[V11:1] 7. Mai 1959
[V11:2] Professor Weniger – Göttingen:
[V11:3] Ich möchte nur einige Bemerkungen machen, die
vielleicht helfen können, die Diskussion zu erleichtern. Herr Mollenhauer hat nämlich eine Seite der Deutung
der Gegenwart unterschlagen. Er ist ausgegangen von Dingen, denen ich
voll zustimmen würde, von der Not der Situation der polyphonen
Gesellschaft, der Situation, daß wir uns selber in verschiedenen
Schichten leben. Aber gerade bei Musil und Anderen – man kann Kafka zitieren – muß man doch Kenntnis nehmen
von der philosophischen Wendung auf die Existenz hin. Sie fehlte hier,
die philosophische Wendung, daß wir nämlich wieder wissen, daß wir in
wenigen Situationen – allerdings sehr viel weniger als die
humanistische Zeit geglaubt hat – vor Entscheidungen gestellt sind. Und
daß, wenn nicht an irgendeiner Stelle eine Entscheidung von uns verlangt
ist und geleistet ist, alles Rollenspiel unglaubwürdig wird. Das gilt
nun besonders für die Situation des Sozialarbeiters. Denn er glaubt
doch, wie wir es auch immer geglaubt haben, daß wir immerhin soweit
distanziert sind und soweit engagiert sind, daß wir eine Verantwortung
übernehmen können. Und die Verantwortung kann nicht für das Rollenspiel
gelten, sondern für den Ernst.
[V11:4] |a 3|Und das ist eigentlich das,
was noch überlegt werden muß. Alle diese Analysen sind richtig, auch die
Erziehungsaufgabe ist richtig, daß wir den Menschen für diese
Variabilität, dafür ødaß er nicht ganz er sein kann, daß er
in vielen Dingen eine Rolle spielen muß, vorbereiten müssen. Aber das
geht doch nur, wenn wir schließlich eine Möglichkeit eröffnen, wo er
entweder sich entscheiden kann, das wäre da, wo er personalen Rang
gewonnen hat, das werden Tausend und Abertausend nicht können. Oder, das
wäre das Minimum für alle erzieherische und fürsorgerische Einwirkung,
wo er bevollmächtigt wird, Vertrauen zu schenken, da wo er selber nicht
entscheiden kann. Unsere ganze moderne Existenz ruht nicht mehr auf der
Möglichkeit, wie man früher glaubte, alle zu personalisieren, d. h. alle
zu vollkommen selbständigen, entscheidungsfreien, entscheidungsreifen
Menschen zu machen. Aber das Minimum, aus dem z. B. eine politische
Demokratie werden kann, ist, den Menschen in seiner Schwäche so doch zu
bevollmächtigen, Vertrauen zu schenken, daß er sich entschließen kann,
jemand zu folgen, einen Rat anzunehmen usw. Und diese Fähigkeit ist das,
was ich personhafte Existenz nennen würde, die Möglichkeit, mindestens
in dieser abgeleiteten Form, so gebildet zu sein, daß ich weiß, wem ich
vertrauen darf, und wem ich folgen darf øund wozu ich mich entschließen kann, wenn mir andere es
vorgemacht haben, sie scheint mir doch die Mindestaufgabe zu sein. Und
nun glaube ich, kann der Pädagoge oder der Fürsorger in der Lage, daß
ihm Ernst abverlangt wird, nicht selber nur eine Rolle spielen, das wird
ihm niemand abnehmen. Wenn ich so tue, als ob ich nur erzöge, wenn ich
so tue, als ob ich nur fürsorge, weil es meine Rolle Fürsorge ist, dann
würde ich ja scheitern. Und an dieser Stelle setzt der existenzielle
Ernst des Sozialfürsorgers und des Pädagogen ein.
[V11:5] Es muß spürbar werden, wo der Ernst sitzt. Und
dieser Ernst sitzt bei manchen vielleicht in der religiösen
Entscheidung. Aber, da hat Mollenhauer auch
wieder ganz recht, diese religiöse Entscheidung ist von vielen von uns
nicht mehr zu vollziehen und zwar noch von viel wenigeren als die tun,
als ob sie es vollzögen. Aber, dann bleibt der Ernst der existenziellen
Entscheidung in der Arbeit selber. In der vom Klienten oder vom Zögling
erfahrbaren Verantwortung. Das ist also das kleine Minimum, wo es nicht
nur ums Rollespielen geht, sondern um den existenziellen Ernst. Und wo
auch Autorität sichtbar wird, Autorität ganz richtig nicht als
objektives Fixum, das ich ein für allemal verlangen kann; aber diese
Autorität wird abhängen von dem Ernst, den der Klient spürt, für den ich
keine
„Rolle spiele“
.
