Funktionsbestimmung der Sozialpädagogik [Textfassung a]
|a [49]|

Funktionsbestimmung der Sozialpädagogik

I. Zur Funktionsbestimmung der Sozialpädagogik*
*Erweiterte Fassung eines Vortrags; auf Anmerkungen und wissenschaftliche Verweise wurde verzichtet.

[061:1] Soll von der Funktion der Sozialpädagogik die Rede sein, dann sind nicht nur die gleichsam mikro-sozialen Probleme der je besonderen pädagogischen Handlung zum Gegenstand gemacht, sondern auch die Bedeutung, die diese Handlungen im Rahmen eines größeren sozialen Systems haben. Die Fragen, die unter diesem Titel ausgeworfen werden, sind also einerseits solche, die die Eigentümlichkeit pädagogischer Verhältnisse – freilich unter je besonderen geschichtlichen Bedingungen – zum Gegenstand haben, andererseits aber auch die Beziehungen zwischen den pädagogischen Ereignissen und dem weiteren gesellschaftlichen Ereignisfeld. Kurz: Über die Funktion der Sozialpädagogik läßt sich nur
sozialwissenschaftlich
reden; und dies wiederum ist nur möglich, wenn wir mit dem Ausdruck
Sozialpädagogik
uns auf historisch besondere Ereignisse beziehen, auf Handlungsfelder, Maßnahmen, soziale Einrichtungen, denen im Zusammenhang der Erziehung des Nachwuchses für diese besondere Gesellschaft eine bestimmbare Aufgabe zukommt.
[061:2] Wegen der immer noch herrschenden Mehrdeutigkeit des Ausdrucks
Sozialpädagogik
beginne ich damit, zu erläutern, in welcher Weise ich diesen, Ausdruck als einen Terminus der wissenschaftlichen Sprache verwende; im zweiten Gedankenschritt soll erläutert werden, welche Art von Problem mit der Verwendung des Ausdrucks
Funktion
aufgeworfen wird; dann erst werde ich versuchen, einige Hypothesen im Hinblick auf die gesellschaftliche Funktion, die die Einrichtungen der Sozialpädagogik gegenwärtig erfüllen, zu formulieren, um abschließend einige sozialpädagogische Grundprobleme anzudeuten, die zwar weder systematisch entwickelt noch vollständig zu sein beanspruchen, die sich aber aus der Frage ergeben, zu welchen Fragen denn vielleicht gegenwärtig die zuvor in Hypothesenform formulierten Funktionen führen.

II. Zur Bedeutung des Ausdrucks
Sozialpädagogik

[061:3] Sieht man von den ersten Verwendungen dieses Ausdrucks im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts ab, wo
Sozialpädagogik
im wesentlichen das Interesse zum Ausdruck bringen sollte, pädagogische Überlegungen nicht nur im Hinblick auf die Individualität des Heranwachsenden, sondern auch nachdrücklich im Hinblick auf die sozialen Komponenten des Bildungs- und Erziehungsprozesses anzustellen, dann sind es heute besonders zwei Tatsachen, die |a 50|für den Bedeutungsgehalt dieses erziehungswissenschaftlichen Terminus folgenreich sind: Der Gegenstandsbereich der Pädagogik oder Erziehungswissenschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten derart erweitert, daß eine innere Differenzierung in verschiedene
Pädagogiken
mindestens zweckmäßig erschien; das gilt sowohl für die praktisch zu lösenden Probleme, wie auch für diejenigen Probleme, die sich aus der wissenschaftlichen Erforschung des gesamten pädagogischen Objektbereichs ergeben. Die zweite Tatsache ist eine Entwicklung im Ausbildungswesen für pädagogische Berufe: War ursprünglich der Lehrerberuf der einzige, der einen besonderen pädagogisch-didaktischen Ausbildungsgang erforderlich machte, so entwickelte sich seit den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts zunächst unter dem Namen
Sozialarbeit
, dann aber auch unter dem Namen
Sozialpädagogik
ein Ausbildungszusammenhang, in dem pädagogische Qualifikationen für solche Berufe vermittelt wurden, die sich nicht auf Schule und Unterricht bezogen. In beiden Fällen spielte die wesentliche Rolle, daß es innerhalb unseres Erziehungssystems eine Reihe von Einrichtungen gibt, für die einerseits die auf Schule und Unterricht bezogenen wissenschaftlichen Strategien der Erkenntnis und andererseits die in der Lehrerbildung vermittelten Qualifikationen offenbar nicht ausreichen. Zunächst schien eine negative Bestimmung hinreichend; danach sollte der Ausdruck
Sozialpädagogik
alle diejenigen Einrichtungen, Maßnahmen und Theorien umfassen, die sich weder auf die Familie noch auf die Schule bezogen (G. Bäumer). Im Verlauf der letzten Jahrzehnte jedoch wurde offensichtlich, daß angesichts der inzwischen eingetretenen Entwicklung eine solche Bestimmung völlig unzureichend ist. Die beruflichen Funktionen von
Pädagogen
