Literaturverzeichnis
Einführende Literatur
Grundlegende Literatur (im Text besprochen)
Weiterführende Literatur
Lernziele
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–[V47:50] Die Abhängigkeit pädagogischer Erscheinungen von Erscheinungen der gesellschaftlichen Entwicklung sehen lernen,
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–[V47:51] Fragestellungen der pädagogischen Theorie auf Fragestellungen der Gesellschaftstheorie beziehen können,
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–[V47:52] die Bedeutsamkeit (Relevanz, Wichtigkeit) einer erziehungswissenschaftlichen Problemstellung erörtern können,
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–[V47:53] am Beispiel von Problemen des Sozialisationsprozesses den Zusammenhang von gesellschaftlicher und individueller Entwicklung verstehen,
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–[V47:54] eine Vorstellung von der Methode der Kritischen Theorie erworben haben und
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–[V47:55] den Geltungsgrund pädagogischer Normen (Erziehungsziele) kritisch erörtern können.
0 Einleitung
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–[V47:72] wie es dazu kam, daß die Kritische Theorie von der Erziehungswissenschaft zur Kenntnis genommen wurde
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–[V47:57b] von welchen Grundannahmen die Kritische Theorie ausgeht,
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–[V47:57c] welche Gesichtspunkte in die Analyse des Gegenstandes einbezogen werden,
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–[V47:57d] inwiefern sich das erkennende Subjekt der gesellschaftlich-geschichtlichen Situation, in der es erkennt, vergewissern solle.
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1.[V47:76] Die methodisch zuverlässige Bearbeitung, die ein Thema gestattet bzw. die Zuverlässigkeit, mit der es bearbeitet wurde.
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2.[V47:77] Der Beitrag, den die Bearbeitung einer Problemstellung für die Prüfung und Weiterentwicklung einer der in der Erziehungswissenschaft diskutierten Theorien leistet.
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3.[V47:78] Das Ausmaß,in dem ein wissenschaftlicher Beitrag auf Problemstellungen pädagogischer Praktiker antworten kann.
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4.[V47:79] Die Brauchbarkeit eines wissenschaftlichen Beitrags für die Steuerung institutionalisierter Bildungs- bzw. Lernprozesse.
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5.[V47:80] Das Ausmaß, in dem ein wissenschaftlicher Beitrag Veränderungen im Erziehungssystem und in den Erziehungspraktiken unterstützen kann.
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1.[V47:82] Eine Begründung, bei der innerwissenschaftliche Rechtfertigung angestrebt wird (1 und 2).
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2.[V47:83] Eine Begründung, bei der die Relevanz-Bestimmung an außerwissenschaftliche Instanzen (Praktiker, Institutionen) abgegeben wird (3 und 4).
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3.[V47:84] Eine Begründung, die die Kriterien 1-4 zwar nicht mißachtet, sie aber auf den geschichtlichen Prozeß bezieht und eigene Entscheidungen, wertende Urteile nötig macht (5).
1. Zur Thematik der Kritischen Theorie
1.1 Die sozialisationstheoretische Fragestellung
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–[V47:92] bei der Frage, wie eine typische Form des Charakters (Sozialcharakter) entsteht (Adorno 1950 und 1973, Fromm 1936, Horkheimer 1974);
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–[V47:93] bei der Frage, wie Vorlieben für den Konsum bestimmter kultureller Äußerungen (beispielsweise in der Kunst) gesellschaftlich erzeugt werden und welche Funktion sie haben (Marcuse 1965, Adorno 1973, Benjamin 1963);
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–[V47:94] bei der Frage, welches Gesellschaftsbild sich Menschen im Verlauf ihres Bildungsganges aneignen und womit dies zusammenhängt (Adorno 1973, Habermas u.a 1961);
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–[V47:95] bei der Frage, welche Rolle die Kunst für die Bildung des Menschen spielt und wie sie als gesellschaftliches Produkt und als schöpferische Produktion zwischen Individuum und Gesellschaft zu beurteilen ist (Adorno 1958, 1961 und 1973, Benjamin 1963);
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–[V47:96] bei der Frage, welche Folgen bei der Ausübung von Macht in der Erziehung zu erwarten sind und welche Alternativen dazu möglich wären (Adorno 1973, Horkheimer 1974, Fromm 1936 und 1970, Dermitzel 1969).
