Podiumsdiskussion
“Die Rolle des Sozialarbeiters in der künftigen
Gesellschaft”
am 21. Mai 1968
– gekürzter Text –
Leitung: | Prof. Dr. Klaus Mollenhauer |
Teilnehmer: |
, Oberstudiendirektor
des
Dr. , Leiterin des , Wiesbaden
, Dozent am
Dr. , Leitender
Sozialdirektor beim Senator für Familie, Jugend und Sport,
Berlin
, Bezirksjugendpfleger,
Berlin
, Studierender,
Düsseldorf
|
Unser Diskussionsangebot umfaßt fünf Problemkreise:
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1.[V25:3] Der politische Ort bzw. der politische Aspekt der Rolle des Sozialarbeiters.
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2.[V25:4] Sozialarbeit und die Tatsache der Unterprivilegierung ihrer Klienten.
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3.[V25:5] Ist das Postulat der Solidarisierung mit den Klienten identisch mit dem methodischen Postulat, für den Klienten Verständnis aufzubringen?
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4.[V25:6] Wie steht es mit der aufklärenden Funktion der Sozialarbeit im Hinblick auf den Klienten?
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5.[V25:7] Wie sieht die Rollenproblematik der Sozialarbeit aus angesichts des Loyalitätskonfliktes, in dem jeder Sozialarbeiter steht?
Ich unterstütze die Meinung von Herrn Mollenhauer, daß die Institution Sozialarbeit ihrem Wesen nach unpolitisch ist. Dabei beinhaltet für mich der Begriff des Politischen das auf strukturelle Veränderungen der Gesellschaft Gerichtetsein. Das ist Sozialarbeit nicht. Das war sie nicht und das ist sie heute nicht. Sie war in ihrer ganzen historischen Entwicklung gerichtet auf Harmonisierung einer vorgegebenen, akzeptierten Gesellschaft, auf Integration einzelner oder kleinerer Gruppen |a 15|in eine vorgegebene und bestehende Gesellschaft. Soweit besteht wahrscheinlich kein Widerspruch. [V25:11] Jede etablierte Gesellschaft, unabhängig von ihrem politischen System, unabhängig von ihrem ökonomischen System, unabhängig von ihrer Rechtsordnung, braucht eine Institution, die Hilfen anbietet, um einzelne oder Gruppen in diese jeweilige Gesellschaft zu integrieren. Jede Gesellschaft braucht eine Institution Sozialarbeit. Das Problem liegt deswegen wahrscheinlich woanders. [V25:12] Jede Gesellschaft muß sich gleichzeitig als dynamisch, dauerhaft, auf Veränderung gerichtet verstehen. Nur das Mittel, um das zu erreichen, ist Sozialarbeit nicht. Vielmehr ist es die politische Auseinandersetzung mit Machtgruppen. Gerade das ist der Sozialarbeit fremd. Der Ausweg ist, daß der einzelne Sozialarbeiter – aber nicht als Sozialarbeiter, sondern als politischer Bürger – an der strukturellen Veränderung dieser Gesellschaft mitarbeiten muß. Wer die Institution Sozialarbeit romantisieren will, verschleiert das Problem.
In unserer Arbeitsgruppe 5 ist die Meinung etwas weiter gegangen, als sie hier von Herrn dargestellt worden ist. Es wurde in unserer Gruppe sehr stark betont, daß der Sozialarbeiter im Grunde auch die Funktion hat, den Gruppen oder den einzelnen, mit denen er arbeitet, die sozialen Konflikte bewußt zu machen. Man sagte, der Sozialarbeiter solle sich aber nicht nun etwa an die Spitze von Aktionen setzen.
Eine Rückfrage an Herrn : Könnten Sie erklären, was Sie unter
Sehr konkret: daß man durch Aufklärung und durch Ansprechen des Intellekts und durch Erziehung alleine die Gesellschaft verändern könnte.
Ich möchte eine Gegenposition beziehen und davon ausgehen, daß Sozialarbeit auf Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft begründet sein muß. Ich kann mir nicht vorstellen, daß ein Sozialarbeiter integrierend wirken kann, wenn er in dieser Funktion unglaubwürdig wird. Also wenn er etwa Prinzipien vertritt, die mit dem Ziel der Integration nicht vereinbar sind bzw. wenn er integrierend in eine Gesellschaft wirken soll, die durchaus nicht seiner Position entspricht. [V25:17] Genau aus diesem Konflikt heraus ging die Entwicklung in der amerikanischen Sozialarbeit zur direkten Aktion. Einige amerikanische Sozialarbeiter sind Organisatoren sozialer Aktionen, beispielsweise des
Herr , Sie sagen, politische Veränderung geschieht durch die dafür in dieser Gesellschaft vorgesehenen Institutionen; es wäre eine Selbstüberschätzung, wenn der Sozialarbeiter glaubte, das in die eigenen Hände nehmen zu können; und Sie sagen andererseits, daß die einzige Form der politischen Wirksamkeit des Sozialarbeiters darin besteht, als Bürger zu wirken, der natürlich diejenigen Möglichkeiten hat, die jeder andere Bürger auch hat. Damit wäre eigentlich meine These auf der ganzen Linie abgewiesen, wonach die politische Dimension notwendig zur Berufsrolle des Sozialarbeiters gehört.
Herr , würde Ihre Aussage bedeuten, daß jemand, der Sozialarbeit leistet, darüber hinaus nicht besonders politisch engagiert und interessiert ist, kein Sozialarbeiter ist? Das müßte ja doch, wenn es ein unver|a 16|zichtbarer Bestandteil der Sozialarbeit ist, politische Veränderungen anzustreben, die Konsequenz sein.
Zum Merkmal des Sozialarbeiterberufes gehört politisches Engagement. Ich würde also bestreiten, daß man Sozialarbeit unpolitisch leisten kann. Womit ich nicht behaupten will, daß alle Sozialarbeiter gleichmäßig oder gleichartig politisch orientiert sein müssen. Sozialarbeit politisch leisten heißt zunächst einmal, daß der Sozialarbeiter klar einen politischen Standpunkt erkennen läßt. Ich stimme insofern nicht den Thesen des Case-Work zu, wonach der Sozialarbeiter wertfrei den Klienten gegenübertreten muß und sich nicht durch Werthaltungen belasten darf. Ich meine, der Klient sollte wissen, mit wem er es zu tun hat. Der Sozialarbeiter sollte auch seine gesellschaftliche Konzeption erkennen lassen und glaubwürdig dadurch sein, daß er als politisch Aktiver in Erscheinung tritt. So gesehen fühle ich mich mit Professor Mollenhauer darin übereinstimmend, daß sich der Sozialarbeiter als politische Person begreifen muß. Ich würde wohl abweichen, wenn er sich in seiner Tätigkeit verwechseln würde mit der eines in der aktiven politischen Arbeit, also etwa als Parteipolitiker, stehenden Menschen.
Herr , darf ich Sie einmal direkt ansprechen? In der Studentenschaft verbreitet sich zunehmend die Forderung nach der Politisierung der Studentenschaft und der Politisierung der einzelnen wissenschaftlichen Fächer. Ist das ein universaler Anspruch, der da gestellt wird? Und meint er, daß es überhaupt keine Positionen dieser Gesellschaft geben dürfe oder geben könne, die sich unpolitisch versteht, und daß gerade ein wesentlicher Ausbildungszweck die Herausarbeitung dieser ja berufs- und fachspezifischen oder rollenspezifischen politischen Dimension zu sein habe?