umfassen inzwischen eine Skala, die von familienpädagogischen und -therapeutischen Maßnahmen über Kindergarten- und Vorschulerziehung, Schulpädagogik, Berufs- und Betriebspädagogik, Erwachsenenbildung, spezielle therapeutische und Beratungstätigkeiten bis hin zur Arbeit mit alten Menschen reicht. In dieser Situation ist die Festsetzung des Bedeutungsumfanges von
Sozialpädagogik
eine reine Zweckmäßigkeitsfrage. Welche pädagogischen Maßnahmen, Einrichtungen, erziehungswissenschaftlichen Theorien lassen sich aus dem gesamten Bereich unseres Erziehungssystems im Sinne einer brauchbaren wissenschaftlichen Arbeitsteilung zweckmäßigerweise und unter dem Namen
Sozialpädagogik
zusammenfassen? Mir scheint, daß die gesellschaftliche Entwicklung selbst uns hier ein plausibles Kriterium geliefert hat: die Jugendhilfe-Gesetzgebung. Will man sich nicht immer wieder mit meines Erachtens müßigen Grundsatzerwägungen aufhalten, die in der Regel ohnehin praktisch folgenlos sind, dann scheint es mir sinnvoll zu sein, den Ausdruck
Sozialpädagogik
als den Inbegriff jener Berufsvollzüge und darauf gerichteter wissenschaftlicher Theorien zu verstehen, die in der Jugendhilfe-Gesetzgebung (gegenwärtig noch vorwiegend das JWG und JGG) umrissen, wenngleich nach ihren Grenzen hin nicht scharf abgesetzt sind. Dieses letztere indessen scheint mir nicht problematisch, da ohnehin die sozialpädagogische Tätigkeit – wie jede andere pädagogische Tätigkeit auch – allgemeine praktische Probleme enthält und wissenschaftliche Probleme aufwirft, die als Grundprobleme unseres Erziehungswesens im Ganzen angesehen werden können; infolgedessen ist unausweichlich, daß es zwischen allen in jener Arbeitsteilung definierten Einzelfeldern pädagogischer Berufstätigkeit Gemeinsamkeiten und Überschneidungen gibt. Jenes Gemeinsame, das für den Schulpädagogen, den Sozialpädagogen, den Erwachsenenbildner, den Betriebspädagogen usw. von gleichermaßen grundlegender Bedeutung ist, betrifft allemal die Grundregeln, denen das Heranwachsen in unserer Gesellschaft folgt, die Lernprozesse, die in allen pädagogischen Verhältnissen auftretenden Erziehungsprobleme, die soziokulturellen und ökonomischen Bedingungen des Lernens, die Strukturen, in denen Bildungsprozesse sich vollziehen usw.. Dies alles ist infolgedessen selbstverständlicher Gegenstand auch der sozialpädagogischen Tätigkeit und |a 51|Theorie, die indes ihr Besonderes darin hat, daß sie sich in jenen Einrichtungen vollzieht, die unter dem Namen
Jugendhilfe
bei uns gegenwärtig etabliert sind.
[061:4] Diejenigen Einrichtungen, die in diesem Sinne zum Objektbereich der sozialpädagogischen Tätigkeit bzw. der sozialpädagogischen (wissenschaftlichen) Theorie gehören, könnte man folgendermaßen klassifizieren:
  • [061:5] Einrichtungen der Elementarerziehung (Säuglingsheime, Kindergärten, Vorschuleinrichtungen usw.)
  • [061:6] Einrichtungen zur Ausgleichung von Erziehungs- bzw. Lerndefiziten (ambulante Beratung, Therapie, stationäre Formen der Hilfe wie z. B. Teile der Heimerziehung usw.)
  • [061:7] Institutionelle Maßnahmen mit Strafcharakter (Teile der Heimerziehung, Jugendstrafvollzug, Bewährungshilfe usw.)
  • [061:8] Einrichtungen der Freizeiterziehung und der politischen Bildung (Jugendverbände, Jugendbildungsstätten, Häuser der offenen Tür usw.)
  • [061:9] Komplexere regional begrenzte Verbundsysteme verschiedener Typen sozialpädagogischen und gesellschaftspolitischen Handelns zur Erhaltung oder Verbesserung von Lernmilieus (Gemeinwesenarbeit, Stadtteilarbeit usw.)
  • [061:10] Einrichtungen zur Administration, Planung und regional begrenzten Lösung von Jugendhilfeproblemen verschiedener Art (Jugendamt).
[061:11] Auf den ersten Blick will es wenig plausibel erscheinen, diese sowohl in ihren Handlungsproblemen wie in ihren Organisationsformen recht verschiedenartigen pädagogischen Felder unter einem Namen zusammenzufassen. Jedenfalls ist – will man nicht auf so etwas wie
allgemeine Pädagogik
ausweichen – zunächst kein einheitlicher Gegenstand erkennbar, der indessen für eine wissenschaftliche Teildisziplin erforderlich wäre. So können wir zunächst nur sagen, daß das Eigentümliche der
Sozialpädagogik
lediglich darin besteht, daß in ihren Einrichtungen ein durch die Jugendhilfegesetzgebung vorgezeichneter gesellschaftlicher Auftrag erfüllt wird, und daß dieser Auftrag von einer Berufsgruppe vollzogen wird, die durch ihren Ausbildungsgang und ihre auf jene Einrichtungen bezogenen Verwendungsmöglichkeiten als Sozialpädagogen (bzw. Sozialarbeiter) definiert wird. Wir wollen sehen, ob auf dem Wege über eine Funktionsbestimmung der
Sozialpädagogik
eine Beschreibung von Problemen gelingt, die über diese vorläufige und für Pädagogen offensichtlich wenig befriedigende Formulierung hinausgeht.

