Anmerkungen zur Möglichkeit von Friedenserziehung [Werkkommentar]

1 Werk: Formale Beschreibung

1.1 Leittext

[1] Mollenhauer, Klaus. Anmerkungen zur Möglichkeit von Friedenserziehung (Beitrag 1986; KMG 089-a). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqjg&edition=a.
[2] Basierend auf:
  • [3] Mollenhauer, Klaus (1986). Anmerkungen zur Möglichkeit von Friedenserziehung. Die Deutsche Schule, 78(2), 177–188.
[4] Der zwölfseitige Zeitschriftenbeitrag für Die Deutsche Schule ist in der Rubrik Diskussionsbeiträge erschienen und somit von der Redaktion offensichtlich als streitbare Position zu einem aktuell kontroversen Thema platziert worden. Als zweiter Beitrag zum selben Thema wurde in derselben Rubrik ein Aufsatz des Göttinger Kollegen Günter Schreiner mit dem Titel Indoktrinieren für Frieden und Abrüstung? abgedruckt. Schreiner nimmt darin auf Mollenhauers Beitrag direkt Bezug (siehe unten Abschnitt 3: Rezeption).
[5] Der Text ist in vier Abschnitte gegliedert und enthält neben einem Literaturverzeichnis am Ende eine Fußnote zum Titel, die auf den Entstehungskontext des Beitrags verweist.

1.2 Fassungen

[6] Weitere Fassungen des Textes liegen unserem Kenntnisstand nach nicht vor.

1.3 Übersetzungen

[7] Übersetzungen liegen unserem Kenntnisstand nach nicht vor.

1.4 Unveröffentlichte Quellen

[8] SUB Göttingen, Cod. Ms. K. Mollenhauer
  • [9] Manu. pub. 80 26: Klaus Mollenhauer (o. D.). Anmerkungen zur Möglichkeit von Friedenserziehung. ([Handschriftlich:] korrigierte Fassung).
  • [10] Korr. Ver. päd. Extra: 9.11.1983, Brief von Manfred Scherer, Redaktion der Zeitschrift Päd.extra (mit Interessensbekundung am Abdruck des Beitrags bei gleichzeitiger Notwendigkeit einer Kürzung des Beitrages).
  • [11] Korr. Ver. Hirschgraben: Brief 21.4.1986 (Bitte der Redaktion von Deutsche Schule um Korrektur der Druckfahne)
  • [12] Korr. Ver. Hirschgraben: 22.4.1986 (Zusendung der korrigierten Druckfahne von Mollenhauer an Redaktion von Die Deutsche Schule)
  • [13] Uni-Lehre 80 13 – 022: Reader zum Proseminar: Einführung in die Pädagogik, ihre Problemstellungen und Grundbegriffe (H.-G. Herrlitz, K. Mollenhauer), WS 1988/89. (Auszug aus dem Werk Mollenhauers zum Thema Ziele der Erziehung und Bildung – das Beispiel
    Friedenserziehung
    )
  • [14] Manu. nicht-pub. 90 05: K. Mollenhauer, 18.01.1991. An die Teilnehmer des Seminars von G. Schreiner: Jugend und Gewalt. 13 Thesen zum Verhältnis von Pädagogik und Politik. (Vervielfältigtes Typoskript. 9 Seiten)