Ja, das ist weitgehend die Meinung des aktiveren Teils der Studentenschaft. Unser altes Schulsystem zu ändern und zwar im Rahmen der Akademisierung unserer Sozialschulen, ist unsere Forderung wie auch die, daß beispielsweise das oberste Organ einer künftigen Akademie paritätisch mit Dozenten und Studenten besetzt wird, daß die Studenten auf diesem Wege ein Mandat ausüben, daß es ihnen ermöglicht, den Studiengang an einer künftigen Akademie zu beeinflussen. Hand in Hand damit ist aber gleichzeitig nicht nur die bildungspolitische Orientierung gegangen, sondern die allgemein-politische Orientierung, und zwar insbesondere in der sozialistischen Richtung. Ein wesentlicher Teil unserer Studentenschaft, und zwar der aktivste Teil, ist der Meinung, daß eben dieses politische Mandat sich auf alle Lebensbereiche erstreckt. Im Zusammenhang mit der Sozialarbeit sind wir der Meinung, daß wir unglaubwürdig werden, wenn wir immer nur an den Symptomen unserer Klienten
Ich muß fürchten, daß wir nicht dem Klienten in der praktischen Sozialarbeit klarmachen, Opfer der kapitalistischen Gesellschaft zu sein, auf daß er doch mit uns besorgt sein müsse, diese kapitalistische Gesellschaft zu überwinden. Wir gehen eigentlich ganz anders vor: wir machen nicht den Klienten zum Gegenstand unserer Kultur- oder Gesellschaftskritik. Diese Gesellschaftskritik versuchen wir, wenn wir politisch daran interessiert sind, außerhalb unserer beruflichen Praxis zu etablieren. [V25:24] Sie sollten mir jetzt erlauben, etwas konkreter zu werden, denn sonst besteht die Gefahr, daß wir über die Sozialarbeit in einem sehr hohen und elitären Sinn reden. Da ist beispielsweise eine Familienfürsorgerin, die spricht mit einer Frau, die sich entschlossen hat, sich scheiden zu lassen. Nun hat sie verschiedene Möglichkeiten, sich an diesen Fall heranzubegeben. Sie könnte die Problemlage in dieser Familie analysieren, sie könnte überlegen, was es für die Kinder bedeuten würde oder wieviel Chancen der Resozialisierung der zwischenmenschlichen Beziehung zwischen Mann und Frau noch gegeben sind. Sie könnte vielleicht sogar zu dem Schluß kommen, ich muß dieser Frau zur Scheidung raten, weil die Zukunft der Kinder in der geschiedenen Ehe gesicherter erscheint als in der permanent in der Krise befindlichen Ehe. Das wäre die fachliche Entscheidung. Nun könnte es aber auch sein, daß diese Familienfürsorgerin aus irgendwelchen Gründen etwa prinzipiell gegen die Scheidung ist. Sofort ist das ein ganz anderes Problem. Es könnte sein, daß ihr das bewußt ist, es könnte aber auch sein, daß ihr dies nicht bewußt ist. Nun passiert die mögliche Verfälschung, daß ihre ganzen empirischen Analysen, die sie trifft über den Zustand der Familie und ihre bestimmten Überlegungen über die mögliche Entwicklung, also das, was wir als Prognose bezeichnen, unbewußt eben doch tangiert werden von ihrer grundsätzlichen poli|a 17|tisch-weltanschaulichen Einstellung zur Frage der Scheidung. [V25:25] Aus diesem Beispiel lernen wir zumindest, wie wichtig es für den Sozialarbeiter ist, seine politische Meinung selber einmal zu kennen. Ein anderes Beispiel wäre die Frage der Trinkerfürsorge. Daß jemand
Könnten wir dieses Beispiel noch etwas weiter vertiefen, besonders das Scheidungsbeispiel? Sie haben so getan, als liefe es also auf den Pluralismus hinaus, als sei der Rat, den der Sozialarbeiter nun erteilt, abhängig von seiner eigenen politischen Position. Sie haben aber genau denjenigen Fall beschrieben, in dem die eigene politisch relevante Überzeugung, z. B. von der Aufrechterhaltung einer bestimmten Form von Eheinstitut, dem Interesse des Klienten widerspricht, denn genau so lautete Ihre Analyse. Ist das nicht das unmittelbar politische Problem?
Ich würde meinen, in diesem Falle kommt es doch wohl auch etwas auf den Klienten an. Ich könnte mir vorstellen, daß eine katholische Frau der Auffassung der Kirche von der Unauflöslichkeit der Ehe so fest verhaftet ist, daß sie selbst, wenn objektiv alles für eine Ehescheidung spricht, wahrscheinlich eine solche Entscheidung gar nicht durchhalten kann. Während man bei einer anderen katholischen Frau, selbst wenn sie unter dem traditionellen Zwang steht, daß man eine Ehe durchzuhalten hat, einen Schritt weitergehen könnte, wenn man das Gefühl hat, daß sie stark genug ist, sich gegen diese Tradition zu wenden. Ich meine die Frage, ob man anpaßt oder kulturkritisch beeinflußt, ist auch eine Frage des Klienten.
Treffe ich meine Entscheidungen auf Grund der an mich herangetragenen Kriterien des Klienten, wozu auch seine religiöse Einstellung gehört, oder treffe ich meine Entscheidung eigentlich allein aus meiner Person, also ist es letztlich eine ich-bezogene Entscheidung vom Sozialarbeiter, z. B. aus seiner ganz profilierten politischen Haltung? Das sind die Fragen.
Ich wollte vom Fall weg, aber am Problem bleiben. Und zwar deshalb vom Fall weg, weil zwar Familie und Ehe sowie das Institut der Ehescheidung gesellschaftlich sehr relevante Probleme sind, aber an ihnen läßt sich die Unterscheidung von politischem Handeln und Sozialarbeit weniger deutlich machen als z. B. am Problemkreis
Wir setzen ja die Beispiele fort, und Sie werden mir erlauben, daß ich ein Beispiel nehme aus dem Bereich der Jugendpflege, das aber deutlich machen soll, was ich mit Glaubwürdigkeit des Sozialarbeiters meine. Da kommt also eine Gruppe von jungen Leuten, die in ihrer Schule eine Schülerzeitung herausgeben, zu dem zuständigen Jugendpfleger und teilen ihm mit, das Lehrerkollegium |a 18|und vor allem der Rektor ihrer Schule hätten ihnen verboten, weiter diese Schülerzeitung herauszugeben mit der Begründung, diese Zeitung sei politisch einseitig. Sie kommen zu dem Jugendpfleger, um ihn einmal bei dem zu greifen, was Jugendpfleger als demokratische Prinzipien vertreten, und wollen von ihm wissen, wie sie sich verhalten sollen, ja, um eigentlich von ihm Hilfestellung zu verlangen. Wenn der Jugendpfleger sich jetzt nicht entschieden äußert – denn es handelt sich ja immerhin um das Nachbardezernat
Im Augenblick können wir zwei Aspekte des Problems deutlich auseinanderhalten. Den einen Aspekt hat Herr gerade charakterisiert: es dreht sich darum, daß der Sozialarbeiter in einem politisch profilierten Streit eine Rolle spielt, in diesem Fall in einem Streit zwischen verschiedenen politischen Richtungen von Schülerzeitungen innerhalb einer Schule. Das ist aber ein anderes Problem als jenes, das Herr gemeint hat und das wir mit dem Ehescheidungsbeispiel angesprochen haben: [V25:34] Hier dreht es sich darum, daß der Sozialarbeiter es mit Sachverhalten zu tun hat, die nicht für sich selbst schon politisch formuliert sind, die aber politisch relevante Informationen enthalten. Die Informationen, die der Sozialarbeiter beständig über das Wohnungsproblem in einer Gesellschaft wie der unseren erhält, sind politisch relevante Informationen. Wie er diese verarbeitet und welche Konsequenzen er daraus zieht, sollten wir von dem ersten Problem unterscheiden.
