
Vorwort
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–[054:2] daß auf die Fülle familiensoziologischer Daten, die in den letzten Jahrzehnten akkumuliert wurden, wenig Bezug genommen ist;
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–[054:3] daß psychoanalytische Theorie höchstens in Andeutungen Erwähnung findet;
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–[054:4] daß von der breiten empirischen Forschungslage zum Sozialisationsprozeß kaum Gebrauch gemacht wird;
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–[054:5] daß die gesellschaftstheoretische Verortung der Familie nicht den gewünschten Raum einnimmt;
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–[054:6] daß wichtige Probleme, wie z. B. die frühe Mutter-Kind-Beziehung, die Erwerbstätigkeit von Müttern, die familialen Autoritätsstrukturen keine systematische Darstellung finden;
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–[054:7] daß streckenweise der»common sense«anscheinend mehr gilt als bewährte Theorie;
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–[054:8] daß überhaupt die Autoren offenbar über keine»Theorie der Familienerziehung«verfügen.
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–[054:13] Die Familie ist – in der Form, zu der sie sich bis heute entwickelt hat – ihren Mitgliedern unmittelbar und vorwiegend in den alltäglichen Interaktionen gegeben, in denen sie versuchen müssen, die für die Erhaltung der Gruppe notwendige Verständigung (Kommunikation) zu vollbringen.
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–[054:14] Diese Interaktionen sind nicht willkürlich oder zufällig, sondern sie folgen Regeln der Darstellung und Mitteilung von Erfahrung, die als kognitive Schemata gleichsam das Gerüst für die Bildungsprozesse der Kinder darstellen.
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–[054:15] Sie sind auch insofern nicht willkürlich, als familienpädagogische Ereignisse nicht außerhalb der gesellschaftlichen Erscheinungen angesiedelt, sondern deren Teil sind. Das betrifft insbesondere auch die Formen des innerfamilialen Umgangs, die wir hypothetisch als Momente übergreifender gesellschaftlicher Verkehrsformen verstehen wollen.
1. Kapitel
Einführung in die
Problemstellung
Die Familie: Wert oder Unwert
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–[054:47] Wir nehmen an, daß Theorien der Familienerziehung nur dann pädagogisches Handeln aufklären und leiten können, wenn sie den Handelnden zugleich zur Selbstreflexion anleiten; das aber ist nur möglich, wenn die Theorien immer mit seiner Erfahrung vermittelt bleiben können.
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–[054:48] Die Weise, in der ein Subjekt ein soziales Ereignis erlebt – beispielsweise das Kind seine streitenden Eltern –, und die Erinnerung daran ist ein Bestandteil der Realität so gut wie die Ursache, die für den Streit und das Verhalten der Streitenden gefunden werden mag.
Die Familie: ein theoretischer Gegenstand
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1.[054:67] Die Verwirklichung der allgemeinen Schulpflicht (um 1850) und die Einführung der für alle Bevölkerungsteile obligatorischen Grundschule (1920) setzten die Familie unter einen bis dahin nicht gekannten Leistungszwang: ihre Kinder als schulreif»abzuliefern«.
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2.[054:68] Die bürgerliche Familie – in der großen Zahl der Fälle ihrer ehemals institutionellen Basis des produzierenden Hauswesens (Oikos) beraubt – wird mehr auf die Regelung ihrer»Beziehungsprobleme«verwiesen. Was in der proletarischen Familie des 19. Jahrhunderts schon ein wesentliches Bestimmungsmerkmal war, bildet sich nun auch in der bürgerlichen Familie heraus: Stätte der täglichen Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit zu sein.
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3.[054:69] Die proletarische Lebenswelt gerät unter den normativen Druck von Familienleitbildern, die, von der Bourgeoisie herkommend, über das Kleinbürgertum nun sie erreichen.
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4.[054:70] Für die»bürgerliche«und für immer größere Teile der ehemalig proletarischen Familie stellt sich als wesentliches Problem die Regelung der affektiven Beziehungen und die Erziehung des Nachwuchses. Unter diesem Druck definiert sie sich zunehmend als»Unity of interacting persons«unter der Bedingung der Haushaltseinheit.
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5.[054:71] Schließlich gerät sie unter einen»Problematisierungsdruck«, wenngleich zunächst nur andeutungsweise. Alternative Formen primärer Gruppierungen entstehen, um aus der befürchteten Sackgasse dieser abendländischen Institution herauszukommen, freilich unter sehr verschiedenen materiellen und ideologischen Voraussetzungen: Die Kommunen in der Sowjetunion, die Kibbuzim der Zionisten, die christlichen Bruderhöfe.
Einige Daten zur Lage der Familie und Familienerziehung in der Gegenwart
Familien | insgesamt | darunter Familien, die allein in einem Haushalt leben | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
1961 | 1972 | 1961 | 1972 | 1961 | 1972 | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
1000 | % | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Familien insgesamt | 19 845 | 22 405 | 15 049 | 19 184 | 75,8 | 85,6 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Familien mit Kindern | 10 918 | 11 165 | 8 746 | 9 951 | 80,1 | 89,1 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
(Quelle: Statistisches Bundesamt) |
1900: | 4,1 | 1940: | 1,8 | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
1910: | 3,0 | 1945: | 1,9 | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
1920: | 2,3 | 1950: | 1,9 | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
1930: | 2,2 | 1955: | 2,0 | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
1935: | 2,1 | 1960: | 2,1 | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
(Zit. nach Neidhardt 1975, S. 39) |
Land/Stadt | Std. pro Woche | Anteil in % | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Frau | Mann | Gesamt | Frau | Mann | Gesamt | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Bulgarien/Kazanlak | 24,5 | 11,8 | 36,3 | 67,5 | 32,5 | 100,0 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
UdSSR/Pskow | 28,7 | 9,8 | 38,6 | 74,7 | 25,4 | 100,0 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Ungarn/Györ | 32,2 | 11,2 | 43,4 | 74,2 | 25,8 | 100,0 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
BRD/Osnabrück | 33,1 | 7,7 | 40,8 | 81,1 | 18,9 | 100,0 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
USA/Jackson | 33,2 | 7,7 | 40,9 | 81,2 | 18,8 | 100,0 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Frankreich ⌀ von 6 Städten | 37,5 | 10,5 | 48,0 | 78,1 | 21,9 | 100,0 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Belgien ⌀ von mehreren Städten | 37,5 | 5,6 | 43,1 | 87,0 | 13,0 | 100,0 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
DDR/Hoyerswerda | 37,1 | 10,5 | 47,6 | 78,0 | 22,0 | 100,0 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
CSSR/Olomouc | 35,7 | 14,0 | 49,7 | 71,8 | 28,2 | 100,0 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
(Zit. nach Menschick 1974, S. 146) |
Mutter | Vater | beide | andere | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Kontakt mit dem Lehrer hat vor allem | 51 | 16 | 22 | 11 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Das Kind wendet sich um Hilfe bei den Schularbeiten an | 53 | 13 | 15 | 19 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Mädchen sprechen über geschlechtliche Fragen mit | 32 | 1 | 4 | 63 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Jungen sprechen über geschlechtliche Fragen mit | 14 | 10 | 9 | 67 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Anregungen zum Verwandtenbesuch gibt | 37 | 6 | 30 | 27 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
(Zit. nach: Bericht über die Lage der Familien in der Bundesrepublik Deutschland 1968) |
Erwerbstätige | Erwerbstätige | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Zahl der Kinder in der Familie | Insgesamt | zusammen | dar. außerhalb der Land- und Forstwirtschaft | Erwerbslose/Nichterwerbspersonen | Insgesamt | zusammen | dar. außerhalb der Land- und Forstwirtschaft | Erwerbslose/Nichterwerbspersonen | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Frauen insgesamt | Verheiratete Frauen | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Kein Kind | 14 342 | 5 519 | 5 071 | 8 824 | 5 713 | 2 044 | 1 821 | 3 669 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Mit Kindern ohne Altersbegrenzung | Mit Kindern ohne Altersbegrenzung | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
1 | 4 693 | 1 824 | 1 598 | 2 869 | 3 924 | 1 482 | 1 287 | 2 442 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
2 | 3 513 | 1 213 | 942 | 2 300 | 3 273 | 1 090 | 832 | 2 183 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
3 | 1 482 | 489 | 317 | 993 | 1 407 | 456 | 289 | 951 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
4 und mehr | 878 | 291 | 151 | 587 | 835 | 274 | 138 | 561 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Mütter insgesamt | 10 566 | 3 817 | 3 007 | 6 750 | 9 438 | 3 302 | 2 547 | 6 136 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Kinder insgesamt | 20 305 | 7 069 | 5 115 | 13 236 | 18 625 | 6 306 | 4 446 | 12 320 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Mit Kindern unter 18 Jahren | Mit Kindern unter 18 Jahren | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
1 | 3 666 | 1 546 | 1 360 | 2 120 | 3 348 | 1 329 | 1 155 | 2 018 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
