Sind die Begriffe Erziehung und Bildung revisionsbedürftig? [Werkkommentar]

1 Werk: Formale Beschreibung

1.1 Leittext

[1] Mollenhauer, Klaus. Sind die Begriffe Erziehung und Bildung revisionsbedürftig? (Beitrag 1989; KMG 110-a). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqg4&edition=a.
[2] Basierend auf:
  • [3] Mollenhauer, Klaus (1989). Sind die Begriffe Erziehung und Bildung revisionsbedürftig? In Karin Böllert & Hans-Uwe Otto (Hrsg.), Soziale Arbeit auf der Suche nach Zukunft (S. 129–145). Bielefeld: KT.
[4] Das Werk erschien 1989 im KT-Jahrbuch Sozialarbeit – Sozialpädagogik – Sozialpolitik. Der Text umfasst 17 Druckseiten ohne Literaturverzeichnis.

1.2 Weitere Fassungen

[5] Weitere Fassungen liegen unserem Kenntnisstand nach nicht vor

1.3 Übersetzungen

[6] Übersetzungen liegen unserem Kenntnisstand nach nicht vor.

1.4 Unveröffentlichte Quellen

[7] SUB Göttingen, Cod. Ms. K. Mollenhauer
  • [8] Manu. pub. 80 53: Klaus Mollenhauer (o. D.). Sind die Begriffe Erziehung und Bildung revisionsbedürftig? [handschriftlich:]
    an Herrn Specht geschickt am 20.11.
    (Umfang: 19 S.; inhaltlich deckungsgleich mit dem publizierten Aufsatz)
  • [9] Korr. All. Otto, H.-01: Korrepsondenz zwischen Klaus Mollenhauer und Hans-Uwe Otto, 22.10.1987-2.2.1988 (Umfang: 3 Briefe in denen es um die Veröffentlichung des Textes geht. Mollenhauer zeigt sich überrascht über die Veröffentlichung. Er hatte den Text Otto zunächst nur zur Prüfung geschickt.)

2 Inhalt und Kontexte

[10] Das Werk geht zurück auf einen Vortrag, den Mollenhauer 1987 zunächst in Wien (siehe KMG 101-a und den Werkkommentar dazu), dann in leicht erweiterter Form, nämlich mit Bezug auf das Publikum von Erziehungsberater*innen in Hamburg gehalten hat. Er schickte das Manuskript an Hans-Uwe Otto in Bielefeld, der es nicht nur
außerordentlich anregend
(Otto an Mollenhauer, 22.10.1987, Korr. All. Otto, H.-01)
fand, sondern auch drucken wollte in dem KT-Jahrbuch Sozialarbeit – Sozialpädagogik – Sozialpolitik, das unter dem Titel Soziale Arbeit auf der Suche nach Zukunft erschien.
[11] In der zweiten Hälfte der 1980er Jahre beschäftigte Mollenhauer sich ausführlich mit dem Begriff der Bildung und legte in mehreren, miteinander verwandten Texten Argumente für dessen Revision vor ( siehe KMG 093-a; KMG 101-a; KMG 104-a; KMG 124-a). Letztlich gehen all diese Texte auf einen Vortrag zurück, den er bereits 1985 mehrfach gehalten hat (siehe KMG 093-b, Abs. 093:56–95, Anmerkung 1) und wurden dann je nach Anlass variiert. Gegenstand der Revision ist die in den 70er und 80er Jahren zunehmende, auch in der Erziehungswissenschaft viel diskutierte Skepsis gegenüber der Tradition der Aufklärung mit ihrer Orientierung an einem universell verstandenen Vernunftgebrauch, der auch die Basis für den
überlieferte[n] Bildungsbegriff
(KMG 101-a, Abs. 101:1)
, wie es im Titel zu KMG 101-a heißt, bildet. Neben solchen Debatten in den Kultur- und Sozialwissenschaften waren es auch soziale Bewegungen wie die Friedens-, Frauen-, Umweltbewegung jener Jahre, die nach Alternativen zur überlieferten Mehrheitskultur suchten, auf die Mollenhauer hier reagierte (wobei er die Frauenbewegung niemals erwähnt). Innerhalb der Disziplin lag sein Augenmerk besonders auf der Antipädagogik, auf die er bereits in den Vergessenen Zusammenhängen (KMG 081-A) geantwortet hatte. Durch die Aufnahme kulturhistorischer und ästhetischer Quellen in diesem Werk, die hier in den bildungstheoretischen Texten der späten 80er Jahre fortgesetzt wird, die hermeneutische Auseinandersetzung mit deren je eigenen Sprachen und mehrdeutigen Interpretationspotentialen hatte er den Weg geebnet für eine erweiterte Theoriegenese in der allgemeinen Pädagogik. Gleichwohl hält er im Gang seiner Argumentationen an einer Ausrichtung an Verfahren eines kritischen Vernunftgebrauchs fest, die für ihn zugleich auch Ziel von Bildung bleiben, allerdings gebrochen an den Herausforderungen aktueller Arbeitsweltveränderungen , der leiblichen Existenz, sowie der Ungewissheit eines Ich-Selbst-Verhältnisses, das für die
traditionelle Bildungstheorie […] keine besonders großen Schwierigkeiten
(KMG 101-a, Abs. 101:21)
darstellte, heute aber immer wieder neu in seinen Ambivalenzen bedacht werden müsse.
[12] Entsprechend dem Anlass seines Hamburger Vortrages auf einem Kongress von Erziehungsberater*innen stellt Mollenhauer hier einen längeren Abschnitt zur Geschichte und Systematik des Erziehungsbegriffs voran. An das spezifische Publikum ist vermutlich auch eine Passage mit kritischen Gedanken zur
Grenzverwischung zwischen Erziehung und Therapie
(KMG 110-a, Abs. 110:11)
gerichtet, die dazu führe, dass in vielen quasi-therapeutischen Settings eine Konzentration auf die Gegenwart und ein Verlust an Zukunftsorientierung zu beobachten sei. Dem stellt er verschiedene Modelle der Verantwortungsübernahme erwachsener Erzieher*innen für die Zukunft der Kinder gegenüber, orientiert an klassischen Ideen der Aufklärung und des Idealismus, im Horizont jedoch einer nicht mehr tragfähigen Fortschrittsidee.
[13] Der Text KMG 110-a weist in den Folgeabschnitten große inhaltliche bzw. textliche Nähen insbesondere zu Mollenhauers 1988 publizierten Werken Ist der überlieferte Bildungsbegriff zukunftsfähig? (KMG 101-a) und Der Beitrag der Pädagogik für eine verantwortbare Gestaltung der Zukunft (KMG 104-a) sowie auch zu seinem bereits 1987 veröffentlichten Werk Ende der Aufklärung? (KMG 093-a) und dessen weiterer Fassung Korrekturen am Bildungsbegriff (KMG 093-b) auf. In allen Texten erörtert er abschnittsweise die Themen Arbeit, Leiblichkeit, und Ich-Irritationen, hier noch ergänzt um einen Abschnitt Prozeß- bzw. Produktorientierung.