Nur ein Satz zum Problem dazu, um es ganz deutlich zu sagen: Die Beseitigung der bei uns herrschenden kapitalistischen Eigentumsordnung ist nicht Aufgabe des Jugendamtes und kann es auch nicht sein.
Der Fall von ist eine Sache, die m. E. vollkommen klar ist: Wenn der Jugendpfleger seinem Auftrag gemäß handelt, dann müßte er diese Dinge, die an anderer Stelle falsch gesehen und erledigt werden, versuchen zu klären. In dem anderen Fall mit dem
Darf ich das auf eine Formel bringen? Vielleicht sehr zugespitzt: Ich denke, die Aufgabe im Ehescheidungsfall besteht darin, daß der Klient lernt, daß nicht nur die Ehe, sondern auch die Ehescheidung eine soziale Institution ist.
Was hat er davon, wenn er das gelernt hat?
Z. B. daß er sich leichter aus seiner Vorstellungswelt emanzipieren kann, die vielleicht bisher seinem eigenen glücklichen Dasein und dem seiner Angehörigen hinderlich entgegenstand.
Da der Sozialarbeiter ja nicht für einen anderen Probleme lösen kann, das war |a 19|wahrscheinlich ein falscher Zungenschlag, muß er ihm die Konfliktlage bewußt machen und dann die Möglichkeit geben, nach seinen Kräften einen Ausweg zu finden. Der Sozialarbeiter kann nicht sagen: du bist so und so und du mußt den und den Weg gehen. Er kann ihm nur die Situation deutlich machen, in der er ist und ihm damit helfen, von sich aus eine Entscheidung zu treffen.
Hier muß man aber doch unterscheiden, was Orientierungspunkt für die Lektion ist. Ist es die Situation des einzelnen, würde ich das ohne weiteres akzeptieren, denn die soll der Betroffene abzuschätzen lernen. Wenn der Orientierungspunkt aber die Situation der Gesellschaft ist, die man verändern will, dann hätte ich doch Bedenken. Dem einzelnen seine Situation deutlich zu machen, damit er sein Problem lösen kann, das ist durchaus ein legitimer Auftrag, ist die Pflicht des Sozialarbeiters. Aber hier am Einzelfall als Hebel anzusetzen, die Gesellschaft zu verändern, u. U. auf Kosten dieses Einzelfalles, da habe ich Bedenken.
Ich bin der Meinung, daß man dem Klienten natürlich alle Möglichkeiten geben sollte oder ihm alle Möglichkeiten aufzeigen sollte, wie er sich in die nun leider ja einmal bestehende bürgerliche Gesellschaft wieder einigermaßen eingliedern kann. Aber ich bin auf der anderen Seite auch der Meinung, daß man den Klienten befähigen sollte, sich bewußt zu machen, daß das eigentlich nur eine Symptombehandlung ist, daß die Ursachen seines Unterprivilegiertseins ja letzten Endes in dieser Gesellschaftsordnung liegen. Da muß die politische Bildung des einzelnen ansetzen, um von daher auch die Gesellschaft, auf längere Sicht natürlich, zu verändern.
Ich glaube, damit sind wir ja sehr hart an der These, jede fürsorgerische Hilfe sei gleichzeitig ein Akt der politischen Bildung. Das kann man so ansehen, aber ich muß sagen, der Klient interessiert sich zunächst dafür ganz wenig. Er hat bestimmte Probleme, mit denen er nicht fertig wird. Er braucht bestimmte Hilfe, vielleicht nur einen Rat, vielleicht auch das Bewußtmachen, was es bedeutet, wie die Gesellschaft wohl reagieren wird, wenn es sich herausstellt, daß die Frau inzwischen geschieden ist. All das muß er vorher wissen, damit der Klient wirklich weiß, wozu er sich jetzt entschließt und was durch seinen Entschluß schließlich als Folge notwendigerweise eintritt oder eintreten kann. [V25:44] Also wenn wir jetzt über das Politische sprechen, dann ist es natürlich etwas anderes, ob wir darüber sprechen, ob diese kapitalistische Gesellschaft richtig ist und ob man sie überwinden kann, oder ob man das Politische reduziert auf das sehr persönliche Problem dieses oder jenes einzelnen Klienten, dem es im Augenblick uninteressant ist, ob die kapitalistische Gesellschaft so oder so ist. Er hat jetzt bestimmte Schwierigkeiten, er ist tuberkulös geworden und steht jetzt vor der Frage, muß ich lange aus meinem Arbeitsprozeß ausscheiden? Was wird geschehen, kriege ich meinen Arbeitsplatz wieder? Werde ich überhaupt je wieder voll in diesen Arbeitsplatz integriert? Was sagt meine Frau? Es gibt auch sexuelle Probleme für jemand, der langfristig in einem Krankenhaus liegen muß. Das sind seine Probleme. Im Augenblick sind seine Probleme nicht das Funktionieren oder der Bestand der kapitalistischen Gesellschaft. Und wenn man ihm auch sagt:
Individuelle Hilfen in bestimmten Notsituationen wird es sicher immer und in jeder Gesellschaftsordnung geben, wobei der Sozialarbeiter – allerdings nicht losgelöst von einem gesellschaftlichen Standpunkt – bestimmte Aufträge zu erfüllen hat. Immerhin gibt es doch eine ganze Reihe von Sozialarbeitern, die sich nur als solche Nothelfer in individuellen Einzelfällen begreifen. Ein solches Selbstverständnis wäre absolut unzureichend. Es ist also hier sowohl das eine als das andere notwendig. Aber immerhin möchte ich doch auf eines hinweisen, wie gefährlich es mir erscheint, wenn man den gesellschaftspolitischen Bezug ausklammert; das scheint mir deutlich zu werden in dem, was in den Bewegungen der jungen Leute von heute deutlich wird. Da konstituiert sich doch ein kulturelles Unbehagen, ein Unbehagen an den kulturellen Grundlagen unseres gesellschaftlichen Lebens. Hier muß der Sozialarbeiter, Herr Professor Mollenhauer hat das glaube ich
Für mich stellt sich die Crux so dar, daß der politisch bewußte Sozialarbeiter permanent in einem Loyalitäts- und Rollenkonflikt steht. Er ist einmal Vertreter der Ordnung dieser Gesellschaft, und er ist zum anderen als politisch bewußter Mensch daran interessiert, diese Gesellschaft zu verändern. Aus diesem Rollen- und Loyalitätskonflikt begegnen uns zwei gleichermaßen ungute Verhaltensweisen: entweder die Flucht aus der politischen Verantwortung und die
Ist es eigentlich ein Einwand, daß dies keine etablierte Methode ist? Die Frage ist doch, ob den Leuten geholfen wird?
Politische Agitation und politische Aktion helfen sicher, Veränderungen der Gesellschaft herbeizuführen.
In diesem Fall war die These, daß es den einzelnen hilft, weil sie nämlich aus ihrer gleichsam kriminellen Sphäre herauskommen und ihre Kriminalität, die eine Aggressivität mit falschen Objekten war, zum Verschwinden bringen konnten dadurch, daß sinnvolle, realistische, vernünftige Objekte an die Stelle traten.
