Was ist Erziehungswissenschaft? [Textfassung a]
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Was ist Erziehungswissenschaft?

[026:1] Lange Zeit war man sich darin einig, die Beschäftigung mit den Problemen, welche die Erziehung mit sich bringt,
Pädagogik
zu nennen. So wurde mit diesem Ausdruck vielerlei bezeichnet, das bisweilen nicht mehr gemeinsam hatte als eine gewisse Ähnlichkeit derjenigen praktischen Fragen, auf die jene Beschäftigung sich bezog.
Pädagoge
– das war und ist zum Teil immer noch der Vater, der seine Kinder zu erziehen versucht, und der Psychologe, wenn er praktischen Rat gibt; der Lehrer und derjenige, der Lehrer ausbildet; der Geistliche, wenn er die Erziehungsmeinung seiner Kirche formuliert, und der Wissenschaftler, der sich um exakt empirische Beschreibung von Sachverhalten bemüht. Interessenverbände beschäftigen sich mit
pädagogischen
Fragen und meinen damit ihre schulpolitischen Programme; und ein Betriebsleiter gilt als guter Pädagoge, wenn er seine Leute
richtig zu nehmen weiß
.
[026:2] Eine solche Verworrenheit im Sprachgebrauch braucht uns so lange nicht weiter zu beunruhigen, wie mit den Worten
Pädagoge
,
Pädagogik
oder
pädagogisch
lediglich eine Übereinkunft der Praktiker auf den verschiedenen Ebenen beabsichtigt ist, die Vergewisserung, daß in der Diskussion alle den gleichen Ausschnitt praktischer Probleme in unserer Gesellschaft vor Augen haben. Beunruhigend aber wird es, wenn die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Sache mit demselben Namen bedacht wird wie die Sache – also die Praxis – selbst, mit demselben Namen wie aus politischem Interesse hervorgegangene Programme, wie weltanschaulich begründete Erziehungsforderungen, wie die vielen, wenn auch gut gemeinten und sicher auch diskussionswürdigen Meinungen. Beunruhigend ist das deshalb, weil dabei die Gefahr besteht, daß das Bewußtsein von der Eigenart theoretisch-wissenschaftlichen Verhaltens im Hinblick auf Phänomene und Probleme der Erziehung verlorengeht oder weil sich dieses Bewußtsein dabei gar nicht erst herstellt. Beschreibungen und praktische Ratschläge, Analysen und aktuelle Stellungnahmen geraten durcheinander.
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[026:3] Die Unklarheit der Terminologie spiegelt die Mängel des pädagogischen Denkens, dem es nur mühsam zu gelingen scheint, den Ansprüchen der Wissenschaftlichkeit Genüge zu tun. Das Unbefriedigende dieses Zustandes wird zunehmend deutlicher, und das Bemühen um klarere Unterscheidungen wird intensiver. Ein Symptom dafür ist die Tatsache, daß für die Bezeichnung der wissenschaftlichen Beschäftigung mit pädagogischen Fragen immer seltener der Ausdruck
Pädagogik
und immer häufiger der Ausdruck
Erziehungswissenschaft
verwendet wird.

