Danksagung
Einleitung
1. Datenerhebung, Stichproben-Beschreibung und Auswertungsmethode
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1.[132:18] Die Entwicklung verläuft überhaupt nicht nach dem Erziehungsplan.
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2.[132:19] Der oder die Betreffende lehnt seit längerem alle Beziehungs- und Betreuungsangebote ab.
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3.[132:20] Die Verhaltensprobleme sind trotz langer intensiver Bemühungen unverändert geblieben.
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4.[132:21] Die Betreuer sind sich unsicher im Umgang mit dem/der Jugendlichen. Die medizinischen/psychologischen/psychiatrischen diagnostischen Begutachtungen haben zu keiner Klärung führen können.
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5.[132:22] Der oder die Betreffende befindet sich in einer aktuell gefährdenden Lebenssituation (z. B. durch Drogen-, Skinhead-, Punker-, Prostituiertenmilieu oder Straffälligkeit).
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6.[132:23] Der/die Heranwachsende steht kurz vor der Volljährigkeit; seine/ihre Schwierigkeiten sind so erheblich, daß eine intensivere Betreuung eingeleitet werden müßte, um zur Selbständigkeit zu befähigen.
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7.[132:24] Es handelt sich um eine akute Aufnahme, man vermutet, daß der/die Jugendliche unter erheblichen sozialen und psychischen Belastungen steht; es bestehen große Unsicherheiten hinsichtlich der Erziehungsplanung und der konkreten Hilfen, die er/sie benötigt.
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8.[132:25] Der Junge bzw. das Mädchen hat aufgrund seiner/ihrer Schwierigkeiten schon mehrere Heimwechsel hinter sich.
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9.[132:26] Er/sie entweicht häufig und für längere Zeit von der Gruppe.
Anzahl | |
Großeinrichtung mit interner Schul- und Berufsausbildung | 3 |
mittlere Einrichtung mit Heimschule und Fördergruppen für Lernbehinderte | 1 |
Heilpädagogisches Heim | 1 |
Heim mit psychotherapeutischen Angeboten | 1 |
Kleinere Einrichtungen ohne spezialisierte Angebote | 2 |
Sozialtherapeutische Einrichtung mit betreutem Einzelwohnen | 1 |
Sozialpädagogische Wohngruppe für Mädchen | 1 |
Arbeitsstellen zur beruflichen Eingliederung | 3 |
Jugen (n = 42) |
Mädchen (n = 28) |
gesamt (n = 20) |
||
Alter | 12 – 14 15 – 17 junge Volljährige |
7 18 17 |
2 16 10 |
9 34 27 |
institutionelle Erfahrungen | ein Heimwechsel mehrere Heimwechsel Pflegefamilie Psychatrie Schulabschluss |
16 10 11 13 11 |
10 5 5 4 5 |
26 15 16 17 16 |
Art der derzeitigen Betreuung | stationär betreutes Einzelwohnen ambulant |
30 4 8 |
23 1 4 |
53 4 12 |
Ausbildung/Beruf | befriedigende soziale Beziehungen | Devianz/seel. Belastungen | |
eher positive Einschätzungen und Prognosen | 12 | 21 | 14 |
deutlich negative Einschätzungen und Prognosen | 52 | 46 | 52 |
keine Angaben | 4 | 1 | 2 |
insgesamt | 68 | 68 | 68 |
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1.[132:35] Familie und Verwandtschaft: Dieser Kategorie wurden alle Äußerungen zugeordnet, die die innerfamiliären Erfahrungen thematisieren.
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2.[132:36] Erfahrungen in Pflegefamilien.
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3.[132:37] Die außerfamilialen, nicht-institutionellen Kontexte. Hierzu zählen u.a. Äußerungen über Erlebnisse mit Gleichaltrigen. In dieser„Domäne“wurden im wesentlichen die peer-group-Erfahrungen gesammelt.
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4.[132:38] Berichte der Jugendlichen über Vorkommnisse in den Einrichtungen des Bildungssystems.
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5.[132:39] Erfahrungen mit Einrichtungen der Jugendhilfe.
-
6.[132:40] Mitteilungen über bevorzugte oder abgelehnte Tätigkeiten, Interessen, Spielerisches und Sportliches, handwerkliche Neigungen u. ä.
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1.[132:43] Zeitschemata. Probleme der alltäglichen Handlungsplanung, der Überwindung von Zeitdistanzen zwischen Impuls und Befriedigung, der
Tab. 3: Erfahrungsfelder und Deutungsdimensionen
Selbst- und Weltdeutung
Erfahrungsfelder2.1 Zeitschemata 2.2 Körpererfahrungen 2.3 Selbstentwürfe 2.4 normative Orientierungen 2.5 Devianz 1.1 Verwandtschaftssystem 1.2 Pflegefamilie 1.3 außerfamiliäre nicht-instituionale Erfahrungen 1.4 Erfahrungen in Einrichtungen des Bildungssystems 1.5 Erfahrungen in Einrichtungen der Jugendhilfe 1.6 Erfahrungen mit Tätigkeiten und Tätigkeitsbedürfnissen -
2.[132:44] Körpererfahrungen. Eine zweite Auswertungsdimension bildeten die Körpererfahrungen der Jugendlichen. Es zeigte sich, daß Formen der Auseinandersetzung mit der eigenen Leiblichkeit in den Interviews einen zentralen Stellenwert einnehmen. Unter diese Themenklasse wurden alle Aussagen subsumiert, die die Beziehung zum eigenen Körper direkt oder indirekt zur Sprache brachten, also Beschreibungen von konkreten leiblichen Spürenserfahrungen, Tätigkeiten und Freizeitaktivitäten, aber auch die körperbezogenen Interessen und Vorlieben.
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3.[132:45] Selbstentwürfe. Diese Kategorie umfaßt Äußerungen, die sich dem zuordnen lassen, was in der theoretischen Diskussion das„Selbst“genannt wird (vgl. z. B. Kegan 1991). Hierzu zählt die Selbstsicht im Hinblick auf soziale Beziehungen, Interessen und Kompetenzen und zukunftsbezogene Lebenspläne. Ebenfalls gehören zu dieser Klasse die Wunschbilder der Betreffenden von sich sowie die zwischenmenschlichen Ertwartungen, mit denen sie sich konfrontiert sehen:„Wie möchte ich sein, was erwarten die anderen von mir?“
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4.[132:46] Normative Orientierungen. Gesonderte Aufmerksamkeit richteten wir auf die Normenvorstellungen und interpersonellen Erwartungen, die die Jugendlichen in ihren Beziehungen geltend machen, und die damit verbundenen Dilemmata und sozialen Schwierigkeiten. In den Interviews zeigten sich ganz verschiedenen Bemühungen um Orientierungen, die nicht nur handlungsleitend sind, sondern auch dazu dienen, die z. T. schmerzhaften familialen Erfahrungen zu beurteilen und zu verarbeiten.
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5.[132:47] Devianz. Die meisten der Jugendlichen der Stichprobe haben oder hatten erhebliche Schwierigkeiten mit abweichenden Verhaltensweisen. In den Interviews zeigte sich, daß sie Beweggründe geltend machen, die mit ihren sozialen, insbesondere ihren familialen Erfahrungen eng zusammenhängen. Wir haben diese Kategorie mit aufgenommen, weil die Selbstbeschreibungen und Erklärungen ihrer devianten Verhaltensweisen einen relativ großen Raum in den Gesprächen einnahmen und weil auf diese Weise ein gleichsam materialinternes Außenkriterium ins Spiel kommt, das es erlaubt, mit den Selbstbeschreibungen unter 1 – 4 verglichen zu werden.
2. Zeit
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–[129:21] Wie bringen die Jugendlichen ihre biographische Vergangenheit zur Darstellung, wie strukturieren sie ihre Erinnerung?
-
–[129:22] Wie beschreiben sie soziale Interaktionen und die Wege zwischen einem auftauchenden Bedürfnis und dessen Befriedigung, die Abstimmungen auf die Erwartungen anderer, die dabei als nötig oder unwichtig erachteten„Antizipationen“?
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–[129:23] Wie gehen sie mit Zukunftsvorstellungen um, nicht nur in mikrosozialen Interaktionszusammenhängen, sondern im Sinne biographischer Entwürfe als zeitliche Strukturierungen im Erwartungsfeld zwischen„Wunsch und Wirklichkeit“?
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–[129:27] Es gibt Jugendliche, deren Umgang mit Zeitproblemen ganz oder doch sehr weitgehend von den verallgemeinerten und objektiven Schemata geprägt ist, die in unserer Kultur für biographische Verläufe, für Bildungs- und Lernzeiten geltend gemacht werden. Was ihnen in ihrem Leben relevant erscheint, das wird jenen Vorgaben zugeordnet. Wir bezeichnen dies als das Muster institutionalisierter Zeit.
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–[129:28] Daneben gibt es Jugendliche, die so erzählen, als seien derartige Chronometrien irrelevant. Die Strukturierung von biographischen Erinnerungen, aktuellen Schilderungen und Zukunftserwartungen erfolgt nach Maßgabe wichtiger Beziehungserfahrungen, zumeist in nahen sozialen Kontexten; Zeitverläufe werden entsprechend gegliedert; die Dichte des Erlebens von Interaktionen ist ihnen erheblich wichtiger als die Frage, wie dies sich in die Zeitstruktur etwa von Bildungs- oder Ausbildungskarrieren einfügt. Wir bezeichnen diese Mentalität als an sozialen Beziehungen orientiertes Muster der subjektiven Deutung von Zeit.
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–[129:29] Das dritte Muster umfaßt nicht, wie es scheinen könnte, eine Restgruppe, sondern hat ein ausgeprägtes eigenes Profil. Es wird von Jugendlichen zur Sprache gebracht, denen sowohl die institutionellen Zeitschemata als auch die erlebnisdichten Beziehungsereignisse gleichgültig zu sein scheinen. Ihr Leben – so ist der Eindruck beim Lesen der Interviews – gliedert sich in seinem Verlauf nach aufregenden Episoden, die im übrigen unverbunden bleiben. Eigentlich nehmen sie überhaupt keine Gliederung nach Entwicklungs- oder Bildungsschritten, nach folgenreichen Erfahrungen mit anderen Menschen vor, sondern springen von Episode zu Episode, ohne daß Relevanz-Abstufungen erkennbar wären. Wir nennen dieses Muster„fragmentiert“.
