Hier ist das Cover der Erstausgabe von Sozialpädagogische Praxis, Forschung und Theorie zu sehen.
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Vorwort

[V83:1] Die hier vorliegenden drei Texte sind in verschiedenen Zusammenhängen entstanden. Sie dokumentieren ein Interesse am Fortgang der Sozialpädagogik als akademischer Disziplin und versuchen, das sowohl in der Ausbildung wie auch in der Forschung zu beobachtende Auseinanderfallen in z. T. höchst Verschiedenes (Erziehung in Heimen, Beratungstätigkeiten, Devianz- und Kriminalitätsprobleme, Elementar-Erziehung, Straßensozialarbeit usw.) noch einmal mit kritischem Blick zu kommentieren oder gar – in wissenschaftshistorisch freilich
konservativer
Einstellung – auf Pädagogik/Erziehungswissenschaft zu beziehen.
[V83:2] Der erste Text (Sozialpädagogische Einrichtungen) ist der Nachdruck eines 1991 geschriebenen Artikels (in: Dieter Lenzen (Hrsg.): Pädagogik. Ein Grundkurs. Reinbek 1993), mit inzwischen allerdings veralteten statistischen Angaben. Die signifikanten Trends aber haben sich seitdem nicht so verändert, daß, außer manchen Zahlen, die Darstellung hätte korrigiert werden müssen.
[V83:3] Der zweite Text (Nachdenken über Erziehung – Schwierigkeiten mit der Moderne) ist bisher unveröffentlicht. Es handelt sich um das Manuskript eines an der Universität Bern gehaltenen Vortrages zur Eröffnung des Kongresses
Schule und Soziale Arbeit
im November 1996. Das Publikum kam aus Wissenschaft und Praxis, und zwar aus den Arbeitsbereichen der Sozialpädagogik und der Schule. Aus diesem Grund werden hier Probleme der Allgemeinen Pädagogik zusammengeführt mit Fragen, die sich im außerschulischen Arbeits- und Forschungsfeld besonders dringlich stellen – allerdings in einer wissenschaftlich nicht besonders strengen Rhetorik.
[V83:4] Der dritte Text schließlich nimmt seinen Ausgang bei einem in der Zeitschrift für Pädagogik (Heft 6, 1996) erschienenen Beitrag, weitgehend verändert, greift die Probleme des zweiten Textes auf und konturiert sie als Fragen nach der Methodologie sozialpädagogischer Forschung einerseits und andererseits zu einer, hier als Vorschlag eingebrachten, thematischen Orientierung hin.
[V83:5] Alle drei Texte sind als Versuche zu betrachten, hinter der sich diffundierenden Vielfalt der je speziellen Praxis- und Forschungsinteressen noch ein Gemeinsames der Sozialpädagogik zu entdecken, auch wenn Moden und Märkte einen solchen Versuch als vergeblich erscheinen lassen könnten. Sie mögen als Einführung in sozialpädagogische Problemstellungen nicht ganz ungeeignet sein.
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1. Sozialpädagogische Einrichtungen

1.1. Begriff

[128:1] Jahrhunderte, Jahrtausende lang gab es nur zwei gesellschaftliche Einrichtungen, die einem pädagogischen Zweck dienten: die Verwandtschaft (das Hauswesen, die Familie) und die Schule. Innerhalb des Verwandtschaftssystems lernte der Nachwuchs alles, was für die alltägliche Lebenspraxis, für die Teilhabe an der Kultur notwendig war. In den Schulen erwarb man – zumeist in beliebiger Altersmischung – spezielle Kenntnisse und Fertigkeiten, die nur für wenige nötig erschienen: für politische Eliten; für die Berufsgruppe der Schreiber in Kulturen, die über eine Schriftsprache verfügten; für Kaufleute Rechenschulen; für die Sorge um die religiöse Überlieferung Klosterschulen u. ä. Diejenige Art von Einrichtungen, die wir heute
sozialpädagogisch
nennen und in denen, über Familie und Schule hinaus, gesellschaftlich nötig scheinende speziellere pädagogische Zwecke verfolgt wurden, gibt es erst in nennenswertem Umfang und in deutlicher Konturierung seit ca. 150 Jahren. Man zählt dazu gegenwärtig so verschiedenartige Einrichtungen wie beispielsweise Kindergärten, Beratungsstellen, Heime, Straßen-Sozialarbeit, Freizeitheime, Jugendverbände.
[128:2] Lange Zeit war es strittig, ob man dafür den Ausdruck
sozialpädagogisch
verwenden solle. Im 19. Jahrhundert gab es zwei Varianten: Nach der einen Variante sollte die Sozialpädagogik die Einbettung jeder Form von Erziehung in die tatsächlichen gesellschaftlichen Zusammenhänge zum Gegenstand haben; da diese Einbettung aber von jedem Erziehungs- und Bildungsereignis behauptet werden darf, wäre der Ausdruck
Sozialpädagogik
gleichbedeutend mit
Pädagogik
, sofern dies eine Wissenschaft ist, die sich um die Erkenntnis der gesellschaftlich tatsächlichen pädagogischen Verhältnisse bemüht. Nach der anderen Variante sollte die Sozialpädagogik all jene Probleme bearbeiten, die sich als pädagogisch relevante Folgen der
Sozialen Frage
herausstellten: Aufgaben, die damals vorwiegend unter dem Stichwort
Pauperismus
diskutiert wurden und die die Vergesellschaftung öffentlicher Erziehung über die Schule hinaus betrafen. Diese Bedeutungsvariante hat sich schließlich durchgesetzt; 1929 erschien, als Teil des
Handbuches der Pädagogik
herausgegeben von H. Nohl und L. Pallat, der Band
Sozialpädagogik
; er enthielt eine Erörterung derjenigen Probleme familialer und öffentlicher Erziehung, deren rechtliche Bestimmung vor allem im Reichsjugendwohlfahrtsgesetz von 1923 vorgenommen worden war.
[128:3] Als
Sozialpädagogische Einrichtungen
galten also, nach damaligem gesetzlichen Sprachgebrauch, die Einrichtungen und Maßnahmen der Jugendwohlfahrtspflege, nämlich, nach dem |A 8|oben zitierten Handbuch: das Jugendamt/die Familienfürsorge, Kinderhorte und Tagesheime, die Jugendpflege, Einrichtungen der Heimerziehung, Erziehungsberatungsstellen, die Kriminalpädagogik. Dieser Katalog hat sich inzwischen erweitert und differenziert. Auch der alte Ausdruck
Jugendwohlfahrtspflege
ist nicht mehr gebräuchlich; statt dessen ist heute von
Kinder- und Jugendhilfe
die Rede, nun auch in der Neufassung des einschlägigen Gesetzes codifiziert, des
Kinder- und Jugendhilfegesetzes
(KJHG 1991). Das Spektrum der Einrichtungen und Maßnahmen ist groß und deren Aufgabenstellungen sind durchaus verschieden. Für die Einrichtungen der Schulpädagogik lassen sich noch hinreichend viele Merkmale angeben, die ihnen allen gemeinsam sind; für sozialpädagogische Einrichtungen ist das kaum möglich; zwischen einer Tagesstätte für Kleinkinder und einer Drogenberatungsstelle beispielsweise – beide werden heute als sozialpädagogische Einrichtungen bezeichnet – sind die Unterschiede derart groß, daß es nicht sinnvoll erscheint, für sie eine einheitliche
Theorie
entwerfen zu wollen. Der Ausdruck
Sozialpädagogische Einrichtungen
ist also ein Sammelname für höchst Verschiedenes, zusammengehalten nur durch die gesetzlichen Grundlagen und die entsprechenden Berufsausbildungen (Sozialpädagogik, Sozialarbeit). Die sozialpädagogische Forschung und die mit ihr einhergehende Konstruktion von Theorien kann immer nur Teile, Aspekte, Komponenten dieses heterogenen Feldes sich zuverlässig zum Thema machen.

