versucht, den gegenwärtigen Stand des
erziehungswissenschaftlichen Wissens zu ordnen und im Sinne von Einführungen in
die pädagogischen Forschungsrichtungen zur Verfügung zu stellen. Zu wessen oder
zu welcher Verfügung? Das ist eine Frage, die nicht lediglich praktischer Natur
ist und den am Wissenschaftsprozeß Beteiligten nicht zu interessieren brauchte.
Trivial ist die Feststellung, daß das Wissen der Erziehungswissenschaft, da es
doch im Hinblick auf die Umstände erzieherischen Handelns zusammengetragen wird,
eben diesem Handeln zugute kommen soll. Allein: diese Formel ist nur scheinbar
eindeutig. Das erzieherische Handeln ist nicht nur Selbstzweck, sondern es dient
auch außer ihm liegenden Zwecken: dem Erlangen des kulturell definierten
Erwachsenenstatus, dem wirtschaftlich notwendigen Nachwuchs, der Integration von
Individuen in bestehende Gruppen und Institutionen und anderem mehr. Solcher
Heteronomie hat die neuzeitliche Erziehungstheorie sich immer zu entwinden
gesucht. Orientierungsbegriffe wie Selbsttätigkeit, Selbständigkeit,
Individualität, Autonomie, Mündigkeit und schließlich auch der Hinweis darauf,
daß im erzieherischen Verhältnis der Educandus seine Zwecke stets in sich habe, auch hier schon also der
Mensch nie Mittel sein dürfe, sind Versuche, jene Heteronomien abzuweisen und
sie als Entfremdungsformen des Erziehungsgeschehens zu begreifen. Mögen nun
solche Versuche theoretisch befriedigend sein oder nicht, für die
Erziehungswissenschaft stellt sich immer wieder die Frage, welche Konsequenzen
sich für sie daraus ergeben, daß ihre Ergebnisse gegen ihre aufklärerische
Absicht verwendet, daß sie in Institutionen verwertet werden können, die die
private wie öffentliche Unselbständigkeit der erzogenen Subjekte zum Ergebnis
haben.
[V37:2] Unter solchen Bedingungen erscheint der Erzieher und seine eigene
Bildung als ein Schlüsselphänomen der Erziehungswirklichkeit und als ein
Brennpunkt erziehungswissenschaftlicher Forschung und Theorie. Das gilt um so
mehr, je ausgeprägter sich Erziehung und Unterricht in einer Gesellschaft
institutionell darstellen, d. h. aus der Sphäre des primären Umgangs der
Generationen miteinander heraustreten und sich als besondere Form der
Instruktion in dem
»Bildungswesen«
genannten System
gesellschaftlicher Reproduktion organisatorisch verankern. Die |a 8|Professionalisierung des Erziehers ist ein Aspekt dieses Vorganges.
Zwar gab es immer schon eine Erörterung von
»Funktion und
Rolle«
des Erziehers; diese vollzog sich jedoch eher in den Dimensionen
moralischer Reflexion. Seit die bürgerliche Gesellschaft aber sich nach Maßgabe
des Kapitalverhältnisses strukturierte und industrialisierte, wird das
»Erziehungsgeschäft«
zu einer zu planenden und in seinen
Effekten zu sichernden Veranstaltung. Der Erzieher kann fortan nicht mehr nur
unter ethischen, er muß auch unter Gesichtspunkten seines Beitrages zur
gesellschaftlichen Reproduktion, seiner Qualifizierungsleistungen betrachtet
werden. Er wird zum Gegenstand empirischer Forschung. Die Begriffe Funktion und
Rolle indizieren diesen Sachverhalt. In ihnen erscheinen Paradigmen der
Forschung, die es erlauben, seine Bildung im Rahmen der pädagogischen
Institutionen auf ihren Reproduktionsbeitrag hin zu befragen, Konstrukte
systemgerechten pädagogischen Handelns zu entwerfen und in seine Ausbildung
einzubeziehen. Daß indessen pädagogische Kommunikation immer mehr zu sein
beanspruchen muß als systemgerechtes Handeln, nötigt zu einer kritischen Theorie
auch des Erziehers.
[V37:3] Der vorliegende Band gibt eine Darstellung dieser Fragen am Beispiel
des Lehrers, bei dem die Professionalisierung der Erziehung begonnen hat.
Inzwischen aber hat sie immer neue Positionen im Rahmen des ganzen
Erziehungssystems erfaßt: Sozialarbeiter, Heimerzieher, Vorschulerzieher usw.
Prinzipiell gilt für sie alle das gleiche, obschon die
Professionalisierungsprobleme, der Beitrag zur gesellschaftlichen Reproduktion
auf je besondere Weise in Erscheinung treten, und zwar je nach dem Grad der
Institutionalisierung, der gesamtgesellschaftlichen Relevanz des jeweiligen
pädagogischen Feldes, den spezifischen Adressatengruppen des pädagogischen
Handelns, den besonderen Konflikten des Berufsfeldes. So muß – vor allem,
solange zu den anderen pädagogischen Berufen die Forschungslage noch dünn, die
Perspektiven zum Teil noch undeutlich sind – der Lehrer als pars pro toto genommen werden. Er wird vermutlich
noch lange die Schlüsselfigur, seine Rolle die entscheidende