Institutionalisierte Zeit
Beziehungszeit
an Institutionen orientiert | an sozialen Beziehungen orientiert | |
„chronometrische“ Deutungen |
||
Deutungen der
„inneren Dauer“
|
Fragmentierte Zeit
3. Körperbilder
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–[132:70] Körperliche Stärke und Durchsetzung gegen andere;
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–[132:71] ein Körperbild, das Kraft/Antrieb und Interaktion in Beziehung zu setzen versucht, besonders im Bild des Wettkampfes;
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–[132:72] den Ausgleich zwischen Körper-Antrieben und Interaktionserwartungen, ohne das Interesse, der oder die körperlich Überlegene sein zu wollen;
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–[132:73] ein Verzicht auf Durchsetzung, Wettkampf, Streit zugunsten einer Konzentration auf die eigene Körper-Empfindlichkeit.
Körperliche Stärke, Durchsetzung
Wettkampf und Wetteifer
Ausgleich
Die Körperselbstempfindlichen
4. Selbstentwürfe
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–[132:155] Das Selbst erscheint in verschiedenen Dimensionen, und zwar einerseits in Aussagen, die sich in die Form„so bin ich“(existentes Selbstkonzept), andererseits in die Form„so möchte ich sein“(Wunsch-Konzept) bringen lassen (vgl. dazu besonders Rosenberg 1965, 1979). Außerdem kann es deutlich oder undeutlich sein, positiv oder negativ bewertet werden, nach Eigenschaften mehr oder weniger facettenreich erscheinen, intensiv oder nur oberflächlich zum Bewußtsein kommen.
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–[132:156] Das Selbst bzw. das Bild, das das Subjekt sich von ihm macht, verändert sich in der Zeit, eine Veränderung, die in der Art von Entwicklungsstufen gedacht werden kann, und zwar so, daß das, was in der einen Stufe das Kind oder den Jugendlichen gleichsam noch voll gefangen nimmt, weil es keine Distanz dazu aufbauen kann, in der folgenden Stufe distanziert und also zum Gegenstand der Reflexion wird. Kegan (1986) hat, in der Kombination von psychoanalytischen und kognitionstheoretischen Annahmen und erläutert an therapiebedürftigen Jugendlichen einer psychiatrischen Einrichtung, ein Entwicklungsmodell vorgeschlagen (vgl. Tabelle 5).
Grundstruktur (Subjekt (S) vs. Objekt (O) | |||
S | O | ||
Stufe 0: | einverleibend | Reflexe (Empfindungen, Bewegungen) | keins |
Stufe 1: | impulsiv | Impulse, Wahrnehmungen | Reflexe (Empfindungen, Bewegungen) |
Stufe 2: | souverän | Bedürfnisse, Interessen, Wünsche | Impulse, Wahrnehmungen |
Stufe 3: | zwischenmenschlich | wechselseitige zwischenmenschliche Beziehungen | Bedürfnisse, Interessen, Wünsche |
Stufe 4: | institutionell | Eigenautorität, Identität, psychische Verwaltung, Ideologie | wechselseitige zwischenmenschliche Beziehungen |
Stufe 5: | überindividuell | Überindividualität, Austausch zwischen verschiedenen Selbstsystemen | Eigenautorität, Identität, psychische Verwaltung, Ideologie |
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–[132:159] Die Beschreibung des Selbst als ein vorwiegend antriebsgeleitetes, die Impuls-Charakteristik steht gleichsam naiv im Vordergrund, ohne unter dem Blickwinkel der„Anderen“reflexiv vergegenständlicht zu werden.
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–[132:160] Eine eher„konforme“Selbstbeschreibung, in der ein Ausgleich zwischen egozentrischem Selbstkonzept mit den verallgemeinerungsfähigen Erwartungen des sozialen Umfeldes möglich zu sein scheint, allerdings ohne daß die Impuls-Komponenten des Selbst erkennbar reflexiv zum Gegenstand der Rede werden.
- |A 63|
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–[132:161] Ein„unsicheres“Bild von sich selbst. Es schwankt noch hin und her zwischen Antriebs- und Erwartungskomponenten. Diese Jugendlichen ahnen offenbar die Schwierigkeit, die darin liegt, einerseits sich ein deutliches Bild von sich zu machen, andererseits dieses aber auch in einer sozial verträglichen Weise zu relativieren und so in die zwischenmenschliche Verständigung einzubringen, daß ein Übergang in eine folgende oder weiterentwickelte Form von Selbstkonzept noch nicht problemlos in Sicht ist.
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–[132:162] Ein„eigenständiges“Bild von sich. Diese Jugendlichen scheinen (!) auf dem entwicklungslogisch (vgl. Kegan a. a. O.) erwartbaren Stand innerhalb unserer Kultur zu sein. Sie bringen eine reflexiv-distanzierende Sicht auf sich zur Darstellung, können sich selbst deshalb auch kritisieren; allerdings nicht problemlos, besonders in interpersonellen Beziehungen. Jedenfalls aber scheinen sie am ehesten die Entwicklungsaufgabe zu sehen, der sie konfrontiert sind.
Das antriebsgeleitete Selbst
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I:[132:167] Wieso bist du nicht zur Schule gegangen?
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J:[132:168] Keinen Bock gehabt. Pauker.
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I:[132:169] Waren die für dich zu nervig, die Pauker?
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I:[132:170] Ja. Wenn man älter wird, dann hat man eben keine Lust mehr zur Schule.
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I:[132:171] Bist du nicht mehr hingegangen.
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J:[132:172] Nee.
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I:[132:173] Was war das Nervige an den Paukern?
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J:[132:174] Mach’ mal dies, mach’ mal jenes. Haste nicht gesehen, mach’ mal. ... Darauf hab ich keinen Bock. (22/17/m)
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I:[132:179] Und hattest du mal einen Freund, dem du alles erzählen konntest?
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J:[132:180] Ja. Hatte ich schon mal, ja. Aber zur Zeit nicht. Nee, will ich auch gar nicht mehr haben. ... Ja, wo dann meine schlimme Zeit kam, wo ich dann Scheiß gebaut hab, wollten die auf einmal nichts mehr von mir wissen, ne. Und das ist für mich kein Freund. Der geht dann mit mir durch dick und dünn. Ich bin noch nie von jemandem abhängig gewesen, jedenfalls noch nicht in der Form. (14/17/m)
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I:[132:182] Hast du ’ne Freundin?
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J:[132:183] Nee, nicht mehr! Na, das klappt bei mir irgendwie länger nicht so!
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I:[132:184] Und wie muß die sein, damit’s länger klappt?
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J:[132:185] Äh – nicht so anhänglich. Ich mein’, wo man auch mal ’n Monat nicht hingehen kann, ne. Wo man überhaupt nix, überhaupt nicht Bescheid sagen muß. Die ist muffig, wenn man nicht kommt, hab ich auch keine Lust. ... Das ist echt schlimm, ... die rufen jeden Tag an, eh! Bestimmt drei- oder viermal am Tag. Kommen vorbei, auch wenn man sich’s anders überlegt hat – das ist schlimm. ... Ja, wenn man auch in die Disco hingeht – die können das nicht verstehen, wenn man nicht ... hinter denen herdackelt, ne! Naja, bin ich meist viel alleine. (3/18/m)
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I:[132:187] Aber nach Hause, willst du irgendwann wieder richtig nach Hause?
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J:[132:188] Wieso – richtig, nö! Das ist vorbei, hat sich erledigt.
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I:[132:189] Und wieso hat sich das so kraß erledigt? Das hört sich so an, als wenn da irgendwas passiert ist.
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J:[132:190] Ja, weil, wenn meine Mutter was trinkt oder was, dann labert se mich auch immer voll, was weiß ich nicht. Jetzt auch, hatt’ ich auch was getrunken, und dann hab ich mich fast mit ihr geschlagen und so. Da ging se mit ’ner Colabuddel auf mich los und was weiß ich nicht, ne. (12/18/m)
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I:[132:192] Und warum bist du da (ins Heim) reingekommen?
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J:[132:193] Na, weil ich da in B. wieder von der Schule geflogen bin, ja, und da gab’s schon wieder Ärger mit meinem Vater, und der konnte auch mit Schlägereien nichts mehr machen. Und da hab ich, wieder zurück und ... seinen Autoreifen kaputtgestochen. Da sind wir erst zu ’ner Beratungsstelle hin, aber der konnte, nach ’n paar Wochen meinte der auch, das bringt nichts mehr. Ja, und da hab ich mit meinen Eltern geredet, und die meinten immer: du kommst ins Heim, du kommst ins Heim! Und nun hatte ich ja ’n paar Freunde aus’m Heim, und die haben dann gesagt: ja, laßt uns mal hingehn, zum Jugendamt. Bin ich mit denen hingegangen zu dem Sozialarbeiter. Mit dem geredet, und der ist dann zu meinem Eltern hingegangen, hat der mit denen gesprochen, und da waren die auch, dann kommt er ins Heim. Und da dachten sie erst, so die erste Woche würd’ ich irgendwie sagen: Bitte nicht! Bitte nicht! Wo sie dann kapiert haben, daß ich selber rein will, ham sie erst mal nichts mehr gesagt. (3/18/m)
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I:[132:195] Was erwarten die Erzieher von dir?
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J:[132:196] Tja, daß ich meine Lehre zu Ende mache. Das erwarten sie. Ja, und daß ich keinen Mist mehr baue. Das wär’s eigentlich. Also machen kann ich sonst, was ich will.
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I:[132:197] Was erwartest du von den Erziehern?
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J:[132:198] Daß sie mich in Ruhe lassen! Ja, und daß sie da sind, wenn ich sie mal brauche. Aber sonst, eigentlich auch nicht viel. (3/18/m)
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I:[132:200] Versuch’ einfach mal so’n bißchen von dem Heim zu erzählen. Wie war das für dich?
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J:[132:201] Ja, es war eher so, Rangordnung mußte erstmal festgestellt werden, da, ne, also wer der Stärkere ist. So, was weiß ich, wenn da ’n Neuer kommt, das hab ich dann auch so später mitgekriegt, dann wird der erstmal niedergemacht und so. Und mit der Zeit bauste dir das da so auf ... ich hab mir die Stärksten zu Freunden gemacht. (12/18/m)
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I:[132:203] Und ein guter Freund, wie müßte der für dich sein?
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J:[132:204] Ouh! Der dürfte von mir nie was verlangen. Außer wenn ich ihm was leihen tue, und wenn er das wieder zurückgibt. Und wenn er nicht andauernd kommt: Gib’ mal das, haste mal das. Das kann ich zum Tode nicht ab. Aber mit meinem Bru|A 67|der komm’ ich klar. Weil, hab ich nichts, gibt er mir was. Hat er nichts, geb’ ich ihm was. (22/17/m)
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I:[132:210] Und was stellst du dir so für die Zukunft vor?
