Siehe die Dokumentation dieser Kontroverse in Adorno et al.,
1969 [Klaus-Peter Horn]
Editorische Anmerkung
Diese Formulierung hat
Mollenhauer wahrscheinlich bei Bergmann, 1965, S. 111
entnommen. Die Zuschreibung der Urheberschaft des Satzes ist umstritten,
s.
dazu Schulte, 1982. [Klaus-Peter Horn]
Editorische Anmerkung
Zur im Original im Text
gegebenen Anmerkungsziffer 6) fehlt die entsprechende Endnote. Wir
haben die entsprechenden Verweise hier eingefügt. [Klaus-Peter Horn]
Editorische Anmerkung
Die originale
Fußnotenzählung weist eine doppelte sowie eine fehlende
Anmerkungsziffer auf. Die sich daraus ergebenden Fehler haben wir im
Folgenden nachvollziehbar behoben und eine durchgehende passende
Zählung der Anmerkungen bzw. Fußnoten hergestellt. [Klaus-Peter Horn]
Editorische Anmerkung
Im Originaltext
findet sich eine Endnote 11, allerdings keine dazugehörige
Anmerkungsziffer. Thematisch gehört diese Endnote 11 an diese Stelle,
weshalb wir sie hier eingefügt haben. Aufgrund der inkorrekten
Anmerkungszählung oben wird aus Anmerkung/Fußnote 11 nunmehr
Anmerkung/Fußnote 12. [Klaus-Peter Horn]
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Das Problem einer empirisch-positivistischen Pädagogik
I.
[022:1] Der Titel dieses Referats ist irreführend in dreierlei Hinsicht,
insofern nämlich die Ausdrücke empirisch, positivistisch und Pädagogik
Assoziationen wecken könnten, die nur wenig gemein haben mit dem, was ich zu
sagen vorhabe. Aber selbst auf die Gefahr hin, daß ich Unnötiges sage,
möchte ich um folgende Zugeständnisse bitten: der Bedeutungsumfang des
Ausdrucks
„empirisch“
erschöpft sich im Hinblick
auf unsere Wissenschaft nicht in dem, was durch das Instrumentarium der
empirischen Sozialforschung definiert werden könnte. Ähnliches gilt für den
Ausdruck
„positivistisch“
: er
bedeutet im folgenden eine Position, die auf eine Bestimmung der Natur der
Wirklichkeit oder des Seins verzichtet und als theoretisch sinnvolle Sätze
nur solche gelten läßt, die entweder Aussagen über Tatsachenverhältnisse
enthalten oder Aussagen, die logische Verhältnisse ausdrücken. Diese Regeln
gelten – so ist weiter die Meinung – für alle Wissenschaften, sofern sie es
auf Erkenntnis abgesehen haben sollten. Es ist deshalb ungenau, wenn im
Titel meines Referats das Wort
„Pädagogik“
steht, sofern nämlich dieser Ausdruck glauben machen könnte, es gehe bei der
Beschäftigung dieses Namens um praktische Empfehlungen und nicht um
theoretische Sätze. Ich bevorzuge deshalb den Ausdruck
„Erziehungswissenschaft“
.
[022:2] Das Ausscheiden von normativen Sätzen aus der
Erziehungswissenschaft scheint für diese zu den beunruhigendsten – obschon
nicht einmal problematischsten – Forderungen der neueren
Wissenschaftstheorie zu gehören. Die Frage, ob aus der Feststellung dessen,
was ist, Sätze gewonnen werden könnten über das, was sein soll, hat von
Dilthey bis heute nahezu jeden Autor aus diesem Bereich beschäftigt. Das mag am Thema liegen: Die Sollensstruktur ist im Begriff der Erziehung gegeben. Dieser Begriff aber, wie immer ich zu ihm gelangt sein mag, ist an der Erfahrung prüfbar: die Erklärung von Vorgängen, die es mit dem Erwachsenwerden einer jungen Generation zu tun haben, ist nicht möglich, wenn ich alle normativen Aspekte ausschließe, bzw. sie gar nicht erst ins Spiel bringe1
1Hier ergibt sich nicht notwendig ein
Widerspruch zu dem Satz M.
Heitgers:
„Normativität ist deshalb für die Pädagogik
keine schmückende Beigabe, wenn die pädagogischen Entscheidungen
argumentierbar bleiben sollen“
(Über den Begriff der Normativität
in der Pädagogik, in: Pädagogik als Wissenschaft, Neue Folge der
Ergänzungshefte zur Vierteljahrsschrift für Wissenschaftliche
Pädagogik, Heft 4, S.
41)
. Sofern im Begriff der Argumentierbarkeit aber die Frage nach der
kritischen Begründung pädagogischer Entscheidungen angesprochen ist,
nimmt der Satz Heitgers eine andere Richtung, und zwar diejenige,
die am Schluß dieses Referats im Begriff der Emanzipation angedeutet
wird.
. Das aber bedeutet nicht, daß die Erziehungswissenschaft
Aussagen machen müsse über das, was sein soll. Es bedeutet lediglich, daß in
den Phänomen, die sie beschreibt, immer irgend etwas sein soll. Das hat aber
bekanntlich die Erziehungswissenschaft mit allen Geschichts- und
Sozialwissenschaften gemeinsam. Es zeichnet sie in keiner Weise aus.