3 Rezeption

[14] Mollenhauers bildungstheoretische Texte der späten 80er Jahre werden in jüngeren bildungstheoretischen Fortführungen aufgegriffen und weiterentwickelt, so z. B. bei Heinz-Elmar Tenorth (2000), Bodo Rödel (2003), Michael Winkler (2002), Norbert Ricken (2007), Yvonne Ehrenspeck (2010) und Bernd Lederer (2014). Der hier besprochene Text mit seiner spezifischen Ausrichtung auf Erziehung wird zudem auch in erziehungstheoretischen und sozialpädagogischen Kontexten rezipiert (siehe Groß, 2010; Winkler, 2010; Vahsen, 2011).

4 Literatur

4.1 Andere hier verwendete Werke von Klaus Mollenhauer

    [15] Mollenhauer, Klaus. Vergessene Zusammenhänge. Über Kultur und Erziehung (Monografie 1983; KMG 081-A). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqkc&edition=A.
    [16] Mollenhauer, Klaus. Korrekturen am Bildungsbegriff? (Beitrag 1987; KMG 093-a). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqhv&edition=a.
    [17] Mollenhauer, Klaus. Korrekturen am Bildungsbegriff? (Beitrag 1987; KMG 093-b). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqhv&edition=b.
    [18] Mollenhauer, Klaus. Ist der überlieferte Bildungsbegriff zukunftsfähig? (Beitrag 1988; KMG 101-a). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqgz&edition=a.
    [19] Mollenhauer, Klaus. Der Beitrag der Pädagogik für eine verantwortbare Gestaltung der Zukunft (Beitrag 1989; KMG 104-a). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqgj&edition=a.
    [20] Mollenhauer, Klaus & Schlömerkemper, Jörg. Die Neuformulierung des Bildungsbegriffs unter dem Aspekt einer gemeinsamen Schule der Zehn- bis Vierzehnjährigen (Beitrag 1993; KMG 124-a). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqdt&edition=a.

4.2 Weitere Literatur

    [21] Ehrenspeck, Yvonne (2010). Philosophische Bildungsforschung: Bildungstheorie. In Rudolf Tippelt & Bernhard Schmidt (Hrsg.), Handbuch Bildungsforschung (S. 155–169). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
    [22] Groß, Stefan (2010). Zwischen Politik und Kultur. Pädagogische Studien zur Sache der Emanzipation bei Klaus Mollenhauer. Würzburg: Königshausen & Neumann.
    [23] Lederer, Bernd (2014). Kompetenz oder Bildung. Eine Analyse jüngerer Konnotationsverschiebungen des Bildungsbegriffs und Plädoyer für eine Rück- und Neubesinnung auf ein transinstrumentelles Bildungsverständnis. Innsbruck: innsbruck university press.
    [24] Ricken, Norbert (2007). Das Ende der Bildung als Anfang—Anmerkungen zum Streit um Bildung. In Marius Harring, Carsten Rohlfs & Christian Palentien (Hrsg.), Perspektiven der Bildung (S. 15–40). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
    [25] Rödel, Bodo (2003). Klaus Mollenhauer in diskurs-philosophischer Perspektive. [Universität zu Köln]. Universität zu Köln.
    [26] Tenorth, Heinz-Elmar (2000). Bildung – was denn sonst? In Cornelie Dietrich & Hans-Rüdiger Müller (Hrsg.), Bildung und Emanzipation. Klaus Mollenhauer weiterdenken. (S. 87–101). Weinheim [u. a.]: Juventa.
    [27] Vahsen, Friedhelm (2011). Paradigmenwechsel? Soziale Arbeit zwischen Agency, Capability und libertärem Paternalismus (Nudge) und empirischer Fundierung. In Eric Mührel & Bernd Birgmeier (Hrsg.), Theoriebildung in der Sozialen Arbeit (S. 85–102). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
    [28] Winkler, Michael (2002). Klaus Mollenhauer. Ein pädagogisches Porträt. Weinheim [u. a.]: Beltz.
    [29] Winkler, Michael (2010). Erziehung. In Heinz-Hermann Krüger & Werner Helsper (Hrsg.), Einführung in Grundbegriffe und Grundfragen der Erziehungswissenschaft (9. Auflage, S. 57–78). Opladen [u. a.]: Verlag Barbara Budrich.
[30] [Cornelie Dietrich]