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J:[132:211] Also, so viel Gedanken hab ich da eigentlich auch nicht. Ja, daß ich eine Lehr stelle kriege. ... Ja, vernünftigen Job später kriege, auf eigenen Füßen stehen kann, ohne daß da irgend jemand anders mir was erzählt oder was. (12/18/m)
Das konforme Selbst
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J:[132:214] Wenn man was nicht verstanden hat oder so, wenn man sich da gemeldet hat und so, daß die Lehrer dann zu einem nicht hinkamen, da war ich überhaupt nicht mit einverstanden. Da hatten wir auch damals ziemlich oft Krach gemacht, na, der hauptsächliche Anstifter war ich!
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I:[132:215] Mhm, und was habt ihr da so gemacht?
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J:[132:216] Och, Kleber auf die Stühle gepappt und Reißzwecken ... Türklinken mit Zahnpasta vollgeschmiert, das waren damals unsere Streiche. ... Mache ich auch heute noch gern. (2/16/m)
Das unsichere Selbst
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I:[132:237] Wie stellst du dir ... einen idealen Freund vor?
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J:[132:238] ... Naja, so wie ich ihn jetzt habe.
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I:[132:239] Und wie ist der jetzt?
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J:[132:240] Also sieht gut aus, hat einen guten Charakter. Weiß ich nicht, aber ich bin immer zu anhänglich. Bei den Heimkindern ist das, also, die sind anhänglicher als andere.
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I:[132:241] Was meinst du mit‚anhänglich‘?
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J:[132:242] Ja, weiß ich nicht, wenn man gern viel in den Arm genommen werden muß. (17/17/w)
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J:[132:244] ... das hat dann überhaupt nicht mehr funktioniert. Weil, die hat mich immer verglichen mit meiner Schwester. Hat immer, guck’ dir mal an, wie die in der Schule ist und so. Guck’ dich an, du bist nur unterwegs und so. Guck’ mal. Das hat mich tierisch aufgeregt. Und dann hab ich überhaupt nichts mehr gemacht.
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I:[132:245] War das denn berechtigt, daß deine Mutter das gesagt hat?
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J:[132:246] Nee, ich find’, das war überhaupt nicht berechtigt. Weil, jeder ist doch irgendwie anders. Jeder kann doch nicht so schlau sein wie meine Schwester. Ich mein’, wenn ich das Zeug nicht habe, so weit zu gehen, dann ist es doch o.k. (16/15/w)
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I:[132:255] Jetzt so im nachhinein: haben sich dein Onkel und deine Tante (Ersatzeltern) richtig verhalten oder hätten die was anderes machen sollen?
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J:[132:256] Ich hab mich falsch verhalten, nicht die! (27/19/w)
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I:[132:258] Gibt’s denn irgendwas, was dir an deiner jetzigen Situation nicht so gut gefällt?
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J:[132:259] Jaa – ich weiß nicht, vielleicht, daß mich manche immer noch nicht so akzeptieren, wie ich eigentlich bin oder so. Weil nämlich damals in der Schule, da waren auch ewig irgendwelche Jungs da, die mich ewig geärgert haben, ewig immerzu, ... hab mich auch schon mal da mit jemandem prügeln müssen und sowas alles. Immer nur ich krieg’ das alles ab, ey. Irgendwie muß ich irgendwas an mir haben, irgendwas. Ich weiß selbst nicht, was das ist. (56/22/w)
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J:[132:261] Ich bin dann auf die Realschule gekommen, denn hab ich angefangen, Schwarz zu tragen, war dadurch schon immer ein, irgendwo ’n Außenseiter.
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I:[132:262] Wieso haste Schwarz getragen?
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J:[132:263] Weiß ich nicht, einfach weil ich Lust drauf hatte, anders zu sein als die andern. Warum so aussehen wie alle. ... Schwarz trägt im Prinzip auch keiner. (27/19/w)
Das eigenständige Selbst
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I:[132:278] Und wie sieht der Kontakt zu hier (ambulante Jugendhilfestelle) aus, kommst du hier regelmäßig her, läßt du dich beraten oder unterstützen?
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J:[132:279] Mmm – das kann ich hier, glaub’ ich, nicht geboten kriegen. Weil die Hilfe, die ich brauche, die kann ich mir nur selber geben, das weiß A. (Betreuer), deswegen hab ich trotzdem regelmäßig Kontakt mit ihm gehabt, weil ich auch im Projekt mitgearbeitet hab, 7 Monate, und allein zwangsläufig dadurch schon ... Aber ich komm' hier nicht hin, um irgendwie Hilfe zu holen, also ich weiß selber, was ich machen muß, wie ich drauf bin, wie ich denke, und ich erkenne auch mein Problem. Und A. kann mir da nicht weiterhelfen, (ironisch:) großartig, da ist eben gerade noch, bevor ihr kamt, ’n Gespräch gewesen. (28/19/m)
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I:[132:286] Wenn du sagst, du kennst deine Probleme – kannst du sagen, was anders werden soll?
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J:[132:287] ... Ja, also, ich muß nicht anders werden! Ich meine, also wenn ich mich verändern kann, so daß mir das gesellschaftliche Dasein Spaß macht, dann mein’ ich auch, daß ich die Gesellschaft so ändern kann, daß das halt umgekehrt ist. Wieso soll ich mich ändern, soll sie sich doch (lacht) – weil, ich bin gerne so, wie ich bin. Das Problem ist wahrscheinlich die Zeit, in der ich lebe, ich hab kein Bock in dieser Arbeitswelt so, das ist ’n Problem für mich, ... außer daß sich die Gesellschaft ändern kann, außer es geht wirklich jeder wieder selbst, ökomäßig, seinen Bauernhof und baut sich da selbst sein Getreide an . ... Und das ganze Menschliche sollte sich ändern, weil dadurch würde das erkannt werden, und früher oder später würden viele so wie ich denken. (28/19/m)
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J:[132:290] Und der Vater (Pflegefamilie) hat dann irgendwann ... die Einstellung gekriegt, ... du schaffst das (Hauptschulabschluß) nicht. Du warst schon immer so, du wirst auch immer so bleiben. Und da hab ich mir gesagt: ich werde euch das zei|A 78|gen, daß ich das schaffe. ... Ich hab jetzt angefangen mit Abitur. ... Dann wollte ich eigentlich studieren. Und was? Sozialpädagoge. Ich weiß nicht, ob ich das schaffe. ... Ich möchte es halt machen, irgendwie will ich mir das selber beweisen, daß ich das auch noch schaffe.
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I:[132:291] Und warum möchtest du gerne Sozialpädagogik studieren?
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J:[132:292] Hier im Haus (Heim), da lernt man das irgendwie alles so, mit den Leuten umzugehen und überhaupt. Aber man kann es nicht so frei auswirken, wie man es gerne möchte. ... Und ich möchte selber so mit Kindern was machen, wo mich keiner unter Druck stellt. Ich möchte den Kindern zeigen, die aus Familien kommen, wo’s nicht gut war, wo die Schläge bekommen haben und so, den Kindern will ich zeigen, daß es auch anders geht. Denen will ich zeigen, daß das Leben total bunt und lustig, auch seine negativen Seiten hat. Und daß man nicht mit Schlagen alles beseitigen kann, sondern auch mit anderen Sachen. (20/16/w)
5. Normative Orientierungen
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1.[132:302] Eine Teilgruppe der Stichprobe bevorzugt ein„fremdbestimmtes“Deutungsmuster, ohne daran zu leiden. Diese Jugendlichen wollen versorgt sein. Sie sind gleichsam der passive Fall der von (1982) er|A 82|mittelten„Care“-Attitüde weiblicher Moralität. Wenn sich dennoch Leiden einstellt, ist es das von den zur Fürsorge verpflichteten Personen verursachte oder in Kauf genommene Leiden. Die„Wohlfahrt“in dem auch staatsfürsorgerisch verwendeten Sinne dieses Wortes ist ihnen das höchste Gut.
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2.[132:303] Dazu gibt es einen pointierten Gegentypus: allen konventionellen und fürsorgenden Attitüden und Institutionen wird das Ego der eigenen Durchsetzungsfahigkeit entgegengesetzt; Normen des Sozialverhaltens erscheinen tendenziell als irrelevant; die Befriedigungsstrebungen des einzelnen Individuums nur können das erreichen, was als das höchste Gut im Auge ist.
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3.[132:304] Ein drittes Deutungsmuster zieht einen Ausgleich in Erwägung, allerdings so, daß das Ich zurücktritt zugunsten der gesellschaftlich eingespielten Standarderwartungen. Hier gilt weder die„Wohlfahrts“-Erwartung (passiv konstituiert) noch die Ego-Projektion (aktiv konstituiert), sondern ein konventionell mittleres Gut, die Leistung. Diese ist im gesellschaftlichen System gut lokalisiert, scheint also als Orientierung auch gerechtfertigt zu sein.
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4.[132:305] Eine letzte Teilgruppe unserer Stichprobe gibt sich mit derartigen Orientierungsmustern nicht zufrieden. Diese Jugendlichen denken, sie dürften nicht einer Versorgungsmentalität verfallen, dürften nicht nur auf dem eigenen Ich und seinen Durchsetzungstendenzen bestehen, sollten die sozial-adaptive„Leistungs“-Orientierung in Frage stellen. Sie neigen zu experimentellen Lebenseinstellungen und wünschen sich, moralisch, solche Situationen, in denen das jeweils„Gute“unter Gleichberechtigten ausgehandelt werden kann.
Passiv konstituierte Fürsorgeerwartung
Das egoistische Orientierungsmuster
Orientierung an den konventionellen Werten der Leistung
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–[132:345] Eigene und fremde Handlungen und Handlungsimpulse werden, wenn auch nur in schwachen Andeutungen, zur Sprache gebracht und kontextuell erläutert; die an den Konflikten beteiligten Personen beginnen – auch dies nur andeutungsweise – sich zu konturieren im Sinne interaktiver Verbundenheit;
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–[132:346] in den Äußerungen ist eine Tendenz enthalten, letzten Endes doch als„braves Mädchen“oder„guter Junge“zu erscheinen, auch wenn dies immer wieder zu mißlingen droht. Sich selbst in einen konventionellen Lebenszusammenhang einzufügen und dort akzeptiert zu werden, scheint ein ganz nachdrückliches Interesse zu sein;
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–[132:347] das wird bekräftigt durch die mitgeteilte Absicht, sich ändern oder gar sich„bessern“zu wollen. Innerhalb dieses Deutungsmusters gibt es demnach eine deutliche Zeitachse, auf der das jeweils Spätere irgendwie gelungener sein sollte als das Frühere.
