzelnen – wir können sagen: jede einzelne pädagogische Interaktion –‘mit der Kollektivität seines Zeitalters’, weist den‘anscheinend noch so einzigartigen Projekten Richtung und Ziel’(ebd.). Dieses anspruchsvolle wissenschaftliche Programm hat zunächst am Beispiel der Gotik illustriert und generalisierend behauptet: |A 35|'In einer Gesellschaft, in der eine Schule das Monopol der Vermittlung von Bildung innehat, finden die geheimen Verwandtschaften, das einigende Band der menschlichen Werke ... ihren prinzipiellen Nexus in der Institution Schule, fällt dieser doch die Funktion zu ... Individuen hervorzubringen, die mit diesem System der unbewußten (oder tief vergrabenen) Schemata ausgerüstet sind, in dem ihre Bildung bzw. ihr Habitus wurzelt (a.a.O., S. 139), ein System von Mustern,‘die es erlauben, alle typischen Gedanken, Wahrnehmungen und Handlungen einer Kultur zu erzeugen’(a.a.O., S. 143), eine Art generativer Grammatik der Kultur also (vgl. auch Bourdieu 1973, besonders S. 44 ff.). Obwohl sich an keiner Stelle auf den marxistischen Begriff der‘Verkehrsformen’bezieht, scheint mir die Ähnlichkeit in mindestens einer Hinsicht doch unverkennbar. Auf unseren Gegenstand bezogen, möchte ich so formulieren: in beiden Fällen – wie übrigens auch in der strukturalistischen Ethnologie – richtet sich das Interesse darauf, zu ermitteln, ob es einen für Gesellschaftsformationen je spezifischen Satz von Regeln des interpersonalen Handelns gibt, die sowohl die Muster scheinbar individuell besonderer Interaktion, wie auch die auf der zweiten Stufe von Organisiertheit angesiedelten Muster institutioneller Interaktion generieren.”Es gehört zu den wesentlichen heuristischen Ausnahmen der“Kritischen Erziehungswissenschaft”, daß zwar das Erziehungssystem gegenüber den Bereichen von Produktion und Ökonomie als relativ selbständig betrachtet werden muß; anders wäre ein Großteil des Erziehungsgeschehens gar nicht erklärbar. Andererseits aber muß das System gesellschaftlicher Arbeit mindestens berücksichtigt werden als entscheidender Stützfaktor für die Aufrechterhaltung der eingespielten“Regelmäßigkeiten”des pädagogisch-interpersonalen Handelns, der Medien oder Instrumente der Interaktion und der Deutungsmuster für interpersonales Handeln, auch im pädagogischen Feld. Verweisen |A 36|die Deutungsmuster innerhalb von Interaktionen auf Sprache, so die Instrumente des interpersonellen Handelns auf Arbeit, die“Regelmäßigkeiten”oder“Verkehrsformen”auf Herrschaft. Davon u.a. wird im letzten Abschnitt dieser Studieneinheit noch die Rede sein. -
- B√
3.2 Der Versuch einer
“kritischen Didaktik”
3.2.0 Zum Terminus
“Didaktik”
3.2.1 Kritische Didaktik – 1. Abgrenzung
3.2.2 Kritische Didaktik – 2. Abgrenzung
3.2.2 Kritische Didaktik – 3. Abgrenzung
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1.[V48:146]Durch die Reflexion der gesellschaftlichen und historischen Bedingungen, in denen es zur Curriculumrevision und dem sie bestimmenden Begriff der Chancengleichheit kommt.Nach ihrer Analyse taucht der Begriff der Chancengleichheit auf in einem historischen Augenblick, in dem es im volkswirtschaftlichen Interesse notwendig werden könnte, die durch Bildungsbarrieren bisher an ihrer Entfaltung gehinderten“Begabungsreserven”auszuschöpfen.“Da Lernprozesse in hohem Maße beeinflußbar sind, legte die Theorie des technischen Fortschritts die Möglichkeit nahe, Investitionen im Bildungssektor könnten entscheidend sein, um das volkswirtschaftliche Wachstum zu optimieren. In dem Maße, in dem dahingehende Fragestellungen von der öffentlichen Diskussion aufgegriffen wurden, konzentrierte sich auch das Interesse der Erziehungswissenschaft auf Bildungsplanung und Curriculum-Forschung.”(Blankertz (Hrsg.) : Curriculumforschung – strategien, strukturierung, konstruktion, Essen 1971, S. 7)