Unter dem Maßstab empirischer Überprüfbarkeit

[026:4] Bei denen, die es bevorzugen, von
Erziehungswissenschaft
zu sprechen, verbindet sich dieser Sprachgebrauch nun aber auffallend häufig mit einer bestimmten Meinung über das, was den Wissenschaftscharakter der Erziehungswissenschaft ausmachen solle: es ist ein Wissenschaftsverhältnis, das die Gewähr für die Wissenschaftlichkeit einer Aussage entscheidend von ihrer empirischen Überprüfbarkeit abhängig macht. Darin bekundet sich zugleich die Auffassung, daß die Erziehungswissenschaft – wie andere Wissenschaften auch – es mit Erkenntnisgewinnung und nicht mit der verbindlichen Formulierung von Erziehungsnormen zu tun hat. Sie ist deskriptiv und nicht normativ.
[026:5] Diese Position hat in jüngster Zeit sehr nachdrücklich Rudolf Lochner vertreten, und zwar in seinem Buch
Deutsche Erziehungswissenschaft
, einer breit angelegten kritischen Durchsicht aller pädagogischen Theorien, die sich selbst als wissenschaftlich bezeichnen. Das pädagogische Denken – so etwa lautet eine seiner kritischen Thesen – habe sich durch sein praktisches Engagement immer wieder verleiten lassen, die positive Tatsachenermittlung gering zu achten zugunsten seiner philosophischen, theologischen oder weltanschaulichen Ambitionen.
Ich wünschte, die Erziehungswissenschaft wäre irgendeinmal in Deutschland durch eine handfeste positivistische Ära hindurchgegangen und hätte damals ein paar ordentliche systematische Ansätze gemacht; jenseits einer solchen Epoche würde sie sich heute in ihrer wissenschaftlichen Grundlegung besser stehen. Gegen die ausgesprochen systemphilosophischen, insbesondere idealistischen, kritizistischen und – neuerdings auch – existential-philosophischen Vorherrschaftsansprüche wäre ein positivistisches Gegengewicht nur vorteilhaft gewesen
(S. IX)
. Der Sinn einer Erziehungsphilosophie soll damit nicht bestritten werden; es wird lediglich Wert darauf gelegt, daß eine strenge Besinnung auf die Wissenschaftlichkeit des pädagogischen Denkens vorgenommen werden muß, wenn man sich überhaupt dazu entschließt, erzieherische Gegenstände mit wissenschaftlicher Absicht und Methode zu bearbeiten. Ebenso bestreitet Lochner nicht den Wert dessen, was er – wie es vor ihm schon andere getan haben –
Erziehungslehre
nennt: die Verwendung erziehungswissenschaftlicher Forschungsergebnisse im Zusammenhang einer Theorie mit normativ-praktischem Interesse. So werden zum Beispiel die Kirchen sich nicht mit den Resultaten empirischer Forschung zufrieden geben müssen, sondern diese zwar berücksichtigen, sie im übrigen aber einfügen in eine Lehre von der – ihrer Meinung nach – rechten Erziehung, in der eben das spezifische Erziehungsinteresse dieser Kirchen artikuliert wird. Freilich hat auch die Erziehungswissenschaft es mit Normen zu tun, aber nicht so, daß sie diese setzt oder für |a 209|bestimmte Normen optiert, sondern sie nimmt sie als Gegenstand der Beschreibung. Auch pädagogische Normen sind Tatsachen.
Solche Tatsachen aufzuweisen, zu beschreiben und zu diskutieren, erscheint uns eine genuine Aufgabe einer empirischen und damit eigentlich wissenschaftlichen Pädagogik. Aber Erziehungsziele zu bestimmen, bis ins einzelne zu formulieren und als notwendig zu setzen, aufgrund angenommener objektiver Gültigkeit von Werten sich für ganz spezifische Ziele zu entscheiden, das erscheint uns überhaupt nicht Aufgabe einer reinen Wissenschaft, das gehört in den gewiß sehr wichtigen, aber jenseits reiner Wissenschaft liegenden Bereich einer Erziehungslehre
(S. 431)
.

