[V05:1] Ein heller Frühlingstag liegt hinter uns. Morgens sind wir von
daheim fortgefahren, haben den Lärm der Stadt weit hinter uns gelassen. Jetzt
schreiten wir durch den dämmernden Abend. Ganz ruhig und still ist es hier
draußen, und unsere Herzen öffnen sich diesem Frieden. Von fernher klingen
Glocken zu uns herüber; sie läuten das Osterfest ein und uns ist es, als bereite
sich alles um uns auf dieses Fest vor. Am dunkelnden Himmel glimmen die ersten
Sterne auf, wie Lichter, die angezündet werden, damit die Menschen sich in der
Nacht nicht fürchten. –
[V05:2] Dann ist der Wald erreicht. Zuerst ist in uns eine leise Unsicherheit;
der Wald hat ein ganz anderes Gesicht als am hellen Tag, aber dann sehen wir
wieder durch das Geäst der Bäume die Sterne aufleuchten. Wir fassen uns an den
Händen und stapfen in das Dunkel hinein. Das Laub raschelt unter unseren
Tritten, – plötzlich klingt ein leises Singen auf, ein Abendlied. Die beiden
Jüngsten haben es sacht begonnen, und auch wir stimmen ein.
[V05:3] So gehen wir eine Weile, dann führt der Weg bergan. Vom Berg herab tönt
Stimmengewirr; dort tragen sie das Holz für das Feuer zusammen. Langsam klettern
wir den Berg hinauf; – dann sammeln wir uns im Kreis um den Holzstoß. Eine
kleine Flamme knistert in den trockenen Zweigen, wächst, wird größer, bis sie
ruhig und leuchtend zum dunklen Himmel emporbrennt. Wir sind ganz still. Und es
ist die Bitte da, daß unser Leben einmal einer Flamme gleichen möge, – so ruhig
und leuchtend, die Dunkelheit zerreißend und voller Wärme. Unsere Zeit hat
solche Menschen nötig, überall ist Not und Leid; wie können wir da helfen?
Müssen wir nicht versuchen, ein Licht in dieses Dunkel hineinzutragen, uns dafür
zu bereiten? – Wir spüren die Forderung und Kraft des Carossawortes:
[V05:4]
Der Acker der Zeit wird mit scharfer Pflugschar gepflügt,
Wohin wir sehen, sind aufgeworfene Schollen.
Doch hart ist das Erdreich, – ob ihm unsere Keimkraft genügt?
Still, sorgen wir nicht, wohin wir gesät werden sollen.
Wer weiß denn, ob er nicht Keim für künftigen Stern ist.
Machen wir selbst uns nur dichter und reiner und neuer,
Daß alles in uns vergeht, was nicht ganz Kern ist,
Und wenn uns das Erdreich nicht löst, so löst uns das Feuer.
[V05:5] Und weiter schwingt der Bogen. Hat uns nicht einer den Weg dazu
gewiesen? Einer, der sein Leben für uns gegeben hat, für uns alle? Können wir
nicht versuchen, im Kleinen unser Leben danach auszurichten? In der Liebe leben,
das ist das Geheimnis. Gerade das geringe und Arme braucht Wärme und Liebe.
[V05:6] Einer liest die Geschichte vom Tod des Hirtenjungen Michael, der sein Leben für ein verirrtes Lamm seiner Herde
dahingibt.
[V05:7]
, heißt es,
„seien nun allerdings alle Vaterländer und Kronen dieser
Erde beschlossen, denn keinem Hirten dieser Welt könne Größeres
beschieden sein, als der Tod für das Aermste seiner Herde, – dann werde,
in fernen kommenden Zeiten vielleicht, es von selbst sich fügen, daß das
Wesen solcher Seele alle Länder durchdringe und dazu helfen werde, die
Herrschaft dessen aufzurichten, der das Lamm Gottes genannt worden
sei.“
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[V05:8] Wir sind noch eine ganze Weile still. Jeder ist von dieser Stunde
angerührt, und wir spüren, wie ein feiner Faden zu dem morgigen Tag läuft. Dann
fassen wir uns bei der Hand. Wir wissen auf einmal, wie eng wir zusammengehören.
Leise klingt das Schlußlied auf, – dann nehmen wir Abschied voneinander.
[V05:9] Am nächsten Morgen treffen wir uns schon früh auf dem Berg wieder. Vor
uns liegt das Land in der hellen Morgensonne, blank und leuchtend. Mir ist, als
hätte ich noch nie so wie heute einen Frühlingsmorgen erlebt. Der Bann des
Winters ist gebrochen, die Sonne weckt alles zu neuem Leben. Die Gräser und
Blumen strecken sich der Sonne entgegen, die Knospen öffnen sich, und feine
grüne Blättchen entfalten sich. In den Zweigen der Bäume zwitschern und singen
die Vögel. Freude tönt aus ihrem Gesang und Freude tönt in uns wider. Sonst ist
es ganz still. Wir spüren das Geschenk dieses Ostermorgens und ahnen, was Ostern
heißt: Auferstehung, Sieg des Lichtes über die Finsternis; Vollendung der
göttlichen Liebe. Denn diese Liebe kam von Gott auf die dunkle Erde. Sie nahm
die Gestalt eines Menschen an, der Leid und alle Schmerzen der Menschheit auf
sich nahm. Aber erst durch seinen Tod, den er für unsere Sünden erlitt, und
durch die Auferstehung, daß Gott unsere Sünden an sein Herz nahm, wurde diese
Liebe vollendet. Da wurde der Weg des Lichtes offenbar; und wo das Grauen und
die Angst gewohnt hatten, wurde es hell.
[V05:10] Groß und weit wurden unsere Herzen. Eine ganz tiefe Fröhlichkeit
erfüllte uns und ein Wissen, daß wir alle Kinder des Lichtes sind. Ich glaube,
daß solche Stunden sehr selten sind, und der graue Alltag kann viel davon
fortnehmen. Aber wir wollen versuchen, das alles als ein kostbares Geschenk mit
nach Hause zu nehmen. Vielleicht wird uns einmal die Erinnerung an solche
Stunden, die Gnade sind, ein ganz lichtes Schwert gegen das Dunkel.
[V05:11] Ehe wir von unserem Berg in das Tal hinunter steigen, singen wir ein
altes Osterlied. In ihm klingt unser Dank und unsere Freude:
[V05:12]
Gelobt sei Gott im höchsten Thron
samt seinem eingebornen Sohn,
der für uns hat genug getan.
Halleluja.