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2.[V48:147]Durch die Kritik an der Praxisferne der Curriculumentwicklung.Die|A 42|“Kritische Didaktik”grenzt sich ab von einem Modell, das Curriculumentwicklung und -implementation zwei zeitlich klar voneinander geschiedenen Phasen und Instanzen zuwies und die Mehrzahl der Lehrer in der Implementationsphase nur als Empfänger und Ausführende betrachtet.“Eine Auffassung, derzufolge Theoretiker, in unserem Falle also Erziehungswissenschaftler, forschen und dann ihre gesicherten Ergebnisse dem Praktiker, in unserem Falle dem Lehrer, zur Anwendung, allenfalls zur Erprobung zu übergeben hätten, wird von uns abgelehnt. Eine solche Arbeitsteilung müßte den Lehrer zum Vollzugsorgan degradieren, ihn politisch und fachlich entmündigen, während sie den Erziehungswissenschaftler zum bloßen Theoretiker ohne Verantwortung für die praktischen Folgen seines Tuns machte. Demgegenüber gehen wir davon aus, daß nur eine wechselseitige Kommunikation von Erziehungswissenschaftlern und Lehrern eine gemeinsame theoretische Sprache zu erzeugen vermag, in der kritisch auf Unterricht, die ihn leitenden Prinzipien, Normen und Mittel, sowie auf die jeweils getroffenen unterrichtlichen Entscheidungen und den erforderlichen Konsens mit den Lernenden reflektiert werden kann.”(Blankertz, Die fachdidaktisch orientierte Curriculumforschung und die Entwicklung von Strukturgittern, in: dgl., fachdidaktische Curriculumforschung, Essen 1971, S. 16)Die Kritik an der Dichotomie von Theoretikern und Praktikern in der Curriculumentwicklung hat zum Gegenkonzept der“schulnahen Curriculumentwicklung”und der“offenen Curricula”geführt.
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3.[V48:148]Durch Kritik an der Deduktion von Lerninhalten aus obersten Lernzielen.Das Robinsohnsche Modell der Curriculumentwicklung ging aus von der Möglichkeit einer direkten und eindeutigen Zuordnung von gewünschten Qualifikationen und Lerninhalten. Aus obersten allgemeinen Lernzielen sollen Teillernziele und Lerninhalte bis hinunter zu einzelnen Erziehungsmaßnahmen abgeleitet werden, so daß eine geschlossene Deduktionskette entsteht, die angibt, wie |B 29|die Wirklichkeit des Unterrichts aussehen soll. Aber die lückenlose Deduktion erwies sich als Schein. Es zeigte sich bei jedem konkreten Versuch, daß die Deduktion nicht funktioniert. Gleichgültig |A 43|wie die obersten Lernziele formuliert oder zustande gekommen waren, die Ableitung didaktischer Arrangements daraus ist nie restlos gelungen,
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▷innerhalb eines obersten Lernzieles konnten verschiedene, ja geradezu gegensätzlich didaktische Konzeptionen realisiert werden,
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▷einander entgegengesetzte und konkurrierende Lernziele allgemeinster Art konnten sich in ähnlichen, vielleicht gleichen didaktischen Konzepten realisieren.
