Einige Überlegungen zu einer pädagogischen Theorie der Geselligkeit [Werkkommentar]

1 Werk: Formale Beschreibung

1.1 Leittext

[1] Mollenhauer, Klaus. Einige Überlegungen zu einer pädagogischen Theorie der Geselligkeit (Beitrag 1965; KMG 018-a). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqsm&edition=a.
[2] Basierend auf:
  • [3] Mollenhauer, Klaus (1965). Einige Überlegungen zu einer pädagogischen Theorie der Geselligkeit. studpaed. Berliner Zeitschrift für Pädagogikstudenten, 3(4), 14–18.
[4] Dem im Oktoberheft 1965 der Zeitschrift studpaed abgedruckten Aufsatz liegt der Vortrag Mollenhauers zur Semester-Eröffnung an der Pädagogischen Hochschule Berlin am 25.10.1965 zugrunde. Mollenhauer hat 1998 den Vortrag von 1965 als
Berliner Antrittsvorlesung
Zur pädagogischen Theorie der Geselligkeit
(1963)
(KMG 147-a, Abs. 147:9)
bezeichnet. Ob der Vortrag zur Semestereröffnung zugleich seine Antrittsvorlesung gewesen ist, konnte nicht überprüft werden.
[5] Der Beitrag umfasst ca. 4,5 zweispaltig gesetzte Druckseiten. Die fünfmal im Jahr während der Vorlesungszeit erschienene Zeitschrift enthielt wissenschaftliche Beiträge sowie Nachrichten, Anzeigen und Buchbesprechungen.

1.2 Weitere Fassungen

[6] Mollenhauer, Klaus. Einige Überlegungen zu einer pädagogischen Theorie der Geselligkeit (Beitrag 1968, 1971; KMG 018-b). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqsm&edition=b.
[7] Basierend auf:
  • [8] Mollenhauer, Klaus (1968). Einige Überlegungen zu einer pädagogischen Theorie der Geselligkeit (S. 239–250). In Hermann Giesecke (Hrsg.), Freizeit- und Konsumerziehung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
  • [9] Mollenhauer, Klaus (1971). Einige Überlegungen zu einer pädagogischen Theorie der Geselligkeit (2., um einen Nachtrag erweiterte Auflage, S. 239–250). In Hermann Giesecke (Hrsg.), Freizeit- und Konsumerziehung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
  • [10] Mollenhauer, Klaus (1974). Einige Überlegungen zu einer pädagogischen Theorie der Geselligkeit (3. Auflage, S. 239–250). In Hermann Giesecke (Hrsg.), Freizeit- und Konsumerziehung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
[11] Der erste Wiederabdruck erfolgte 1968 unter Angabe des Erstdruckortes in einem Sammelband, der anschließend noch zwei weitere Auflagen erfuhr. Der Umfang des Beitrags beträgt hier gut 11 Druckseiten. Der Band enthält insg. 20 Beiträge, u. a. von Jürgen Habermas und Helmut Schelsky sowie aus der Erziehungswissenschaft Leonhard Froese, Paul Heimann und Wolfgang Schulz.
[12] Ein weiterer Wiederabdruck erfolgte unter dem leicht geänderten Titel Zur pädagogischen Theorie der Geselligkeit ebenfalls 1968 in der Monografie Erziehung und Emanzipation. Ein Hinweis auf die frühere Veröffentlichung ist hier nicht zu finden, doch wird angemerkt, dass es sich um einen Vortrag zur Eröffnung des Winter-Semesters 1965/66 an der Pädagogischen Hochschule Berlin handelte. Hier weist der Text einen Umfang von gut 14 Druckseiten plus etwa eine Druckseite Anmerkungen im Anhang auf. Daraus, dass es zwei unterscheidbare Buchfassungen gibt (s. Werkkommentar zu KMG 036), ergeben sich hier die zwei Beitragsfassungen 023-A und 023-B, die aber miteinander identisch sind. Sie sind im Onlineportal in der textkritischen interaktiven Ansicht des Aufsatzes berücksichtigt, werden aber gemäß den Editionsrichtlinien der KMG nicht als eigenständige Ansichten abgebildet.
[13] Die beiden Fassungen in Erziehung und Emanzipation weisen gegenüber der Fassung 023-a formale Änderungen auf: Die ersten fünf Zeilen in Fassung 023-a wurden hier durch einen Absatz allgemeineren Zuschnitts ersetzt; die in Fassung 023-a lediglich mit römischen Ziffern bezeichneten Zwischenüberschriften wurden, wie bei allen anderen Beiträgen des Bandes Erziehung und Emanzipation, durch Textüberschriften ersetzt; die in der Fassung 023-a vorhandenen Fußnoten wurden in Anmerkungen umgewandelt und im Anhang des Bandes gesondert abgedruckt.