Ausgezeichnet wird sie allerdings dadurch – oder besser: viele ihrer Autoren
versuchen sie dadurch auszuzeichnen, daß sie der Beschreibung selbst eine
normative Form zu geben trachten. Die Art der Verwendung von Adjektiven wie
„verbindlich“
und
„gültig“
im
Zusammenhang von Aussagen über Normen und deren Geltung legt jedenfalls
diese Vermutung nahe.
|a 54|
[022:3] Das hier zum Ausdruck kommende Interesse an dem Problem der Geltung von Normen und ihrer Begründung hängt zusammen mit einer bestimmten Vorstellung von dem, was Erziehungswissenschaft sinnvollerweise zu sein habe: Eine Prinzipienwissenschaft nämlich; was in diesem Zusammenhang soviel heißen soll wie: Eine Wissenschaft, die die maßgebenden Prinzipien für pädagogisches Handeln zu ermitteln habe. Die im Folgenden zu skizzierende Auffassung von Erziehungswissenschaft als Erfahrungswissenschaft akzeptiert lediglich eine analytische Aufgabe. Sie beansprucht überhaupt nicht, was jene andere Meinung als das Kernproblem der Pädagogik zu beantworten versucht. Es geht ihr nicht um die begründende Formulierung von Maßstäben pädagogischen Handelns, sondern – sofern es sich um Normenprobleme handelt – um die Formulierung nachweisbarer Maßstäbe des faktischen Erziehungshandelns unter bestimmten raum-zeitlichen Bedingungen3
3Daß diese Askese nur methodologischer
Natur ist, daß also darüber hinaus auch die Erfahrungswissenschaft einer
Begründung bedarf, besonders sofern sie selbst Moment einer
gesellschaftlichen Praxis ist, die sie sich andererseits zum Gegenstande
macht und eben damit auch dem Problem einer
„maßgebenden“
Normativität verpflichtet bleibt, hat die
wissenschaftstheoretische Diskussion der letzten Jahre in den
Sozialwissenschaften erweisen können. Vgl. dazu vor allem J. Habermas,
Analytische Wissenschaftstheorie und Dialektik. Ein Nachtrag zur
Kontroverse zwischen Popper und Adorno, in: M.
Horkheimer (Hrsg.), Zeugnisse. Festschrift für Th. W. Adorno,
Frankfurt/Main 1963, und die anschließende Kontroverse mit
H. Albert in der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Jg. 1964 und 1965.
. Solcher Nachweis nun muß – nach
diesem Wissenschaftsverständnis – einigen Regeln folgen, von denen ich hier
diejenigen nennen will, die mir für die Erziehungswissenschaft vorerst am
wichtigsten zu sein scheinen.
II.
[022:4] Eine harmlose Form hat das Problem der Empirie in der
Erziehungswissenschaft, wenn man sie als ein Weg der Erkenntnisgewinnung unter anderen gelten lassen
wollte. Sie wäre dann, in der Form empirischer Forschung, überall dort
zugelassen, wo die Interpretation von vorliegenden sprachlichen und anderen
Dokumenten zu unbefriedigenden Ergebnissen führt, wo – im Hinblick auf die
Erkenntnis gegebener Erziehungsphänomene – Objektaussagen anders nicht
möglich sind. In dieser Hinsicht scheint eine Art Burgfrieden zwischen den
Parteien geschlossen zu sein. Niemand bestreitet, daß empirische Verfahren
nicht auch zu pädagogisch relevanten Ergebnissen führen, sei es, daß man
solche Verfahren innerhalb der Erziehungswissenschaft als Erweiterung ihres
Erkenntnisinstrumentariums gelten lassen will, sei es, daß man sie lieber
den benachbarten Wissenschaften wie Psychologie oder Soziologie zuweist,
aber deren Ergebnisse durchaus als pädagogisch relevant gelten läßt.
[022:5] Durch den von mir verwendeten Ausdruck
„Relevanz“
sind nun allerdings zwei Positionen in eine
Ähnlichkeitsbeziehung gesetzt, die ihnen in Wahrheit nicht zukommt. Ist es
nämlich im ersten Fall durchaus sinnvoll, von einem Burgfrieden zu sprechen,
insofern nämlich empirische Forschung als Hilfsverfahren Eingang in die
Erziehungswissenschaft erhält, so ist doch im zweiten Fall nicht zu
übersehen, daß die
„pädagogische Relevanz“
empirischer
Forschungsergebnisse lediglich pädagogisch-praktischer, nicht aber
pädagogisch-theoretischer Art ist. Das Empirie-Problem bekommt daher |a 55|auch erst im Hinblick auf diese Konzeption von
Erziehungswissenschaft seine grundsätzliche Form, und zwar durch das
sogenannte
„empiristische Sinnkriterium“
, welches besagt,
daß alle theoretisch sinnvollen Sätze sich auf Beobachtbares beziehen lassen
müssen. Oder anders formuliert: Jeder theoretische Satz muß so formuliert
sein, daß er prinzipiell an der Erfahrung scheitern kann. Über die im
einzelnen zu verwendende Methode ist damit noch nichts Besonderes gesagt;
nur dieses Allgemeine ist präjudiziert: Alle Sätze müssen sich – von ihrer
logischen Prüfung abgesehen – an der Erfahrung überprüfen lassen. Das heißt,
daß der Frage nach den Forschungsmethoden die Frage nach der
Wissenschaftssprache vorausliegt. Demnach wäre ein Text erst dann als
nicht-wissenschaftlich zu qualifizieren, wenn es nicht gelänge, ihn auf
deskriptive Sätze zurückzuführen. Dies allerdings wäre eine sehr liberale
Handhabe des Prinzips: streng angewandt, würde schon ein solcher Text als
nicht-wissenschaftlich anzusprechen sein, der durch die Art seiner
Begriffsbildung sich solcher Reduktion zu entziehen trachtet.
