versucht, den gegenwärtigen Stand des
erziehungswissenschaftlichen Wissens zu ordnen und im Sinne von Einführungen in
die pädagogischen Forschungsrichtungen zur Verfügung zu stellen. Zu wessen oder
zu welcher Verfügung? Das ist eine Frage, die nicht lediglich praktischer Natur
ist und den am Wissenschaftsprozeß Beteiligten nicht zu interessieren brauchte.
Trivial ist die Feststellung, daß das Wissen der Erziehungswissenschaft, da es
doch im Hinblick auf die Umstände erzieherischen Handelns zusammengetragen wird,
eben diesem Handeln zugute kommen soll. Allein: diese Formel ist nur scheinbar
eindeutig. Das erzieherische Handeln ist nicht nur Selbstzweck, sondern es dient
auch außer ihm liegenden Zwecken: dem Erlangen des kulturell definierten
Erwachsenenstatus, dem wirtschaftlich notwendigen Nachwuchs, der Integration von
Individuen in bestehende Gruppen und Institutionen und anderem mehr. Solcher
Heteronomie hat die neuzeitliche Erziehungstheorie sich immer zu entwinden
gesucht. Orientierungsbegriffe wie Selbsttätigkeit, Selbständigkeit,
Individualität, Autonomie, Mündigkeit und schließlich auch der Hinweis darauf,
daß im erzieherischen Verhältnis der educandus seine Zwecke stets in sich habe, auch hier schon also der
Mensch nie Mittel sein dürfe, sind Versuche, jene Heteronomien abzuweisen und
sie als Entfremdungsformen des Erziehungsgeschehens zu begreifen. Mögen nun
solche Versuche theoretisch befriedigend sein oder nicht, für die
Erziehungswissenschaft stellt sich immer wieder die Frage, welche Konsequenzen
sich für sie daraus ergeben, daß ihre Ergebnisse gegen ihre aufklärerische
Absicht verwendet, daß sie in Institutionen verwertet werden können, die die
private wie öffentliche Unselbständigkeit der erzogenen Subjekte zum Ergebnis
haben.
[V27:2] Im Rahmen dieser Problematik fällt auf die Lerntheorie und ihren
Beitrag zur Erziehungswissenschaft besonderes Licht. Als empirische Disziplin
ist sie durch die Ambivalenz jener Forschungsrichtungen charakterisiert, die den
Menschen im Sinne eines theoretischen Konstruktes zum Objekt machen: Das
lernende Individuum wird genommen als ein Wesen, dessen Verhaltensweisen durch
Eingriffe von außen, durch Stimulus-Arrangements, verändert werden können. Auf
diesem Wege ist die Lerntheorie zu einer unverzichtbaren Grundlagentheorie für
|a 8|alle erziehungswissenschaftlichen
Forschungsrichtungen geworden. Man könnte sogar sagen, daß die Entwicklung der
»Pädagogik«
zur
»Erziehungswissenschaft«
unmittelbar mit den empirischen Fortschritten
der Lerntheorie verbunden ist und ohne sie nicht recht möglich gewesen wäre. Sie
hat der Erziehungswissenschaft eine kritische Dimension hinzugefügt insofern,
als die Zielproblematik und die pädagogischen Bewertungsfragen nun nicht mehr
naiv auf der Basis von Alltagserfahrung und ihrer hermeneutischen Aufklärung
diskutiert werden können, sondern realistisch an den Lernchancen geprüft werden
müssen. Die Lerntheorie kann indessen auch – und das ist ihre ambivalente Rolle
– dazu führen, daß Ziel- und Bewertungsprobleme aus dem Rahmen des
wissenschaftlich Diskutierten herausfallen und Pädagogik zu einer Disziplin
reduziert wird, in der nur noch die Frage nach geeigneten Mitteln und Wegen
gestellt wird. Die technologische Tendenz vieler Lerntheorien enthält daher der
Möglichkeit nach immer auch die Gefahr einer Verkürzung wissenschaftlicher
Kritik. Der manipulative Mißbrauch in technokratischer Absicht kann durch sie
selbst nicht verändert werden. Seine Wahrscheinlichkeit kann aber gemindert werden, wenn man im
Auge behält, daß alle Lernwege vor der Rationalität des educandus legitimiert werden müssen. Gerät diese
Problematik aus dem Blick, dann kann der Beitrag der Lerntheorie zur
Erziehungswissenschaft unversehens seine kritische Dimension einbüßen; sie
produziert dann nichts anderes als technologisches Herrschaftswissen.
Lerntheorien sind also nicht – was leicht vermutet werden könnte – die Basis,
auf der alle anderen erziehungswissenschaftlichen Forschungsrichtungen und
Theorien aufbauen, sondern sie sind kritische Instanzen, an denen das Reden über