Was ist Erziehung? [Werkkommentar]

1 Werk: Formale Beschreibung

1.1 Leittext

[1] Mollenhauer, Klaus. Was ist Erziehung? (Beitrag 1966; KMG 025-a). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqs8&edition=a.
[2] Basierend auf:
  • [3] Mollenhauer, Klaus (1966). Was ist Erziehung? deutsche jugend, 14(4), 159–164.
[4] Der Beitrag im Aprilheft der Zeitschrift deutsche jugend umfasst sechs Druckseiten und enthält weder Literaturverweise noch Anmerkungen. Mollenhauer hat ihn seinem damaligen Kieler Kollegen
Theodor Wilhelm zum 60. Geburtstag
gewidmet.

1.2 Weitere Fassungen

[5] Mollenhauer, Klaus. Was ist Erziehung? (Beitrag 1969, 1972; KMG 025-b1). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqs8&edition=b1.
[6] Basierend auf:
  • [7] Mollenhauer, Klaus (1969). Was ist Erziehung? In Erich Weber (Hrsg.), Der Erziehungs- und Bildungsbegriff im 20. Jahrhundert (S. 116–122 und 146–147). Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
  • [8] Mollenhauer, Klaus (1972). Was ist Erziehung. In Erich Weber (Hrsg.), Der Erziehungs- und Bildungsbegriff im 20. Jahrhundert (2. Auflage, S. 116–122 und 146–147). Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
[9] Mollenhauer, Klaus. Was ist Erziehung? (Beitrag 1976; KMG 025-b2). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqs8&edition=b2.
[10] Basierend auf:
  • [11] Mollenhauer, Klaus (1976). Was ist Erziehung. In Erich Weber (Hrsg.), Der Erziehungs- und Bildungsbegriff im 20. Jahrhundert (3., erweiterte Auflage, S. 116–122 und 177–178). Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
[12] Der Aufsatz wurde 1969 in einen Sammelband mit zunächst 13, ab der 3. Auflage 15 Texten zum Erziehungs- und Bildungsbegriff übernommen. Inhaltliche Veränderungen gegenüber der Erstfassung 1966 wurden nicht vorgenommen; allerdings entfiel die Widmung, und vom Herausgeber des Sammelbandes wurden ohne besondere Kennzeichnung sechs im Leittext nicht vorhandene Anmerkungen mit Worterläuterungen und Literaturangaben (darunter zwei Titel von 1968, also aus der Zeit nach der Erstveröffentlichung des Textes) hinzugefügt. Der Sammelband von Weber erfuhr bis 1976 drei Auflagen, in denen der Beitrag Mollenhauers jeweils unverändert nach der 1. Auflage 1969 abgedruckt wurde. In der dritten Auflage änderten sich aufgrund der Hinzunahme zweier weiterer Texte die Seitenzahlen des Anmerkungsteils.

1.3 Übersetzungen

[13] Übersetzungen liegen unserem Kenntnisstand nach nicht vor.

1.4 Unveröffentlichte Quellen

[14] SUB Göttingen, Cod. Ms. K. Mollenhauer
  • [15] Uni-Lehre 60 02-001 bis 004: Vorlesung im SS 1965
    Theorie und Praxis gegenwärtiger Erziehung
    (Das Vorlesungsskript enthält im ersten Teil ein Typoskript im Umfang von acht Seiten mit einem handschriftlichen Eintrag Mollenhauers:
    Über den Erziehungsbegriff (Ein Vortrag)
    . Wann und wo dieser Vortrag gehalten wurde, ist nicht angegeben. Mollenhauer hat seinen Vortrag offenkundig als Auftakt der Vorlesung genutzt (im Typoskript sind vorverweisende Sätze zu späteren Themen vorhanden). Der Text des Typoskripts entspricht weitgehend dem veröffentlichten Beitrag. In der Druckfassung sind einige Passagen aus dem Typoskript weggelassen oder geringfügig geändert worden.)

