Feder in Braun auf Papier, braun laviert, Bleiweiß, vereinzelt Spuren von oxydiertem, schwarz gewordenem Bleiweiß; Konturen für die Übertragung auf die Kupferplatte durchgedrückt
[144:1] Die Frage, ob eine moderne Kultur wie die unsere Formen
des Nachdenkens über das benötigt, was wir
„Erziehung“
nennen oder was wir, in allgemeiner Perspektive, auch das Verhältnis der
Generationen im Prozess geschichtlicher Veränderungen nennen könnten, die
Beantwortung dieser Frage scheint mir unstrittig zu sein. Anders steht es,
wenn man Entscheidungsgründe dafür sucht, dass dieses Nachdenken auch als
akademische Disziplin an Universitäten einen Ort haben sollte, nicht als
Zweig der praktischen Philosophie oder als Spezialität innerhalb einer der
Kulturwissenschaften, der Volkskunde beispielsweise, sondern als
„Erziehungswissenschaft“
. Solche Fragen sind nicht
besonders beliebt und können überdies von der Fülle der im Fach umlaufenden
Diskursbestände mühelos als prognostische Skurrilität etikettiert werden.
Lässt man sich aber einmal – wenngleich nur versuchsweise und mit Hilfe von
Günther
Bittner – auf solche Skepsis ein, dann hat man es, wie mir
scheint, rasch mit bedenkenswerten Problemen zu tun. Damit indessen das
Bedenken nicht unversehens in metatheoretische, häufig ebenso umfängliche
wie fruchtlose Erörterungen hineingerät, ist eine ironische Distanz
vielleicht nützlich. Dazu möchte ich drei Gedanken beisteuern.
1.
[144:2] Bittner liegt mit
der jüngeren Geschichte der Pädagogik/Erziehungswissenschaft im Streit, und
zwar der beiden ein|a 214|gangs formulierten Fragen wegen.
Er findet dafür kräftige Vokabeln:
„Die Erziehungswissenschaft“
habe
„viel dazu getan ..., die Aufgabe von Erziehung immer
schlechter gelingen zu lassen“
(Günther Bittner: Kinder in die Welt,
die Welt in die Kinder setzen. Eine Einführung in die pädagogische
Aufgabe, Stuttgart 1996, S. 227*
*Auf
dieses Buch wird im Folgenden nur mit einem Verweis auf die
Seitenzahl Bezug genommen.
)
, sie sei
„gescheitert“
(S. 228)
, sei ein
„aus dem Ruder gelaufene(s) Fach“
(S. 29)
, leide an einem
„nahezu vollständigen Strukturverlust“
(ebd.)
, an einer
„zunehmende(n) Ausklammerung der
Subjektperspektive“
(S. 231)
, an
„szientistische(r) Voreingenommenheit“
(S. 232)
. Ich will nun nicht, in der umständlichen Rhetorik unserer
Wissenschaftsforscher, hin- und hererwägen, ob das Vokabular treffend ist,
ob ich die Behauptungen billigen könnte. Ich lasse das, wie Friedrich
Schlegel gesagt hätte, ironisch
„in der
Schwebe“
. Auf jeden Fall und ohne Skrupel kann ich indessen der
Behauptung beipflichten, dass sich auf dem Wege einer szientifisch
angelegten Wissenschaft
„ein zusammenhängendes, in sich konsistentes,
lebenspraktisch umsetzbares Wissen über Erziehung ... so nicht
gewinnen“
lässt
(S. 233)
.
[144:3] Ich kann dem beipflichten, kann die Behauptung mir zu eigen machen
– allerdings ohne Bedauern. Dass die Pädagogik einen
„szientifisch nicht einholbaren Sinn“
(Blankertz 1982,
S.