2 | 2 803 | 927 | 716 | 1 876 | 2 695 | 864 | 657 | 1 831 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
3 | 1 132 | 355 | 230 | 777 | 1 097 | 340 | 216 | 757 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
4 und mehr | 629 | 197 | 99 | 431 | 606 | 189 | 92 | 417 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Mütter zusammen | 8 230 | 3 025 | 2 406 | 5 204 | 7 745 | 2 722 | 2 120 | 5 032 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Kinder zusammen | 15 588 | 5 367 | 3 925 | 10 221 | 14 841 | 4 941 | 3 530 | 9 900 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Mit Kindern unter 15 Jahren | Mit Kindern unter 15 Jahren | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
1 | 3 446 | 1 420 | 1 234 | 2 026 | 3 195 | 1 246 | 1 068 | 1 949 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
2 | 2 471 | 775 | 593 | 1 696 | 2 390 | 729 | 548 | 1 661 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
3 | 925 | 273 | 173 | 652 | 899 | 261 | 162 | 638 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
4 und mehr | 466 | 140 | 68 | 327 | 452 | 135 | 65 | 317 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Mütter zusammen | 7 309 | 2 608 | 2 068 | 4 701 | 6 935 | 2 371 | 1 843 | 4 564 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Kinder zusammen | 13 276 | 4 412 | 3 236 | 8 864 | 12 716 | 4 090 | 2 933 | 8 626 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Mit Kindern unter 6 Jahren | Mit Kindern unter 6 Jahren | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
1 | 2 783 | 938 | 770 | 1 845 | 2 672 | 861 | 696 | 1 811 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
2 | 871 | 205 | 138 | 666 | 855 | 199 | 132 | 657 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
3 | 119 | 29 | 15 | 91 | 117 | 28 | 14 | 89 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
4 und mehr | 13 | / | / | 9 | 12 | / | / | 9 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Mütter zusammen | 3 786 | 1 175 | 923 | 2 611 | 3 657 | 1 090 | 842 | 2 566 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Kinder zusammen | 4 936 | 1 449 | 1 093 | 3 487 | 4 784 | 1 354 | 1 003 | 3 429 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
(Quelle: Statistisches Bundesamt) |
Ehefrau ist | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Land | berufstätig | nicht berufstätig | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Vereinigte Staaten | 4,46 | 5,28 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Bundesrepublik | 4,52 | 5,40 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Frankreich | 1,90 | 2,03 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Jugoslawien | 1,94 | 2,79 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Griechenland | 2,33 | 2,78 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Die Indexzahlen sind nur innerhalb eines jeden Landes vergleichbar. Je höher der Indexwert, desto größer die Autorität des Ehemannes. | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
(Zit. nach Lupri in Lüschen 1970, S. 342) |
Vorgegebenes Statement | % | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Ein Mutter sollte während der ganzen Ehe, also auch, wenn die Kinder klein sind und die Mutter am meisten brauchen, die Möglichkeit haben, ihren Interessen nachzugehen | 20 | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Eine Mutter sollte, solange die Kinder noch klein sind und sie notwendig brauchen, ihre eigenen Interessen zurückzustellen | 52 | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Eine Mutter sollte immer für die Familie da sein; auch wenn die Kinder größer sind, findet sie in ihrer Sorge für Ehemann und Kinder hinreichend Befriedigung | 22 | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Keine Angaben | 7 | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
(Quelle:
Repäsentativerhebung
»Familie und Sozialisation
1973« , Frage 568) (Zitiert nach: Bericht über die Lage der
Familie in der Bundesrepublik Deutschland 1975)
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Familienstand des Familienvorstandes | Insgesamt | Davon | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
hat der Familienvorstand ein Nettoeinkommen von ... bis unter ... DM | ist der Familienvorstand selbständiger Landwirto.Mith. Fam.angehöriger | hat der Familienvorstand | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
unter 300 | 300–600 | 600–800 | 800–1 200 | 1 200–1 800 | 1 800 und mehr | keine Angaben gemacht | kein Einkommen | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
1 000 | % | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Verheiratete Männer | 7 888 | 0,3 | 1,8 | 12,2 | 45,3 | 22,3 | 10,7 | 4,6 | 2,2 | 0,4 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Verwitwete Frauen | 220 | 7,9 | 37,1 | 19,3 | 12,9 | 5,0 | / | 5,9 | 9,4 | / | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Geschiedene Frauen | 210 | 7,8 | 30,7 | 26,6 | 20,8 | 4,2 | / | / | 4,2 | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
(Quelle: Statistisches Bundesamt) |
Middle Class | Working Class | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Least Self-Reliance | (Next Least) | (Next Greatest) | Greatest Self-Reliance | Least Self-Reliance | (Next Least) | (Next Greatest | Greatest Self-Reliance | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Proportion of Fathers who: | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Value selfdirection | .05 | .46 | .57 | .83 | .14 | .37 | .41 | .65 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
(Intermediate) | .58 | .26 | .24 | .00 | .33 | .28 | .21 | .21 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Value Conformity | .37 | .28 | .19 | .17 | .53 | .35 | .38 | .14 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Total | 1.00 | 1.00 | 1.00 | 1.00 | 1.00 | 1.00 | 1.00 | 1.00 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Number of cases | (19) | (50) | (70) | (24) | (36) | (64) | (42) | (14) | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
p < 0.01 | p < 0.01 | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
(Quelle: Kohn 1969, S. 147) |
Anzahl der Kinder unter 18 Jahren | Von der
»Kölner Empfehlung«
zugrundegelegter Mindestbedarf in qm |
Unterversorgte vollständige Familien mit einem Einkommen (in %) | ||||
unter 800 DM | 800 bis unter 1 200 DM | 1 200 bis unter 1 800 DM | 1 800 bis unter 2 500 DM | 2 500 DM und darüber | ||
0 | 51 | 37,3 | 29,6 | 20,5 | 12,7 | 5,6 |
1 | 64,5 | 44,2 | 47,8 | 37,8 | 24,9 | 11,2 |
2 | 69,5 | 40,1 | 46,8 | 36,9 | 23,8 | 10,3 |
3 | 92,0 | 58,7 | 71,7 | 65,2 | 45,8 | 24,8 |
4 | 107,0 | 66,2 | 81,8 | 75,1 | 61,0 | 31,0 |
5 | 115,0 | 80,0 | 85,7 | 78,5 | 67,0 | 39,6 |
6 | 121,0 | 72,0 | 88,8 | 81,2 | 79,8 | 52,5 |
2. Kapitel
Die Komplexität des familialen Lernfeldes
Familiale Lebenswelt
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1.[054:112] Deutungsmuster der primären subjektiven Erfahrung: Der Vater denkt:»Ich bin müde und abgespannt. Es ist für mich einfach zuviel, daß ich jetzt auf das Kind eingehen soll.«Die Mutter denkt:»Er könnte ruhig dem Kind auch mal seinen Willen lassen; aber ich weiß in solchen Situationen meistens nicht, zu wem ich halten soll.«Das Kind denkt:»Es hat ja doch keinen Zweck; immer, wenn der Vater nach Hause kommt, denkt er nur an sich.«Alle drei haben vielleicht noch diesen gemeinsamen Gedanken:»Irgendwie müßte das anders sein; so wie wir uns in dieser Situation verhalten, wird keiner so recht glücklich.«
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2.[054:113] Theoretische Deutungsmuster der Wissenschaft: Der vorliegende Fall erscheint, unter dem Gesichtspunkt der Familienstruktur, als ein Beispiel für das Problem der»Dominanz«in der Familie, z. B. meßbar in Form eines»Autoritäts-Index«(Lupri in Lüschen 1970). Unter dem Lerngesichtspunkt wird das Lernfeld für das Kind in diesem Fall vielleicht eingeordnet als»depriviertes Sozialisationsmilieu«, unter dem Gesichtspunkt der verbalen Kommunikation als»restriktives Sprachmilieu«. Die Entstehung dieser Merkmale – die der konkreten Erfahrung gegenüber abstrakt sind – wird vielleicht erklärt mit Hilfe einer Lerntheorie, einer Theorie sozialen Wandels oder einer psychoanalytischen Theorie.
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3.[054:114] Zwischen diesen beiden Deutungsmustern ist ein drittes eingelagert, das wir vorläufig Zwischenzone nannten und in dem kollektive, kulturspezifische Erfahrungen zusammengefaßt werden. Es ist bezogen auf die»soziale Mitwelt«(), also nicht nur auf die Personen, mit denen ich konkret zusammenlebe, sondern auch auf den weiteren Kreis derer, von denen ich zwar keine unmittelbare Erfahrung habe, die aber durchaus Gegenstand meiner Erfahrung sein könnten, vor allem also die Angehörigen meiner Kultur. Im Falle der Familienerziehung handelt es sich dabei also um jene Deutungsmuster, in denen sich die Erfahrungen von Familien in gleicher oder ähnlicher sozio-kultureller Lage kristallisieren, die Bedeutung nicht nur für diese, sondern auch für andere Familien haben. Im vorliegenden Beispiel könnte es sich etwa um die folgenden Schemata handeln:»Das Verhalten von Kindern beeinflußt man am |A 40|besten dadurch, daß ein verbaler Appell mit einer Sanktionsdrohung verknüpft wird«(Vater);»in Konfliktfällen ist es besser, wenn die Regulierung dem Vater überlassen wird und die Mutter sich zurückhält«(Mutter);»es hat keinen Zweck, sich gegen die Anordnung des Vaters zu stellen; einerseits ist er sowieso der Stärkere, andererseits weiß ich, daß es den anderen Kindern in meinem Alter ähnlich ergeht«(Kind).