III. Zum Begriff
Funktion

[061:12] Mit dem Ausdruck
Funktion
drücken wir in der Regel aus, daß wir die theoretische Absicht haben, ein Ereignis in einem relativ komplexen Zusammenhang anderer Ereignisse wissenschaftlich darzustellen. Da die damit angestrebte Sichtweise häufig denen Schwierigkeiten bereitet, die unter der Anforderung täglicher Praxis zu handeln genötigt sind, möchte ich – wenn auch hier recht grob – erläutern, von welcher Art diese Betrachtungsweise ist. Im Alltagshandeln unterstellen wir uns wechselseitig in der Regel, daß wir bestimmte Absichten (Intentionen) haben, denen unser Handeln folgt. Wir bewerten wechselseitig diese Absichten nach besser oder schlechter, richtig oder falsch, und wir nehmen vielleicht – solange keine Störungen auftreten – an, daß unsere Handlungen Folgen unserer Intentionen sind. Treten indessen Störungen auf, z. B. Wirkungen einer Handlung, die nicht in unserer Absicht gelegen haben, dann fragen wir – von den Absichten unabhängig – nach Ursachen für jene Wirkungen, die uns im Zusammenhang der Handlung nicht zum Bewußtsein gekommen sind. Oder wir bemerken, daß zwar unsere |a 52|Absichten und Handlungen zusammenstimmen, die gewünschte Änderung von Ereignissen aber überhaupt nicht eintritt, so als hätten wir gleichsam gar nicht gehandelt. Wir werden dann im Regelfall versuchen, Ursachen- und Wirkungsreihen zu ermitteln, um uns klarzumachen, womit es zusammenhing, daß bestimmte Ereignisse eintraten, andere nicht. Immer aber bleibt die besondere Absicht des Handelnden im Spiel, das was er als Handlungsplan entworfen hat, was er als Folge seiner Handlung im Sinn hat und was er ausschließen möchte: Im Alltagshandeln gehen wir in der Regel aus von dem subjektiv gemeinten Sinn, den wir mit einer Handlung verbinden.
[061:13] Fragt man hingegen nach der Funktion eines Ereignisses, dann verhält man sich gegenüber jenem subjektiv gemeinten Sinn mehr oder weniger gleichgültig. Es ist dann nicht mehr die Frage, ob ein Handelnder die Absicht, die er mit seiner Handlung verbunden hat, realisieren konnte oder nicht, sondern die Frage ist: Welche Beziehungen bestehen zwischen dem eingetretenen Ereignis und vielen anderen mit ihm verbundenen Ereignissen; hat eine Handlung – ohne daß das dem Handelnden bewußt wird – ein bestimmtes Ziel, das auch andere ähnliche Handlungen haben und das vielleicht in einer ganz anderen Richtung liegt, als der Handelnde es in seiner Intention auszudrücken vermochte? Kurz: Gibt es einen
objektiven
Sinn eines Ereignisses, den ich indessen erst dann mir erschließen kann, wenn ich die Wechselwirkung zwischen einer Vielzahl von Ereignissen studiere, und zwar ohne ein einzelnes Ereignis als die entscheidende Ursache zu setzen, einen Sinn also, der in der Art solcher wechselseitiger Abhängigkeiten zu suchen ist, in
Regeln
gleichsam, nach denen ein komplexer (sozialer) Ereigniszusammenhang funktioniert? Das sei am Beispiel der Familie erläutert.