1.2. Geschichte

[128:4] Die Einrichtungen und die mit ihnen gegebenen Aufgaben sind zwar verschieden und sollten – innerhalb einer wissenschaftlichen Zivilisation – durch eine entsprechende Pluralität von forschungsgestützten Theorien beschrieben und erklärt werden. Schaut man sich indessen ihre Geschichte an, dann scheint es, als könnten wir den Prozeß der Entstehung sozialpädagogischer Einrichtungen als kontinuierliche Vergesellschaftung der Erziehung beschreiben, über die Einrichtungen der Schule und der Familie hinaus, und dafür auch die historischen Ursachen benennen. Obwohl es manche Gründe geben mag, die Vorgeschichte sozialpädagogischer Einrichtungen auch im Mittelalter oder gar in der Antike aufzusuchen (etwa die Gymnastik der Griechen als außerschulische Bildung, die Mönchsorden des Mittelalters), spricht viel dafür, den Anfang derartiger pädagogischer Bemühungen in den Stadtkulturen der frühen Neuzeit anzunehmen, auch wenn die volle Entfaltung der ursächlichen gesellschaftlichen Strukturen erst im 19. Jahrhundert sichtbar wurde. Es scheinen vor allem drei Strukturmerkmale der gesellschaftlich-kulturellen Entwicklung zu sein, die dazu beigetragen haben, daß, über mehrere Jahrhunderte hinweg, außer der Famlie und der Schule ein verzweigtes System |A 9|von Erziehungsinstanzen entstehen konnte, das wir heute als die sozialpädagogischen Einrichtungen der Gesellschaft vorfinden und für selbstverständlich halten: Die sich ausbreitenden Stadtkulturen, die fortschreitende Alphabetisierung und die immer rascher werdende Zunahme der Bevölkerung in Europa mit dem Effekt, daß sich die Gesellschaft immer stärker differenzieren mußte.
[128:5] Diese drei Faktoren, so kann man aufgrund der historischen Quellen vermuten, wirkten zusammen, als die ersten sozialpädagogischen Einrichtungen der europäischen Neuzeit entstanden: die Armengesetzgebung europäischer Städte und die an sie sich anschließenden Institutionen (Nürnberg ...). Der Vorgang scheint ziemlich dramatisch gewesen zu sein. Die noch im Mittelalter vorherrschend gewesene Mentalität, nach der die Gabe an den Armen, das Almosen, etwas Gottgefälliges war und also auch dem Geber Heil versprach, zerbröckelte unter den nun, vor allem in den Städten, herrschenden Bedingungen des Tausches, des Marktes, des Geldes. Der Bevölkerungsanteil, der an der Armutsgrenze lebte, war beträchtlich; in manchen Städten machte er im 16. und 17. Jahrhundert die Hälfte der Stadtbewohner aus. Die Stadtverwaltungen versuchten, diese Massen zu ordnen, besonders den Zuzug von Armen aus den ländlichen Regionen zu drosseln. Sie unterschieden zwischen ehrbaren unterstützungswürdigen Armen, die ohne eigene Schuld in Armut geraten waren (Tod des Ehegatten, zu viele Kinder, Hungersnöte, Krankheiten), und anderen, die nicht auf Unterstützung und Bleiberecht hoffen konnten. Es wurden Armenhäuser, insbesondere auch solche für Kinder (z. B. Würzburg 1579, Bamberg 1588, Köln 1603, Lübeck 1579, Bremen 1596, Hamburg 1604) eingerichtet mit der Absicht, durch Arbeit eine ökonomische und kulturelle Integration in die städtischen Milieus zu erreichen. Obwohl uns, nach heutigem Sprachgebrauch, derartige Kontroll- und Zwangsmaßnahmen nichts mit
Pädagogik
zu tun zu haben scheinen, war doch, nach damaligem Verständnis, hier durchaus Erzieherisches im Spiel: Die Klassifikation der Armen, ihre Kontrolle, die Absonderung der Kinder und die ihnen auferlegte Nötigung zur Arbeitsamkeit dienten nicht nur den städtischen Herrschafts- und Wirtschaftszielen, sondern folgten auch dem entstehenden Bild des städtischen Bürgers, seiner kulturellen Gestalt (Humanismus).
[128:6] Dafür ist die zunehmende Alphabetisierung ein wichtiger Indikator. Zur gleichen Zeit, in der die Armenordnungen erlassen, die Armenhäuser eingerichtet wurden, stieg die Zahl der Schulgründungen sprunghaft an. In sehr fortgeschrittenen Städten (z. B. Montpellier, Amsterdam, Nürnberg) wurden bereits im 17. Jahrhundert zwischen 40% und 50% Alphabeten gezählt; 150 Jahre vorher waren es noch höchstens 10%. Mit den Schulen – in der gleichen Zeit begann der Buchdruck seinen Siegeszug – änderten sich die pädagogischen Normen: Es ent|A 10|stand nicht nur die Erwartung, daß jeder Mensch lesen, schreiben und rechnen können sollte; er sollte dies auch innerhalb einer kalkulierbaren Lebensspanne lernen;
Zeit
wurde zu einem kostbaren Gut, nicht nur für den Kaufmann, sondern für jeden, der lernen wollte. Die Armen waren mithin derjenige Teil der Bevölkerung, der solchen Erwartungen nicht entsprechen konnte: Er vergeudete seine Zeit, anstatt sie durch Arbeitsamkeit produktiv zu verwenden, und er war analphabetisch. Man kann diese Zusammenhänge nicht nur an den Armen- und Schulordnungen jener Zeit studieren, sondern auch bei den damaligen Theoretikern, z. B. bei Erasmus von Rotterdam, Johann Amos Comenius oder Ludwig Vives.
[128:7] Die Bevölkerungsvermehrung war zunächst nur relativ, d. h. die Städte wurden größer, aber die Gesamtbevölkerung blieb noch weit bis ins 18. Jahrhundert ziemlich konstant. Aber schon früh läßt sich erkennen, daß, wenn die Zahlen stiegen, institutionelle Differenzierungen sich ergeben. Was man als pädagogische Aufgaben vor sich sah, war immer weniger nur im Milieu eines Hauswesens zu bewältigen; auch die Schulen reichten bald nicht mehr aus; denn je mehr Kinder und Jugendliche in die Schulen geschickt wurden, um so größer wurde auch die Aufmerksamkeit für diejenigen, die mit dieser Einrichtung Schwierigkeiten hatten, und umso mehr entstand ein Bewußtsein davon, daß ein angemessenes modernes Erziehungssystem mehr Leistungen zu erbringen hat als die, die Familie und Schule bereitstellen. Schon früh fand man, allerdings nur gelegentlich, daß kindliche und jugendliche
Straftäter
anders behandelt werden sollten als erwachsene (z. B. Amsterdam 1596); für lange Zeit aber beschränkten sich die pädagogischen Maßnahmen zumeist auf Einsperrung und körperliche Arbeit. Im 18. Jahrhundert aber erweiterte sich die pädagogische Phantasie; zwei eindrucksvolle Beispiele sind August Herrmann Francke in Halle (17..-17..) und Johann Heinrich Pestalozzi (...) in der Schweiz. Beide – obwohl in ihren Überzeugungen, ihren Einstellungen zu Kindern und durch den zeitlichen Abstand von zwei Generationen sehr verschieden – nahmen an, daß nach wie vor in den familiären Haushalten der pädagogische Grund für die weitere Entwicklung des Kindes gelegt werde; auch sahen beide die schulische Unterrichtung als das Kernstück öffentlicher, letzten Endes vom Staat zu garantierender Erziehung und Bildung. Darüber hinaus aber schien ihnen unabweislich, daß eigentlich das ganze Leben des Kindes und des Jugendlichen pädagogischer Hilfe bedürfe und daß vor allem für solche Kinder Sorge zu tragen sei, die ohne besondere Anstrengungen der Gesellschaft nicht zu ihrem Recht kämen, weil die Normalformen von Familie und Schule ihnen nicht zur Verfügung stehen. Allein in Bayern gab es 1812 bereits mindestens 32 Einrichtungen der Heimerziehung mit insgesamt 1070 Kindern. Diese Perspektive war neu; sie war einerseits ein Moment der
Aufklärung
, also |A 11|des Bestrebens, die menschlichen Verhältnisse vernunftgemäß einzurichten; andererseits war sie auch funktional angesichts der nun tatsächlich einsetzenden Bevölkerungsvermehrung (im Gebiet des Deutschen Reiches: 1750 ca. 20 Millionen, 1900 ca. 60 Millionen). Ein wichtiges Dokument der Rechtsgeschichte ist in diesem Zusammenhang das
Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten
von 1794. An diesem Dokument wird allerdings auch die Zweideutigkeit erkennbar, die bis heute vielen sozialpädagogischen Einrichtungen anhaftet, z. B.
§ 7
:
Veranlassungen, wodurch ein schädlicher Müßiggang, besonders unter den niederen Volksklassen genährt, und der Trieb zur Arbeitsamkeit geschwächt wird, sollen im Staate nicht geduldet werden
. Man kann die Zweideutigkeit auf die einfache Formel bringen, daß die sozialpädagogischen Einrichtungen eine gesellschaftliche Kontrollfunktion erfüllen sollten, durch Kasernierung, Zucht, Arbeit und religiöse Disziplinierung (A. H. Francke), und daß sie der Hilfe, Unterstützung und Erweiterung der Lebenschancen dienen sollten (J. H. Pestalozzi).
[128:8-9] Die durch die Aufklärung, also die Vernunfttheorien des 18. Jahrhunderts, ins Spiel gebrachte neue pädagogische Perspektive führte dann, im 19. Jahrhundert, zu einem immer detailreicher ausgefächerten System sozialpädagogischer Einrichtungen. Dabei begannen zwei Gesichtspunkte allmählich eine besondere Bedeutung zu erhalten: Die Kindheit, vornehmlich aber das Jugendalter rückten als eine Lebensphase in den Blick, deren eigentümliche Charakteristik im ganzen Erziehungssystem pädagogisch zu berücksichtigen sei; und: Auch die Pädagogik habe Sorge dafür zu tragen, daß die Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten des ständisch-feudalen gesellschaftlichen Systems allmählich geringer würden,
denn es wäre frevelhaft, die Erziehung so anzuordnen, daß die Ungleichheit absichtlich und gewaltsam festgehalten wird auf dem Punkt, auf welchem sie steht
(F. D. Schleiermacher, Pädagogische Vorlesungen 1826)
. Diese beiden Gesichtspunkte, altersgemäße Formen der Erziehung und eine Orientierung an der republikanischen Gleichheitsidee, erreichten indessen die Praxis sozialpädagogischer Einrichtungen nur gelegentlich. Die geringsten Spuren davon zeigten sich in der Heimerziehung, die noch bis in die Zeit der Weimarer Republik hinein zumeist durch den Zwang zur Arbeitsamkeit und religiös-kirchliche Disziplinierung gekennzeichnet blieb. Ein wenig Liberalität zeigte sich gelegentlich in den Anfängen der außerschulischen Jugendbildung, in Gesellen- und Jünglingsvereinen. Am ehesten folgte die Einrichtung von Kindergärten jenen beiden Gesichtspunkten: Nach einigen Vorläufern – z. B. die Kinderschule Oberlius (1740 – 1826) im Elsaß, die Kinderbewahranstalten in England, im Rheinland und in Westfalen, die pädagogischen Experimente der Frühsozialisten (z. B. R. Owens Gründung in Schottland 1809) – eröffnete 1840 Friedrich Fröbel den ersten
Kindergarten
, dessen Aufgabe und Arbeitsweise |A 12|sich streng auf die Eigentümlichkeiten des Kindesalters (vor allem das Spiel) gründen sollte; aber obwohl Fröbel in seiner Theorie der Kindheit und des Kindergartens die Gesamtheit der entsprechenden Altersgruppe im Auge hatte und nicht nur die privilegierten bürgerlichen Schichten, blieben die Kindergärten für lange Zeit Einrichtungen, die von Proletarier-Kindern kaum besucht wurden; diese blieben weiterhin auf Bewahranstalten bzw.
Volkskindergärten
(seit 1869) angewiesen. Das ist für sozialpädagogische Einrichtungen bis in die Gegenwart hinein charakteristisch geblieben: Sie sind Einrichtungen, die zum überwiegenden Teil auf Notlagen reagieren, auf Folgen gesellschaftlicher Strukturmerkmale (Armut, Ungleichheit, Industrialisierung, Landflucht, Verstädterung, Immigration, Drogenprobleme, Kriminalität usw.), von denen Kinder und Jugendliche besonders hart getroffen werden und die, wenn schon die Ursachen nicht beseitigt werden, wenigstens durch pädagogische Hilfen kompensiert werden sollen. Das wurde schon im 19. Jahrhundert am Beispiel der Familien-Fürsorge besonders deutlich, als – bedingt durch
Pauperismus
, Bevölkerungswachstum und Proletarisierung – die Zahl der in soziale Not geratenen Familien rasch anwuchs. Teils durch städtische Gemeinden, teils durch private
Wohltätigkeitsvereine
wurden Hilfe-Maßnahmen einer fallbezogenen Betreuung oder Beratung eingeleitet, die allerdings häufig in dem Konfliktfeld zwischen Kapital-Interessen, gerechter Sozialpolitik und pädagogischer Verantwortung nicht eindeutig Partei nahm für die Familien und ihre Kinder (z. B. das
Elberfelder System
1853). Vordem gab es allerdings bereits vielfältige private Initiativen, besonders aus dem kirchlichen Bereich, beispielsweise aus den Anfängen der
Inneren Mission
, für die man exemplarisch die Aufzeichnungen Johann Hinrich Wicherns (1808 – 1881), im übrigen einer der wichtigsten Gründer von Erziehungsheimen (das
Rauhe Haus
in Hamburg 1833), studieren kann. Wichern besuchte, beriet und unterstützte über mehrere Jahre hinweg verarmte und in schwierigsten Verhältnissen lebende Familien im Hamburger Stadtteil St. Georg und führte darüber, was äußerst selten ist, genaue Protokolle.
[128:10] Am Ende des Kaiserreichs, also nach 1919, entstand eine neue Situation: Mit dem Reichsjugendwohlfahrtsgesetz (RJWG 1922) wurde versucht, fast den gesamten Bereich sozialpädagogischer Einrichtungen einheitlich zu regeln. Jedes Kind sollte nun ein
Recht auf Erziehung
haben; dafür sollten überall
Jugendämter
eingerichtet werden, die sich um eine befriedigende Versorgung mit sozialpädagogischen Einrichtungen zu kümmern hätten; die Aufgaben wurden als zwei große Bereiche unterschieden, als
Jugenfürsorge
(Einrichtungen für irgendwie in Not geratene Kinder und Jugendliche) und
Jugendpflege
(Einrichtungen der außerschulischen Jugendbildung, vor allem Jugendverbände, Freizeiteinrichtungen). |A 13|Ein Jahr später wurde das erste Jugendgerichtsgesetz erlassen (JGG 1923), nach dem nun erstmalig alle straffällig werdenden Jugendlichen nach einem besonderen Gesetz behandelt werden mußten, in dem die Erziehungsaufgabe neben den Strafzweck rückte; das fand seinen sichtbarsten Ausdruck in der Einrichtung von Jugendstrafanstalten, in denen man versuchte, unter den eigentlich erziehungswidrigen Umständen der strafweisen Einsperrung pädagogischen Gesichtspunkten Geltung zu verschaffen.
[128:11] Diese beiden gesetzlichen Regelungen (RJWG und JGG) waren eine Folge und eine Begleiterscheinung von zwei wichtigen Vorgängen in den ersten 25 Jahren des 20. Jahrhunderts: die bürgerlichen sowie die sozialistischen
Jugendbewegungen
und die
pädagogische Reformbewegung
. Die verschiedenen Jugendbewegungen, die sich bald verbands- oder vereinsartig organisierten, brachten den Anspruch zur Sprache, schon im Jugendalter ein eigenständig-sinnhaftes Leben zu gestalten, ohne Bevormundung durch die erwachsene Generation. Die pädagogische Reformbewegung versuchte, den Anspruch auf eine kind- und jugendgemäße Pädagogik in der Gestaltung der sozialpädagogischen Einrichtungen zu verwirklichen – vor allem in den Kindergärten, in der Familien-Fürsorge, in den Erziehungsheimen, im Jugendstrafvollzug.
[128:12] Das alles war gut gemeint. Aber schon bei der Auslegung und Anwendung jener beiden Gesetze stellten sich große Schwierigkeiten ein, und die Reformbemühungen in den Einrichtungen blieben auf wenige beschränkt. Vor allem konnte bis heute der Konflikt nicht gelöst werden, der die meisten sozialpädagogischen Einrichtungen belastet: Können sie wirklich dem pädagogischen Grundsatz folgen, nur der Förderung und Unterstützung in entwicklungsschwierigen Lebenslagen zu dienen – oder sind sie nicht immer oder zumeist auch Eingriff, Kontrolle, Disziplinierung im Hinblick auf den Normalitätsentwurf, den die Gesellschaft favorisiert?

