Aus heutiger Sicht (2025)
erscheint dieser Sprachgebrauch rassistisch; zur für diese Edition
grundlegenden Entscheidung zum Umgang damit siehe den Editionsbericht, Abschnitt 3.3.
Editorische Anmerkung
Aus heutiger Sicht (2025)
erscheint dieser Sprachgebrauch rassistisch; zur für diese Edition
grundlegenden Entscheidung zum Umgang damit siehe den Editionsbericht, Abschnitt 3.3.
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Ein etwas irritierter Versuch sich M. Foucault zu nähern
[064:1] Wieder einmal ereignet sich Merkwürdiges: Da tritt ein Autor auf
den deutschen Buchmarkt, wird in Windeseile
„rezipiert“
,
hat hohe Auflagen, sichert also wenigsten materielle Gewinne, taucht mit ins Markige transformierten
Kernsätzen in akademischen Prüfungen auf, gibt – unter dem Druck von
Publizität – teils ulkige, teils triviale, gelegentlich nachdenklich
stimmende Interviews, muß sich absetzen, abgrenzen, Originalität beweisen,
auch sich als fortschrittlich darstellen – kurz: wird eine Art
Marken-Artikel. Wer Foucault
kennt, darf sich als etwas Besseres fühlen; wer ihn zitieren kann,
imponiert; wer sich gar an irgendein Kapitel irgendeines seiner Bücher
erinnert, ist besonders gut dran; am besten steht der da, der sogar sein
eigenes Handeln damit rechtfertigen zu können glaubt. Das ergibt sich bei
vielen Tausend Seiten literarischer Produktion leicht und auch die
Rezensionsliteratur hat inzwischen vermutlich bald 1000 Seiten erreicht.
Kein Wunder, daß kritische Kritiker da erst recht kritisch werden:
[064:2]
„Einen Linksdezisionismus gibt es leider. Dieser
stützt sich auf das Denken von Foucault und die simple
Eindeutigkeit seiner Kategorien erlaubt das auch“
.
(Gottschalch)
[064:3]
„Jegliche Hoffnung ist erloschen, seit Foucault – dieser
nun seinerseits keineswegs original, nur als zugleich
hocherregter und schwächlicher Nachfolger Levi-Strauss’ – den Tod des Menschen verkündet“
.
(Amery)
[064:4]
„Da ist uns ein neuer Geistes-Heros entstanden,
mit allem, was dazugehört: einer gleichzeitig machtvollen und
nicht ganz leicht verständlichen Sprache, Begriffen, die den
Anfänger ratlos machen, einer Metaphorik des Eingesperrtseins
und Diszipliniertwerdens, die emotional anspricht, dem Ausweis
von Gelehrsamkeit durch Zitieren zahlreicher Schriften, die
(schon weil teilweise den Archiven des 17. bis 19. Jahrhunderts
und Frankreichs entstammend) der hiesige Leser wenig bis nicht
kennt, dazu mit einer Attitüde, die politisch anmutet, sich
dabei aber geheimnisvoll und spröde gibt, wie es der
intellektuellen Desillusioniertheit und Abgebrühtheit gut
ansteht – mit der
„Tiefe“
also, die ein deutscher Geistes-Heros schon haben muß.
Der Suhrkamp- Verlag
hat den Nutzen davon (der Merve-Verlag macht auch ein bißchen mit) und die
Journale (auch unseres) füllen sich. Das deutsche Geistesleben
hat wieder einmal ein (Neben)Zentrum.“
(Steinert)
Seine Rhetorik
[064:5] Die Schwierigkeiten einer argumentativen Auseinandersetzung mit den
Schriften Foucaults liegen
teils in den Erwartungen seines Publikums an
„linke“
Literatur, charakterisieren also eher dieses Publikum, seine Art zu lesen,
seine Projektionen und Hoffnungen – ungefähr in dem Sinne, in dem vor
längerem jemand über Kafka
sagte, man müsse, um seine Arbeiten zu verstehen, die Reaktionen seiner
Leser auf seine Arbeiten analysieren. Nun – Foucault ist gewiß nicht Kafka; der Vergleich ist etwas
zu hoch gegriffen, und dies vor allem wegen der Gestalt der literarischen
Produkte. Dies ist nämlich die andere Seite der Schwierigkeiten, die man mit
Foucault haben kann (ich
formuliere einmal etwas pointiert): der rationale Gehalt seiner Schriften
zieht sich immer wieder hinter einen Schleier von Rhetorik und
Selbstkommentaren zurück. Ich will versuchen, diesen Schleier zu
charakterisieren und zu diskutieren, was
„dahinter“
liegt, besonders im Hinblick auf die Relevanz für das, was wir
„Pädagogik“
nennen.