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1.[054:133] Der Text beginnt mit einem Hinweis auf die Beziehung zwischen der Familie und der Sozialwelt.»Die Bütows sind beliebt.«Dieser Satz sagt etwas über den Status, das Prestige der Familie aus, darüber, daß sie anerkannt wird, offenbar mit herrschenden Normen übereinstimmt. Diese Zugehörigkeit zu den»Herrschenden«wird nicht nur für die Dimension der normativen Orientierungen konstatiert, sondern auch für das tatsächliche Verhalten der Familie: Menschen, die anderen Normen folgen, werden diskriminiert (»Pole«,»Leute, die sich vor Hunden fürchten«,»Schlappschwänze«, die die in der Apotheke geltenden Regeln nicht befolgen).
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2.[054:134] Diese Lokalisierung der Familie in der Herrschaftsstruktur der Sozialwelt hat eine materielle Basis: die Apotheke. Es ist indessen auffallend, daß die damit angesprochene Dimension»Arbeit«nicht ausgeführt wird. Die Familie verdankt dieser Dimension zwar ihre Gründung (»Als Pharmazeut handelte er klug, Else, die Apothekerstochter, zu heiraten«), das aber verblaßt vor dem sich offenbar verselbständigenden familialen Alltagshandeln.
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3.[054:135] Der Text bringt ferner die von der Familie angestrebten Werte, die normative Orientierung zur Sprache.»Das Familienmotto heißt Ertüchtigung«;»Gemeinschaftsgeist und Einsatzbereitschaft«gelten als besonders wichtige Normen;»Ideale«sollen angestrebt werden, insbesondere eine Identifikation mit den»verlorenen Territorien«. Allerdings will die Familie nicht riskieren, als Außenseiter zu gelten (»wozu anecken?«).
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4.[054:136] Solche normativen Orientierungen gelten für die Familie absolut. Es gibt über sie keine Reflexion, kein auch nur versuchsweises In-Zweifel-Ziehen. Infolgedessen werden Menschen mit anderem kulturellen Habitus diskriminiert. Im Selbstver|A 44|ständnis der Familie wird das durch die Identifikation mit der Berufstätigkeit motiviert (»In seinem Beruf opfert Karl sich so ziemlich auf ... Kranke verachtet er. Beide Bütows entrüsten sich über diese Tränentiere ...«), aber zugleich zu einem allgemeinen dogmatischen Wertungsmuster generalisiert (vgl. die in der Familie gebräuchlichen negativen Benennungen).
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5.[054:137] Die Wertorientierung der Familie drückt sich auch auf der Ebene der pädagogischen Zielvorstellungen aus. Sie nennt»ihre Erziehung Vorbereitung fürs Leben«, die Kinder»bewähren sich ... in verschiedenen Sportarten«, müssen»Pflichten«und»Aufgaben«übernehmen. Diese Zielvorstellungen aber sind formal; um welche inhaltlichen Aufgaben es sich dabei handelt, bleibt dahinter verborgen (»Die Bütows sind nicht religiös. Trotzdem werden alle Kinder konfirmiert«).»Gemeinschaftsgeist«und»Einsatzbereitschaft«gelten als Werte für sich, nicht im Hinblick auf die inhaltlichen Aufgaben, die durch solche Tugenden verwirklicht werden könnten.
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6.[054:138] Die Familie folgt in ihrem pädagogischen Handeln einer bestimmten Lerntheorie, d. h. einer Vorstellung (instrumentellen Annahmen) darüber, auf welchen Wegen die angestrebten Ziele am zweckmäßigsten erreicht werden können. Auch dieses Deutungsmuster, mit dem sie sich die pädagogischen Zweck-Mittel-Beziehungen verständlich macht, ist formal, wie der Vorgang bei der Tierdressur (»Karl Bütwos Erziehungskunst hat sich auch bei Hasso bewährt«). Beim Musikunterricht geht es nicht um Musik, sondern um die»harte Schulung«; als»wichtige Ereignisse«der Familienerziehung (»Sprechverbote, Geldstrafen, Zimmerarreste und Wiedergutmachungsbußen«) erscheinen den Bütows offenbar vornehmlich Strafen, die bei der Verhaltensregulierung verwendeten negativen Sanktionen.
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7.[054:139] Eine in ihrer besonderen Bestimmtheit ebenso selbstverständliche wie für die Familien-Struktur dominante Dimension ist die Beziehung der Eheleute zueinander, die Rollenstruktur des Ehesystems (»die Frau sei dem Manne untertan«). Diese Form der Beziehung ist bereits mit der Eheschließung gesetzt, in der»Else«nur in ihrer Qualität als»Apothekerstochter«erscheint. Beide werden in ihrer Beziehung zu den Kindern (Rollen-Struktur des Eltern-Kind-Systems) ebenso eindeutig und ohne Reflexion als»guter Vater«,»gute Mutter«, wechselseitig noch einmal gespiegelt als»gutmütig«und»weichherzig«bestimmt.
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8.[054:140] Eine letzte Dimension wird aus dem Text nur erkennbar durch ihre betonte Abwesenheit: Von der Perspektive der |A 45|Kinder ist nicht die Rede, es sei denn aus der diskriminierenden Sicht der Eltern (»dieses Kind hat eine Zeitlang um einen eigenen Vogel gebettelt; ein ziemlich unwürdiges Verhalten ...«).

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1.[054:143] Wählt man nicht von vornherein eine Art des Zugangs zu Fragen der Familienerziehung, für die – etwa nach Maßgabe irgendeiner wissenschaftlichen Tradition – aus dem ganzen ein einziger Aspekt zum Gegenstand des Nachdenkens wird, dann erscheint Familienerziehung als ein Moment in einem Geflecht von Ereignissen, Familie als ein komplexes Feld mit mannigfachen Interdependenzen (wechselseitigen Abhängigkeiten) sowohl im Inneren als auch nach außen (soziale Mitwelt, Arbeit).
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2.[054:144] Dieses Geflecht erscheint dem Darstellenden nicht chaotisch, sondern in bestimmter Weise geordnet, nach Dimensionen, die er für bedeutsam hält oder als bedeutsam erfahren hat, gegliedert.
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3.[054:145] In solcher Darstellung drückt sich schließlich die besondere Perspektive des Darstellenden aus, seine Art, Erfahrung zu machen und diese auch mitzuteilen. Der Darstellende ist also nicht mit seinem»Gegenstand«allein, sondern seine Perspektive ist mitbestimmt durch diejenigen, denen seine Mitteilung gilt.
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1.[054:151] Der Autor beginnt scheinbar mit einer individuellen Erinnerung; aber schon, was von den»Erinnerungen«ausgesagt wird (»traurige Bilder des Proletarierelends«) und noch deutlicher die Generalisierung auf die»moderne Gesellschaft«hin zeigt, daß Individuelles hier nur beispielhaft genommen werden soll, als das Besondere, an dem Allgemeines sich zeigt. Der Bezug zur Sozialwelt wird hier nicht über einen kulturellen Status (»beliebt«) hergestellt, sondern über die ökonomische Situation.
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2.[054:152] Mit diesen Hinweisen auf den ökonomischen Aspekt wird sogleich die zweite mögliche materielle Dimension verknüpft: der Körper in den Seinsweisen von Krankheit und Tod. Diese biologische Dimension, da sie als der frühe Tod der Mutter angesprochen wird, erscheint als wesentliche Bedingung der familialen Wirklichkeit, nicht nur als Ereignis unter anderen, sondern als elementar im genauen Sinne des Wortes: Der Autor spricht seine Erfahrung aus, daß Gesundheit und Krankheit Alternativen sind, mit denen die Familie täglich konfrontiert wird und die unmittelbar ihren Bestand, ihre Überlebenschance betreffen.