Das Problem, das das Referat von Klaus Mollenhauer gestellt hat, und auch die Ausführungen von gingen etwas weiter. hat eben gesagt, die Leistung nur individueller Hilfe als Selbstverständnis des Berufes wäre unzureichend, individuelle Probleme sind gesellschaftsbezogen. Dem Zweiten würde ich ohne weiteres zustimmen. Die Konsequenz aus der ersten Behauptung wäre aber, daß das gesellschaftsbezogene politische Wirken keine Möglichkeit, sondern eine Verpflichtung des Sozialarbeiters wäre. Da habe ich die ganz konkrete Frage: müssen wir feststellen, bevor jemand in die Ausbildung zum Sozialarbeiter kommt oder eine Anstellung als Sozialarbeiter findet, ob er auch politisch engagiert ist? Kann er ohne dieses politische Engagement – und nur an der individuellen Hilfe interessiert – auch Sozialarbeiter sein? Falls diese letzte Frage verneint wird, was wird dann eigentlich aus dem Beruf, denn dann müßten wir eine Elite bilden. Es ist auch zu fragen, was aus der Freiheit der Berufswahl wird.
Ich kann mir den so völlig unpolitischen Sozialarbeiter wirklich nicht vorstellen. Aber es ist doch ein Unterschied, ob er jetzt politisch engagiert ist im gesellschaftlichen Raum, oder ob er jemand ist, der nur seinen Beruf ausüben will. Aber in diesem Beruf, der an Menschen in einer bestimmten Umgebung, in einer Umwelt, in einer bestimmten Subkultur und Kultur arbeitet, kann niemand so ganz unpolitisch sein im Sinne eines Nichtreflektierens gesellschaftlicher Umstände, gesellschaftlicher Wirkungen, auch gesellschaftlicher Notstände. Wenn wir schon von Not sprechen, liegt doch darin bereits die Kritik an gesellschaftlichen Umständen und das Überlegen, wie man Not überwinden kann, d. h. wie man gesellschaftliche Veränderungen erreichen kann. Ich muß allerdings Herrn recht geben, daß ich auch Sozialarbeiter kenne, die offensichtlich weder politisch informiert noch interessiert sind. Aber das scheint mir mehr die Pathologie des Berufes zu sein. [V25:53] Ich möchte also nur dem eine Chance in diesem Beruf lassen, der neben seinen beruflichen Leistungen noch politische Arbeit in irgendeiner Weise betreibt. Denn in seinem Beruf steht er immer vor Ermessensentscheidungen, in denen nicht nur empirische Daten zur Wirkung kommen, nicht nur Informationen und Wissen, was er hat, sondern doch auch eine bestimmte Grundlage, die man als politisch bezeichnen kann. Ob er schließlich dies oder jenes tut, ob er auch in seinem Amt bestimmte Dinge anspricht und beklagt, das ist doch eine Sache, wo Politisches wirkt.
Herr , wir unterscheiden uns in der Auffassung von Politik. Ich sehe Politik als Gestaltung der gesellschaftlichen Dinge. Das, was Sie vom Sozialarbeiter fordern, würde ich einordnen unter
Unser Gespräch zeigt, wie schwierig es ist, wenn man mit unscharfen Begriffen operiert. Wie sich gerade jetzt zeigt, sind also verschiedene Begriffe von Politik, von politischem Handeln und von Politisierung im Spiel. Wir sollten zunächst ausscheiden, was sicherlich niemand hier meint: [V25:56] Vorhin wurde aus dem Saal darauf hingewiesen, daß es unsinnig sei, den Klienten politisieren zu wollen, und diese Bemerkung fand viel Beifall. Ich glaube, sie hätte auch den Beifall des Podiums ohne Ausnahme gefunden, denn freilich hat – wie ich denke – niemand gemeint, daß es zur politischen Rolle oder zum politischen Aspekt der Berufsrolle des Sozialarbeiters gehöre, die Klienten zu politisieren. [V25:57] Es bleibt die Bestimmung dessen, was danach als
Ich nehme an, daß es vielen von Ihnen gestern bei dem Vortrag von Herrn Mollenhauer so gegangen ist, daß in dem Augenblick, als er von den Unterprivilegierten sprach, mit denen es die Sozialarbeit zu tun habe, ein gewisser Widerstand auftauchte, weil wir ja wissen, daß wir es heute keineswegs nur mit bestimmten sozialen Schichten zu tun haben, sondern daß Sozialarbeit heute eigentlich in alle Schichten hineingeht. Ich glaube, das war ein Mißverständnis, das in unserer Arbeitsgruppe 5 angesprochen wurde.
Wenn ich von der Jugendfürsorge ausgehe, so können wir in die feudalsten Schülerinternate gehen und finden, daß wir hier reihenweise Klienten der Sozialarbeit haben. In der Erziehungsberatung wird man heute am stärksten diejenigen Gruppen vertreten finden, die nicht zu den unterprivilegierten Schichten gehören.
Sicher ist die Erziehungsberatung das schlagendste Gegenargument gegen mich. Die Erziehungsberatung ist die einzige mir bekannte Institution der Sozialarbeit, über die überhaupt Unterlagen vorliegen, bei der sich zeigen läßt, daß Fälle der Erziehungsberatung sich relativ gleichmäßig über alle sozialen Schichten verteilen. Meine These ist, daß in sämtlichen anderen Bereichen, wo uns überhaupt statistische Unterlagen zur Verfügung stehen, die unteren Schichten erheblich überrepräsentiert sind.
Ich glaube, man muß es noch etwas differenzierter sehen. Es gibt andere Institutionen, wo wir erstaunt sind, daß eigentlich eine Zuordnung zu sozialen Schichten oder zu Einkommensverhältnissen gar nicht mehr zu |a 22|finden ist, z. B. bestimmte heilpädagogische Einrichtungen. Das liegt aber daran, daß auf diesen Gebieten den vermögenden Klienten keine anderen Institutionen angeboten werden. Plötzlich sind sie also in den Einrichtungen der Sozialarbeit. Aber überall dort, wo es noch Alternativen für jenen gibt, der mehr Geld hat, wird man diese Institutionen in der Regel bevorzugen, und so ist die faktische Wirklichkeit auf das Ganze gesehen in der Tat die, daß wir mehr Klienten aus ärmeren Schichten haben als aus reicheren Schichten. Aber es sagt nichts über die wirkliche Problemlage aus.
Natürlich steigt die
Herr Mollenhauer, wenn ich mich recht erinnere, gingen Sie in Ihrem Referat über diese statistische Aussage noch hinaus und verlangten geradezu als Haltung die Solidarisierung des Sozialarbeiters mit den Unterprivilegierten. So global bin ich nicht bereit, diesen Satz zu unterschreiben.
Meine Formulierung war:
Selbst die Formulierung
Wir haben auch in unserer Arbeitsgruppe etwas Anstoß genommen an der Solidarisierung, weil Herr Mollenhauer diese im Grunde gegen das Verständnis des Sozialarbeiters setzte. Denn wir waren der Meinung, vielleicht haben wir ihn da mißverstanden, daß eben im Grunde der Sozialarbeiter sich nicht solidarisieren sollte, denn wir würden das im gewissen Sinne als Identifikation ansehen und meinen doch, daß man einen Klienten nicht mehr helfen kann, wenn man sich völlig mit ihm identifiziert.