1.
[064:6] Foucaults
Rhetorik ist etwas sehr
„Französisches“
: die
rhetorische Figur, der witzige Einfall, die überraschende Formulierung,
das Aperçu sind ihm – so scheint es – bisweilen wichtiger als der
argumentative Gehalt.
2.
[064:7] Was mit diskursiver Argumentation nicht zu erklären ist, das
provoziert bei Foucault
bisweilen die originelle und auf den ersten Blick gelegentlich absurde
Gegenthese. So z.B. die Behauptung, man solle sich angesichts der
Mißerfolge von Gefängnissen als Anstalten zur Bekämpfung der
Kriminalität fragen,
„wozu der Mißerfolg des Gefängnisses gut
ist?“
(Überwachen und Strafen, S. 349)
Und Foucault
antwortet, daß Gefängnisse womöglich
„nicht dazu bestimmt sind, Straftaten zu unterdrükken, sondern sie zu differenzieren, sie zu ordnen, nutzbar
zu machen“
(S. 350)
, also
„Verwaltung von Gesetzwidrigkeit“
. Ein
origineller Einfall, meint man zunächst. Aber: Worüber soll man nun
nachdenken? Ist diese Behauptung wirklich mehr als die rhetorisch gut
präsentierte, aber triviale These, daß das Gefängniswesen u.a. ein
Instrument der Herrschaftssicherung ist? Wer also Foucault als Steinbruch für originelle
Zitate verwenden will, der wird sicher fündig; nüchterne Argumentationen
wird er genauer suchen müssen.
3.
[064:8] Bei dieser Suche trifft der Leser immer wieder auf die
Attitüde
„ich, M.F., bin immer schon einen Schritt weiter“
. Dieses
Hase-und-Igel-Spiel mit dem tatsächlichen oder antizipierten Kritiker
ist deshalb ärgerlich, weil es sich zugleich gegen Kritik immunisiert,
und zwar durch Rhetorik. Die Selbstkommentare sind rhetorische Spiele
und enthalten häufig nur den Schein von Argumentationen. Deutlich wird
das beispielsweise in den ersten Passagen der
„Archäologie des
Wissens“
: Der gewaltige Anspruch, mit der
Geschichtswissenschaft abzurechnen, wird mit einem verwirrenden Spiel
von anscheinenden Fachausdrücken vorgetragen und ist imposant,
allerdings nur für den, dem diese Wissenschaft nicht vertraut ist. Mir
erscheinen die ersten 30 bis 40 Seiten des Buches einfach als ziemlich
krauses Zeug. Dabei ist die Frage, die Foucault stellt, durchaus interessant:
„Wie kommt es, daß eine bestimmte Aussage
erschienen ist und |a1 a2 64|keine andere an
ihrer Stelle?“
Aber diese Frage ist nicht neu; Marx, Weber und Dilthey, Groethuysen, Hazard und Elias (um nur wenige zu nennen) haben sie gestellt und
einiges zu ihrer Beantwortung beizutragen gewußt.
