Vorwort
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1.[011:7] An keiner Universität der Bundesrepublik Deutschland gab es einen sozialpädagogischen Studiengang. Nur eine Handvoll Assistenten, über das ganze Bundesgebiet verteilt, befaßte sich mit den Fragen der Jugendhilfe. Ohne die Nötigung zur Handlungsorientierung, eigentlich nur im Hinblick auf die Ausbildungsaufgaben der damaligen Höheren Fachschulen für Sozialarbeit und/oder Sozialpädagogik und die Etablierung einer erziehungswissen|C 7|schaftlichen Teildisziplin, wurden Diskussionen über den Begriff Sozialpädagogik geführt, in denen es darum ging, den Gegenstand„Jugendhilfe“als einen pädagogischen zu bestimmen.
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2.[011:8] Empirische Forschung war nur erst ein Programm. Die Pädagogik als Wissenschaft befaßte sich im wesentlichen mit Textanalysen, seien diese Texte nun historischer oder aktuell-bildungspolitischer Natur. Da die Praxis des Bildungswesens noch unerschüttert in den Geleisen des dreigliedrigen Schulaufbaus verlief, Gesamtschulprojekte z. B. nur auf dem Papier bestanden – freilich gab es zwei bis drei Ausnahmen – fehlte auch von der Praxis her die Nötigung zu einer durchaus erfahrungswissenschaftlichen Orientierung der Pädagogik. Allerdings hatte die Rezeption empirischer Forschung der Nachbardisziplinen, besonders der Psychologie und Soziologie, soweit sie pädagogisch relevant war, schon begonnen. Schwerpunkte dieser Kooperation waren die Rollentheorie (vor allem in der Version ), die Ausleseproblematik im Bildungswesen, die Jugend- und Freizeit-Forschung (weitgehend bestimmt durch die Arbeiten und seiner Schüler).
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3.[011:9] Von Sozialisation war noch kaum oder nur im Anschluß an die Rede. war unter Erziehungswissenschaftlern nur Fachleuten bekannt. In der Sozialpädagogik bewegte sich die Erörterung von Delinquenz-Problemen auf der Ebene individualgenetischer Fragestellungen. Dem entsprach beispielsweise eine Praxis der außerschulischen Jugendarbeit, die sich in ihren fortgeschrittenen Teilen soziologisch am Konzept der„Subkultur“und pädagogisch am Konzept der„Aufklärung“orientierte, dabei zwar Bezug nahm auf je besondere soziale Lagen, das Problem einer„proletarischen Jugendarbeit“aber nicht als Thema hatte.
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4.[011:10] Das verweist auf den für die Geschichte der Pädagogik hier recht plausibel zu machenden Zusammenhang von pädagogischer Praxis und erziehungswissenschaftlichen Fragestellungen bzw. der entsprechenden Forschung. Die Studentenbewegung„schlummerte“noch; öffentlich sichtbar waren nur die vorbereitenden hochschulpolitischen Aktivitäten, als deren wichtigstes Dokument vielleicht die Denkschrift des„Hochschule in der Demokratie“(Berlin 1961) gelten kann; von gesellschaftlicher oder pädagogischer Praxis war noch wenig die Rede. In den Erziehungsheimen war es ruhig. In der Jugendarbeit klagten die Verbände über sinkendes Interesse der Teilnehmer; die Jugendfreizeitheime versuchten ihr Angebot„attraktiver“zu gestalten, um Jugendliche aus allen sozialen Schichten zu erreichen. Obdachlosensiedlungen waren |C 8|ein Problem für Experten. Was aber taten jene, die später sich an der durch eine veränderte Praxis („Randgruppenarbeit“,„Heimkampagnen“,„Antikapitalistische Jugendarbeit“) neu entflammten sozialpädagogischen Diskussionen beteiligten? – später einer der Initiatoren des politisch anspruchsvollen Gemeinwesenarbeits-Projektes„Märkisches