Unter normativem Anspruch

[026:6] Zu solcher Verpflichtung der Erziehungswissenschaft auf Empirie, zumal auch zu solcher Abstinenz gegenüber dem Problem der Normativität in aller Erziehung, kann sich nun keinesfalls die ganze Erziehungswissenschaft in Deutschland entschließen. In streitbarer und die scharfe Polemik nicht scheuender Weise vertritt insbesondere der jüngere Kreis von Erziehungswissenschaftlern (oder Pädagogen?) aus der Schule Alfred Petzelts einen Begriff vom
Pädagogischen
und damit eine Gestalt der pädagogischen Theorie, von der her das Konzept Lochners als grundsätzlich verfehlt angesehen werden muß. In einem Aufsatzband
Einführung in die pädagogische Fragestellung
vermittelt dieser Kreis von Theoretikern – es sind in dem ersten von zwei Bänden Alfred Petzelt, Wolfgang Fischer und Marian Heitger – einen deutlichen Begriff seiner eigenen Position.
[026:7] Der kardinale Einwand gegen eine empirisch-positivistisch konzipierte Erziehungswissenschaft lautet etwa so: Alle Erziehung hat es mit dem Ich und seiner Bildung zu tun; das Ich aber kann nicht Objekt von Erfahrung sein wie ein Naturding unter anderen Naturdingen – und zwar deshalb nicht, weil das Ich selbst die Bedingung dafür ist, daß Erfahrung überhaupt möglich wird.
Demnach ist das Ich selbst niemals, grundsätzlich nicht, Gegenstand oder Problem der Erfahrung, denn dann müßte es physikalisch, chemisch oder biologisch bewältigt werden können. Das Ich bleibt Bedingung der Erfahrung, nicht ihr Inhalt, wird Definitionselement ihres Begriffes, nicht Objekt der Erfahrungswissenschaften
(S. 23)
. Daraus ergebe sich, daß
Pädagogik
anders als philosophisch gar nicht betrieben werden könne.
Pädagogik muß philosophisch werden – oder das Ich wird Naturobjekt
(S. 24)
.
[026:8] Eine solche philosophische Behandlung pädagogischer Probleme hat ihr Zentrum in der Bildungstheorie, besser: in der Frage nach der Natur der Bildung. Eine Theorie der Bildung als der Weg des Ich ist notwendig angewiesen auf die Frage nach der Natur des Ich. Diese Frage aber ist nicht eine Frage nach dem Geschichtlich-Besonderen, auch keine Frage nach dem, was unter dem Namen der Bildung in der einen oder anderen Epoche kursiert, sondern eine Frage nach
zeitlosen Ordnungsmomenten
. Die Zeitlosigkeit wird begrifflich faßbar in dem normativen Anspruch, der alles Menschentum konstituiert. Mit diesem Anspruch ist nicht die materiale Bestimmtheit einer gegebenen Norm gemeint, noch ist mit ihr die Aufgabe der Theorie so formuliert, daß sie bestimmte Normen zu proklamieren |a 210|oder zu legitimieren hätte. Es ist nur auf die Struktur aller Bildung verwiesen, deren beide Momente
Wissen und Haltung
sind. Diese Bildung
muß ein Prinzip des Lebens sein, und wo im Dasein eines Menschen oder einer Gesellschaft Bezirke dem Motiv Bildung entzogen sind – etwa der Beruf, die Politik oder die Wirtschaft –, dort schleicht das Verderben bereits umher, und die Stunde ist nicht fern, da das Ganze aus der sachlichen und sittlichen Ordnung fällt
(S. 174)
.
[026:9] Es leuchtet ein, daß bei einer solchen Bestimmung dessen, was pädagogische Theorie zu sein habe, für erfahrungswissenschaftliche Verfahren wenig Raum bleibt, jedenfalls nicht innerhalb dieser Theorie. Daß im übrigen einzelwissenschaftliche empirische Forschung für die Erziehungspraxis schlechterdings unerheblich sei, wird damit jedoch keinesfalls behauptet. Nur wird das Verhältnis der erziehungswissenschaftlichen Theorie zu den empirischen Disziplinen und deren Ergebnissen auf besondere, nämlich kritische Weise bestimmt. Diese Ergebnisse begründen nichts, was pädagogisch relevant sein könnte. Aber sie liefern ein zu wissen notwendiges Material, das allerdings erst unter der kritischen Bildungsfrage sich pädagogisch artikulieren läßt.