[V11:6] Etwas weiteres: Ironie darf nicht im Umgang mit dem
Zögling sichtbar werden und mit der Relativität und Gebrechlichkeit des
Menschen. Wenn ich von vornherein dem Zögling ironisch komme, dann ist
es vorbei. Ironie ist kein pädagogischer Begriff. Das hat nichts mit
normativem Denken zu tun, sondern nur mit dem Kern unserer Arbeit. Es
kann sein, daß alles uns zerfließt, das Verhältnis zur Kunst relativiert
wird, das Verhältnis zur Musik besonders, – aber das Verhältnis zum
Zögling, zum Befürsorgten selber, darf nicht ironisiert werden; da muß
es ernst sein.
[V11:7] |a 4|Und dann zur Moral. Das
Moralische ist nicht mehr, das ist völlig richtig, zu deduzieren aus
einem theologischen oder ethischen System; das gibt es nicht mehr. Aber
das Wesen des Moralischen ist, sonst hätte es gar keinen Zweck, davon zu
sprechen, daß es in der jeweiligen Situation verbindlich ist. Wenn das
nicht wäre, wenn es also beliebig wäre, dann hätte es keinen Sinn von
Moral zu sprechen. Das wird Mollenhauer
hoffentlich nicht so gemeint haben.
[V11:8] Ich muß hier ein letztes anführen: das Prekäre an
unserer augenblicklichen Situation ist dieser schreckliche
Soziologismus, d. h. die Gleichsetzung von analytischen Ergebnissen der
Interpretation der Gesellschaft mit dem Ziel der Erziehung z. B. oder
der Fürsorge; als ob sich aus einer Analyse der Gesellschaft schon
ergäbe, wie die Erziehungsziele seien. Manchmal klang es so bei
Mollenhauer, als ob es sich doch um eine Anpassungstheorie handelte, ein
bloßes Appeasement an die Gegebenheit, wobei gar nicht mehr gefragt
wird, was ist denn diese Gesellschaft? Ist sie denn wirklich zugeordnet
diesen jungen Menschen; ist sie denn in sich so sicher als Gegebenheit;
ist sie wirklich als Voraussetzung – nämlich auch die dynamische
Gesellschaft – so statisch festgelegt, daß wir gar keinen Raum der
Freiheit mehr haben? Es wird die große Aufgabe sein, diese Freiheit
gegenüber der Soziologie zu gewinnen; d. h. all ihre sehr wichtigen
Kenntnisse ernsthaft zu prüfen, aber uns nicht zu Sklaven einer
soziologischen Theorie zu machen, die vielleicht schon von dem nächsten
Soziologen dann wieder ad absurdum geführt wird.
[V11:9] Und ein Allerletztes, das ist die Frage des
Leitbildes oder des Ideologischen. Da muß man, glaube ich, sehr scharf
unterscheiden; es gibt nämlich einen doppelten Gebrauch von Leitbild und
Ideologie. Der eine Gebrauch der Ideologie heißt das falsche Bewußtsein,
d. h. jemand ist ideologisch fixiert gegenüber seiner gesellschaftlichen
Situation, er erkennt sie nicht richtig. Es ist ganz klar, darüber ist
gar kein Streit, und die große Aufgabe jeder Form von Aufklärung ist,
alle Ideologien, die theologischen, die religiösen, die
gesellschaftlichen, die moralischen zu entlarven. Aber die ganz andere
Frage ist, ob ich überhaupt mit jemand, dem ich helfen will, in
Wirkungskontakt stehen kann, wenn ich nicht eine Vorstellung von den
Möglichkeiten habe, die in seiner Existenz liegen und die zugleich mir
sichtbar werden müssen, denn sonst hat es keinen Zweck. Wenn ich gar
keine Möglichkeit habe, jemanden in seiner Situation so zu verstehen,
daß ich ihn auf seine Möglichkeiten hin beurteilen kann, dann bin ich ja
bloß ein Apparat, der technisch hilft. Und ich glaube, man muß den
Leitbildgedanken korrigieren. Der Gedanke, im Leitbild hätte ich das
Ziel der Erziehung, ist unmöglich, denn die Generation soll ja zur
Freiheit, zur eigenen Entscheidung erzogen werden und auch zur
Anpassung. Aber daß es einen bescheidenen Begriff von Leitbild gibt, daß
ich nämlich in dem Kontakt mit dem Zögling und dem was ich zu geben
habe, im Bewußtsein meiner Grenzen doch immer ein Bild habe von den
Möglichkeiten, die aus seiner Situation und aus seinem Schicksal
erwachsen sind, darauf glaube ich, kann man |a 5|nicht
verzichten. Man muß alle idealistischen Komponenten ausmerzen; aber man
kann sie nicht durch gesellschaftliche Ideologien ersetzen, sonder muß
konkrete Möglichkeiten des Menschen in der Begegnung selber finden. Das
ist in der Erziehung etwas leichter als in der Fürsorge, denn die
Fürsorge ist ja schon viel mehr gebunden an die Schicksale, an die
Härten des Daseins, die ich nicht überwinden kann. Aber ich glaube, ganz
ohne solch bescheidenes Leitbild kommen wir nicht aus.