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–[V47:99] Wenn man der Meinung ist, daß die“Eigentumsverhältnisse”und“die bestehenden Lebensformen überhaupt”die Entwicklung der Gesellschaft zu besseren, d.h. allen Menschen mehr Freiheitsspielräume, mehr Gerechtigkeit, mehr Gleichheit gewährenden Verhältnissen verhindern;
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–[V47:100] Wenn man ferner der Meinung ist, daß solche Entwicklung nach dem Stand des“ökonomischen Apparats”, d.h. nach dem Stand der Produktivkräfte, Produktionsmittel und also des gesellschaftlichen Reichtums durchaus möglich wäre;
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–[V47:101] und wenn man schließlich der Meinung ist, daß jedermann beim genauen Bedenken der Lage dann auch eine solche Entwicklung wollen müßte;
1.2 Autorität und Familie
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1.[V47:131] In der bürgerlichen Gesellschaft ist der soziale Ort der Bildung des Charakters – und damit psychische Vermittlungsagentur zwischen Gesellschaft und Individuum – vor allem die Familie in den Jahren der Kindheit.
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2.[V47:132] Medium dieser Charakterbildung sind die durch die Struktur der Familie vorgezeichneten Interaktionen innerhalb der Familie und die psychischen Verarbeitungsweisen der damit einhergehenden Erfahrungen.
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3.[V47:129] Resultat dieser“Vergesellschaftung”des Menschen ist eine spezifische Formung des Charakters, der die Individuen zur Unterwerfung unter Autoritäten disponiert.
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4.[V47:130] Diese Formung des Charakters wird“autoritärer Charakter”genannt. Er hat sein Fundament in einer besonderen, dem Bewußtsein nur schwer zugänglichen Zurichtung der seelischen bzw. Triebstruktur.
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5.[V47:133] Die erzeugte Autoritätsbindung der heranwachsenden Menschen bindet sie an die herrschenden Verhältnisse ungeachtet dessen, daß diese als ökonomische und politische Organisationsform objektiv überholt sein mögen. Sie legt die Menschen auf einen bestimmten Verhaltenstypus fest und hindert sie zudem an der Einsicht, daß diese gesellschaftliche Organisationsform nicht allein die Entfaltung ihrer produktiven Möglichkeiten hemmt, sondern zunehmend die Lebensbedingungen selbst gefährdet und zerstört.
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–[V47:202] Dieser Binnenraum bedeutet einerseits einen Gewinn an Unabhängigkeit des Kindes von den Zumutungen des Lebens der Erwachsenen, einen Gewinn an Schutz, einen Gewinn an ungestörter Bildungszeit.
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–[V47:203] Er bedeutet aber andererseits auch, daß dem Kind der gesellschaftliche Sinn und die Richtung seiner Bildung verborgen bleiben können. Es ist nämlich für das Kind nicht mehr anschaubar, auf welche Weise die Regeln des Familienlebens mit den Regeln der produktiven Existenz des Erwachsenenlebens zusammenhängen.
(Adorno, Th. W.: Studien über Autorität und Familie, S. 89)
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–[V47:215] Die“ökonomische und soziale Lage”bedingt, als was die Familienmitglieder sich wechselseitig sehen, vor allem: in welcher Hinsicht dem Bauern sein Sohn wert ist.
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–[V47:216] Diese Sichtweise des Bauern-Vaters betrifft nicht nur die Gegenwart des Sohnes, sondern auch seine Zukunft.
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–[V47:217] Zwar“liebt”auch der Bauer seinen Sohn; die damit gegebene Art der Beziehung aber tritt zurück, wird von der ökonomischen Sichtweise dominiert.