[022:6] Das für die Erziehungswissenschaft so wichtige Problem der
Introspektion wird davon allerdings nicht berührt. Innerhalb der
positivistischen bzw. neo-positivistischen Wissenschaftstheorie,
insbesondere der behavioristischen Spielart, ist ja immer wieder behauptet
worden, daß Aussagen, die auf dem Wege der Introspektion gewonnen werden,
für Erkenntniszusammenhänge irrelevant seien. Eine solche Konsequenz ergibt
sich nicht notwendig aus diesem Ansatz. Auch introspektiv gewonnene Sätze
folgen dem empiristischen Sinnkriterium, allerdings mit dem Unterschied, daß
ihre intersubjektive Überprüfbarkeit problematisch ist. Dieser Hinweis ist
deshalb wichtig, weil Aussagen dieses Typs für die Erziehungswissenschaft
von besonderer Wichtigkeit sein könnten. Der Hinweis auf diesen Sachverhalt
kann also nicht als ein Argument gegen eine empirisch-positivistische
Erziehungswissenschaft gelten.
[022:7] Vom empiristischen Sinnkriterium ebenso unberührt wie die
Introspektion bleibt die faktische Anwendung von bestimmten Methoden, wie
etwa dem Experiment. Ob ich wirklich experimentiere, ist eine rein
forschungstechnische zweitrangige Frage. Sie kann sehr wichtig werden, wenn
sich zeigt, daß der Erkenntniszuwachs von der Anwendung dieses Verfahrens
abhängt. Prinzipiell aber wäre es entbehrlich. Bergmann hat das so ausgedrückt:
„Praktisch ist Experimentieren in der Wissenschaft
ebenso unerläßlich, wie wir handeln müssen, um leben zu können. Im
Prinzip jedoch ... könnten wir uns entschließen, Zuschauer zu
bleiben und zu warten, bis die Situationen, die wir tatsächlich so
scharfsinnig ersinnen, zufällig, wie man zu sagen pflegt, eintreten
– vorausgesetzt nur, daß wir lange genug leben und geduldig sind.
Vom wissenschaftlichen Standpunkt aus ist es allein entscheidend,
daß sie eintreten, und nicht, daß wir
sie zum Eintreten bringen.“
3
3Gustav Bergmann, Sinn und Unsinn des
methodologischen Operationalismus, in: Logik der
Sozialwissenschaften hrsg. von Ernst Topitsch, Köln, 1965,
S.
111.
. Oder noch deutlicher formuliert: es ist entscheidend, daß, wenn die
ge|a 56|meinte Situation eintritt, sie sich auch wirklich unmißverständlich der Aussage zuordnen läßt, in der die gemeinte Situation zum Ausdruck kommt. Der Sinn einer Aussage also ist die Methode der Verifikation.
[022:8] Die Konsequenz solcher Regeln ist – das liegt in ihrer Absicht –
Leerformeln zu vermeiden, die ohne Informationsgehalt und deshalb, zu
beliebigen normativen Zwecken, manipulierbar sind. Charakteristisch für
solche Formeln und Begriffe ist, daß sie des fehlenden Informationsgehaltes
wegen auch nicht widerlegbar sind, was gegen wissenschaftliche Kritik
immunisiert. Kritisierbar ist nur ihre Verwendung überhaupt, und zwar
dadurch, daß man sie als Momente von
„Immunisierungsstrategien“
entlarvt. Die Pädagogik ist nicht arm an
Begriffen – z. B.
„Wohl des Kindes“
,
„Individualität“
,
„Natur des Ich“
,
„Personale Autorität“
,
„gültige Verwiklichung“
– die nicht selten solche Strategien zu markieren
scheinen. Der empirische Informationsgehalt einer Theorie ist aber
unabdingbare Voraussetzung dort, wo ihre Richtigkeit und damit auch ihre
Brauchbarkeit an der Erfahrung, d. h. also auch in der Praxis scheitern
kann. Die Theorie muß deshalb der Möglichkeit des Scheiterns ausgesetzt
werden. Nur ein Theorie-Verständnis, das ein verdeckt-dogmatisches
Verhältnis von Theorie und Praxis voraussetzt, so daß die Theorie die
Funktion hat, der Praxis ihre Maßstäbe zu setzen, kann an dem
Informationsgehalt ihrer Aussagen desinteressiert sein,
„geht es hier doch in Wirklichkeit gar nicht um die
Gewinnung prüfbarer Tatsachenaussagen, sondern um die Erzielung
erwünschter psychologischer Motivationswirkungen“
4
4E.
Topitsch, Sprachlogische Probleme der sozialwissenschaftlichen
Theoriebildung, in: Logik der Sozialwissenschaften, hrsg. von E.
Topitsch, S.
25.
.
III.