[V11:37] 9. Mai 1959
[V11:38] Heiner
Schiller
[V11:39] Wenn wir von den Voraussetzungen unserer
praktischen Arbeit sprechen, die doch eine Funktion der Gesellschaft
ist, müssen wir ein Gemeinsames finden, was nicht unbedingt
weltanschaulich, für Alle verbindlich gleich sein muß. Sondern wir
finden dann Grundsätze, von denen wir ausgehen. Und das können m. E.
nicht religiöse und weltanschauliche Voraussetzungen, sondern nur
gesellschaftlich-praktische sein, die wir sicherlich in jeder Generation
neu zu finden haben. Und ich glaube, daß Klaus
Mollenhauer auch von diesen grundsätzlichen Voraussetzungen,
die nicht unbedingt religiös, weltanschaulich fixierte sind, ausgegangen
ist. Obwohl er die Ideologie im negativen Sinne ablehnt, und ich stimme
ihm darin zu, geht er doch von einer Grundhaltung aus. Das möchte ich
versuchen, zu beweisen. Er hat u. a. gesagt, es ist die Aufgabe der
Sozialarbeit, den Menschen zu helfen, sich in den immer
verschiedenartigen gesellschaftlichen Strukturen, in anderen
Rollenvoraussetzungen zurechtzufinden, sich anzupassen. Und er greift
die Familie, er greift die Fürsorger, er greift die Institutionen an,
die dieses Lernen nicht ermöglichen, weil ideologische Hemmungen
vorhanden sind. D. h. er geht von einer Voraussetzung aus, indem er
sagt, wir sollen dem Menschen gerecht werden; wir müssen das Recht des
Einzelnen, sich in dieser Gesellschaft zurechtzufinden, wahren. Das ist
dann aber doch schon ein Prinzip der sozialen Arbeit. Das ist doch eine
werthafte Grundhaltung, von der er ausgeht. Warum greift er sonst |a 10|die Institutionen oder diejenigen Familien an,
die eben nicht helfen, daß das Individuum sich der jeweiligen Situation
anpaßt? Ich glaube also, daß wir gewisse gemeinsame Grundlagen finden
und finden müssen, und die gibt es m. E. auch schon, d. h. eine solche
gemeinsame Grundlage ist die Wahrung der Würde des Einzelnen.
[V11:40] Walter
Herrmann
[V11:41] Vor einem Übergewicht der Soziologie müssen wir
uns wohl alle hüten. Mitunter kapitulieren wir doch einfach davor, daß
wir meinen, die gesellschaftlichen Verhältnisse sind etwas, dem wir
rettungslos ausgeliefert sind. Da erscheint es mir wichtig, daß wir ja
mitten drin in der Formung der gesellschaftlichen Verhältnisse stehen.
Aber wir sind ja nicht nur passive Glieder, die dem ausgeliefert sind,
sondern es liegt in unserer Würde gerade, daß wir Mitformer, nicht
Nur-Träger, sondern auch Beeinflusser dieser Verhältnisse
sind.
[V11:42] Carolus
Mennicke
[V11:43] Bekenntnis gegen Bekenntnis zu setzen, scheint
mir unvermeidlich. D. h. also ich beginne mit diesem Bekenntnis, und ich
glaube, daß das, was darin ausgesprochen wird, sich dann auf das
Sachliche erstrecken wird.