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3.[054:153] Überleben ist aber eindeutig an Arbeit gebunden. Mehr noch: Die biologische Dimension ist für den Autor bedeutsam vor allem im Hinblick darauf, daß sie unmittelbar die eigene Arbeitskraft bestimmt bzw. daß Krankheit den physischen Verschleiß durch die Arbeit anzeigt: diese Dimension erscheint im Text als»die Glasindustrie«, die»ihre Opfer«fordert: als ein allgemeines Subjekt also, dem»neun Zehntel der Bevölkerung«schutzlos ausgeliefert sind. Das Bild, das der Autor verwendet, um die Stellung dieser Dimension in seinem Lebenszusammenhang zu umschreiben, macht das Deutungsmuster ganz klar, mit dem er auf die Sache hinsieht:»Die Produkte … lassen nicht |A 49|erkennen, welche unendliche Summen von Leiden … darin krystallisiert glänzen.«Mit außerordentlicher Anschaulichkeit wird hier die große Distanz zwischen dem vom Elend bedrohten»Proletarier«und seinem Arbeitsprodukt, das in diesem Fall als Luxus-Gegenstand, als»Aufputz«zum Tausch und Gebrauch hergestellt wird, zur Darstellung gebracht. (Was in wissenschaftlichen Theorien»Arbeitskraft als Ware«,»Entfremdung«,»Herrschende Klasse«bezeichnet wird, scheint hier in Form symbolisch dargestellter sinnlicher Erfahrung auf.)
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4.[054:154] Vor dem Hintergrund dieser als fundamental erlebten Dimensionen werden nun erst die ins familiale Detail gehenden Probleme angesprochen. Die Mutter tritt – womöglich ihres frühen Todes wegen – stark zurück. Die Dimension der Erwachsenen-Kind-Beziehung wird nur im Hinblick auf den Vater entfaltet, den der Autor gleichsam im Schnittpunkt zweier Funktionskreise oder Subsysteme darstellt: als dominierenden Garant der Stabilität der Familienstruktur (»übergroße Strenge«) und als Orientierungspunkt der Sympathie-Beziehungen, der emotionalen Bedürfnisse (»an dem ich … mit zärtlicher Liebe hing«).
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5.[054:155] Diese Erfahrung von Ambivalenz in den Dimensionen der familialen Situation spricht sich auch im Hinblick auf Lernen und Bildung aus. Die starken, über die eigene soziale Situation hinausdrängenden Motive des Wissenserwerbs (»… im tiefsten Schnee noch zur Schule ging, um ja keine Stunde zu versäumen«) werden gebremst durch die im Vater verkörperte Nötigung,»die verschiedenen Zweige des Geschäfts zu erlernen«und der Familie die produktive Funktion zurück- und damit die Freiheit von Lohnarbeit (scheinbar) wiederzugewinnen. Wie groß der damit verbundene Konflikt und wie wichtig dem Autor deshalb diese Problemdimension ist, zeigt sich schon an dem relativ breiten Raum, den sie in der Darstellung einnimmt, und der verschachtelten Art, in der die Aussagen über seine»Wißbegierde«und den entgegenstehenden Arbeitszwang sich aneinanderreihen.
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6.[054:156] Mit der»Lern- und Wißbegierde«aber ist noch eine weitere Dimension verknüpft: die kulturell-normative Orientierung.»Studieren«zu wollen, bedeutet sozialen Aufstieg, bedeutet den Wechsel in eine andere Lebenswelt, bedeutet das Anstreben von als fremd empfundenen kulturellen Werten. Davon wollte»mein Vater jedoch nichts wissen«.»Arbeiten lernen, ein tüchtiger Arbeiter werden«ist hier die zusammenfassende Formel |A 50|für diejenigen Normen, an deren Geltung kein Zweifel besteht. Die»emanzipatorischen«Motive des Sohnes werden zwar nicht vollends verdrängt, können aber nur am Rande,»nebenbei«verwirklicht werden.

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–[054:159] Die Dimensionen, in denen die proletarische Familie beschrieben wird, sind stärker ursächlich (im Schema durch Pfeile angedeutet) miteinander verknüpft. Arbeit und Gesundheit werden nachdrücklich als die entscheidenden Determinanten erlebt, und zwar nicht nur für den familialen Einzelfall, sondern für das proletarische Schicksal überhaupt.
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–[054:160] Bei den Glasmachern werden die Dimensionen Arbeit, Wertorientierung und Lernperspektive in ein Kontinuum gebracht. Für die Bütows erscheint solche Lernperspektive, jedenfalls auf |A 51|Wissen und Bildung bezogen, weniger bedeutsam, eher als ein kultureller Besitz, der nur im Kontext von Wertorientierungen und Sozialwelt interpretiert wird.
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–[054:161] Die kommunikativen Beziehungen innerhalb der Familie der Bütows werden als ein System von undiskutierbaren Regeln gedeutet; ihr repressiver Charakter besteht, von ihrem Inhalt abgesehen, auch darin, daß ihre Genese den Familienmitgliedern verborgen bleibt; sie sind nur noch Ausdruck von Einstellungen. Die kommunikativen Beziehungen der Peukert-Familie dagegen sind zwar auch in Regeln gefaßt, in ihrem konkreten Zweck und ihrer Herkunft nach erscheinen sie für die Familienmitglieder (den Autor) aber begründet und also auch verstehbar, vor allem in den beiden Komponenten der materiellen Sicherung und der sozial-affektiven Bindung.
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–[054:162] Im ersten Text war die Rede von»den Bütows«und damit von einer genealogischen Identität. Im zweiten Text ist die Rede von»Proletariern«und damit von einer in der Gleichzeitigkeit lokalisierten Gruppen- bzw. Klassen-Identität.
Das Ehe-System
Frau: | Mann: |
Es ist vornehmlich ihr Konflikt, da die
Familie einerseits
»die Mutter haben muß« (
»ist doch ganz
logisch« ), andererseits aber durch deren Erwerbstätigkeit
Schwierigkeiten für die Erfüllung der Aufgabe entstehen. |
Es ist vornehmlich der Konflikt der Frau, denn
»als Mann kommt man mit drei
Kindern nicht allein zurecht« . Seine eigene Arbeit und
die mit ihr verbundene Belastung schließt eine intensivere
Beschäftigung mit den Kindern aus. |
Frau: | Mann: |
Sie sieht den Konflikt über die Tatsache der
»Meinungsverschiedenheit« hinaus als Solidaritätsproblem
(
»Du bist abgespannt
... nun frag mich mal, wann ich mal abgespannt bin« ) und
zugleich als Problem der
»Gleichberechtigung« , als rein innerfamiliale Aufgabe der
Beziehungsregelung. |
Ihm erscheint der Konflikt, da er irreversible Grundeinstellungen
(
»Na ja, als Mann
...« ) für sich in Anspruch nimmt, als nicht lösbar. Als
Determinante der Unlösbarkeit führt er seine Bezugsgruppe
»Kollegen« und die
damit verbundenen Verpflichtungen im Hinblick auf die
Außenbeziehungen der Familie an. |
Frau: | Mann: |
Sie akzeptiert grundsätzlich ihre Rollen-Definition als Hausfrau
und Mutter, als Hauptverantwortliche für das Erziehungsgeschehen;
sie interpretiert sich aber der Möglichkeit nach im Hinblick auf
eine andere Rollendefinition (
»Nun ja, das könnte ja auch der Mann
machen« ) und gibt da für eine materielle Begründung (
»wenn ich keines verdienen
müßte, würde ich gern aufhören« ). In anderen Worten:
unter der Bedingung tendenziell gleicher Belastungen durch
Erwerbstätigkeit müssen auch die innerfamilialen Rollenbeziehungen
adäquat gestaltet werden. Andernfalls wird die Rolle der
erwerbstätigen Mutter zur
»totalen Rolle« (
»Wofür bin ich noch alles
da?« ). |
Er akzeptiert nicht nur, sondern bekräftigt die Rollendefinition
und wehrt die Problematisierungen seiner Frau ab. Diese Abwehr
vollzieht sich in zwei Dimensionen: er verweist auf seine
Berufstätigkeit und die mit ihr verbundenen Belastungen als eines
unveränderlichen Datums (
»ich bin abgespannt von der Arbeit« ), und er verweist auf
seine Rolle als Mann, dem die Kindererziehung nicht als Aufgabe
zugeschrieben werden darf (
»Das sollst du doch machen!« ). |
Frau: | Mann: |
Sie interpretiert ihre Arbeit als reinen Gelderwerb, als zusätzliche, aber notwendige Belastung. Ihr Selbstverständnis bezieht sie nicht aus dieser Funktion, sondern aus ihren innerfamilialen Aufgaben. Allerdings sieht und akzeptiert sie auch die Funktion, die die Arbeit für ihren Mann hat und interpretiert daher Arbeit bzw. Berufstätigkeit als eine fundamentale Dimension. Sie geht aber dabei davon aus, daß dennoch Dispositionsspielräume für die Gestaltung des familialen Lebens verbleiben. Arbeit und Gelderwerb sind zwar fundamental, aber nicht zwanghaft determinierend. | Für ihn verknüpft sich mit
»Arbeit« mehr als
nur Gelderwerb: sie bestimmt einen Aspekt seiner lebenslangen Rolle.
