Konjekturen und Konstruktionen [Werkkommentar]

1 Werk: Formale Beschreibung

1.1 Leittext

[1] Mollenhauer, Klaus. Konjekturen und Konstruktionen. Welche
Wirklichkeit
der Bildung referieren Dokumente der Kunstgeschichte? – Eine bildungstheoretische Reflexion im Anschluß an Svetlana Alpers (Beitrag 1993; KMG 123-a). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqdm&edition=a.
[2] Basierend auf:
  • [3] Mollenhauer, Klaus (1993). Konjekturen und Konstruktionen. Welche
    Wirklichkeit
    der Bildung referieren Dokumente der Kunstgeschichte? – Eine bildungstheoretische Reflexion im Anschluß an Svetlana Alpers. In Dieter Lenzen (Hrsg.), Pädagogik und Geschichte. Pädagogische Historiographie zwischen Wirklichkeit, Fiktion und Konstruktion (S. 25–42). Weinheim: Deutscher Studien Verlag.
[4] Der Aufsatz umfasst 18 Druckseiten inklusive Literaturverzeichnis und vier Schwarz-Weiß-Abbildungen, die zwei Seiten einnehmen. Entgegen der sonst in der KMG eingehaltenen Einordnung von Leittext und weiteren Fassungen nach Chronologie wurde hier entschieden, die spätere Fassung als Leittext zu definieren, da dieser die vollständige Version darstellt. Die 1992 erschienene Fassung (KMG 123-b) ist lediglich eine gekürzte und zusammenfassende Vorabversion.

1.2 Weitere Fassungen

[5] Mollenhauer, Klaus. Konjekturen und Konstruktionen. Welche
Wirklichkeit
der Bildung referieren Dokumente der Kunstgeschichte? – Eine bildungstheoretische Reflexion im Anschluß an Svetlana Alpers (Beitrag 1992; KMG 123-b). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqdm&edition=b.
[6] Basierend auf:
  • [7] Mollenhauer, Klaus (1992). Konjekturen und Konstruktionen. Welche
    Wirklichkeit
    der Bildung referieren Dokumente der Kunstgeschichte? In Dietrich Benner, Dieter Lenzen & Hans-Uwe Otto (Hrsg.), Erziehungswissenschaft zwischen Modernisierung und Modernitätskrise, Beiträge zum 13. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft vom 16.-18. März 1992 in der Freien Universität Berlin. Zeitschrift für Pädagogik. Beiheft 29 (S. 178–180).
[8] Die zeitlich früher publizierte Fassung von 1992 erschien im 29. Beiheft der Zeitschrift für Pädagogik mit ausgewählten Beiträgen zum 13. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft. Es ist eine kurze Version des ein Jahr später erschienenen Aufsatzes und umfasst drei Druckseiten inklusive eines kurzen Literaturverzeichnisses und einer Anmerkung. Diese gibt den ursprünglichen Titel des Symposionvortrages an:
Der fiktionale Gehalt bildungstheoretischer Rekonstruktionen an Beispielen der Kunstgeschichte
(KMG 123-b, Abs. 123:36–68).

1.3 Übersetzungen

[9] Übersetzungen liegen unserem Kenntnisstand nach nicht vor.

1.4 Unveröffentlichte Quellen

[10] SUB Göttingen, Cod. Ms. K. Mollenhauer
  • [11] Manu. pub. 90 16: Klaus Mollenhauer, Konjekturen und Konstruktionen. Welche
    Wirklichkeit
    der Bildung referieren Dokumente der Kunstgeschichte? (o. D.). (Typoskript, Umfang: 12 Doppelseiten mit Kopien der Abbildungen, inkl. Vermeers
    Ansicht von Delft
    , die im Text genannt, aber nicht publiziert ist. Vorfassung der Publikation im Sammelband mit leichten inhaltlichen Abweichungen)
  • [12] Manu. pub. 90 17: Klaus Mollenhauer (o. D.). Konjekturen und Konstruktionen. Welche
    Wirklichkeit
    der Bildung referieren Dokumente der Kunstgeschichte? Eine bildungstheoretische Reflexion im Anschluß an Svetlana Alpers
    (Kopie ohne Abbildungen, Umfang von 18 Seiten. Inhaltlich/textlich deckungsgleich mit Publikation)
  • [13] Manu. pub. 90 18: Klaus Mollenhauer (o. D.). Konjekturen und Konstruktionen. Welche
    Wirklichkeit
    der Bildung referieren Dokumente der Kunstgeschichte?
    (Typoskript, Umfang: 6 Seiten. Texte weitestgehend deckungsgleich mit KMG 123-b)
  • [14] Korr. All. Lenz 05: Brief von Dieter Lenzen an Klaus Mollenhauer, 14.1.1991)