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–[V47:218] Da der Sohn weiß, daß auch er einmal zum“Herrn”wird, schickt er sich in die Gehorsamsforderungen des Vaters und die Ausbeutung seiner Arbeitskraft.
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–[V47:219] Dies alles formt die Arten des Umganges zwischen Vater und Sohn (Interaktion) bis in die alltäglichsten Situationen hinein.
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–[V47:220]“Diese Atmosphäre”, d.h. die Dauerhaftigkeit und Unausweichlichkeit dieses Typs von Interaktionen greift in den seelischen und Triebhaushalt, in die“psychologische Gesamtentwicklung”des Sohnes ein; sie formt seinen Charakter derart, daß er – sofern die ökonomischen Bedingungen gleich bleiben – so wird wie sein Vater, einen dieser Lage entsprechenden“Sozialcharakter”annimmt.
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–[V47:222] die ökonomische Lage,
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–[V47:223] die wechselseitige Definition der Familienmitglieder (das, als was sie sich sehen),
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–[V47:224] das Verhältnis der verschiedenen Sichtweisen zueinander,
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–[V47:225] die damit korrespondierenden Interaktionen,
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–[V47:226] die auf diese Weise hervorgebrachte Struktur des Charakters.
Aufgabe 1
1.3 Der autoritäre Charakter
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–[V47:240] Wenn es kein väterliches Erbe mehr gibt,
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–[V47:241] wenn kein Glaube mehr eine Autorität verlang, die über die Ökonomie hinausweist,
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–[V47:242] wenn zudem das demokratisch verfaßte Gemeinwesen die Sicherheit nicht zu geben vermag, die einst durch den Stand und die Religion vermittelt wurde
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–[V47:253] Die Lebensverhältnisse der Menschen sind“abstrakter”geworden, und zwar in dem Sinne, daß für die Bildung ihres Bewußtseins und ihrer Motive weniger die besondere soziale Lage (Bauer,-Handwerker, Bourgeois) ausschlaggebend ist, sondern eher die allgemeine Form des Waren- und Arbeitsmarktes.
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–[V47:254] Mit den Einstellungen ist Ähnliches geschehen: auch sie tendieren dazu,“abstrakt”zu werden, d.h. sich von den konkreten Erfahrungen zu lösen und – von diesen unabhängig – sich als generalisierende Vorurteile zu verfestigen.
Aufgabe 2
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a)[V47:181] Welches ist die historisch-politische Ausgangsfrage der“Studien über Autorität und Familie”?
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b)[V47:182] Welche Gründe sprechen für eine Verbindung von Kritischer (Gesellschafts-)Theorie und psychoanalytischer Theorie?
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c)[V47:183] Worin sehen und die grundlegenden Bedingungen für die Ausbildung des autoritären Charakters?
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1.[V47:188] ist fast nur von der männlichen Seite der Sozialisation – von Vätern und Söhnen also – die Rede gewesen;
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2.[V47:189] wurden fast ausschließlich die gesellschaftlich funktionalen – d.h. die bestehenden Verhältnisse stützenden – Leistungen der Familie und der Charakterbildung aufgezeigt.
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–[V47:193] Wie wird die Situation der Frau in der Kleinfamilie beschrieben?
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–[V47:194] Welche Rolle spielt die Mutter für die Sozialisation der Kinder?
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–[V47:195] Welche Unterschiede lassen sich im Verlauf des Erziehungsprozesses für Jungen und Mädchen vermuten?
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–[V47:196] Welche gegen-gesellschaftlichen Kräfte erwachsen nach Auffassung (unter bestimmten Bedingungen) aus der Familie?
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–[V47:197] Welche fördernde oder hemmende Rolle spielt dabei die Frau?
1.4 Der narzißtisch gestörte Sozialisationstyp
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–[V47:285] Für immer größer werdende Teile der Bevölkerung spielt das:“Erbe”, materieller Besitz und damit auch durch solchen Besitz gestützte Kontinuität der Generationenfolge eine immer geringer werdende Rolle.
