Musikalische Figuren als Selbstbeschreibungen im späten Kindesalter [Werkkommentar]

1 Werk: Formale Beschreibung

1.1 Leittext

[1] Dietrich, Cornelie & Mollenhauer, Klaus. Musikalische Figuren als Selbstbeschreibungen im späten Kindesalter (Beitrag 1997; KMG 142-a). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqc1&edition=a.
[2] Basierend auf:
  • [3] Dietrich, Cornelie & Mollenhauer, Klaus (1997). Musikalische Figuren als Selbstbeschreibungen im späten Kindesalter. Zeitschrift für Pädagogik, 43(5), 697–712.
[4] Das Werk umfasst 16 Druckseiten inklusive Literaturverzeichnis, Abstract sowie die Anschriften der Autor*innen. Der Text enthält fünf Notenbeispiele, die im Text abgedruckt sind, darunter ein Ausschnitt der Klaviersonate B-Dur, D. 960 von Franz Schubert, das Notat einer darauf Bezug nehmenden Improvisation eines Kindes sowie drei weitere beispielhafte Notate. Im Text finden sich sieben Fußnoten in Form von kleinen (inhaltlichen) Anmerkungen.

1.2 Weitere Fassungen

[5] Dietrich, Cornelie & Mollenhauer, Klaus. Musikalische Figuren als Selbstbeschreibungen im späten Kindesalter (Beitrag 1998; KMG 142-b). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqc1&edition=b.
[6] Basierend auf:
  • [7] Dietrich, Cornelie & Mollenhauer, Klaus (1998). Musikalische Figuren als Selbstbeschreibungen im späten Kindesalter. In Stephanie Hellekamps (Hrsg.), Ästhetik und Bildung. Das Selbst im Medium von Musik, Bildender Kunst, Literatur und Fotografie (S. 13–29). Weinheim: Deutscher Studien Verlag.
[8] Der Text wurde erneut 1998 mit einigen formalen Änderungen in einem von Stephanie Hellekamps herausgegebenen Sammelband veröffentlicht. Neben den aus KMG 142-a übernommenen Anmerkungen, wurden 14 Fußnoten mit Literaturangaben hinzugefügt. Am Ende des Textes weist die Herausgeberin Hellekamps darauf hin, dass
in einigen hinzugefügten Anmerkungen die Autoren auf Fragen und Einwände des Korreferenten [Horst Weber] antworten.
(
Hellekamps, 1998
, Anmerkung in
KMG 142-b, Abs. 142:54–55)
.

1.3 Übersetzungen

[9] Übersetzungen liegen unserem Kenntnisstand nach nicht vor.

1.4 Unveröffentlichte Quellen

[10] SUB Göttingen, Cod. Ms. K. Mollenhauer
  • [11] Manu. pub. 90 26: Cornelie Dietrich und Klaus Mollenhauer (o. D.). Musikalische Figuren als Selbstbeschreibungen im späten Kindesalter (Druckfahne mit handschriftlichen Korrekturen)
  • [12] Korr. All. Miet: Klaus Mollenhauer an Ulrike Mietzner, 12.6.1997 (die Assistentin der Schriftleitung der Zeitschrift für Pädagogik, zur Vorbereitung des Wiederabdrucks in Stephanie Hellekamps' Sammelband Ästhetik und Bildung)