2 Inhalt und Kontexte

[15] Der 13. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft stand unter dem Thema Erziehungswissenschaft zwischen Modernisierung und Modernitätskrise und fand im März 1992 an der Freien Universität Berlin statt. Mollenhauer hielt dort im Symposion 2. Realität und Fiktionalität in der pädagogischen Historiographie den Vortrag Der fiktionale Gehalt bildungstheoretischer Rekonstruktionen an Beispielen der Kunstgeschichte, welcher dann unter geändertem Titel 1992 (gekürzt, KMG 123-b) bzw. 1993 (KMG 123-a) publiziert wurde. Das Symposion wurde von Dieter Lenzen organisiert, dem es darum ging, einen erziehungswissenschaftlichen Anschluss an die Historiografiedebatte in den Geschichtswissenschaften zu schaffen. Ab Mitte der 1980er Jahre wurde dort diskutiert, inwiefern in der Geschichtsschreibung nicht eine historische Realität abgebildet werden könne, sondern vielmehr
die Geschichte
immer auch
als Geschichte
erzählt werde, mithin das Verhältnis von Fiktionalität und Realität durchgängig thematisch werden müsse (Lenzen, 1989; White, 1991). Dem Thema widmeten sich auf dem Symposion neben Mollenhauer im Wesentlichen Bildungshistoriker*innen aus Berlin wie Peter Drewek, Heinz-Elmar-Tenorth, Annette Stross u. a. Den Briefen zwischen Lenzen und Mollenhauer ist noch ein weiteres Motiv für diesen Vortrag zu entnehmen. Mollenhauer hatte offenbar ein Symposion zur Ästhetik angeregt, das aber im Vorstand der DGfE nicht auf großes Interesse stieß. Lenzen schlug daraufhin vor zu
überlegen, inwieweit meine Historiografie-Option mit Deinem Ästhetik-Interesse verbunden werden könnte
(Lenzen an Mollenhauer, 14.1.1991, Korr. All. Lenz 05, S. 4)
.
[16] Um der im Titel gestellten Frage nachzugehen, welche
Wirklichkeit
der Bildung Dokumente der Kunstgeschichte referieren
, stellt Mollenhauer mit Bezug zu Nelson Goodman (1973) verschiedene Bezugsweisen zwischen Kunstwerk und Realität vor: Bilder könnten eine äußere Wirklichkeit repräsentieren, eine Beziehung oder einen Gedanken exemplifizieren und eine innerseelische Gestimmtheit als Expression nach außen hin darstellen. Dementsprechend seien Bilder immer Konstruktionen, die Sätze über diese Bilder dann Rekonstruktionen. Beide Operationen könnten sinnvollerweise durch Konjekturen zusammengeführt werden, so dass ein
berichtenswerter Zusammenhang entsteht
(KMG 123-a, Abs. 123:1)
. Bilder stellten insofern eine andere Art von Quellen dar als Texte, da sie immer schon Fiktionen, Deutungen einer Situation enthalten, die nur durch hermeneutische Auslegungen intersubjektiv plausibel erschlossen werden könnten. Solche Situationsdeutungen zeigten sich aber nicht in
Abbildungsrepertoires [… und] ikonografischen Details
, sondern in der stilistisch und historisch je typischen
Komposition oder Konstruktion
(KMG 123-a, Abs. 123:4)
der Bilder.
[17] In der Gegenüberstellung zweier im Hinblick auf das gewählte Bildsujet fast identischen Gemälde aus dem 15. Jahrhundert arbeitet er – Svetlana Alpers (1985) referierend – bedeutende Unterschiede in der Bildkomposition heraus, durch die ein je unterschiedlicher Sinngehalt entstünde. Sowohl das Bild von Andrea Mantegna (1454) als auch das von Giovanni Bellini (um 1470) zeigen die Darbringung Jesu im Tempel. Das Bild von Mantegna lasse sich als Andachtsbild verstehen, erkennbar durch z. B. die Heiligenscheine der dargestellten Personen. Das Bild von Bellini hingegen enthalte weitere Komponenten, u. a. durch das Hinzufügen von weiteren Personen. So würden beide Bilder einem narrativen Gestus in Bezug auf die biblische Referenz – ut pictura poesis – folgen, dabei aber unterschiedliche Sinngehalte
fingieren
. Für die niederländische Malerei des 17. Jahrhunderts gelte hingegen ein anderes Konzept: es gehe hier – ut pictura, ita visio – um den
Berührungspunkt zwischen gesehener Welt und gemalter Welt
(Alpers, 1985, S. 93)
. Ein meisterhaftes Beispiel sei Johannes Vermeers
Ansicht von Delft
.
[18] Abschließend fasst Mollenhauer zusammen, inwiefern seine Beispielanalysen auch für die systematische Frage nach dem Quellenstatus von Bildern ergiebig sein könne, worin aber auch die Grenzen und Herausforderungen – im Unterschied zu nicht-fiktionalen Textdokumenten – bestünden. Die methodologische Frage, warum es sinnvoll und nützlich sei, sich in erziehungswissenschaftlichen und insbesondere bildungshistorischen Fragestellungen mit Bildmaterialien auseinanderzusetzen, stellt Mollenhauer auch in anderen Texten (siehe z. B. KMG 141-a).

3 Rezeption

[19] –––

4 Literatur

4.1 Andere hier verwendete Werke von Klaus Mollenhauer

    [20] Mollenhauer, Klaus. Methoden erziehungswissenschaftlicher Bildinterpretation (Beitrag 1997, 2003; KMG 141-a). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqc3&edition=a.

4.2 Weitere Literatur

    [21] Alpers, Svetlana (1985). Kunst als Beschreibung. Holländische Malerei des 17. Jahrhunderts. Köln: DuMont.
    [22] Goodman, Nelson (1973). Sprachen der Kunst. Ein Ansatz zu einer Symboltheorie. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
    [23] Lenzen, Dieter (1989). Melancholie, Fiktion und Historizität. Historiographische Optionen im Rahmen einer Historischen Anthropologie. In Gunter Gebauer, Dietmar Kamper, Dieter Lenzen & Christoph Wulf (Hrsg.), Historische Anthropologie. Zum Problem der Humanwissenschaften heute oder Versuche einer Neubegründung (S. 13–48). Reinbek: Rowohlt.
    [24] White, Hayden Virgil (1991). Metahistory. Die historische Einbildungskraft im 19. Jahrhundert in Europa. Frankfurt am Main: Fischer.
[25] [Lisa-Katharina Heyhusen & Cornelie Dietrich]