1.3. Beschreibung sozialpädagogischer Einrichtungen der Gegenwart

[128:13] Die Sozialpädagogik – bzw. in der Terminologie der Rechts-Praxis die Kinder- und Jugendhilfe – hat also Erziehungsprobleme zum Thema, die außerhalb des relativ dauerhaft etablierten Schulsystems auftauchen. Von welcher Art diese Probleme sind und wie man auf sie vernünftigerweise durch pädagogische Maßnahmen und Einrichtungen reagieren sollte, läßt sich naturgemäß viel schwerer vorhersagen als im Falle der Schule. Daraus folgt, daß diese Einrichtungen in Art und Aufgabenstellung rasch wechseln, denn sie müssen sich ja den wechselnden gesellschaftlichen Bedingungen immer wieder neu anpassen. Dem versucht das seit 1991 gel|A 14|tende Kinder- und Jugendhilfe-Gesetz Rechnung zu tragen: Es enthält einen sehr differenzierten und flexiblen Katalog von Einrichtungen und Maßnahmen, der es erlaubt – trotz vieler Einwände, die gegen dieses Gesetz vorgetragen werden – beweglich auf neue Problemlagen zu reagieren. Aus den letzten 30 Jahren kennen wir einige wichtige Vorgänge, an denen dieses Grundproblem sozialpädagogischer Einrichtungen deutlich wird, z. B.:
  • [128:14] Seit etwa 1965 zeigte sich, daß Jugendämter und Jugendverbände allein nicht in der Lage sind, eine den Interessen der Jugendlichen dienliche Versorgung mit Freizeiteinrichtungen sicherzustellen; es entstanden selbstverwaltete Jugendzentren für
    unorganisierte
    Jugendliche, aber mit dem Anspruch auf öffentliche Unterstützung.
  • [128:15] Im Zusammenhang mit der Individualisierung von Lebenslagen und der von Nachbarschaften und anderen unterstützenden Sozial-Milieus zunehmend isolierten Situation von Familien entstand ein Beratungsbedarf, der inzwischen über die traditionelle Erziehungsberatung weit hinausgeht und zu einem breit gefächerten System von Beratungseinrichtungen geführt hat.
  • [128:16] Die Unzulänglichkeiten der Heimerziehung, insbesondere im Hinblick auf die Selbstständigkeits-Ansprüche von Jugendlichen, machte neue Formen der Betreuung und des gemeinsamen Wohnens erforderlich; so wurden nach 1970 kleine Jugendwohngemeinschaften eingerichtet, die für viele Jugendliche an die Stelle der vordem üblichen Großheime traten.
  • [128:17] Seit den 70er Jahren nahm das Problem des Drogengebrauchs und der Drogenabhängigkeit von Jugendlichen derart zu, daß das Fehlen vernünftiger Hilfen und Reaktionen immer offensichtlicher wurde. Es entstanden nicht nur vielfältige Einrichtungen der Drogen-Therapie, sondern ein bis heute andauernder Streit darüber, welche Theorien die überzeugendsten waren und welche Formen der Beratung, Begleitung, Hilfe, Therapie am ehesten Erfolg versprechen.
  • [128:18] War vor vier Jahrzehnten noch die Zahl der Haushalte, in denen Kinder von nur einem Elternteil erzogen wurden, so gering, daß keine besonderen Maßnahmen erforderlich zu sein schienen, ist die Lage heute schon erheblich anders: In ungefähr jedem siebten Haushalt in der Bundesrepublik Deutschland werden Kinder von nur einem Elternteil, zumeist den Müttern, versorgt. Da die normierende Funktion der alten bürgerlichen Kleinfamilie abzunehmen scheint, muß man mit weiterem Anwachsen solcher Haushalte rechnen. Dadurch entsteht ein sozialpädagogischer Bedarf, auf den gegenwärtig mit vermehrten Kinderkrippen und Kindergartenplätzen reagiert wird, aber auch durch private nachbarschaftliche Einrich|A 15|tungen, der Kooperation mehrerer Haushalte zur Kinderbetreuung, auch durch die Einrichtung von
    Tagesmüttern
    (nur in wenigen Bundesländern) usw.
  • [128:19] Schon in den 20er Jahren in zunächst wenigen städtischen Ballungszentren, seit 1960 aber in jeder Stadt wurde sichtbar, daß die Siedlungsarchitektur unserer Städte den Spielraum für Kinder zunehmend liquidiert. Die sozialpädagogische Reaktion bestand in der Einrichtung von Kinderspielplätzen in den verschiedenen Stadtquartieren, zumeist mit einer Standard-Ausrüstung von Spielgeräten, die zwischen Konstanz und Flensburg zum Verwechseln ähnlich sind, häufig auch durch hohe Drahtzäune umgrenzt. Heute fragt man sich, ob das richtig war und ob eine sozialpädagogische Verantwortung von Stadt-Architekten und Gemeindeverwaltungen nicht zu anderen Lösungen der Städtebau- und -Sanierungsplanung führen müßte.
[128:20] Dies sind nur einige Beispiele dafür, wie gesellschaftliche Veränderungen einen veränderten sozialpädagogischen Bedarf erzeugen und wie, als Reaktion auf diesen Bedarf, neue Einrichtungen entstehen, denen man zutraut, eine pädagogisch verantwortbare Hilfe zu sein. Im folgenden kann also nur der gegenwärtige Stand beschrieben werden. Schon 30 Jahre später kann die Lage anders sein.

