Nachklänge zum Gautag [Textfassung a]
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Nachklänge zum Gautag

[V01:1] Die Art, wie das Feuer auf unserm Gautag vor sich gegangen ist, sollte uns Anlaß zu einiger Besinnung sein. Warum sind wir eigentlich Wandervögel? Sind wir es, weil wir nicht parteipolitisch gebunden sein oder uns nicht kirchlich binden wollen? Oder vielleicht deshalb, weil wir unser Deutschtum ja nicht vergessen? (Ich denke, daß jemand, der von seinem Deutschtum viel Reden macht, es wahrscheinlich wenig in sich trägt.) Oder sind wir etwa nur deshalb Wandervögel, weil wir
revolutionär
sein wollen? Meint Ihr nicht auch, daß es etwas Positives sein muß, was unser Wesen ausmacht? –
[V01:2] Wie tief wir, nicht nur materiell, sondern gerade auch seelisch im Dreck stecken, weiß jeder, der sich umschaut. Wir sind mit dem, was wir bisher mit
Weltanschauungen
und
Ideologien
getrieben haben, gründlich festgefahren, und nicht zuletzt darum, weil wir es nicht versucht oder gewollt haben, den Menschen als Ganzes zu sehen und selbst auch aus einer Ganzheit heraus zu leben. Es gibt keinen Mittelpunkt mehr. auf den wir alle gerichtet sind. Die
Fachleute
sind ein typisches Zeichen unserer Zeit: alles hat sich spezialisiert, ist autonom geworden. Deutlichsten Ausdruck findet dies in der Kunst der letzten Jahrzehnte, etwa, wenn Pirasso ein Bild malt, in dem jedes Ding sein eigenes Bezugssystem hat und völlig verschiedene Dimensionen: es ist |a [10]|keine Einheit mehr da, es herrscht die Willkür. Und gerade eine Einheit gilt es für uns wieder zu finden. Das ist auch die große Sendung dieser Künstler, daß sie uns rücksichtslos zeigen, daß wir keinen Mittelpunkt mehr haben. Wenn wir uns um eine neue Lebenshaltung bemühen, wenn wir nun meinen, daß es auf dem alten Wege nicht weiter geht, uns einen Halt, ein Ziel zu suchen, so können wir nicht mit Dingen beginnen, die nicht im Mittelpunkt unseres Mensch-Seins liegen, die nicht in Beziehung zu unserer
Geschöpf
-lichkeit stehen. Ich meine, das müßte das Wesen des Wandervogels sein, daß er nach einer Lebenshaltung sucht, die zentral ausgerichtet ist, auf einen unbedingt gültigen und wesentlichen Mittelpunkt. Und deshalb, meine ich, haben wir uns auf wesentlichere Dinge in einer Feierstunde zu besinnen, als auf unser Nationalgefühl oder was es sein mag. Es geht um mehr als um unser Volk oder Vaterland; es geht um den Menschen; oder besser: es geht um Gott, um unser Verhältnis zu ihm. Und vielleicht liegt gerade die Aufgabe der Deutschen in erster Linie hier und nicht auf anderen Gebieten, gerade, weil wir das erste Volk sind, das völlig zusammengebrochen ist und die herrliche Gelegenheit zu einem völlig neuen Anfang hat. Und wir haben die Pflicht, es gründlich zu tun. Ich halte dies für eine Entscheidung (es ist letzten Endes die Entscheidung für Christus) die wir gar nicht überschätzen können, und wer weiß, ob uns noch einmal eine solche Gelegenheit gegeben wird.