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–[V47:286] Immer größer werdende Teile der Bevölkerung arbeiten, um ihre Konsumchancen zu erhöhen und erwarten von ihrem Beruf nicht mehr, sich mit dessen Inhalten identifizieren zu können.
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–[V47:287] Die Familie ist – der Tendenz nach und für die meisten – nicht mehr die soziale Basis der beruflichen Tätigkeit, sondern eine Art“Gegenwelt”, in der man sich von den Strapazen der Arbeitswelt erholt
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–[V47:288] Immer mehr Frauen sind berufstätig und machen deshalb innerhalb der Familie dem Manne die Rolle des Autoritätsträgers streitig.
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–[V47:289] Immer mehr Familien bringen (deshalb?) ihren Kindern gegenüber Gehorsamserwartungen nur noch gebremst und mit Selbstzweifeln ins Spiel.
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–[V47:291] ein relativ großes Desinteresse an politischer Bildung und politischer Beteiligung;
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–[V47:292] ein Rückgang an Motivationen im Hinblick auf schulische Leistung;
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–[V47:293] ein Rückzug auch von gesellschaftlich-beruflichen Leistungserwartungen;
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–[V47:294] eine Flucht in“einfache”Überlebensstrategien, die neben der dominanten Kultur einherlaufen;
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–[V47:295] eine Flucht in Jugendreligionen und den Drogen-Konsum;
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–[V47:296] eine Verweigerung rationaler Formen der.Auseinandersetzung und Kritik zugunsten von Ausdruckshandlungen;
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–[V47:297] ein Rückzug in Gleichaltrigen-Gruppe und Subkultur, in denen Übereinstimmung herrscht und keine autoritativen Erwartungen zu befürchten sind.
1.5 Zwischenresümee
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1.[V47:310] Die Vertreter der“Frankfurter Schule”haben die Theorie eines wichtigen Erziehungsfeldes – der Familie – formuliert. Sie haben die Struktur dieses Erziehungsfeldes und die sich darin realisierenden zwischenmenschlichen Prozesse in ihrer gesellschaftlich-geschichtlichen Funktion und Abhängigkeit aufgezeigt.
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2.[V47:311] Sie haben die Theorie einer relevanten Dimension von Erziehung – der Persönlichkeitsbildung – formuliert. Dabei wurde sowohl den allgemeinen gesellschaftlichen Bedingungen, den vermittelnden Instanzen wie der gesellschaftlichen Funktion dieser Sozialisationsleistungen Rechnung getragen.
Aufgabe 4
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a)[V47:325] Versuchen Sie zunächst noch einmal, sich ein möglichst anschauliches Bild des autoritären Charaktertyps zu machen! Ziehen Sie erforderlichenfalls die entsprechenden Passagen des Studientextes hinzu!
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b)[V47:326] Versuchen Sie, in wenigen Sätzen die Elemente des impliziten‘Bildungsideals’zu benennen, die ihres Erachtens für die Kritik am autoritären Charakter besonders bedeutsam sind; überlegen Sie also, was – nach Meinung jener Autoren – für den‘reifen’, weder autoritären noch narzißtisch gestörten Charakter wesentlich wäre.
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c)[V47:327] Diese Kritik wurde von der Studenten- und Schülerbewegung am Ende der sechziger Jahre aufgegriffen. Lesen Sie dazu die programmatischen“Thesen zur antiautoritären Erziehung”von Regine Dermitzel (in: Kursbuch 17, 1969, Suhrkamp Verlag, S. 179-187)!
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d)[V47:328] Prüfen Sie, inwieweit die dort formulierten Erziehungsziele mit dem unausgesprochenen‘Bildungsideal’der frühen Kritischen Theorie – bzw. Ihrer Antwort auf Frage b) – übereinstimmen!