1.3.1. Familienergänzende Einrichtungen der Kinderpflege, -erziehung und -bildung

[128:21] Daß die Familie allein nicht mehr ausreicht, um den Kindern ihr
Recht auf Erziehung
zuverlässig zu sichern, ergibt sich schon aus den folgenden Tatsachen: Schon vor dem Eintritt in die Schule brauchen Kinder den Kontakt mit Gleichaltrigen – was angesichts der zunehmenden Privatisierung der familialen Haushalte ohne zusätzliche Bemühungen sehr häufig nicht möglich wäre; die Zahl der Fälle, in denen nicht nur der Vater, sondern auch die Mutter berufstätig ist, steigt und erfordert deshalb häufig schon im frühen Alter eine wenigstens stundenweise außerfamiliale Versorgung der Kinder; manche Kinder wachsen unter Familienbedingungen heran, die selbst dann als wenig förderlich beurteilt werden können, wenn generell immer noch unterstellt werden darf, daß die Familie das vergleichbar beste Erziehungsmilieu für Kleinkinder ist. Es gibt gegenwärtig sehr grob klassifiziert drei Einrichtungen, die auf diese Situation reagieren: sogenannte Kinderkrippen, Tagesmütter bzw. Spielkreise, Kindergärten.
[128:22] Kinderkrippen sind Einrichtungen für Kleinstkinder im Alter von ca. einem halben Jahr bis zum Alter von drei Jahren. Sie sind, ähnlich wie die Kinderbewahranstalten zu Beginn des 19. Jahrhunderts, für solche Familien gedacht, die wegen Berufstätigkeit der Mütter und/oder |A 16|Väter den Tag oder Halbtag über auf diese Hilfe angewiesen sind. Die Zahl dieser Einrichtungen ist zwar gering; die damit aufgeworfenen Probleme aber sind ziemlich interessant.
[128:23] 1986 gab es im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland in
Kinderkrippen
und
Krabbelstuben
etwas mehr als 28.000 Plätze; das bedeutet: Etwas mehr als 1% der Kinder im Alter von null bis drei Jahren sind tagsüber in einer solchen Einrichtung untergebracht. Ungefähr die Hälfte dieser Einrichtungen hat weniger als 20 Plätze, die andere Hälfte also mehr (1028 solcher Einrichtungen gab es 1986). Jedes Kind wurde im Durchschnitt von 4,3 Erzieherinnen/Erziehern (insgesamt waren es ca. 6.500) betreut; Erzieherinnen und Erzieher verteilten sich so, daß nur 2% des Personals männlichen Geschlechts war.
[128:24] Diese nüchternen Zahlen geben einiges zu denken auf. Seit Jahrzehnten gibt es einen Streit darüber, ob diese außerfamiliale Unterbringung von Kleinkindern pädagogisch überhaupt gerechtfertigt werden könne. Die einen behaupten, es sei schädlich, wenn das Kind in diesem Alter, und sei es nur während des Tages, in eine familienfremde Umgebung versetzt wird und die wichtigste Bezugsperson, die Mutter, entbehren muß; sie betrachten Krippen und Krabbelstuben deshalb als ein zwar gelegentliches, aber möglichst zu vermeidendes Übel. Die anderen sehen darin ein familistisches Vorurteil und meinen, daß das Kind durchaus nicht unter der vorübergehenden Mutter-Entbehrung leiden müsse, ja daß es einen Entwicklungsgewinn bedeute, wenn es sehr frühzeitig, in leichter Distanzierung von der Mutter oder den Eltern, sich auf Gleichaltrige beziehen könne und daß gerade auch der Wechsel der Bezugspersonen der Selbständigkeit förderlich sei. Diese Frage ist, wie die teils sehr heftigen Diskussionen zeigen, schwer zu entscheiden. Ähnlich schwierig ist die Frage, ob Frauen in solchen Einrichtungen besser am Platz sind als Männer; unsere kulturelle Gewohnheit hat dazu geführt, daß in diesen Einrichtungen fast nur Frauen tätig sind; läßt sich das mit pädagogischen Argumenten rechtfertigen oder muß auch dies als Folge eines patriarchalistischen Vorurteils zurückgewiesen werden? Die Hälfte der Einrichtungen hat mehr als 20 Plätze, nur ca. 25% haben bis zu 10 Plätzen; ist, so kann man fragen, die pädagogische Qualität einer Einrichtung abhängig von ihrer Größe? Muß nicht wenigstens im Hinblick auf die Zahl der Kinder eine gewisse Familien-Nähe gewahrt werden?
[128:25] Die letzte Frage hat, neben anderen, dazu geführt, daß in jüngster Zeit vermehrt Spielgruppen entstanden, zumeist durch private Initiativen, und daß die Institution der
Tagesmütter
in vielen Städten eingeführt wurde: Eine Frau, zumeist mit eigenen Kindern, nimmt am Tage oder auch nur stundenweise mehrere andere Kinder (3 – 6) in ihrer Wohnung auf; die Ge|A 17|samtpersonenzahl bleibt ungefähr auf dem Niveau einer großen Familie. Aber selbst diese Einrichtungsart hat heftige Kontroversen ausgelöst.
[128:26] Am wenigsten strittig ist die Einrichtung des Kindergartens. Seit seiner Begründung in der Mitte des 19. Jahrhunderts ist die Zahl der Kindergärten ständig gewachsen. Sie werden heute ergänzt durch Kinderhorte und Tageseinrichtungen, auch durch Einrichtungen für behinderte Kinder, in denen bereits schulpflichtige Kinder pädagogisch betreut werden (1986: ca. 24.500 Kindergärten, ca. 3.000 Kinderhorte, ca. 1.400 Spielkreise, ca. 500 Einrichtungen für behinderte Kinder). Allerdings steht nur in wenigen Städten und Regionen jedem Kind auch ein Platz in diesen Einrichtungen zur Verfügung; zumeist liegt die Versorgung zwischen 65% und 80%. Man kann das für zu gering halten mit dem Hinweis darauf, daß jedem Kind ein Platz zustehen sollte, so wie auch jedes Kind ein Recht auf Unterricht/Schulbesuch hat; man kann das aber auch – wenn nur der regional unterschiedliche Bedarf entsprechend befriedigt wird – für ausreichend halten; denn immerhin bedeutet ja die zunehmende
Vergesellschaftung
der Erziehung auch eine Art Schwächung der privat-familialen Erziehungskräfte. Über derartige Fragen, auf beiden Seiten mit Gründen, wird gestritten. Nicht gestritten wird mehr darüber, daß Kindergärten und Horte pädagogisch-professionell zu betreibende Einrichtungen sind, wenngleich mehrere Konzepte sich in Konkurrenz zueinander befinden. Dürfen die pädagogischen Vorstellungen Friedrich Fröbels immer noch Geltung beanspruchen, nach denen eine phänomenologische Theorie des Spiels die theoretische Grundlage zu sein habe, gekoppelt mit einer vielen Kritikern heute als
sozial-romantisch
erscheinenden Vorstellung vom Leben des Kindes? Hatte die italienische Kindergarten-Gründerin Maria Montessori (1880 – 1952) recht, wenn sie für die Erziehung im Kindergarten auf die Wachstumskräfte des Kindes vertraute und dessen Unabhängigkeit und Selbständigkeit vornehmlich durch Spiel- und Lern-Materialien bilden wollte, die die Sinnes- und Verstandestätigkeit herausfordern? Hat die psychoanalytische Kindergartenpädagogik recht, wenn sie Triebbeschränkungen aufzuheben wünscht, den repressiven Charakter der bürgerlich-kleinfamilialen Erziehung kritisiert und auf die Selbstregulierungen vertraut, die die Kinder in ihren Gleichaltrigen-Gruppen vornehmen? Haben schließlich jene recht, die die Entfernung des pädagogischen Milieus im Kindergarten von der Alltagswirklichkeit des modernen Kindeslebens beklagen und deshalb die
wirklichen
Lebenssituationen (Konflikte in der Familie, Erfahrungen mit dem Konsum, Krankheit und Tod, Aggression und Verträglichkeit etc.) zum Thema des pädagogischen Umgangs machen möchten? Oder ist die
Waldorf-Pädagogik
, von Rudolf Steiner (1861 – 1925) begründet, der Königsweg der Kindererziehung, nach der für das Alter der Null- bis Siebenjährigen |A 18|die
Nachahmung
und die damit gegebene Phantasie-Anregung das wichtigste Entwicklungsprinzip sei, woraus u. a. folge, daß die ästhetische Gesamtgestalt der Umwelt des Kindes, von den Natur-Materialien der Inneneinrichtungen bis zu den Körpergesten der Erwachsenen, das wichtigste Erziehungsmittel ist?
[128:27] Derartige Kontroversen zeigen, daß die Einrichtung des Kindergartens inzwischen, wie vordem schon die Schule, eine große Dichte und Ernsthaftigkeit der Diskussion hervorgebracht hat. Daß für die Fragen der Gestaltung von Kindergärten nicht nur wissenschaftliche Forschung über die Entwicklung, die Kompetenzen, die Lernchancen von Kindern notwendig ist, sondern in sie auch Weltsichten hineinspielen, die wissenschaftlich vielleicht nicht entscheidbar sind, gehört zur Natur der Sache: Ob man die Kindheit vor dem Schuleintritt überhaupt institutionalisieren soll oder nicht, wie sich die erwachsene Generation einen vernunftförmigen Umgang mit kleinen Kindern denkt, wie eine Kultur sich auf das nachwachsende Lebendige bezieht, auf die Tatsache ihrer sowohl biologischen als auch kulturellen Erneuerung – diese Fragen sind kaum nur mit den Mitteln der wissenschaftlichen Argumentation zu entscheiden. Sie erfordern ein begründetes geschichtspraktisches Wollen.