2 Inhalt und Kontexte

[13] Der Text geht zurück auf einen Vortrag, den Cornelie Dietrich und Klaus Mollenhauer im Dezember 1995 auf dem IV. Symposium des Instituts für Allgemeine Pädagogik an der Humboldt-Universität zu Berlin gehalten haben (Hellekamps, 1998, S. 7), das 1995 unter der Überschrift Reflexivität und Metaphorik in Bildung und Literatur/Kunst – Über verschiedene Arten, die Selbstbildung zu beschreiben stand. Anlass für diese Thematik war, so berichtet Hellekamps in der Einleitung zu dem von ihr herausgegebenen Tagungsband,
Mollenhauers Erinnerung, daß es, statt in der Bildungstheorie
Gattungsgeschichten
zu erzählen, darauf ankomme, das idiosynkratische Selbst in Metaphern zur Sprache zu bringen.
(Hellekamps, 1998, S. 7)
Auf dem Symposion wurden neben der Musik (Mollenhauer und Dietrich) auch die Medien des Bildes (Michael Parmentier und Theodor Schulze), der Literatur (Helmut Arntzen und Friederike Werschkull), sowie der Fotografie (Ulrike Mietzner, Ulrike Pilarczyk und Konrad Wünsche) auf ihr Potential zur Selbstbeschreibung des Subjekts hin untersucht. Die Fragestellung des Symposions lässt sich in den Kontext der zu dieser Zeit brüchig gewordene Idee eines souveränen Subjekts als Fluchtpunkt einer allgemeinen Bildungstheorie, die Mollenhauer hier mit dem Begriff Gattungsgeschichten aufruft. Kurz zuvor, 1992, wurde innerhalb der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft die Kommission Pädagogische Anthropologie gegründet (Althans, 2022, S. 74), die mit einer ähnlichen Skepsis gegenüber universalistischen Aussagen vor allem die doppelte Historizität des Menschen und des Pädagogischen in den Mittelpunkt ihrer Untersuchungen stellte. Der Mensch steht dieser Auffassung nach zu jedem Zeitpunkt seines Schreibens, Sprechens und Forschens in einer je besonderen Zeit, die seine Perspektive (mit-)bestimmt und entwickelt Theorien über den Menschen, die wiederum auch historisch sind, d.h. einem Wandel in der Zeit unterliegen. Ebenso lässt sich die Hinwendung zu ästhetischen Produkten und ihrer Vieldeutigkeit bzw. Viel-Sprachigkeit (Goodman, 1973) innerhalb der Allgemeinen Pädagogik, die von Mollenhauer angestoßen worden war und öfter in Konferenz-Formaten aufgegriffen wurde (siehe etwa auch KMG 114-a, KMG 126-a) als Bemühen verstehen, jene
Erkenntnis-Routinen
(KMG 142-a, Abs. 142:52)
zu erweitern, die sich traditionell der diskursiven Sprache bedienen, wenn sie Bildungsprozesse beschreiben und erläutern.
[14] Schon lange werden Selbstbeschreibungen des Individuums, etwa in Lebenserzählungen oder Autobiografien, als selbstreflexive Vorgänge und somit als bildungsbedeutsam verstanden. Auch Selbstbildnisse in der Malerei sind länger schon pädagogisch als Zeugnisse selbstreflexiver Bewegungen gelesen worden. In KMG 142-a nehmen sich die Autor*innen erneut, wie auch schon in KMG 126-a; KMG 130-a; KMG 134-A, Beispiele aus der ästhetischen Formensprache der Musik vor. Dabei greifen sie auf kindlich-musikalische Improvisationen aus einem DFG-Projekt zu Grundfragen ästhetischer Bildung (siehe KMG 134-A) zurück und fragen, ob sich diese analog zu Selbst-Erzählungen oder Selbst-Bildern auch als eine reflexive Selbstbeschreibung interpretieren lassen. Der Schwierigkeit musikalischer Selbst-Referentialität, die es quasi unmöglich macht zu benennen, worüber in einer Improvisation
gesprochn
wird, begegnen sie mit der Vorstellung, dass in Musik nicht das Selbst selber zur Sprache gebracht werden könne, aber dass es sich in metaphorischer Weise und auf Grundlage einer wörtlich verstandenen Re-Sonanz, also als ein Mittönen,
zum Thema mache
(KMG 142-a, S. 699)
. Mollenhauer und Dietrich erläutern dann im analytischen Durchgang durch die Improvisationsbeispiele vier Themenfelder, in denen das Kind im Ästhetischen, hier exemplifiziert am Beispiel der
gegenstandslosen
musikalischen Improvisation, sich selbst kommentiert: In mimetischer Resonanz respondiert es auf einen anderen musikalischen Eindruck, in einem anderen Stück artikuliert es den Wechsel zwischen verschiedenen Zuständen und Empfindungen (Stimmungswechsel), in einem weiteren Stück macht sich die besondere Leiblichkeit der musikalisch-produktiven Erfahrung zum Thema, und in einer Zweier-Improvisation wird schließlich zwischenmenschliche Interaktion gestaltet und als Erfahrung kommentiert.

3 Rezeption

[15] Zu dem Berliner Symposion wurde auch der Musikwissenschaftler Horst Weber eingeladen, der ein Ko-Referat hielt und ausführlich Stellung nahm zu den Untersuchungen von Mollenhauer und Dietrich. Dieses ist, erweitert um einige Diskussionspunkte, ebenfalls in der Zeitschrift für Pädagogik, als zweiter Beitrag in der Rubrik Ästhetik und Bildung – Praxisformen und Wahrnehmungsweisen abgedruckt (Weber, 1997). Er greift in seinem Kommentar die Thesen Dietrichs und Mollenhauers zur musikalischen Selbstbeschreibung von Kindern auf und variiert aus musikwissenschaftlicher Sicht deren Erkenntnisse. Er schlägt vor, Spezifika der Musik, wie etwa die Notwendigkeit der Erinnerung in Wiederholung und Variation, oder auch die besondere Lernerfahrung, die sich während des Improvisierens am Instrument zeigen lasse, stärker zu akzentuieren.

4 Literatur

4.1 Andere hier verwendete Werke von Klaus Mollenhauer

    [16] Mollenhauer, Klaus. Die vergessene Dimension des Ästhetischen in der Erziehungs- und Bildungstheorie (Beitrag 1990; KMG 114-a). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqfx&edition=a.
    [17] Mollenhauer, Klaus. Über die bildende Wirkung ästhetischer Erfahrung (Beitrag 1993; KMG 126-a). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqdg&edition=a.
    [18] Dietrich, Cornelie & Mollenhauer, Klaus. Gibt es Ausdrucksspuren in kindlichen Improvisationen? (Beitrag 1995; KMG 130-a). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqd4&edition=a.
    [19] Mollenhauer, Klaus. Grundfragen ästhetischer Bildung. Theoretische und empirische Befunde zur ästhetischen Erfahrung von Kindern (Monografie 1996; KMG 134-A). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqcs&edition=A.

4.2 Weitere Literatur

    [20] Althans, Birgit (2022). Laudatio für Prof. Dr. Christoph Wulf anlässlich der Verleihung der Ehrenmitgliedschaft der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft. Erziehungswissenschaft, 33(64), 73–75.
    [21] Goodman, Nelson (1973). Sprachen der Kunst. Ein Ansatz zu einer Symboltheorie. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
    [22] Hellekamps, Stephanie (1998). Vorwort. In Stephanie Hellekamps (Hrsg), Ästhetik und Bildung. Das Selbst im Medium von Musik, Bildender Kunst, Literatur und Fotografie (S. 7–10). Weinheim: Deutscher Studien Verlag.
    [23] Weber, Horst (1997). Entwerfendes Lernen in Improvisationen von Kindern. Kommentar zu C. Dietrich und K. Mollenhauer: Musikalische Figuren als Selbstbeschreibungen im späten Kindesalter. Zeitschrift für Pädagogik, 43(5), 713–720.
[24] [ ]