307)
habe, wie Herwig
Blankertz sagte, kann ich akzeptieren. Von der
Erziehungswissenschaft erwarte ich nur, dass sie mich über die Fehlerrisiken
aufklärt, die in den Alltagsmeinungen verborgen sind; und das kann durch
wissenschaftliche Studien geschehen, die gleichsam fragmentiert über das
ganze Feld pädagogischer Erscheinungen und Problemstellungen sich
erstrecken. Je
„wissenschaftlicher“
sich also unsere Kolleginnen und Kollegen
„gebärden“
(S. 233)
, desto mehr sind ihre Ergebnisse mir willkommen. Das gilt allerdings
nur mit zwei wichtigen Einschränkungen:
|a 215|
[144:4] Die Diffundierung der Pädagogik – Bittner nennt das den Verlust eines
„pädagogischen Grundgedankengangs“
– hat zur Folge, dass
manche Forschung in diesem Feld den Bezug zu den Grundfragen des
Generationenverhältnisses nicht mehr so recht aufrechterhält. Woran das
liegt und ob es sich korrigieren lässt, vermag ich derzeit nicht zu sagen.
Es scheint jedenfalls mit der
„Subjektperspektive“
zusammenzuhängen, deren Verlust Bittner beklagt, obwohl doch der Ausdruck
„Subjektivität“
in der Pädagogik wohl noch nie so häufig verwendet
wurde wie gegenwärtig. Das
„Subjekt“
taucht ja, wie Bittner uns erläutert, in der
Pädagogik dreimal auf: als das Kind, das sich die
„Welt“
aneignende Subjekt; als der Erwachsene, der, wie wir hoffen, immer noch
damit beschäftigt ist, sich
„Welt“
anzueignen, aber sie
zugleich nun auch vermitteln will; und als der beobachtende Wissenschaftler,
der ebenfalls vor einer doppelten Aufgabe steht, der Fremd- und der
Selbstbeobachtung. Da wir nun, innerhalb unserer Tradition, Subjekte uns
nicht anders denken als solche, die sich in der Auseinandersetzung mit
„Welt“
und deren sachlichen Gehalten bilden, und wir
dies alles auf dem gegenwärtigen szientifischen Stand der Sozial- und
Geisteswissenschaften zu erläutern hätten, ist es nicht verwunderlich, wenn
unsere Disziplin mit der Explikation eines
„pädagogischen
Grundgedankengangs“
dauerhafte Schwierigkeiten hat. Soweit die erste
Einschränkung.
[144:5] Die zweite Einschränkung betrifft die Grenzen szientifischen
pädagogischen Wissens: Die technologische Annahme, wir könnten die Wirkungen
von Erziehungshandlungen prognostizieren, gerät mehr und mehr in Zweifel;
prognostische Zuverlässigkeit ist eine theoretische Erwartung der
klassischen Physik und der Mechanik; ein
„physikalisches“
Wissenschaftsverständnis ist zwar für den Bau von Brücken und Häusern nach
wie vor hilfreich, nicht aber für solche Vorgänge, die dem Lebendigen
zugehören; die Entwicklung des Lebendigen nämlich strukturiert sich als
„Bifurkation“
, als nicht vorhersehbare Verzweigung, wie
im Wuchs eines |a 216|Baumes; das gilt, so scheint mir,
nicht nur für die Molekularbiologie, sondern auch für die Geschichte unserer
Gattung; jedenfalls wäre es eine Hypothese, die einen ironischen Umgang mit
szientistisch-technologischen Beständen eröffnet, ihrerseits szientifisch
begründet. Aber was heißt dann noch
„lebenspraktisch
umsetzbares Wissen“
?
2.
[144:6] Ob irgendein Wissen
„lebenspraktisch umgesetzt“
werden kann, hängt nicht nur von der Art des je erzeugten Wissens ab,
sondern auch von denen, die es in die Lebenspraxis
„Umsetzen“
. Ich selbst komme deshalb schon immer im Plural vor, in
mindestens zwei Versionen: als jemand, der an der Erzeugung
wissenschaftlichen Wissens beteiligt ist, und als jemand, der in
pädagogischer Praxis sich zurechtfinden muss. In dieser zweiten Position
finde ich mich nicht vor als jemand, der Wissen
„umsetzt“
, etwa aus der ersten in die zweite Position. Vielmehr finde ich
mich vor als jemand, der Erinnerungen aktiviert, willkürlich oder
unwillkürlich.