Suche nach gemeinschaftlich akzeptierten normativen Orientierungen
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–[132:361] Die Form der grammatisch-syntaktischen Organisation der Sätze ist durchaus anders als in denjenigen Fällen, die wir beim„passiv konstituierten“Fürsorge-Muster oder beim eher„aktiv konstituierten“individualistischer Durchsetzung eigener Interessen beobachten konnten. Der sprachliche Gestus bringt hier nicht nur das„Gewordensein“oder das ego-orientierte Wollen zur Darstellung, sondern ein kompliziertes Verhältnis zwischen„Ich“, den„vielen“, dem„man“, zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen Erfahren-Haben, Wissen und Vermuten, und zwar schon in den formalen, tiefengrammatischen Merkmalen der Rede.
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–[132:362]„Ich finde es besser, wenn man sich versteht“. Dies sagt das Mädchen in Opposition zu„Fernseher, Video, alles“, in Opposition zu„Reichtum“. Es konstruiert also ein Dreiecks-Verhältnis zwischen Ich, Du |A 99|(anderen) und einer (begehrenswerten) Sache, die zwischen Ich und Du zur Disposition steht und die gar das Verhältnis zwischen Ich und anderen bedrohen oder liquidieren könnte. In diesem Dreiecks-Verhältnis, so gibt sie zu bedenken, ist zwar auch das Dritte,„dieses Materielle“, wichtig, aber nicht eigentlich entscheidend. Der Zweck („... das bezweckt nicht das, was man eigentlich braucht fürs Leben“) liegt anderswo.
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–[132:363] Der Zweck, das Ziel, das moralische Gut wird von dem„Materiellen“zwar tangiert, kann wohl auch modifizierend ins Spiel kommen, es darf aber nicht zum Fluchtpunkt moralischer Optionen werden. Der Fluchtpunkt,„das, was man eigentlich braucht fürs Leben“, liegt nicht bei diesen, sondern bei anderen Gütern. Es ist, für dieses Mädchen, die Frage, was denn eigentlich„bezweckt“wird von dem, was vorkommt, und das heißt, vor welchen Zwecken, Zielen oder Fluchtpunkten letzten Endes ein Lebensereignis gerechtfertigt werden könnte. Sie hat dazu eine eindeutige Meinung:„Man braucht den Kontakt zur eigenen Familie und zu anderen Leuten“. Man„braucht“dies, aber wozu? Der Zweck bleibt unbestimmt. Die Eindeutigkeit der Meinung betrifft das Verfahren, nicht den (letztendlichen) Zweck. Das Verfahren der Suche nach rechtfertigungsfähigen Zwecken ist ihr das höchste Gut.
6. Devianz
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–[132:374]„Devianz“ist ein normales Vorkommnis im Prozeß des Heranwachsens. Da wir mit den uns je historisch auferlegten Regeln des Zusammenlebens nicht auf die Welt kommen, müssen sie erworben werden. Das geschieht über Lernen, d. h. in diesem Fall über praktisches Verhalten und dessen Korrekturen durch die Mitwelt.
- |A 104|
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–[132:375] Von diesem normalen Fall des Ausbalancierens von Verhaltensimpulsen und sanktionierten Regelverletzungen ist zu unterscheiden, was„primäre Devianz“genannt wird: eine zumeist schon in der Kindheit auftauchende Schwierigkeit, die darin besteht, eine Regel-Angemessenheit des Verhaltens und Handelns nicht zuverlässig ausbilden zu können. Die Gründe dafür sind vielfältig; inkompetente primäre Sozialisationsmilieus können dafür ebenso als Bedingung angenommen werden wie somatische Beeinträchtigungen.
-
–[132:376]„Primäre Devianz“kann nun entweder verborgen bleiben oder gleichsam zwanglos bereinigt werden; sie kann aber auch in die Zonen öffentlicher Aufmerksamkeit hineingeraten. Damit beginnt der zahllos beschriebene Vorgang der„Etikettierung“durch die Institutionen der öffentlichen Sozialkontrolle: Kinder und Jugendliche, die Schwierigkeiten mit dem Regelwerk der Sozietät haben, geraten nun in Gefahr, mit einem Makel ausgestattet zu werden. Dieser (zugeschriebene) Makel tritt zumeist in zwei Varianten auf: als Unterbringung in oder Betreuung durch Sozialformen, die nicht dem Regelfall entsprechen (Pflegefamilien, psychodiagnostische Beratungsstellen, Heime, psychiatrische Versorgung, ambulante Therapie, Jugendgerichtsverfahren etc.) und als Vokabularium, mit dem die Lokalisierung von Verhaltensmerkmalen im Spektrum der überhaupt vorhandenen Verhaltensmöglichkeiten vorgenommen und (leider) häufig festgeschrieben wird (verhaltensauffällig, verhaltensschwierig, schwer erziehbar, therapiebedürftig, abweichend, delinquent, aggressiv, kriminell etc.). Damit entsteht das Problem der„sekundären“Devianz, der Nötigung nämlich, mit diesen zugewiesenen oder zugeschriebenen Merkmalen sich auseinanderzusetzen.
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–[132:377] Professionelle Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen kennen diese Befunde und wissen, daß die etikettierenden Zuschreibungen und institutionellen Zuordnungen in unterschiedlicher Weise mehr oder weniger begründungsfähig sind (der Ausdruck„therapiebedürftig“z. B. ist nicht nur ein soziales Etikett; er ist auch das Resultat einer verantwortungsvollen diagnostischen Prozedur, gerade auch in Rücksicht auf jene Zuschreibungen). Deshalb kreist seit ca. 25 Jahren die Erörterung von Möglichkeiten der Jugendhilfe-Reform um diese Fragen. Die entsprechenden Einrichtungen versuchen seitdem, die unerwünschten Effekte der„sekundären Devianz“zu vermeiden und sich (einerseits) auf die Genese von auffälligem Verhalten und die Möglichkeiten nachholender Erziehung zu konzentrieren und (andererseits) die Lebensbedingungen dieser Einrichtungen so zu gestalten, daß sie dem gleichsam normalen Lebensalltag möglichst nahe kommen.
-
1.[132:380] Ein„autoaggressives“Deutungs-Syndrom. Schwierigkeiten mit den Normalitätserwartungen der verschiedenen sozialen Mitwelten werden hier nicht nach außen hin konfrontiert, sondern führen eher zur„Devianz“sich selbst gegenüber, als Selbstzuschreibung. Nach außen hin aber fühlt man sich, teils dramatisch, als Abweichler(in), eine Konstellation, die bis zu suizidalen Tendenzen führen kann.
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2.[132:381] Eine„subkulturelle“Orientierung. Hier steht nicht die Binnensicht im Zentrum der Aufmerksamkeit der Jugendlichen, sondern soziale Zugehörigkeit. Die Gleichaltrigengruppe oder das subkulturelle Milieu stehen den Standarderwartungen an„Normalität“gegenüber. Was für diese Zeichen für Abweichung sind, das bedeutet gruppenintern Stärke, findet Billigung.
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3.[132:382] Davon unterschieden ist ein Deutungsmuster, das auch von gruppeninterner Regelhaftigkeit, Solidarität gar nur wenig wissen will, jeden|A 106|falls insoweit nicht, als die„Gruppe“nicht ohnehin schon sich nach einem aggressiven Muster organisiert hat. Wir nennen es deshalb abgekürzt„aggressiv“. Diese Jugendlichen riskieren nicht nur Regelverletzungen; sie führen sie absichtsvoll herbei und sind in der Tendenz wenig empfindlich für soziale Normalitätserwartungen; sie sehen auch keinen Grund, ihre devianten Handlungen zu rechtfertigen, schon gar nicht, sie in selbstkritische Erwägungen einzubeziehen.
-
4.[132:383] Schließlich gibt es eine Selbstdeutungs-Mentalität im Hinblick auf Devianz, in der diese eher als Bagatelle erscheint. In den Mustern 1 – 3 deutete sich, mal stärker, mal schwächer, noch an, daß das Problem der Normabweichung eine dramatische Lebensregion betrifft. Hier aber ist Devianz ein„gelegentliches“Ereignis; die Grenze zwischen„normal“und„abweichend“verschwimmt tendenziell. Es konturiert sich weder ein deutlicher Begriff von sozial rechtfertigungsfähigen Standarderwartungen, noch wird (folgerichtig) das eigene abweichende Verhalten, wie etwa im„aggressiven“Muster, als gewichtige Selbstartikulation beschrieben.
Devianz-Muster | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
autoaggressiv | subkulturell | aggressiv | gelegentlich | Gesamt | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Gesamt | 11 | 5 | 20 | 19 | 55 | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
davon männl. | 3 | 2 | 18 | 14 | 37 | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
weibl. | 8 | 3 | 2 | 5 | 18 | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Anmerkung: Die Differenz zwischen den 55 in der Tabelle dokumentierten Fällen und der Gesamtzahl von 70 ergibt sich daraus, daß in 15 Gesprächen keine Devianz-Mitteilungen gemacht wurden. |
Mitgeteilte Form von
„Devianz“
|
autoaggressiv (n = 11) | subkulturell (n = 5) | aggressiv (n = 20) | gelegentlich (n = 19) | Summe |
Diebstahl in der Familie | – | 2 | 8 | 2 | 12 |
Ladendiebstahl | 4 | 1 | 6 | 13 | 24 |
Einbruch | – | 1 | 7 | – | 8 |
Autodiebstahl/-aufbruch | 1 | 1 | 6 | 3 | 11 |
Raub | – | 1 | 8 | 1 | 10 |
Zigarettenkonsum | 2 | 2 | 4 | 1 | 9 |
Alkoholkonsum | 4 | 2 | 11 | 5 | 22 |
Tablettenkonsum | 3 | – | – | – | 3 |
Weiche Drogen | 4 | 4 | 4 | 6 | 18 |
Harte Drogen | 1 | 1 | 1 | – | 3 |
Entweichen
(incl.
„Zu-spät-Kommen“ ) |
9 | 4 | 14 | 14 | 41 |
Gewalt gegen Sachen | 3 | 2 | 8 | 11 | 24 |
körperliche Gewalt | |||||
– gegen andere Personen | 4 | 5 | 19 | 10 | 38 |
– gegen sich selbst | 91 | - | 1 | - | 10 |
Das autoaggressive Devianzmuster
Die subkulturelle Orientierung
-
I:[132:407] Und wie war das bei euch zu Hause, wie bist du mit deinen Eltern zurechtgekommen?