1.3.2. Einrichtungen der außerschulischen Jugendbildung

[128:28] Den weitaus größten Teil der wachen Zeit während eines Tages verbringen junge Menschen in unserer Kultur, wenn sie älter sind als 12 Jahre, in der Schule, in anderen Arten von Ausbildung und in deren Diensten. Es bleibt ein Spielraum, der häufig als
Freizeit
bezeichnet, in seinem Ausmaß aber auch gelegentlich überschätzt wird. Jedenfalls hat unsere Gesellschaft für diese Lebensräume im Jugendalter vorgesorgt: Es ist selbstverständlich geworden, daß es in allen, wenigstens den städtischen Gemeinden Sportvereine gibt, andere Jugendverbände, kommunale Freizeithäuser, selbstverwaltete Jugendzentren, für größere Regionen auch Jugendbildungsstätten mit einem tage- oder wochenweise organisierten Angebot von Veranstaltungen der politischen, der ästhetischen, der lebenspraktischen oder andersartigen Bildung, schließlich Maßnahmen der Jugenderholung. Dieses Einrichtungs- und Maßnahmen-Spektrum klingt eindrucksvoll. Die Zahl der Jugendlichen, die es erreicht, ist indessen wesentlich geringer, als die öffentliche Diskussion gelegentlich glauben macht: Im Jahre 1988 gab es ca. drei Millionen Jugendliche, die in der einen oder anderen Form von diesem Typus von Einrichtungen mit öffentlicher finanzieller Förderung Gebrauch machten; weit mehr als die Hälfte davon nahm an Erholungs- bzw. Ferien-Maßnahmen teil. Für Einrichtungen der außerschulischen Jugendbildung im engeren Sinne blieben nur etwas mehr als eine Million Jugendliche für das |A 19|gesamte Gebiet der damaligen (1988) Bundesrepublik; das heißt, daß ungefähr jeder fünfte Jugendliche von einer derartigen Einrichtung Gebrauch machte. Welche Einrichtungen sind es nun, die innerhalb dieses Angebotes eine pädagogisch wichtige Rolle spielen?
[128:29] Da gibt es zunächst diejenigen Einrichtungen, man kann sie zusammenfassend als
Jugendgruppen
bezeichnen, die, häufig im Anschluß an eine Erwachsenen-Organisation, sich als Verbands-Jugendarbeit formieren: Sportvereine bzw. -verbände, Kirchen, Parteien, Wohlfahrtsverbände, freie Jugendverbände und Jugendbünde. Je nach Verbands- oder Vereinszweck ist die Arbeit in solchen Gruppen in der Regel (die Gruppengröße bleibt zumeist unter 25 Teilnehmern) spezialisiert und auf einen loyalen Nachwuchs bzw. einen allgemeinen Bildungszweck hin orientiert: Die Sportvereine für Leibesübungen und den Nachwuchs für den Leistungssport, kirchliche Gruppen innerhalb von Kirchengemeinden oder religiös interessierten Jugendverbänden, Nachwuchs-Gruppen für politische Parteien, aber auch solche Gruppierungen wie etwa die Feuerwehrjugend (vorwiegend in ländlichen Regionen) oder, schon seit der Jahrhundertwende bedeutend, die Pfadfinderjugend. Die Arbeit in diesen Einrichtungen/Jugendgruppen ist zumeist ehrenamtlich, ist nur über die Verbandsorganisation institutionalisiert, wird aber durch öffentliche Finanzierung möglich gemacht. Sie haben eine gemeinsame Interessenvertretung in den örtlichen und regionalen Jugendringen bis hin zum zentralen
Bundesjugendring
. Der Status der Ehrenamtlichkeit von Mitarbeitern/Gruppenleiterinnen schließt ein, daß eine professionelle Ausbildung nicht erforderlich ist, abgesehen von den Funktionären der Verbände.
[128:30] Man kann darüber streiten, ob Subventionen aus öffentlichen Mitteln für jene Art von Einrichtungen notwendig sind – jedenfalls befriedigen sie offensichtlich einen Bedarf; und diese Befriedigung genießt nach dem KJHG einen Rechtsanspruch. Etwas anders ist die Lage bei solchen Einrichtungen, die nicht einem Verband eingeordnet sind, sondern die sich an Jugendliche überhaupt wenden, unabhängig davon, ob diese organisiert sind oder nicht. Für ihre Gründungen (nach einigen Vorläufern während der Weimarer Republik in Hamburg und Berlin setzte eine flächendeckende Verbreitung erst in der Phase zwischen 1955 und 1965 ein) gab es vor allem zwei Motive: Die Zahl der jugendlichen Mitglieder in Verbänden und Jugendbünden ging stark zurück, und es bildete sich ein nachdrückliches Interesse der Pädagogik an einem Bildungsangebot für Jugendliche heraus, das Treffpunkte, Kommunikationsmöglichkeiten und inhaltlich gerichtete Interessen-Bildung ermöglichte, und zwar für im Prinzip alle Jugendlichen, ohne zugleich eine organisierte Bindung zur Voraussetzung zu machen. Diese Einrichtungen hießen beispielsweise
Freizeitheim
,
Jugend-Caffee
,
Heim der offe|A 20|nen Tür
,
Jugendzentrum
o. ä. In der Folge dieser Motive und der kommunalen Entwicklungen gibt es heute vornehmlich drei Typen derartiger Einrichtungen: Häuser, die von der politischen Gemeinde unterhalten werden und ein grundsätzliches pluralistisches Angebot machen (vom Moped-Reparieren bis zur politischen Diskussion); Häuser bzw. Einrichtungen, die von einem Verband (z. B. einer Kirche) betrieben werden und die mal mehr, mal weniger pluralistisch angelegt sind, jedenfalls aber die Verbandsziele nicht verleugnen; Einrichtungen, die entschieden und programmatisch sich von
denen da oben
(Stadtverwaltung, Verbandsfunktionäre) unterscheiden wollen, sich deshalb
selbstverwaltet
nennen und die eigenen Interessen, zunächst und zumeist die der Gründungsgruppe, offensiv zur Darstellung bringen. Man könnte meinen, daß der dritte Einrichtungstyp hochselektiv ist, die anderen dagegen nicht. Dies ist nicht der Fall. Schon in den 60er Jahren zeigte sich, daß – je nach Standort, Mitarbeitern, Ausstattungen, Angebot – nach kurzer Zeit eine relativ homogene Gruppe von Jugendlichen diese oder jene Einrichtung besuchte; eine von den Betreibern häufig nicht beabsichtigte Auslese , nach Kriterien der sozialen Schichtzugehörigkeit, des subkulturellen Stils, der politischen Orientierung oder anderen.
[128:31] Ein dritter Einrichtungstyp der außerschulischen Jugendbildung sind die in der Art von Tagungsheimen angelegten Jugendbildungsstätten. Es gibt davon in der Bundesrepublik derzeit ungefähr 30. Das ist zwar eine kleine Zahl; sie erfüllt aber im Rahmen der außerschulischen Jugendbildung sehr wichtige Funktionen: Es sind einerseits Orte des didaktischen Experimentierens mit neuen Erfahrungen des Jugendalters, neuen Themen, neuen Bildungskonzepten; so reagierten diese Einrichtungen in den letzten 30 Jahren immer sehr rasch auf veränderte Problemlagen: offene Jugendarbeit versus Verbandsjugendarbeit (ca. 1955), Bildungsarbeit mit Arbeiterjugendlichen (ca. 1960), politische Bildung und Konflikte in der betrieblichen Berufsausbildung (ca. 1965), kapitalismus-kritische Bildung (ca. 1970), ästhetische und subkulturelle Problemstellungen (seit ca. 1975), Gewalt im Jugendalter, historische Spurensuche, Regionalisierungen, multikulturelle Fragen (seit 1985); und sie brachten immer neue pädagogische Phantasie ins Spiel im Hinblick auf die Frage, wie unter knappen Zeitbedingungen (in der Regel nur wenige Tage) ein Thema derart stimulierend behandelt werden kann, daß die jugendlichen Teilnehmer auch noch nach der Rückkehr in ihren familiären, schulischen oder beruflichen Alltag einen produktiven Bildungsimpuls behalten. Andererseits erfüllen die Einrichtungen eine multiplikatorische Aufgabe: Sie sind Stätten der haupt- und ehrenamtlichen Fortbildung für diejenigen Berufsgruppen, die sonst in der außerschulischen Jugendbildung tätig sind; auch in dieser Funktion sind sie also ein Umschlagplatz für neue Problemstellungen |A 21|und Erfahrungen, für theoretische Reflexion, für praktische Perspektiven. In solchen Hinsichten spielten in den letzten Jahrzehnten beispielsweise der
Jugendhof Steinkimmen
in der Nähe Bremens, die
Musische Bildungsstätte Remscheid
, das
Evangelische Studienzentrum Josefstal
am Schliersee in Bayern, der
Jugendhof Dörnberg
bei Kassel eine besondere Rolle. Die wichtigsten Anstöße für eine Theorie der außerschulischen Jugendbildung kamen aus diesen und ähnlichen Einrichtungen.