[144:7] Nun sind diese Erinnerungen aber immer schon ein Gemenge aus
Verschiedenem. Ich – wenn ich mich selbst denn recht verstehen sollte –
bringe zumeist wahrscheinlich unwillkürlich sehr unterschiedliche
Wissenssorten ins Spiel: etwa eine Hypothese Winnicotts zu Gestalt und Funktion von
„Übergangsobjekten“
, Piagets Befunde zum Symbolspiel des
Kindes, mythologische Erinnerungen an den
„Ödipus“
des Sophokles oder an Abraham und Isaak, eine
autobiographische Mitteilung Peter
Härtlings über einen gefährlichen Ausflug mit dem Dreirad, Bilder, die ich gesehen, Musik, die ich
gehört habe, Verse von Ovid
oder Celan, schließlich auch
das, was ich als Kind erfahren habe. Zwischen diesen Wissensbeständen gibt
es keine Hierarchie.
„Szientistisch“
kommt mir deshalb
ein Verständnis von Praxis vor – und ich glaube, ebendies hat Bittner gemeint –, das der
wissen|a 217|schaftlich erzeugten Wissenssorte einen
Vorrang vor allen anderen einräumt.
„Erziehung ist anscheinend ein weitgehend
unmöglicher Gegenstand von Wissenschaft“
(S. 237)
. Ich stimme zu, allerdings mit der Einschränkung, dass dies nur gilt,
soweit es jene Umsetzung von Wissenschaft in Praxis betrifft.
„Gescheitert“
also, so scheint
mir, ist eine derartige Bemühung nur dann, wenn ihren Leistungen aufgebürdet
wird, die Praxis anleiten zu sollen.
[144:8] Das
„autobiographische Motiv“
ist deshalb ein
ironischer Kontrapunkt zur
„szientistischen“
Wissensproduktion. Biographie-Forschung, obwohl selbst dieser Wissenssorte
zugehörig, hebt die scheinbar zuverlässigen Bestände des Wissens immer
wieder auf, besonders solchen Wissens, das sich vornehmlich an der
„Kausalität“
von Ereignissen interessiert zeigt und
weniger an
„Bedeutungen“
. Aber gerade diese Konfrontation
möchte ich nicht missen. Lese ich eine Autobiographie oder einen darauf
bezogenen wissenschaftlichen Text, dann meine ich zu spüren, wie zwei
verschiedene Konstrukte meiner selbst in Streit geraten: Ich lese in der
objektivierenden Einstellung des Erziehungswissenschaftlers, der das
Dokument im historischen Kontext zu lokalisieren und seine Mitteilungen zu
erklären sucht, eine Tätigkeit, die Kant als subsumptionslogisch beschrieb, als das
Subsumieren der Erfahrung unter die Verstandesurteile. Gleichzeitig aber –
so jedenfalls ist meine Leseerfahrung – konfrontieren mich solche Dokumente
mit mir selbst, wenigstens mit meiner Fähigkeit, mich erinnern zu können,
gleichviel wie groß die Distanz der Jahrhunderte sein mag. Meiner
Urteilskraft wird etwas abverlangt, das in den eingespielten
Verstandesbegriffen nicht unterzubringen ist; mir wird die Einsicht
zugemutet, dass ich mich selbst nicht durchschaue. Kant nannte deshalb die in solchen Fällen
vorkommende Form des Urteils
„reflexiv“
. Der
„gläserne Mensch“
ist ein Artefakt szientifischer
Einstellung. Es gehört der von La
Mettrie im 18. Jahrhundert favorisierten Metapher des
„L'homme machine“
dazu. Aber lässt sich, |a 218|andererseits, auf unsere Selbst-Undurchsichtigkeit eine
Wissenschaft gründen? Wohl nicht!
[144:9] Günther Bittner will
das auch gar nicht, wenn ich ihn recht verstehe. Er möchte jedoch die Spuren
deutlicher nachzeichnen, die es zwischen dem Szientifischen und dem
Autobiographischen, zwischen Verstandesurteilen und Reflexionsurteilen,
zumal in der Pädagogik, jedenfalls in deren alltäglicher Praxis, unaufhebbar gibt.
„Die pädagogische
Aufgabe“
ist ohne solche Spuren nicht gut beschreibbar. Aber das ist
zuviel verlangt von einer modernen Wissenschaft. Ich jedenfalls bin schon
zufrieden, wenn es uns hier und da gelingt, die Bedingungen dieser
„Aufgabe“
aufzuklären.