Deshalb bilden die Arbeitskollegen für ihn auch eine relevante
Bezugsgruppe, auf deren Normen er Rücksicht nimmt und von der er
sich seinen Status bestimmen läßt (
»Und das verstehen die nicht, daß ich immer
grundsätzlich um 1 Uhr schnellstens nach Hause muß, um auf die
Kinder aufzupassen, das sehen die nicht ein« ). Für ihn
scheint zwischen seiner Berufsrolle und seinem Verhalten innerhalb
seiner Familie ein zwanghafter Zusammenhang zu bestehen, der es
verhindert, seine innerfamiliale Selbstdefinition zu verändern.
Seine
»Identität« bestimmt er eher von seiner
Berufswelt als von seiner familialen Lebenswelt her. Für seine Frau
indessen scheint ihm solche Identifikation mit der Erwerbsrolle
nicht bedeutsam (
»... ob
sie nun als Raumpflegerin geht oder sonst dergleichen
...« ). |
Frau: | Mann: |
Sie erörtert das Problem als eines, das unmittelbar mit ihren
eigenen Interessen verknüpft ist. Sie verweist auf den Konsensus
(
»Ihr wart alle damit
einverstanden, daß ich arbeiten gehe« ) und dringt auf die
Folgen, die in der Form neuer Regeln für die familiale Organisation
akzeptiert werden müssen (
»Also mußt du auch die Konsequenzen ziehen ... und
auf die Kinder aufpassen« ). Ihr Organisations-Vorschlag
enthält indessen im Grunde die Notwendigkeit einer Neudefinition der
Rollen der Ehepartner und bekräftigt das durch die fiktive Erwägung
des Rollentauschs (
»Wenn
ich z. B. es so machen würde wie du ...« ). |
Auch er akzeptiert die Notwendigkeit einer organisatorischen
Lösung (
»Na gut, dann muß
man das mit den Schularbeiten anders machen« ), diese ist
für ihn aber nicht von grundsätzlicher Bedeutung. Er muß keine
Interessen gegen Widerstände durchsetzen, sondern versucht nur,
seinen gegenwärtigen Status zu behaupten. Sein
Organisationsvorschlag beschränkt sich deshalb auf Details (
»... kann er gleich nach dem
Essen seine Schularbeiten machen« ). Während das Interesse
der Frau an einer befriedigenderen Organisation des Familienlebens
schon an die Familien-Struktur, insbesondere die Struktur der
Ehe-Beziehung rührt, geht das Interesse des Mannes ganz dahin,
gerade diese Struktur zu verschonen und nur gleichsam
»an der Oberfläche«
zu organisieren. |
-
–[054:220] die Verschiedenheit in der Dimensionierung der Probleme durch die beiden Ehepartner,
-
–[054:221] die Unterschiedlichkeit der verwendeten Gesprächstaktiken, der Kommunikationsmuster,
-
–[054:222] den Unterschied zwischen direkter Interaktion und einem Nachdenken über das, was sich in der Interaktion eigentlich abspielt,
-
–[054:223] die Veränderung während des Interaktionsprozesses,
-
–[054:224] die Definition der Familie als eines gegen die Öffentlichkeit abgeschlossenen Intimbereichs mit deutlicher Gruppengrenze,
-
–[054:225] die Bildungsgeschichte der Ehepartner selbst und das, was aus dieser Bildungsgeschichte in ihr gegenwärtiges familiales Handeln eingeht.
Das Eltern-Kind-System
Vater: Es soll bloß eine Zierde des Ofens seyn, auf den man das gesetzt hat.
Gottlieb: Giebt es denn wohl solche geflügelte Pferde?
Vater: Nein! der Künstler, der es machte, hat sich bloß eingebildet, daß es dergleichen gäbe.
Gottlieb: O kann man sich denn wohl so was einbilden?
Vater: Warum nicht? – Ich kann mir ja einbilden, daß ich dich auf einem Truthahn reitend durch die Luft fliegen sehe.
Gottlieb: Potztausend das sollte einmal schön gehen! – Aber das ist doch nicht wahr? |A 75|
Vater: Nein! Aber unsere Seele kann sich auch etwas vorstellen, was wirklich nicht ist. Z. B. kannst du dir nicht vorstellen, wie das aussehen würde, wenn ich eine Nase hätte, die von hier bis an die Wand reichte?
Gottlieb: (lachend) o ja!
Vater: Und willst du wissen, wie man diejenige Kraft unserer Seele nennt, womit sie sich solche Vorstellungen macht?
Gottlieb: Nun?
Vater: Man nennt sie Phantasie, und die wunderbaren Vorstellungen welche man sich dadurch macht, die nennt man Phantasien.
Gottlieb: Soll ich auch einmal eine Phantasie machen?
Vater: Immerhin!
Gottlieb: Na, ich bilde mir ein, wie das aussehen würde, wenn der Truthahn eine Perücke mit einem großen Haarbeutel trüge, und wenn er den Hut unterm Flügel und einen Degen an der Seite hätte.
Vater: Das müßte eben so närrisch aussehen, als wenn seine Frau, die Truthenne, wie eine Dame frisiert wäre, und pariser Taschen trüge.
Gottlieb: Sieh! da hat Vater ja auch eine Phantasie gemacht.
Das Kinder-System

Als sie das sagte, wurde ich noch viel deprimierter.
Herr im Himmel, sie deprimierte mich wahnsinnig.
Sie hatte aber ganz recht. Es heißt
(Salinger 1962, S. 215 ff.)
Zusammenfassung
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1.[054:296] Die gegenwärtige Familie stellt sich ihren Kindern als ein nach Regeln geordnetes Lernmilieu dar, das die Struktur des Alltagshandelns hat – im Unterschied zu den professionell institutionalisierten Lernmilieus wie Kindergarten, Schule, Heim usw. Daß es nach Regeln geordnet ist, bedeutet nicht, daß es ein harmonisches Milieu ist; vielmehr ist die Familie ein Konfliktfeld, ein»battleground«, in dem verschiedene Bedürfnisse, Erfahrungen und Intentionen aufeinandertreffen und zu einem, wenn auch immer wieder revidierbaren, Konsensus gebracht werden müssen.
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2.[054:297] Die Konflikte haben, in grober Einteilung, zwei Quellen: einerseits muß die Familie mit ihren materiellen Bedingungen fertig werden, vor allem mit Einkommen und Beruf, und sie muß diese Bedingungen zu einem halbwegs befriedigenden Stil des innerfamilialen Umgangs verarbeiten. Neben dieser, wie auch immer mittelbaren, Auseinandersetzung mit der»äußeren Natur«muß sie andererseits die Probleme der»inneren Natur«bewältigen: sie muß dem zunächst nur biologisch bestimmten Organismus des Kindes ein Bildungsangebot machen, das es diesem ermöglicht, im Prozeß der Person-Werdung eine Balance zwischen Bedürfnissen und kulturellen Anforderungen (sozialen Erwartungen) zu finden.
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3.[054:298] Alle Probleme innerhalb der Familie stellen sich für die Kinder als Probleme der Interaktion dar, und zwar in drei sich überschneidenden Teil-Systemen: die Interaktion zwischen den Eltern, die die Kinder täglich erfahren; die Interaktion zwischen den Eltern und Kindern, die prinzipiell durch Abhängigkeit ge|A 87|kennzeichnet ist; die Interaktion zwischen den Kindern, die durch die Gehalte einer kindlichen»Gegenwelt«, durch die im Spiel wenigstens streckenweise realisierten Basisregeln von Interaktion eine relative Eigenständigkeit hat.
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4.[054:299] In diesen Familien-Interaktionen werden Schemata der Erfahrung präsentiert, an denen das Kind lernt und die es in seine Vorstellungen (Begriffe) und seine Handlungen übernimmt.
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5.[054:300] In diesem Interaktionsfeld dominieren die Erwachsenen, spielen sie den herrschenden Part. Ihre Probleme, ihre Interaktionsmuster und Erfahrungs-Schemata sind deshalb Schlüssel-Ereignisse der Familienerziehung.
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6.[054:301] Durch tägliches Verflochtensein in Produktion und Konsum haben die Muster und Schemata mindestens in einigen – vermutlich den dominanten – Komponenten ihre»Basis«außerhalb der Familie. Die gesellschaftlich bestimmenden Verkehrsformen bestimmen so auch die Interaktion in der Familie, werden zu pädagogisch bestimmenden Verkehrsformen.
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7.[054:302] Das bedeutet schließlich, daß die Familienerziehung – ihr empirischer Begriff – ein durch und durch historisches Phänomen ist. Alles was in ihr geschieht, erhält seine Bedeutung nur durch den geschichtlichen Zusammenhang, dessen Glied sie ist. Sie kann deshalb auch – selbst wenn unsere empirische Phantasie sich das gegenwärtig nicht vorstellen kann – durchaus historisch überflüssig werden; das gilt zumal dann, wenn wir bedenken, daß die Begriffe und Phantasien, die wir über die Familie entwickeln, durch einen Lernprozeß in eben dieser sozialen Institution mindestens mit-gebildet wurden.