2. Zur Methode der Kritischen Theorie und ihrer erziehungswissenschaftlichen Bedeutsamkeit
2.1 Die Komponenten des wissenschaftlichen Verfahrens
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–[V47:330] die geschichtliche Deutung des Objekts,
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–[V47:331] die philosophische Reflexion der Kategorien, die zur Deutung des Objekts verwendet werden,
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–[V47:332] die erfahrungswissenschaftliche Kontrolle der Aussagen, die aus solchen Deutungen und Reflexionen gewonnen werden.
2.2 Die geschichtliche Deutung
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–[V47:339] Einerseits muß der ermittelte Sachverhalt erklärt werden, und zwar nicht aus den subjektiven Merkmalen der befragten Individuen, sondern auch und besonders aus den sozialen Bedingungen (“akademische Institutionen”, aus gesamtgesellschaftlichen" Faktoren, wohl auch aus sozialer Herkunft, Familiensituation usw.), |B 42|den“objektiven Verhältnissen”also, weil erst dann das Datum bei der Lösung“institutioneller Probleme”verwendet werden kann. Dies ist die Position jedes Erfahrungswissenschaftlers (Empirikers), der nicht nur beschreiben, sondern auch erklären will.
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–[V47:340] Andererseits steht auch die Bedeutung eines ermittelten Sachverhalts zur Diskussion. Handelt es sich – wie im vorliegenden Fall – um soziale Vorgänge und Zustände, dann hängt deren Bedeutung an der sozialen Situation, in der sie auftreten. Diese also muß ermittelt werden, will man den Sinn irgendeiner Einzelheit verstehen. Anderenfalls geschieht, was in der empirischen Forschung häufig der Fall ist: Wo eine Problemstellung“abstrakt, ohne Rückfrage nach der Situation, und ihrem möglichen Sinn in dieser untersucht wird, gerinnt sie zu einer Art Selbstzweck”(S. 13)“politischer Beteiligung”der jungen Generation ist, dann ist zunächst nach dem geschichtlichen Zusammenhang zu fragen, innerhalb dessen“politische Beteiligung”ihre bestimmende und aktuelle Bedeutung gewinnt. Ein Verzicht auf diesen Untersuchungsschritt – so meinen die Autoren – verriete eine“unhistorische Denkungsart”, eine selbst politisch gefährliche, aber“dem Liberalismus eigentümliche Abwehr historischen Bewußtseins”. (S. 17)
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–[V47:343] einerseits die Form Demokratie die politische Beteiligung der Bürger fordert und Chancen für solche Beteiligung auch verspricht,
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–[V47:344] andererseits aber die gesellschaftlichen Bedingungen der Verwirklichung der Beteiligungsforderung im Wege stehen: die geltende Eigentumsordnung und die durch sie ermöglichte Konzentration privater Macht ohne öffentliche Kontrolle.
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–[V47:346] die“Verselbständigung”der staatlichen Institutionen der politischen Willensbildung gegenüber den Wählern (die Macht der Administration, die Verselbständigung der politischen Parteien).
2.3 Reflexion der leitenden Kategorien
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–[V47:354] Die Orientierungsmarke“Selbstbestimmung”bedeutet für die Autoren nicht, daß sie wüßten, wie der Zustand aussehen müßte, in dem sie realisiert wäre. Aber sie bedeutet, daß Verfahren bestimmt werden können, in denen eine minimale Bedingung dafür enthalten ist, daß“Selbstbestimmung”gegenwärtig schon, wenngleich nur auf dem Niveau von Vorläufigkeit, realisierbar ist: die Stärkung der rationalen Kräfte im“reifen Charakter”(Adorno, a. a. O., S. 15)
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–[V47:355] Die empirische Aufgabe bestünde dann darin, jene Barrieren in den Individuen und den Verhältnissen, unter denen sie leben, ausfindig zu machen, die politische Selbstbestimmung und mithin auch politische Beteiligung blockieren. Die Kenntnis solcher Sachverhalte ist zwar keine hinreichende, aber offenbar doch eine notwendige Bedingung dafür, die Spielräume für eine“soziale Demokratie”, also einen Zuwachs an Selbstbestimmung, zu vergrößern.
