Aspekte der Lehre – Bildungshistorische Belehrungen durch Kunst [Werkkommentar]

1 Werk: Formale Beschreibung

1.1 Leittext

[1] Mollenhauer, Klaus. Aspekte der Lehre – Bildungshistorische Belehrungen durch Kunst (Beitrag 1996; KMG 146-a). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqbm&edition=a.
[2] Basierend auf:
  • [3] Mollenhauer, Klaus (1998). Aspekte der Lehre – Bildungshistorische Belehrungen durch Kunst. Bildungsforschung und Bildungspraxis, 20(2), 171–195.
[4] Das Werk erschien 1998 posthum in der Schweizerischen Zeitschrift für Erziehungswissenschaft: Bildungsforschung und Bildungspraxis und umfasst 24 Druckseiten inklusive eines Literatur- sowie eines Abbildungsverzeichnisses. Zudem enthält es neun schwarz-weiße Abbildungen, die jeweils eine Druckseite einnehmen.

1.2 Weitere Fassungen

[5] Weitere Fassungen liegen unserem Kenntnisstand nach nicht vor.

1.3 Übersetzungen

[6] Übersetzungen liegen unserem Kenntnisstand nach nicht vor.

1.4 Unveröffentlichte Quellen

[7] SUB Göttingen, Cod. Ms. K. Mollenhauer
  • [8] Korr. All. Furr 02: Brief von Max Furrer an Klaus Mollenhauer (o. D.). (beiliegend Vortragsankündigung)
  • [9] Korr. All. Furr 03: Brief von Max Furrer an Klaus Mollenhauer, 7.7.1997
  • [10] Korr. All. Grus 03: Brief von Klaus Mollenhauer an Andreas Gruschka, April 1997 (Umfang: 3 Seiten)
  • [11] Korr. All. Lenz 12: Korrespondenz zwischen Klaus Mollenhauer und Dieter Lenzen, 24.11.-2.12.1987 (Umfang: 2 Briefe)
  • [12] Manu. pub. 90 25: Klaus Mollenhauer (o. D.). Aspekte der Lehre – Bildungshistorische Belehrungen durch Kunst (Text ohne Abbildungen und ohne Abbildungsverzeichnis; Manuskripttext identisch mit Aufsatz; Kopien der Abbildungen als Anlage)
  • [13] Uni-Lehre 90 15-001: Klaus Mollenhauer, Vorlesung WS 1995/96: Die Pädagogik der Moderne – Interpretationen von bildnerischen und musikalischen Dokumenten. (Typoskript unvollständig. Umfang: 96 Seiten)
  • [14] Uni-Lehre 90 15-005: Klaus Mollenhauer, Vorlesung WS 1995/96: Die Pädagogik der Moderne (Übersicht zu Ideen der einzelnen 10 Blöcke, Aufführung von Kunst- und Musikwerken sowie der Versuch eine gemeinsame Thematik aufzuzeigen, Umfang: 10 Seiten mit Literatur)