Was aber betont werden muß, ist das Recht der eigenwertigen Fragestellung im Bildungsproblem, und was abgelehnt werden muß, ist jede Schmälerung der pädagogischen Fragestellung
(S. 46)
. Oder, am Beispiel der Soziologie:
Das Verhältnis von Soziologie und Pädagogik wird durchgängig ... vom Charakter der jeweiligen Wissenschaft selbst bestimmt. Die Pädagogik ist Sollenswissenschaft, ... und ihr Mühen geht auf Prinzipien des gültigen Vollzuges, während die Soziologie
Tatsachen
, d. h. Akte bzw. Vollzüge in ihrer Mannigfaltigkeit und Häufigkeit untersucht und darstellt. ... Prinzipien haben Bedingungscharakter für Tatsachen, während die Tatsachen notwendiger Anlaß sind, nach den Prinzipien immer erneut zu fragen
(S. 71)
.
[026:10] Die Konsequenz eines solchen Verständnisses von Pädagogik scheint zu sein, daß dann gar keine andere Möglichkeit bleibt, als immer nur dasselbe Thema zu variieren, aus immer neuen Anlässen die gleiche Reflexion zu vollziehen: über die Natur des Ich und seine Bildung. Das zeigt sich deutlich in dem Beitrag Wolfgang Fischers im genannten Sammelband über außerschulische Bildung. Nach einer Erörterung dessen, was
das Wesen der Bildung
ausmache, nämlich die Verbindung von Wissen und Haltung, gipfelt die Untersuchung in der folgenden Konsequenz:
Unser Dienst in den Jugendheimen, in den Jugendgemeinschaftswerken, in
Häusern der Offenen Tür
und wo immer wir ihn verrichten und verrichten werden, darf nicht bloß als eine fürsorgerisch-betreuende Maßnahme, darf nicht bloß als soziale
Antwort auf einen gesellschaftlich bedingten Notstand
begriffen werden, sondern muß in der Hauptsache Bildung der uns anvertrauten jungen Menschen sein
(S. 181)
. Nun – so vernünftig eine solche Forderung sein mag, neu ist sie nicht; Gertrud Bäumer hat sie schon bei den Beratungen zum Reichsjugendwohlfahrtsgesetz am Anfang der zwanziger Jahre formuliert, und in der Jugendarbeit ist sie schon seit langem ein nahezu von allen Beteiligten akzeptierter Bestandteil ihres Selbstverständnisses. Es ist fraglich, ob es für solche Resultate der wissenschaftlichen Reflexion des ganzen spekulativen Aufwandes einer
Sollenswissenschaft
bedarf.
[026:11] Diese Folgerung jedoch ist noch harmlos im Vergleich zu einer anderen, die Fischer im Hinblick auf die politische Bildung zieht. Aus dem Wesen der Bildung ergebe sich, so sagt er, daß der junge Mensch befähigt werden müsse, die politisch rele|a 211|vante Wirklichkeit
gültig zu bewerten
. Sonst gehe es ihm
nicht um die Durchsetzung des Guten, sondern seiner undefinierten Interessen im politischen Raume
(S. 176)
. Sollten solche Sätze wirklich die notwendige Konsequenz dieser Konzeption von Erziehungswissenschaft sein, dann wäre es in der Tat an der Zeit, vielleicht doch ein wenig Empirie zu empfehlen. Die Ähnlichkeit mit dem CDU-Konzept von der
Formierten Gesellschaft
ist allzu verdächtig groß. Mit der affektiv anmutenden Abwehr politischer Interessen sind Bestandteile unserer politischen Realität – offenbar nach Maßgabe
gültiger Bewertung
– derart vom Tisch gefegt, daß der Leser den Eindruck hat, hier werde die passende pädagogische Ideologie zum anwachsenden Autoritarismus in unserer Gesellschaft geliefert.
[026:12] Indessen kann man gewiß nicht sagen, daß diejenigen, die sich empirischer Forschung verschreiben, vor solchen Entgleisungen prinzipiell geschützt seien. Auch beginnt der Streit zwischen den beiden hier skizzierten Richtungen in der Erziehungswissenschaft gerade erst das Stadium einer rationalen Diskussion zu erreichen. Und schließlich handelt es sich in der deutschen Erziehungswissenschaft nicht nur um diese beiden, sondern mindestens um fünf verschiedene Konzeptionen. Ungeachtet solcher Differenzen aber findet die Diskussion zwischen den verschiedenen Richtungen angesichts konkret-aktueller Probleme durchaus schon statt – wie die Diskussion um eine Theorie der Jugendarbeit hat zeigen können.