Zu der Frage der Solidarisierung müssen wir auf einen Aspekt Rücksicht nehmen: Sozialarbeit muß noch geleistet werden können, und Sozialarbeit muß noch von Menschen geleistet werden können. Wenn ich also Solidarisierung gegenüberstelle der Schichtenzugehörigkeit des Sozialarbeiters, dann kann ich nur fragen: Wenn man das alles aufheben will und das als Voraussetzung für Sozialarbeit fordert, wer soll dann noch Sozialarbeit in der Praxis leisten? Es muß ja irgendwie geleistet werden, diese Lösung der eigenen Schichtenzugehörigkeit, das Heraustreten aus der eigenen bildungsmäßigen Umgebung bei der Solidarisierung mit dem Klienten, der also Ihren Thesen folgend, einer anderen Schicht angehört.
Hier liegt wieder die gleiche Schwierigkeit zu Grunde, die wir schon bei unserem Politikverständnis hatten. Ich habe Herrn Mollenhauer anders verstanden, er hat in diesem Zusammenhang einmal auf die schichtenspezifischen Lebenschancen hingewiesen, also darauf, daß wir hier es mit einer Schicht zu tun haben, die von der Gesellschaft nicht das erhält, was ihr zusteht, wo also unsere Demokratie nicht voll verwirklicht wird. Der Sozialarbeiter solle sich als Interessenvertreter dieser Schichten, die geringere Lebenschancen in der Gesellschaft erhalten, begreifen, als ein Anwalt dieser Schichten in der Gesellschaft, insofern solidarisieren, und zwar dahingehend, daß die Gesellschaft verändert wird, daß keine |a 23|unterprivilegierten Schichten existieren, sondern jeder die gleiche Chance im Leben erhält, sei es von der Bildung und Ausbildung, sei es von anderen Tatbeständen her. Das scheint mir doch eine sehr akzeptable Forderung an den Sozialarbeiter zu sein, nicht Sozialarbeit als Vertreter einer etablierten Schicht gegenüber den Unterschichten zu verstehen (in diesem Zusammenhang ist vielleicht der Hinweis darauf, daß der Aufstiegsberuf des Sozialarbeiters dazu führen könnte, besonders in die Sphäre des Mittelstandes hineinzudrängen und einer Mittelstandsideologie anzuhängen), sondern sich als ein solidarisches Element einer unitarischen demokratischen Gesellschaft zu begreifen.
Darf ich noch einmal deutlich machen, was gemeint ist? Zur Solidarisierung: Ich kann mich z. B., bezogen auf die zitierte Bande Jugendlicher in den Vereinigten Staaten, mit dieser Bande und ihren Lebensinteressen solidarisieren, die sie selber nur noch nicht angemessen formulieren kann. Der Akt der Solidarisierung bedeutet in diesem Fall, daß ich mich gleichsam, wie es auch in der Einzelfallhilfe formuliert ist, in diese Situation hineinversetze und von ihrem gesellschaftlichen Ort aus zu denken und mit ihnen zu handeln versuche. [V25:75] Zur Unterprivilegierung: Ein sehr eindrucksvolles Beispiel für die vielfältigen Mechanismen solcher Unterprivilegierung ist z. B. die Tatsache der angebotenen Arbeitsmöglichkeiten im Jugendstrafvollzug. Bis zu 80 % der Tätigkeiten, die jugendliche Strafgefangene in Jugendgefängnissen ausüben können, sind nicht nur unterschichtspezifische Tätigkeiten, sondern Tätigkeiten, die der untersten Unterschicht angehören, wie Tütenkleben, Mattenflechten usw. Inwiefern ist diese Tatsache bedeutsam? Sie ist insofern bedeutsam, als wir wissen, daß die Art und Weise der Berufstätigkeit eines Menschen, die Art und Weise, wie und wo er arbeiten muß, auf seine Sozialisation, auf die Entwicklung seiner Persönlichkeit von außerordentlich großem Einfluß ist, und zwar nicht nur auf ihn selbst, sondern auch auf die Art und Weise, wie er z. B. mit seinen eigenen Kindern in der Familie umgeht. Was geschieht also in den Jugendstrafanstalten durch diese Form des Arbeitsangebots? Es wird dort ein bestimmter
Herr , Sie hatten Sozialarbeit verstanden als Ausgleich unterschiedlicher Lebenschancen. Dem würde ich ohne weiteres zustimmen, wenn also Sozialarbeit als Ausgleich für die ohne Sozialarbeit unterschiedlichen Lebenschancen zu verstehen ist. Ich glaube, darauf könnten wir uns alle einigen. Aber ist das dann nicht die von einigen so abgelehnte gesellschaftserhaltende Funktion der Sozialarbeit? Ist das nicht ein Angleichen der Unterprivilegierten an das, was uns mehr oder weniger bewußt als Mittelstand vorschwebt? [V25:78] Und ich muß noch ein anderes sagen und die Ausführungen von Herrn Mollenhauer heute seinen Ausführungen gestern gegenüberstellen. Denn gestern wurde gesagt, Methodik der sozialen Arbeit – etwa Einzelfallhilfe – ist Schutzschild, ist Trick, um Solidarisierung mit den Klienten zu verhindern. Wenn Sie die Solidarisierung so verstehen wollen, seine unterprivilegierten Lebenschancen auszugleichen, dann muß ich sagen, Einzelfallhilfe ist ein Mittel, um diesen Ausgleich herbeizuführen, und nicht ein Mittel, um diesen Ausgleich zu verhindern, nicht ein schmutziger Trick. Ich glaube, da müssen wir ein neues Verständnis der Methodik und auch ein neues, verändertes Verständnis der Solidarisierung anführen.
Wenn Einzelfallhilfe als echte Partnerschaft betrieben wird, dann ist das schon eine Solidaritätskundgebung des Sozialarbeiters gegenüber dem Klienten, und in dem Fall ist Einzelfallhilfe ja wohl auch richtig angewandt. Aber so, wie es heute häufig getrieben wird, ist Einzelfallhilfe doch ein Schutz des Sozialarbeiters vor dem erneuten Absinken in diese Schicht, vor der engen Verbindung mit dieser Schicht, aus der er ja im wesentlichen hervor|a 24|gegangen ist. Auf der anderen Seite ist der Sozialarbeiter ja auch in einer gewissen Zwitterstellung. Er selbst ist ja in seiner Schicht auch unterprivilegiert.
Das bedarf des Beweises, diese Schutzfunktion, das kann man nicht so behaupten.
Das kann ich leider jetzt nicht konkret beweisen. Ich weiß nicht, ob vielleicht jemand in der Lage ist. Das ist eine These.
Ich möchte für den weiteren Verlauf unseres Gesprächs nun vorschlagen, daß das Plenum sich etwas stärker beteiligt. Mein Vorschlag ist, daß Sie provozierende Fragen stellen oder nachträgliche Begründungen verlangen.
Ich habe mich etwas gewundert, daß Solidarisierung und Identifizierung verwechselt werden. Eine Identifikation des Sozialarbeiters mit seinem Klienten würde ja eine Problemübertragung darstellen und damit die Lösung der Konflikte und die Hilfe unmöglich machen. Das geschieht in der Praxis leider noch viel zu oft aus dem Symptom des Mitleids und überlieferter Einstellungen zum Beruf, aber das ist keine professionelle Haltung. Gerade weil wir es sehr stark, wenn nicht überwiegend mit Klienten aus den unterprivilegierten Schichten zu tun haben, die nicht in der Lage sind, ihre eigenen Probleme, Konflikte und Bedürfnisse zu artikulieren, ist es ein Akt der Solidarisierung, daß diese Aufgabe der Artikulierung der Probleme der Sozialarbeiter übernimmt und zwar eine Artikulierung, die diese daraus gewonnenen Informationen einspeist in das System unserer politischen Entscheidungen. Hier spielt natürlich eine Rolle, inwieweit wir nun uns verführen lassen, diese Informationen und damit die Bedürfnisse der Klienten nach unseren eigenen Bedürfnissen zu manipulieren. Daß das nicht geschieht, ist eine Frage der Ausbildung, Fortbildung und der ständigen Selbstkontrolle des Sozialarbeiters, damit diese Ideologisierung und mögliche Manipulierung der Klientengruppen nicht die politisch relevanten Informationen verfälschen.
