Über die bildende Wirkung ästhetischer Erfahrung [Werkkommentar]

1 Werk: Formale Beschreibung

1.1 Leittext

[1] Mollenhauer, Klaus. Über die bildende Wirkung ästhetischer Erfahrung (Beitrag 1993; KMG 126-a). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqdg&edition=a.
[2] Basierend auf:
  • [3] Mollenhauer, Klaus (1993). Über die bildende Wirkung ästhetischer Erfahrung. In Dieter Lenzen (Hrsg.), Verbindungen. Vorträge anläßlich der Ehrenpromotion von Klaus Mollenhauer an der FU Berlin am 15.1.1993 (S. 17–36). Weinheim: Deutscher Studien Verlag.
[4] Das Werk erschien 1993 und umfasst 20 Druckseiten. Es enthält 30 Fußnoten mit inhaltlichen Anmerkungen sowie Literaturangaben. Auf den Seiten 34 und 35 des Textes sind im Querformat vier Notenbeispiele von Einzelimprovisationen (Beispiel 1: Metallophon; Beispiel 4: Xylophon) und Zweierimprovisationen (Beispiel 2: Xylophon/Trommel; Beispiel 3: Lotusflöte/Bongos) abgedruckt.

1.2 Weitere Fassungen

[5] Weitere Fassungen liegen unserem Kenntnisstand nach nicht vor.

1.3 Übersetzungen

[6] Übersetzungen liegen unserem Kenntnisstand nach nicht vor.

1.4 Unveröffentlichte Quellen

[7] SUB Göttingen, Cod. Ms. K. Mollenhauer
  • [8] Manu. pub. 90 12: Klaus Mollenhauer (o. D.). Über die bildende Wirkung ästhetischer Erfahrung (Typoskript des Vortrages an der Freien Universität Berlin am 15.1.1993 mit lediglich 11 Fußnoten enthält Notenbeispiel 1 sowie ein Literaturverzeichnis, das in der Publikation nicht vorhanden ist, 23 S., 2 Exemplare)
  • [9] Manu. pub. 90 13: Klaus Mollenhauer (o. D.). Über die bildende Wirkung ästhetischer Erfahrung (Kopie des Typoskripts mit beigelegten Notenbeispielen 1–4, 23 S.)
  • [10] Manu. pub. 90 14: Klaus Mollenhauer (o. D.). Anmerkungen aus dem Typoskript ohne Notenbeispiele 1–4, 11 Doppelseiten)
  • [11] Manu. pub. 90 15: Klaus Mollenhauer (o. D.). Über die bildende Wirkung ästhetischer Erfahrung (Kopie des gedruckten Aufsatzes mit allen 30 Fußnoten und Notenbeispielen 1–4, 11 Doppelseiten)
  • [12] Korr. All. Lenz 26: Klaus Mollenhauer an Dieter Lenzen, o. D. (6 S. Dank Mollenhauers an Lenzen für die Ehrenpromotion an der Freien Universität Berlin, dichte Beschreibung seiner Selbstzweifel und Anregungen zur Veröffentlichung der Berliner Beiträge von Wolfgang Welsch, Ulrich Beck und C. Wolfgang Müller sowie Mollenhauers eigenem an separaten Publikationsorten)