Viertel“– arbeitete an einem Konzept, das sich als„Freizeiterziehung durch Kultivierung der Geselligkeit mit politischen Themen“bezeichnen läßt. – Mit-Verfasser von„Gefesselte Jugend“(1971) – studierte lateinische Literatur; – inzwischen mit kritischen Beiträgen zum„Verwahrlosungs-Problem“hervorgetreten – hatte gerade eine Doktorarbeit über beendet; – später Apologet des Schüler-Ladens„“ – arbeitete an einer methodologischen Untersuchung, die sich durchaus im Rahmen empirisch-analytischer Konzeptionen hielt ohne einen Hauch von Marxismus; das von herausgegebene„“, das 1965 mit der ersten Nummer begann, brauchte mehrere Jahre, bis es sich bildungspolitisch und sozialpädagogisch relevanten Fragen zuwandte; in den ersten Nummern war es ein durchaus literarisches Magazin, zwar engagiert, aber der Akademiker befaßte sich im Grunde nur mit sich selbst. Das sind nur wenige und willkürlich herausgegriffene Beispiele. Seither hat die gesellschaftliche Praxis – auch im sozialpädagogischen Bereich – sich gravierend verändert:„Fürsorgezöglinge“bringen ihre Stigmatisierung selbst zur Sprache – und die Stigma-Theorie sowie der„labeling approach“des Interaktionismus gewinnen an Verbreitung; Sozialarbeiter und„Obdachlose“solidarisieren sich im Kampf gegen kommunale Administrationen – und die wissenschaftliche Literatur zu diesem Problem nimmt zu; Kinderläden entstehen – und die wissenschaftliche Diskussion über Kindergärten und Vorschulerziehung gewinnt eine neue Ebene; Jugendbildungsstätten entdecken Hauptschüler und Lehrlinge als spezifische Adressatengruppen – und die theoretische Diskussion einer„antikapitalistischen Jugendarbeit“hat ihren Gegenstand, die Geschichte wird neu durchforscht, Unterdrücktes aus den zwanziger Jahren kommt wieder zum Vorschein, für die Wissenschaft ergeben sich neue Perspektiven; politisch orientierte Projekte von Gemeinwesenarbeit entstehen – und in der theoretischen Diskussion taucht das„Lebenswelt-Konzept“und mit ihm verbundene Erörterungen angemessener Forschungsstrategien auf. Ein Seismograph dieser Entwicklung ist – wenngleich vornehmlich für den Bereich der außerschulischen Jugendbildung – die Zeitschrift„“.
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5.[011:11] Das Grundproblem der Sozialpädagogik, das in dieser Entwicklung und in der Auseinandersetzung zwischen Praxis und Wissenschaft sich allmählich herausstellte, betrifft ihren Ort innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft: Kann das System der Jugendhilfe-Institutionen und die in ihnen geschehende Praxis als eine Funktion der Klassenauseinandersetzungen im Kapitalismus erklärt werden, oder – mit weniger kämpferischem Akzent –: ist eine Erklärung im Rahmen politisch-ökonomischer Analyse möglich? Diese Frage wurde explizit und ausführlich zum erstenmal in dem von einem Autoren-Kollektiv verfaßten Buch„Gefesselte Jugend“(Frankfurt 1971) nicht nur aufgeworfen, sondern auch positiv beantwortet. Ob diese Antwort wissenschaftlich befriedigen kann, ist eine andere Frage. Fraglos indessen ist, daß diese Problemstellung für eine Theorie der Jugendhilfe nicht nur sinnvoll, sondern inzwischen unverzichtbar geworden ist. Die Veröffentlichung selbst kam nicht„aus heiterem Himmel“, sondern war selbst schon eine Folge der praktischen Auseinandersetzung in der Heimerziehung und der politischen Entschiedenheit relevanter Gruppen von Sozialpädagogen und Sozialarbeitern. Das erste Kapitel meines Buches ( ) müßte heute also anders geschrieben werden; das aber hätte Konsequenzen für alle anderen Teile.
