„Dies ist keine Pfeife“ [Textfassung a1]
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Dies ist keine Pfeife

Ein etwas irritierter Versuch sich M. Foucault zu nähern

[064:1] Wieder einmal ereignet sich Merkwürdiges: Da tritt ein Autor auf den deutschen Buchmarkt, wird in Windeseile
rezipiert
, hat hohe Auflagen, sichert also wenigsten materielle Gewinne, taucht mit ins Markige transformierten Kernsätzen in akademischen Prüfungen auf, gibt – unter dem Druck von Publizität – teils ulkige, teils triviale, gelegentlich nachdenklich stimmende Interviews, muß sich absetzen, abgrenzen, Originalität beweisen, auch sich als fortschrittlich darstellen – kurz: wird eine Art Marken-Artikel. Wer Foucault kennt, darf sich als etwas Besseres fühlen; wer ihn zitieren kann, imponiert; wer sich gar an irgendein Kapitel irgendeines seiner Bücher erinnert, ist besonders gut dran; am besten steht der da, der sogar sein eigenes Handeln damit rechtfertigen zu können glaubt. Das ergibt sich bei vielen Tausend Seiten literarischer Produktion leicht und auch die Rezensionsliteratur hat inzwischen vermutlich bald 1000 Seiten erreicht. Kein Wunder, daß kritische Kritiker da erst recht kritisch werden:
[064:2]
Einen Linksdezisionismus gibt es leider. Dieser stützt sich auf das Denken von Foucault und die simple Eindeutigkeit seiner Kategorien erlaubt das auch
.
(Gottschalch)
[064:3]
Jegliche Hoffnung ist erloschen, seit Foucault – dieser nun seinerseits keineswegs original, nur als zugleich hocherregter und schwächlicher Nachfolger Levi-Strauss’ – den Tod des Menschen verkündet
.
(Amery)
[064:4]
Da ist uns ein neuer Geistes-Heros entstanden, mit allem, was dazugehört: einer gleichzeitig machtvollen und nicht ganz leicht verständlichen Sprache, Begriffen, die den Anfänger ratlos machen, einer Metaphorik des Eingesperrtseins und Diszipliniertwerdens, die emotional anspricht, dem Ausweis von Gelehrsamkeit durch Zitieren zahlreicher Schriften, die (schon weil teilweise den Archiven des 17. bis 19. Jahrhunderts und Frankreichs entstammend) der hiesige Leser wenig bis nicht kennt, dazu mit einer Attitüde, die politisch anmutet, sich dabei aber geheimnisvoll und spröde gibt, wie es der intellektuellen Desillusioniertheit und Abgebrühtheit gut ansteht – mit der
Tiefe
also, die ein deutscher Geistes-Heros schon haben muß. Der Suhrkamp- Verlag hat den Nutzen davon (der Merve-Verlag macht auch ein bißchen mit) und die Journale (auch unseres) füllen sich. Das deutsche Geistesleben hat wieder einmal ein (Neben)Zentrum.
(Steinert)

