versucht, den gegenwärtigen Stand des erziehungswissenschaftlichen Wissens
zu ordnen und im Sinne von Einführungen in die pädagogischen
Forschungsrichtungen zur Verfügung zu stellen. Zu wessen oder zu welcher
Verfügung? Das ist eine Frage, die nicht lediglich praktischer Natur ist und
den am Wissenschaftsprozeß Beteiligten nicht zu interessieren brauchte.
Trivial ist die Feststellung, daß das Wissen der Erziehungswissenschaft, da
es doch im Hinblick auf die Umstände erzieherischen Handelns
zusammengetragen wird, eben diesem Handeln zugute kommen soll. Allein: diese
Formel ist nur scheinbar eindeutig. Das erzieherische Handeln ist nicht nur
Selbstzweck, sondern es dient auch außer ihm liegenden Zwecken: dem Erlangen
des kulturell definierten Erwachsenenstatus, dem wirtschaftlich notwendigen
Nachwuchs, der Integration von Individuen in bestehende Gruppen und
Institutionen und anderem mehr. Solcher Heteronomie hat die neuzeitliche
Erziehungstheorie sich immer zu entwinden gesucht. Orientierungsbegriffe wie
Selbsttätigkeit, Selbständigkeit, Individualität, Autonomie, Mündigkeit und
schließlich auch der Hinweis darauf, daß im erzieherischen Verhältnis der
educandus seine Zwecke stets in sich
habe, auch hier schon also der Mensch nie Mittel sein dürfe, sind Versuche,
jene Heteronomien abzuweisen und sie als Entfremdungsformen des
Erziehungsgeschehens zu begreifen. Mögen nun solche Versuche theoretisch
befriedigend sein oder nicht, für die Erziehungswissenschaft stellt sich
immer wieder die Frage, welche Konsequenzen sich für sie daraus ergeben, daß
ihre Ergebnisse gegen ihre aufklärerische Absicht verwendet, daß sie in
Institutionen verwertet werden können, die die private wie öffentliche
Unselbständigkeit der erzogenen Subjekte zum Ergebnis haben.
[V33:2] Die Lernfelder unseres Erziehungssystems, die wir unter dem Namen
»Jugendarbeit«
zusammenfassen, können für Probleme
dieser Art in besonderer Weise als
»Seismograph«
beurteilt werden. Es wäre gewiß nicht sehr abwegig, von den Eckpfeilern
institutionalisierter Erziehung – Familie, Schule und Berufsausbildung –
anzunehmen, daß die Erfahrung der Heteronomie hier den Heranwachsenden als
etwas diesen Einrichtungen konstitutiv Innewohnendes erscheint. Ebensowenig
abwegig ist es deshalb, wenn die junge Generation versucht, neben jenen
»Eckpfeilern«
sich ein Lernfeld
eigener Art zu strukturieren, in dem – wenigstens dem Anspruch nach – sowohl
die Lernziele wie auch die Institutionalisierung von Lernwegen und
Lernfeldern von ihr selbst bestimmt wird. Unter diesem Gesichtspunkt gebührt
der Jugendarbeit als einem Teilsystem im Rahmen des ganzen Erziehungssystems
besondere Aufmerksamkeit: Es ist zu vermuten, daß in ihr – von den
»Jugendbewegungen«
bis zu den gegenwärtigen Formen von
»Stadtteilarbeit«
– gerade die repressiven Elemente
der aus der Sicht des Heranwachsenden fremdbestimmten Lernvorgänge der
etablierten pädagogischen Einrichtungen besonders deutlich registriert und
Alternativen entworfen werden.
[V33:3] Der erziehungswissenschaftliche Objektbereich Jugendarbeit ist
deshalb nicht etwas, das der Vollständigkeit wegen auch behandelt werden
müßte, sondern ein besonders ergiebiger Testfall für Schlüsselprobleme eines
Erziehungssystems. In der vorliegenden Arbeit wird aus diesem Grunde der
Begriff
»Emanzipation«
als diejenige Kategorie verwendet,
die Geschichte und institutionellen Zusammenhang der Jugendarbeit zu
strukturieren vermag. Freilich zeigt sich dabei, daß dieser Begriff
verschiedene Ebenen enthält, die sich unter unterschiedlichen historischen
Bedingungen auch unterschiedlich ausprägen. Die explizit politische
Komponente betrifft nur eine dieser Ebenen. Andererseits aber ist Politik
immer schon impliziert; das zeigt die Geschichte der Jugendarbeit, wenn sie
geschrieben wird als eine Geschichte von Versuchen der herrschenden
Institutionen und Gruppen, die emanzipatorischen Tendenzen im Sinne
überlieferter Erziehungsorientierungen zu disziplinieren.