-
J:[132:408] Überhaupt nicht. Deswegen bin ich auch abgehauen. ... Da hab ich ’s mit’m Gürtel gekriegt. ... Und dann mit 14 wurd’s dann ... ganz schlimm, da bin ich dann abgehauen, weil ich das nicht mehr ausgehalten hab mit denen. ... Und da kam ich in so’ne Gang rein, und da bin ich auch noch tätowiert worden. Und da ham wir Raubüberfälle gemacht, gehascht gekokst. Was ham wir noch gemacht? Leute zusammengeschlagen, das Geld abgenommen. Schlimm war das! ... Das war ’ne eigenständige Gang, die hießen Perls ... Ja, ich hab mit zu den Jungs gehört, weil ich das erste Mädchen bei den Jungs war. Also ich war von den Mädchen der Chef. (68/14/w)
Gewalt gegen andere, aggressives Devianzmuster
Gelegentliche, eher leichte Devianz
7. Pädagogische Folgerungen
-
0.[132:454] Ausschließliche Orientierung am physischen Selbst („I am a good boy“. Why?„Because I am big“, egozentrisch und psychisch undifferenziert.
-
1.[132:455] Es entsteht eine Ahnung von innerer oder psychischer Realität; man ahnt Motive, die die anderen haben, denkt aber, daß sie alle ihre Motive auch aussprechen und diese kaum verbergen können.
-
2.[132:456] Zwischen innen und außen wird nun strenger unterschieden; es wird für möglich gehalten, daß die inneren Motive und das tatsächliche Verhalten nicht übereinstimmen. Es beginnt eine Bemühung um Reflexion. Ein Freund ist jemand, der ähnliche„feelings“hat wie man selbst, auch wenn man es ihm nicht gleich ansieht.
-
3.[132:457] Es entsteht ein Konzept von„stabiler Persönlichkeit“, die sich auch in verschiedenen Handlungen und Situationen gleich bleibt. In Freundschaften„entdeckt“man diese Persönlichkeit und beginnt zu verstehen, daß sie sich entwickeln kann.
-
4.[132:458] Individuen in Interaktionen können als komplexe Systeme begriffen werden, in die nicht nur Du und Ich mitsamt der jeweiligen„Persönlichkeit“und ihrer Entwicklung einbezogen ist, sondern auch deren sozial-situative Bedingungen. Freundschaften sind offen für Veränderungen und haben das Ziel des immer besseren Verstehens.
Selbsteutungsmuster | Stärken | Schwächen |
Zeit | ||
1.1 Institutionalisierte Zeit | Orientierung an objektiven Sachverhalten | Kein Begriff von Entwicklung der Person, erlebnisarm, keine Muße |
1.2 Beziehungszeit | Erlebnisdicht, aktives Zeitkonzept, Begriff von individueller Entwicklung | Neigung zum
Egozentrismus, wenig
„Realismus“ , instabil, keine
Planung |
1.3 Fragmentierte Zeit | Erlebnisdicht | Keine Selbstreflexion, reizabhängig, keine Planung |
Körper | ||
2.1 Durchsetzung | Körperselbstvertrauen | Wenig Interaktionssensibilität, wenig Antriebskontrolle |
2.2 Wettkampf | Gelungene Interaktion, Planungsfähigkeit | Kein Transfer auf Alltag, emotionsarm, instrumentelles Körperbild |
2.3 Ausgleich | Interaktionskompetent, Bewußtsein von Grenzen | Ängstlichkeit; Belastungsvermeidung; Körper nicht expressiv |
2.4 Körperselbstempfindlich | Expressive Funktion des Körpers | Psychosomatische Symptome, Labilität, Drogengefährdung, symbiotische Neigungen |
Selbst | ||
3.1 Antriebsgeleitet | Aktives Ich, Anerkennung in peer-group | Kaum
Selbstreflexion,
„Autonomie“ als egoistische
Durchsetzung |
3.2 Konformität | realistische Selbsteinschätzung, interaktionssensibel | wenig Selbstreflexion, autoritätsabhängig, wenig eigene Impulse |
3.3 Unsicheres Selbst | Empathisch, reflexiv, sprachkompetent | Selbstzweifel, kaum persönliche Konzepte, resignative Tendenzen |
3.4 Eigenständig | Sprachkompetent, Handlungsbegründungen, hohe Selbsterwartung | Neigung zu egozentrischen Perspektiven, teils illusionäre Erwartungen, instabile soziale Selbstlokalisierung |
Normative Orientierungen | ||
4.1 Passive Fürsorge | Häuslich-familiäre Orientierung | unselbständig, abhängig, keine aktive Verantwortlichkeit, kaum Freundschaften |
4.2 Egoistische Durchsetzung | aktiv, selbstsicher | kognitiv undifferenziert, keine Selbstreflexion; Unterwerfung unter Gruppenautorität; kaum Freundschaften; starr konventionell |
4.3 Leistung | Verantwortungsbereit, gerechte Schuldzurechnungen, selbstreflexiv, kompromißbereit | Keine Risiken und Experiment, ritualisierte Zukunftsplanung, passive Akzeptanz auferlegter Normen |
4.4 Verständigung | ausgeprägte Reflexion, empathisch, autoritätskritisch, Gewaltablehnung | gelegentlich unrealistisch, Zukunftsvorstellungen nur Gegenbilder, Diskrepanz zwischen Wollen und Können |
Zeit | Körper | Selbst | Norm | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Interaktionskompetenzen, im Normalfall gebildet in: | 1. | 2. | 3. | 1. | 2. | 3. | 4. | 1. | 2. | 3. | 4. | 1. | 2. | 3. | 4. | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Stadium 1: Egozentrische Problemsicht, äußerlich. „Eine Hand wäscht die andere“
|
– | + | + | – | + | + | + | (+) | + | + | + | (+) | + | + | (+) | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Stadium 2: Beginn von Reflexion, Trennung von innen und außen. Freundschafts-Anbahnung |
– | (–) | – | – | + | + | + | – | + | + | + | – | + | + | + | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Stadium 3: Konzept von „Persönlichkeit“ und Entwicklung. Freundschaft = Vertrauen
und Verstehen |
– | (–) | – | – | – | – | + | – | – | – | + | – | – | + | + | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Stadium 4: Komplexe Systeme, gebildet aus Individuum, Interaktion, Entwicklung |
– | – | – | – | – | – | – | – | – | – | (+) | – | – | – | (+) | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Anmerkung: Ein Pluszeichen (+) bedeutet, daß innerhalb des jeweiligen Selbstdeutungsmusters die dem Stadium entsprechende Kompetenz enthalten ist. Ein Minuszeichen (–) bedeutet, daß es keine Anhaltspunkte für die Kompetenz gibt. Stehen die Zeichen in Klammem, dann waren nur ganz leichte Tendenzen erkennbar. |
Deutungsmuster | ||||||||||||
Dimensionen/Deutungsmuster | Körper | Selbst | Norm | |||||||||
1. | 2. | 3. | 4. | 1. | 2. | 3. | 4. | 1. | 2. | 3. | 4. | |
1. Zeit | ||||||||||||
1. Institut. | 4 | 1 | 8 | 4 | 4 | 10 | 3 | 2 | 6 | 5 | 3 | 4 |
2. Beziehung | 3 | 4 | 4 | 11 | 5 | 6 | 9 | 7 | 7 | 7 | 8 | 0 |
3. Fragment. | 8 | 1 | 2 | 2 | 8 | 4 | 0 | 1 | 2 | 4 | 0 | 7 |
2. Körper | ||||||||||||
1. Durchsetzg. | 11 | 3 | 3 | 0 | 1 | 1 | 1 | 11 | ||||
2. Wettkampf | 1 | 3 | 0 | 2 | 4 | 2 | 0 | 0 | ||||
3. Ausgleich | 3 | 8 | 2 | 1 | 3 | 6 | 2 | 2 | ||||
4. Empfindl. | 1 | 4 | 7 | 5 | 7 | 2 | 6 | 0 | ||||
3. Selbst | ||||||||||||
1. Antrieb | 3 | 3 | 0 | 9 | ||||||||
2. konform | 9 | 6 | 0 | 2 | ||||||||
3. unsicher | 3 | 2 | 5 | 2 | ||||||||
4. eigenst. | 0 | 3 | 7 | 0 |
-
1.[132:468] Ein antriebsorientiertes Selbstkonzept, verbunden mit der Lust an körperlicher Durchsetzung, fragmentiertem Zeitbewußtsein und egoistisch-normativer Orientierung. Die typischen (mitgeteilten)„Devianz“-Formen sind: körperliche Gewalt gegen Personen, Diebstahl, Alkoholkonsum.
-
2.[132:469] Eine Art Gegenbild zu 1, nämlich: eine unsichere Selbstsicht, verbunden mit hoher Körperselbstempfindlichkeit, einem nicht an institutionellen Verläufen, sondern an Beziehungsereignissen orientierten Zeitbewußtsein und eher einer passiven Fürsorgemoral folgend. In ihren Devianz-Mitteilungen berichten Jugendliche, die dieser Kombina|A 128|
Tab. 11: Devianz in Kombination mit Zeit-, Körper-, Selbst- und Norm-Deutungen (absolute Anzahl der Fälle)
Mitgeteilte Arten von Devianz Deutungsmuster nach Dimension 1. autoagressiv 2. subkulturell 3. aggressiv 4. gelegentl. 1. Zeit 1. Institut. 0 0 9 4 2. Beziehung 8 4 4 6 3. Fragment 1 1 6 5 2. Körper 1. Durchsetzung 1 0 12 2 2. Wettkampf 0 0 0 3 3. Ausgleich 0 0 7 6 4. Empfindl. 7 2 1 2 3. Selbst 1. Antrieb 1 1 10 5 2. konform 0 0 5 11 3. unsicher 5 2 3 2 4. eigenständig 4 1 1 1 4. Norm 1. passive Fürsorge 4 1 2 4 2. Leistung 1 0 4 7 3. Gleichberechtigung 4 3 2 0 4. egoistisch 0 0 10 3 -
3.[132:470] Eine Kombination aus der passiv konstituierten Erwartung, versorgt zu werden, einer Orientierung an den institutionalisierten Zeitgliederungen, auf Konformität bedacht, ohne stärkere eigene Impulse. Situationen mit anspruchsvollen Erwartungen, vor allem im Leistungsbereich, ist diese Kombination wenig gewachsen. Verliert die Lebenssituation an Übersichtlichkeit, kommt es zu kriminellen Handlungen, auch in peer-group-Kontexten, zu übermäßigem Alkoholkonsum, zu Körperverletzungen. Dennoch wird von nur gelegentlicher Devianz berichtet.
