Was ist Erziehungswissenschaft? [Werkkommentar]

1 Werk: Formale Beschreibung

1.1 Leittext

[1] Mollenhauer, Klaus. Was ist Erziehungswissenschaft? (Beitrag 1966; KMG 026-a). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqs6&edition=a.
[2] Basierend auf:
  • [3] Mollenhauer, Klaus (1966). Was ist Erziehungswissenschaft? deutsche jugend, 14(5), 207–212.
[4] Der Beitrag umfasst sechs Druckseiten. Die fünf Titel umfassende Literaturliste am Ende des Werkes beinhaltet Angaben zu Seitenzahlen und Preisen, was den Beitrag als eine Art Sammelrezension ausweist. Allerdings ist er im Inhaltsverzeichnis der Zeitschrift unter der Rubrik Beiträge gelistet. Näheren Aufschluss dazu gibt die Mitteilung der Redaktion, derzufolge es sich bei diesem Beitrag um ein
Pendant
zu dem Beitrag Was ist Erziehung? (KMG 025-a) im vorhergehenden Heft handelt (Mitteilungen der Redaktion, 1966b, S. 237). Dort heißt es dazu genauer, dass der gleiche Autor das Thema Was ist Erziehung? im Folgeheft
unter einem anderen Aspekt behandelt, nämlich in Form eines kritischen Literaturberichtes, der zeigen soll, welches Verständnis von Erziehung in neueren erziehungswissenschaftlichen Veröffentlichungen zum Ausdruck kommt.
(Mitteilungen der Redaktion, 1966a, S. 192)

1.2 Weitere Fassungen

[5] Weitere Fassungen liegen unserem Kenntnisstand nach nicht vor.

1.3 Übersetzungen

[6] Übersetzungen liegen unserem Kenntnisstand nach nicht vor.

1.4 Unveröffentlichte Quellen

[7] Diesem Werk konnten keine unveröffentlichten Quellen zugeordnet werden.