[V11:44] Wir, die wir hier zusammen sind, wir leben alle
mehr oder weniger aus einer Besinnungshaltung heraus, die uns veranlaßt,
unser tägliches Tun und Lassen immer wieder zu überdenken, und dieses
Überdenken, hat immer den Sinn, daß wir uns fragen, hast du in deinem
Tun und Lassen ødeinem eigentlichen Wesen fremden Impulsen Raum gegeben? Oder
bist du darin vorangekommen, den eigentlichen, wesentlichen Impulsen in
dir Raum zu geben? Wobei wesentlich immer nur heißen kann, in dem, was
nicht selbstbezogen ist, sondern in dem, was in Erscheinung tritt, wenn
man dazu kommt, diese Selbstbezogenheit zu überwinden. Nun muß ich ganz
einfach sagen, und das ist eben das Bekenntnismäßige, wenn man in dieser
Besinnungshaltung lebt, daß das Selbstbezogene an Kraft verliert, d. h.
also, daß man dahin kommt, sich in seiner persönlichen Verwirklichung zu
erfahren. Wobei Verwirklichung die Verwirklichung des Wesentlichen ist,
das den Menschen aufgegeben ist. Ich begreife das gern unter dem Begriff
der Freiheit und zwar, der Freiheit von sich
selbst, von dem, was von Natur- und Gesellschaftsbestand da ist, und was
einem natürlich dauernd zu schaffen macht. Nicht wahr, wir stehen in
diesem Natur- und Gesellschaftszusammenhang, aber mit der Möglichkeit,
uns zu dem Eigentlichen zu befreien, d. i. dann also die Freiheit
gegenüber sich selbst. Im Zusammenhang damit bedeutet die Freiheit des
Anderen, daß |a 11|je mehr wir die Möglichkeit der
wesentlichen Haltung gewinnen, wir in demselben Maße notwendig vor der
Freiheit des Anderen Respekt bekommen, und daß wir versuchen, durch
unser Verhalten eben den Mut zu seiner Freiheit zu schaffen, oder zu
vermehren.
[V11:45] Nun ist es mir im Laufe meines Lebens klar
geworden, daß es nur verhältnismäßig sehr wenige Menschen gibt, die aus
einer solchen Besinnungshaltung heraus leben. Daß die meisten Menschen,
– ich darf vielleicht darauf hinweisen, weil es mir besonders im Felde
1914/18 und sehr ausgesprochen dann in Berlin Ost und Nord, wo ich
gelebt habe, aber auch im KZ so richtig erlebnismäßig deutlich geworden
ist – daß also die meisten Menschen sich verhalten nach
Verhaltensmustern, die sie in ihrer Umgebung vorfinden. Sie leben
einfach mit, und die Besinnungshaltung ist ihnen mehr oder weniger
fremd, den meisten geradezu verschlossen.
[V11:46] Nun hatte ich den Eindruck, als ich Klaus Mollenhauer sprechen hörte, das, was ich
sehr allmählich erkannt habe, daß nämlich da Rollen spielen, das ist ihm
schon selbstverständlich geworden, von seiner soziologischen Erkenntnis
her. Er sieht die Welt aus dem, wie sie sich in der Wirklichkeit
etabliert, nicht mehr aus der Richtung der Besinnungshaltung. Er besteht
darauf, wir müssen die Welt sehen, wie sie ist, wir müssen die Menschen
nehmen, wie sie sind, denn von dieser Besinnungshaltung her können wir
ihnen nicht beikommen. Je mehr wir die Distanz gewinnen, je mehr wir auf
Grund persönlicher Vertiefung, möchte ich nun sagen, den Blick frei
bekommen für die Realität, desto besser sind wir in der Lage die
Menschen zu lehren, sich in ihrer gesellschaftlichen Rolle zu bewegen.
Und das schien mir das in gewissem Sinne Umwälzende der Ausführungen,
und das ist ja in diesen Tagen auch immer wieder gespürt worden, daß
unsere sozialpädagogische Arbeit einen anderen Charakter bekommen muß.
Wir müssen jede Vorstellung, die Menschen, die wir zu betreuen haben, an
unsere Besinnungshaltung heranzuführen, aufgeben. Wir können sie zwar
nie aufgeben, und es spricht und wirkt nur das, was wir in uns
verwirklicht haben und gar nichts anderes. Diese Dinge sind aber nicht
aussprechbar, sondern was in unserer Arbeit Wirksamkeit gewinnt, ist
eben das, was wir an Erkenntnissen über die Wirklichkeit, in der die
Menschen sich bewegen, gewonnen haben und an Möglichkeiten,
soziologischen und psychologischen Einsichten, von daher ihnen zu raten
und zu helfen, ihre Rolle besser zu spielen, als sie sie gespielt haben
oder als sie sie voraussichtlich spielen können.