Für Pädagogen eine Verführung
[064:9] Ich verstehe also, daß die Schriften Foucaults bisweilen Leser in Begeisterung
versetzen, die sich kernige sogenannte
„kritische“
Thesen
wünschen, auch solche Leser, die es mit dem Denken nicht sehr genau nehmen
und eher
„in Stimmung“
versetzt werden wollen, als eine
Argumentation auf ihre Triftigkeit zu prüfen. Wem indessen der historische
Beweis und die Klarheit der Methode ebenso wichtig, wenn nicht wichtiger als
der brilliante Einfall ist, dem macht es Foucault nicht gerade leicht. Für Pädagogen steckt zudem eine
gewisse Verführung darin, sich dem kurzfristig Verwertbaren zuzuwenden:
„Wahnsinn und
Gesellschaft“
sowie
„Überwachen und Strafen“
sind Bücher, denen
man relativ rasch ein weiteres Bündel von Argumenten gegen pädagogische
Institutionen hierzulande und gegen sozialpädagogische Einrichtungen im
besonderen entnehmen kann; die Thesen sind
„griffig“
; die
Quellenzitate anschaulich und einleuchtend; die ironische Destruktion der
Legitimität bürgerlicher Institutionen (wenigstens scheint es auf der
Oberfläche so) kommt der Einstellung vieler Leser entgegen; die von Foucault – mehr unter der Hand
als aus den Quellenstudien begründet (Steinert hat das treffend kritisiert) –
vorgenommene Periodisierung der jüngeren Geschichte kommt manchem
marxistischen Stereotyp entgegen; und natürlich ist für einen Franzosen die
Französische Revolution ein nicht nur nationales, sondern
gattungsgeschichtliches Ereignis. Ich selbst habe Foucault zunächst so gelesen und ich war
fasziniert. Aber mir ging es dann auch wie Gottschalch: Die rasche Begeisterung, die
Verwendung dieser beiden Bücher zur Legitimation offensichtlich irrationaler
Positionen von Studenten, so als sei hier ein neuer Künder am Werke, machte
mich stutzig. Heute glaube ich zu wissen, daß man Foucault zweckmäßigerweise anders lesen
sollte: auf seine Methode hin.
Seine Methode
[064:10] Ich empfehle deshalb, die Foucault-Lektüre zu beginnen mit
„Dies ist keine Pfeife“
(
„Ceci n’est pas une pipe“
) Dieser 1968 geschriebene,
1973 erweiterte und 1974 ins Deutsche übersetzte Essay enthält – wenn ich
recht sehe – wie in einer Nußschale das, worum es Foucault geht. Zunächst: Der
Wissenschaftler/Philosoph Foucault ist der Chronist, allenfalls der Kommentator laufender
Ereignisse. Magritte, der
Maler ist der Autor des Bildes
mit jener Unterschrift. Was Foucault sowohl registriert wie kommentiert ist die
selbstreflexive Bewegung der Vorstellungskraft, die in Magrittes Bild dadurch
symbolisiert ist, daß die Bildunterschrift, die Teil des Bildes ist, das
Bild gleichzeitig als Bild zu bestätigt und aufzuheben scheint. Man kann
auch sagen; das Bild verweist auf sich selbst als ein gemachtes, und zwar
dadurch, daß es auf seine Machart zeigt. Das ist nun nicht nur ein Problem
der Ästhetik (übrigens hat Adorno mit ähnlicher Fragestellung Beckett interpretiert). Die Vorgeschichte des Essays wirft
darauf ein Licht. Magritte
hatte nämlich Foucaults
„Ordnung der Dinge“
(1966) gelesen und ihm daraufhin einen
Brief mit folgendem Schlußsatz geschrieben:
„Ich erlaube mir, Ihrer Aufmerksamkeit die
beiliegenden Reproduktionen von Bildern zu empfehlen, die ich
gemacht habe, ohne in der Malerei nach Originalität zu
suchen“
; diesem Brief lag u.a. das Bild
„Ceci n’est pas une pipe“
bei.