2 Inhalt und Kontexte

[8] Der Literaturbericht bezieht sich auf vier Werke aus den Jahren 1961 bis 1964: die Monografie Deutsche Erziehungswissenschaft von Rudolf Lochner; die zweibändige Aufsatzsammlung zur Einführung in die pädagogische Fragestellung von Alfred Petzelt und einigen seiner Schüler, den von Andreas Flitner herausgegebenen Sammelband Wege zur pädagogischen Anthropologie. Versuch einer Zusammenarbeit der Wissenschaften vom Menschen sowie auf das Sammelwerk Erziehungswissenschaft und Erziehungswirklichkeit, das von Hermann Röhrs herausgegeben wurde.
[9] Ausgangspunkt ist die vielfältige Verwendung des Ausdrucks Pädagogik, die Mollenhauer als
Verworrenheit im Sprachgebrauch
(KMG 026-a, Abs. 026:2)
bezeichnet, die nicht weiter beunruhigend wäre, wenn sie sich nur auf die Selbstverständigung der Praktiker beziehen würde. Da aber auch die dazugehörige Wissenschaft, politisch motivierte
Programme, […] weltanschaulich begründete Erziehungsforderungen [und] Meinungen
(KMG 026-a, Abs. 026:2)
als Pädagogik bezeichnet würden, drohe die Einsicht, dass das theoretisch-wissenschaftliche Herangehen eine Besonderheit darstelle, zu verschwinden bzw. sich gar nicht erst einzustellen:
Beschreibungen und praktische Ratschläge, Analysen und aktuelle Stellungnahmen geraten durcheinander
(KMG 026-a, Abs. 026:2)
. Dass diese Situation als unbefriedigend wahrgenommen würde, sei daran erkennbar, dass
immer häufiger der Ausdruck
Erziehungswissenschaft
anstelle des Ausdrucks
Pädagogik
(KMG 026-a, Abs. 026:3)
Verwendung finde.
[10] Diejenigen, die den Ausdruck
Erziehungswissenschaft
bevorzugten, würden häufig auch ein spezifisches Verständnis von Wissenschaft als empirischer Wissenschaft teilen, derzufolge die Erziehungswissenschaft
es mit Erkenntnisgewinnung und nicht mit der verbindlichen Formulierung von Erziehungsnormen zu tun hat. Sie ist deskriptiv und nicht normativ.
(KMG 026-a, Abs. 026:4)
Als Protagonist dieser Position wird Rudolf Lochner und seine Unterscheidung zwischen Erziehungswissenschaft, Erziehungslehre und Erziehungsphilosophie vorgestellt, aber auch betont, dass Lochner keinesfalls das, was er unter Erziehungslehre oder -philosophie verstehe, als nicht sinnvoll ablehne. Aufgabe der Erziehungswissenschaft sei es aber nach Lochner, Normen zu beschreiben und zu analysieren, nicht solche zu setzen.
[11] Diese empirische Position werde freilich nicht von allen geteilt, sondern zum Teil harsch kritisiert und abgelehnt. Beispiel dafür sei nach Mollenhauer
insbesondere der jüngere Kreis von Erziehungswissenschaftlern (oder Pädagogen?) aus der Schule Alfred Petzelts
(KMG 026-a, Abs. 026:5–8), hier vor allem Wolfgang Fischer und Marian Heitger. Zentrum von deren philosophischer Pädagogik sei die Bildungstheorie mit der Frage nach der Natur des Ich, die allerdings nicht in empirischer oder geschichtlich-gesellschaftlicher Analyse bearbeitet werde, sondern als Frage nach der
Struktur aller Bildung
(KMG 026-a, Abs. 026:8)
. Für
erfahrungswissenschaftliche Verfahren
sei
wenig Raum
(KMG 026-a, Abs. 026:9)
, Pädagogik werde als
Sollenswissenschaft
(KMG 026-a, Abs. 026:9)
konzipiert. Das führe dazu,
aus immer neuen Anlässen die gleiche Reflexion zu vollziehen
(KMG 026-a, Abs. 026:10)
.
[12] Die Auseinandersetzung zwischen den beiden skizzierten Richtungen erreiche
gerade erst das Stadium einer rationalen Diskussion
(KMG 026-a, Abs. 026:12)
, u. a. im Bereich der Theorie der Jugendarbeit. Es sei aber zu berücksichtigen, dass es nicht nur diese beiden, sondern
mindestens […] fünf verschiedene Konzeptionen
(KMG 026-a, Abs. 026:12)
in der Erziehungswissenschaft gebe (s. dazu KMG 015-a, wo Mollenhauer zwischen den normativen Systemen (Petzelt-Schule), der empirisch fundierten Erziehungswissenschaft, der deskriptiven oder analytischen Erziehungswissenschaft (hier auch Lochner, der Phänomenologischen Erziehungswissenschaft und der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik unterscheidet).
[13] In der pädagogischen Anthropologie sei ein
Ansatz zu kooperativer Diskussion
(KMG 026-a, Abs. 026:13)
zu erkennen. Das
Wissen über den Menschen, besonders den jungen Menschen
(KMG 026-a, Abs. 026:13)
sei auszubauen, um einer ansonsten dünnen oder gar leeren Theorie ein Fundament zu bieten. Hierzu sei die Erziehungswissenschaft auf alle Wissenschaften verwiesen, die entsprechendes Wissen generierten. Protagonisten in der Erziehungswissenschaft seien u. a. Otto Friedrich Bollnow, Wolfgang Brezinka, Andreas Flitner, Hans-Hermann Groothoff, Werner Loch und Heinrich Roth, die die Frage stellten:
Was ist über den Menschen zu wissen wichtig unter dem Aspekt seiner Bildung?
(KMG 026-a, Abs. 026:11–14) Beispiel für die kooperative Diskussion sei der von Andreas Flitner 1963 herausgegebene Sammelband Wege zur pädagogischen Anthropologie, auch wenn vieles noch nur programmatisch sei.
[14] Die Frage, was Erziehungswissenschaft ist, sei auf der Basis der referierten Literatur
so einfach nicht zu beantworten
(KMG 026-a, Abs. 026:15)
. Auch der Sammelband von Hermann Röhrs könne nicht als repräsentativ bezeichnet werden, sondern sei vor allem als Ausdruck des
unbefriedigenden Zustand[s] unserer Wissenschaft
(KMG 026-a, Abs. 026:15)
zu lesen. Es gebe jedenfalls genug
Veranlassung […], endlich alles daranzusetzen, sie [die Erziehungswissenschaft] in der Reihe sozialwissenschaftlicher Disziplinen als eine Theorie zu etablieren, die nicht nur einem reinen Erkenntnisinteresse dient, sondern auch der Erziehungspraxis dasjenige Wissen zur Verfügung stellt, das sie zur Bewältigung ihrer Probleme braucht.
(KMG 026-a, Abs. 026:15)
[15] Der Beitrag gehört mit dem Lexikonbeitrag von 1964 (KMG 015-a) und dem Vortrag von 1966 beim Salzburger Symposium (KMG 022-a) in die Reihe von Mollenhauers Abhandlungen zur wissenschaftstheoretischen Debatte um die Erziehungswissenschaft. Erkennbar ist auch hier eine gewisse Nähe zu Argumenten, die Brezinka in der Auseinandersetzung mit Lochners Ansatz genutzt hat: von der Verwirrung im Sprachgebrauch bis zur deutlichen Unterscheidung von Erziehungswissenschaft und Pädagogik (Brezinka, 1965; Brezinka 1966).

3 Rezeption

[16] –––

4 Literatur

4.1 Andere hier verwendete Werke von Klaus Mollenhauer

    [17] Mollenhauer, Klaus. Pädagogik (Beitrag 1964; KMG 015-a). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqt3&edition=a.
    [18] Mollenhauer, Klaus. Das Problem einer empirisch-positivistischen Pädagogik (Beitrag 1966; KMG 022-a). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqsd&edition=a.
    [19] Mollenhauer, Klaus. Was ist Erziehung? (Beitrag 1966; KMG 025-a). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqs8&edition=a.

4.2 Weitere Literatur

    [20] Brezinka, Wolfgang (1965). Eine kritische Prinzipiengeschichte der Erziehungswissenschaft. Anmerkungen zu Rudolf Lochners Deutscher Erziehungswissenschaft. Zeitschrift für Pädagogik, 11(3), 270–287.
    [21] Brezinka, Wolfgang (1966). Die Krise der wissenschaftlichen Pädagogik im Spiegel neuer Lehrbücher. Zeitschrift für Pädagogik, 12(1), 53–88.
    [22] Mitteilungen der Redaktion (1966a). deutsche jugend, 14(4), 192.
    [23] Mitteilungen der Redaktion (1966b). deutsche jugend, 14(5), 237.
[24] [Klaus-Peter Horn]