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6.[011:12] In den gleichen Jahren – als Zeichen nenne ich hier das Erscheinen der deutschen Ausgabe von„Stigma“(Frankfurt 1967) und des von / herausgegebenen Sammelbandes„Kriminalsoziologie“(Frankfurt 1968) – gewinnt ein Thema an Bedeutung, das, so könnte es scheinen, in eine der politisch-ökonomischen Fragestellung entgegengesetzte Richtung weist: Der aus der interaktionistischen und phänomenologischen Forschungstradition (, , , u. a.) stammende„labeling approach“. Individuen, die im Rahmen von Institutionen der Jugendhilfe und der Strafrechtspflege zu„Klienten“,„Patienten“,„Probanden“oder„Insassen“werden, werden hier betrachtet unter dem Gesichtspunkt der Prozeduren, denen man sie unterwirft. Es wird also nicht nach einem Merkmal dieser Individuen gefragt, sondern nach der sozialen Beziehung zwischen Institutionen und Individuum, und zwar so, daß die Hypothese unterstellt wird, die„Etikettierung“(labeling) bestimmter Personen und Personengruppen als„abweichend“,„verwahrlost“,„kriminell“usw. und die damit verbundenen administrativen und exekutiven Prozeduren schreiben diesen Personen ein soziales und negativ bewertetes Merkmal zu, was sie allererst in Konflikte und |C 10|Krisen nötige, aus denen es dann in der Regel nur den Ausweg der Unterwerfung unter die dominanten Normen gebe, allerdings nicht ohne Beschädigung der eigenen Identität. Unter dem Titel„Wie wird man kriminell“hat diese Fragestellung plausibel geschildert (in: Kritische Justiz, Jg. 1971, Heft 4). Das seit 1969 erscheinende„ Kriminologische Journal“ist zur wichtigsten Plattform für diese Erörterungen geworden und hat in seinem Buch„Definition und Macht“(München 1974) den ganzen Umkreis der damit für die Jugendhilfe aufgeworfenen Probleme kritisch erörtert. Auch diese Diskussion, deren theoretisches Fundament die Bestimmung der Struktur menschlicher Interaktion ist, steht in Beziehung zur Praxis. Organisierte Entweichungen aus Fürsorgeerziehungsheimen, Heimkampagnen, Einrichtung von Jugendwohnkollektiven in den Jahren 1969 bis 1972 durch Initiative oder Mitwirkung der„Zöglinge“selbst, sind ein ausdrücklicher Versuch gewesen, sich selbst neu zu definieren und die Fesseln der institutionellen Zuschreibungen abzustreifen. Die Erfahrung dieser Praxis von„Selbstorganisation“hat für den aufmerksamen Wissenschaftler sein Bild des„Verwahrlosten“radikal ändern müssen. Der„labeling approach“bot die Möglichkeit einer theoretischen Erfassung dieser Erfahrung: Jugendhilfe konnte nun auch – ihrem eigenen Anspruch zuwiderlaufend – als eine Agentur der Entfremdung erscheinen.
Einleitung
A. Probleme
|C [18]| |C 19|1. Einige Aspekte des Verhältnisses von Sozialpädagogik und Gesellschaft
2. Generation
Wir müssen beides miteinander vereinigen....
So wollen wir also die Formel stellen: Die Erziehung soll so eingerichtet werden, daß beides in möglichster Zusammenstimmung sei, daß die Jugend tüchtig werde einzutreten in das, was sie vorfindet, aber auch tüchtig, in die sich darbietenden Verbesserungen mit Kraft einzugehen. Je vollkommener beides geschieht, desto mehr verschwindet der Widerspruch.“
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1.[011:54] Die gegenwärtige Form des Generationen-Verhältnisses ist dadurch bestimmt, daß die Übergänge zum Status des Erwachsenen nicht sozial-eindeutig markiert sind. Schulentlassung, Konfirmation, Berufsprüfungen, Volljährigkeit liegen in einem Feld von Übergängen, die schon so viele Momente des Erwachsen-Seins enthalten, daß es schwer geworden ist, eine deutliche Sozialform jugendlichen Daseins festzustellen. Dem kommt entgegen, daß die Heranwachsenden eine besonders ausgeprägte Fähigkeit haben, sich den Leistungs- und Vollzugs-Anforderungen der Gesellschaft, besonders in der Arbeit, anzupassen. Das bedeutet: ihre persön|C 35|lichen Entwicklungs- und Integrationsprobleme sind schwerer erkennbar geworden und soziologisch nur sehr begrenzt zu erfassen.