2 Inhalt und Kontexte

[15] Der publizierte Text basiert auf dem fünften Abschnitt der letzten allgemeinpädagogischen Vorlesung, die Mollenhauer vor seiner Emeritierung an der Universität Göttingen im Wintersemester 1995/96 hielt. Sie trug den Titel Die Pädagogik der Moderne – Interpretationen von bildnerischen und musikalischen Dokumenten (siehe auch den Werkkommentar zu KMG 133-a). Mollenhauer strukturierte die Vorlesung anhand der folgenden Themen:
  • [16]
    Das charakteristisch
    moderne
    Welt- und Selbstverhältnis;
  • [17]
    Der Leib;
  • [18]
    Die Kindheit;
  • [19]
    Die Interaktion;
  • [20]
    Die Lehre;
  • [21]
    Das Reale und das Ideale;
  • [22]
    Das
    Ich
  • [23]
    Autonomie und Individualität.
    (Uni-Lehre 90 15-001, S. 4)
[24] Nach der Emeritierung, am 13. Juni 1997, hielt er einen Vortrag mit gleichem Titel wie die Publikation am Pestalozzianum Zürich (Furrer an Mollenhauer, o. D., Korr. All. Furr 02). Im Nachgang schreibt Max Furrer im Juli 1997:
[M]it grosser Freude habe ich Deinen Artikel in Empfang genommen und gelesen: Ich bin begeistert
(Furrer an Mollenhauer, 7.7.1997, Korr. All. Furr 03)
. Der Vortragstext sollte in der Schweizerischen Zeitschrift für Erziehungswissenschaft. Bildungsforschung und Bildungspraxis publiziert werden. Geplant war, das Heft 2 des 20. Jahrgangs als ein Diskussionspodium zu gestalten, in dem Mollenhauers Vortrag, ein Kommentar von Li Mollet dazu und schließlich wiederum eine Replik auf den Kommentar von Mollenhauer erscheinen sollte. Wie die Redakteur*innen Susanne Rüegg und Max Furrer im Editorial der Heftnummer bedauern, sei dieser dritte Teil leider nicht mehr möglich gewesen, da sie während der Entstehung
unvermittelt die schmerzliche Nachricht über Mollenhauers Tod
(Rüegg & Furrer, 1998, S. 167)
erreicht habe.
[25] Mollenhauer unterscheidet zunächst drei Weisen, in denen das Phänomen der Lehre in Kunstwerken thematisch werden kann. Die der Erziehungswissenschaft vertrauteste Weise sei diejenige, in der Bilder oder Musikwerke illustrieren und bekräftigen, was in Worten und Gesten als jeweils wahre Lehre gelte, etwa in mittelalterlichen Bildern biblischer Ereignisse oder politischen Plakaten der Gegenwart:
bekräftigende Mittel der Überredung
(KMG 146-a, Abs. 146:1)
. Daneben gebe es Lehr-Stücke, in denen Maler*innen oder Musiker*innen ihren Kolleg*innen die ihrem Kunstverständnis nach beste und überlieferungswürdige Art zu komponieren oder zu malen im Werk mitteilen; als Beispiele dafür nennt Mollenhauer Johann Sebastian Bachs Kunst der Fuge und die Bilder Wassily Kandinskys.
[26] Schließlich gebe es einen dritten Modus der künstlerischen Auseinandersetzung mit dem kulturellen Phänomen der Lehre, die den lehrhaften Gehalt selbst zum Bildgegenstand haben und zugleich das Verhältnis zwischen Betrachtendem und Bildgegenstand, der Lehre, thematisieren. Dieser Modus ist derjenige, der Mollenhauer hier am meisten interessiert, und zwar als Quelle für eine Historiografie der Bildung, nicht als deren Illustrationsmittel. Wie bringen Maler und Komponisten die Auffassungen ihrer Zeit über den rechten Lehrgestus ins Bild oder Musikstück und wie unterscheiden sich solche ästhetischen
Aussagen
über die Lehre von textlich diskursiven Dokumenten wie etwa einer didaktischen Theorie des Unterrichts?
[27] In der Analyse von zunächst fünf Bildwerken aus dem 12. bis 18. Jahrhundert (dem Tympanonrelief von Gislebertus, der Schule von Athen von Raffael, Hans Holbeins (d. J.) Die Gesandten und zwei Kinderbildnissen Chardins) untersucht Mollenhauer, dass das Thema der Lehre jeweils in Differenz zur zeitgenössischen Lehrmeinung stünde, dass also durch die Bilder Irritationen entstehen können und beim Betrachtenden ein
Rätselraten über die richtige Form der Lehre
(KMG 146-a, Abs. 146:29)
in Gang gesetzt würde. Während in den älteren Bildern vor dem 18. Jahrhundert eher eine kritische Auseinandersetzung mit den von außen gegebenen Lehrgesten ins Bild gesetzt würde, zeige Chardin die Lehre, die sich durch die Aufmerksamkeit für mögliche Erfahrung einstellt, z. B. durch die hohe Konzentration beim Spiel mit den Karten oder dem Kreisel, also die innere Bildung des Individuums.
[28] Schwieriger sei die Thematik in Bezug auf die Musik zu bearbeiten. Hier fragt Mollenhauer, ob in musikalischen Kompositionen überhaupt
Lehre
ein Thema sein könne, und zwar nicht nur im Text, sondern auch in der Musik. Am ehesten läge die Untersuchung von Instrumental- oder Kompositionsschulen nahe, wie er es etwa am Beispiel von Carl Phillip Emmanuel Bachs Klavierschule (Bach, 1994) zeigt. Den kommentierenden Texten der Lehr-Stücke sei zu entnehmen, dass es Bach, ähnlich wie Chardin, um die inneren Bildebewegung des Subjektes gegangen sei. In des Vaters, Johann Sebastian Bachs Chromatischer Fantasie findet Mollenhauer ein Beispiel für eine rein musikalische Lehrgeste, die den riskanten, aber notwendigen Versuch enthalte, Tradition (Melodie und Harmonie) und Neues (Halbtonschritte) in eine Balance zu bringen. Abschließend stellt Mollenhauer mit den Werken John Cages und des Ehepaars Ilya und Emilia Kabakovs zwei radikale Thesen für das Verschwinden von
Lehre
als Gegenstand dar. Hier werde im Prozess der Rezeption die Möglichkeit, überhaupt zu (be-)lehren radikal negiert, weil jeder Lehr-Gegenstand unsicher geworden sei. Mit diesen Beispielen zeigt Mollenhauer auf die Möglichkeiten der ästhetischen Quellen, die zeitgenössische Lehr-Lernforschung zu provozieren, mindestens kritisch zu befragen – sie können damit selbst als ironische Lehrstücke für die Disziplin gelesen werden.