Seine Rhetorik

[064:5] Die Schwierigkeiten einer argumentativen Auseinandersetzung mit den Schriften Foucaults liegen teils in den Erwartungen seines Publikums an
linke
Literatur, charakterisieren also eher dieses Publikum, seine Art zu lesen, seine Projektionen und Hoffnungen – ungefähr in dem Sinne, in dem vor längerem jemand über Kafka sagte, man müsse, um seine Arbeiten zu verstehen, die Reaktionen seiner Leser auf seine Arbeiten analysieren. Nun – Foucault ist gewiß nicht Kafka; der Vergleich ist etwas zu hoch gegriffen, und dies vor allem wegen der Gestalt der literarischen Produkte. Dies ist nämlich die andere Seite der Schwierigkeiten, die man mit Foucault haben kann (ich formuliere einmal etwas pointiert): der rationale Gehalt seiner Schriften zieht sich immer wieder hinter einen Schleier von Rhetorik und Selbstkommentaren zurück. Ich will versuchen, diesen Schleier zu charakterisieren und zu diskutieren, was
dahinter
liegt, besonders im Hinblick auf die Relevanz für das, was wir
Pädagogik
nennen.
  1. 1.
    [064:6] Foucaults Rhetorik ist etwas sehr
    Französisches
    : die rhetorische Figur, der witzige Einfall, die überraschende Formulierung, das Aperçu sind ihm – so scheint es – bisweilen wichtiger als der argumentative Gehalt.
  2. 2.
    [064:7] Was mit diskursiver Argumentation nicht zu erklären ist, das provoziert bei Foucault bisweilen die originelle und auf den ersten Blick gelegentlich absurde Gegenthese. So z.B. die Behauptung, man solle sich angesichts der Mißerfolge von Gefängnissen als Anstalten zur Bekämpfung der Kriminalität fragen,
    wozu der Mißerfolg des Gefängnisses gut ist?
    (Überwachen und Strafen, S. 349)
    Und Foucault antwortet, daß Gefängnisse womöglich
    nicht dazu bestimmt sind, Straftaten zu unterdrükken, sondern sie zu differenzieren, sie zu ordnen, nutzbar zu machen
    (S. 350)
    , also
    Verwaltung von Gesetzwidrigkeit
    . Ein origineller Einfall, meint man zunächst. Aber: Worüber soll man nun nachdenken? Ist diese Behauptung wirklich mehr als die rhetorisch gut präsentierte, aber triviale These, daß das Gefängniswesen u.a. ein Instrument der Herrschaftssicherung ist? Wer also Foucault als Steinbruch für originelle Zitate verwenden will, der wird sicher fündig; nüchterne Argumentationen wird er genauer suchen müssen.
  3. 3.
    [064:8] Bei dieser Suche trifft der Leser immer wieder auf die Attitüde
    ich, M.F., bin immer schon einen Schritt weiter
    . Dieses Hase-und-Igel-Spiel mit dem tatsächlichen oder antizipierten Kritiker ist deshalb ärgerlich, weil es sich zugleich gegen Kritik immunisiert, und zwar durch Rhetorik. Die Selbstkommentare sind rhetorische Spiele und enthalten häufig nur den Schein von Argumentationen. Deutlich wird das beispielsweise in den ersten Passagen der
    Archäologie des Wissens
    : Der gewaltige Anspruch, mit der Geschichtswissenschaft abzurechnen, wird mit einem verwirrenden Spiel von anscheinenden Fachausdrücken vorgetragen und ist imposant, allerdings nur für den, dem diese Wissenschaft nicht vertraut ist. Mir erscheinen die ersten 30 bis 40 Seiten des Buches einfach als ziemlich krauses Zeug. Dabei ist die Frage, die Foucault stellt, durchaus interessant:
    Wie kommt es, daß eine bestimmte Aussage erschienen ist und |a1 64|keine andere an ihrer Stelle?
    Aber diese Frage ist nicht neu; Marx, Weber und Dilthey, Groethuysen, Hazard und Elias (um nur wenige zu nennen) haben sie gestellt und einiges zu ihrer Beantwortung beizutragen gewußt.

Für Pädagogen eine Verführung

[064:9] Ich verstehe also, daß die Schriften Foucaults bisweilen Leser in Begeisterung versetzen, die sich kernige sogenannte
kritische
Thesen wünschen, auch solche Leser, die es mit dem Denken nicht sehr genau nehmen und eher
in Stimmung
versetzt werden wollen, als eine Argumentation auf ihre Triftigkeit zu prüfen. Wem indessen der historische Beweis und die Klarheit der Methode ebenso wichtig, wenn nicht wichtiger als der brilliante Einfall ist, dem macht es Foucault nicht gerade leicht. Für Pädagogen steckt zudem eine gewisse Verführung darin, sich dem kurzfristig Verwertbaren zuzuwenden:
Wahnsinn und Gesellschaft
sowie
Überwachen und Strafen
sind Bücher, denen man relativ rasch ein weiteres Bündel von Argumenten gegen pädagogische Institutionen hierzulande und gegen sozialpädagogische Einrichtungen im besonderen entnehmen kann; die Thesen sind
griffig
; die Quellenzitate anschaulich und einleuchtend; die ironische Destruktion der Legitimität bürgerlicher Institutionen (wenigstens scheint es auf der Oberfläche so) kommt der Einstellung vieler Leser entgegen; die von Foucault – mehr unter der Hand als aus den Quellenstudien begründet (Steinert hat das treffend kritisiert) – vorgenommene Periodisierung der jüngeren Geschichte kommt manchem marxistischen Stereotyp entgegen; und natürlich ist für einen Franzosen die Französische Revolution ein nicht nur nationales, sondern gattungsgeschichtliches Ereignis. Ich selbst habe Foucault zunächst so gelesen und ich war fasziniert. Aber mir ging es dann auch wie Gottschalch: Die rasche Begeisterung, die Verwendung dieser beiden Bücher zur Legitimation offensichtlich irrationaler Positionen von Studenten, so als sei hier ein neuer Künder am Werke, machte mich stutzig. Heute glaube ich zu wissen, daß man Foucault zweckmäßigerweise anders lesen sollte: auf seine Methode hin.