2 Inhalt und Kontexte

[16] Gemeinsam mit dem Beitrag Was ist Erziehungswissenschaft? in Heft 5/1966 der Zeitschrift deutsche jugend (KMG 026-a) sollte dieser Beitrag
dazu dienen, in die gegenwärtige Diskussion über den Erziehungsbegriff einzuführen
(Mitteilungen der Redaktion, 1966, S. 192)
. Mollenhauer eröffnet seinen Aufsatz mit
Impressionen
(KMG 025-a, Abs. 025:19
; zum Teil identisch mit KMG 023-a, Abs. 023:1–6), von denen aus er die Klärung des
Begriffs der Sache […]
Erziehung
(KMG 025-a, Abs. 025:6)
angeht. Einen ersten Zugang dazu biete die Erinnerung
an ein Stück gesellschaftlicher Praxis […], deren handelnder oder leidender Teil wir sind oder gewesen sind
(KMG 025-a, Abs. 025:6)
. Diese Erinnerung sei insofern
gesellschaftlich vermittelt
(KMG 025-a, Abs. 025:7)
, als in subjektiven Beschreibungen von Erziehung neben
einem subjektiv biographischen Zusammenhang
(KMG 025-a, Abs. 025:8)
immer auch die gesellschaftliche Formierung von Handlungen, Beziehungen, Rollenmustern zu erkennen sei. Daraus folgert Mollenhauer:
Der Begriff der Sache Erziehung ist also nicht identisch mit der landläufigen Bedeutung, die der gleichlautende Ausdruck hat.
(KMG 025-a, Abs. 025:10)
[17] Die Etymologie helfe nur begrenzt weiter, denn seit dem Ausgang des 18. Jahrhunderts habe sich
die Gesellschaft entscheidend verändert
(KMG 025-a, Abs. 025:12)
und mit ihr auch die als
Erziehung
bezeichnete
gesellschaftliche Praxis
(KMG 025-a, Abs. 025:12)
. Darum sei in der deutschen Erziehungstheorie zusätzlich zu
Erziehung
das Konzept
Bildung
entstanden. Der alte Erziehungsbegriff sei darüber aber nicht aufgegeben worden, hinke jedoch der
gesamtgesellschaftlichen Entwicklung
(KMG 025-a, Abs. 025:13)
hinterher. Er bedürfe der Aufklärung, d. h. der Reflexion auf seine gesellschaftlichen Bedingungen:
Der Erziehungsbegriff und das gesellschaftliche Gesamtsystem, für das er gilt, sind also unabhängig voneinander nicht zu denken. Erziehungstheorie und Gesellschaftstheorie gehören zueinander. Erziehungswissenschaft ist eine Sozialwissenschaft. Wir müssen die Gesellschaft kennen, um zu ermitteln, was in ihr Erziehung heißen kann.
(KMG 025-a, Abs. 025:15)
[18] Vor diesem Hintergrund erläutert Mollenhauer anschließend
drei formale Merkmale
(KMG 025-a, Abs. 025:16)
des gegenwärtigen Erziehungsbegriffs.
Seine Ausdehnung
: Das Erziehungssystem bestehe nicht mehr nur aus
persönlichen Akten und Hilfen […], sondern aus einem funktionellen Arrangement von Bedingungen, die das Heranwachsen ermöglichen und sichern sollen
(KMG 025-a, Abs. 025:17)
.
Seine Differenziertheit
: Die Formen und Faktoren von Erziehung seien vielfältiger und
der Art nach andere geworden
(KMG 025-a, Abs. 025:18)
, es sei ein
Prozeß zunehmender Vergesellschaftung
(KMG 025-a, Abs. 025:18)
festzustellen, was die Erziehungstheorie zur Kenntnis nehmen müsse, um nicht
einen vergangenen gesellschaftlichen Zustand
zu reproduzieren und damit
notwendig ein falsches Bewußtsein [zu] produzieren
(KMG 025-a, Abs. 025:18)
. Seine
innere Problematik
: Der Erziehungsbegriff sei mehr als
Inbegriff des nur Faktischen
, sondern enthalte
einen Anspruch der Vernunft, das heißt heute: einen Anspruch auf Emanzipation
(KMG 025-a, Abs. 025:20)
. Emanzipation wiederum setze Kritik voraus, weshalb, so Mollenhauer,
auch der Erziehungsbegriff ein Element der Kritik
(KMG 025-a, Abs. 025:22)
enthalte.
[19] In seinem abschließenden Fazit führt Mollenhauer dies in der Forderung nach einer Theorie der Erziehung unter emanzipatorischem Anspruch zusammen: Die Erziehungstheorie müsse
eine Theorie emanzipierter Erziehung sein, oder genauer: die Theorie einer Erziehung unter dem Anspruch der Emanzipation
(KMG 025-a, Abs. 025:23)
.
[20] Mollenhauers Diskussion des Erziehungsbegriffs führt verschiedene Gedanken weiter und aus, die er auch in anderen Beiträgen seit Beginn der 1960er Jahre formuliert hat – einen weiten Erziehungsbegriff unter Einbezug der Jugendhilfe bzw. Jugendarbeit (KMG 011-A; KMG 017-a), die Problematik von Wissenschaftlichkeit und Normativität (KMG 016-a; KMG 022-a), die Frage nach Anpassung an die und Veränderung der Verhältnisse (KMG 008-a; KMG 023-a) – und mündet deutlicher als in den anderen genannten Werken aus dieser Zeit im Begriff
Emanzipation
, den er an zentraler Stelle seiner Argumentation in sehr prominenter Weise mehrfach aufruft.