[V11:47] Die Bedingungen, unter denen die heutigen
Menschen leben, sind durchaus andere, als die vor 100 oder 200 oder 300
Jahren. Es ist aber selbstverständlich, daß die Gesellschaft dauernd an
der Veränderung, und wie sie im allgemeinen meint, an der Verbesserung
ihrer Bedingungen arbeitet, und zwar arbeitet sie daran in der Tat unter
der Leitung des Begriffes der |a 12|Menschenwürde, ob
sie das weiß oder nicht; wobei Menschenwürde immer heißt, daß der Mensch
die Möglichkeit hat, sich von sich zu distanzieren und seine Freiheit zu
besorgen.
[V11:48] Ulrich
Seibert
[V11:49] Klaus Mollenhauer
sagte, daß wir, indem wir verschiedene Rollen spielen, nicht in jeder
Rolle mit unserer ganzen Person dahinter stehen. Da möchte ich die Frage
stellen, ob nicht gerade der Sozialarbeiter in der Lage sein sollte und
auch in der Lage sein kann, die verschiedenen Rollen zu spielen, ohne
sich, ich möchte sagen, ohne sich an seiner Persönlichkeit dabei etwas
zu vergeben; also daß in jeder Rolle, in der er steht, seine
Persönlichkeit dahinter steht. Natürlich braucht man sie nicht
ununterbrochen einzusetzen, aber ich glaube doch, daß es möglich sein
soll, jede Rolle, die von uns verlangt wird, mit ganzer Persönlichkeit
zu spielen. Wenn wir das nicht könnten, dann wäre es gelogen, dann wäre
es falsch. Ich glaube nicht, daß die verschiedenen Rollen, die wir
spielen müssen, im Gegensatz zueinander stehen; ich sehe nicht ein,
warum ich nicht Bach und
Jazz mit meiner ganzen Persönlichkeit hören kann. Ich muß sagen, daß ich
es selber tue und gern tue. Ich glaube, daß man Giotto oder el Greco genau so mit seiner ganzen Persönlichkeit
empfinden kann wie Feininger oder Kadinsky. Und ich glaube, wenn es um das Gespräch des
Sozialarbeiters geht mit Klienten, daß man da durchaus auch einmal
Entgegengesetztes sagen kann und es sogar sehr häufig muß. In der
Erziehungsberatung und in der Fürsorge muß man z. B. oft mit miteinander
in Fehde liegenden Kontrahenten øz. B. Kind und Eltern oder Eltern und Lehrer øsprechen und muß versuchen, sich mit der Stellung desjenigen,
mit dem man spricht, ganz zu identifizieren und jedesmal etwas ganz
Verschiedenes sagen, um die beiden zusammenzuführen, und das beides doch
mit seiner ganzen Persönlichkeit.
[V11:50] Klaus
Mollenhauer
[V11:51] Zur eigentlichen Frage, die den Sozialarbeiter
betrifft: Ich würde sagen, Sozialarbeit als Beruf ist eine Rolle. Diese
Rolle wird gespielt nach bestimmten Spielregeln, die sich richten nach
den Schwierigkeiten, mit denen er zu tun hat øund nach Behandlungsmethoden. Zu dieser Rolle gehört, daß der
Sozialarbeiter auch einmal widersprechende Auskünfte gibt; und daß er
diese widersprechenden Auskünfte mit Überzeugung gibt, heißt nicht, daß
diese Überzeugung den von dieser Rolle nicht betroffenen Kern seiner
Person, den Punkt der Selbstverwirklichung, betrifft, sondern diese
Überzeugung, mit der er spricht, so meine ich jedenfalls, ist eine
Überzeugung des Richtigen in einem Sachzusammenhang. Bliebe ich an
dieser Stelle stehen, so würde ich zugeben, daß ein Beruf, der es eben
mit dem Menschen zu tun hat, sich in nichts unterscheidet von einem
Beruf, der es mit dem |a 13|Zusammensetzen von
Maschinen zu tun hat. Da ist offensichtlich noch eine offene Stelle. Ich
kann diese offene Stelle nicht umschreiben, und das ist vielleicht der
Mangel bei den ganzen Gesprächen hier gewesen, daß es wirklich so
unglaublich schwer ist, diese Stelle klar zu benennen, ohne schon im
Sprechen wieder zurückzufallen in all die Bedingtheiten, gegen die wir
gerade skeptisch sein wollen. Daher meine Frage, was meint man mit
Würde? Das ist eine Vokabel, an der wieder diese Bedingtheiten
hineinkommen können. Es ist klar, daß wir auf dieses Andere nicht
verzichten können in der sozialen Arbeit, aber die Schwierigkeit ist,
und ich kann sie nicht lösen, wie ist dieses Andere einzusetzen? Ist es
überhaupt bewußt einzusetzen, wie ich mir etwa eine Überzeugung durch
sachliche Bemühung aneignen kann, Überzeugung von der Richtigkeit eines
bestimmten Ergebnisses nämlich? Ist es überhaupt zu vertreten, daß ich
sage, es gehört zum Auftrag des Sozialarbeiters, es gehört zur Rolle
seines Berufes, dieses Moment der unmittelbaren menschlichen
Kommunikation? Daß der Auftrag des Sozialarbeiters gerade darin besteht,
daß er nur unter Einsatz solcher permanenten Bereitschaft zur
Kommunikation und Fähigkeit zur Kommunikation seine Arbeit durchführt?