1.3 Übersetzungen

[14] Übersetzungen liegen unserem Kenntnisstand nach nicht vor.

1.4 Unveröffentlichte Quellen

[15] SUB Göttingen Cod. Ms. K. Mollenhauer
  • [16] Uni-Lehre 60 08-001: Studie Geselligkeit, Gruppendiskussion
    Koserstraße II
    vom 11. April 1965
  • [17] Uni-Lehre 60 08-002: Studie Geselligkeit, Gruppendiskussion
    Rembrandtstraße II
    vom 12. April 1965
  • [18] Uni-Lehre 60 08-003: Studie Geselligkeit, Gruppendiskussion
    Rembrandtstraße
    vom 29. März 1965 (Bei diesen Dokumenten handelt es sich um die Durchschläge von Transkripten von Gruppendiskussionen mit Jugendlichen in Berliner Jugendheimen mit einem Gesamtumfang von ca. 150 Seiten. Bei einem der Gespräche war Mollenhauer selbst beteiligt, die anderen wurden von Mitarbeitenden durchgeführt. In dem Band
    Jugendhilfe
    von 1968 verweist Mollenhauer (KMG 029-A, Abs. 029:347–368, Anm. 129) auf ein Manuskript
    Mollenhauer, K.: Probleme jugendlicher Geselligkeit, eine empirische Studie über Kommunikationsformen in Freizeitstätten; Manuskript Berlin 1965.
    ; dieses Manuskript konnte nicht gefunden werden, eine Publikation liegt unserer Kenntnis nach nicht vor.)