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2.[011:55] Das Verhalten der erziehenden Generation ermangelt einer deutlichen und anschaulichen Kontur. Einerseits ist das Erwachsensein weitgehend den jugendlichen Blicken entzogen; die Bewältigung der Ernst-Situationen in Beruf, Ehe, Politik sind nicht unvermittelt anschaubar – allenfalls noch im Beruf, dort aber erst zu einem Zeitpunkt, zu dem die Berufsentscheidung schon gefällt wurde; sie sind im Wesentlichen in einer durch die Massenmedien vermittelten Form zugänglich, nicht mehr als die Wirklichkeit selbst, sondern als abxtrakte Information, präparierte Meldung, stilisierter Bericht. Andererseits, bei den konkreten Begegnungen der Generationen in Familie, Schule, Betrieb, Freizeit, erscheint des Verhalten des Erwachsenen unbestimmt, vorurteilsvoll, normenlos.
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3.[011:56] Die Schwierigkeiten verstärken sich noch, wenn man nicht nur bedenkt, daß Pubertät und Adolenszenz durch die psychosomatischen und sozialen Übergangsphänomene spannungsvolle Gefüge sind, sondern unsere Gesellschaft den Rollenwechsel vom Kind zum Erwachsenen in besonderer Weise erschwert. Die Wandlungen in der Familienstruktur, die für den Verlauf der letzten Jahrhunderte behauptet werden, sind bei weitem nicht so tiefgreifend, wie die gleichzeitigen Veränderungen in anderen Bereichen der Kultur. Verglichen mit dem Entstehen der industriellen Arbeitsformen und der Struktur öffentlicher Kommunikation, der gesellschaftlichen Großorganisationen oder auch der neuen Form des Freizeitlebens ist die moderne Familie nur eine Variante dessen, was auch vor 250 Jahren nicht entscheidend anders war: sie ist immer noch eine kleine, von persönlichen Bindungen wesentlich bestimmte Gruppe, in der durch den jahrelangen intimen Umgang der Glieder miteinander die fundamentalen Persönlichkeitsstrukturen gebildet werden. Diese Beharrlichkeit und die gleichzeitige, der gesellschaftlichen Entwicklung gegenläufige Tendenz, das personale Moment besonders nachdrücklich auszubilden, haben dazu geführt, daß zwischen Familie und„Gesellschaft“sich im Verlauf der industriellen Entwicklung eine immer tiefere Kluft auftat, ein Widerspruch schließlich, den zu überwinden oder doch zu durchlaufen eine zusätzliche Komplikation des Heranwachsens bedeutet, da die sogenannten primären (Familie, Freundesgruppe, Jugendgruppe, etc.) und sekundären (Großorganisationen, Betriebe, Verbände, Öffentlichkeit etc.) Systeme je einen eigengearteten Verhaltensstil ausgebildet haben, deren letzterer nicht mehr aus dem ersten abzuleiten und zu verstehen ist. Diese bei|C 36|den, in vieler Hinsicht sogar kontroversen Stile hat der Heranwachsende gleichzeitig zu praktizieren. Zudem hat auch die Schule als ein drittes System eigene Formen mit spezifischen Verhaltenserwartungen ausgebildet, weder familienkonform noch den sekundären vergleichbar. Und schließlich wird dem Jugendlichen in der Freizeit eine„Verbraucher-Rolle“zugemutet, die ihn unvorbereitet findet, die zu spielen er aber ebensowenig vermeiden kann wie die Rollen in Familie, Beruf und Schule.