Ich würde meinen, daß das zu weit geht. Ich glaube eben, daß soziale
Arbeit, soweit sie eine Hilfe für den Menschen ist, nur dann eigentlich
gelingt, wenn dieses Moment an irgendeinem Punkt, sich sozusagen punktuell verwirklichen läßt. Wir sprachen
vorhin in einem kleineren Kreis darüber. Es ist nichts, was Kontinuität
haben kann. Daß also Sozialarbeit nur gelingt, wenn an irgend einem
Punkt einer solchen Hilfe dieses Moment einmal zur Verwirklichung kommt;
genau wie die Verwirklichung für mich zutrifft, gibt es auch die
Verwirklichung zwischen Ich und Du. Ich würde sagen, daß das also an
irgendeinem Punkt zur Verwirklichung kommt, daß es aber nicht angeht, es
in den Auftrag des Sozialarbeiters einzubauen.
[V11:52] Dagmar
Martin
[V11:53] Wir müßten die Tagung wirklich noch einmal von
vorn beginnen, wenn wir anfangen, in Frage zu stellen, ob zu unserem
Beruf als Sozialarbeiter die Kommunikation mit dem Menschen gehört. In
unserer Gruppe
„Einzelhilfe“
sind einige Dinge zur Sprache gekommen, die uns sehr wesentlich erschienen, da sie in einem gewissen Zusammenhang mit dem standen, was auf uns zukommt. Auch gerade mit der Frage, ob wir im Westen überhaupt ein Konzept haben, ob es sich lohnt, die Freiheit zu verteidigen. Und da haben wir auseinandergesetzt, wie eigentlich das, was auf uns zukommt in der Sozialarbeit, sich verhält zur Freiheit des Menschen. Das neue Sozialhilfegesetz
sieht ja auch den Begriff der persönlichen Hilfe vor. Und wir sahen eine
Chance darin, wenn der
„Beamte“
, der ja auf der Basis
von Gesetzen arbeitet, darauf hingewiesen wird, daß dies auch eine Form
der Hilfe im sozialen Rahmen sein sollte. Aber wir waren uns klar
darüber, daß dieser Begriff erst mit einem Inhalt erfüllt werden muß.
Wir sahen die |a 14|Bedenken in einem so weit gehenden
Angebot des Staates an den Einzelnen; darin kann ein derartiger
Aufforderungscharakter liegen, diese Hilfe in Anspruch zu nehmen, und er
kann die Gefahr übersehen, sich der persönlichen Freiheit zu begeben,
die wir allerdings unterstellt haben als eine Möglichkeit des Menschen
schlechthin, es sei denn, daß er krank ist. Das allerdings ist schon
wieder eine Ideologie, von der wir ausgegangen sind. Aber es wurde auch
zum Ausdruck gebracht, daß wir, auch wenn wir vor den Ideologien warnen,
doch nicht ganz darauf verzichten können, von Ideen zu sprechen. Und
sollte das nicht doch eine tragende Idee sein in unserem Bild des
Menschen, daß er diese Möglichkeit zur Verwirklichung der Freiheit hat,
graduell außerordentlich verschieden, aber prinzipiell hat er sie. Und
daß wir nun als einen neuen Inhalt der persönlichen Hilfe verstehen
würden, daß wir in seiner sehr behutsamen, wachen Weise diesen Aspekt
der Freiheit ständig vor Augen haben, indem der Helfer sich zurücknimmt
unter ständiger Selbstkontrolle und den Anderen – sagen wir – aufkommen
läßt, sich erweitern läßt, ihm erst einmal freien Raum gebend. Es ist
ein sehr hohes Ziel, aber es kann im Grundkonzept in jedem Augenblick
unseres Tuns als Sozialarbeiter drin sein. Als Grundlage – Voraussetzung
ist natürlich ein sehr viel umfangreicheres Wissen vom Menschen und
allerdings auch – hier kann man uns Ideologie vorwerfen – der Glaube,
daß der Mensch veränderbar ist. Aber wir haben schon ein Stückchen
Erfahrung darin, wir fühlen uns bestätigt in diesem Glauben, es ist
nicht mehr alles Hypothese, sondern es ist schon ein Stück Erfahrung,
wenn man einmal angefangen hat, so mit Menschen
umzugehen. Wir sollten keine allzugroßen Veränderungen beim Menschen
erwarten, sondern die kleinen Schritte sehen in Richtung auf die
Entwicklung der Freiheit und zur Selbständigkeit hin und uns ermutigen
lassen durch diese Erfolge, die man da, wenn man etwas genauer hinsieht,
doch sehen kann. Die Voraussetzung wäre allerdings beim Helfer, daß er
die Möglichkeit der inneren Freiheit bei sich selbst erlebt hat, und
dazu, wurde gesagt aus unserem Kreis, die Demut vor Gott und den
Menschen.