2.4 Empirische Kontrolle
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–[V47:360] Welche Bereitschaft zu politischem Engagement (politischer Habitus) zeigen die Befragten?
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–[V47:361] Wie ist ihre Einstellung zum demokratischen System (politische Tendenz)?
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–[V47:362] Über welchen Fundus zugrundeliegender weltanschaulicher Motive, den gesellschaftlichen Zusammenhang betreffend, verfügen sie (Gesellschaftsbild)?
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–[V47:369] Der Bildungsprozeß im Ganzen und jedes einzelne Ereignis in seinem Zusammenhang ist ein möglicher Gegenstand empirisch kontrollierter Erfahrung (das“Bewußtsein”des Kindes oder Jugendlichen; deren Einstellung und Handlungsweisen; ihre Beziehungen zu den erziehenden Erwachsenen; die Erwartungen, die an sie gerichtet werden; die sozialen Bedingungen, denen sie ausgesetzt sind usw.)
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–[V47:370] die Momente dieses Bildungszusammenhanges haben allesamt eine Vergangenheit, haben Bedeutung in einem weiteren Kontext geschichtlich gewordener Verhältnisse und also auch eine in ihren Möglichkeiten zu kalkulierende geschichtliche Zukunft;
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–[V47:371] sie sind schließlich allenthalben durchsetzt mit normativen Orientierungen und Entscheidungen, die zwar einerseits geschichtliche Besonderheiten sind, immer aber auch eine prinzipielle Komponente haben, schon deshalb, weil der Umgang mit Kindern nicht nur“opportune”, sondern“wahre”Entscheidungen verlangt.
Aufgabe 5
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1)[V47:374]“War das schon immer so?”oder: Wie ist es zu Situationen dieser Art gekommen?
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2)[V47:375] Ist in der Situation – in den Erwartungen des“Educandus”, in den Erwartungen der Erwachsenen/Erzieher – etwas enthalten, das einen Anspruch auf unbedingte Geltung erheben kann und, wie ist diese Geltung vor dem“Educandus”(der Jugendlichen) zu vertreten?
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3)[V47:376] Welche empirischen Hypothesen (oder Prognosen über die Folgen eines Verhaltens) hat der“Educandus”(die Jugendliche) und haben die Erwachsenen/Erzieher; welche Tatsachen machen sie für ihre jeweilige Meinung geltend?
3. Utopie und Ideologie: Zur Normativitätsproblematik
3.1 Fragestellung
3.2 Der normative Bezugspunkt
(Marx/Engels: Manifest der Kommunistischen Partei. In: Marx/Engels: Werke, Bd. 4, Berlin 1972, S. 482)
3.3 Die Begründung
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–[V47:385] wir unterstellen, daß der jeweils andere, mit dem wir uns verständigen wollen, weiß, was er sagt und dies auch begründen kann, also zurechnungsfähig ist, und
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–[V47:386] wir unterstellen, daß er die gleichen Chancen hat wie wir, sich an der Kommunikation zu beteiligen.
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–[V47:390] die verwendeten Sätze verständlich
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–[V47:391] die mitgeteilten Aussagen wahr
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–[V47:392] die zum Ausdruck gebrachten Intentionen wahrhaftig
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–[V47:393] und die gewählten Äußerungen richtig sind.
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1.[V47:396] Der Satz soll verständlich sein, damit ihn der Junge, an den er gerichtet ist, verstehen kann. Er wird ihn verstehen können, wenn er die gleiche Sprache spricht wie die Kindergärtnerin, also die gleichen grammatischen Regeln beherrscht.
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2.[V47:397] Die Aussage, die der Satz mitteilt, sein propositionaler Gehalt, soll wahr sein, damit der fünfjährige Ralf das Wissen der Kindergärtnerin teilen kann. Der Satz ist wahr, wenn der Vorgang, auf den sich der Satz in direkt bezieht, wirklich stattgefunden hat. Die Aussage ist, kurz gesagt wahr, wenn es zutrifft, daß Ralf das Messer tatsächlich mitgebracht hat.