3.
[144:10] Die Problemstellung hat Ähnlichkeit mit der Kunstwissenschaft: Die
Praxis künstlerischer Tätigkeit zu beschreiben oder gar aufzuklären als das,
was sie, wie Bittner in
anderem Zusammenhang kritisiert,
„auf der Realebene gleichsam als
Protokoll“
ist
(S. 129)
, hat man an die Ränder dieser Wissenschaft verwiesen. Die
szientifische Anstrengung gilt der Aufklärung von Bedingungsfeldern
(ikonographische Traditionen, kulturhistorische Verortung, ökonomische und
politische Kontexte, alltagsweltliche Gehalte usw.). Dennoch bleibt die
Frage, in welchem Sinn solche Bildprodukte auch als
„Protokolle“
gelesen werden könnten. Einerseits
nämlich verweisen sie auf Sachverhalte der äußeren Erfahrung – diese
spielenden Kinder dort; jenes Interieur, das aussieht wie ein Amsterdamer
Bürgerhaus zur Zeit des Comenius; die chirurgischen Instrumente, mit denen ein
Selbstporträtist der Gegenwart seine Physiognomie verfremdet; der archaische
Umriss einer Figur und der in die Ölfarbe hineingerührte Sand usw. Das sind
Protokolle ästhetischer Tätigkeiten, die der Erläuterung und Erklärung
bedürfen. Andererseits aber lässt sich für jedes |a 219|Bild, aber eben auch für jeden in der Rhetorik sich als
„autobiographisch“
darstellenden Text geltend machen, dass es sich um
Fiktionen oder Konstruktionen handelt. Wie denn anders könnten wir über uns
reden, wenn nicht so, dass wir das, was wir zu empfinden meinen, durch die
Konstruktionsregeln von Sätzen, Vokabularien, Strichen, Farben oder
anderswie zur Darstellung, zur Sprache, zur
„Beschreibung“
brächten. Immer haben wir es nur mit solchen
Vokabularien zu tun, und insofern sind Bilder und autobiographische Texte
Protokolle, Beschreibungen von Lebenssachverhalten, die nur so und nicht
anders zugänglich sind. Ich jedenfalls vermag gleichsam hinter solchen
(fiktiven) Beschreibungen nichts zu entdecken und nehme sie deshalb, was
Bittner mir ankreidet,
als das letzte mir zugängliche Datum – freilich aus Mangel an
psychoanalytischer Bildung. Ich vermag nicht zu sagen, was die Seele sei und
was ihre Realität; ich muss mich an ihre Fiktionen halten.
„Wie es wirklich gewesen ist“
, das kommt mir wie eine metaphysische
Frage vor.
[144:11] Damit nähere ich mich dem dritten Gedanken dieses Beitrages.
Fiktionen nämlich, auch wenn sie das Innenweltliche nur veräußerlicht zur
Darstellung bringen, in
„metaphorischer Exemplifizierung“
, wie Nelson
Goodman zeigt, können dennoch Diskurse eröffnen, über die sich
begründet reden lässt. Bittner kommt immer wieder auf Pestalozzis Fiktionen zurück, weil sie
ihm näher an den Hauptthemen der Erziehungswissenschaft zu liegen scheinen
als anderes. Er macht damit geltend, dass es nicht nur in den schönen
Künsten, wie Kant erläuterte,
sondern auch in der Erziehungskunst, Leute gebe, die man als
„Genie“
bezeichnen kann. Diese nämlich
bezögen, so Kant, das
Leistungsniveau ihrer Produkte nicht aus den bestimmenden Urteilen des
Verstandes, sondern aus einer
„Naturgabe“
, die indessen eine
„Regel“
enthalte. Aber:
„Welcher Art ist denn diese Regel?
Sie kann in keiner Formel abgefaßt zur Vorschrift dienen“
(§, 47 der Kritik der Urteilskraft)
. Man kann an ihr |a 220|höchstens
„das eigene Talent prüfen ..., um sich jenes zum
Muster, nicht der Nachmachung, sondern der Nachahmung, dienen zu
lassen. Wie dieses möglich sei, ist schwer zu erklären“
.