Seine Methode

[064:10] Ich empfehle deshalb, die Foucault-Lektüre zu beginnen mit
Dies ist keine Pfeife
(
Ceci n’est pas une pipe
) Dieser 1968 geschriebene, 1973 erweiterte und 1974 ins Deutsche übersetzte Essay enthält – wenn ich recht sehe – wie in einer Nußschale das, worum es Foucault geht. Zunächst: Der Wissenschaftler/Philosoph Foucault ist der Chronist, allenfalls der Kommentator laufender Ereignisse. Magritte, der Maler ist der Autor des Bildes mit jener Unterschrift. Was Foucault sowohl registriert wie kommentiert ist die selbstreflexive Bewegung der Vorstellungskraft, die in Magrittes Bild dadurch symbolisiert ist, daß die Bildunterschrift, die Teil des Bildes ist, das Bild gleichzeitig als Bild zu bestätigt und aufzuheben scheint. Man kann auch sagen; das Bild verweist auf sich selbst als ein gemachtes, und zwar dadurch, daß es auf seine Machart zeigt. Das ist nun nicht nur ein Problem der Ästhetik (übrigens hat Adorno mit ähnlicher Fragestellung Beckett interpretiert). Die Vorgeschichte des Essays wirft darauf ein Licht. Magritte hatte nämlich Foucaults
Ordnung der Dinge
(1966) gelesen und ihm daraufhin einen Brief mit folgendem Schlußsatz geschrieben:
Ich erlaube mir, Ihrer Aufmerksamkeit die beiliegenden Reproduktionen von Bildern zu empfehlen, die ich gemacht habe, ohne in der Malerei nach Originalität zu suchen
; diesem Brief lag u.a. das Bild
Ceci n’est pas une pipe
bei.
[064:11] Den Zusammenhang zwischen Magrittes Bild, Foucaults Essay und seinem Buch
Die Ordnung der Dinge
(ich empfehle es als zweite Lektüre) sehe ich so: Es geht um die Frage, woraus unsere Vorstellungswelten, Welt- und Selbst-Deutungen gemacht sind, nach welchen Regeln sie produziert werden, nach welchen Regeln diese Produktion rekonstruiert und also transparent gemacht werden kann. Worauf der Kunst-Macher in einer sinnfälligen ästhetischen Paradoxie gleichsam momenthaft verweisen kann, das erfordert für den Wissenschaftler den langen Marsch durch die Geschichte, jedenfalls durch die Wissenssysteme, die unserem Bewußtsein seine besondere Gestalt geben. Was aber geschieht mit dem Bewußtsein, das sich darauf einläßt (mir fällt die
Unendliche Ironie
Friedrich Schlegels ein, auch W. Benjamins Dissertation, vor allem aber Adornos Ästhetische Theorie). Das Bewußtsein (was ist das?) wird nicht nur mit den Regeln, nach denen sich die Vorstellungswelt formiert, sondern auch mit
Verarbeitungsweisen
konfrontiert, durch die das
Wissen
subjektive Bedeutung erlangt; es wird außerdem – und das wird von Foucault in
Überwachen und Strafen
für Pädagogen am pointiertesten herausgearbeitet – mit den Institutionen konfrontiert und damit den gesellschaftlichen Durchsetzungsweisen der geschichtlich bestimmten
Ordnung der Dinge
. So erscheint mir Foucault eigentlich als
Bildungstheoretiker
; denn was ist der Bildungsprozeß jedes Gesellschaftsmitgliedes anderes, als eine Formierung von Kognitionen und Antrieben nach den Regeln gesellschaftlichen Wissens, in denen der
objektive Sinn
subjektiver Existenzen und Handlungsräume definiert ist.
[064:12] Nach welchen Regeln also werden Situationen und Bedeutsamkeiten, Probleme und Handlungsstrategien, Dinge und Menschen definiert? Diese Kernfrage Foucaults steht bereits in einer Tradition: Ein Essay über Magrittes Bild hätte mit gleicher Argumentationsrichtung auch von R. Barthes zur Erläuterung des Konzepts der Alltagsmythen und ihrer Entmythologisierung geschrieben werden können; auch Garfinkel oder andere Ethnomethodologen hätten es – als Analyse seiner Wirkungen – interpretieren können, als Mittel zur Bewußtmachung von
Hintergrundwissen
. Allerdings: Nur Foucault versucht sich als der Geschichtsschreiber dieses Problems (wie z.B. auch Ariès oder Elias); er beschränkt sich auch nicht auf nur eine Dimension – z.B. die Formierung des Lernens oder die Regeln des Sprechens – sondern sucht den Zusammenhang auf zwischen den vielen Komponenten des komplexen Wissenssystems und er verfolgt seine historischen Transformationen (