[V11:54] Erika Lange
[V11:55] Da ist ein Punkt, der mir einfach zu kurz
gekommen ist hier: die Auseinandersetzung mit der Frage, wie helfen wir
denen, die Verhaltensmuster brauchen, die einen Rahmen brauchen, der
ihnen in etwa vorschreibt: so tut man, so tut man nicht? Mir scheint,
daß wir darüber noch wenig gesagt haben. Eine andere Tatsache: in
unserer Arbeitsgruppe wurde darauf hingewiesen, viele, unendlich viele
werden ja damit fertig, mit dieser Situation; die kommen so durch und
scheinen gar nicht unglücklich. Haben wir uns schon einmal genügend
bemüht, herauszubekommen, wie die das eigentlich machen?
|a 15|
[V11:56] Rosemarie
Schloo
[V11:57] Ich glaube, daß ich auch für manche meiner
jüngeren Kollegen spreche, daß wir wohl noch ein bißchen Zeit brauchen
werden, um das zu verarbeiten, wisin diesen Tagen an uns herangetragen ist. Es ist viel. Ich
denke da an das, was auf der einen Seite Leute wie Frau Müller-Zadow sagten, was
Herr von Mann sagte øund an das, was uns auf der anderen Seite Herr Mollenhauer in seinem Referat sagte, was wir wohl seit längerer Zeit schon
empfunden haben, ohne es uns doch klar ins Bewußtsein zu heben und diese
Vielfältigkeit der Erscheinungen nun vor uns selbst richtig
zusammenzusetzen und für unsere Arbeit, bzw. zunächst einmal für uns selbst zu verwerten. Das wird
zunächst einmal noch eine ziemliche Zeit in Anspruch nehmen, und ich
glaube, da müssen Sie als Ältere noch allerlei Geduld mit uns haben. Mir
hat besonders imponiert, was Herr Eyferth gestern sagte im Bezug auf das
Aushalten in der Situation, in die uns die Fragen dieser Zeit gestellt
haben. Ich glaube, daß es darauf ankommt, daß wir uns da nicht vorzeitig
drücken, sondern uns Zeit lassen und eventuell zu ganz neuen
Verhaltensweisen kommen. Ich ziehe für mich insoweit das Fazit,
vorläufig jedenfalls stillzuhalten, mich im Zustand der
Standpunktlosigkeit zu bewegen und zu sehen, was dabei
herauskommt.
[V11:58] Heinz Corves
[V11:59] Ich finde, man kann nicht vorbeigehen an der
Tatsache, daß die, die nach Verhaltensmustern leben, mit Unterschieden
aber doch wirksam angesprochen werden können auf ihre Verantwortung hin.
Es kommt darauf an, wo man ansetzt.
[V11:60] Aber ich glaube, es ist wichtig, daß wir uns
klar machen, daß wir am Wendepunkt einer geistigen Haltung stehen. Die
ganze abendländische Geschichte hat sich bis jetzt vollzogen darin, daß
es Gebundenheiten gab, Autoritäten gab, und daß darin der Mensch gelebt
hat. Wir fangen eben an, zu begreifen, daß wir auf einmal im sozialen
Bereich in einer Situation stehen, wo diese Autoritäten als
Allgemeinverbindliches nicht mehr da sind. Es ist doch einfach nicht zu
erwarten, daß wir nun schon wüßten, was wir zu tun hätten. Wenn das so
stimmt, dann ist doch einfach zu erwarten, daß das durch eine Reihe von
Generationen hindurch chaotisch bleibt, bis da etwas Neues wirklich
werden kann. Könnte es nicht doch sinnvoll sein, an dem zu arbeiten, was
genannt wurde Freiheit, Ansprechen auf Verantwortung für die Anderen,
Gewissen. Auch wenn so viele Fragen dahinter noch stecken, könnte es
nicht sein, daß in jedem Menschen, auch im einfältigsten, soviel
Bewußtsein für Verantwortung, Gewissen, Freiheit, Entscheidungsfähigkeit
entwickelt wird, daß nun nicht mehr von außen |a 16|tradierbare Allgemeinverbindlichkeit, sondern von innen her als ein
gemeinsames Bewußtsein für Verantwortung doch wieder etwas entsteht: die
Ordnung, allerdings in einem ganz anderen Sinne als früher?
