Prioritäten der Erziehungs- und Bildungsforschung
A. Ausgangspunkte
1. Verlust an Kommunikation (Sinnverständigung) trotz Informationsfülle
2. Entpolitisierte Bürgerlichkeit
3. Moderne Formen der Klassenherrschaft
B. Merkmale des Bildungswesens
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1.[046:7] Es«ökonomisiert»die Lebensorientierung der jungen Generation dadurch, dass es sie auf Leistung und Prestige hin ausrichtet; weniger die Inhalte als vielmehr die formalen Aspekte des Bildungsprozesses (formales Training, Lerngeschwindigkeiten, Abschluss usw.) stehen im Vordergrund der Reformen.
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2.[046:8] Es reproduziert weiterhin Ungleichheit; die quantitativen Verhältnisse ändern sich zwar, aber nur innerhalb eines begrenzten Spielraums.
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3.[046:9] Es kanalisiert die Spielräume und ideologisiert das Bewusstsein. Gleichbehandlung wird praktiziert durch eine unterschiedslose Unterwerfung aller Kinder unter die mittelständischen Verhaltens- und Leistungsnormen. Der«Gebrauchswert»von Dingen und Inhalten wird von dem Bildungsprozess ferngehalten; Inhalte |a 803|und Formen der Bildung werden vorwiegend nach ihrem gesellschaftlichen«Tauschwert»beurteilt.
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4.[046:10] Es betrachtet Kinder als Objekte von Systeminteressen; sie werden klassifiziert nach ihrer Verwendbarkeit bzw. den Schwierigkeiten, die sie der Verwendung machen: Unterschicht und Mittelschicht, Leistungsfähige und Deprivierte, Schulreife und Schulunreife, Begabte und Unbegabte, Kinder mit«praktischer»und Kinder mit«technischer»Intelligenz usw.
C. Gesichtspunkte für die Bildungsforschung
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1.[046:11] Die Bildungsforschung muss sich entscheiden, welche Rolle in dem makabren Prozess der«Zivilisierung»unserer Lebenswelt sie spielen will.
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2.[046:12] Abgesehen von pragmatischen Gesichtspunkten, die durch die regionale Bildungspolitik vorgegeben sind und auf die die Bildungsforschung sich einlassen muss, will sie realistisch sein, ist ihr ein Prinzip aus der philosophischen und historischen Ueberlieferung gewiss: das Prinzip der Mündigkeit oder der Emanzipation.
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3.[046:13] Dieses aus der Aufklärung überlieferte Prinzip bindet die Bildungsforschung an das Interesse an herrschaftsfreier Verständigung der Menschen untereinander und an ein Lernen, das sich nach Massgabe dieses Interesses organisiert (reflexives Lernen).
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4.[046:14] Das bedeutet, dass die Bildungsforschung sich inhaltlich eine gegenwirkende aufklärende Funktion geben muss, dass sie sich von Wirtschaft und Staat unabhängig halten und dass sie politisch Partei nehmen muss gegen alle Kräfte, die dabei sind, die genannten Merkmale des Bildungswesens (B.) zu verstärken.