2 Inhalt und Kontexte

[19] Ausgehend von Friedrich Schleiermachers Versuch einer Theorie des geselligen Betragens von 1799 (Schleiermacher, 1913) gibt Mollenhauer einen Abriss der Geschichte bürgerlicher Geselligkeit von englischen Kaffeehäusern im 17. Jahrhundert über französische Salons im 18. Jahrhundert zu bürgerlichen Salons in Deutschland im ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhundert. Dabei stellt er einen Wandel fest von einer öffentlichen, an politischen und ökonomischen Debatten interessierten Geselligkeit zu einer privaten Geselligkeit, in der Bildung und Kultur die zentrale Rolle spielten. In diesem Zusammenhang sei die deutsche Bildungstheorie entstanden, doch seien die in der bürgerlichen Geselligkeit gemachten Erfahrungen (kritische Diskussion, rationales Argumentieren) nicht in die pädagogische Praxis und Theorie übertragen worden. Geselligkeit sei in der Folge
nicht ein Ort der Einübung kritischen Bewußtseins, kein Ort vernünftiger Diskussion, kein Ort sozialschöpferischer Aktivität, sondern ein Instrument gesellschaftlicher Herrschaft
(KMG 018-a, Abs. 018:24)
geworden. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts habe die
rationale Diskussion
(KMG 018-a, Abs. 018:27)
weiter an Bedeutung verloren: Es habe sich ein
affirmativer Typus
der Geselligkeit ausgebildet, der der
Realität der faschistischen Barbarei
(KMG 018-a, Abs. 018:27)
nichts entgegensetzen habe können. Doch auch dieser Typ von Geselligkeit scheine außerhalb des pädagogischen Feldes verschwunden zu sein und in der Gegenwart einem neuen Typ der Geselligkeit
als Form des kollektiven Konsums
(KMG 018-a, Abs. 018:28)
Platz gemacht zu haben. Diese
[m]oderne Geselligkeit
scheine
ein Widersacher von Aufklärung zu sein
(KMG 018-a, Abs. 018:28)
.
[20] Abschließend diskutiert Mollenhauer die pädagogische Bedeutung der drei genannten Typen von Geselligkeit. Der bürgerlich-öffentliche, an Kritik orientierte Typ sei Sache der Erwachsenen geblieben und habe keine pädagogische Relevanz erhalten. Der bürgerlich-affirmative Typ mit dem Streben nach kulturellem Genuss sei als pädagogisches Programm und pädagogische Praxis bedeutsam insbesondere im Bereich der musischen Bildung in Schulen, Volkshochschulen oder Jugendverbänden. Der kollektiv-konsumptive Typ sei die
Realität jugendlichen Daseins heute, der gegenüber die Pädagogik sich in der Rolle des Zuschauers vorfindet, ohne diesen vermutlich sehr wirkungsvollen Faktor im Prozeß des Heranwachsens irgend mit einplanen zu können
(KMG 018-a, S. 018:37)
.
[21] Allerdings scheine die
kollektiv-konsumptive Geselligkeit
(KMG 018-a, Abs. 018:43)
nicht die erhoffte Befriedigung zu bringen, sondern es entstünden
kurzlebige Verhaltensweisen, Attitüden und Kommunikationsformen, in denen sich so etwas wie eine Gegen-Kultur anzukündigen scheint
(KMG 018-a, Abs. 018:43)
. Die Frage, ob sich daraus ein neuer Typ von Geselligkeit entwickeln würde, sei für
die Entwicklung eines demokratischen Erziehungswesens und den Fortschritt der Emanzipation […] von besonderer Wichtigkeit, da vermutlich mit der andauernden Vergrößerung des sogenannten Freizeitbereichs auch die Bedeutung der Bildungsmotivationen wachsen werden [sic!], die von hier kommen oder ausbleiben. Die Formen von Geselligkeit, die die Gesellschaft hervorzubringen imstande sein wird, werden dabei kein unerheblicher Faktor sein. Zum Optimismus freilich besteht wenig Anlaß.
(KMG 018-a, Abs. 018:41)
[22] Das Thema
Geselligkeit
findet sich auch in anderen Werken Mollenhauers zur Jugendarbeit und Sozialpädagogik in den 1960er Jahren (s. KMG 010-a; KMG 011-A; KMG 017-a; KMG 035-A). Mit
Geselligkeit
verband sich eine erziehungswissenschaftliche, gesellschaftstheoretische und historische Einbettung dessen, was als
Gesellungsformen der Jugend
(Wurzbacher, 1965)
zeitgenössisch thematisiert wurde.
[23] Mollenhauer hat den Vortrag von 1965 später als Teil der
Befreiung aus der Engführung im
pädagogischen Bezug
der geisteswissenschaftlichen Pädagogik
hin zum
Arrangement
(KMG 147-a, Abs. 147:13)
dargestellt, markiert durch die
Frage, wie in einem
Haus der offenen Tür
die Bar zu lokalisieren und zu gestalten sei, um bildende Geselligkeit zu ermöglichen, die
Party
kam als bildendes Milieu in den Blick, was einen ersten akademischen Ausdruck in der Berliner Antrittsvorlesung
Zur pädagogischen Theorie der Geselligkeit
(1963) fand. […] Erinnerungen an Schleiermacher und Simmel […] kamen mir in den Sinn und konnten diesen Gedanken bekräftigen.
(KMG 147-a, Abs. 147:9)
Hier sind dann auch die Bezüge zu den Gruppengesprächen zu sehen, die Mollenhauer und seine Mitarbeiter*innen 1965 mit Berliner Jugendlichen durchgeführt haben.