[022:9] Der erste Schritt einer Erziehungswissenschaft als
Erfahrungswissenschaft wäre demnach die Ermittlung solcher Grundbegriffe,
die von vornherein die Zuordnung der aus ihnen folgenden Sätze zu empirisch
Beobachtbarem mindestens nicht ausschließen. Es ist nicht sehr originell,
wenn ich behaupte, daß man gerade dies von der Erziehungswissenschaft noch
nicht behaupten kann. Begriffe wie
„Bildung“
,
„Autorität“
,
„Pädagogischer Bezug“
,
„Begegnung“
, aber auch
„Selbstwerdung“
oder
„Menschwerdung“
sind in der
Regel nicht so beschaffen, daß sie dem genannten Kriterium entsprechen.
Statt zur rationalen Analyse von Tatsächlichem, oder auch nur – das andere
positivistische Wissenschaftskriterium – zur logisch genauen Bestimmung,
ermutigen sie pädagogische Autoren viel häufiger zu einer metaphorischen
Redeweise, die mit einer kontrollierbaren Wissenschaftssprache nur noch
wenig – wenn überhaupt irgendetwas – gemein hat. Dies den Autoren allein
anzulasten, schiene mir eine Verkennung der objektiven Tatsache Wissenschaft
zu sein, denn der Zustand unserer Wissen|a 57|schaft
verhindert nicht, sondern befördert geradezu die Neigung, mit Hilfe
beliebiger Ausdrücke über alles und jedes zu reden, so daß bisweilen zum
Beispiel pädagogisch-theoretische Texte von Texten des Deutschen Philologenverbandes
überhaupt nicht mehr zu unterscheiden sind, und zwar in bezug auf die Form
der Stätze, ihre logische Grammatik und empirische Überprüfbarkeit.
[022:10] Wenn man also mit Popper der Meinung ist, daß es das Ziel der
Erfahrungswissenschaften sei,
„befriedigende Erklärungen zu finden für alles, was
uns einer Erklärung zu bedürfen scheint“
5
5
K. R. Popper, Die Zielsetzung der
Erfahrungswissenschaft, in: Theorie und Realität, hrsg. von H.
Albert, Tübingen 1964, S. 73.
Zum Folgenden vgl. auch H.
Albert, Probleme der Theoriebildung, a. a. O., S. 3 ff.
, dann
hängt das Gelingen solchen Unternehmens offenbar fundamental davon ab, daß
das zu Erklärende, das Explanandum, genau
beschrieben wird. Danach befindet sich die Erziehungswissenschaft in ihrer
ganzen Breite immer noch im Zustand des Beschreibens. Oder noch weniger: sie
ist immer noch damit beschäftigt, das fundamentale Explanandum und die Möglichkeit seiner Beschreibung überhaupt
zu diskutieren. Ich verhalte mich also insofern naiv, als ich voraussetze,
daß es für die Erziehungswissenschaft Explananda gibt und infolgedessen ihre Zukunft als
Wissenschaft davon abhängt, daß sie sie so exakt wie möglich beschreibt. Die
Pädagogik befindet sich in dieser Hinsicht vermutlich – nach einer
ironischen Anmerkung Poppers – in der Lage desjenigen, der das Phänomen
der
„Fliegenden Untertassen“
erklären will, jedoch ohne
schon über befriedigende Beschreibungen des Phänomens zu verfügen. Die
amerikanische Sozialwissenschaft hätte nie diesen bedeutenden Vorsprung
erreicht, wenn man dort nicht jahrzehntelang mit detailliertesten
Beschreibungen verbracht hätte. In wie rohem Zustand sich dagegen noch
unsere Fähigkeit zur Beschreibung befindet und welche Mühe sie uns
macht, das zeigen etwa die Untersuchungen von Ursula Walz und die jüngste Studie von
Andreas
Flitner über die SOS-Kinderdörfer6
6Vgl. U. Walz, Soziale Reifung in der Schule,
Hannover 1960; A.
Flitner, G. Bittner und M. Vollert, Pädagogische Probleme des
Kinderdorfs, Zeitschrift für Pädagogik, 12. Jg. 1966, S.
1–37.
. Unter diesem Aspekt ist die Erörterung unserer
„Fliegenden Untertassen“
– z. B. der
„Begegnung“
,
z. B. der nicht in einen empirischen Horizont projizierten
„Personagenese“
, z. B. der
„Autorität“
als
metaphysische Bedingung der Möglichkeit von Erziehung – vertane Zeit, sofern
solche Erörterungen immer auch Aussagen über Empirisches enthalten und
sofern die Erziehungswissenschaft mehr sein will als eine Reflexion der
transzendentalen Bedingungen der Möglichkeit von Erziehung, der zwar nicht
die philosophische Dignität abgesprochen werden kann, die aber ihre
pragmatische Relevanz bisher nicht deutlich zu machen vermochte. Auch dies
nämlich scheint mir ein Aspekt des problematischen Verhältnisses von Theorie
und Praxis zu sein: daß nämlich die sogenannten Beschreibungen,
Bestimmungen, Explikationen, etc. die Realität dessen, der erzieht, nur selten erreichen, und
zwar deshalb, weil von der Realität dieser Praxis viel zu wenig in den
Gehalt der Sätze eingeht, die von solcher Theorie produziert werden. Eine
Prüfung dieser Hypothese wäre eine sicher nicht unwichtige Aufgabe der
Erziehungswissenschaft.
|a 58|
[022:11] Aber das wäre schon mehr als Beschreibung, es wäre eine
nomologische Hypothese, in der ein Sachverhalt durch einen anderen erklärt
werden soll. Wahrscheinlich ist die Hypothese noch zu unbestimmt formuliert,
um sie überprüfen zu können. Das braucht uns hier aber nicht zu beunruhigen.