[V11:61] Albert Bickel
[V11:62] Es ist keineswegs so, daß wir als Christen und
ich insbesondere als Katholik in der ruhigen Sicherheit stehen könnten.
Gerade in dieser Tagung habe ich dankbar bemerkt, was alles an einen
herantritt an Fragen, die sicherlich noch lange Zeit brauchen werden,
bis sie gelöst sind. Aber was ich sicher auch ganz dankbar mitnehme, ist
der Mut zur Wahrheit, den wir als Christen genau so haben müssen, gerade
in dieser Zeit, die etwas Neues von uns verlangt. Aber etwas ist mir da
beängstigend: Geben wir nicht in dem Moment, wo wir neue Werte
aufstellen, alte Werte auf, die unter Umstnäden wert wären, wieder gefunden zu werden? Und sollten wir nicht
einen Teil der Kraft, die wir dazu verwenden, uns durchzuringen wisdazu verwenden, diese alten Werte wieder sichtbar zu machen?
Ich denke also auch, daß wir wieder zu dem Glauben an die Schöpfung
zurückkommen. Daß wir ja selber die Schöpfung sind, die wir den Auftrag
haben, diese Welt irgendwie dem Schöpfer wieder zurückzugeben und für
ihn wieder einzuholen. Denn er hat uns geschaffen nach seinem Ebenbild.
Ich glaube, daß wir eben aufgerufen sind, gerade als Christen, uns ganz
stark dieser Wahrheit zu stellen, und diese Fragen, die an uns
herantreten in einer Zeit, die so erdbesessen ist, dem
Wissenschaftsrausch irgendwo verfällt, wobei ich nicht sagen möchte, daß
wir die Wissenschaft nicht brauchen. Diese Erdbesessenheit sollte nicht
dazu führen, daß wir den Blick für das Wesentliche verlieren, und damit vielleicht doch in etwas hineinschliddern, was
wieder neue Ideologien sind.
[V11:63] Olga Voss
[V11:64] Die Verhaltensweisen liegen im Vorfeld der
menschlichen Beziehungen und sind erlernbar. Aber was wir wirklich
lernen müssen, das ist behutsamer sein im Umgang mit den Menschen, daß
wir ihnen nichts aufstülpen, was für uns selbst ein Wertbewußtsein hat.
Also ich muß es ihnen einfach am Beispiel sagen. Wenn zu mir ein
18jähriges, völlig unentwickeltes Mädchen kommt und sagt:
„Das Kind will ich aber nicht haben, was ich
kriege“
, dann sage ich ihr nichts von meiner Einstellung zu der
Abtreibung; ich sage nicht, das ist Sünde. Ich habe noch eine so
altmodische Vorstellung von Sünde, wenn man keimendes Leben unterbricht,
und von einem Abgrund, der uns von Gott trennt, wenn wir ein Geschöpf,
was schon ins Leben gerufen ist, vernichten. Ich sage diesem Mädchen |a 17|aber nichts von meiner altmodischen Vorstellung,
sondern versuche nur herauszukriegen, wo denn nun dieser Mensch
irgendeine Geborgenheit hat, und wenn sie ganz zart im Ansatz ist; und
ich versuche lediglich, diese Quellen, die bei ihm selber ganz schwach
fließen, freizulegen, daß er immer mehr zu sich selber kommt. Und ich
setze nichts hinzu, insofern bin ich mit Klaus
Mollenhauer einig, von den eigenen Werten. Es könnte nur
einmal sein, daß irgendwo etwas durchleuchtet, weil man sich selber
nicht verleugnen kann. Aber ich übermittele es niemals missionarisch
oder in der Grobheit, in der wir es früher gesagt haben, das darfst du,
das darfst du nicht! Weil wir damit den Menschen nicht frei machen zu
sich selber.