Diskontinuitäten
). Es erscheint mir unfair, ihn deshalb zu schelten (wie Amery das tat), weil ihm das nicht ebenso überzeugend gelang, wie Levi-Strauss, als dieser Verwandtschaftsregeln, Inzest-Tabus und Mythen primitiver Kulturen analysierte.
[064:13] Richtig ist indes, daß die Realisierung des strukturalistischen Programms für die europäische Geschichte und ihre Bildungstheorie ungleich schwieriger ist, als es eine
strukturale Anthropologie
primitiver Gesellschaften oder eine |a1 65|strukturalistische Linguistik ahnen lassen.
[064:14] Aber:
Ceci n’est pas une pipe
. Dieser
Humanismus
, den ich darstelle – so scheint mir Foucault sagen zu wollen – ist kein Humanismus; dieser
Marxismus
, dem ich meine Theoreme entlehne, ist kein Marxismus; dieser
Strukturalismus
, dem ich meine Methode verdanke, ist kein Strukturalismus. Im Augenblick der ironischen Analyse nämlich wird das Analysierte wie auch die Diskursregel des Analysierens suspekt,
aufgehoben
, zerfällt die Sicherheit des Autors, der ja eigentlich sich selbst, sein Wissen, seine Denk- und Vorstellungs-Regeln zum kritischen Thema gemacht hatte. Kein Wunder also, daß die Selbstkommentare Foucaults, seine Erläuterungen, Interviews, politischen Bekenntnisse so wirr, so zerstreut, so irrational erscheinen – als seien sie das Gegenteil dessen, was er methodisch in seinen Büchern versucht. Er ist eben ein Wissenschaftler und nicht Magritte, Klee, Beckett oder Cage.
[064:15] Die Wissenschaft überzeugt nicht durch das Resultat (Resultate können allemal verschieden ausfallen und auch ohne Rückgriff auf die Wege und Mittel ihrer Produktion Glauben finden), sondern durch die Methode der Argumentation. In dieser Hinsicht mutet Foucault seinen Lesern vielleicht etwas zu viel zu; man muß sich seine Methode aus den Darstellungen herauslesen. Zwar gibt es gelegentlich Hinweise, so z.B. in
Überwachen und Strafen
auf S. 33 ff.; und in der
Archäologie des Wissens
– das Buch, das ich als drittes zu lesen empfehle – versucht er wenigstens eine ausführliche Explikation des von ihm bevorzugten Verfahrens. Dennoch fällt es nicht leicht, die Regeln anzugeben, denen er folgt; man bleibt deshalb auch im Ungewissen darüber, wann eine Behauptung als gescheitert (falsifiziert) gelten darf. Immerhin gibt es Anhaltspunkte. Foucaults methodisches Interesse ist ethnomethodologisch. Er versucht, die Klassifikationen (begrifflichen Unterscheidungen) herauszufinden, in denen eine bestimmte historische Vorstellungswelt (beispielsweise auch die unsere) sich differenziert und mit deren Hilfe die so unterschiedenen Dinge, Aussagen, Handlungen usw. zu Definitionen von Fragestellungen, Bedeutsamkeiten, Problemsituationen, Denk- und Handlungsstrategien zusammengestellt werden; es kommt ihm darauf an, daß man den
Diskurs ... in sich selbst nach seinen Formationsregeln befragt
(Archäologie, S. 115)
. Foucault hat ein methodisches Interesse am Vergleich: Das zunächst Verschiedene – Psychiatrie, Gefängnisse, Erziehungswesen, Sprachtheorien, Malerei, Architektur usw. – soll auf seine Verknüpfungen hin untersucht werden, um
die Gesamtheit diskursiver Formationen erscheinen zu lassen, welche untereinander eine gewisse Zahl beschreibbarer Beziehungen haben
(Archäologie, S. 225)
. Sein methodisches Interesse ist schließlich nicht auf die subjektiven Bedeutungen gerichtet, die der Diskurs und seine Elemente für das Individuum haben, nicht also auf
individuelle Bildungsprozesse
, sondern auf deren strukturale Formation, deren Machart unabhängig ist von den Intentionen der Einzelnen; und darüber hat er schließlich, besonders im Hinblick auf die gesellschaftliche Form von Erziehung und Bildung, eine Menge herausgefunden.