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3.2.4 Kritische Didaktik – 4. Abgrenzung
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▷[V48:158] die Oberflächenstrukturen der gesellschaftlichen Realität und
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▷[V48:159] die von den Schülern selbst hervorgebrachten Oberflächenstrukturen, ihre Unterrichtsbeiträge,
Klasse: schweigt
Lehrer:
3.3 Methodologie einer kritischen Erziehungswissenschaft
3.3.1 Die gesellschaftliche Interessengebundenheit von Erkenntnis
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▷[V48:174] Wir machen Erfahrungen mit Dingen und Ereignissen unter dem Gesichtspunkt ihrer möglichen Manipulation;
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▷[V48:175] mit Personen und Äußerungen unter dem Gesichtspunkt möglicher Verständigung und gemeinsamer Handlungsorientierung;
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▷[V48:176] und mit Ereignissen und Zuständen unter dem Gesichtspunkt der Befreiung von heteronomem Zwang.
3.3.2 Erkenntnisinteresse in der Erziehungswissenschaft: Versuch der Integration von Empirie, Hermeneutik und IdeologiekritikB√
Übungsaufgabe
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1.[V48:216] Ist Leistung eine reine Willenssache?
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2.[V48:217] Welche Faktoren beeinflussen die Leistungsfähigkeit von Schülern (z.B. die soziale Ausgangssituation der Schüler, die Organisationsstruktur der Schule...)
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3.[V48:218] Welche Bedeutung hat das Leistungsprinzip in gesamtgesellschaftlichem Zusammenhang?
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4.[V48:219] Sind Leistungsprinzip und Emanzipationsprinzip vereinbar oder schließen sie sich aus?
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5.[V48:220] Inwiefern finden bei der Beantwortung dieser Fragen empirische, hermeneutische und ideologiekritische Methoden Anwendung?
3.3.3 Handlungsforschung als kritische Methode
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1.[V48:227] Methodologisches Motiv: Sozialforschung im allgemeinen und erziehungswissenschaftliche Forschung im besonderen hat es aufgrund der Eigenart ihres Gegenstandes zumeist mit“Sinnhaftem”– mit Handlungen und Haltungen, mit sozialen Erfahrungen und Beziehungen etc. – zu tun. Sie zielt daher auf Daten, die allein über das Verstehen von Sinn, und zwar von subjektiv gemeintem wie von gesellschaftlich objektiviertem Sinn, zugänglich sind. Der Modus der Erfahrung (Empirie) ist also nicht so sehr die Beobachtung (wie in den Naturwissenschaften), sondern in erster Linie Verständigung B√(kommunikative Erfahrung). Deshalb muß Forschung als Kommunikationsprozeß zwischen Forschenden und ihren‘Objekten’methodologisch konstruiert werden.
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2.[V48:228] Ethisches Motiv: Pädagogische Forschung hat ihr Objekt B√in sprach-, lern- und reflexionsfähigen Subjekten. Darum ist das Postulat szientistischer Forschungstechnik, die Untersuchungspersonen durch den Forschungsprozeß nicht folgenreich zu beeinflussen, ungerechtfertigt. Es beruht nämlich auf der Gleichsetzung der Veränderung von Menschen mit deren Manipulation und bekommt die Mündigkeit des Untersuchungs-‘objekts’auch nicht als Möglichkeit in den Blick. Dagegen wird von der Handlungsforschung |A 66|postuliert, daß alle am Forschungsprozeß Beteiligten – nicht nur die Forscher, sondern auch ihre‘Objekte’– diesen als Lern- und Aufklärungschance wahrnehmen können.
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3.[V48:229] Politisches Motiv: Kritische Sozialforschung orientiert an der Aufhebung von Herrschaft und Ausbeutung am Interesse von Freiheit und Glück aller. Wenn Kommunikation Unabdingbar (Motiv 1) und die Eröffnung von Lernchancen geboten ist (Motiv 2), dann liegt es zumindest nahe, den Forschungsprozeß selbst – und nicht nur die Verwendung seiner Ergebnisse – als emanzipatorische Praxis aufzufassen und theoretisch wie organisatorisch in den Kontext politischer und sozialer Veränderungsstrategien zu rücken.