Beunruhigend aber ist, daß hier scheinbar etwas über die Wirklichkeit gesagt
ist, das selbst nicht reflektiert, sondern naiv vorausgesetzt wurde:
nämlich, daß die Welt aus kausal miteinander verbundenen Phänomenen besteht.
Um diesem Problem, dessen Nichtlösbarkeit mit guten Gründen behauptet werden
könnte, zu entgehen, muß der Satz
„ein Sachverhalt wird
durch einen anderen erklärt“
umformuliert werden. Denn genaugenommen,
werden nicht Sachverhalte erklärt, sondern Sätze über Sachverhalte logisch miteinander verknüpft, und zwar so, daß
der beschreibende Satz, das Explanandum,
aus dem erklärenden Satz, dem Explanans,
deduziert wird. Daß solche Satzfolge etwas mit der Wirklichkeit zu tun hat,
ergibt sich nur daraus, daß die Sätze falsifizierbar sind. Wahrheit kann
deshalb nur das Explanandum beanspruchen;
das Explanans bleibt immer nur vermutlich
wahr.
[022:12] Diese vielleicht pedantisch anmutende Bemerkung ist deshalb
wichtig, weil häufig darauf hingewiesen wird, daß zwar in der Natur
Kausalverhältnisse existieren, in der geschichtlich-gesellschaftlichen Welt
dagegen nicht. So könnte also nicht argumentiert werden. Vielmehr müßte
gezeigt werden, daß für die geschichtlich-gesellschaftliche Welt die
Verknüpfung von Sätzen in der angegebenen Art sinnlos ist und nichts
begreiflich macht.
IV.
[022:13] Die bisherigen Sätze enthalten – außer dem empiristischen
Sinnkriterium – noch keine positiven Anweisungen im Hinblick auf die in der
Wissenschaft zu verwendenden Methoden. Sie enthalten indessen eine negativ
zu nennende Anweisung: jede dogmatische methodische Festlegung schränkt die
Erkenntnismöglichkeiten ein, dadurch, daß sie das Fragen nach Erklärungen
erschwert oder gar verhindert, die mit dem vorhandenen Methoden-Arsenal
nicht möglich sind; solche Festlegungen verbieten sich also. Man könnte
deshalb sagen, daß die hier zu skizzierende Position sich einerseits durch
wissenschaftslogische Unduldsamkeit, andererseits aber durch
außergewöhnliche methodologische Liberalität auszeichnet. Das bedeutet
allerdings nicht, daß es keine Abstufungen in der wissenschaftlichen
Dignität der Methoden gäbe. Diese bemißt sich nach der Chance, Hypothesen zu
falsifizieren. Solche Falsifikation ist in den Methoden der empirischen
Sozialforschung leichter, als bei der Beschreibung und Erklärung
historisch-vergangener Ereignisse, und zwar einzig und allein aus dem
Grunde, weil hier das Material, das ein Explanans ermöglichen kann, |a 59|prinzipiell begrenzt ist und durch neue Versuchsanordnungen nicht
methodisch variiert werden kann. Das gilt auch für einen großen Teil
pädagogischer Probleme: wir arbeiten mit Dokumenten, die in begrenzter Zahl
vorliegen und nicht mehr ausgetauscht werden können; und wo wir
experimentieren, unterliegen wir – jedenfalls zum Teil – der moralischen
Einschränkung des methodischen Spielraumes.
[022:14] Dieser Vorbehalt aber berührt nicht den positivistischen Wissenschaftsgrundsatz, sondern sagt nur etwas über die eingeschränkteren Erkenntnisbedingungen einzelner Wissenschaften im Vergleich zu anderen. Positiv formuliert: dieser Vorbehalt verpflichtet die von ihm betroffenen Wissenschaften zu besonderer methodischer Phantasie. Diese Phantasie jedoch kann sich nur in der Wechselwirkung von Fragen und Methoden entfalten. Dabei ist nicht zu übersehen, daß der Methode ein konservatives Moment innewohnt: sie hat die Tendenz, die möglichen Fragen immer schon soweit einzuschränken, daß sie auf die vorhandenen Methoden passen. Die Gefahr besteht darin, daß nur noch gefragt wird, was mit Hilfe der bekannten Methoden beantwortbar erscheint. Dieser Konservativismus hat seinen Grund in einer methodisch-technischen Anweisung: der Forschungsgegenstand – damit die gestellten Fragen – sind operational zu definieren bzw. zu präzisieren. Sichert diese Anweisung einerseits die Kontrolle des angewandten Verfahrens und die Überprüfung der Ergebnisse, so suggeriert sie doch andererseits das Verbleiben beim vorhandenen methodischen Instrumentarium6
6Genau
genommen, ist der Grund für solchen Konservativismus nicht in der
Methode als solcher anzunehmen, sondern in ihren institutionellen
Bedingungen – in einer Einschränkung des Fragespielraumes also, der mit
der faktischen Funktion zusammenhängt, die empirische Forschung als
Technologie im Dienste bestimmter gesellschaftlicher Zwecke häufig
erfüllt. Vgl. dazu eine differenzierte Analyse dieses Zusammenhanges bei
E. K. Scheuch, Sozialer Wandel und Sozialforschung, Kölner
Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 17. Jg. 1965, S. 1
ff.
.