-
4.[132:471] Dem ähnelt eine letzte hier herauszustellende Kombination insofern, als auch in ihr eine eher konformistische Selbstbeurteilung vorherrscht; dazu scheinbar schlecht passend ist die Orientierung an beziehungsthematischen Formen des Zeitbewußtseins. Das Körperselbstbild ist eher auf Ausgleich bedacht. Auch hier wird von nur gel|A 129|gentlicher Devianz berichtet; im Vordergrund scheinen die intrapsychischen und psychosozialen Schwierigkeiten der Abstimmung dieser verschiedenartigen Probleme aufeinander zu stehen.
-
5.[132:473] Eine Kombination aus„eigenständigem“Selbstbild, an Gleichberechtigung beim Ermitteln moralisch relevanter Normen orientiert, mit hoher Körperselbstempfindlichkeit und einem Zeitbewußtsein, in dem Beziehungsereignisse dominieren. Nur ein Zehntel der Jugendlichen unserer Stichprobe enthalten diese Selbstdeutungsmerkmale; zumeist sind es junge Volljährige, mit subkulturellen Kontakten einerseits und in der Gefahr der Vereinzelung andererseits; die Balance zwischen den Mustern der Selbstdeutung und einem realistischen Weltbezug scheint hier am schwersten zu fallen.
-
1.[132:475] („Antriebsorientiert ...“etc.): Ausbildung von Körpersensibilität für sich und andere, des Erkennens der Motive von anderen, der psychischen Differenzierung; Erlernen von Frustrationstoleranzen.
-
2.[132:476] („Unsicheres Selbstbild ...“etc.): Konfrontation der hochsensiblen, psychisch differenzierten Selbstsicht mit real-alltäglichen Mustern der |A 130|Interaktion; Stärkung der aktiven Anteile des Selbst; Ermöglichung von expressiv bedeutsamen Könnens-Erfahrungen.
-
3.[132:477] („Passiv konstituierte Versorgungs-Erwartung ...“etc.): Vermittlung von Erfahrungen mit Anteilen von Verantwortlichkeit für andere, mit Notwendigkeiten psychischer Differenzierung; Lernen, eigene Wünsche zurückstellen zu können, aber auch, eigene Interessen geplant zur Geltung zu bringen.
-
4.[132:478] („Konformistische Selbstbeurteilung“kombiniert mit„Leistungsorientierung ...“etc.): Stärkung der aktiven Anteile des Ich, von Risikobereitschaft; Entwicklung der Fähigkeiten psychischer Differenzierung, der Reflexion eigener Antriebe und sozialer Erwartungen; Konturierung von Zukunftsvorstellungen, in denen eigene Projekte Platz haben.
-
5.[132:479] („Eigenständigkeit ...“etc.): Auch dieser Prototyp, obwohl, wie gesagt, quantitativ weniger auffallend, soll hier zur Sprache kommen: Seine Probleme scheinen weit in die sozialisatorische Vorgeschichte hinabzureichen. Er hat sich ein kulturelles Muster (Eigenständigkeit, Gleichberechtigung, Beziehungsorientierung) zu eigen gemacht, das aber dennoch in schmerzliche Konflikte hineinführt. Die Aufgabe bestünde darin, Lebenssituationen zu ermöglichen, in denen der Egozentrismus zwanglos hintan gestellt werden kann, Eigenständigkeit in längeren Zeitperspektiven sich bewähren könnte und die eigene Person aus der Perspektive der anderen, ohne Frustrationen, zu akzeptieren möglich wäre.
Anhang
1. Interviewleitfaden
|A 134-136|Einleitung (
„first five minutes“ ): Vorstellen, Interesse
bekunden, Projekt kurz vorstellen (knapp), eventuell Gespräch über
Zimmereinrichtung oder persönliche Gegenstände |
|
1. Intervieweröffnung und Beschreibung der
gegenwärtigen Lebenssituation
Ist das heute das erste Mal, daß ein Interview mit dir gemacht wird? |
|
Stichwort: | Fragebeispiele: |
|
|
Überleitung auf den Lebenslauf: Wir wollen von dir und nicht von anderen wissen, wie dein Leben verlaufen ist. Als erstes würde uns dein Lebensabschnitt von der Geburt bis zur Einschulung interessieren. | |
2. Beschreibung der Kindheit bis zur Einschulung | |
– Geburt | Wann und wo bist du geboren? |
– Geschwisterreihe | Hast du Geschiwster, wie alt sind sie? |
– Lebensstationen | Wo und bei wem hast du bis zur Einschulung gelebt, mußtest du viel umziehen? |
– wichtige Erinnerungen | Was sind deine ersten Erinnerungen? Welche weiteren wichtigen Erinnerungen und Erlebnisse weißt du noch aus dieser Zeit? |
– häusliche und materielle Verhältnisse | Was hat dein Vater beruflich gemacht? War deine Mutter berufstätig? Kannst du dich noch an eure Wohnung erinnern? Beschreib doch mal! Kannst du doch noch an die Umgebung erinnern? |
– wichtige Personen, Beziehungen in und außerhalb der Familie | Wer hat sich in dieser Zeit alles um dich
gekümmert? Kannst du dich noch an Spiele/Unternehmungen mit deinem Vater/deiner Mutter erinnern? Was hast du mit deinen Geschwistern gespielt? Wie habt Ihr euch verstanden? Hattest du Spielkameraden? Womit habt ihr gespielt? Womit hast du allein gespielt? |
– Kindergarten | Warst du im Kindergarten? Wie hat es dir dort gefallen? |
– Krankheiten, Konstitution | Hattest du schlimme Krankheiten? Was warst du für ein Kind, was weißt du von anderen über dich (ängstlich, lebhaft, zurückhaltend ...)? |
Überleitung: Wir würden als nächstes gern mit dir über deine Grundschulzeit reden, also über den Lebensabschnitt vom 6. bis ungefähr 10. Lebensjahr. | |
– Schulsituation | Wie war das
für dich in der Schule? Bist du gern hingegangen? Wie bist du mit den Lehrern klargekommen? Wer hat dir bei den Schularbeiten geholfen? |
– Veränderungen in der familiären Situation | Was hat sich in dieser Zeit bei euch zu Hause
verändert? (umgezogen, Vater anderen Beruf, Mutter berufstätig)
Wie hast du dich mit deiner Mutter verstanden? Wie mit deinem Vater? Was hast du mit deinem Vater/deiner Mutter unternommen? Wie hast du dich mit deinen Geschwistern verstanden? |
– Veränderungen, außerfamiliäre Kontakte | Hast du neue Freunde kennengelernt? Wer wurde außerhalb deiner Familie sonst noch wichtig für dich? |
– Tätigkeiten/Interessen/Spiele | Was hast du
mit deinen Freunden/Geschwistern gemacht, nach der Schule? Was waren deine Lieblingsbeschäftigungen/Spiele? Womit hast du allein gespielt? Hattest du damals schon einen Wunsch, was du später mal werden wolltest? |
Was waren die
wichtigsten Erinnerungen aus der Grundschulzeit? Überleitung: 3. Lebensabschnitt 5. Klasse/10. Lebensjahr bis zur Gegenwart |
|
– wichtige Veränderungen | Was hat sich in dieser Zeit alles verändert? Nur das Wichtigste aufzählen! |
– Schule | Auf welche Schule bist du in der 5. Klasse
gekommen? Wie hat es dir dort gefallen? Was waren deine Lieblingsfächer? Welche Fächer mochtest du nicht? Wie hast du dich mit den Lehrern verstanden? Wie lief es mit den Mitschülern? Was habt ihr in den Pausen gemacht? Warst du in einer Schul-AG? Hast du die Schule gewechselt, Klasse wiederholt oder abgebrochen? Hast du einen Schulabschluß? Hast du eine Lehre angefangen? |
– Familie | Wie ging es bei dir zu Hause weiter? Seid ihr
umgezogen? Wie hast du dich mit deinem Vater verstanden? Habt ihr zusammen viel unternommen (was)? Wie war das mit deiner Mutter? Wie haben sich deine Eltern verstanden? Hast du mit deinen Geschwistern viel unternommen? Wie habt ihr euch verstanden? Hattest du ein eigenes Zimmer? Was stehst du zur Zeit mit deiner Mutter/deinem Vater/deinen Geschwistern? |
– Freundschaften | Hast du neue Freunde kennengelernt? Was habt Ihr zusammen gemacht? Warst du oder bist du in einer Clique? Bist du der Anführer, welche Rolle spielst du? Mit wem bist du zur Zeit befreundet? Wie versteht ihr Euch? Wie stellst du dir einen idealen Freund/Freundin vor? |
– Interessen/Tätigkeiten | Was waren in dieser Zeit
alles deine Lieblingsbeschäftigungen und Hobbies? Zähl sie doch mal
auf! Was sind für dich zur Zeit interessant Tätigkeiten/Aktivitäten, auch solche, die du nicht machen kannst, aber gern machen würdest? Was machst du gern, was machst du nicht so gern? (möglichst genau aufzählen): handwerklich-technischer Bereich (Holz/Metall/Elektrotechnik, Motoren ...) ästhetischer Bereich (Malen, Musik ...) Selbst/Körper (Sportarten, Tanzen, Schminken, Nähen ...) Alltag (Kochen, Einkaufen ...) |
– Lebenspläne | Was hat sich an deinen Berufswünschen seit deinem 10. Lebensjahr verändert? Wie würdest du gern leben (Wohnen, Familie, Arbeiten)? Welche Pläne hast du noch? Was wünscht du dir für die Zukunft? |
– Heime/Psychiatrie | Wie lange bist du jetzt schon hier? In welchen
Heimen warst du vorher? Beschreib mal, wie es dir dort und hier
ergangen ist! Mit welchen Erziehern verstehst du dich gut und warum? Beschreib mal den „idealen
Erzieher“ ! |
resümierend: gegenwärtige Lebenssituation und Veränderungswünsche | Was gefällt dir an deiner jetzigen Situation gut?