3. Kapitel
Familienerziehung als Kommunikation
Die Familie:
»Unity of interacting
persons«
-
»1.[054:306]Verhalten beruht auf einer klassifizierten Welt, und Klassifikationsbegriffe enthalten die Bedeutung, die aus geteilten Verhaltens erwartungen, entstanden durch soziale Interaktion, besteht. Durch Interaktion lernt man, wie Objekte zu klassifizieren sind und welche Erwartungen an das eigene Verhalten gegenüber diesen Objekten bestehen.
-
2.[054:307]Unter diesen Klassifikationsbegriffen sind Symbole, die die morphologischen Bestandteile der Sozialstruktur, genannt Positionen, bezeichnen; und diese Positionen enthalten die geteilten Verhaltenserwartungen, genannt Rollen.
- |A 90|
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3.[054:308]Akteure innerhalb einer Sozialstruktur benennen sich gegenseitig, erkennen sich gegenseitig als Inhaber von Positionen und rufen so Erwartungen in bezug auf gegenseitiges Verhalten hervor.
-
4.[054:309]Akteure innerhalb einer Sozialstruktur benennen gleichfalls sich selbst und schaffen so verinnerlichte Erwartungen in bezug auf ihr eigenes Verhalten. Durch solche Anwendung positionaler Bezeichnungen auf sich selbst entwickeln sie ein Selbst, das aus einem Satz von unterschiedlichen Identitäten besteht.
-
5.[054:310]Akteure suchen stabile und kohärente Identitäten zu schaffen und zu erhalten. Akteure ziehen es vor, daß ihre Identitäten mit positiven Affekten umgeben sind, d. h. sie ziehen es vor, von sich selbst gut zu denken.
-
7.ø[054:311]Identitäten sind motivationale Kräfte; sie umfassen Antriebe zu einem Verhalten, das die Identitäten darstellt oder symbolisiert.
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8.[054:312]Identitäten sind fixiert oder stabilisiert durch›Verpflichtung‹. Die Beteiligung, die eine Person in ihrem Netzwerk von sozialen Beziehungen eingegangen ist, verstärkt die Bedeutsamkeit der Identität, auf der dieses Netzwerk gegründet ist, für den Akteur.
-
9.[054:313]Verhalten ist das Ergebnis eines Prozesses, nämlich der Rollen-Erschaffung, der eine Wechselwirkung von Definitionen des Selbst und der Reaktion der anderen darstellt. Alles soziale Verhalten beinhaltet eine Wechselwirkung der Forderungen der Identität und Anerkennung oder Ablehnung solcher Anforderungen.«
Ein Begriffs-Rahmen zur Analyse von Familien-Kommunikation
-
1.[054:330] Jede Familie muß das Problem von Nähe und Distanz ihrer Mitglieder zueinander lösen.
-
2.[054:331] Sie muß ein Bild von sich selbst und von einzelnen Familienmitgliedern entwerfen und revidieren können.
-
3.[054:332] Sie hat einige zentrale Themen und muß Interaktionsweisen für diese Themen oder Probleme entwickeln.
- |A 98|
-
4.[054:333] Sie setzt Grenzen und Schemata ihrer Erfahrungswelt fest, definiert sich als Gruppe im Vergleich zu anderen Gruppen.
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5.[054:334] Sie organisiert die grundlegenden Rollenprobleme (vor allem Generation und Geschlecht) im dynamischen Kontext ihres zeitlichen Wandels.
Paradoxien, Erwartungen, Schemata
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–[054:345] daß Interaktionen eine Affekt-Seite haben, die in der Regel nur schwer verbalisiert werden kann;
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–[054:346] daß Kommunikationsstörungen unter anderem mit Interaktionen Zusammenhängen, die sich durch Unvollständigkeit, Widersprüchlichkeit, Unbestimmtheit, Unechtheit auszeichnen;
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–[054:347] daß eine Grundvoraussetzung gelungener Kommunikation ihre Reziprozität ist, die Fähigkeit nämlich, wechselseitig Perspektiven nicht nur mitzuteilen, sondern auch die des anderen virtuell übernehmen zu können. Damit ist keine Übereinstimmung der Perspektiven gemeint; vielmehr ist gerade ihre Verschiedenheit ein wesentlicher Ausgangspunkt dieser Behauptungen. Diese Verschiedenheit aber muß kommuniziert werden können. In unserem Beispiel auf S. 63 ff. wird gerade die Verschiedenheit in den Sichtweisen von Eltern und Tochter in einer Art |A 102|Gemeinschaftlichkeits-Ritual verleugnet; der Tochter ist es nicht möglich, ihre eigene Perspektive zur Darstellung zu bringen (»... lande ich gewöhnlich in der Klinik«), die Interaktionsmuster der Familie gestatten das nicht und erzwingen so eine oberflächliche Interaktion.
1. Strategie (Paul):
2. Strategie (Sofie):
-
»–[054:367]Wenn die Familienmitglieder Transaktionen zu Ende führen, Aussagen überprüfen und fragen können.
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–[054:368]Wenn sie Feindseligkeit interpretieren können.
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–[054:369]Wenn sie sich mit den Augen anderer sehen können.
-
–[054:370]Wenn sie sich darüber klar sind, wie sie sich selbst sehen.
-
–[054:371]Wenn ein Familienmitglied einem anderen mitteilen kann, welchen Eindruck es macht.
-
–[054:372]Wenn ein Mitglied einem anderen sagen kann, was es von ihm erhofft, befürchtet und erwartet.
-
–[054:373]Wenn sie verschiedene Ansichten vertreten können.
-
–[054:374]Wenn sie eine Wahl treffen können.
-
–[054:375]Wenn sie durch die Praxis lernen können.
-
–[054:376]Wenn sie sich von hemmenden, altgewohnten Verhaltensmustern befreien können.
-
–[054:377]Wenn sie klare Mitteilungen machen können, d. h. wenn sie in ihrem Verhalten kongruent sind, mit einem Minimum an Diskrepanz zwischen Gefühl und Kommunikation und einem Minimum an versteckter Bedeutung.«
4. Kapitel Familieninteraktion als kognitives Lernen
Der Familienprozeß und das lernende Kind
1. Exkurs zum Gegenstand
»Kognition«
2. Riten und Rollen
Mutter: Robert! Alles ist fertig. Komm essen! (zum Vater) Geh, ruf Robert!
Vater: Robert! Alles ist fertig. Komm essen! (Robert geht ins Badezimmer, um sich die Hände zu waschen.)
Mutter (wenig später): Robert, komm jetzt essen! Alles wird kalt!
Robert: O.K!
Mutter (füllt Robert Teller): Ich habe Spargel gekocht, den du gerne magst, und Schweinekotelett, das du liebst. Willst du noch Kaffee oder Milch?
Robert: Beides!
Mutter (zum Vater): Hol ihm die Milch und ein Glas!
Robert: Ich kann das selbst tun, ich bin weder hilflos noch gelähmt (Mutter füllt Robert Teller.)
Robert: Das ist genug. (Die Mutter legt noch mehr Spargel auf den Teller.) Ich sagte, es ist genug! (Die Familie beginnt zu essen. Nach einigen Minuten des Schweigens geht Robert zum Kühlschrank und holt die Milch.)
Mutter: Laß die Tür vom Kühlschrank nicht so lange offenstehen!
Robert: Mußt du mir immer und immer wieder dasselbe sagen? Du weißt, ich lasse die Tür nicht offenstehen!
Mutter: Na, ich darf wohl nichts mehr sagen. Heute geben wohl die Söhne in der Familie den Ton an! (Zum Vater:) Übrigens bat ich dich, die Milch zu holen. (Pause.)
Mutter: Magst du den Spargel, Robert?
Robert: Ja!
Mutter: Wie ist das Fleisch?
Robert: Gut!
Mutter: Möchtest du etwas Brot?
Robert: Nein!
Mutter: Bist du sicher?
Robert: Ich sagte
Mutter: Brot ist gut für dich; du solltest mehr Brot essen! Möchtest du nicht etwas?
Robert: Ich sagte
Mutter: Nimm noch etwas Spargel!
Robert: Ich möchte keinen mehr!
Mutter: Nimm noch ein Kotelett!
Robert: Ich möchte kein Kotelett mehr!
Mutter: Ist das alles, was du essen willst? |A 119|
Robert: Wenn ich mehr gewollt hätte, hätte ich mehr genommen. Vater (zur Mutter): Willst du ihn nicht in Ruhe lassen und ihn essen lassen, was er will?
Mutter: Ich denk, der Kaffee ist fertig! (Zum Vater:) Willst du bitte eingießen? (Robert erhebt sich, um die Kanne zu holen. Die Mutter sieht das und eilt zum Herd, um ihn selbst zu holen.) (Zum Vater:) Mein Gott, bist du träge!
Robert: Ich bin es, der fertig ist zum Kaffeetrinken. (Robert fixiert seinen Kaffee.)
Mutter: Mehr Milch nimmst du nicht?
Robert: Ich mag es so!
Mutter: Ich verstehe nicht, daß man ihn so trinken kann!
Robert: Ich bin es, der meinen Kaffee trinkt – nicht du. Ich will es so machen, wie ich es liebe.