3.3.3.1 Handlungsforschung als innovatorische Problemlösung
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“(1)[V48:232]Handlungsforschung ist in ihrem Erkenntnisinteresse und damit ihren Fragestellungen von Anfang an auf gesellschaftliche bzw. auf pädagogische Praxis bezogen, sie will der Lösung gesellschaftlicher bzw. praktisch-pädagogischer Probleme dienen.
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(2)[V48:233]Handlungsforschung vollzieht sich in direktem Zusammenhang mit den jeweiligen praktischen Lösungsversuchen, denen sie dienen will; sie greift als Forschung unmittelbar – und nicht erst nach vollzogenem Forschungsprozeß, als sog.‘Anwendung’der Forschungsergebnisse – in die Praxis mit ein, und sie muß sich daher für Rückwirkungen aus dieser von ihr selbst mitbeeinflußten Praxis auf die Fragestellungen und Forschungsmethoden im Forschungsprozeß selbst – und nicht erst in der abschließenden Auswertungsphase im Hinblick auf zukünftige Forschung – offenhalten.
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(3)[V48:234]Handlungsforschung hebt in irgendeinem Grade bewußt und gezielt die Scheidung zwischen Forschern auf der einen und Praktikern in dem betreffenen Aktionsfeld ... auf der anderen Seite auf zugunsten eines möglichst direkten Zusammenwirkens von Forschern und Praktikern im Handlungs- und Forschungsprozeß.”(Klafki 1976, S. 60)
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a)[V48:236] Zunächst war die Arbeitsteilung zwischen Wissenschaftlern und Praktikern; bzw. zwischen Theorie/Forschung einerseits und gesellschaftlicher Praxis andererseits durch die Forschungspraxis selber in Frage gestellt. Dies hat mit Sicherheit den pragmatischen Sinn größerer |A 68|‘Praxisnähe’der Forschung (denn eher als die feldfremden Wissenschaftler können die Praktiker angeben, wie sich die pädagogischen Probleme für sie unter den besonderen Bedingungen ihrer Handlungssituation stellen). Praxisnähe allein macht die Forschung allerdings bestenfalls verwertbar, aber noch nicht kritisch. Mit dem Gedanken der Aufhebung der Arbeitsteilung als Moment kritischer Forschung muß sich deshalb eine weitere Intention verwinden: nämlich die der Emanzipation der pädagogischen Praxis aus einem autoritären Verhältnis unmündiger Hörigkeit gegenüber der‘über ihr’stehenden Wissenschaft. Kritische Handlungsforschung soll darum als Selbstaufklärung der Praxis über ihre Ziele, Verfahren, Voraussetzungen und Möglichkeiten – organisiert werden.
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b)[V48:237]Implizit ist damit ein weiteres Moment des Theorie-Praxis-Verhältnisses, nämlich das zugrunde liegende Erkenntnisinteresse, problematisiert. Denn wie kritische Erziehungswissenschaft überhaupt, sucht auch die Handlungsforschung eine auf ein technisches Erkenntnisinteresse reduzierte Konzeption von Erziehung und Erziehungswissenschaft zu überwinden. B√B√
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▷[V48:241] in der Bestimmung der Ziele, die nicht nur im technokratischen Modell als‘gegeben’gedacht, sondern in der Erziehungswirklichkeit tatsächlich gesellschaftlich vorgegeben werden: als Verhaltensnormen, als schulischer Fächerkanon, als Leistungskriterien, als Lehrplan etc.
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▷[V48:242] und in der Wahl der Mittel, die der Autorität einer Wissenschaft verpflichtet ist, deren Praxisbezug sich in der Bereitstellung eines Arsenals technologischer Imperative erschöpft.