[061:14] Die Familie können wir als ein soziales System betrachten, innerhalb dessen die Familienmitglieder ununterbrochen ihre Beziehungen, Empfindungen, Vorstellungen aufeinander abstimmen müssen, innerhalb dessen beständig eine
Balance-Leistung
erbracht wird. Die Art dieser Balance-Leistung ist von bestimmten
Grundtatsachen
offenbar abhängig; z. B. davon, daß es sich um eine Kleingruppe handelt, in der einerseits zwei verschiedene Generationen (Eltern und Kinder), andererseits aber auch verschiedene Geschlechter miteinander verbunden sind. Man kann sich das Geschehen innerhalb der Familie mit Hilfe der Annahme verständlich machen, daß auch bei wechselnden Lebensumständen das Bestreben vorherrscht, jene Balance zu sichern. Tritt eine Störung der Balance ein (durch Armut, Verlust eines Familienmitglieds, Diskriminierung durch die soziale Umwelt, körperliche oder psychische Handicaps eines Mitglieds usw.), dann wird vermutlich die Gruppe nicht sofort zerbrechen, sondern versuchen, auf einem neuen Niveau das Gleichgewicht wieder herzustellen. So könnte es beispielsweise beim Ausfall eines Elternteils geschehen, daß nun andere Familienmitglieder die ausgefallenen
Funktionen
wahrnehmen, weil nur so das System in der Balance gehalten werden kann. Das schließt indessen pathologische Ereignisse nicht aus: Da innerhalb des Systems die
Balance
die gleichsam oberste Norm darstellt, kann die Balance-Leistung auch zum Nachteil einzelner Mitglieder erzwungen werden. Ein häufig zur Illustration dieses Problems herangezogenes Beispiel ist die sogenannte
Sündenbock-Strategie
: Spannungen und Konflikte zwischen den Ehepartnern können von einer Art sein, daß diese sie – vielleicht aufgrund ihrer eigenen in die Kindheit zurückreichenden Biographie – nicht lösen können, sondern sie aus Angst vor der Gefährdung des familiären Gleichgewichtes verleugnen; dann kann es geschehen, daß die
verdrängten Teile
– z. B. Gefühle der eigenen Minderwertigkeit oder die nicht aussprechbare Kritik am Ehepartner – auf ein Kind projiziert werden; an diesem wird nun kritisiert, was man an sich selbst oder am |a 53| Ehepartner nicht zu kritisieren wagt; die prekäre Lage, in die auf diese Weise das Kind gerät, und gegen die es, des Machtungleichgewichts zwischen den Generationen wegen, sich nicht wehren kann, bedeutet für das Kind natürlich eine Belastung und erzeugt bei ihm nun möglicherweise tatsächlich Verhaltensstörungen, beispielsweise im Hinblick auf seine kognitive Leistungsfähigkeit in der Schule; damit entsteht für die Familie ein neues Problem, dem gegenüber wieder die Nötigung besteht, Gleichgewicht herzustellen – in diesem Fall vielleicht jene, mit der Diskriminierung des Kindes durch die Schule fertig zu werden. Das Beispiel zeigt, daß die theoretische Rekonstruktion des
Sinnes
des familialen Geschehens gut daran tut, nicht einzelne Faktoren oder Intentionen aus dem Ganzen als entscheidende
Ursachen
zu isolieren, sondern den Zusammenhang so komplex wie möglich zu begreifen und die wechselseitige Abhängigkeit aller Teile voneinander herauszuarbeiten, kurz: Die Funktion der einzelnen Elemente zu ermitteln. Diese Betrachtungsweise nun läßt sich auch anwenden im Hinblick auf die Stellung der Familie in der Gesellschaft, auf die
Funktion
also, die sie im Kontext anderer gesellschaftlicher Einrichtungen für die Bestanderhaltung des ganzen gesellschaftlichen Systems erbringt: Ändert sich beispielsweise im System der gesellschaftlichen Arbeitsteilung die Rolle der Frau, dann ist zu erwarten, daß auch das innerfamiliale Geschehen sich auf solche Änderung einstellt; häufen sich innerhalb der Familie Probleme, die ihre Leistungsfähigkeit für das gesellschaftliche Ganze beeinträchtigen, erhöht sich möglicherweise die gesellschaftliche Aufmerksamkeit, treten Kontrollmaßnahmen auf den Plan, werden Korrekturen angebracht, werden Therapien erfunden.

IV. Hypothesen zur Funktion der Sozialpädagogik

[061:15] Betrachten wir nun unter diesem Gesichtspunkt jene sozialen Einrichtungen, die wir oben unter dem Namen
Sozialpädagogik
vorläufig zusammengefaßt haben, dann empfiehlt sich, diese nicht isoliert zu betrachten, sondern einen – wenngleich hier nicht vollständig darstellbaren – Zusammenhang gesellschaftlicher Ereignisse zu bezeichnen, für den vermutet werden kann, daß zwischen ihm und den sozialpädagogischen Einrichtungen Wechselbeziehungen bestehen. Der naheliegendste solcher Zusammenhänge ist natürlich der des Erziehungssystems im ganzen. Dennoch aber sind mindestens einige weitere geschichtliche
Kontext
-Erinnerungen nötig:
[061:16] Es entwickelte sich – freilich mit Phasenverschiebungen – ungefähr gleichzeitig vom Ende des 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts:
  • [061:17] eine zentralistische Verwaltung,
  • [061:18] das allgemeinbildende Schulwesen und die Alphabetisierung,
  • [061:19] die große Industrie in ihrer kapitalistischen Variante,
  • [061:20] Berufslenkungsmaßnahmen des Staates und die entsprechenden Bildungseinrichtungen,
  • [061:21] Einrichtungen der die Familie ergänzenden Ersatzerziehung,
  • [061:22] die Umstellung der Disziplinierung der Bürger von Formen der körperlichen Peinigung auf Formen der symbolischen Gewalt.