[022:15] Die damit der Methode faktisch zukommende Schlüsselstellung,
insbesondere der gegenwärtig vornehmlich angewandten Verfahren von
kontrollierter Beobachtung, Befragung, Test und Experiment, legt einen
weiteren Einwand nahe: Da hier nicht durch den geschichtlichen Prozeß
hervorgebrachte Dokumente der Formulierung wissenschaftlicher Sätze als
Material dienen, sondern dieses Material für solche Formulierungen eigens
erst hergestellt wird, könnte man daraus folgern, daß es sich um einen
prinzipiellen Unterschied handelt, von dem auch die Erziehungswissenschaft
betroffen ist. Die Erziehungswirklichkeit – wenn es erlaubt ist, diesen
Ausdruck hier nicht-terminologisch zu verwenden – gibt es nicht kraft
wissenschaftlichen Interesses, sondern sie ist dem theoretischen Interesse
vorgegeben. Das Erkenntnisinteresse würde sich demnach nur dann angemessen
realisieren, wenn dieses Vorgegebene unverstellt zur Kenntnis genommen
würde. Die Methoden der empirischen Sozialforschung aber zeichnen sich ja
gerade dadurch aus, daß der Gegenstand nur vermittelt zur Kenntnis kommt,
und zwar derart vermittelt, daß man sagen könnte, er werde durch die Methode
erst produziert: Die in Befragungen zum Vorschein kommende Meinung ist
diejenige Meinung, die der Befragte als |a 60|Antwort auf
die Interviewfrage hervorbringt! Das heißt, es entsteht in der empirischen
Sozialforschung eine neue Schicht von Tatsachen, die nicht identisch sind
mit den
„ursprünglich vom Erkenntnis-Interesse gemeinten“
Tatsachen.
[022:16] Mir scheint, daß man dies zugeben und dennoch den Einwand als
nicht stichhaltig verwerfen kann, und zwar aus einem sehr einfachen Grunde.
Die durch die empirische Sozialforschung produzierten sogenannten Tatsachen
fungieren in der gleichen Weise, in der im Zusammenhang nicht-empirischer
Verfahren die zu interpretierenden Dokumente fungieren: sie müssen
interpretiert werden, haben allerdings den großen Vorzug, auf kontrollierte
Weise zustande gekommen zu sein; sie schränken damit zugleich den
Interpretationsspielraum ein, d. h. sie reduzieren das subjektive Element
zugunsten einer intersubjektiven Überprüfbarkeit der
Interpretationsergebnisse.
[022:17] Eine solche Antwort aber braucht den, dessen Einwände die genannte Richtung genommen haben, noch nicht zu beruhigen. Er könnte darauf hinweisen, daß in den empirischen Verfahren, jedenfalls dort, wo sie auf den Menschen angewandt werden, ein Element gesellschaftlicher Entwicklung zur Methode geronnen sei, das mindestens einen beklagenswerten Sachverhalt eben dieser Entwicklung darstelle: die Verdinglichung des Menschen nämlich. Daß empirische Sozialforschung Verdinglichung, wenn auch methodische, bedeutet, braucht indessen gar nicht geleugnet zu werden7
7
„Insofern das gegenwärtige Leben durch die zum
Extrem getriebene Konzentration der ökonomischen Mächte weithin
standardisiert, das Individuum weit ohnmächtiger ist, als es
sich selber zugesteht, sind standardisierte und in gewissem
Sinne entindividualisierte Methoden ebensowohl der Ausdruck der
Situation wie das angemessene Mittel, sie zu beschreiben und zu
durchdringen. Daß soziale Phänomene durch den Geist, durch das
Bewußtsein der Menschen vermittelt sind, darf nicht dazu
verleiten, jene Phänomene selber umstandslos aus einem geistigen
Prinzip abzuleiten. In einer Welt, die weithin beherrscht wird
von ökonomischen Gesetzen, über welche die Menschen wenig
vermögen, wäre es illusionär, die sozialen Phänomene prinzipiell
als
‚sinnhaft‘
verstehen zu wollen. Was
bloßes Faktum ist, wird angemessen durch
‚factfinding-methods‘
getroffen. Wer gegen
die Übertragung naturwissenschaftlicher Methoden auf das
vorgebliche Gebiet des Geistes apologetisch eifert, der
übersieht, daß die Gegenstände der Gesellschaftswissenschaft
selber in großem Maße
‚naturhaft‘
, Ausdruck
der zur zweiten Natur geronnenen Gesellschaft, und darum alles
andere eher als geistbestimmt sind. Daß in ihnen die menschliche
Zweckrationalität ein Moment abgibt, macht sie weder selber
rational noch menschlich.“
(Soziologische Exkurse, Frankfurter
Beiträge zur Soziologie Band 4, hrsg. im Auftrag des Instituts
für Sozialforschung von Theodor W. Adorno und Walter Dirks,
Frankfurt am Main 1956, S. 110 f.
.
[022:18] Zunächst wäre auf einen historischen Zusammenhang hinzuweisen:
Empirische Sozialforschung gehört vermutlich nicht zu den Ursachen des
gesellschaftlichen Prozesses der Verdinglichung, sondern zu deren Folgen.