3 Rezeption

[21] In den ersten beiden Auflagen des Bandes von Erich Weber stand Mollenhauer mit Wolfgang Klafki und Werner Loch als Vertreter der jüngeren Generation der (west)deutschen Erziehungswissenschaft und für die sozialwissenschaftliche Perspektive auf die Erziehungswissenschaft (Weber, 1969, S. 152). Nach der in der 3. Auflage erfolgten Neuaufnahme eines Textes von Wolfgang Brezinka, der von Weber ebenfalls der sozialwissenschaftlichen Perspektive zugeordnet wurde, wird Mollenhauers Verständnis der Erziehungswissenschaft
als kritische Sozialwissenschaft
(Weber, 1976, S. 188)
hervorgehoben.
[22] Michael Winkler referiert Was ist Erziehung? in seiner monografischen Mollenhauer-Studie (Winkler, 2002, S. 19–22) und betont den Stellenwert des Beitrags als Bruch mit der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik (Winkler, 2002, S. 20) und als Vollzug der
sozialwissenschaftliche[n] Wende der Pädagogik, ohne diese in Soziologie aufzulösen
(Winkler, 2002, S. 22)
.

4 Literatur

4.1 Andere hier verwendete Werke von Klaus Mollenhauer

    [23] Mollenhauer, Klaus. Anpassung (Beitrag 1961; KMG 008-a). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqtx&edition=a.
    [24] Mollenhauer, Klaus. Einführung in die Sozialpädagogik. Probleme und Begriffe (Monografie 1964; KMG 011-A). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqtk&edition=A.
    [25] Mollenhauer, Klaus. Pädagogik und Rationalität (Beitrag 1964; KMG 016-a). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqt1&edition=a.
    [26] Mollenhauer, Klaus. Versuch 3 (Beitrag 1964-1986; KMG 017-a). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3w4vq&edition=a.
    [27] Mollenhauer, Klaus. Das Problem einer empirisch-positivistischen Pädagogik (Beitrag 1966; KMG 022-a). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqsd&edition=a.
    [28] Mollenhauer, Klaus. Schlußworte der Gildentagung vom 26. bis 23. Mai 1965 (Beitrag 1966; KMG 023-a). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqsb&edition=a.

4.2 Weitere Literatur

    [29] Mitteilungen der Redaktion (1966). deutsche jugend, 14(4), 192.
    [30] Weber, Erich (1969). Nachwort des Herausgebers. In Erich Weber (Hrsg.), Der Erziehungs- und Bildungsbegriff im 20. Jahrhundert (S. 148–153). Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
    [31] Weber, Erich (1976). Nachwort des Herausgebers. In Erich Weber (Hrsg.), Der Erziehungs- und Bildungsbegriff im 20. Jahrhundert (3., erweiterte Auflage, S. 184–189). Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
    [32] Winkler, Michael (2002). Klaus Mollenhauer. Ein pädagogisches Porträt. Weinheim, Basel: Beltz.
[33] [Klaus-Peter Horn]