2 Inhalt und Kontexte
[24] Der Text ist im Anschluss an die Einleitung in zwei Teile gegliedert,
denen ein Anhang mit Erhebungs- und Auswertungsinstrumenten sowie einem
Literaturverzeichnis folgt.
[25] Teil I enthält die Unterpunkte 1. Materialerhebung und
Stichprobe, 2. Die Familie als Kommunikationssystem (inkl.
quantitativer Ergebnisse), 3. Die Arbeitssituation der Väter (inkl.
Faktorenanalyse), 4. Stratum, Arbeitssituation und
Familienkommunikation (inkl. einer Zusammenfassung der quantitativen
Ergebnisse). Teil II enthält die Fall-Studien A – D (hermeneutische
Analyse einzelner Familien), jeweils gegliedert in 1. soziale
Situation, 2. Interaktionsanalyse und 3.
Kommunikationscharakteristik.
[26] Aufgrund eines Beschlusses des
Deutschen Bundestages vom 23. Juni 1965 war die Bundesregierung
ersucht worden, alle zwei Jahre einen Bericht über die Lage der Familien in der
Bundesrepublik Deutschland zu erstellen. Zur Erarbeitung des 2. Familienberichts
(Bundesminister für
Jugend, Familie und Gesundheit, 1975), der sich mit dem Thema
Familie und Sozialisation – Leistungen und Leistungsgrenzen der Familie
hinsichtlich des Erziehungs- und Bildungsprozesses der jungen
Generation befassen sollte, wurde vom Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit
mit Schreiben vom 31. Juli 1970 eine Sachverständigenkommission eingesetzt. Der
Kommission gehörten neben dem Senatsdirektor der Hamburger Jugendbehörde, Kurt-Günter
Gehrken, dem Direktor des Statistischen Bundesamtes, Dr. Hermann Schubnell, und der
Direktorin der Sozialakademie Bremen, Dr. Emilie Stahl, als Fachwissenschaftler*innen Ursula Lehr, Klaus Mollenhauer, Friedhelm Neidhardt und Franz Pöggeler an. Den
Kommissionsvorsitz hatte Friedhelm
Neidhardt inne. Das Berufungsschreiben enthält zudem präzisierende
Hinweise zum Auftrag der Kommission. Neben der Aktualisierung der Daten
gegenüber dem 1. Familienbericht sollen zwei Bereiche im Vordergrund
stehen, nämlich erstens die familiale und außerfamiliale Sozialisation sowie
zweitens die gesellschaftlichen Hilfen für die Familie und deren Wirksamkeit für
Erziehung und Bildung in der Familie (Manu. pub. 70 29-001, S. 4–7).
[27] Spezifiziert wurden diese Punkte später in einem Ersten Entwurf eines
theoretischen Bezugsrahmens für die Arbeit der
Familienberichtskommission, untergliedert in die Abschnitte A
Sozialisationsziele, B Sozialisationsrelevante Eigenschaften
des Interaktionsmilieus der Familie, C Interne und externe
Randbedingungen des Interaktionsmilieus der Familie und D
Problemlösungen
(vgl. Manu. pub. 70 29-002,
S. 1–2).
[28] Die begleitenden Expertisen und Projekte wurden entweder vom Deutschen Jugendinstitut (DJI) selbst
durchgeführt oder unter dessen Federführung vergeben. Das von Mollenhauer und
Mitarbeiter*innen bearbeitete Projekt ist dem ersten Bereich zuzuordnen. Es
sollte der Konzeption nach von einer eigenständigen theoretischen Rahmung
ausgehend quantitativ-statistische Zusammenhänge und pädagogisch-hermeneutische
Analysen miteinander verbinden, um so zumindest unter einem
erziehungswissenschaftlichen Aspekt interessante Ergebnisse zu erzielen.
[29] Obwohl der Bericht der Sachverständigenkommission bereits bis zum Herbst
1973 vorgelegt werden sollte (vgl. Manu. pub. 70 29-001, S.