2 Inhalt und Kontexte

[15] Einer Anmerkung zum Titel des Beitrags (KMG 089-a, Abs. 089:1–4, Fußnote) nach liegt dem Text ein Vortrag zugrunde, den der Autor
im Herbst 1983 bei verschiedenen Gelegenheiten
gehalten hat. Zudem verweist er darauf, dass der bescheiden wirkende Titel seines Beitrags auf die Begrenzungen dessen anspielt,
was – angesichts der umfangreichen Diskussion und der Komponentenvielfalt des Themas – auf wenigen Seiten möglich ist.
(KMG 089-a, Abs. 089:1, Fußnote)
Diesem eingeschränkten Anspruch scheint auch die Metaphorik der Zwischenüberschriften geschuldet:
[16] 1. Einleitung: Schwierigkeiten mit dem Thema
[17] 2. Sackgassen
[18] 3. Klippen
[19] 4. Orientierungspunkte.
[20] Der einleitende Hinweis auf eine 1973, also zehn Jahre vor den dem Beitrag zugrunde liegenden Vorträgen, erschienene Publikation Hartmut von Hentigs zu diesem Thema unterstreicht, dass es sich um eine bereits länger laufende Debatte handelt, die bis zum Zeitpunkt des Erscheinens des Mollenhauer-Beitrags immer wieder aufgeflammt ist. Auch die Veröffentlichung dieses Werks erst drei Jahre nach den Vorträgen zeigt die fortgesetzte Relevanz des Themas an.
[21] Vor dem Hintergrund der atomaren Aufrüstung der NATO und der Stationierung von Pershing-II-Raketen auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland während der Hochphase des Kalten Krieges Anfang der 1980er Jahre entwickelte sich die westdeutsche Friedensbewegung zu einer starken Kraft, die deutlich auch in der Lehrer*innenschaft und im pädagogischen Diskurs Resonanz fand (siehe hierzu die in dem Beitrag Mollenhauers zitierte Literatur).
[22] Das Thema Friedenserziehung taucht kaum in anderen Werken Mollenhauers auf, wohl aber thematisierte er, insbesondere im Kontext der Studentenbewegung um 1968 und der daraus erwachsenen Politisierung des erziehungswissenschaftlichen Diskurses und der pädagogischen Praxis, das Verhältnis von Pädagogik und Politik (vgl. Aßmann 2015, Kap. 4 und 5; resümierend KMG 047-A1, S. 047:6–30). In Kontinuität zu seinen damaligen Argumentationen fragt Mollenhauer in seinem Beitrag angesichts einer breiten didaktischen Betriebsamkeit in Theorie und Praxis der sog. Friedenspädagogik in kritischer Absicht, ob
die Überbrückung von Politik und Erziehung
schon dadurch
leichter geworden
(KMG 089-a, Abs. 089:1)
sei, dass mit didaktischem Aufwand politische Positionen in der Schüler*innenschaft implementiert würden, die je nach eigener politischer Überzeugung als gerechtfertigt angesehen würden.
Unterricht
, so warnt der Autor, könne
dann leicht zu einer unkritischen Verlängerung politischen Handelns mit anderen Mitteln werden
(KMG 089-a, Abs. 089:3)
. Dem setzt er eine altersdifferenzierende Sicht entgegen, die
auf Prinzipien des pädagogischen Handelns
(KMG 089-a, Abs. 089:40)
gründe, anstatt einer
Instrumentalisierung von Kindern für politische Zwecke von erwachsenen Bürgern
(KMG 089-a, Abs. 089:38)
Vorschub zu leisten.
[23] Mollenhauer wendet sich mit seiner hier vorgelegten und in entwicklungstheoretische, pädagogische und zivilisationsgeschichtliche Richtung weiter differenzierten Argumentation gegen zwei im damals aktuellen friedenspädagogischen Diskurs verbreitete Auffassungen, die implizit eine
Kontinuität der Gewalt
unterstellten,
die vom Kinderzimmer über Medienprobleme, Armut in der Welt, Feindbilder, Illiberalität, selbstgerechten Faschismus bis zum organisierten Krieg mit mörderischen Waffen
(KMG 089-a, Abs. 089:5)
reiche: erstens die irreführende Annahme, dass das Verbot von Gewalt oder Phantasien von Gewalt im kindlichen Spiel
ein signifikanter Beitrag zur Verhinderung von Krieg
(KMG 089-a, Abs. 089:5)
sei; und zweitens die Unterstellung,
die Einübung in oder die Vorbereitung auf Formen gewaltlosen Widerstandes gegen aktuelle Entscheidungen sei [...] auch pädagogisch legitim
(KMG 089-a, Abs. 089:5)
. Die hier anschließenden Überlegungen markieren ein widersprüchliches und das pädagogisch-didaktische Handeln zu Balanceleistungen herausforderndes Feld zwischen einer falschen,
pädagogisch nicht mehr zu legitimierende(n) Politisierung
(KMG 089-a, Abs. 089:29)
der pädagogischen Interaktion (im Sinne der Instrumentalismus-These) einerseits und einer
Entpolitisierung
des pädagogischen Feldes, mit der
der politische Gehalt dessen, was in diesem
vorpolitischen Raum
geschieht, vergessen wird.
(KMG 089-a, Abs. 089:30)

3 Rezeption

[24] Ebenfalls im Diskussionsteil derselben Ausgabe der Zeitschrift, in der Mollenhauers Beitrag erschienen ist, nimmt Günter Schreiner (1986) in seinem Beitrag Indoktrinieren für Frieden und Abrüstung? kritisch zu den Überlegungen Mollenhauers Stellung. Zwar argumentiere Mollenhauer in
konsequenter Fortsetzung seiner Bemühungen um eine theoretische Bestimmung und Verteidigung emanzipatorischer Pädagogik
(Schreiner, 1986, S. 194)
, flüchte sich jedoch mit seiner Indoktrinationskritik
hin zu einem
genuin pädagogischen
Standort
(Schreiner, 1986, S. 189)
. Dabei verkenne er die Brisanz der Gefahr eines Atomkriegs, die es geboten erscheinen lasse, in Erziehung und Unterricht die eigene politische Auffassung dazu mit didaktischen Mitteln verständlich zu machen (vgl. Schreiner, 1986, S. 197) bzw. Kinder am gewaltlosen Widerstand zu beteiligen (vgl. Schreiner, 1986, S. 198), auch wenn
ein mehr oder weniger großer indoktrinärer Rest
(Schreiner, 1986, S. 197)
dabei nicht ausgeschlossen werden könne.

4 Literatur

4.1 Andere hier verwendete Werke von Klaus Mollenhauer

[25] Mollenhauer, Klaus. Theorien zum Erziehungsprozeß. Zur Einführung in erziehungswissenschaftliche Fragestellungen (Monografie 1972; KMG 047-A1). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqq8&edition=A1.

4.2 Weitere Literatur

[26] Aßmann, Alex (2015). Klaus Mollenhauer. Vordenker der 68er – Begründer der emanzipatorischen Pädagogik. Eine Biografie. Paderborn: Schöningh.
[27] Schreiner, Günter (1986). Indoktrinieren für Frieden und Abrüstung? Die Deutsche Schule, 78(2), 189–200.
[28] [Hans-Rüdiger Müller]