[061:23] Es entsteht u. a. – so können wir zusammenfassend sagen – ein öffentliches Erziehungswesen, das gesetzlich abgesichert und mit Maßnahmen und Einrichtungen reichhaltig versehen ist, als Bestandteil der gesellschaftlichen Lenkung und das das Ziel verfolgt, jenes
Gleichgewicht
herzustellen, dessen die Gesellschaft zu ihrer materiellen Reproduktion bedarf. Unabhängig also von dem, was ein Lehrer, ein Heimerzieher, ein Sozialarbeiter, ein Therapeut zu tun meint |a 54|oder was er zu tun für richtig hält, erfüllt dieser Apparat zur Lenkung des Nachwuchses die folgenden Funktionen (jedenfalls haben sich diese wissenschaftlichen Konstrukte in der Bildungsforschung bisher bewährt):
  1. 1.
    [061:24] Die Qualifizierung des Nachwuchses für jene Positionen im System gesellschaftlicher Arbeitsteilung, die innerhalb des Berufs- und Beschäftigungssystems als
    Bedarf
    auftreten.
  2. 2.
    [061:25] Die Auslese (Selektion) des Nachwuchses nach Kriterien der
    Leistung
    , mit der zugleich über sozialen Erfolg oder Mißerfolg, über sozialen Status entschieden und die Reproduktion des bestehenden Status-(Klassen-)Systems gesichert oder doch wenigstens wahrscheinlich gemacht wird.
  3. 3.
    [061:26] Die Legitimation der herrschenden Werte und Normen, und zwar durch die Vermittlung der Standards sozialen und rollengemäßen Verhaltens, sowie durch die Versuche, das bestehende System von Qualifizierungen und Selektionen als gerecht (etwa durch den Begriff der Leistung) plausibel zu machen.
  4. 4.
    [061:27] Kontrolle der geltenden Standards für
    Normalität
    durch die öffentliche Bezeichnung derer, die
    abweichen
    und durch die solche Unterscheidung bekräftigenden Behandlungsprozeduren.
  5. 5.
    [061:28] Kompensation von Mängeln oder Disfunktionen in den primären Lebensfeldern wie auch innerhalb des öffentlichen Erziehungswesens durch ergänzende, ausgleichende, nachholende, therapeutische, rehabilitierende Maßnahmen und Einrichtungen.
[061:29] Diese fünf Funktionen werden von den verschiedenen Einrichtungen des Erziehungswesens mit unterschiedlicher Intensität erfüllt. Das Schulwesen ist vermutlich derjenige Teil des ganzen Erziehungswesens, in welchem vor allem die Qualifikations- und Selektionsfunktion wahrgenommen wird. Selektion findet allerdings auch innerhalb einiger Einrichtungen des Jugendhilfesystems statt: Hier zwar nicht durch die Erteilung von Berechtigungen für bestimmte gesellschaftliche Positionen, sondern eher durch die negative Auslese derjenigen, die ein als Standard gesetztes minimales Qualifikationsniveau nicht erreichen; wie auch im Schulwesen trifft diese Selektion nicht alle sozialen Gruppen mit der gleichen Wahrscheinlichkeit, sondern vor allem die Angehörigen der unterprivilegierten Statusgruppen. An der Legitimationsfunktion, d. h. der Durchsetzung der herrschenden Werte sind ebenfalls sowohl die Einrichtungen der Schule wie die der Jugendhilfe beteiligt: Durch das Schulleben im Ganzen, den
geheimen Lehrplan
, die für die schulinternen Interaktionen geltenden Regeln des sozialen Verhaltens, die dort vorwiegend vermittelten politischen Normen; aber auch durch die Ersetzung von Zwangsmaßnahmen durch Maßnahmen
symbolischer Gewalt
, also psychologische Methoden der Beeinflussung, therapeutische Verfahren, durch pädagogische Maßnahmen im Hinblick auf besonders gefährdete soziale Gruppen (arbeitslose Jugendliche) wird – unabhängig von der Absicht, die mit dieser oder jener Maßnahme oder Einrichtung verbunden sein mag – das geltende System von Werten und Normen gerechtfertigt. Die Kontroll- und Kompensationsfunktion scheint allerdings vorwiegend den Einrichtungen der Jugendhilfe zuzufallen: Orientiert man sich am Jugendwohlfahrtsgesetz oder auch an dem Diskussionsentwurf der Bundesregierung für ein neues Jugendhilfegesetz, dann erscheint es plausibel, daß die Kontrollfunktion sogar im Vordergrund der ganzen Jugendhilfeapparatur steht; entlang der normativen Trennlinie zwischen normalem und anormalem Verhalten erfüllen die Jugendhilfeeinrichtungen – vor allem das Jugendamt und die ihm nachgeordneten Institutionen zur Überwachung und Korrektur des sozialen Verhaltens – die Funktion, die Häufigkeit, die Verteilung und die Arten von Abweichung zu kontrollieren, um unseren gesellschaftsspezifischen Begriff von
Normalität
zu bekräftigen. |a 55| Allerdings würde diese Kontrollfunktion in ein Legitimationsdilemma geraten, wenn nicht gleichzeitig Anstrengungen unternommen würden, die Defizite in Lebensfeldern und den Kompetenzen der Individuen auszugleichen, von denen angenommen wird, daß sie für die Entstehung abweichender
Karrieren
relevante Bedingungen darstellen. Diese Kompensationsfunktion wird vor allem in den Maßnahmen und Einrichtungen der Therapie, der Beratung, in einem Teil der Heimerziehung, teilweise auch in der Vorschulerziehung, und ähnlichen Erziehungsfeldern erfüllt.