1.3.3. Einrichtungen der Heimerziehung

[128:32] Die Erziehung von Kindern und Jugendlichen außerhalb der Familie in Heimen ist, neben der Unterbringung von Kindern in Pflegefamilien, wohl die älteste sozialpädagogische Institution. Obwohl sie in den letzten 200 Jahren viele Veränderungen erfahren hat, sind ihre grundlegenden Struktur-Merkmale gleich geblieben: Häuser mit zumeist weit mehr als 20 Plätzen für verschiedene Altersgruppen; als relativ selbständig wirtschaftende
Hauswesen
; mit einem zum Empfang öffentlicher Finanzmittel berechtigten Träger; mit einem professionell ausgebildeten Erziehungspersonal; mit in der Regel mehrjähriger Verweildauer der Kinder und Jugendlichen; mit rechtlichen Grundlagen für deren Unterbringung; mit einer
Indikation
, d. h. mit der Maßgabe zu rechtfertigen, warum die Unterbringung eines Kindes oder Jugendlichen geboten scheint. Nahezu alles, was in der Heimerziehung an Veränderungen geschah, entzündete sich an diesem letzten Strukturmerkmal: Unter welchen Bedingungen ist es wirklich verantwortbar, ein Kind aus seiner vertrauten Umgebung herauszunehmen und in einem Heim unterzubringen?
[128:33] Zunächst wieder einige Zahlen, um den Umfang der Problematik deutlich zu machen: 1986 gab es im damaligen Bundesgebiet ungefähr 2.500 derartige Einrichtungen mit zusammen etwas mehr als 75.000 Plätzen. Ca. ein Drittel dieser Einrichtungen wird von kirchlichen Trägern betrieben, ein weiteres Drittel von anderen Vereinen und Verbänden, das restliche Drittel von den Gemeinden und Ländern. Diese Angaben sind nur deshalb interessant, weil sie im historischen Vergleich eine Veränderung anzeigen: Die Zahl der Einrichtungen der kirchlichen Träger hat beispielsweise, zugunsten von kleineren Vereinen, abgenommen; man könnte daraus folgern, daß der Einfluß kirchlicher Vorstellungen auf die Erziehung in sozialpädagogischen Einrichtungen geringer geworden ist, etwa im Vergleich zum Beginn des Jahrhunderts; es könnte aber ebensogut sein, daß christliche Erziehungsgrundsätze, vom Sadismus der früheren kirchlichen Anstalten befreit, sich nun verallgemeinern konnten. Wie dem auch sei: Die Zahlen allein geben schon Anlaß darüber nachzudenken und zu forschen, welcher Art die |A 22|Veränderungen sind, die wir beobachten können. Die Zahl der insgesamt verfügbaren Plätze hat sich vielleicht und ganz ungefähr seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts proportional verdoppelt (die genauen Zahlen sind derzeit wegen fehlender historischer Forschung unbekannt). Womit hängt das zusammen? Hat die Hilfsbereitschaft von Verwandtschaften und Nachbarschaften nachgelassen? Sind die Kontroll-Interessen der Gesellschaft nachdrücklicher geworden? Hat unsere Sensibilität für schwierige Lebenslagen zugenommen?
[128:34] Wahrscheinlich spielen alle diese Komponenten eine Rolle. Seit etwa 10 Jahren können wir aber auch einen Rückgang der Heimplätze beobachten und, genau gleichzeitig, eine zunehmende Differenzierung des pädagogischen Angebots. Das hängt vermutlich damit zusammen, daß man seit langem schon bestrebt ist, Heimunterbringungen möglichst zu vermeiden und statt dessen den Kindern und ihren Familien ambulante Hilfen anzubieten: beratende Unterstützung, therapeutische Angebote, betreute Wohngelegenheiten für Jugendliche usw. Einer solchen Maßnahmen-Differenzierung entspricht es, wenn auch die Heime sich sorgfältig überlegen, welche Art von Kindern und Jugendlichen sie fördern wollen und können. So entstand einerseits eine Spezialisierung der Einrichtungen, andererseits eine Differenzierung der heiminternen Erziehungs- und Therapie-Wege. Es gibt Heime für solche Kinder und Jugendliche, die unter unzumutbaren familiären Bedingungen leben und für die es deshalb förderlicher scheint, in einem Heim untergebracht zu werden, das notfalls für sie auch eine Langzeitunterbringung bis zur sozialen und ökonomischen Selbständigkeit bereitstellt. Daneben gibt es Heime, deren Klientel in ihrem Verhalten vorwiegend durch somatische, also Leib- und Hirnstörungen beeinträchtigt ist und deshalb einer besonderen heilpädagogischen Behandlung bedarf; in solchen Fällen besteht die Hoffnung, daß eine Behandlung von wenigen Jahren ausreichen könnte, um die Beeinträchtigung so zu mindern, daß das Kind wieder in seine Familie zurückkehren kann. Ähnliche Hoffnung besteht in solchen Heimen, die Kinder mit schweren neurotischen Störungen aufnehmen und sich auf psychotherapeutische Behandlungsverfahren spezialisiert haben; zwar wird auch in solchen Fällen eine Rückführung in die Familie etwa nach höchstens zwei Jahren angestrebt; da aber gerade die Verhältnisse in der Familie die Verhaltensbeeinträchtigung mit hervorgerufen haben, muß auch hier häufig eine längere Heimunterbringung vorgesehen werden. Schließlich gibt es Heime, zumeist nur für Jugendliche, die eine Klientel aufnehmen, die schon in anderen Einrichtungen und Maßnahmen betreut wurde, bis dahin aber vergeblich; in der Regel handelt es sich dabei um Jugendliche mit mehrfacher psycho-sozialer Belastung, häufig auch als schwer
verwahrlost
oder
kriminell
bezeichnet.
|A 23|
[128:35] In allen solchen Fällen ist es schwer, eindeutige Diagnosen zu erstellen und also auch eindeutige Erziehungs- bzw. Therapie-Pläne zu entwerfen. Die Einrichtungen gehen deshalb häufig dazu über, ihre Erziehungs- und Behandlungs-Praktiken intern zu differenzieren: psychoanalytische Therapie, Verhaltenstherapie, Heilpädagogik, Behandlungsformen mit verschiedenen ästhetischen Medien, Kunst- bzw. Gestaltungstherapie, Spieltherapie, Gesprächstherapie und andere. Ein gutes Heim ist heutzutage also eine Einrichtung, die kompetente Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter braucht; die höchst schwierige Kinder und Jugendliche akzeptieren können, aber die auch wissen, daß Liebe allein nicht genügt, sondern daß professionelle Kenntnisse und Fähigkeiten notwendig sind, um den Aufgaben gerecht zu werden. Das darf allerdings nicht zu übertriebener Spezialisierung und Zerstückelung ausarten.
[128:36] Jedes Heim ist eine Haushaltseinheit, braucht einen
Stil
, muß ein im ganzen lebenswertes Milieu präsentieren. Man hat dies einmal
therapeutisches Milieu
genannt. Der Ausdrucck ist aber irreführend. Für den Pädagogen – er oder sie sind ja keine einschlägig ausgebildeten
Therapeuten
– ist entscheidend, daß er/sie es vermag, die Lebensumwelt solcher Kinder als Ganzes so zu gestalten, daß Entwicklungsmöglichkeiten sich eröffnen, die diesen Kindern und Jugendlichen sonst nicht zur Verfügung stehen. Diese Gestaltungsaufgabe erstreckt sich von den personalen Beziehungen (in welchen Hinsichten darf sich der Pädagoge/die Pädagogin an die Stelle der natürlichen Eltern setzen?) über die Architektur solcher Einrichtungen, die bevorzugten Tätigkeiten, die Fragen der materiellen Versorgung wie z. B. das Kochen bis hin zu der Wahl von Möbeln. In solchen Einrichtungen kann deutlich werden, daß es weniger eine einzelne Maßnahme oder Handlung ist, die erzieht, sondern der Gesamtgestus einer Lebensform.