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Daraus ergibt sich nun aber nicht nur der Zwang umlernen, schrittweise mit immer wieder neuartigen Anforderungen fertig werden zu müssen, sondern auch die Gleichzeitigkeit der verschiedenen, heterogenen Lebensprobleme, der sogenannte . Allerdings scheint es fraglich zu sein, ob man diesem Phänomen wirklich Konfliktcharakter zusprechen kann. Es deutet im Gegenteil alles , daß der Konflikt ausbleibt; und dies vermutlich deshalb, weil die mit den entsprechenden Bezugsgruppen schwach ist oder erst stattfindet. Die Anpassung geschieht in der Ebene Verhaltens, ohne die Person zu betreffen. Es fällt also dem Jugendlichen leichter als dem Erwachsenen, sich auf fortwährend wechselnde Verhaltensstile einzustellen. Das bedeutet aber zugleich, daß die Bedürfnisse nach Produktivität, Engagement und Spontaneität, die offensichtlich stark genug sind, um nicht zu versiegen, keine Befriedigung finden können; es bedeutet, daß die , die fundamentale Sozialisierung der Person, erschwert ist. Das Selbstwertgefühl stellt sich nicht im Prozeß der gesellschaftlichen Integration problemlos her.
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Die zu erwartenden Spannungen und Konflikte treten in einer anderen Schicht als der des zweckrationalen, besonders anpassungsfähigen Verhaltens auf (das haben jedenfalls die Untersuchungen der letzten Jahre gezeigt); sie machen sich dort bemerkbar, wo die Person ihre eigene Bestätigung erfahren, die eigene Identität feststellen möchte, und vor allem in solchen Fällen (es sind die meisten), in denen die Kraft zum nicht ausreicht. Dieses Selber-Finden aber ist erforderlich, da die vorgefundenen Gruppen und Rollen dem Jugendlichen wenig behilflich sind. Die Bandenbildung – zwar extrem und statistisch nicht signifikant – ist ein besonders augenfälliges Symptom dieser Generations-Schwierigkeit, denn gerade in der Bande ist es möglich, die Stabilität zu finden, die die Gesellschaft einem versagt. Wo aber der Heranwachsende nicht durch sozialschöpferische Akte sich seinen eigenen Bezugsrahmen schaffen kann, staut sich das allein gelassene Bedürfnis nach einem kontinuierlichen, innerlichen Halt; seine Fragen nach den bleiben ohne Antwort; in die Diskrepanz zwischen den Generationen dringen Verständnislosigkeit und Resignation ein, die keinen Widerspruch und keine Revolte mehr hervorbringen. Jargon, Understatement und Anpassungsfreudigkeit sind möglicherweise Kompensationen und sollen die wirklichen Probleme verdecken, da man keine Hoffnung hat, die Erwachsenen könnten bei ihrer Überwindung helfen. Wo unsere Gesellschaft als Leistungsgesellschaft auftritt, ist man bemüht, ihre Ansprüche in der Anpassung zu erfüllen. Die Diskrepanz der Generationen tritt auf dem Felde der Meinungen und Wertungen hervor; sie äußert sich aber nicht spontan als produktiv-kritischer Widerspruch, vielmehr sind die realen gesellschaftlichen Bedingungen dazu angetan, sie als eine private Differenz gesellschaftlich nicht zum Zuge kommen zu lassen.
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Die ist kein einheitliches Sozialgebilde, das es mit den durch die Sozialforschung konstatierten Zügen irgendwo gibt, außer in eben dieser Sozialforschung. Sie ist ein Abstraktum. In Wirklichkeit – und jedes Untersuchungsergebnis muß wieder in sie übersetzt werden – besteht diese Generation wie auch die ihrer Eltern aus einer Vielzahl sehr unterschiedlicher Gruppen, von denen im einzelnen schwer zu sagen ist, ob sie für die Generation repräsentativ sind oder nicht. Im Hinblick auf das Generationsproblem hat die Statistik nur begrenzte Beweiskraft, da die mitgeteilten Fakten Resultate eines dynamischen Prozesses sind, in dem die verschiedensten Kräfte, Gruppen und Typen mit- und gegeneinander wirken. 1920 hat kaum jemand die Wandervögel für typisch gehalten; und ob es heute die Berlinerø oder die Hamburger Jugend, die oder die Fan-Clubs die oder die privaten Spezialisten, die Engagierten oder Desinteressierten, die Oberschüler oder die Arbeiter sind, vermag kein Gewissenhafter zu entscheiden.