Ein Ansatz zu kooperativer Diskussion

[026:13] Unabhängig von derart aktueller Problematik macht sich Diskussion – wenn nicht schon Kooperation – in einem Bereich erziehungswissenschaftlichen Interesses bemerkbar, den man gewöhnlich mit dem Ausdruck
pädagogische Anthropologie
bezeichnet. Es hat sich in den letzten Jahrzehnten gezeigt, daß die pädagogische Theorie dünn oder streckenweise sogar leer bleibt, wenn sie nicht ihr Wissen über den Menschen, besonders den jungen Menschen, entschieden zu bereichern versucht. Die innerpädagogische Erfahrung und die pure Reflexion reichen offenbar nicht mehr aus, wenn man sowohl auf einen Erkenntnisfortschritt als auch auf praktische Relevanz der wissenschaftlichen Sätze Wert legt. In ihrer Wissenschaftskonzeption so unterschiedliche Autoren wie Otto-Friedrich Bollnow, Wolfgang Brezinka, Andreas Flitner, Hans-Hermann Groothoff, Werner Loch, Heinrich Roth stellen ihre Fragen in dieser Richtung: Was ist über den Menschen zu wissen wichtig unter dem Aspekt seiner Bildung?
[026:14] Solches Wissen wird auf die Kenntnisnahme dessen, was insbesondere die empirischen Wissenschaften – vor allem also Medizin, Psychologie und Soziologie – zur Beantwortung der Frage beizutragen haben, kaum verzichten können. Einen solchen Ansatz zur kooperativen Diskussion hat Andreas Flitner vorgelegt mit seinem Sammelband
Wege zur pädagogischen Anthropologie
, in dem die verschiedenen am Problem interessierten Disziplinen zur Sprache kommen; also Biologie, Medizin, Psychologie, Soziologie, Philosophie und Theologie. Es charakterisiert die eigentümliche Problematik des erziehungswissenschaftlichen Beitrages zur anthropologischen Frage, wenn der letzte Aufsatz in diesem Band vom Herausgeber selbst
Die pädagogische Anthropologie inmitten der Wissenschaften vom |a 212|Menschen
überschrieben ist. Das Unternehmen – auch diese Aufsatzsammlung zeigt das – steckt aber durchaus noch in einem nur programmatischen Zustand. So existiert zum Beispiel nicht einmal eine pädagogische Theorie des Jugendalters, die wenigstens in Ansätzen die hier gemeinte wissenschaftliche Zusammenarbeit realisiert. Die Provokation durch die soziologischen Theorien der Jugend von Eisenstadt, Schelsky, Tenbruck und v. Friedeburg traf die Erziehungswissenschaft nahezu unvorbereitet. Es wird sich zeigen, ob diese Herausforderungen bei uns einen fruchtbaren Effekt machen oder ob wir – die Erziehungswissenschaftler – uns weiterhin mit Fußnoten begnügen müssen.
[026:15] Was also ist Erziehungswissenschaft? Wie man sieht, ist die Frage so einfach nicht zu beantworten, jedenfalls nicht am Beispiel einiger weniger Publikationen. Freilich könnte ich meine eigene Konzeption vortragen. Das aber ist nicht der Sinn dieses kleinen Beitrages. Hermann Röhrs hat versucht, die Frage wenigstens dadurch einer Beantwortung näherzubringen, daß er die Diskussionslage in einer Zusammenstellung exemplarischer Texte präsentierte. Jedenfalls war das seine Absicht mit dem Band
Erziehungswissenschaft und Erziehungswirklichkeit
, in dem erziehungswissenschaftliche Autoren der letzten vierzig Jahre vertreten sind. Repräsentativ aber kann die Sammlung kaum genannt werden, und auch die gegenwärtige wissenschaftstheoretische Problematik spiegelt sich hier kaum nach ihrem letzten Stand. Allerdings vermag der Band auf den unbefriedigenden Zustand unserer Wissenschaft mit Nachdruck hinzuweisen, sei es im Hinblick auf ihre
wissenschaftstheoretische Grundlegung
, auf ihr
Selbstverständnis
, auf ihre
Methode
, auf ihre
Forschungsrichtungen
oder wie die Abschnitte des Sammelbandes sonst überschrieben sind. Läßt man sich durch solche Schlüssellochguckerei in die Werkstatt der Erziehungswissenschaft nicht entmutigen, dann könnte auch dies als eine Provokation der Erziehungswissenschaft – hier aus ihren eigenen Reihen – genommen werden, die Veranlassung gibt, endlich alles daranzusetzen, sie in der Reihe sozialwissenschaftlicher Disziplinen als eine Theorie zu etablieren, die nicht nur einem reinen Erkenntnisinteresse dient, sondern auch der Erziehungspraxis dasjenige Wissen zur Verfügung stellt, das sie zur Bewältigung ihrer Probleme braucht.

Literatur

    [026:16] Rudolf Lochner
    Deutsche Erziehungswissenschaft. Prinzipiengeschichte und Grundlegung
    . Verlag Anton Hain, Meisenheim am Glan 1963, 561 Seiten, gebunden DM 49,–
    [026:17] Alfred Petzelt, Wolfgang Fischer, Marian Heitger
    Einführung in die pädagogische Fragestellung. Aufsätze zur Theorie der Bildung
    . Teil I, herausgegeben von Wolfgang Fischer. Lambertus Verlag, Freiburg/Breisgau 1961, 193 Seiten, kartoniert DM 14,80
    [026:18] Alfred Petzelt, Wolfgang Fischer, Marian Heitger, Rudolf Hülshoff, Karl Gerhard Pöppel, Ommo Grupe
    Einführung in die pädagogische Fragestellung. Aufsätze zur Theorie der Bildung
    . Teil II, herausgegeben von Wolfgang Fischer. Lambertus Verlag, Freiburg/Breisgau 1963, 199 Seiten, kartoniert DM 18,40
    [026:19]
    Wege zur pädagogischen Anthropologie. Versuch einer Zusammenarbeit der Wissenschaften vom Menschen
    , von Andreas Flitner in Verbindung mit Theodor Ballauff, Paul Christian, Ralf Dahrendorf, Klaus Giel, Friedrich Kümmel, Wenzel Lohff, Hans Thomae. Verlag Quelle und Meyer, Heidelberg 1963, 274 Seiten, Leinen DM 20,–
    [026:20]
    Erziehungswissenschaft und Erziehungswirklichkeit
    . Herausgegeben von Hermann Röhrs. Akademische Verlagsgesellschaft, Frankfurt 1964, 465 Seiten, Paperback DM 14,80