[064:11] Den Zusammenhang zwischen Magrittes Bild, Foucaults Essay und seinem Buch
„Die Ordnung der Dinge“
(ich empfehle es
als zweite Lektüre) sehe ich so: Es geht um die Frage, woraus unsere
Vorstellungswelten, Welt- und Selbst-Deutungen gemacht sind, nach welchen
Regeln sie produziert werden, nach welchen Regeln diese Produktion
rekonstruiert und also transparent gemacht werden kann. Worauf der
Kunst-Macher in einer sinnfälligen ästhetischen Paradoxie gleichsam
momenthaft verweisen kann, das erfordert für den Wissenschaftler den langen
Marsch durch die Geschichte, jedenfalls durch die Wissenssysteme, die
unserem Bewußtsein seine besondere Gestalt geben. Was aber geschieht mit dem
Bewußtsein, das sich darauf einläßt (mir fällt die
„Unendliche Ironie“
Friedrich Schlegels ein, auch
W. Benjamins Dissertation, vor allem aber AdornosÄsthetische
Theorie). Das Bewußtsein (was ist das?) wird nicht nur mit den
Regeln, nach denen sich die Vorstellungswelt formiert, sondern auch mit
„Verarbeitungsweisen“
konfrontiert, durch die das
„Wissen“
subjektive Bedeutung erlangt; es wird außerdem
– und das wird von Foucault in
„Überwachen und Strafen“
für Pädagogen am
pointiertesten herausgearbeitet – mit den Institutionen konfrontiert und
damit den gesellschaftlichen Durchsetzungsweisen der geschichtlich
bestimmten
„Ordnung der Dinge“
. So erscheint mir Foucault eigentlich als
„Bildungstheoretiker“
; denn was ist der Bildungsprozeß
jedes Gesellschaftsmitgliedes anderes, als eine Formierung von Kognitionen
und Antrieben nach den Regeln gesellschaftlichen Wissens, in denen der
„objektive Sinn“
subjektiver Existenzen und
Handlungsräume definiert ist.
[064:12] Nach welchen Regeln also werden Situationen und Bedeutsamkeiten,
Probleme und Handlungsstrategien, Dinge und Menschen definiert? Diese
Kernfrage Foucaults steht
bereits in einer Tradition: Ein Essay über MagrittesBild hätte mit gleicher
Argumentationsrichtung auch von R.
Barthes zur Erläuterung des Konzepts der Alltagsmythen und ihrer
Entmythologisierung geschrieben werden können; auch Garfinkel oder andere
Ethnomethodologen hätten es – als Analyse seiner Wirkungen – interpretieren
können, als Mittel zur Bewußtmachung von
„Hintergrundwissen“
. Allerdings: Nur Foucault versucht sich als der
Geschichtsschreiber dieses Problems (wie z.B. auch Ariès oder Elias); er beschränkt sich auch
nicht auf nur eine Dimension – z.B. die Formierung des Lernens oder
die Regeln des Sprechens – sondern sucht den Zusammenhang auf zwischen den
vielen Komponenten des komplexen Wissenssystems und er verfolgt seine
historischen Transformationen (
„Diskontinuitäten“
). Es
erscheint mir unfair, ihn deshalb zu schelten (wie Amery das tat), weil ihm das nicht ebenso überzeugend gelang,
wie Levi-Strauss, als dieser Verwandtschaftsregeln, Inzest-Tabus und Mythen primitiver Kulturen analysierte.
[064:13] Richtig ist indes, daß die Realisierung des strukturalistischen
Programms für die europäische Geschichte und ihre Bildungstheorie ungleich
schwieriger ist, als es eine
„strukturale Anthropologie“
primitiver Gesellschaften oder eine |a1 a2 65|strukturalistische Linguistik ahnen lassen.
[064:14] Aber:
„Ceci n’est pas une pipe“
.