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In der konkreten, etwa pädagogischen Begegnung der Generationen lösen sich die konstatierten wieder auf – in außen und innen, Meinung und Motiv, Verhalten und Norm, Attitüde und Bewußtsein, Zustand und Bewegung – diejenigen nämlich, die am Material solcher Begegnung erst gewonnen werden konnten. Nur im unmittelbaren sozialen Kontakt entsteht das Generationsproblem. Das heißt: Welche Form es hat, welche Konflikte auftauchen oder ausbleiben, welche Einstellungen entstehen, ist weniger von den unpersönlichen Trends der gesellschaftlichen Entwicklung abhängig, als von den Erfahrungen, die der junge Mensch mit seinen Eltern, Lehrern und Lehrmeistern macht. Das Generationsproblem ist selbst ein Produkt der Erziehung, wie es zugleich auch eine ihrer Voraussetzungen ist.
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1.
3.Gesundheit, Gefährdung, Verwahrlosung
Literaturhinweise
Zu
„Gesundheit, Gefährdung, Verwahrlosung“:
B. Sozialpädagogische Aspekte des Heranwachsens
|C [56]|1. Grundbedürfnisse
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1.[011:138] die primären Bedürfnisse,
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2.[011:139] die fundamentalen Erfahrungen,
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3.[011:140] die kategorialen Qualitäten.
2. Anpassung
3. Umlernen
4. Konflikte
Literaturhinweise
C. Aspekte der sozialpädagogischen Tätigkeit
|C [96]|1. Fürsorge, Planung, Diagnose
2. Schutz
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1.[011:238] Der aktuelle Schutz der heranwachsenden Generation vor den konkrete Schädigungen hervorrufenden Erscheinungen der modernen Gesellschaft und
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2.[011:239] der prinzipielle Schutz vor dem ganzen Ernst und Zwang des Erwachsenendaseins, das als ein in bestimmter Weise vergesellschaftetes Dasein immer schon eine Reduktion dessen ist, was als menschenwürdig denkbar wäre. Diesem reduzierten Dasein gegenüber erscheint das Kind als der Inbegriff der besseren, d. h. menschenwürdigeren Möglichkeiten.
3. Pflege
4. Beratung
5. Institutionen
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1.[011:280] Jedes Heim versucht, eine möglichst komplexe Erziehungswirklichkeit zu schaffen und hat daher eine Tendenz auf Familienähnlichkeit. Diese der Erziehungsabsicht innewohnende Tendenz wird leicht von außerpädagogischen Zweckmäßigkeiten (finanzieller, ideologischer, psychologischer Natur) verstellt. Nicht die Vorbildlichkeit der Familie, sondern die Vielseitigkeit der pädagogischen Aufgabe rechtfertigt diese Tendenz.
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2.[011:281] Was an den Prinzipien nicht erkennbar wird, ist die spezifische Bildungschance, die dem Heim innewohnt. Ein Heim ist keine Familie. Zu beklagen ist dieser Sachverhalt nur, wo es sich darum handelt, nicht vorhandene Familien für die Kinder zu ersetzen. Deshalb muß das Heim als eine zwischen Familie und Gesellschaft vermittelnde, familienferne pädagogische Institution angesprochen werden. Im Unterschied zur Familie nämlich sind hier in pädagogisch gesicherter Freiheit des Heranwachsens gesellschaftliche Erfahrungen möglich, die innerhalb der Familie noch ausgeschlossen bleiben.