[064:16] Wer so vorgeht, manövriert sich selbst in das schon angedeutete argumentative Dilemma hinein: Das Zeigen auf die Machart zeigt – da dieses Zeigen seinerseits Teil des Diskurses ist, der analysiert wird – die Machart der Analyse selbst und ihrer Regeln und erzwingt die ironische Distanz nicht nur zum analysierten Gegenstand, sondern auch zu sich selbst. Damit aber ist der Autor – wenn er sich nicht, wie Levi-Strauss, entschließen mag, eine Universalität der ermittelten Strukturen zu behaupten – schon in gewisser Weise
über sich hinaus
; der offene Moment als Schwelle zur Zukunft läßt sich aber nicht mehr beschreiben, sondern nur noch durch rhetorische Figuren ausfüllen – wenn man schon schreiben und nicht handeln will. So wird die dunkle Bemerkung am Ende der Einleitung zur
Archäologie
vielleicht doch noch wenigstens verstehbar:
Man frage mich nicht, wer ich bin, und man sage mir nicht, ich solle der Gleiche bleiben: Das ist eine Moral des Personenstandes. Sie beherrscht unsere Papiere. Sie soll uns freilassen, wenn es sich darum handelt, zu schreiben
.
[064:17] Ich möchte Foucault also nicht für ein Dilemma verantwortlich machen, in dem wir alle stecken – sofern wir versuchen einerseits den selbstkritischen Gedanken festzuhalten, daß unsere Vorstellungen und die Regeln ihrer Formation uns durch unsere zur
Institution
(oder deren Spuren) gewordenen Erfahrungen eingepflanzt wurden, andererseits aber auch den anderen Gedanken, daß der Ort unseres Denkens (und der Entscheidungen, die wir im Hinblick auf unser Handeln fällen) jenen
Erfahrungen
gegenüber, der Möglichkeit nach, transzendental ist, das
intelligible
Subjekt. Dies ist ein komplizierter Satz – ich weiß! Aber das Problem ist eben so kompliziert. Die Selbstkommenttare Foucaults verweisen auf eben diesen Punkt in – so möchte ich sagen – existenzialistischer Attitüde. Das ist für manch einen von uns Deutschen, der von der marxistisch orientierten soziologischen Denkweise nur die kritische ex-post-facto-Analyse übernommen hat oder sich, im Hinblick auf Handlungsentwürfe, wiederum nur Programmatiken (und seien sei
klassenkämpferisch
) denken kann, schwer nachzuvollziehen. (Insofern gibt es doch wohl noch von der Kritischen Theorie, besonders Adornos, mehr zu lernen, als viele meinen). Analysieren wir unser eigenes Handeln so, wie Foucault die (französische) Geschichte, dann geraten wir vielleicht an den gleichen Punkt: Wenn ich erkannt habe, welchen Regeln mein Vorstellen und Handeln folgt, was durch dieses Handeln beispielsweise den Kindern angetan wird, wenn ich überdies die Legitimität dieses Ganzen oder seiner Teile bezweifle – dann kann die Frage der besseren Legitimitation des möglichen zukünftigen Handelns nicht nach eben den Kriterien mehr erfolgen, nach denen die Regeln meiner Vergangenheit gemacht sind – und meine, gut gemeinte, Programmatik ist ein Teil davon. Kein Wunder, daß Foucault sich für Rousseau interessierte: Für
Rousseau Juge de Jean Jacques
hat er eine Einleitung geschrieben.

Literaturauswahl:

    [064:18] M. Foucault: Dies ist keine Pfeife; mit einem Nachwort, herausg. von Walter Seitter, München 1973
    [064:19] Wahnsinn und Gesellschaft, Frankfurt/M. 1973
    [064:20] Archäologie des Wissens, Frankfurt/M. 1973
    [064:21] Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften, Frankfurt/M. 1974
    [064:22] Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, Frankfurt/M. 1976
    [064:23] Sexualität und Wahrheit. Erster Band: Der Wille zum Wissen, Frankfurt/M. 1977
    [064:24] Von der Subversion des Wissens; W. Seitter, München 1974
    [064:25] Literaturmagazin 9: der neue Irrationalismus, Reinbek b. Hamburg 1978(dasrin die zitierten Arbeiten von Amery und Gottschalch)
    [064:26] Kriminalsoziologische Bibliografie Jg. 1978, Heft 19-20: Michael Foucault & Das Gefängnis (darin die zitierte Arbeit von Steinert).