Zudem ordnet sie sich diesem Zusammenhang nicht naiv ein, sondern ist ihm
dialektisch zugehörig, was in diesem Falle heißen soll: sie ist eine
kritische Reaktion auf den vorgegebenen Prozeß der Verdinglichung des
Menschen in der bürgerlichen Gesellschaft. Sie ist damit ein Instrument der
Emanzipation, ihr
„authentischer Sinn
ist der kritische Impuls“
8
8Die Pädagogik trifft der Vorwurf, durch fehlende
Empirie und mangelhafte Reflexion ihrer Begriffe den beklagten Prozeß
nicht erkannt, wenn nicht sogar gefördert zu haben. Für sie gilt weit
eher als für die Soziologie, was Adorno formuliert:
„Gerade das Überwiegen der
geisteswissenschaftlichen Tradition in der deutschen Soziologie
erheischt als Korrektiv dringend die empirischen Methoden. Deren
authentischer Sinn ist der kritische Impuls“
(a. a. O., S. 111)
.
.
[022:19] Jedermann aber sieht sofort, daß das so nicht stimmen kann. Die Geschichte der empirisch-positivistischen Forschung nämlich zeigt selbst, daß sie – auch wo sie sich zunächst als emanzipatorisches Instrument verstand – nicht selten genau jenem Prozeß der Verdinglichung dienstbar wurde, dem sie zunächst widerstehen wollte: an der Geschichte der Gruppenforschung wie an einigen Tendenzen der gegenwärtigen Bildungs-ökonomischen Forschung9
9So ist zum Beispiel das Vorherrschen
empirisch-ökonomischer Argumentationen im Zusammenhang der Reform des
Bildungswesens möglicherweise geeignet, die Demokratisierung des Systems
nicht zu fördern, sondern zu verschleppen. Vgl. dazu Claus Offe,
Bildungsökonomie und Motive der Bildungspolitik, Neue Kritik, April
1966, S. 32 ff.
ließe sich das einleuchtend zeigen.
Das bedeutet, daß Empirie innerhalb der Sozialwissenschaften sich deren
Zweck entfremden kann – das bedeutet aber weiterhin, daß jener Zweck dem
Forschungsinstrumentarium selbst nur auf mangehafte Weise innewohnt und einer Theorie bedarf, die nicht identisch ist
mit der das Forschungsinstrumentarium |a 61|konstituierenden Theorie. Die gesuchte Theorie hätte zum Zweck dasjenige
Interesse zu begründen, daß einerseits die empirische Forschung legitimiert, andererseits in dieser Forschung sich realisiert10
10Vgl. J. Habermas, Erkenntnis und Interesse,
Merkur 19. Jg. 1965, S. 1139
ff.
.
V.
[022:20] Dieser Zusammenhang von Interesse und Erkenntnis weist auf
dasjenige Problem hin, das die sozialwissenschaftliche Methodologie
vielleicht am meisten beschäftigt hat, nämlich auf die Werturteile. Die
Werturteilsproblematik hat eine Reihe von Aspekten, bzw. tritt in mehreren Formen auf, die ich hier nicht alle
behandeln möchte. Mindestens drei aber sollte man in der Diskussion
auseinanderhalten:
[022:21] 1. Die erste Form bezieht sich auf reine Sprachprobleme: es geht
darum, allen wissenschaftlichen Sätzen eine deskriptive Form zu geben.
Normative Sätze erhalten keinen Zugang, es sei denn, sie ließen sich in
deskriptive transformieren.
[022:22] 2. Normen und Werte sind also nicht schlechterdings aus der Wissenschaft verbannt. Als Gegenstände der wissenschaftlichen Beschäftigung kommt ihnen – im Fall der Sozialwissenschaften – sogar eine eminente Bedeutung zu. Allerdings können sie dieser Bedeutung entsprechend nur behandelt werden, wenn die Maxime der Beschränkung auf deskriptive Sätze eingehalten wird11
11Vgl. H. Thiersch, Hermeneutik und
Erfahrungswissenschaft, Die Deutsche Schule, 58. Jg. 1966,
S. 15
f. In vieler Hinsicht enthält dieser Aufsatz
Parallelen zum vorliegenden Referat. Vieles, was dort ausführlicher
behandelt wird, ist in meinem Referat deshalb nur kurz angesprochen
worden.
.
[022:23] 3. Unbeschadet solcher Enthaltsamkeit jedoch bleibt die Frage, ob
nicht doch Wertgesichtspunkte notwendig ins Spiel kommen auch bei dem, der
sich puristisch an die Regeln des Beschreibens und Erklärens hält. Das ist
sicher richtig, wenn damit gemeint ist, daß es außerordentlich schwer sei,
in der Beschreibung Wertgesichtspunkte zu vermeiden, enthält doch schon die
Wahl des zu beschreibenden Gegenstandes solche Gesichtspunkte, die die
Auffassung dieses Gegenstandes präformieren. Zunächst scheint dieser Hinweis
die positivistische Position nicht zu erschüttern. Man könnte nämlich
antworten, daß dies einerseits in den Entdeckungszusammenhang von
Wissenschaft gehöre, nicht aber in ihren Begründungszusammenhang; es gelte
daher, zu vermeiden, daß beide Probleme konfundiert werden. Gerade die
strikte Einhaltung des empiristischen Sinnkriteriums ermöglicht ja eine
beständige Kontrolle der in die wissenschaftlichen Sätze möglicherweise
eingegangenen Wertungen. Andererseits behauptet auch diese Methodologie
nicht, daß die Einhaltung ihrer Regeln schon Objektivität garantiere. Diese
kann überhaupt durch keine methodische Anweisung endgültig gesichert werden.