[144:12] In diesem Sinne lässt sich ein pädagogisches
„Genie“
, lange vor Pestalozzi, entdecken, nun nicht als Schriftsteller, sondern als
Maler. Ich meine Rembrandt. Man kennt die vielen Zeichnungen und Radierungen,
wenigstens einige davon, in denen Mütter, selten auch Väter, mit
Kleinkindern in Interaktion treten. Zwar gibt es Anhaltspunkte dafür, dass
diese Skizzen Szenen aus Rembrandts eigenem Haushalt zur Darstellung bringen. Aber es ist
völlig unwichtig, ob es sich dabei um realitätsgerechte Protokolle solcher
Erfahrungen handelt oder um Fiktionen. Rembrandt erfindet eine pädagogische Sprache.
Sein pädagogisches Genie zeigt sich nicht in der Handlung oder im Wort,
sondern im Strich.
[144:13] Diese beiden höchst eindringlichen Zeichnungen will ich nun nicht
interpretieren; ich möchte nur, diesen kleinen Beitrag abschließend, auf
einiges aufmerksam machen, was man eigentlich ohnehin schon sehen kann. Ich
nenne diese Zeichnungen
„eindringlich“
; aber wo dringen
sie ein? Günther Bittner hat
die Tautologie beklagt, in die – darf man so sagen? – die theoretisch
dümmlichen Formeln
„Ich muß der sein, der ich bin; ich muß
mich wählen als der, der ich bin“
hineinführen. Rembrandt entlarvt das Falsche solcher
Formeln; er dringt durch den Strich seiner Zeichnung in unsere leiblichen
Gesten ein, und zwar an dem frühen Punkte unserer Biographien, an dem die
symbiotischen Phantasien anfangen, sich zu verbrauchen. Ohne uns zu nötigen,
bringt die Führung des Zeichenstiftes uns, die Betrachter, hervor als
einerseits sich an ihre eigene Leibhaftigkeit Erinnernde, andererseits als
Beobachtende dessen, was sich auf dem Blatt Papier ereignet. Und da meine
ich zu bemerken – um mich ganz vorsichtig auszudrücken und nicht
„erkennen“
zu sagen –, dass das Verstehen einer
pädagogi|a 221|Rembrandt: Saskia, Rumbartus eine Treppe
heruntertragend. Um 1636. New York, Pierpont Morgan Library.
Feder, laviert.|a 222|Rembrandt: Der
ungezogene Knabe. Um 1635. Berlin, Kupferstichkabinett. Feder, laviert.|a 223|schen Szene beider Komponenten, beider
Perspektiven bedarf, des Erinnerns und der Beobachtung. Und mir wird
zugleich auch etwas über die Sache mitgeteilt: Die Bildung des Menschen,
jedenfalls des neuzeitlichen, kommt auf ihren Weg, wie Hegel sagte, über die
„Entfremdung“
, über die
„Entzweiung“
. In beiden Bildern strebt das Kind aus der
symbiotisch scheinenden Mutter-Kind-Einheit heraus und hat schon anderes im
Sinn oder im Blick. Die Mutter, als Resonanz der kindlichen Bewegung, hält
fest, aber so, als wüsste sie, dass das Loslassen die notwendig
komplementäre pädagogische Geste wäre. Das kleine Drama spielt sich ohne
Worte ab, verweist uns also auch darauf, dass pädagogische Szenen ein
Fundament in unserer Leiblichkeit haben, die wir nicht nur beobachten
können, szientifisch, sondern die wir, autobiographisch, erinnern müssen, um
zu verstehen, was vor sich geht – eine pädagogische Belehrung durch die
Kunst, die doch auch Günther
Bittner gut gefallen müsste.
[144:14] In den von Friedrich
Schlegel herausgegebenen Athenäums-Fragmenten von 1799 findet sich ein Aphorismus Schleiermachers, der entfernt mit den
Zeichnungen Rembrandts zu tun
hat:
„Hast du je den ganzen Umfang eines anderen mit
allen seinen Unebenheiten berühren können, ohne ihm Schmerzen zu
machen? Ihr braucht beide keinen weiteren Beweis zu führen, daß ihr
gebildete Menschen seid“