[061:30] Schaut man sich indessen die Einrichtungen der Jugendhilfe genauer an, dann zeigt sich, daß diese Funktionen, sowohl in ihrer Intensität wie auch der Art der Verwirklichung nach, unterschiedlich zum Zuge kommen:
  • [061:31] Die Legitimationsfunktion – so scheint mir – ist am ausgeprägtesten in den Maßnahmen zur Unterstützung der Familie, in Familienbildung und Familientherapie sowie auch den rechtlichen Institutionen zur Sicherung der familialen Leistungsfähigkeit, aber auch in Einrichtungen der Freizeiterziehung und der politischen Bildung; am wenigsten ausgeprägt scheint mir diese Funktion überall dort zu sein, wo eine Maßnahme mehr oder weniger verhüllt den Charakter von Strafe hat, am deutlichsten wohl im Bereich des Jugendstrafvollzuges.
  • [061:32] Die Kontrollfunktion wiederum wird am nachdrücklichsten in den hochinstitutionalisierten Einrichtungen der Gefängnis- und Heimerziehung erfüllt, auch in der Überwachungstätigkeit von Jugendamt und Polizei, am wenigsten indessen in solchen Einrichtungen, die einen schwachen Professionalisiergungsgrad haben, in denen der Anteil der Eigeninitiative der Betroffenenen hoch ist, die also den Charakter von Selbsthilfeeinrichtungen haben.
  • [061:33] Die Kompensationsfunktion scheint mir am nachdrücklichsten im Bereich der Unterstützung und Förderung der Familie und im Bereich der Elementardidaktik ausgeprägt zu sein; je stärker indessen das Kontrollinteresse ist, je mehr eine Einrichtung eher aufbewahrende Aufgaben übernimmt (Teile der Heimerziehung), je stärker zugleich die Diskriminierung der
    Klienten
    ist, umso weniger ausgeprägt wird vermutlich auch die Kompensationsfunktion sein, umso weniger wahrscheinlich nämlich wird es sein, daß es der Einrichtung auch gelingt, die Beschädigungen zu heilen, die den Klienten zugefügt wurden.
[061:34] Eine solche – hier lediglich hypothetisch vorgenommene – Funktionsbestimmung der Jugendhilfeeinrichtungen ist zunächst noch nicht mehr als die Andeutung einer Bestandsaufnahme. Für das sozialpädagogische Handeln bedeutet sie lediglich, daß der Handelnde solche Funktionen kennen sollte, um die Art und damit wohl auch die Folgen seines Handelns realistischer beurteilen zu können. Für die praktische Orientierung des sozialpädagogischen Handelns scheint mir indessen noch eine andere Ebene von Überlegungen erforderlich zu sein. Für den Alltag der sozialpädagogischen Praxis nämlich ist nicht nur nützlich, jene Funktionen zu kennen; mindestens ebenso wichtig scheint mir zu sein zu wissen, auf welche Weise denn im Vollzug des pädagogischen Handelns jene Funktionen realisiert werden, welche Regeln dem Handeln zugrunde liegen und zu überlegen, ob überhaupt und welche Alternative zu solchen Regeln denkbar wären. Ich will solche Regeln
Codes
nennen, und zwar im Anschluß an die Versuche von Strukturalisten (z. B. Foucault), Grundregeln zu ermitteln, nach denen die Beziehungen zwischen den Menschen in den je besonderen gesellschaftlich-geschichtlichen Formationen gestaltet sind. Wiederum hypothetisch möchte ich sechs solcher
Codes
zur Erörterung und zur analytischen Verwendung vorschlagen (ich gebe jeweils nur kurze stichwortartige Hinweise):
  1. 1.
    [061:35] Der Zeit-Code: Wir rhythmisieren nicht nur unseren Tageslauf, sondern vor allem auch die Arbeit, auch die Erziehungsarbeit, nach einem mechanischen Zeitschema. Nach diesem Schema gliedern wir Biographien und Entwicklungsverläufe; wir planen auch entsprechend in |a 56|die Zukunft, die wir durch Prognosen berechenbar zu machen versuchen; die Zeitstruktur eines Bildungsganges folgt den Zeitrhythmen, die im Bildungssystem vorgegeben sind; wir berechnen Lernerfolge in Schuljahrs- oder Halbjahrsabständen; wir gliedern den Tag in die Dichotomie von Arbeit und Freizeit auf usw..
  2. 2.
    [061:36] Der Raum-Code: Wir bevorzugen den kontrollierten Raum (Stadtplanung); wir teilen den Raum in Sektionen auf, für die Zwecke des Schlafens, des Konsumierens, des Arbeitens, des Vergnügens; wir bevorzugen sortierte und sortierende Rechtecke, sowohl in unseren Privatwohnungen wie in Schule, Gefängnis, Krankenhaus; aber wir bevorzugen auch die perspektivische Sicht, in deren Fluchtpunkt der Betrachter steht; wir lieben die rationale Ordnung eines Raumes, die Abgrenzung, die
    Funktionsgerechtigkeit
    .