Objektiv seien die Verfahren und Resultate der Wissenschaft nur insofern zu
nennen – so jedenfalls formuliert es Popper – als sie in einer rational diskutierbaren
Form angewandt und vorgetragen werden. Die Objektivität der Wissenschaft
besteht also darin, daß sie selbst einen |a 62|ununterbrochenen Prozeß wechselseitig rationaler Kritik der an diesem Prozeß Beteiligten darstellt12
12
„Zusammenfassend kann man sagen, daß das, was
wir die
‚wissenschaftliche Objektivität‘
nennen, nicht ein Ergebnis der Unparteilichkeit des einzelnen
Wissenschaftlers ist, sondern ein Ergebnis des sozialen oder
öffentlichen Charakters der wissenschaftlichen Methode; und die
Unparteilichkeit des individuellen Wissenschaftlers ist, soweit
sie existiert, nicht die Quelle, sondern vielmehr das Ergebnis
dieser sozial oder institutionell organisierten Objektivität der
Wissenschaft.“
(K. R. Popper, Die offene
Gesellschaft und ihre Feinde, 2. Band, Bern 1957, S. 270).
.
[022:24] Auf diese Weise aber ist der Einwand, der auf die Unumgänglichkeit von Werturteilen hinweist, noch nicht abgewiesen. Dieser Einwand nämlich könnte eine andere, eine wissenssoziologische Richtung nehmen. Alle Sätze über pädagogische Sachverhalte treffen auf eine gesellschaftliche Praxis, die diesen Sätzen gegenüber nicht gleichgültig ist: sie treffen auf eine Interessenlage. Das bedeutet, daß in den Erfahrungsprozeß hinein eine gesellschaftliche Struktur wirkt, die für die Sozialforschung eine konstitutive Bedeutung entfaltet13
13Für die Erziehungswissenschaft ist dieses Problem
noch nicht ausführlich erörtert worden. Für die Soziologie ist es
expliziert von Christian v. Färber, Der
Werturteilsstreit 1909/1959. Versuch einer
wissenschaftsgeschichtlichen Interpretation, in: Logik der
Sozialwissenschaften, hrsg. von E. Topitsch, Köln 1965, S. 165
ff.
. Diese Struktur ist durch die Tatsache
konkurrierender Interessen bestimmt. Erziehung hat es nicht nur
irgendwie auch mit solchen Interessen zu tun, sondern sie
geschieht faktisch unter dem Anspruch solcher Interessen. Erkenntnis als
eine Erkenntnis für gesellschaftliche Praxis kann nicht die Reflexion dieser Interessenproblematik gleichsam hinten anhängen, etwa in der Form der Diskussion vorgelegter Forschungsergebnisse, sondern sie muß diese Problematik zu Beginn des Forschungsprozesses bedenken. Das ist deshalb erforderlich, weil der Forschungsprozeß selbst, die methodische Verwendung des Instrumentariums, nicht nur keinen Raum für solche Reflexion läßt, sondern weil er selbst geeignet ist, diese Problematik zu verschleiern, da er – seiner Art nach – ein technologisches Erkenntnisinteresse suggeriert14
14Vgl. J. Habermas, Erkenntnis und Interesse, a. a.
O.; und ders., Theorie und
Praxis, Neuwied 1963.
. Die positivistische
Forschungspraxis wahrt – so kann man deshalb sagen – nur den Schein der
Wertneutralität. In Wahrheit dient sie häufiger – jedenfalls soweit sie auf
jene Reflexion verzichtet – nicht nur einem bestimmten Erkenntnisinteresse,
sondern zugleich einem Herrschaftsinteresse.
[022:25] Dies zu vermeiden, bedarf es keiner neuen, etwa nicht-empirischen Methodologie; es bedarf vielmehr eines theoretischen Rahmens, in dem das Wertproblem lokalisiert wird, möglicherweise dadurch, daß die mit dem Vorhandensein von Erziehungswissenschaft gesetzten Entscheidungen zum Ausgangspunkt des gesamten wissenschaftlichen Prozesses gemacht werden. Erziehungstheorie – gleichgültig ob empirisch oder spekulativ – ist aus der gesellschaftlichen Interessenlage, die die Erziehungspraxis bestimmt, so wenig zu lösen, wie diese Praxis selbst. Soweit aber diese Theorie es auf Erkenntnis abgesehen hat, muß es ihr darauf ankommen, diese Interessenlage wenigstens rational diskutierbar zu machen. Das aber ist ohne strikte Berücksichtigung des empiristischen Sinnkriteriums nicht mehr möglich15
15Die positivistische Wissenschaftstheorie meint
gerade dieses Prinzip aller Wissenschaft auf Kant gründen zu können,
der – wie Popper
es formuliert – seine Kritik schrieb,
„um zu zeigen, daß die Grenzen möglicher
Sinneserfahrung und die Grenzen vernünftigen Theoretisierens
über die Welt identisch sind“
(Die offene Gesellschaft und ihre
Feinde, 1. Band, S.
15).
. Und schließlich: ist rationale Diskutierbarkeit das
Kriterium für die Vertretbarkeit einer wissenschaftlich gemeinten Aussage,
dann kommt darin zugleich zum Vorschein, was sie jedem Herrschaftsinteresse
gegenüber auszeichnet: das Interesse an Emanzipation. Es ist das gleiche
Interesse, das auch der Erziehungspraxis in einer Gesellschaft zu
substituieren wäre, die sich selbst als sich demokratisierend interpretiert
– der gleichsam bessere Begriff der Sache, ihre real bessere Möglichkeit.