Mutter: Mein Gott! Mütter dürfen ihren Kindern wohl nichts mehr sagen! (Robert nimmt seine Tasse und geht hinauf in sein Zimmer.) (Mutter ruft hinterher:) Willst du noch Obst oder Kuchen?
Robert: Nein! (Geht in sein Zimmer und schließt die Tür.) (Bossard/Boll 1965, S. 139 f.)
3. Erziehungsziele
4. Vibrierende Einheit
Vater: Ne, ich möchte keinen auf meinem Schoß haben. Ich möchte in Ruhe Abendbrot essen.
1. Kind: Noch mehr Saft haben!
Vater: Ja, den kannst du gerne bekommen, aber nicht auf meinem Schoß.
1. Kind: Doch!
Vater: Nein!
1. Kind: Ich bin in einer Sekunde wieder da!
Vater: Ich denke überhaupt nicht dran! (erhebt sich zum Spaß.)
2. Kind: P. (Vater) will jetzt nach Amerika!
(unverständlich)
2. Kind: (rülpst und imitiert sich):
Mutter: Eu, das war wohl gut!
2. Kind: ö, ö, ö!
Mutter: Rülpst wie ein Tiger!
1. Kind: ö, ö, ö, ö! (die anderen imitieren auch)
Mutter (zu 2. Kind): Bewegst den Mund gar nicht dabei!
2. Kind: Was?
Mutter: Bewegst den Mund gar nicht!
2. Kind: ö, ö, ö!
Vater: Weißt du, daß es Leute gibt, die so reden können, daß es klingt, als ob es aus dem Bauch kommt? Bewegen den Mund gar nicht und reden trotzdem. Du denkst, es kommt aus dem Bauch! Versuch mal!
2. Kind (brummt
Mutter: Mich? Aus dem Bauch?
1. und 2. Kind (brummen)
Vater (brummt): Hallo B.!
Mutter: Mach doch mal Karmet! (Figur aus der Sesamstraße)
Vater: Ne!
Mutter: Bitte!
2. Kind: Doch!
Mutter: Das finde ich auch, das brauche ich jetzt in Zukunft beim Abendbrot!
Vater: Nö, ich bin nicht Karmet, ich bin kein Frosch! (Lachen)
2. Kind: Dann mach ich den Käse ab und setz ihn dir ans Ohr!
Vater: Meinst du, ich bin dann Karmet?
2. Kind: Ja, weil du dann solche Ohren hast wie Karmet!
Vater: Ach so, und dann?
2. Kind: Dann beiß ich deine Ohren ab, dann schmecken die mir ganz gut.
Mutter: Was gab’s denn heute in der Sesamstraße?
1. Kind: Oskar!
Mutter: Hatte Oskar gute Laune oder schlechte Laune? (Stimmen gewirr)
2. Kind: Gar keine Laune!
Vater: Ihr seid witzig, fragt den B. (1. Kind) was und hört gar nicht, was er sagt!
1. Kind: Hatte Schluckauf! |A 122|
2. Kind: Ja, da hat Oma Griesgram, hat ihn geküßt, und dann ist der Schluckauf weggegangen!
Mutter: Hat er so’n Schreck bekommen – oder? Und was ist dann passiert?
1. Kind (echot): Oma Griesgram!
Vater: Oma hat angerufen, ob ich ihr, sie hat starke Kopfschmerzen, ob ich ihr ’n paar Pillen bringen kann.
2. Kind: Unsere Oma?
Mutter: Ja!
2. Kind: P., Hilfe, ich falle runter, Hilfe, ich fall runter, halt mich fest. Siehst du das nicht, ich fall runter, P., halte mich fest!
Vater (etwas ernster): Du, ich glaub, du hast das falsch verstanden, ich will Abendbrot essen, toben könnt ihr nachher oben!
Die Familie als Raum-Zeit-Personen-Ereignisfeld
(am Pol Wärme)
2. Strenge – Nachsicht
(am Pol Strenge)
(Becker 1964, S. 174.)
Mutter: Wozu sind die Augen da?
Kind: Da sind die Augen, im Gesicht!
Mutter: Wozu (betont) sind die Augen?
Kind: Zu den Mund und Nase!
Mutter: Wozu hat man Augen?
Kind: Weil man keine Blume ist!
Das Familienprojekt und die Erfahrungen des Kindes
Familiales und schulisches Lernen
5. Kapitel Die gesellschaftliche Bestimmtheit der familialen Interaktion
Theoretische Vorüberlegungen
1. Schwierigkeiten der Problemstellung
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1.[054:461] eine kurze Darlegung des kapitalistischen Arbeits- und Verwertungsprozesses nach ;
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2.[054:462] einige Bemerkungen über die allmähliche Auflösung der patriarchalischen Familie im Gefolge der Industrialisierung;
-
3.[054:463] ein je nach Kenntnis des Verfassers mehr oder minder beliebiges Referat empirischer Arbeiten zur Korrelation zwischen Arbeitsplatz und Erziehungsstil, Schichtzugehörigkeit und Sprachcode, sozialer Lage und psychischer Störung;
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4.[054:464] eine (ebenso) mehr oder minder beliebige Auswahl (empirischer) Materialien zur Lebenssituation von Angehörigen verschiedener sozialer Schichten am Arbeitsplatz und zu Hause;
- |A 147|
-
5.[054:465] eine ebenfalls kurze Darlegung einer sozialpsychologischen Theorie (Psychoanalyse, Behaviorismus, Kognitionstheorie, symbolischer Interaktionismus).
2. Soziale Schicht und Klasse
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–[054:488] die meisten schichtungstheoretisch gerichteten Untersuchungen keineswegs von einem groben dichotomischen Schichtungsmodell ausgehen, sondern von einem fünf bzw. sechs Schichten umfassenden Modell;
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–[054:489] die oft global gemeinsam zitierten Studien in verschiedenen Ländern mit verschiedenen historischen, kulturellen und ökologischen Bedingungen erhoben wurden,
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–[054:490] es also noch auszuweisen ist, inwiefern sie dasselbe thematisieren.
3. Sozialstruktur und individuelle Bildungsstruktur
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A.[054:496]»... Der Grad der Ungleichheit in Verteilungssystemen variiert direkt mit der Höhe des Surplus einer Gesellschaft. Zu einer gewissen Modifikation dieses allgemeinen Musters könnte es indes schon kommen, wenn die Verhältnisse Personen, denen es je einzeln an Macht fehlt, gestatten, sich zusammenzuschließen und zu organisieren und auf diese Weise ein kollektives Gegengewicht zu jenen mit größerer individueller Macht zu bilden«(Lenski 1973, S. 123)
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B.[054:497]»Die Gattenfamilie gründet sich auf gegenseitige Zuneigung und Liebe. Sie besteht aus einer kleinen Anzahl von Menschen, die in engem Kontakt miteinander stehen. Die emotionalen Bande zwischen den Mitgliedern des erweiterten Haushalts sind meist diffus und weniger stark. Dieser Grad der Emotionalität in der Gattenfamilie wird durch die Tatsache hervorgehoben, daß es dem Individuum durch Brauch verboten ist, anderweitig in der Gesellschaft Trost zu suchen. Dies ist ein wesentlicher Grund für die Intimität und die Zerbrechlichkeit der Gattenfamilie«(Goode 1967, S. 102)
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C.[054:498]»Der Kampf zwischen Ich und Es beim kleinen Kind hat seine eigenen Bedingungen. Die Ansprüche auf Befriedigung, die von den Wünschen der oralen, analen und phallischen Phase ausgehen, die Affekte und Phantasien, die mit dem Ödipuskomplex und Kastrationskomplex Zusammenhängen, sind außerordentlich lebhaft; das Ich, das ihnen gegenübersteht, ist eben erst in Bildung begriffen, also noch schwach und unentwickelt«(A. Freud 1964, S. 110)
Figuration
Wife: Yes, you were drunk that night.
Husband: Oh no, I wasn’t. I decided we ought to have another.
