Gibt es Ausdrucksspuren in kindlichen Improvisationen? [Werkkommentar]

1 Werk: Formale Beschreibung

1.1 Leittext

[1] Dietrich, Cornelie & Mollenhauer, Klaus. Gibt es Ausdrucksspuren in kindlichen Improvisationen? (Beitrag 1995; KMG 130-a). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqd4&edition=a.
[2] Basierend auf:
  • [3] Mollenhauer, Klaus & Dietrich, Cornelie (1995). Gibt es Ausdrucksspuren in kindlichen Improvisationen? Musik und Unterricht, 6(34), 13–17.
[4] Das Werk erschien als Beitrag in der Rubrik Unterricht und umfasst fünf Druckseiten im Mehrspaltensatz inklusive einer Anmerkung und Literaturverzeichnis am Ende des Textes. Es enthält zwölf Abbildungen (sechs Notenbeispiele und sechs schwarz-weiße Abbildungen von Kinderzeichnungen), die als Antriebsstücke, Stimmungsstücke und Wechselstücke bezeichnet sind.

1.2 Weitere Fassungen

[5] Weitere Fassungen liegen unserem Kenntnisstand nach nicht vor.

1.3 Übersetzungen

[6] Übersetzungen liegen unserem Kenntnisstand nach nicht vor.

1.4 Unveröffentlichte Quellen

[7] Diesem Werk konnten keine unveröffentlichten Quellen zugeordnet werden.

2 Inhalt und Kontexte

[8] Der Text ist ein
umgearbeitete[r] Mosaikstein
(KMG 130-a, S. 17)
der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten empirischen Studie zu Grundfragen der ästhetischen Bildung, die Mollenhauer unter Mitarbeit von Cornelie Dietrich, Hans-Rüdiger Müller und Michael Parmentier 1996 als Buch veröffentlichte (KMG 134-A). Gegenstand der Erhebung waren über 800 bildnerische und musikalische Produkte von Kindern im Alter von 10 bis 13 Jahren, die sowohl quantitativ, als auch und vor allem qualitativ ausgewertet wurden (siehe auch den Werkkommentar zu KMG 193). Eine der dort erarbeiteten Auswertungskategorien beschreibt verschiedene von den Kindern realisierte Ausdrucksgesten in ihren Produkten; den musikalischen Teil dieser Kategorie stellt Mollenhauer in Co-Autorenschaft in diesem Zeitschriftenartikel vor. Die Zeitschrift Musik und Unterricht versteht sich als eine musikpädagogische Fachzeitschrift, die einerseits je aktuelle Herausforderungen des schulischen Musikunterrichts behandelt, andererseits in Kontakt zu Musik- und Erziehungswissenschaft auch immer wieder Themen mit stärkerem Theoriebezug und allgemeinerem, über den Unterricht hinausweisenden Geltungsanspruch auswählt. So geschieht es auch in diesem Text, der zwar unter der Rubrik Unterricht erscheint, zu Unterrichtsthemen aber keinen expliziten Bezug aufweist, es sei denn als eine Ableitung ästhetischer Fragen (KMG 130-a, Abs. 130:1–4). Das Heft, in dem der Beitrag erschien, ist dem Schwerpunktthema Expressivität gewidmet (Schneider, 1995) und beinhaltet mehrere Texte, die die Möglichkeiten für die Förderung musikalischer Ausdrucksfähigkeit von Schülerinnen und Schülern untersuchen (Dröse, 1995; Gellrich, 1995). Das Heft repräsentiert insofern den musikpädagogischen Argumentationskontext des Beitrags: Die anthropologisch basale Bedeutung von Ausdrucksgebärden und menschlicher Expressivität und deren kulturelle Überformung in Produkten der Kultur, hier insbesondere der Musik, werden zum Anlass genommen, nach Möglichkeiten der Kultivierung, der Unterrichtung und des Verstehens zu suchen.
[9] Mollenhauer und Dietrich erläutern zunächst die theoretische Frage danach, was denn als Referenz des ästhetischen, insbesondere des musikalischen Ausdrucksgeschehens gelten könne. Dabei beziehen sie sich auf anthropologische Argumente, die den (unwillkürlichen) Ausdruck als eine spontane Geste der Mitteilung von innerseelischen Gehalten auffassen (Plessner, 1982). Jedoch werde – so die Argumentation mit Bezug auf die philosophische Ästhetik Goodmans (1973) und Ricœurs (1986) – im ästhetischen Ausdrucksgeschehen nicht ein innerseelischer Gehalt einfach in eine andere (Ton- oder Bild-)Sprache übersetzt; vielmehr werde durch die Gestaltung ästhetischen Materials eine spezifische Gestimmtheit allererst metaphorisch hervorgebracht, die es anders als in der ästhetischen Ausdrucksgeste gar nicht gibt. Sie habe höchstens einen ihrer Gründe im Inneren des sich Ausdrückenden, andere Komponenten dessen, was als Ausdruck verstanden wird, resultieren aus Erfahrung der ästhetischen Gestaltung (zur Entwicklung der Theorie ästhetischer Metaphern im kindlichen Ausdruck vergleiche ausführlicher auch KMG 126-a, Dietrich, 1998). Mollenhauer und Dietrich erläutern nun anhand des empirischen Materials aus dem genannten Forschungsprojekt, dass dieses theoretische Konstrukt – entwickelt in der philosophischen Ästhetik sowie in den Kunst und Bildwissenschaften für das Verstehen von Ausdrucksgehalten in Kunst- und Musikwerken – auch auf sehr einfache ästhetische Produkte von Kindern anwendbar sind, jedenfalls in einem elementaren Sinn, in dem zwischen z. B. solchen Stücken, die eher den Organismus in Bewegung setzen (
Antriebsstücke
) und solchen, die eher einen Zustand exemplifizieren (
Stimmungsstücke
) differenziert wird. Bildungstheoretisch wird damit begründbar, dass ein Kind im ästhetischen Arbeiten
zu begreifen lernt, der
Macher
seiner Empfindungen sein zu können
(KMG 130-a, Abs. 130:21)
.