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1.[011:289] Formelle und informelle Strukturen: Die von außen sichtbare oder an formulierten Regeln ablesbare institutionelle Struktur einer Gruppe (formelle) muß nicht identisch sein mit den wirklichen, vielleicht wechselnden Beziehungen, Wertungen und Strebungen (informelle Gruppe) ihrer Mitglieder. Diese informellen Gruppierungen sind aber erzieherisch von entscheidender Bedeutung, weil sie von den dynamischen Interaktionen der Gruppenmitglieder abhängen und sich unter Umständen gegen das formelle System (Klasse, Jugendgruppe, Heimgruppe, Betriebsgruppe) und seine besondere Art richten können, damit aber Quelle von Konflikten werden. Je autoritär-hierarchischer eine Gruppe formell strukturiert ist, umso weniger wird vermutlich der Gruppenleiter von der informellen Struktur erfahren, umso fragwürdiger wird seine Erziehungswirkung.
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2.[011:290] Gruppenstile: Was in einer Gruppe pädagogisch geschieht, ist abhängig von der Art der Beziehungen in ihr, von der Verteilung der Rollen, von der Rolle des Führers, kurz: von der Atmosphäre oder dem Stil. Zum Beispiel steigt bei stark autoritär gelenkten Gruppen unter den Mitlgiedern die Aggression, besonders gegen Schwächere, nimmt das Wir-Gefühl ab, steigt die Unterwürfigkeit; dagegen nimmt bei kooperativ geführten Gruppen die Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit zu, die Aggressivität ab, die Fähigkeit zu Objektivität und Distanz zu – um nur einige Merkmale zu nennen.„Das soziale Klima, in dem ein Kind lebt, ist für das Kind ebenso wichtig, wie die Luft, die es atmet“(Lewin)
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3.[011:291] Vorurteile: Die starken persönlichen Bindungen, die in einer face-to-face-Gruppe herrschen, sind nicht schon an sich etwas Gutes. Die soziale, emotionale und Bewußtseinssicherheit, |C 122|die sie vermitteln, werden durch ein relatives Sich-Abschließen nach außen erkauft: die„in-group“neigt dazu, eine gegen die„out-group“, die„Anderen“gerichtete Ideologie zu pflegen (Antisemitismus, Elite-Ideologien, Cliquenbildungen usw.). Dadurch wird verhindert oder erschwert, was eine wesentliche Aufgabe der Erziehung ist: das Vermeiden oder Abbauen von Vorurteilen.
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4.[011:292] Die starke Binnenkonsolidierung der face-to-face-Gruppe birgt eine weitere Gefahr: sie befördert nicht nur das Entstehen von Vorurteilen, sondern erschwert auch die Aufnahme anderer Sozialbeziehungen. Die pädagogische Beschränkung auf die überschaubare Gruppe kann die Beschränktheit der sozialen Erfahrung und Beweglichkeit unterstützen. Wenn es auch letzten Endes nicht die Aufgabe der Erziehung ist, den Heranwachsenden den gesellschaftlichen Bedingungen anzupassen, so muß sie doch seine Anpassungsfähigkeit bilden, ihn für die differenzierten Erfahrungen mit der Gesellschaft offen halten.
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5.[011:293] Jeder Mensch braucht eine Bezugsgruppe, auf die er sein Selbstbewußtsein und Selbstwertgefühl beziehen, auf die er es stützen kann. Die Bezugsgruppe muß nicht zusammenfallen mit der Gruppe, in welcher er die meiste Zeit seines Tages verbringt. Die aus der Diskrepanz entstehenden Konflikte bergen für die Erziehung des Einzelnen entscheidende Probleme. Jugendkriminalität, besonders Bandenbildung, findet in der Bezugsgruppentheorie eine unter anderen Erklärungen. Aber ebenso, wie mit ihrer Hilfe negative Erscheinungen erklärt werden können, können auch positive Entwicklungen gefördert werden, etwa durch Einflußnahme auf solche Bezugsgruppen und ihre allmähliche Umstruktuierung (vergleiche die Arbeit der nach dem ersten Weltkrieg in Berlin, die Bemühungen nordamerikanischer Sozialarbeit, die Erfahrungen mit jugendlichen Banden in europäischen Großstädten) oder durch die Neubildung von Bezugsgruppen in der offenen und halboffenen Jugendarbeit (Schutzaufsichtsgruppen, Gruppen in Freizeitheimen, in der offenen Industriejugendarbeit, der Arbeit der Sozialpfarrämter usw.).