3 Rezeption

[29] Die erste und ausführlichste Rezeption erfolgt im selben Heft der schweizerischen Zeitschrift Bildungsforschung und Bildungspraxis, für das der Themenschwerpunkt
Entzauberung der Pädagogik durch Kunst?
gewählt wurde, durch den zweiten Hauptbeitrag: Von delikaten Unterscheidungen im pädagogischen Umgang mit Kunst von Li Mollet (1998). Mollet setzt sich – in Anlehnung an die ursprüngliche Konzeption der Heftnummer als Diskussionspodium – kommentierend mit Mollenhauers Text auseinander und diskutiert insbesondere den Aspekt des Referenzproblems. Mollenhauers Herangehensweise wird als provokativ (Mollet, 1998, S. 198) bezeichnet und sein Verdienst in der pädagogischen Literatur hervorgehoben,
unermüdlich die erziehungswissenschaftliche Aufmerksamkeit auf kunst- und kulturhistorische Tatsachen [zu lenken], mit dem unmissverständlichen Anliegen, dass sie pädagogisch-theoretische und pädagogisch-historiographische Beachtung verdienen.
(Mollet, 1998, S. 200)
Mollet erweitert Mollenhauers Betrachtungen auf die Kunst des 20. Jahrhunderts und kommt zu dem Schluss:
Wenn man die erziehungswissenschaftlichen Recherchen in der Kunst ins 20. Jahrhundert erweitert und die wichtigsten, weil kunstgeschichtlich bestimmenden Kunstwerke der Malerei zu Rate zieht, kommt man nicht umhin, zwischen Kunst und Pädagogik ein Nicht-Verhältnis anzunehmen.
(Mollet, 1998, S. 207)
[30] Michael Parmentier ordnet in seinem Nachruf auf Klaus Mollenhauer den Text Aspekte der Lehre zusammen mit dem Text Der Leib (KMG 148-a) in eine Linie mit den Vergessenen Zusammenhängen (KMG 081-A), Mollenhauers Interpretation von Rembrandts Anatomie-Bildern (in KMG 091-A), Diderot und Chardin (KMG 098-a) und Ich-Irritationen (KMG 108-a) ein.
Zusammengenommen ergeben all diese materialhaltigen Schriften so etwas wie eine empirisch gehaltvolle und historisch aufgeklärte Bildungstheorie.
(Parmentier, 1998, S. 35)
Seiner Meinung nach seien diese Texte Mollenhauers in
der Form und dem Gehalt nach in der Erziehungswissenschaft einzigartige[] kultur- und bildungsgeschichtliche Erinnerungen
(Parmentier, 1998, S. 35)
.

4 Literatur

4.1 Andere hier verwendete Werke von Klaus Mollenhauer

    [31] Mollenhauer, Klaus. Vergessene Zusammenhänge. Über Kultur und Erziehung (Monografie 1983; KMG 081-A). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqkc&edition=A.
    [32] Mollenhauer, Klaus. Umwege. Über Bildung, Kunst und Interaktion (Monografie 1986; KMG 091-A). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqj8&edition=A.
    [33] Mollenhauer, Klaus. Diderot und Chardin – Zur Theorie der Bildsamkeit in der Aufklärung (Beitrag 1988; KMG 098-a). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqh9&edition=a.
    [34] Mollenhauer, Klaus. Ich-Irritationen. Interpretation eines Bildes von Francis Bacon (Beitrag 1989; KMG 108-a). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqgd&edition=a.
    [35] Mollenhauer, Klaus. Fiktionen von Individualität und Autonomie – Bildungstheoretische Belehrungen durch Kunst (Beitrag 1996; KMG 133-a). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqcv&edition=a.
    [36] Mollenhauer, Klaus. Der Leib – Bildungshistorische Beobachtungen an ästhetischen Objekten (Beitrag 1997; KMG 148-a). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqbj&edition=a.

4.2 Weitere Literatur

    [37] Bach, Carl Philipp Emanuel (1994). Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen (Wolfgang Horn, Hrsg.; Faksimile-Reprint der Ausgaben von Teil I, Berlin 1753 (mit den Ergänzungen der Auflage Leipzig 1787) und Teil II, Berlin 1762 (mit den Ergänzungen der Auflage Leipzig 1797). Kassel [u. a.]: Bärenreiter.
    [38] Mollet, Li (1998). Von delikaten Unterscheidungen im pädagogischen Umgang mit Kunst. Zu Klaus Mollenhauer: Aspekte der Lehre - bildungshistorische Belehrungen durch Kunst. Bildungsforschung und Bildungspraxis, 20(2), 196–215.
    [39] Parmentier, Michael (1998). Entdeckt, was ihr wollt. Zum Tode von Klaus Mollenhauer. Eine Würdigung. Erziehungswissenschaft, 9(17), 23–42.
    [40] Rüegg, Susanne & Furrer, Max (1998). Entzauberung der Pädagogik durch Kunst? Bildungsforschung und Bildungspraxis, 20(2), 167–170.
[41] [Lisa-Katharina Heyhusen]