Dieser
„Humanismus“
, den ich darstelle – so scheint mir
Foucault sagen zu wollen
– ist kein Humanismus; dieser
„Marxismus“
, dem ich meine
Theoreme entlehne, ist kein Marxismus; dieser
„Strukturalismus“
, dem ich meine Methode verdanke, ist kein
Strukturalismus. Im Augenblick der ironischen Analyse nämlich wird das
Analysierte wie auch die Diskursregel des Analysierens suspekt,
„aufgehoben“
, zerfällt die Sicherheit des Autors, der ja
eigentlich sich selbst, sein Wissen, seine Denk- und Vorstellungs-Regeln zum
kritischen Thema gemacht hatte. Kein Wunder also, daß die Selbstkommentare
Foucaults, seine
Erläuterungen, Interviews, politischen Bekenntnisse so wirr, so zerstreut,
so irrational erscheinen – als seien sie das Gegenteil dessen, was er
methodisch in seinen Büchern versucht. Er ist eben ein Wissenschaftler und
nicht Magritte, Klee, Beckett oder Cage.
[064:15] Die Wissenschaft überzeugt nicht durch das Resultat (Resultate
können allemal verschieden ausfallen und auch ohne Rückgriff auf die Wege
und Mittel ihrer Produktion Glauben finden), sondern durch die Methode der
Argumentation. In dieser Hinsicht mutet Foucault seinen Lesern vielleicht etwas zu
viel zu; man muß sich seine Methode aus den Darstellungen herauslesen. Zwar
gibt es gelegentlich Hinweise, so z.B. in
„Überwachen und Strafen“
auf S. 33 ff.; und in der
„Archäologie des
Wissens“
– das Buch, das ich als drittes zu lesen empfehle –
versucht er wenigstens eine ausführliche Explikation des von ihm bevorzugten
Verfahrens. Dennoch fällt es nicht leicht, die Regeln anzugeben, denen er
folgt; man bleibt deshalb auch im Ungewissen darüber, wann eine Behauptung
als gescheitert (falsifiziert) gelten darf. Immerhin gibt es Anhaltspunkte.
Foucaults methodisches
Interesse ist ethnomethodologisch. Er versucht, die
Klassifikationen (begrifflichen Unterscheidungen) herauszufinden, in denen
eine bestimmte historische Vorstellungswelt (beispielsweise auch die unsere)
sich differenziert und mit deren Hilfe die so unterschiedenen Dinge,
Aussagen, Handlungen usw. zu Definitionen von Fragestellungen,
Bedeutsamkeiten, Problemsituationen, Denk- und Handlungsstrategien
zusammengestellt werden; es kommt ihm darauf an, daß man den
„Diskurs ... in sich selbst nach seinen
Formationsregeln befragt“
(Archäologie, S. 115)
. Foucault hat ein
methodisches Interesse am Vergleich: Das zunächst Verschiedene –
Psychiatrie, Gefängnisse, Erziehungswesen, Sprachtheorien, Malerei,
Architektur usw. – soll auf seine Verknüpfungen hin untersucht werden, um
„die Gesamtheit diskursiver Formationen erscheinen
zu lassen, welche untereinander eine gewisse Zahl beschreibbarer
Beziehungen haben“
(Archäologie, S. 225)
. Sein methodisches Interesse ist schließlich nicht auf die
subjektiven Bedeutungen gerichtet, die der Diskurs und seine Elemente für
das Individuum haben, nicht also auf
„individuelle
Bildungsprozesse“
, sondern auf deren strukturale Formation,
deren Machart unabhängig ist von den Intentionen der Einzelnen; und darüber
hat er schließlich, besonders im Hinblick auf die gesellschaftliche Form von
Erziehung und Bildung, eine Menge herausgefunden.
[064:16] Wer so vorgeht, manövriert sich selbst in das schon angedeutete
argumentative Dilemma hinein: Das Zeigen auf die Machart zeigt – da dieses
Zeigen seinerseits Teil des Diskurses ist, der analysiert wird – die Machart
der Analyse selbst und ihrer Regeln und erzwingt die ironische Distanz nicht
nur zum analysierten Gegenstand, sondern auch zu sich selbst. Damit aber ist
der Autor – wenn er sich nicht, wie Levi-Strauss, entschließen mag, eine Universalität der ermittelten
Strukturen zu behaupten – schon in gewisser Weise
„über sich
hinaus“
; der offene Moment als Schwelle zur Zukunft läßt sich aber
nicht mehr beschreiben, sondern nur noch durch rhetorische Figuren ausfüllen
– wenn man schon schreiben und nicht handeln will. So wird die dunkle
Bemerkung am Ende der Einleitung zur
„
Archäologie
“
vielleicht doch noch wenigstens verstehbar:
„Man frage mich nicht, wer ich bin, und man sage mir
nicht, ich solle der Gleiche bleiben: Das ist eine Moral des
Personenstandes. Sie beherrscht unsere Papiere. Sie soll uns
freilassen, wenn es sich darum handelt, zu schreiben“
.