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6.[011:294] Im Zusammenhang mit den Problemen der Bezugsgruppe steht ein Begriff, der innerhalb der Sozialpädagogik zunehmend an Bedeutung gewinnt: die jugendliche Subkultur (oder Teilkultur). Es hat sich gezeigt, daß zwar nicht die Jugend im Ganzen innerhalb unserer Gesellschaft sich als eine„Kultur in der Kultur“formiert, wie von der Jugendbewegung inspirierte Theorien etwa anzunehmen geneigt sind, – daß aber innerhalb der jungen Generation sich Gesellungsformen herausbilden, die – mit mehr oder weniger tauglichen Mitteln – in bestimmten Verhaltensweisen sich |C 123|den gesellschaftlichen Zwängen wenigstens vorübergehend zu entziehen trachten. Bemerkenswert ist, daß die beiden exponiertesten in den USA beschriebenen Formen solcher Subkulturen – die Bande und mittelständische College-Clique – sich gegen die beiden Haupttabus der bürgerlichen Gesellschaft richten: gegen das Eigentums-Tabu im einen und das Sexual-Tabu im anderen Fall. Auch bei uns hat man das Entstehen von Subkulturen zu bemerken gemeint, so z. B. bei den im Zusammenhang des Jugendtourismus auftretenden Gruppenbildungen. Als Möglichkeiten der Heranwachsenden – auch im Falle devianter Verhaltensweisen –, sich damit von ihrer sozialen Herkunft zu emanzipieren, sind sie durchaus sozialpädagogisch relevant, besonders, das durch sie eindringlich jene Stellen im Sozialisierungsprozeß markiert werden, die problematisch sind und auf gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge verweisen.
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1.[011:297] Die Unausweichlichkeit der Arbeitsteilung auch im Felde der Erziehung, die eine Spezialisierung des Einzelnen auf jeweils spezifische Aspekte der Erziehungsaufgabe erfordert und die ebenso unausweichliche, weil von der Erziehungsaufgabe her gebotene, Zusammenfassung der zunächst geteilten Aspekte;
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2.[011:298] die mit dem Erziehungsproblem in einer sich demokratisierenden Gesellschaft gestellte Forderung, in der Erziehungsorganisation, in ihren Institutionen, die hierarchisch-autoritären Formen der Kommunikation zu verlassen zugunsten von kooperativen Verfahren in der Zusammenarbeit der Erzieher;
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3.[011:299] Die Unsicherheit im Hinblick auf gültige Erziehungskonzeptionen und das damit zusammenhängende Bedürfnis nach Modellen |C 124|von Lebens- und Erziehungsmöglichkeiten, die beispielgebende Wirkung haben können; die Einsicht in die erzieherische Fruchtbarkeit solcherart anschaulicher und praktischer Antworten einer kleinen Gruppe auf die Herausforderungen der gesellschaftlichen Lage.
Literaturhinweise
D. Bewertung und Kontrolle abweichenden Verhaltens – Aporien bürgerlich-liberaler Pädagogik
|C [128]|I.
II.
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1.[044:20] Das abweichende Individuum wird als dissozial, z. B.„verwahrlost“, klassifiziert und erleidet damit jene stigmatisierende Rollenzuschreibung.
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2.[044:21] Es wird Prozeduren der Diagnose unterworfen, in denen solche Rollenzuschreibung institutionalisiert wird und zugleich einen Schein der Rechtfertigung erhält.
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3.[044:22] Es wird einem Sozialisationssystem, z. B. dem Erziehungsheim, zugewiesen, wodurch der Makel noch einmal verstärkt und er gleichsam öffentlich diskriminiert wird. Zudem reproduziert das Erziehungsheim zu einem beträchtlichen Teil gerade jene Sozialisationsbedingungen von Ärmlichkeit, Zwang und Restriktion, die |C 138|in dem Herkunftsmilieu die Entstehung von Dissozialität begünstigt haben und Anlaß für die soziale Stigmatisierung gewesen sind.