Vorwort des Herausgebers [zu Groothoff, Funktion und Rolle des Erziehers] [Textfassung a]
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Vorwort des Herausgebers

[V37:1] Die Reihe
»Grundfragen der Erziehungswissenschaft«
versucht, den gegenwärtigen Stand des erziehungswissenschaftlichen Wissens zu ordnen und im Sinne von Einführungen in die pädagogischen Forschungsrichtungen zur Verfügung zu stellen. Zu wessen oder zu welcher Verfügung? Das ist eine Frage, die nicht lediglich praktischer Natur ist und den am Wissenschaftsprozeß Beteiligten nicht zu interessieren brauchte. Trivial ist die Feststellung, daß das Wissen der Erziehungswissenschaft, da es doch im Hinblick auf die Umstände erzieherischen Handelns zusammengetragen wird, eben diesem Handeln zugute kommen soll. Allein: diese Formel ist nur scheinbar eindeutig. Das erzieherische Handeln ist nicht nur Selbstzweck, sondern es dient auch außer ihm liegenden Zwecken: dem Erlangen des kulturell definierten Erwachsenenstatus, dem wirtschaftlich notwendigen Nachwuchs, der Integration von Individuen in bestehende Gruppen und Institutionen und anderem mehr. Solcher Heteronomie hat die neuzeitliche Erziehungstheorie sich immer zu entwinden gesucht. Orientierungsbegriffe wie Selbsttätigkeit, Selbständigkeit, Individualität, Autonomie, Mündigkeit und schließlich auch der Hinweis darauf, daß im erzieherischen Verhältnis der Educandus seine Zwecke stets in sich habe, auch hier schon also der Mensch nie Mittel sein dürfe, sind Versuche, jene Heteronomien abzuweisen und sie als Entfremdungsformen des Erziehungsgeschehens zu begreifen. Mögen nun solche Versuche theoretisch befriedigend sein oder nicht, für die Erziehungswissenschaft stellt sich immer wieder die Frage, welche Konsequenzen sich für sie daraus ergeben, daß ihre Ergebnisse gegen ihre aufklärerische Absicht verwendet, daß sie in Institutionen verwertet werden können, die die private wie öffentliche Unselbständigkeit der erzogenen Subjekte zum Ergebnis haben.
[V37:2] Unter solchen Bedingungen erscheint der Erzieher und seine eigene Bildung als ein Schlüsselphänomen der Erziehungswirklichkeit und als ein Brennpunkt erziehungswissenschaftlicher Forschung und Theorie. Das gilt um so mehr, je ausgeprägter sich Erziehung und Unterricht in einer Gesellschaft institutionell darstellen, d. h. aus der Sphäre des primären Umgangs der Generationen miteinander heraustreten und sich als besondere Form der Instruktion in dem
»Bildungswesen«
genannten System gesellschaftlicher Reproduktion organisatorisch verankern. Die |a 8|Professionalisierung des Erziehers ist ein Aspekt dieses Vorganges. Zwar gab es immer schon eine Erörterung von
»Funktion und Rolle«
des Erziehers; diese vollzog sich jedoch eher in den Dimensionen moralischer Reflexion. Seit die bürgerliche Gesellschaft aber sich nach Maßgabe des Kapitalverhältnisses strukturierte und industrialisierte, wird das
»Erziehungsgeschäft«
zu einer zu planenden und in seinen Effekten zu sichernden Veranstaltung. Der Erzieher kann fortan nicht mehr nur unter ethischen, er muß auch unter Gesichtspunkten seines Beitrages zur gesellschaftlichen Reproduktion, seiner Qualifizierungsleistungen betrachtet werden. Er wird zum Gegenstand empirischer Forschung. Die Begriffe Funktion und Rolle indizieren diesen Sachverhalt. In ihnen erscheinen Paradigmen der Forschung, die es erlauben, seine Bildung im Rahmen der pädagogischen Institutionen auf ihren Reproduktionsbeitrag hin zu befragen, Konstrukte systemgerechten pädagogischen Handelns zu entwerfen und in seine Ausbildung einzubeziehen. Daß indessen pädagogische Kommunikation immer mehr zu sein beanspruchen muß als systemgerechtes Handeln, nötigt zu einer kritischen Theorie auch des Erziehers.
[V37:3] Der vorliegende Band gibt eine Darstellung dieser Fragen am Beispiel des Lehrers, bei dem die Professionalisierung der Erziehung begonnen hat. Inzwischen aber hat sie immer neue Positionen im Rahmen des ganzen Erziehungssystems erfaßt: Sozialarbeiter, Heimerzieher, Vorschulerzieher usw. Prinzipiell gilt für sie alle das gleiche, obschon die Professionalisierungsprobleme, der Beitrag zur gesellschaftlichen Reproduktion auf je besondere Weise in Erscheinung treten, und zwar je nach dem Grad der Institutionalisierung, der gesamtgesellschaftlichen Relevanz des jeweiligen pädagogischen Feldes, den spezifischen Adressatengruppen des pädagogischen Handelns, den besonderen Konflikten des Berufsfeldes. So muß – vor allem, solange zu den anderen pädagogischen Berufen die Forschungslage noch dünn, die Perspektiven zum Teil noch undeutlich sind – der Lehrer als pars pro toto genommen werden. Er wird vermutlich noch lange die Schlüsselfigur, seine Rolle die entscheidende
»Personifikation«
der Verhältnisse des Erziehungswesens bleiben.