Wife: Go on, that wasn’t how it was.‹
Verkehrsform
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–[054:532]»die Menschen imstande sein müssen zu leben, um Geschichte machen zu können. ... Die erste geschichtliche Tat ist also die Erzeugung der Mittel zur Befriedigung dieser Bedürfnisse, die Produktion des materiellen Lebens selbst«
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–[054:533]»das befriedigte Bedürfnis selbst, die Aktion der Befriedigung und das schon erworbene Instrument der Befriedigung zu neuen Bedürfnissen führt«
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–[054:534]»die Menschen, die ihr eigenes Leben täglich neu machen, anfangen, andere Menschen zu machen, sich fortzupflanzen – das Verhältnis zwischen Mann und Weib, Eltern und Kindern, die Familie. Diese Familie, die im Anfang das einzige soziale Verhältnis ist, wird späterhin, wo die vermehrten Bedürfnisse neue gesellschaftliche Verhältnisse, und die vermehrte Menschenzahl neue Bedürfnisse erzeugen, zu einem untergeordneten (ausgenommen in Deutschland) und muß alsdann nach den existierenden empirischen Daten, nicht nach dem(Marx, MEW Bd. 3, 1969, S. 28 f.)›Begriff der Familie‹, wie man in Deutschland zu tun pflegt, behandelt und entwickelt werden«
Exkurs: Zweck-Mittel, Ware, Tauschbeziehung
Dimensionen familialer Interaktion (familienrelevante Aspekte von Verkehrsformen)
1. Personale versus funktionale Beziehungsdefinition
und | und Diotima |
Eigentlich lernte ich sie sehr nah
kennen. ... Der Anfang war so: Ihr Dobermannpinscher kam
immer in unseren Garten, um auf dem Rasen seine
Geschäfte zu machen, und meine Mutter ärgerte sich
furchtbar darüber. Sie rief
Mutter an und machte großen Stunk. Aus so etwas kann
meine Mutter immer eine Tragödie machen. Als ich sie ein
paar Tage später am Schwimmbassin auf dem Bauch liegen
sah – im Club –, begrüßte ich sie. Ich wußte, daß sie
neben uns wohnt, aber ich hatte noch nie mit ihr
gesprochen. Sie machte ein eisiges Gesicht. Ich
überzeugte sie mühsam davon, daß es mir absolut
gleichgültig sei, wo zum Kuckuck ihr Hund seine
Geschäfte besorge. Er könne es von mir aus auch im
Wohnzimmer tun, sagte ich ...
(Salinger 1962, S.
58)
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Das Verhältnis Diotimas zu
hatte sich in dieser Zeit durch das zur Gewohnheit
gewordene Beisammensein sehr gebessert. Sie mußten oft
gemeinsam ausfahren, um Besuche zu machen, und er kam
mehrmals wöchentlich und nicht selten unangekündigt und
zu ungebräuchlichen Zeiten zu ihr. Es war ihnen beiden
unter diesen Umständen bequem, aus ihren
verwandtschaftlichen Beziehungen Nutzen zu ziehen und
die strengen gesellschaftlichen Vorschriften zu mildern.
Diotima empfing
ihn nicht immer im Salon und vom Haar knoten bis zum
Rocksaum in Vollendung gepanzert, sondern zuweilen in
leichter häuslicher Auflösung, wenn das auch bloß eine
sehr vorsichtige Auflösung bedeutete. Es war eine Art
Zusammengehörigkeit zwischen ihnen entstanden, die
hauptsächlich in der Form des Verkehrs lag ...
(Musil 1952, S. 276)
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war
ein sonderbares Mädchen.
Ich würde sie nicht im strengen Sinne schön nennen ... Wenn sie über etwas redete und dabei auf geregt wurde, bewegten sich ihre Lippen in fünfzig Richtungen gleichzeitig. Sie machte den Mund überhaupt nie ganz zu. Er stand immer ein bißchen offen, besonders wenn sie Golf spielte oder las. Sie las die ganze Zeit, und zwar sehr gute Bücher. Einen Haufen Gedichte usw. ... Sie interessierte sich für solche Sachen. |
..., daß Diotima sehr schön sei. Sie kam ihm dann wie
ein junges, hohes, volles Rind von guter Rasse vor,
sicher wandelnd und mit tiefem Blick die trocknen Gräser
betrachtend, die es ausrupfte. ...
»Wie
angenehm könnte sie sein« , dachte er,
»wenn sie ungebildet, nachlässig und so
gutmütig wäre, wie es ein großgestalteter weiblicher
Körper immer ist, wenn er sich keine besonderen
Ideen einbildet.« Die berühmte Gattin des
vielberaunten Sektionschef Tuzzi verflüchtigte sich
schon aus ihrem Körper, und es blieb nur dieser selbst
übrig wie ein Traum, der samt Polstern, Bett und
Träumenden zu einer weißen Wolke wird, die mit ihrer
Zärtlichkeit ganz allein auf der Welt ist. |
Eigentlich lernte ich sie sehr nah
kennen. Ich meine damit nichts Physisches oder so – das
nicht –, aber wir waren die ganze Zeit zusammen. Man
braucht nicht immer physisch miteinander zu tun zu
haben, um ein Mädchen kennenzulernen.
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fühlte zuweilen mit aller Eindringlichkeit ... Er sah
sie also dann nicht ohne Bosheit und Ironie an, die sich
durch Vergleich aus dem Tierreich an Diotimas
Geistesadel rächt. Kehrte aber
von einem solchen Ausflug der Einbildungskraft zurück,
so sah er einen strebsamen bürgerlichen Geist vor sich
...
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2. Gleichberechtigte versus herrschaftsbestimmte Beziehung
Der Konsul lächelte wieder.
3. Inhaltlich bestimmte versus formal bestimmte Interaktion
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–[054:568] Je differenzierter das gesellschaftliche System der Arbeitsteilung ist, um so wahrscheinlicher ist es, daß sich Arten von Arbeitsplätzen vermehren, die nicht mehr durch eine gegenständliche Bearbeitung der Natur gekennzeichnet sind.
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–[054:569] Gleichzeitig werden durch die Trennung von Wohn- und Arbeitsplatz Produktion und Konsum derart getrennt, daß die Arbeitssphäre, an der die erwachsenen Mitglieder der Familie, vornehmlich die männlichen, teilhaben, den Kindern nicht mehr anschaulich ist. Für sie ist am Leben ihrer Eltern nur das»wirklich«, was sie als private Formen von Kommunikation außerhalb der Arbeitszeit wahrnehmen und ihnen mehr oder weniger als Folge der Verausgabung von Arbeitskraft erscheint, und zwar eher weniger als mehr begreifbar.
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–[054:570] Schließlich wird durch diese Vorgänge die Familie in ihrer inhaltlichen Orientierung mehr und mehr auf»Freizeit«-orientierte Kommunikation verwiesen. Themen und Schlüsselprobleme schließen sich weniger an die Themen der Arbeitswelt als an die des privaten Konsums und der Regelung innerfamilialer Beziehungen einschließlich der Bildungsperspektiven an.
4. Subjektive versus mechanische Zeitschemata
5. Problematisierende versus konventionalistische Interaktionsmuster
Zusammenfassung
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–[054:592] Der Vorschlag definiert Dimensionen der familialen Interaktion, des familialen Erziehungsgeschehens, innerhalb deren jede Familie ihre spezifische Lösung finden, ihre besondere Interaktionscharakteristik ausbilden muß.
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–[054:593] Der Vorschlag definiert ferner diese Dimensionen so, daß sie zugleich auf andere gesellschaftliche Interaktionsfelder angewandt werden können und also Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung mit ihnen ermittelt werden kann. Auf diese Weise wird diskutierbar, ob überhaupt und in welcher Ausprägung die Interaktionscharakteristik der Familie und mithin ihre Bildungsfunktion mit den gesellschaftlichen Verkehrsformen zusammenhängt, sie möglicherweise»widerspiegelt«.
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–[054:594] Die Dimensionen enthalten eine normative Komponente; in ihnen wird nämlich unterstellt, daß zur Bildung einer entfalteten»reifen«Interaktionskompetenz so etwas wie ein Optimum in der Kombination der Merkmalsausprägungen der Familie bzw. der primären Sozialisationsinstanz angenommen werden sollte. Das ist freilich nicht so zu denken, daß in jeder der Dimensionen nur jeweils die eine Seite extrem zur Ausprägung kommt (z. B. personal, gleichberechtigt, inhaltlich bestimmt usw.). Da auch die Familie eine soziale Institution ist, die ihren Alltag organisieren und planen muß, kann sie beispielsweise auf funktionelle Merkmale nicht verzichten. Da die Generationen-Differenz ein definierender Bestandteil ihrer Struktur ist, wird sie prinzipiell nicht auf Gleichberechtigung im Eltern-Kind-System gegründet sein können. Wir werden also immer mit Mischungen bzw. mit Merkmalen rechnen müssen, die keine Extremwerte darstellen, sondern irgendwo zwischen den Extremen der Dimensionen liegen. Die Frage nach der optimalen Interaktionscharakteristik kann also durch unsere Überlegungen allenfalls vorbereitet oder verdeutlicht, keineswegs aber beantwortet werden.
Anhang
Empfehlungen zum systematischen Studium der Familienerziehung
Die familiale Lebenswelt
Zur Lage der Familie in der Gegenwart
Die Familie als Lernmilieu
Die Familie als Ort gesellschaftlicher Reproduktion
Familientherapie
Methoden und Perspektiven der Familienforschung
Zur ersten Einführung in die Geschichte der Familienerziehung
Empfehlungen zum Studium der Geschichte der Familienerziehung
Zum Verhältnis von systematischen und historischen Sozialwissenschaften
Aspekte einer Historischen Sozialisationsforschung
Zur nachfolgenden Bibliographie
Literaturhinweise
Geschichte von Kindheit und Jugend
Historische Familienforschung
Alphabetisches Literaturverzeichnis
Register
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