  3. 3.
    [061:37] Der soziale Klassifikations-Code: Wir unterscheiden zwischen
    normal
    und
    anormal
    ; die Bevölkerung gruppieren wir nach Altersklassen; die Kinder sortieren wir in Jahresabständen oder nach unterschiedlichen Leistungsniveaus; wir unterscheiden Status-Gruppen, Erfolgreiche und Nichterfolgreiche, Nützliche und Unnütze, sozial Starke und sozial Schwache usw.
  4. 4.
    [061:38] Der Beziehungs-Code: Wir denken in Schemata des
    Rollen
    -Verhaltens und handeln danach; wir bestimmen unsere pädagogischen Beziehungen nach Maßgabe von Arbeits-Quanten; wir definieren sie im Hinblick auf eine zu erbringende Berufsleistung, relativ abgehoben von der alltäglichen Lebensrealität der Kinder und Jugendlichen außerhalb des pädagogischen Feldes; unsere Beziehungen lassen nicht mehr erkennen, daß sie letzten Endes verbunden sind mit denjenigen Handlungsformen, mit denen wir als Gattung uns mit der Natur auseinanderzusetzen haben; sie sind in diesem Sinne
    entgegenständlicht
    ; wir bevorzugen in der Gestaltung der Beziehungen die verbalen Kommunikationsmedien; Beziehungsprobleme versuchen wir gleichsam instinktiv nach dem Schema des Ödipus-Dreiecks (Vater-Mutter-Kind) zu deuten usw..
  5. 5.
    [061:39] Der Tausch-Code: Wir tauschen Lernzeit gegen Bildungsniveau, Bildungsniveau gegen Status, Status gegen Geld; wir halten Verbrechen für eintauschbar gegen Resozialisierungszeit, Erziehungsleistungen für tauschbar gegen Arbeitszeit; Erziehungsarbeit ist ausdrückbar in Dienstplänen, therapeutische Maßnahmen erscheinen als Gehaltsansprüche von Therapeuten, als Prozentangaben in Sozialhaushalten usw..
  6. 6.
    [061:40] Der Werkzeug-Code: Auch in der Erziehung folgen wir dem Prinzip der Arbeitsteilung; wir zerlegen den Lernvorgang in einzelne Schritte und Komponenten, die jeweils mit besonderem Werkzeug bearbeitbar gemacht werden: Der Pädagoge und der Therapeut, die Vielzahl von therapeutischen Techniken, die lerntheoretisch entwickelten Bearbeitungsmethoden von Kindern, die curricularen Techniken zur Anreicherung von Vorstellungswelten; wir zerlegen den Erziehungsvorgang in eine Reihe spezieller Institutionen, für
    Begabte
    und
    weniger Begabte
    , für Haupt-, Real-, Gymnasial- und Sonderschüler, für Verhaltensgestörte verschiedenerlei Art, für Behinderte diesen oder jenen Typs; dabei sind unsere
    Werkzeuge
    mittelbar,
    abgeleitet
    aus der entsprechenden
    Werkzeug-Wissenschaft
    , der Psychologie; wir unterscheiden zwischen diagnostischem und therapeutischem Werkzeug usw. .
[061:41] Diese Grundregeln, denen sowohl unser pädagogisches Vorstellungsvermögen wie auch unsere Handlungen im Durchschnitt folgen, werden – neben den Bedingungen der Ökonomie, der großen Bevölkerungszahl und der industriell-arbeitsteiligen materiellen Reproduktion der Gesellschaft – dadurch gestützt, daß die Jugendhilfeeinrichtungen und
Hilfe
in der modernen Massengesellschaft überhaupt in organisierter Form erfolgt. Hilfeleistung wird nicht mehr ausgelöst durch die sinnliche Erfahrung der Hilfsbedürftigkeit des anderen, sondern ist Sache eines kodifizierten Systems von Rechten (Ansprüchen) und Pflichten und der darauf gegründeten or|a 57|ganisierten Verteilung von Hilfsgütern, auch der pädagogischen (Luhmann). Wird dergestalt
Hilfe
nach den Regeln einer unpersönlichen Organisation, in der die subjektiv besondere Erfahrung des
Hilfsbedürftigen
keinen legitimen Platz mehr hat, verteilt, verwaltet und an bestimmte Berufsgruppen zum Vollzug deligiert, dann erscheint auch wenigstens plausibel, daß im sozialpädagogischen Handeln jene Codes sich durchsetzen.

V. Einige praktische Probleme

[061:42] Eine bewertende Beurteilung dieser Situation – vorausgesetzt, meine Skizze trifft im großen und ganzen zu – ist schwierig. Ich will deshalb abschließend und katalogartig nur einige Probleme benennen, die sich ergeben, wenn man in dieser Weise versucht, die Lage der Jugendhilfe zu beschreiben:
  • [061:43] Das Unbehagen vieler Sozialpädagogen an ihrer gegenwärtigen Berufspraxis, das Gefühl, gesellschaftliches Leiden nur versorgen und verwalten, nicht aber es aufheben zu können, bewirkt verschiedenartige Reaktionen, der bedrückenden Lage zu entgehen: Die romantische Flucht, das resignierte Sich-abfinden, die übereilte Polemik gegen die
    kapitalistischen Verhältnisse
    . Eine genauere Beschreibung der sozialpädagogischen Probleme mit Hilfe jener Funktionen und Codes erlaubt vielleicht eine produktivere Form der sozialpädagogischen Selbstreflexion.