Der Ausgangspunkt unserer Diskussion sind die Fragen, um was für eine Gesellschaft handelt es sich, in der wir leben, wie und warum wird in ihr Sozialarbeit geleistet und wie müßte sie geleistet werden? [V25:85] Zunächst einmal müssen wir feststellen, daß sich der Wert des Menschen in unserer Gesellschaft nach dem Grad der ökonomischen Verwertbarkeit seiner Leistungen mißt. Unsere Gesellschaft basiert auf dem Profit als dem Motor unserer Wirtschaftsordnung (und die Wirtschaftsordnung setzt die Maßstäbe für die politische Ordnung und nicht umgekehrt). Diese Gesellschaft kann nur funktionieren, wenn eine geringe Anzahl von Menschen schlechthin verfügungsberechtigt ist. Das bedingt aber im Umkehrschluß: die überwiegende Mehrheit der Mitglieder dieser Gesellschaft wird aus der Verfügungsberechtigung über die Wahrnehmung ihrer Lebensinteressen ausgeschlossen. Deshalb besteht auch die Notwendigkeit zur Anpassung, was wiederum im Umkehrschluß heißt: es muß verhindert werden, daß sich die Masse der Bevölkerung in dem Sinne emanzipiert, daß sie an den grundlegenden Entscheidungen, die sie selbst betreffen, mitwirken kann. [V25:86] Die Methoden der Sozialarbeit sind teilweise akzeptabel, insofern durch ihre Anwendung erreicht wird, daß Klienten zu einer Selbständigkeit geführt und in die Lage versetzt werden, über grundlegende und sie selbst betreffende Fragen mitzuentscheiden und nicht die Sozialarbeiter oder die sozialen Institutionen für sie oder über sie entscheiden. Um es ganz klar zu formulieren: die Sozialarbeit bietet das Reproduktionsminimum von heute und nicht mehr, um zu verhindern, daß die Widersprüchlichkeit zwischen Kapital und Arbeit sichtbar wird. In dem allgemeinen Verschleierungsprozeß spielt die Sozialarbeit eine nicht unbedeutende Rolle, weil hier ein Potential vorhanden ist, das sich gegen diese Gesellschaftsordnung richten könnte. Es wird also die Konfrontation in dieser Gesellschaft – nämlich zwischen Kapital und Arbeit – im Bereich der Sozialarbeit und darüber hinaus durch Humantechniken verhindert. [V25:87] Im Grunde genommen müßte Sozialarbeit sozialisiert werden. Sozialarbeit ist heute ein spezieller gesellschaftlicher Faktor, der
Kurze Zwischenfrage: Plädieren Sie dafür, daß wir per 1.1.1969 die Sozialämter und die Jugendämter als gesellschaftliche Institutionen zumachen?
So einfach kann man es sich sicherlich nicht machen. Es geht im Moment nur darum, Bewußtsein zu schaffen über unsere Funktion in dieser Gesellschaft.
Frage: Wer diese Gesellschaft, wie sie heute ist, revolutionär verändern will, der täte nicht gut daran, mittels Sozialarbeit die Wunden zuzudecken und das Leiden zu ermäßigen, sondern dem müßte daran gelegen sein, das Leiden zu vergrößern, denn nur dann kann er ein bestimmtes Potential der Unzufriedenheit vergrößern. Insofern ist die Sozialarbeit tatsächlich ein restauratives Vehikel in unserer Gesellschaft.
Der letzte Satz stimmt; was Sie vorher gesagt haben, stimmt deshalb nicht, weil die Theorie, das Elend voranzutreiben, um zu einer revolutionären Veränderung zu kommen, im sozialistischen Bereich längst ad acta gelegt worden ist. [V25:92] Es kann auch nicht darum gehen, wie es mein Vorredner gesagt hat, dem Klienten eine Artikulationshilfe zu geben, damit würden wir ihn wieder allein lassen, so allein lassen wie bisher. Wenn wir uns als Interessenvertreter der Hilfesuchenden verstehen, müssen wir vom Klienten ein Mandat dazu haben. Das setzt aber voraus, daß das, was wir mit ihm besprechen, eine Handlungsrelevanz enthält. Hierdurch kommen wir allerdings in einen Loyalitätskonflikt, und zwar gegen unsere etablierten Institutionen. Hier muß eine Art Widerstandsrecht des Sozialarbeiters einsetzen, indem er nämlich diese unterprivilegierten Gruppen und Schichten mobilisiert, um mit ihnen gemeinsam zu versuchen, die Verhältnisse zu ändern. Es wurde vorhin zu Recht gesagt, der Klient kann nicht das Objekt unseres Engagements, sondern muß das Subjekt unserer Arbeit sein. [V25:93] Es gibt sicherlich Ursachen der Sozialarbeit, die direkt gesellschaftlicher Natur sind und andere, bei denen dies nicht der Fall ist. Beispiel: Die Existenz geistiger und körperlicher Behinderungen hat mit der bestehenden Gesellschaftsordnung nichts oder nur bedingt zu tun. Wie aber dieses Problem durch soziale Hilfen gelöst wird, ist allerdings ein sehr brisantes gesellschaftliches Kriterium. Ferner: Unterprivilegierung kann man nicht an einer bestimmten Einkommensgrenze messen. Selbst derjenige, der mtl. DM 1.000,– Netto verdient, kann u. U. zu den Unterprivilegierten gehören. [V25:94] Die Methoden der Sozialarbeit sind in gewisser Weise Verschleierungsinstrumente, weil sie angewandt werden mit dem Ziel sozialer Anpassung an die bestehende Gesellschaft. Sie erschweren den Solidarisierungsprozeß und damit die Bewußtmachung der tatsächlichen Ursachen von Not. [V25:95] Es erhebt sich die Frage, welche Rolle nun konkret die spielt. Die , die aus einer Anti-Haltung zur bestehenden Gesellschaft entstanden ist und sich in ihrer Satzung zum demokratischen und freiheitlichen Sozialismus bekennt, müßte endlich anfangen, daraufhin zu wirken, daß die Gesellschaft verändert wird. Offensichtlich haben doch die Gründer der erkannt, daß das gegebene gesellschaftliche System eine Veränderung, d. h. die Gewährleistung gerechter Befriedigung der Bedürfnisse nicht zuläßt. [V25:96] Obwohl sich diese Gesellschaft seit 1919 nicht grundlegend geändert hat, unterscheidet sich die Gesamtkonzeption der von der der übrigen Träger sozialer Hilfen nur graduell. [V25:97] Als Protobeispiel für diese Integration läßt sich in NRW die Tatsache anführen, daß sich die in die Rolle drängen ließ, Aufgaben des Jugendamtes zu übernehmen und damit zwangsläufig davon abgehalten wird, Modelle einer nicht repressiven Sozialarbeit zu schaffen. Selbst mit Modellen allein ist es in dieser Gesellschaft nicht mehr getan. [V25:98] Eine Gesellschaft, die vorgibt, demokratisch zu sein, muß gerade im Bildungs-, Wirtschafts- und sozialen Bereich demokratischen Nachweis erbringen. Hier ergeben sich die Verbindungen mit den Interessen der Studenten- und denen der Arbeiterschaft. Diese absolute Forderung nach demokratischer Grundhaltung ergibt sich gleichermaßen für unsere Einstellung zum Klienten. Wir sind nicht der Vormund des Klienten, dürfen und können nur gemeinsam mit ihm arbeiten. Aber das gemeinsame Arbeiten darf nicht im Sinne einer Anpassungshilfe verstanden werden, sondern muß gerade Rebellion gegen diese Anpassung bewirken. Der Klient muß befähigt werden, seine Probleme im realen gesellschaftlichen Kausalzusammenhang zu erkennen und zu einer entsprechenden Lösung beizutragen. Darauf muß es uns ankommen. Deshalb auch vorhin mein Schlagwort: Sozialarbeit muß sozialisiert werden. Im Moment ist es eine kleine Gruppe, die Sozialarbeit betreibt völlig losgelöst von einer öffentlichen, d. h. gesellschaftlichen, Verantwortung und Kontrolle.