Was gefällt dir an deiner jetzigen Situation nicht so gut? Was erwarten die Erzieher von dir? Was kannst du gut, was nicht so gut? Beschreib doch mal deine Fähigkeiten in der Gruppe/Schule/Ausbildung! Was soll anders werden? |
–
„last five
minutes“
|
Was sind für dich zur Zeit die wichtigsten
Themen, mit denen du dich beschäftigst und worüber du mit anderen
gern reden möchtest? Was würdest du dir wünschen, wenn du drei Wünsche frei hättest? |
2. Erzieherfragebogen
trifft voll und ganz zu | trifft teilweise zu | kann ich nicht entscheiden | trifft eher nicht zu | trifft keinesfalls zu | |
|
3. Auswertungsbeispiele
3.1 Auswertungsbeispiel für die
Deutungsdimension
„Zeitschemata“
|A 138-140|
Beschreibung des Lebenslaufes | Interaktionsbeschreibung | Lebensplanung |
Geboren bin ich am 11.6.74 in D.
Und kannst du dich noch an eure Wohnung erinnern?
Ja, ein Haus in einem Dorf. Also damals war’s 3 km von da entfernt. Ein ganz kleines Dorf, wo nichts los ist. Bist du auch im Kindergarten gewesen?
Ja. Und hast du da noch Erinnerungen dran?
Nein. Keine einzige, nee. Kannst du dich noch an eine Einschulung erinnern?
Ja. Ja? Wie war das? Na ja, da standen wir vorne auf der Treppe. Und ich ganz hinten. Und dann Foto gemacht, da war ich natürlich nicht drauf. Weil ich der Kleinste war. In was für ’ne Schule bist du denn nach der Grundschule
(gekommen)?
Orientierungsstufe, 5. Klasse war das dann. 5., 6. und dann in die Hauptschule, 7., 8., ja. Morgens stehe ich auf um 6. Um 7.30 Uhr fährt mein Bus nach
S. zur Arbeit. Bis um 10 vor 5. Dann mit dem Bus wieder
zurück.
Kommst du gerade von, ne? Ja. Und dann Abendbrot essen, duschen, und das war’s dann schon wieder. Machst du nichts mehr? Arbeiten nichts mehr. |
Hast du so ganz frühe Erinnerungen, deine erste Erinnerung?
Wie sie mir meine Spielzeugautos geklaut haben, damals noch. Das weiß ich noch, wie ich ziemlich klein war, so 4, glaub’ ich, 5. Das wurde mir so erzählt. Hmm. Sonst weiß ich nichts davon. Und was haben die davon erzählt?
Daß ich früher am Spielplatz war und daß da so ein paar Große gekommen sind und ich da gespielt habe, und da haben sie mir die Autos geklaut. Und als ich dann nach Hause gekommen bin und Bescheid gesagt habe, und daß ich die dann wiedergekriegt hab. Weißt du noch, wer sich so alles um dich gekümmert hat in der
Zeit, als du noch so kleiner warst, bevor du zur Schule
gekommen bist?
Mit meiner Mutter. ... Meine Mutter war sonst immer zu Hause, wenn ich krank war und so. Hattest du noch Kontakt zu deinen Eltern?
Ja, die ganze Zeit über. Bin ich immer nach Hause gefahren, am Wochenende und so. Bei uns in D. im Jugendzentrum hab ich die kennengelernt.
Und was habt ihr so zusammen gemacht? Wie alt warst du da? 13, glaub’ ich. Die hab ich kaum gesehen. Wir haben uns eigentlich nur im Jugendzentrum gesehen. Auch nur Billard gespielt, gekickert. Tischtennis gespielt Die 5. Klasse war noch ganz gut. Ich war zwar fast der
Schlechteste, aber sonst war ich auch immer da. Und dann mit
den Lehrern nicht klargekommen, und ab 6. Klasse des öfteren
gefehlt und so.
Und wie war das in der Hauptschule?
Da hab ich ein Tief gehabt. War ich fast nie da. Da hab ich angefangen zu klauen und so, mit den Leuten und so. Das ging bis zur 8. Klasse. Da bin ich rausgekommen ins BVJ. Mit den Lehrern Kontakt und so.
Mich zur Schule hingebracht. Da war ich auch nur zwei Stunden da, dann war ich wieder weg. Ja, und dann bin ich ins BVJ gekommen. Das ging die ganze Zeit so, von der 7. bis zur 8. Da war ich die ersten Wochen da (im BVJ), und dann war ich wieder nicht da. Wochenlang.
Haben die meine Eltern angerufen und so. Und die haben
wieder nichts zu gesagt, aber nichts gemacht, Stubenarrest
und so, haben nichts gemacht. Und ging die ganze Zeit so
weiter, bis sich dann das Jugendamt eingeschaltet hat.
Und dann bin ich hierher gekommen. Bist du hier auch schon mal vom Heim abgehauen, so in der
Anfangszeit? Daß du dich nicht wohlgefühlt hast?
Zwei-, dreimal. Probier’ mal jetzt, das ein bisschen zu erläutern.
Tja, ich durfte damals nur bis 6 raus oder so oder 7. Ich war meistens immer bis um 9 draußen. Mutter hat mich immer gesucht und so. Bloß ich war dann immer woanders, wo sie nicht war. Das war auch noch, wo du so kleiner warst?
Ja. So 6 bis 9, oder warst du schon älter? 9. |
Und
hattest du damals schon irgendeinen Berufswunsch, als du so
klein warst, 10 Jahre?
Maurer. Und heute machst du was? Schlosser. Und wieso hattest du den Berufswunsch, weißt du das vielleicht? Hat mir irgendwie gefallen, ich weiß auch nicht. Ist jahrelang so geblieben. |
3.2 Auswertungsbeispiel für die
Deutungsdimension
„Selbstentwürfe“
|A 141-144|
I. Beschreibung von Lebenszusammenhängen | II. Persönliche Konzepte | III. Mitgeteilte soziale Erwartungen |
„Ich bin ja ziemlich turbulent
aufgewachsen“ . |
„Mußte schon mit 11, 12 selbstständig werden.
Durft’ ich den ganzen Haushalt machen“ . |
|
Er hat bei Freunden gegessen, da es zu Hause nichts gab. Der
Vater hatte das
„Geld versoffen ... Das ging so
zwei Jahre“ . |
„Wenn ich da bleibe, dann lieg’ ich selber
irgendwann auf’m Boden, besoffen. Oder ich geh’ ins Heim
und mach’ was auf mir“ .„In der ersten Klasse war ich der absolute
Kasper gewesen. Bin ich auf allen Vieren zur Tafel
gekrochen und so’n Scheiß“ . |
„Wurde vor die Entscheidung gestellt, ob ich
jetzt ins Heim geh’ oder da bleibe“ . |
Von der dritten bis zur fünften Klasse ging er in die
„Freie Waldorfschule“ . |
„Das sind intelligente Kids, würde ich
sagen“ .„Zuerst wollte ich ein Hund werden“ .
„Dann haben sie gesagt, daß es dafür keine
Ausbildung gibt“ . |
|
„Ich hab zweimal Praktikum gemacht im Zoo und
da war alles schön und gut ... 15, 16 war ich da“ . |
Seit er sechs ist, war sein Berufswunsch Tierpfleger. Er wollte in diesem Beruf die Nähe zu Tieren haben und sich um sie kümmern. |
|
Er macht eine Ausbildung als Tierpfleger. |
„In der Lehre hab ich gemerkt, daß Tierpfleger
die große Scheiße ist“ . |
„Vor allem, man muß halt viel hart arbeiten.
Also 50 Kilo-Sachen heben. Dann mußt du Ratten und Mäuse
totschlagen können“ . |
„Ich muß was machen, wo ich nicht regelmäßig
arbeiten muß, wo ich, wenn ich keinen Bock habe, kurzfristig
anrufen kann und sage:
.‚Heute mal nicht‘
... Taxi fahren oder sowas“ |
||
„Oder mich sponsorn lassen ... Man (wird)
selber als Publicity-Gegenstand ausgestellt, weil ich halt
lange fahre und extreme Sachen mache.“
|
„Ich hab schon mal’n Vertrag angeboten
bekommen ... Z. B. würde ich wieder als Hardcore-Skater
dargestellt“ . |
|
„Also gammeln will ich nicht“ . „Vielleicht, irgendwann werd’ ich Sozi ... Wenn
ich mir sag’, ich hab selber lang genug eingezahlt“ .
„Das ist halt ’ne Einstellung, die viele
schockiert“ .„Ich (bin) halt echt
scharf darauf, auszuziehen“ . |
||
„Als ich zu Hause gewohnt habe, war ich
praktisch Einzelkind. Hab hier drei Jahre gelebt, also nie
alleine .ein Zimmer gehabt. Und dann bin ich mit 16 in die WG gegangen. Jetzt habe ich ein Einzelzimmer, seit gut drei Monaten“ |
„Es ist einfach nur, daß ich mich mit so
vielen Leuten nicht mehr wohlfühle. Ich brauch’ echt so
Tage, wo ich meine Ruhe habe und sagen kann: .‚Leckt mich alle am Arsch‘ “ |
|
„Das sind halt alles Leute im Gegensatz zu
mir: Essen alle Fleisch, trinken alle Alkohol und rauchen
alle“ . |
||
„Aber, wenn ich nach Hause komme, dann sehe
ich, wie sie im Wohnzimmer am Saufen sind“ . |
„Dann will ich halt nicht mehr dieses Bild
haben, daß, wenn ich nach Hause komme, da ein Besoffener
sitzt“ . |
|
„Mein Zuhaue ist es nicht, ich wohne halt da.
Wenn ich sage
.‚Mein Zuhause‘ , dann will
ich ’ne eigene Wohnung“ |
||
„Mit 16, da hab ich halt noch richtig
getrunken. Selbst schon die Vorphase vom Alkoholiker
gehabt“ . |
„Mit 17 hab ich dann aufgehört“ , um nicht
so zu enden wie sein Vater. |
|
Er fährt seit sieben Jahren Skateboard. |
„Wir sind dann meist Vorbilder für die (Kids
beim Skaten). Muß man sich benehmen, daß die das ja nicht
nachmachen“ . |
|
In X ist er relativ bekannt, auch durch das Skateboardfahren. |
„Wenn du es ’ne Zeitlang machst, dann ist es
völlig normal für dich“ . |
|
Mit seinen rasierten Haaren sieht er selbst manchmal aus wie ein Skinhead. | Er hat sich an Demonstrationen gegen Faschismus beteiligt. | |
„Und eh’ ich ein Kind in die Welt setze, das
dann später psychisch gestört ist, weil ich’s kaputtgemacht
habe, will ich auch nicht. Kann ich mit dem Gewissen nicht
vereinbaren ... Vielleicht wär’s ja ganz schön, das
aufzubauen, was ich nicht hatte, ’ne richtige Familie“ .
Für seine Zukunft wünscht er sich „ein
sorgloses Leben ... viel Geld auf keinen Fall. Und Ruhm und
so’n Scheiß. Ich will Geld haben, daß es zum Leben reicht.