  • [061:44] Der Sozialpädagoge, der sich anschickt, sein pädagogisches Tätigkeitsfeld zu strukturieren, beteiligt sich dadurch allemal, wenn nicht an der Herstellung, so doch entweder an der Befestigung oder einer, wenn auch zunächst vielleicht nur tastenden, Veränderung jener Codes; er wird also, wenn er sich zu handeln anschickt, sich zu entscheiden haben, ob er sich naiv jenen Codes überlassen will, oder ob er einen Beitrag wenigstens versuchen will dazu, allmählich Veränderungen in unseren pädagogischen Handlungs-Codes hervorzubringen.
  • [061:45] Das Erziehungssystem wird immer, gleichviel in welcher Gesellschaft, eine Legitimationsfunktion erfüllen. Es bleibt indessen immer die Frage, was legitimiert werden soll.
  • [061:46] Auch auf die Kontrollfunktionen wird wohl kaum ein modernes Erziehungswesen vollends verzichten können. Allein es stellt sich die Frage, auf welche Weise jene Kontrolle ausgeübt wird und welche Rolle die Selbstbilder der
    Kontrollierten
    spielen. Kontrolle kann in unterschiedlichen Graden von Repression ausgeübt werden. Wird es uns also gelingen, Kontrolle von
    abweichendem
    Verhalten derart auszuüben, daß die Identität der
    Klienten
    dabei gewahrt wird?
  • [061:47] Auch die Kompensationsfunktion scheint mir nicht schlechterdings entbehrlich zu sein. Charakteristisch jedoch für die innerhalb unseres Jugendhilfesystems herrschende Praxis von kompensatorischer Erziehung ist, daß die Kritierien der Leistung, des am sozialen Status orientierten gesellschaftlichen
    Erfolges
    die orientierenden Normen darstellen. Wie die Kontrolle, so trifft auch die Kompensation in ihrer diskriminierenden Wirkung vorwiegend immer wieder diejenigen Bevölkerungsgruppen, die wir als
    sozial Schwache
    , als Unterschicht, als Arbeiterklasse klassifizieren.
  • [061:48] Eine Selbstanalyse der Sozialpädagogik, vornehmlich des tätigen Sozialpädagogen, nach Maßgabe jener Funktionen und Codes könnte eine Sensibilisierung für pädagogische Alternativen zur Folge haben, die nicht nur
    produktiver
    , sondern auch
    menschlicher
    sind.
[061:49] Der Sinn einer Beschreibung sozialpädagogischen Handelns mit den Mitteln jener Codes soll also vornehmlich nicht darin bestehen, daß mit ihrer Hilfe auf das hingewiesen werden kann, |a 58| was dann nur noch als die
schlimmen
Bedingungen der sozialpädagogischen Tätigkeit erscheint, sondern, daß mit ihrer Hilfe auch benannt werden kann, was im eigenen pädagogischen Handeln, in der alltäglichen Praxis im Umgang mit Kindern und Jugendlichen bei uns selbst sich vielleicht ändern könnte, entsprechend der Einsicht Marx’,
daß die Umstände von den Menschen verändert und der Erzieher selbst erzogen werden muß
: Sozialpädagogik also als Selbsterfahrung und Selbstveränderung.
|a 59|

Literaturverzeichnis:

    [061:50] Barabas, F./ Blanke, Th./ Sachße, Chr./ Stascheit, U: Jahrbuch der Sozialarbeit, Reinbek 1975
    [061:51] Beneke, E./ Müller, M. K./ Zander, H.: Einführung in sozialpädagogische Fragestellungen, Kronberg/Ts. 1976
    [061:52] Bourgett, J./ Preusser, N./ Völkel, R.: Jugendhilfe und kommunale Sozialplanung, Weinheim 1977
    [061:53] Foucault, M.: Überwachung und Strafen, Frankfurt 1976
    [061:54] Hollstein, W./ Meinhold, M.: Sozialarbeit unter kapitalistischen Produktionsbedingungen, Frankreich 1973
    [061:55] Hurrelmann, K.: Erziehungssystem und Gesellschaft, Reinbek 1975
    [061:56] Jordan, E. (Hrsg.): Jugendhilfe, Weinheim 1975
    [061:57] Luhmann, N.: Formen des Helfens im Wandel gesellschaftlicher Bedingungen, in: H.-U. Otto/S. Schneider(Hrsg.): Gesellschaftliche Perspektiven der Sozialarbeit, Bd. 1, Neuwied 1973
    [061:58] Mollenhauer, K.: Jugendhilfe, Soziologische Materialien, Heidelberg 1968
    [061:59] Spiegel-Redaktion (Hrsg.): Unterprivilegiert: Eine Studie über sozial benachteiligte Gruppen in der Bundesrepublik Deutschland, Neuwied 1973