Vielleicht benötigen wir zwei Arten von Sozialarbeitern, einmal den unmittelbar in der Einzelfallhilfe oder ähnlichen Fällen Tätigen, und zweitens den dafür mittelbar in den Verbandsgliederungen Tätigen, der also legitimiert wird von den anderen, die politischen Interessen weitestgehend mitzuvertreten. Meine These heißt ferner: Engagement der Sozialarbeiter in den politischen |a 26|Parteien, evtl. auch bei anderen politischen Gruppierungen.
Das Beispiel Wohnung von Herrn ist doch gerade ein Beweis, wie der Sozialarbeiter auf die Gesellschaft einwirken kann. In Berlin z. B. haben es politisch bewußte Sozialarbeiter geschafft, das Establishment (sprich:) Wohnungsbaugesellschaften zu bewegen, die bevorstehenden Exmittierungen zu verhindern und die Familien in den Wohnungen zu belassen.
Würden Sie mir zustimmen in der Annahme, daß der Sozialarbeiter Teil des Establishments ist und nur als solcher Teil eine Wirkungsmöglichkeit hat?
Natürlich ist das im Augenblick der Fall, und wir können uns aus dieser Situation nicht lösen.
Wenn ich es richtig verfolgt habe, dann wurde in der Arbeitsgruppe V darüber diskutiert, daß mehr und mehr im Rahmen der Sozialarbeit Hilfe zu leisten sei für Klienten aus mehr oder weniger
Eine kurze Überlegung darüber, was überhaupt unser Problem jetzt ist. Ich glaube, wir hätten vor einiger Zeit nicht so diskutieren können, wie wir das heute tun, weil wir immer an dem Modell klebten, es gibt eine bestehende Gesellschaft und diese Gesellschaft braucht eine auf sie bezogene Sozialarbeit. Unser Problem war immer nur dies, bieten wir wirklich die richtigen Hilfen an, die diese Gesellschaft bedarf, und oft ist es uns nicht gelungen. Nun kommt aber eine ganz neue Idee in die Diskussion, nämlich die Frage: ist diese Gesellschaft überhaupt richtig? Diese zweite Frage, die nie die Frage der Sozialarbeit bisher war, morgen aber die Frage der Sozialarbeit sein kann und vielleicht sogar sein muß, bringt uns diese völlig neue Problematik.
Wenn ich noch einmal auf diese Unterprivilegierten zurückkommen darf. Was wir in der Arbeitsgruppe V haben sagen wollen, ist folgendes: wir bezweifeln nicht, daß es ganz spezielle und zwar quantitativ wahrscheinlich wesentlich größere Probleme in den sogenannten unterprivilegierten Schichten gibt, als wir annehmen, wobei diese Schichten sich je nach dem besonderen Notstand sehr unterschiedlich umreißen lassen. Man kann nicht schematisch sagen: Einkommensgrenze DM 500,- ist Kriterium für diese Schichten. Wir haben ferner sagen wollen: soziale Konflikte in einer repressiven Gesellschaft gibt es nicht nur bei den Unterprivilegierten. Wir wollten insofern Herrn Professor Mollenhauers Referat korrigieren, als wir sagten, es gibt heute in allen sozialen Schichten ganz spezifische individuelle Probleme. Denken Sie etwa an das, was wir heute an Jugendlichen aus sehr wohlhabenden Schichten in Internaten finden, die verwahrlost sind oder die sehr massive Konflikte haben.
Auf dem Weg hierher habe ich mich gefragt, was kann diese Tagung bewirken, was kann ich bewirken und was kann erreicht werden, damit mehr passiert, als daß man zu Hause erzählt, es war eine schöne Tagung... Ich habe inzwischen auch einiges über die Verhältnisse in einer Jugendstrafanstalt studiert und Sie, Herr Mollenhauer, haben ja vorhin über die Verhältnisse in der Jugendstrafanstalt gesprochen. Es wäre mir ein Bedürfnis, mich mit Ihnen zu treffen, dahin zu fahren, um zu prüfen, wie können wir zwei, Sie als Wissenschaftler, ich als Sozialarbeiter konkret diese Verhältnisse dort ändern.
Das fatale Auseinanderfallen von wissenschaftlicher Beschäftigung mit einem Problem und praktischer Veränderung des als veränderungsbedürftig Erkannten, gehört zu den schmerzlichsten Erfahrungen eines Wissenschaftlers, der sich mit Handlungsproblemen auseinandersetzt. Gerade solch ein Wissenschaftler erlebt in den letzten Jahren, wie zunehmend geringer seine politische Einflußmöglichkeit wird. Er erlebt zunehmend mehr, wie er darauf angewiesen ist, daß irgendeine der gesellschaftlichen Gruppen die Macht hat, sich die wissenschaftliche Aufklärung zu eigen zu machen und Veränderungen einzuleiten. Er selbst gehört zu den machtlosesten Personengruppen. Das ist sozusagen mein Berufsproblem, das dem Ihren als Sozialarbeiter ganz ähnlich ist. In der Tat wäre ich dankbar für jeden Hinweis und für jede Erfahrung, die gerade im Zusammenwirken der beiden Gruppen, derer, die sich wissenschaftlich mit einem Problem ø und derjenigen, die es praktisch anzupacken haben, möglich sind.
Wir kennen die Realität der Praxis, wir wissen, daß uns etwa die Diskussion über Sozialpädagogik und Sozialarbeit nicht einen Schritt weiterführt. Deshalb haben wir z. B. in unserer Arbeitsgruppe 1 sehr schnell umgeschaltet auf die Diskussion zum Thema oder . Es war einstimmige Meinung in unserer Arbeitsgruppe, dem Veranstalter dieser Tagung zu empfehlen, zukünftig politische Grundsatzdebatten zu führen auch auf örtlicher Ebene. Was mir auffällt im Augenblick an unserer Diskussion und was die Belastung verstärkt und es z. T. so schwierig macht, zu diskutieren, ist folgendes: Wir gebrauchen einige Vokabeln recht unverantwortlich. So ist beispielsweise der Begriff für mich eine unbrauchbare Vokabel. Die Unterstellung, daß Stadträte, Sozialräte oder leitende Sozialdirektoren per Definition zum gehören, ist für eine Diskussion unter Sozialdemokraten genauso ungeeignet. Dieser Gebrauch von schablonenhaften Vokabeln erschwert unsere Diskussion. In der Sache glaube ich nach wie vor, die Institution Sozialarbeit kann nicht ø als in einer bestehenden Gesellschaft graduelle Verbesserungen herbeizuführen. Alles andere ist politischer Kampf und politische Auseinandersetzung, die außerhalb der Institution Sozialarbeit entweder in den Parteien und Parlamenten oder auf der Straße geführt werden muß.