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3.[V47:398] Die in dem Satz zum Ausdruck gebrachte Intention soll wahrhaftig sein, damit Ralf der Kindergärtnerin vertrauen kann. Die von der Kindergärtnerin geäußerte Intention ist dann wahrhaftig, wenn sie sich deckt mit dem, was sie wirklich meint. Die Kindergärtnerin darf, wenn ihre Intention wahrhaftig sein soll, den Wunsch nicht nur äußern, weil z.B. eine Mutter zuhört, sondern weil sie wirklich wünscht, daß Ralf nie wieder ein Messer mit bringt. Wahrhaftig ist der Wunsch der Kindergärtnerin, wenn sie weder sich noch andere täuscht.
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4.[V47:399] Die Äußerung soll richtig sein, so daß Ralf mit der Kindergärtnerin in Anerkennung eines vorausgesetzten normativen Hintergrundes übereinstimmen kann. Die Äußerung der Kindergärtnerin ist richtig, wenn sie dem institutionellen und situativen Kontext des Kindergartens angemessen ist, wenn sie, so könnte man sagen, zu dem von allen anerkannten Stil paßt. Die Äußerung wäre unrichtig, wenn in dem Kinder garten der Umgang mit mitgebrachten Werkzeugen aller Art, einschließlich der Messer, zum bewährten Erziehungskonzept gehört.
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–[V47:403]“Was meinst du mit‘Messer’?”
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–[V47:404]“Das glaube ich dir nicht, denn du möchtest, daß ich das Messer mitbringe, damit du es mir verbieten kannst.”
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–[V47:405]“Ich darf aber ein Messer mitbringen!”
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–[V47:410] Erziehung kann sich nicht gleichsam routinemäßig auf die Einlösbarkeit der in der Kommunikation gesetzten Geltungsansprüche durch den kindlichen Partner verlassen.
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–[V47:411] Der Erziehungsprozeß kann nicht unmittelbar am (sprachphilosophisch gewonnenen) Maßstab der idealen Sprechsituation gemessen und dadurch kritisiert werden.
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–[V47:412] In der Erziehung und ihrer Kritik muß vielmehr den empirischen Bedingungen der Entwicklung bzw. des Erwerbs kommunikativer Kompetenz (Ontogenese) systematisch und bewußt Rechnung getragen werden.
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–[V47:415] Einerseits müßte sie auf Grund der unentwickelten kommunikativen Kompetenz des Kindes die in der ablaufenden Kommunikation enthaltenen Geltungsansprüche und die Unterstellung ihrer Einlösbarkeit durch das Kind systematisch in Frage stellen – und damit auch seine soziale Verantwortlichkeit suspendieren oder relativieren. Insofern enthält Erziehung ein unvermeidbares und legitimes autoritatives Element, das aber seine Grenze findet am Grad der Entfaltung der kommunikativen Kompetenz des Kindes.
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–[V47:416] Andererseits müßte Erziehung – um des Gelingens des Bildungsprozesses willen – den kommunikativen Vernunftsanspruch in der faktischen Interaktion mit dem Kinde aufrechterhalten. Insofern enthält legitimierbare Erziehung notwendig ein egalitäres Element (als virtuelle Aufhebung der Herrschaft der Erwachsenen über die Kinder).
Aufgabe 6
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1.[V47:422] Versuchen Sie die Erziehungsziele zu formulieren, an denen sich die Bezugsperson offenbar orientiert.
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2.[V47:423] Wie könnte die Bezugsperson, wenn sie gefragt würde, ihr Erziehungsziel auf eine überzeugende Weise begründen?
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3.[V47:424] Vergleichen Sie das wirkliche Verhalten der Bezugsperson, die Art ihrer sprachlichen Äußerungen, mit ihrem Erziehungsziel. Beurteilen Sie das Verhalten der Bezugsperson!