3 Rezeption

[24] C. Wolfgang Müller referierte 1993 in seinem biografisch angelegten Beitrag zu Mollenhauer zentrale Gedanken des Vortrags von 1965. Mollenhauer habe
über sein damaliges Lieblingsthema
gesprochen und eine
Beschreibung und Präzisierung eines nicht von vornherein und aus sich heraus pädagogischen Hauptwortes
(Müller, 1993, S. 84–85
; s. a. Müller, 1998, S. 438) vorgelegt. Ähnlich knapp hat sich Alex Aßmann in seiner Biografie zu Klaus Mollenhauer zu dem Text geäußert (Aßmann, 2015, S. 146). Ergänzend und Müllers Diktum vom
Lieblingsthema
bestätigend, berichtet Aßmann davon, dass Mollenhauer
in mehreren Lebensläufen, beispielsweise in einem vom 26.6.1965, von einer Habilitationsschrift, die den Arbeitstitel
Strukturwandel und pädagogische Theorie der Geselligkeit
geführt habe
(Aßmann, 2015, S. 137)
, gesprochen habe – eine Arbeit, die aufgrund der Berufung an die Pädagogische Hochschule Berlin im April 1965 nicht ausgeführt worden sei.
[25] Michael Winkler nimmt in seiner Studie zu Mollenhauer mehrfach auf dessen intensive Schleiermacherrezeption Bezug und thematisiert dabei auch den Vortrag von 1965 in der Fassung, die er im Band Erziehung und Emanzipation erhalten hat. Mollenhauer habe
an die utopische Dimension in Schleiermachers Vorstellung an[geknüpft], nach welcher die Individuen sich in rationaler und kommunikativer Auseinandersetzung konstituieren
und diese
als ein kritisch-analytisches Instrument zur Gegenwartsdiagnose
(Winkler, 2002, S. 86–87
; s. a. Winkler, 1998, S. 474) genutzt.

4 Literatur

4.1 Andere hier verwendete Werke von Klaus Mollenhauer

    [26] Mollenhauer, Klaus. Die Bildungs- und Erziehungsarbeit der Jugendverbände im Blickfeld der Erziehungswissenschaft (Beitrag 1964; KMG 010-a). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqtn&edition=a.
    [27] Mollenhauer, Klaus. Einführung in die Sozialpädagogik. Probleme und Begriffe (Monografie 1964; KMG 011-A). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqtk&edition=A.
    [28] Mollenhauer, Klaus. Versuch 3 (Beitrag 1964-1986; KMG 017-a). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3w4vq&edition=a.
    [29] Mollenhauer, Klaus, Kasakos, Gerda, Ortmann, Hedwig & Bathke, Ulrich. Evangelische Jugendarbeit in Deutschland. Materialien und Analysen (Monografie 1969; KMG 035-A). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqr3&edition=A.
    [30] Mollenhauer, Klaus. Ego-Histoire: Sozialpädagogik 1948–1970 (Beitrag 1998; KMG 147-a). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqbb&edition=a.

4.2 Weitere Literatur

    [31] Aßmann, Alex (2015). Klaus Mollenhauer. Vordenker der 68er – Begründer der emanzipatorischen Pädagogik. Eine Biografie. Paderborn: Schöningh.
    [32] Müller, C. Wolfgang (1993).
    … Der Figur vom
    Arrangement der Umstände
    treu geblieben
    . Über Klaus Mollenhauer. In Dieter Lenzen (Hrsg.), Verbindungen. Vorträge anläßlich der Ehrenpromotion von Klaus Mollenhauer an der FU Berlin am 15.1.1993 (S. 81–90). Weinheim: Deutscher Studien Verlag.
    [33] Müller, C. Wolfgang (1998).
    … Der Figur vom
    Arrangement der Umstände
    treu geblieben
    . Über Klaus Mollenhauer. Neue Praxis, 28(5), 436–441.
    [34] Schleiermacher, Friedrich (1913). Versuch einer Theorie des geselligen Betragens. In Friedrich Schleiermacher, Werke. Auswahl in vier Bänden. (Bd. 2, S. 1–31). Leipzig: Meiner. (Original erschienen 1799)
    [35] Winkler, Michael (1998). Unordentliche Teile – Klaus Mollenhauer über Friedrich Schleiermacher. Neue Praxis, 28(5), 473–480.
    [36] Winkler, Michael (2002). Klaus Mollenhauer. Ein pädagogisches Porträt. Weinheim [u. a.]: Beltz.
    [37] Wurzbacher, Gerhard (1965). Gesellungsformen der Jugend. München: Juventa.
[38] [Klaus-Peter Horn]