2 Inhalt und Kontexte

[13] Der Text stellt die überarbeitete Fassung des Vortrags gleichen Titels dar, den Mollenhauer am 15. Januar 1993 in Berlin hielt. Anlass dafür war die Verleihung der Ehrendoktorwürde durch die Freie Universität (FU) Berlin (Lenzen, 1993, S. 7). An dem anlässlich der Verleihung von Dieter Lenzen organisierten Symposium waren außerdem Wolfgang Welsch, Ulrich Beck und C. Wolfgang Müller mit je einem Beitrag vertreten. Lenzen verfolgte mit deren Einladung das Ziel
die drei großen Linien der Arbeit des Geehrten aufzugreifen
(Lenzen, 1993, S. 15)
; gemeint sind die ästhetische Theorie, die Gesellschaftstheorie und die Sozialpädagogik. Alle vier Vorträge gemeinsam sind in dem Sammelband dokumentiert. Mit Beck und Welsch war Mollenhauer bereits drei Jahre zuvor auf einem Symposium der Universität Jyväskylä eingeladen. Dort hatte er über die Zukunftsperspektive der Erziehungswissenschaft in der Postmoderne (KMG 117-a) referiert.
[14] Der Text widmet sich der Frage, ob und in welchem Sinne die ästhetische Erfahrung von Kindern als eine Bildungserfahrung gelten könne. Er entstand in unmittelbarer Nähe zu dem in Göttingen zur selben Zeit durchgeführten empirischen Projekt zu Grundfragen ästhetischer Bildung (KMG 134-A), aus welchem hier auch Material interpretiert wird. Zum ersten Mal bespricht Mollenhauer in alleiniger Autorenschaft ausschließlich Musikstücke – in Form von vier kindlichen Improvisationen –, nachdem er in vielen Texten zuvor Beispiele aus Kunst und Literatur verwendet hatte, um deren Gehalt für systematische und bildungshistorische Fragen zu erörtern. Musik sei, gegenüber Literatur und Bildender Kunst, die
gleichsam radikalste Probe auf die Behauptung, ästhetische Erfahrungen hätten etwas mit Bildung zu tun
(KMG 126-a, S. 20)
. Denn Musik verweise – jedenfalls als autonome Instrumentalmusik – auf keine Referenzen außerhalb ihrer selbst, sie lasse keine
Ausreden [zu] in außerästhetische Erfahrungen
(KMG 126-a, S. 22)
. Es kann also im Kontext von Bildungstheorie nicht um Aneignung von
Welt
gehen, es sei denn die musikalische Welt. In Auseinandersetzung mit Autoren der systematischen und historischen Musikwissenschaft wie Carl Dahlhaus und Peter Faltin verfolgt Mollenhauer nun die Spur, wie Innerseelisches (Empfindungen, Gefühle, Stimmungen) und musikalisches Objekt aufeinander bezogen werden können und zusammen den Gegenstand der ästhetischen Erfahrung hervorbringen. Er entwickelt seine Theorie ästhetischer Metaphern, in denen Sinngefüge aus diesen beiden Referenzfeldern in der Erfahrung zusammengeführt werden und dabei eine neue Bedeutung entfalten können. Mollenhauer greift hier einen Gedanken Paul Ricœurs (Ricœur, 1986) auf, der geltend gemacht hatte, dass in Metaphern eine Verbindung zwischen
einem sprachlichen und einem nicht-sprachlichen Moment
(KMG 126-a, S. 21)
gestiftet werde und erweitert dies auf den Bereich der Musik, die als eine
Sprache der Kunst
(Goodman, 1973)
aufgefasst wird. Mollenhauer bezieht diesen Vorgang nun auch auf Kinder und erläutert, dass diese Fähigkeit zur lebendigen Metapher nicht nur Künstler*innen, sondern im Prinzip auch Kindern in ihrer produktiven Hervorbringung von ästhetischen Objekten zugeschrieben wird. Zugleich beugt Mollenhauer dem möglichen Missverständnis vor, das reformpädagogische Motiv des Genius im Kinde zu reetablieren (KMG 126-a, Abs. 126:7–8); es gehe ihm vielmehr darum, den musikalischen Produkten von Kindern mit der hermeneutisch gleichen Aufmerksamkeit zu begegnen wie einem Kunstwerk. Dass durch diesen Anspruch sowohl für die Dokumentation dieser Stücke in Form von Transkriptionen als auch für deren Beschreibung in Form der erwähnten Metaphernstruktur ein für erziehungswissenschaftliche Texte ungewöhnlicher Aufwand zu betreiben ist, zeigt dieser Text, wie auch später KMG 134-A. Er führt im Ergebnis zu einem bildungstheoretischen und empirisch gestützten Argument über die
Selbstexploration eines Kindes im Medium musikalischer Improvisation
(KMG 126-a, Abs. 126:32)
. Es führe darüber hinaus zu der Selbstbeschreibung des forschenden Pädagogen, der nur im geschulten und aufmerksamen Nachvollzug solcher Explorationen die Differenz zwischen konventioneller sprachlicher Kommunikation und andersartig organisierter Anteilnahme erfahren kann.

3 Rezeption

[15] Roland Merten erinnert in seinem Nachruf auf Mollenhauer an dessen Ernennung zum Ehrendoktor 1993: Mollenhauer habe in seinem Vortrag seine aktuellen Forschungsinteressen zum Ausdruck gebracht, die sich auch in den Grundfragen zu ästhetischer Bildung (KMG 134-A) und in dem mit Christoph Wulf herausgegebenen Sammelband Aisthesis/Ästhetik (siehe dazu auch KMG V80-a) niederschlugen (Merten, 1998, S. 150). Cornelie Dietrich hat in ihrer Dissertation das Theorem der ästhetischen Metaphern als einer bildungstheoretischen Grundfigur weiterentwickelt (Dietrich 1998, S. 168–169, auch Dietrich, 2004). Käte Meyer-Drawe geht insbesondere auf die spezifischen Merkmale der Musik ein, die Mollenhauer in diesem Text ausführlich bearbeitet hat und macht sie für ihre bildungstheoretischen Überlegungen fruchtbar (Meyer-Drawe, 2000). Gundel Mattenklott und Constanze Rora, die an der Universität der Künste Berlin ein grundschulpädagogisches Curriculum für Musisch-Ästhetische Erziehung erarbeiteten, zählen
Mollenhauers Beiträge zur ästhetischen Bildung […] zu den wichtigsten
(Mattenklott, 2004, S. 8)
für diesen Prozess. So habe Mollenhauers Vortrag zur Ehrenpromotion 1993
den vernachlässigten subjektiven Erfahrungsaspekt ins Spiel [gebracht]
(Mattenklott, 2004, S. 8)
. Ulrike Hentschel beschäftigt sich aus theaterpädagogischer Sicht mit dem Thema
Sprache und ästhetische Erfahrung
(Hentschel, 2004, S. 157)
und entwickelt ihr differenziertes Verständnis von ästhetischer Erfahrung vor dem Hintergrund von Mollenhauers Texten. So habe Mollenhauer
in den 1980er und 90er Jahren, als der allgemeine Ästhetikboom auch die Erziehungswissenschaft erreichte, erheblich zur Klärung und Erneuerung der bildungstheoretischen Dimension des Ästhetischen beigetragen
(Hentschel, 2004, S. 157)
; sie referiert dabei neben KMG 100-a, KMG 112-a, KMG 114-a und KMG 134-A auf KMG 126-a. In ähnlicher Weise rezipiert Yvonne Ehrenspeck KMG 126-a (Ehrenspeck, 2002).