6) und der Werkstattbericht erst im
November 1974, also ein Jahr später, abgeschlossen wurde, betonen die
Autor*innen einleitend die Vorläufigkeit der präsentierten Ergebnisse: Das
ursprüngliche Vorhaben, einen eigenen theoretischen Ansatz zu entwickeln,
„um ihn auf die empirische Probe zu stellen [...,]
erwies sich im Laufe seiner Durchführung als zu komplex, als daß
innerhalb der Frist von zwei Jahren solchen Ansprüchen Genüge getan
werden konnte“
(KMG V44-A, Abs.
V44:4)
. Der Versuch, empirische und hermeneutische Verfahren in pädagogischem
Interesse miteinander zu verknüpfen, müsse insoweit als noch unvollständig
betrachtet werden, als der Bericht in seinem quantitativen Teil zwar als
abgeschlossen zu betrachten sei, im fallanalytisch interpretierenden Teil jedoch
immer noch die wesentlichen Fragen offenließe (vgl. KMG V44-A,
Abs.
V44:4–7). Allerdings scheint auch der quantitative
Teil der Studie nicht ganz befriedigend verlaufen zu sein, wird doch an späterer
Stelle in der Einleitung einschränkend festgestellt,
„daß eine von uns nicht vorgenommene Regressions-Analyse
möglicherweise dem Material und der Fragestellung angemessener gewesen
wäre, als die durchgeführte Faktoren-Analyse“
(KMG V44-A, Abs.
V44:12)
. Das in Frankfurt begonnene und in Göttingen abgeschlossene Projekt
entsprach im Ergebnis offenbar nicht den eigenen Ansprüchen.
[30] Die Einleitung enthält neben dem bereits erwähnten Hinweis auf den
besonderen Charakter als Werkstattbericht zunächst eine knappe
Beschreibung der defizienten Ausgangslage erziehungswissenschaftlicher
Familienforschung: Erstens käme in der von einem sozialtechnologischen
Wissenstypus psychologischer und soziologischer Provenienz dominierten
Forschungsdiskussion der Aspekt zu kurz, dass pädagogisches Handeln es mit
Verständigungsprozessen bzw. Kommunikation zu tun habe; zweitens habe sich die
Sozialisationsforschung von der Norm des Schulerfolgs und daran
anschließenden Bildungsstandards weitgehend beeinflussen lassen, ohne zu fragen,
ob nicht die Sozialisationsforschung anderen Zielen als den gesellschaftlichen
Bildungserwartungen folgen solle und dementsprechend ihren Erkenntnisgegenstand
umdefinieren müsse; und drittens konzentriere sich die Sozialisationsforschung
zu sehr auf Erzieherisches im engeren Sinne und blende dabei die Lebenswelt der
Erwachsenen aus, obwohl diese von großer Bedeutung für die Erforschung der
Beziehungen zwischen den Generationen sei.
[31] Mit diesen Hinweisen positionieren sich die Autor*innen deutlich in
kritischer Distanz zu einer sozialtechnologischen Auslegung des Auftrags der
Sachverständigenkommission, der zentral auf eine Erforschung der
„Leistungen und Leistungsgrenzen der Familie
hinsichtlich des Erziehungs- und Bildungsprozesses der jungen
Generation“
(Manu. pub. 70 29-001,
S. 3)
ausgerichtet war, und einen Begriff von Familie unterstellte, von dem aus
eine Beurteilung der sozialisatorischen Effizienz von Familie und anderen
beteiligten Institutionen des Erziehungs- und Bildungssystems möglich sei (vgl. Manu. pub. 70 29-001,
S. 5).
Demgegenüber orientiere sich die eigene Untersuchung normativ am
interaktionistisch und familientherapeutisch begründeten Ziel eines
reifen interpersonellen Handelns sowie einer Dimensionierung des
familialen Geschehens nach Maßgabe des Begriffs der Kommunikation.
Damit solle der Sachverhalt erfasst werden, dass sich das gesamte Geschehen in
einer Familie im Medium von Verständigungsprozessen abspiele. Zudem werde der
Versuch unternommen, durch die Beachtung des Zusammenhangs zwischen familialer
Lebenswelt und der Arbeitssituation der Väter die Entstehung familialer
Kommunikationsstrukturen aufzuklären.