3.3.3.2 Handlungsforschung als
‘entdinglichender’ Prozess
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▷[V48:255] so, wenn der Erziehungsprozeß verstanden wird als die wissenschaftlich angeleitete Zurichtung eines Organismus auf ein vorgefaßtes Resultat (Lernziel) hin;
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▷[V48:256] so, wenn Ge- und Verbote, Be- und Verurteilungen nicht mehr als (unveränderbares) Resultat von Kommunikation und Herrschaftsbeziehungen zwischen Menschen begriffen, sondern als“der Natur der Dinge entsprechend”gerechtfertigt und hingenommen werden;
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▷[V48:257] so, wenn Forschungssituationen prinzipiell so gestaltet werden, daß der Erforschte lediglich als Träger von reizbestimmten Reaktionen oder abrufbaren Informationen ins Auge gefaßt wird, nicht aber als kommunikations- und reflexionsfähiges Subjekt (das womöglich noch die Forschungssituation selbst der Kritik unterziehen könnte!).
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▷[V48:263] Sie soll die Forschenden dazu veranlassen, B√sich B√von den universalistischen Orientierungen der Wissenschaftsgemeinschaft gleichsam zu verabschieden.“Dafür tauschen sie einiges von der lokaleren, an das Handeln im konkreten Praxisfeld gebundenen Gesinnung ihrer neuen sozialen Bezugsgruppe ein.”B√ (S. 69)
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▷[V48:264] Es sollen die gleitenden Gütekriterien der empirischen Forschung“B√wie Gültigkeit, Kontrolle, Generalisierungsfähigkeit, Prognostizierbarkeit von forschungsleitenden Hypothesen und AussagesystemenB√”S. 57).
3.3.3.3 Wie kritisch ist die Handlungsforschung?
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▷[V48:266] Handlungsforschung ist in ihren Verfahren insofern kritisch, als sie systematisch Forschungssituationen anstrebt, die sämtlichen Beteiligten maximale Kommunikations- und Reflexionschancen einräumen. Ihrer Struktur nach widersetzt sie sich technokratischer Verwertung.
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▷[V48:267] Indem Handlungsforschung“die Sinndeutung, die die Praktiker”“einer sozialen Lebenswelt geben”(Heinze et al. S. 42)
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▷[V48:268]Problematischer erscheint uns der Innovationsanspruch der Handlungsforschung – zumindest da, wo er über kontrollierte Feldexperimente hinausgeht. Denn wenn im Forschungsprozeß selbst nicht nur der Gegenstand zur innovatorischen Disposition gestellt wird, sondern darüber hinaus gleichzeitig auch noch die Kategorien, Theorien und Forschungsinstrumente, dann sehen wir nicht, wie der Gegenstand in seiner Veränderung noch gültig beschrieben, erklärt und verstanden werden kann. Der kommunikative Charakter erziehungswissenschaftlicher Forschung rechtfertigt diese allseitige Disponibilität der Forschungselemente nicht. weist in diesem Zusammenhang u.E. zu Recht auf die Notwendigkeit hin, den als intersubjektive Verständigung zwischen Beteiligten ( Untersuchern und Untersuchten) voranschreitenden Forschungsprozeß Disziplinierungen zu unterwerfen:“Die modischen Forderungen nach einem Typus von action research, der Erhebung mit politischer Aufklärung verbinden soll, übersehen den auch für Sozialwissenschaften geltenden Umstand, daß eine unkontrollierte Veränderung des Feldes mit der gleichzeitigen Erhebung von Daten im Feld unvereinbar ist.”(J. HABERMAS: Theorie und Praxis. Einleitung zur Neuausgabe 1971, S. 18)Hat so verstandene Handlungsforschung nicht zur unbeabsichtigten Konsequenz, daß – wie immer man von den praktischen Resultaten sich befriedigt fühlt – die Erkenntnisresultate sich methodenkritischer Kontrolle entziehen?