Weil Geld so glücklich nicht macht. Mit dem Geld kommt dann
eine gewisse Arroganz ... Hab keinen Bock, daß ich so
versnobt werde. Luxus, sowas, fühl’ ich mich nicht wohl
drin“ . |
||
„Ansonsten mach’ ich Musik. Ich mach’ jetzt
grad ’ne Band auf. Ich bin Sänger, Hardrock ... ziemlich
derbes Gebrüll meistens“ . |
„Oder die ganzen Drogenabhängigen. Das ist
halt, was uns nervt ... Wir haben auch Lieder über
Faschismus gemacht ... Und das kotzen wir dann ins Mikrofon
ein ... Ist aber schön“ . |
„Deswegen haben wir auch schon Ärger bekommen
von Skinheads“ . |
Unter einem Sponsor-Vertrag würde ihm das Skaten nicht so viel Spaß machen. | ||
Er betrank sich mit einem Freund und warf Bierflaschen aus dem Fenster auf die verkehrsreiche Straße. |
„Haben nicht viel nachgedacht, was wir da
machen. Am nächsten Tag haben wir gesagt, wir hören auf
damit“ . |
|
„Dann haben wir drei Stunden geschändet, d.h. drei Stunden gebetet. Dann haben wir drei Stunden
diskutiert und dann haben wir drei Stunden gegessen. Sowas
mach’ ich halt gern“ . |
||
„(In der Schule war) ich ... schweinefaul. Die
ersten Hausaufgaben habe ich nicht gemacht“ . Er machte gern Sport und Biologie. Mathe haßte er. |
||
„(In der Schule) hab ich Geige spielen gelernt
und Flöte“ . |
„Das hat mich angekotzt. Habe dann die Geige
irgendwann kaputt gemacht, weil ich nicht mehr
wollte“ . |
„Flöte spielen mußten wir im Unterricht“ .
„Geige spielen gelernt, weil man Vater
das wollte“ . „Von dem Tag an mußte
ich auch nicht mehr Geige spielen“ . |
„Französisch und Englisch, das hat halt Spaß
gemacht, aber der Rest war ziemlich blöde“ . |
3.3 Auswertungsbeispiel für die
Deutungsdimension
„Devianz“
|A 145-147|
Art des abweichenden Verhaltens | Beweggrund | Sanktionserfahrungen |
„Hab dann angefangen zu klauen“ (war unter
14 Jahre alt) „so Süßigkeiten und all so’n
Scheiß ham wir dann geklaut“
|
„Mit Kumpels, allein macht’s ja keinen Spaß.
Bringt’s ja nicht“ . „und dann
verkauft die ganzen Sachen ..., in der Schule, na klar! Da
haste das Geld gemacht“ . |
„hab halt ziemlich viel immer auf die Fresse
von ihm (Vater) eigentlich so (gekriegt). .
Reaktion: hat mich aber eigentlich gar nicht weiter interessiert, weiß auch nicht warum. So, eigentlich war er ’n Pfundskerl, aber die Alte (Stiefmutter), die er da kennengelernt hat, die hat ihn ’n bißchen meschugge gemacht. Weiß nicht, von da an ging es eigentlich bergab, war nicht mehr so prall gewesen“ Mitbegründung für seine Heimeinweisung. |
„Na, wir haben geklaut ... Ham wir auch mal
so’n Fernseher mitgehen lassen und sowas“ . |
„Berlin ist groß, kann man schon rumziehen ...
Kohlen besorgt, daß man ’n bißchen Geld in der Tasche
hatte“ . „Kohle organisiert, 300 -
400 Mark, dann sind wir losgefahren“ . „Einfach Geld klauen ist Scheiße. Da mußte ja
irgendwelche große krummen Sachen machen. Ja, is’ nicht so
gut“ . |
„ein-, zweimal“ erwischt worden.
„Vor Gericht hab ich einmal, einmal hab ich
vier Tage Dauerarrest gehabt, und dann hatt’ ich einmal
viermal Wochenende ... Und einmal hatt’ ich fünf Stunden
Arbeitsauflage, im Altersheim“ . Reaktion: „Hat keinen Spaß gemacht“ (Altersheim).
„Was heißt Knast, da war eigentlich
nicht viel los. Konntest Tischtennis spielen am Nachmittag,
war also ’n Jugendarrest, aber eigentlich, so schlimm war
das gar nicht“ . |
Nach der Heimeinweisung:
„hab da auch weiter
geklaut“ . |
„und hatte dann auch ein paar
Gerichtsverhandlungen, mußte dann ein paar Strafen
absitzen“ . „Ja, und dann hieß es
nach ’n paar Jahren, nach zwei Jahren da, daß das Heim mich
nicht mehr tragen kann, weil ich zu kriminell bin“ .
„War halt zuviel Alkohol im Spiel, also
zuviel Drogen genommen“ . |
|
„Und dann bin ich ins Heim, hab ich angefangen
mit Kiffen. Ja, und ziemlich viel Alkohol getrunken auch die
erste Zeit so.“
|
„Um erstmal abzuschalten“ . |
|
„Und ham halt viel gesoffen auch, ne. So
einfach in’n Park gesetzt, ’ne Palette Pils und ’ne Flasche
Whisky. Hals vollgeschüttet und dann völlig dicht
irgendwelche Scheiße gebaut“ . |
„waren einfach so’ne Gruppe, und die sind um
die Häuser gezogen“ . |
Es hat
‚relativ viel‘ Konflikte im Heim
gegeben.
„So mehr mit den Erziehern so, weißte,
die wollten dann kein Taschengeld mehr rausrücken. Weil ich
geb’ das ja eh nur für Alkohol und Drogen aus“ .
Reaktion: „Ja, dann gehste klauen, ist doch
klar! Wenn du kein Geld hast, klauste“ . |
„Wir ham auch schon andere Sachen ausprobiert
... ich hab schon mal Koks und Speed ... hab ich mir schon
mal reingeschmissen. Ja, und das war’s dann“ . |
„aber halt nur ausprobiert. Wie das halt so
ist. Man sagt zwar: mach’ ich nicht! aber irgendwann kommt
dann doch mal so das Angebot“ . |
|
„Ich hab jetzt – wie lange hab ich gekifft,
also kann eigentlich so, kann ich sagen, fünf Jahre hab ich
gekifft. Und mit den anderen (harten) Drogen, das hab ich ja
nicht kontinuierlich gemacht“ . |
„meine Freundin hat dann bißchen was dagegen
gehabt“
Reaktion: „hab ich gesagt: na klar, hörste
auf, fertig! Kein Problem, das mach’ich, ja rauch’ (weiche Drogen) ich seit, ha, seit drei
Monaten rauch’ ich schon nicht mehr“ . „Aber so – fühl’ mich besser, bist fitter, hast
auch mehr Geld ... Kann ich meiner Frau erstmal ’n schicken
Ring kaufen! Ja, klar, kannste vorher nicht machen, weil du
viel zu viel Geld dafür ausgibst.“
|
|
„Zur Schule bin ich gar nicht gegangen, also
von der – die 7. Klasse hab ich noch gemacht, und dann die
halbe achte, und dann bin ich nicht mehr
hingegangen“ . |
Auf die Frage des Interviewers, ob die Schule nicht so sein
Ding gewesen sei, sagt er:
„eigentlich noch nie!
Auch heute nicht“ . |
|
„Normalerweise hätt’ ich Schule
gehabt“ . |
„aber hatte keine Lust“ ; „Berufsschule und so, ähh! Ist ganz schön
ätzend ... aber dafür, daß ich nicht zur Schule gegangen bin
und so, hab ich es eigentlich ganz gut.“
|
|
Von zu Hause:
„Ja, klar abgehauen ... immer
nur so zwei, drei Tage eigentlich so“ . |
„weil zu Hause lief es einfach nicht mehr.
Hast keine Freizeit gehabt, mußtest immer schuf-, äh,
arbeiten, so allen möglichen Scheiß machen, weißte, die ham
nur zu Hause gesessen, Fernsehen geglotzt und Füßte auf’m
Tisch gehabt, da hatt’ ich keinen Bock drauf.“
Die eigenen Kinder (Stiefmutter) „hat sie
vertätschelt und all so’n Scheiß, und ich mußte halt viel,
hatte keine Freizeit und so, ne, mußte immer zu Hause
anpacken, abwaschen, Kohlen, und Holz hacken“ . |
4. Verteilung der Fälle und Deutungsmuster
Deutungsmuster | männlich | weiblich | gesamt |
„institutionalisierte
Zeit“
|
16 | 6 | 22 |
„Beziehungszeit“
|
12 | 16 | 28 |
„fragmentierte
Zeit“
|
11 | 3 | 14 |
nicht eindeutig auswertbar | 3 | 3 | 6 |
Fälle insgesamt | 42 | 28 | 70 |
Deutungsmuster | männlich | weiblich | gesamt |
„Stärke/Durchsetzung“
|
13 | 4 | 17 |
„Wettkampf und
Wetteifer“
|
4 | 2 | 6 |
„Ausgleich“
|
14 | 1 | 15 |
„Körperselbstempfindliche“
|
4 | 14 | 18 |
nicht eindeutig auswertbar | 7 | 7 | 14 |
Fälle insgesamt | 42 | 28 | 70 |
Deutungsmuster | männlich | weiblich | gesamt |
„antriebgeleitetes
Selbst“
|
14 | 4 | 18 |
„konformes Selbst“
|
14 | 8 | 22 |
„unsicheres
Selbst“
|
5 | 10 | 15 |
„unsicheres
Selbst“
|
5 | 10 | 25 |
eigenständiges Selbst | 6 | 5 | 11 |
nicht eindeutig auswertbar | 3 | 1 | 4 |
Fälle insgesamt | 42 | 28 | 70 |
Deutungsmuster | männlich | weiblich | gesamt |
„Fürsorge passiv“
|
6 | 11 | 17 |
„egoistisch“
|
12 | 1 | 13 |
„Leistung“
|
12 | 4 | 16 |
„Verständigung“
|
7 | 5 | 12 |
nicht eindeutig auswertbar | 5 | 7 | 12 |
Fälle insgesamt | 42 | 28 | 70 |
Deutungsmuster | männlich | weiblich | gesamt |
„autoaggressiv“
|
3 | 8 | 11 |
„subkulturell“
|
2 | 3 | 5 |
„aggressiv“
|
18 | 2 | 20 |
„gelegentlich“
|
14 | 5 | 19 |
nicht eindeutig auswertbar | 5 | 10 | 15 |
Fälle insgesamt | 42 | 28 | 70 |