[32] In Teil I des Berichts werden die Instrumente der Datenerhebung
vorgestellt. Es folgt eine Präzisierung der Forschungsfrage, die auf das
missing link der Sozialisationsforschung zwischen
gesellschaftlicher Lage der Familie und ihrem Kommunikationsmilieu ziele. Für
die quantitative Erfassung der familialen Kommunikationsstruktur wird vorab eine
allgemeine Dimensionierung formuliert, von der die Autor*innen annehmen, daß sie
für jede beliebige Interaktion im Rahmen der Familie sinnvoll sei:
Komplexität, Reziprozität, Konfliktgehalt,
Problematisierung, Dominanz. Diese Dimensionen werden dann
in Unterkategorien operationalisiert und nach Maßgabe eines Rating-Verfahrens
auf die protokollierten Interaktionen bezogen.
[33] Die im Folgenden ausführlich dargestellten und kommentierten Ergebnisse
der quantitativen Auswertung des Protokollmaterials wie auch der
standardisierten Befragung werden am Ende des Teils I dahingehend
zusammengefasst, dass im günstigsten Fall nur wenig mehr als ein Drittel der
Varianz eines Kriteriums aufgeklärt werden kann und daher in erster Linie
„Skepsis geboten [sei] gegenüber Behauptungen, die einen
unmittelbaren Zusammenhang von Arbeitsplatzsituation und dem
interpersonellen Geschehen in der Familie als plausibel oder gar als
gesichert unterstellen“
(KMG V44-A, Abs.
V44:404)
. Insofern sei forschungsstrategisch gesehen eine wesentlich
differenziertere und präzisere Formulierung der Hypothese erforderlich. Der
empirische Nachweis eines signifikanten Zusammenhangs zwischen
Arbeitsplatzsituation des Vaters und der Kommunikationsstruktur der Familie sei
in dieser Studie nicht erfolgt.
[34] Auch die vier Fallanalysen in Teil II der Studie haben nicht zu den
erhofften Ergebnissen geführt. Um die Diskrepanz zwischen der in der Literatur
behaupteten Relevanz der mütterlichen Berufstätigkeit für die innerfamilialen
Beziehungen einerseits und der mangelnden Signifikanz entsprechender Ergebnisse
in der quantitativen Analyse andererseits aufzuklären, wurden ausschließlich
Familien mit berufstätigen Müttern untersucht. Drei der Familien waren dem
unteren Stratum (keine Weisungsbefugnis am Arbeitsplatz), ein Fall
dem oberen Stratum (ausgeprägte Weisungsbefugnis am Arbeitsplatz)
zugeordnet (vgl. KMG V44-A, Abs.
V44:411). Trotz der für alle Fallinterpretationen
gleichen Grobgliederung zeigen sich erhebliche Unterschiede in der Anlage und
Ausführlichkeit der Materialinterpretation, was die Vergleichbarkeit der Fälle
untereinander deutlich einschränkt und zudem eine gewisse Beliebigkeit in der
Ausführung anzeigt. Auf einen Fallvergleich und eine Zusammenfassung der
Ergebnisse der Fallanalysen wurde verzichtet.
[35] Die Studie weist nach der Selbsteinschätzung der Autor*innen erhebliche
methodische Mängel auf und führt nur zu vagen Ergebnissen im Hinblick auf die
zugrundeliegende Fragestellung. Den Hauptgrund dafür sehen die Autor*innen in
der Diskrepanz zwischen der verfügbaren Bearbeitungszeit und dem Umfang des
vorgenommenen Forschungsprogramms. Wie einigen Nachlass-Dokumenten (Manu. pub. 70 02-003,
Manu. pub. 70
02-004, Uni-Lehre
70 03-001 bis 004) zu entnehmen ist, stand das Projekt in engerem
nicht nur zeitlichen sondern auch inhaltlichen Zusammenhang mit der Arbeit an
der Monografie Die Familienerziehung
(KMG 054-A), mit der eine erfahrungsfundierte Theorie der
Familienerziehung weiter ausgearbeitet wurde (vgl. hierzu den entsprechenden
Werkkommentar zu KMG 054-A).