4 Literatur

4.1 Andere hier verwendete Werke von Klaus Mollenhauer

    [16] Mollenhauer, Klaus. Ist ästhetische Bildung möglich? (Beitrag 1988; KMG 100-a). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqh5&edition=a.
    [17] Mollenhauer, Klaus. Ästhetische Bildung zwischen Kritik und Selbstgewißheit (Beitrag 1990; KMG 112-a). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqg2&edition=a.
    [18] Mollenhauer, Klaus. Die vergessene Dimension des Ästhetischen in der Erziehungs- und Bildungstheorie (Beitrag 1990; KMG 114-a). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqfx&edition=a.
    [19] Mollenhauer, Klaus. Gibt es für die Erziehungswissenschaft eine Zukunftsperspektive? (Beitrag 1991; KMG 117-a). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqf7&edition=a.
    [20] Mollenhauer, Klaus. Grundfragen ästhetischer Bildung. Theoretische und empirische Befunde zur ästhetischen Erfahrung von Kindern (Monografie 1996; KMG 134-A). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqcs&edition=A.
    [21] Mollenhauer, Klaus & Wulf, Christoph. Vorwort der Herausgeber [zu Aisthesis/Ästhetik] (Geleitwort 1996; KMG V80-a). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqcx&edition=a.

4.2 Weitere Literatur

    [22] Dietrich, Cornelie (1998). Wozu in Tönen denken. Historische und empirische Studien zur bildungstheoretischen Bedeutung musikalischer Autonomie. Kassel: Bosse.
    [23] Dietrich, Cornelie (2004). Unsagbares machbar machen? Empirische Forschung zur musikalischen Erfahrung von Kindern. In Gundel Mattenklott & Constanze Rora (Hrsg.), Ästhetische Erfahrung in der Kindheit. Theoretische Grundlagen und empirische Forschung (S. 195–207). Weinheim [u. a.]: Juventa.
    [24] Ehrenspeck, Yvonne (2002). Stichwort Ästhetik und Bildung. Zeitschrift für Kritische Musikpädagogik, 4(1), 1–24.
    [25] Goodman, Nelson (1973). Sprachen der Kunst. Ein Ansatz zu einer Symboltheorie. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
    [26] Hentschel, Ulrike (2004). Zwischen Material und Bedeutung. Ästhetische Erfahrung und Sprache im zeitgenössischen Theater und in der Theaterpädagogik. In Gundel Mattenklott & Constanze Rora (Hrsg.), Ästhetische Erfahrung in der Kindheit. Theoretische Grundlagen und empirische Forschung (S. 157–170). Weinheim [u. a.]: Juventa.
    [27] Lenzen, Dieter (1993). Vorwort. In Dieter Lenzen (Hrsg.), Verbindungen. Vorträge anläßlich der Ehrenpromotion von Klaus Mollenhauer an der FU Berlin am 15.1.1993 (S. 7). Weinheim: Deutscher Studien Verlag.
    [28] Mattenklott, Gundel (2004). Einleitung 1. Teil: Zur ästhetischen Erfahrung in der Kindheit. In Gundel Mattenklott & Constanze Rora (Hrsg.), Ästhetische Erfahrung in der Kindheit. Theoretische Grundlagen und empirische Forschung (S. 7–23). Weinheim [u. a.]: Juventa.
    [29] Merten, Roland (1998). Klaus Mollenhauer (31.10.1928 – 18.03.1998) – Ein Nachruf. Der pädagogische Blick, 6(3), 132–135.
    [30] Meyer-Drawe, Käte (2000). Die Not der Lebenskunst: Phänomenologische Überlegungen zur Bildung als Gestaltung exzentrischer Lebensverhältnisse—Fünf Überlegungen. In Cornelie Dietrich & Hans-Rüdiger Müller (Hrsg.), Bildung und Emanzipation. Klaus Mollenhauer weiterdenken (S. 147–154). Weinheim [u. a.]: Juventa.
    [31] Ricœur, Paul (1986). Die lebendige Metapher. München: Fink.
[32] [ ]