[064:17] Ich möchte Foucault
also nicht für ein Dilemma verantwortlich machen, in dem wir alle stecken –
sofern wir versuchen einerseits den selbstkritischen Gedanken
festzuhalten, daß unsere Vorstellungen und die Regeln ihrer Formation uns
durch unsere zur
„Institution“
(oder deren Spuren)
gewordenen Erfahrungen eingepflanzt wurden, andererseits aber auch
den anderen Gedanken, daß der Ort unseres Denkens (und der Entscheidungen,
die wir im Hinblick auf unser Handeln fällen) jenen
„Erfahrungen“
gegenüber, der Möglichkeit nach, transzendental ist,
das
„intelligible“
Subjekt. Dies ist ein komplizierter
Satz – ich weiß! Aber das Problem ist eben so kompliziert. Die SelbstkommenttareFoucaults verweisen auf eben
diesen Punkt in – so möchte ich sagen – existenzialistischer Attitüde. Das
ist für manch einen von uns Deutschen, der von der marxistisch orientierten
soziologischen Denkweise nur die kritische ex-post-facto-Analyse übernommen
hat oder sich, im Hinblick auf Handlungsentwürfe, wiederum nur
Programmatiken (und seien sei
„klassenkämpferisch“
) denken kann, schwer
nachzuvollziehen. (Insofern gibt es doch wohl noch von der Kritischen
Theorie, besonders Adornos,
mehr zu lernen, als viele meinen). Analysieren wir unser eigenes
Handeln so, wie Foucault die
(französische) Geschichte, dann geraten wir vielleicht an den gleichen
Punkt: Wenn ich erkannt habe, welchen Regeln mein Vorstellen und Handeln
folgt, was durch dieses Handeln beispielsweise den Kindern angetan wird,
wenn ich überdies die Legitimität dieses Ganzen oder seiner Teile bezweifle
– dann kann die Frage der besseren Legitimitation des möglichen zukünftigen Handelns nicht nach eben den Kriterien
mehr erfolgen, nach denen die Regeln meiner Vergangenheit gemacht sind – und
meine, gut gemeinte, Programmatik ist ein Teil davon. Kein Wunder, daß Foucault sich für Rousseau interessierte: Für
„Rousseau Juge de Jean
Jacques“
hat er eine Einleitung geschrieben.
Literaturauswahl:
[064:18] M. Foucault: Dies ist keine Pfeife; mit
einem Nachwort, herausg. von Walter Seitter, München 1973
[064:19] Wahnsinn und Gesellschaft, Frankfurt/M.
1973
[064:20] Archäologie des Wissens, Frankfurt/M.
1973
[064:21] Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der
Humanwissenschaften, Frankfurt/M. 1974
[064:22] Überwachen und Strafen. Die Geburt des
Gefängnisses, Frankfurt/M. 1976
[064:23] Sexualität und Wahrheit. Erster Band: Der
Wille zum Wissen, Frankfurt/M. 1977
[064:24] Von der Subversion des Wissens; W. Seitter,
München 1974
[064:25] Literaturmagazin 9: der neue
Irrationalismus, Reinbek b. Hamburg 1978(dasrin die zitierten Arbeiten von Amery und Gottschalch)
[064:26] Kriminalsoziologische Bibliografie Jg. 1978,
Heft 19-20: Michael Foucault & Das Gefängnis (darin die zitierte Arbeit von
Steinert).