3 Rezeption

[10] Viele Texte Mollenhauers zur ästhetischen Bildung, so auch dieser, wurden zusammenfassend immer wieder als Fundament für ein neues bildungstheoretisches Verständnis ästhetischer Erfahrung von Kindern angeführt und dienen den Autor*innen als Basis für eigene weiterführende Argumentation und Forschung in den je spezifischen Kontexten. Exemplarisch dafür kann die Rezeption von KMG 100-a, KMG 112-a, KMG 114-a, KMG 126-a, KMG 130-a, KMG 134-A bei Ulrike Hentschel zitiert werden, die schreibt, dass sie ihre theaterpädagogischen Überlegungen
vor dem Hintergrund der Schriften Klaus Mollenhauers [ausführt], der in den 80er und 90er Jahren, als der allgemeine Ästhetikboom auch die Erziehungswissenschaft erreichte, erheblich zur Klärung und Erneuerung der bildungstheoretischen Dimension des Ästhetischen beigetragen hat.
(Hentschel, 2004, S. 157)
. Hentschels Text erscheint in einem Sammelband von Gundel Mattenklott und Constanze Rora zu Ästhetische Erfahrung in der Kindheit (Mattenklott & Rora, 2004), welches ebenso durch Mollenhauers Texte zur Ästhetischen Bildung motiviert wurde.

4 Literatur

4.1 Andere hier verwendete Werke von Klaus Mollenhauer

    [11] Mollenhauer, Klaus. Ist ästhetische Bildung möglich? (Beitrag 1988; KMG 100-a). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqh5&edition=a.
    [12] Mollenhauer, Klaus. Ästhetische Bildung zwischen Kritik und Selbstgewißheit (Beitrag 1990; KMG 112-a). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqg2&edition=a.
    [13] Mollenhauer, Klaus. Die vergessene Dimension des Ästhetischen in der Erziehungs- und Bildungstheorie (Beitrag 1990; KMG 114-a). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqfx&edition=a.
    [14] Mollenhauer, Klaus. Über die bildende Wirkung ästhetischer Erfahrung (Beitrag 1993; KMG 126-a). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqdg&edition=a.
    [15] Mollenhauer, Klaus. Grundfragen ästhetischer Bildung. Theoretische und empirische Befunde zur ästhetischen Erfahrung von Kindern (Monografie 1996; KMG 134-A). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqcs&edition=A.

4.2 Weitere Literatur

    [16] Dietrich, Cornelie (1998). Wozu in Tönen denken. Historische und empirische Studien zur bildungstheoretischen Bedeutung musikalischer Autonomie. Kassel: Bosse.
    [17] Dröse, Katalin (1995). Entwicklung der musikalischen Ausdrucksfähigkeit bei Kindern im Grundschulalter. Musik und Unterricht, 6(34), 19–21.
    [18] Gellrich, Martin (1995). Förderung des musikalischen Ausdrucks durch die Arbeit mit Stimme und Gestik. Musik und Unterricht, 6(34), 22–24.
    [19] Goodman, Nelson (1973). Sprachen der Kunst. Ein Ansatz zu einer Symboltheorie. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
    [20] Hentschel, Ulrike (2004). Zwischen Material und Bedeutung. Ästhetische Erfahrung und Sprache im zeitgenössischen Theater und in der Theaterpädagogik. In Gundel Mattenklott & Constanze Rora (Hrsg.), Ästhetische Erfahrung in der Kindheit. Theoretische Grundlagen und empirische Forschung (S. 157–170). Weinheim [u. a.]: Juventa.
    [21] Mattenklott, Gundel & Rora, Constanze (2004). Ästhetische Erfahrung in der Kindheit. Theoretische Grundlagen und empirische Forschung. Weinheim [u. a.]: Juventa.
    [22] Plessner, Helmuth (1982). Gesammelte Schriften VII. Ausdruck und menschliche Natur. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
    [23] Ricœur, Paul (1986). Die lebendige Metapher. München: Fink.
    [24] Schneider, Reinhard (1995). Expressivität. Musik und Unterricht, 6(34), 4–9.
[25] [Cornelie Dietrich]