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▷[V48:269] Einen ähnlichen Einwand provoziert die von et al. geforderte Abkehr der Wissenschaftler von den universalistischen Prinzipien der Wissenschaft zugunsten der partikularen“Gesinnung”der untersuchten Gruppen. Beim Wort genommen, heißt dies doch, daß unter anderem auch die Geltungsgründe für Erkenntnisse nicht mehr der wissenschaftlichen, sondern der‘Alltagsmethodologie’der untersuchten Gruppen und Lebenswelten entnommen werden sollen. Der‘Wissenschaft’wird damit die Legitimation bestritten, Handlungsforschung nach Maßgabe ihrer erklärtermaßen universalistischen Methodologie zu kritisieren. (Wenn dies so gemeint sein sollte, hätte: die Qualifizierung dieser Praxis als Wissenschaft ihren Sinn eingebüßt; da das Konzept aber in einem Buch vertreten wird, das nach Darstellungs- und Verbreitungsform nichts anderes ist als ein Buch von Wissenschaftlern für Wissenschaftler und so von dem Anspruch geprägt ist, der Möglichkeit nach alle Leser zu überzeugen, scheinen Zweifel am geäußerten Selbstverständnis der Autoren berechtigt.)
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▷[V48:270] Die entscheidende Frage ist immer noch offen: Was bezeichnet die Handlungsforschung in den vorgestellten Varianten als kritische Forschung; im Sinne der Kritischen Theorie aus? Inwiefern kann Handlungsforschung die kritische“Selbstaufklärung”() einer pädagogischen Praxis ermöglichen? Wie löst Handlungsforschung ihre Absicht der“Entdinglichung des Alltagsbewußtseins und -handelns”(Heinze et al.)“bewußt und das heißt: methodisch”(ebd.)‘Praktikern’– in gewisser Weise aufklärend und praktisch innovativ wirken kann; insofern hat das Kommunikations- und Kooperationspostulat der Handlungsforschung seinen guten Sinn. Doch sollten wir der Suggestion nicht erliegen, die egalitäre Integration der Forschung in die Praxis vermöchte aus sich heraus bewirken, daß die Beteiligten sich von Bewußtseins-, Affekt- und Verhaltenszwängen befreien können, die sie an einer emanzipierten Lebenspraxis hindern. (Diese Suggestion geht u.E. nicht so sehr von wie von der vorgeblich‘radikaleren’Version von aus.)
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(1)[V48:274]“Theoretische Erkenntnisse und empirische Zwischenergebnisse müssen von seiten der Forscher den untersucht werdenden Subjekten sprachlich konkret vermittelt zur Verfügung gestellt werden.”
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(2)[V48:275]“Die auf gearbeiteten Erfahrungen der an schulischen Interaktionsprozessen Beteiligten müssen auf der Grundlage theoretischer Erklärung konkrete und praktische Handlungsstrategien zur Folge haben.”
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(3)[V48:276]“ Ziel der forschenden Subjekte ist es: Handelnde Individuen über den Kontext ihrer Handlungszusammenhänge zu informieren ...”
(S. 56 – Hervorhebung durch uns)
Übungsaufgabe
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1.[V48:284] Lesen Sie den Text von Wolfgang Klafki:“Schulnahe Curriculumentwicklung in Form von Handlungsforschung”(In Klafki 1976, S. 117-137)
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2.[V48:285] Erläutern Sie die spezifische Aufgabe, die der Handlungsforschung bei der Entwicklung schulnaher Curricula zugeordnet wird!
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3.[V48:286] Charakterisieren Sie die Rolle des Lehres unter dem Gesichtspunkt der Qualifikationen, die ihm abgefordert werden! Überlegen Sie, ob die Qualifikationen, die Sie durch Ihr gegenwärtiges Studium voraussichtlich erwerben, diesen Ansprüchen genügen!
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4.[V48:287] Charakterisieren Sie das Konzept des“schulnahen Curriculums”, wie es von vorgestellt wird! Beurteilen Sie es anhand der vier Abgrenzungskriterien einer‘kritischen Didaktik’.