Zu Herrn Hoffmann: den Bruch zwischen Theorie und Praxis wird keine Ausbildung, auch keine praxisbezogenere Ausbildung dem, der dann in die Praxis geht, ersparen können. Man muß dabei Theorie doch als Ausbildung für die Praxis verstehen. Ich sehe durchaus diese Schwierigkeit jedes jungen Sozialarbeiters, der vollgepfropft mit schönen Ideen über Methodik und auch idealistisch eingestellt in die Praxis geht, in ein großes Sozialamt mit 200 oder 800 Leuten kommt und dort ein ist und keine Möglichkeit sieht, seine Ideale und Vorstellungen zu realisieren. Man muß aber auch sehen, daß wir als Sozialarbeiter nicht erwarten können, eine ideale Praxis als Voraussetzung für unsere Arbeiten zu finden, sondern ich glaube, diese ideale Praxis zu schaffen, muß unser Ziel sein. Bei der Schaffung dieses Zieles gibt es verschiedene Wirkungsebenen, ohne daß man einer dieser Wirkungsebenen den Vorwurf machen sollte, zu sein. Wenn wir unser berufliches Wirken sehen unter dem Wunsche nach einer idealen Voraussetzung dafür, ist die Gefahr sehr leicht gegeben, daß wir in Resignation verfallen und die gegebenen Möglichkeiten zur Verbesserung der Praxis nicht ausnutzen.
Herr Bäuerle hat formuliert, daß ein ganz neuer Akzent in unsere Diskussion kam, nämlich daß wir die Gesellschaft in Frage stellen und uns mit einem Mal nicht nur als Hilfeleistung für die bestehende Gesellschaft betrachten. Ich bin der festen Überzeugung, daß in der Wurzel unseres Verbandes, der Arbeiterwohlfahrt, es genau diese Überzeugung war, die die treibende Kraft für die sozialpolitische Tätigkeit der Arbeiterwohlfahrt gewesen ist. Und ich meine, daß wir heute eine politische Situation erreicht haben, wo wir auf diese Wurzeln unserer Verbandstätigkeit uns wieder besinnen müssen. Wir müssen erkennen, daß die Probleme, die uns täglich bedrücken, nicht allein durch unsere Tätigkeit am Arbeitsplatz zu lösen sind, sondern nur mit unserem uneingeschränkten politischen Engagement. Daß wir radikale Fragestellungen vorzubringen haben und daß wir aus der Gewohnheit unseres politischen Lebens herausführen müssen, indem wir diese Wenn- und Aber-Entscheidungen, die sich bei uns überall eingebürgert haben, und diesen Opportunismus der Entscheidung einmal durchstoßen und versuchen, radikale Entscheidungen und Veränderungen vorzunehmen, ist dringend erforderlich.
Wir sprechen in Nordrhein-Westfalen seit drei Jahren mit den Parlamentariern. Wir haben sachlich alles angeführt, was überhaupt möglich ist. Man hat uns bisher sachlich noch nicht in einem einzigen Punkt widerlegen können und war bisher nicht bereit, die Sozialarbeiterschulen in das Akademiegesetz bzw. in das Fachhochschulgesetz mit aufzunehmen. Erst nachdem wir auf die Straße gegangen sind, nachdem wir Aktionen durchgeführt haben, die etwas außerhalb der Norm lagen, erst in diesem Moment war man bereit, diesem Druck in gewissem Umfang nachzugeben. Aber wir Studenten haben das Gefühl, isoliert zu sein, und zwar durch die Sozialarbeiter, die fertig sind mit ihrer Ausbildung. Nicht ein einziger ist bereit gewesen, sich mit den Studenten zu solidarisieren, zu Aktionen aufzurufen, die die Forderungen der Studentenschaft unterstützen, und diese Forderung ist ja nun letzten Endes eine Forderung des gesamten Berufsstandes.
Eine wichtige und notwendige Aufgabe ist es, den Gesetzgeber noch mehr anzusprechen. Nur so kann langsam eine gewisse Angleichung der einzelnen Gesellschaftsschichten, die sich meiner Ansicht nach nie ganz vollziehen wird, stattfinden. Es kann nicht angehen, daß z. B. ein Ausbildungsbeihilfegesetz für unsere Jugendlichen 10 Jahre und länger in der Schublade der Regierung liegen bleibt. Außerdem müssen noch mehr Möglichkeiten geschaffen werden, gerade den sozial schwachen Familien in ihrer Wohnungsnot behilflich zu sein.
Hier ist die Frage, welche Rolle nun konkret die Arbeiterwohlfahrt spielt. Die Arbeiterwohlfahrt, die aus einer Anti-Haltung zur bestehenden Gesellschaft entstanden ist und in ihrer Satzung ja stehen hat, daß sie sich zum demokratischen und freiheitlichen Sozialismus bekennt, müßte doch in ihren eigenen Reihen zunächst damit anfangen, etwas von dem zu praktizieren, um die Gesellschaft zu verändern. Offensichtlich haben doch die Gründer der Arbeiterwohlfahrt erkannt, daß das gegebene gesellschaftliche System eine Veränderung nicht zuläßt, wie sie notwendig ist, um eine gerechte Befriedigung der Bedürfnisse in ausreichendem Maße zu gewährleisten. Und ich frage, was hat sich an dieser Gesellschaft seit 1919 geändert, da man heute die Arbeiterwohlfahrt in ihrer Arbeit doch kaum noch unterscheidet von der Arbeit anderer Verbände. Eine Gesellschaft, die vorgibt, demokratisch zu sein, muß gerade im Erziehungsbereich wie im sozialen Bereich und im Wirtschaftsbereich demokratisch sein. Da ergeben sich die Verbindungen z. B. mit den Interessen der Studentenschaft, mit denen der Arbeiterschaft. Genauso müssen wir demokratisch mit unseren Klienten umgehen. Wir sind nicht der Vormund des Klienten, wir können nur gemeinsam mit ihm arbeiten. Aber das gemeinsame Arbeiten kann sich nicht darauf beschränken, ihm nur Hinweise zu geben, ihn nur zur Anpassung zu bringen, sondern genau das Gegenteil muß bewirkt werden, damit er gegen den Versuch der Anpassung rebelliert, um das also ganz hart auszudrücken. Er muß befähigt werden, seine eigenen Probleme nicht nur zu erkennen, sondern einen Beitrag zur Lösung mitbringen. Darauf muß es uns ankommen. Deswegen auch vorhin mein Schlagwort: Sozialarbeit muß werden. Im Moment ist es eine kleine Gruppe, die Sozialarbeit betreibt, völlig ausgeschlossen von einer öffentlichen Kontrolle.
Der letzte Beitrag hat gezeigt, daß an dieser Stelle nun wirklich noch sehr viel zu sagen und zu diskutieren ist, gerade der notwendigen großen Allgemeinheit wegen, in der man hier vielleicht formulieren muß, wenn man versucht, die Zusammenhänge in wenigen Worten anzusprechen. Ich denke, daß unser Ritt über den Bodensee mit ein wenig wacherem Bewußtsein als von jenem Reiter vollzogen worden ist. Wir haben eine ganze Reihe von dunklen Löchern aufgetauten Eises neben uns bemerkt, Löcher von Problemen, die vielleicht erst in diesen Wochen oder Monaten, vielleicht auch schon seit vielen Jahren in der Sozialarbeit erkennbar werden. Mir scheint, daß wir bei manchen Fragen erst zu begreifen beginnen, wie wichtig sie sind, sofern wir sie überhaupt schon angemessen formulieren können.