1.3.4. Beratungseinrichtungen

[128:37] Sucht man nach einem Indikator für die Beantwortung der Frage, ob das Zusammenleben der Generationen, der Umgang mit Kindern, deren Hineinwachsen in eine kulturell vorgegebene Umwelt schwieriger geworden ist oder nicht, dann bieten sich die vielfältigen Beratungsstellen an, die es heute allenthalben gibt. Es scheint so, als würde damit ein Bedarf befriedigt, der relativ neu ist. Noch vor 40 Jahren gab es, als sozialpädagogische Einrichtungen, fast nur die Erziehungsberatungsstellen, die zumeist von Familien aufgesucht wurden, deren Kinder an Lernschwierigkeiten litten. Heute verfügt jede Stadt mit mehr als 100.000 Einwohnern über ein differenziertes Netz solcher Einrichtungen, die ihre Hilfe für ein breites Spektrum von Lebensproblemen anbieten; sie sind mal mehr, mal weniger spezialisiert und nennen sich bei|A 24|spielsweise: Erziehungsberatung, Krisenberatung, Ehe- und Partnerschaftsberatung, Lebensberatung, Familienberatung, Drogenberatung, u. ä. Häufig beraten sie ihre Klienten nicht nur, sondern sind auch in der Lage, mehr oder weniger anspruchsvolle
Therapien
durchzuführen, je nachdem, welche Berufsgruppen mit welchen Ausbildungen in einer solchen Einrichtung tätig sind (Ärzte, Sozialpädagogen, Psychologen, Sozialarbeiter). Freilich gibt es sozialpädagogische Beratung als Tätigkeit auch außerhalb dieser Einrichtungen, im Zusammenhang von Ämtern (Jugendamt, Arbeitsamt, Sozialamt) oder als ambulantes Gewerbe (Institutionenberatung für sozialpädagogische Einrichtungen etwa, die interne Schwierigkeiten ihrer Arbeitsvollzüge bereinigen wollen). Von diesen soll hier nicht die Rede sein, sondern nur von Beratungsstellen, die Kinder, Jugendliche und Bürger verschiedenen Alters spontan aufsuchen können, wenn sie meinen, sich in einer beratungsbedürftigen Situation zu befinden.
[128:38] Wann ist jemand
beratungsbedürftig
, und welche pädagogische Haltung ist in einem solchen Fall die richtige? Die besondere Charakteristik dieser Einrichtungen wird deutlich, wenn wir sie mit anderen, im engeren Sinne
pädagogischen
vergleichen, mit Schulen oder Erziehungsheimen etwa: Solche Einrichtungen formulieren ihre pädagogischen Handlungsziele als typisierte Lernerwartungen, relativ unabhängig von dem je einzelnen Individuum – die Beratungseinrichtungen hingegen versuchen, von der ganz individuellen Problematik der Ratsuchenden auszugehen; Schulen und Heime fassen deshalb ihre Klientel in Gruppen zusammen, die nach überindividuellen Kriterien gebildet werden: nach Lernfortschritt, Alter, Therapiebedürftigkeit, Behandlungsdauer o. a. – im Unterschied dazu arbeiten Beratungseinrichtungen vorwiegend mit einzelnen ohne jede Vorgruppierung, in der Form eines dialogischen Verhältnisses zwischen Zweien; schließlich – auch dies im Unterschied zu Schulen, in den meisten Fällen aber auch zu Heimen – ist für den Beratungsvorgang wesentlich, daß die Klienten die Beratungsstelle aus eigenem Antrieb aufsuchen und nicht dazu genötigt oder verpflichtet sind; ob jemand
beratungsbedürftig
ist, definiert dieser selbst und niemand sonst. Aus diesem Grund gibt es im Berufsfeld der Sozialpädagogik und Sozialarbeit immer dann heftige Diskussionen, wenn diese Maxime angetastet wird, beispielsweise bei Verordnung von Beratungspflichten, wie im Falle der gesetzlichen Regelungen zur Abtreibung (§ 218), bei der AIDS-Beratung oder der Beratung für Drogenabhängige. Jeder Eingriff in die Freiwilligkeit wird von den davon betroffenen Einrichtungen sensibel registriert, weil er ein Prinzip verletzt, das – so wird den Eingriffswilligen vorgehalten – die Arbeitsweise der Beratung beschädigt und den Beratungserfolg herabsetzt. Selbstdefinierte Beratungsbedürftigkeit und
richtige Haltung
der Beraterinnen und Berater sind also voneinander abhängig, jedenfalls dann, wenn |A 25|die selbstverantwortliche Problemlösung gleichsam der Fluchtpunkt des Berautungsprozesses sein soll.
[128:39] Nun gibt es gerade im sozialpädagogischen Bereich, insbesondere dann, wenn Kinder oder Jugendliche zu den letztendlichen Adressaten der Beratung gehören, gelegentlich Schwierigkeiten mit dem Aufrechterhalten jener Prinzipien oder Maximen. Das soll an zwei Beispielen erläutert werden, der Erziehungsberatung und der Drogenberatung.
[128:40] Zunächst wieder einige Zahlen, um den Umfang der Problematik anzudeuten. Man geht heute davon aus, daß für je 50.000 Einwohner eine Erziehungs- und Familienberatungsstelle zur Verfügung stehen müßte, um den Beratungsbedarf zu decken. Es scheint so, als sei diese Richtzahl erreicht, denn 1986 gab es bereits insgesamt ca. 1.250 Einrichtungen dieser Art. Aber dieser statistische Durchschnitts-Schein trügt: Viele der Einrichtungen verfügen nur über weniger als drei Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter, können also nur eine relativ geringe Zahl von
Fällen
betreuen, überdies sind großstädtische Regionen häufig befriedigend, ländliche und kleinstädtische häufig unterversorgt; und schließlich gibt es über die Klientenzahlen keine zuverlässigen Angaben, so daß die Zahl der Einrichtungen allein keinen gültigen Hinweis auf die Versorgungsdichte gibt. Besseren Einblick in die Struktur der Beratungsstellen vermitteln regionale Zahlen: Eine Einrichtung in einer befriedigend versorgten Großstadt hatte im Jahre 1988 423 Familien mit Kindern beraten oder mit ihnen auch eine Therapie durchgeführt; davon wurde der Besuch der Beratungsstelle in ca. 10% der Fälle von den Kindern/Jugendlichen selbst angeregt; nun könnte man meinen, daß sich daran schon zeige, wie gering das Gewicht ist, das der selbst definierten Beratungsbedürftigkeit beizumessen ist, denn weitaus die meisten Kinder/Jugendlichen werden offenbar von anderen, zumeist den Eltern, der Beratungsstelle zugeführt und sind zumeist (ca. 75%) unter 16 Jahre alt ; es liegt nahe anzunehmen, daß eigentlich erst an dieser Altersgrenze die Fähigkeit sich ausgebildet hat, sich selbst als
beratungs-
oder
therapiebedürftig
zu definieren; die Eltern, die das Recht und die Pflicht zur Sorge für ihr Kind haben, sind also gleichsam naturgemäß auch diejenigen, die die Beratungsstelle, mit ihrem Kind, aufsuchen. In sehr vielen Fällen sind also die Eltern (72% der Fälle) die wichtigsten Klienten der Beratungsstelle, denn sehr häufig sind sie es, die an der Entstehung einer Verhaltensschwierigkeit wenigstens Mitverantwortung zu tragen haben. Aus diesem Grunde auch gehen immer mehr Erziehungsberatungsstellen zu Formen der Familienberatung und -behandlung über. Das ist freilich aufwendig, erfordert vor allem größere Zeiträume, weil hier die ganze Familie, gelegentlich auch noch ihr soziales Umfeld, das ganze
System sozialer Kommunikation
in die Beratung und Behandlung einbezogen wird – |A 26|denn die Verhaltens-, Lern- oder Handlungsprobleme des Kindes werden, in dieser Sichtweise, als Folge eines ganzen Netzes von vielleicht problematischen Beziehungen verstanden. In der Einrichtung, der die vorstehenden Zahlen entstammen, betrifft diese Behandlungsart ca. 6% der Fälle, das sind immerhin ca. 25 Familien für nur eine Einrichtung. Das ist aber möglicherweise noch zu wenig, denn die entschieden häufigsten Symptome der Kinder zeigen sich in ihren sozialen Beziehungen.
[128:41] Anders sind die Sachverhalte bei Drogenberatung und -therapie beschaffen. Da das Alter der Beratungs- und Therapiebedürftigen hier entschieden höher liegt als im Falle der Erziehungs- und Familienberatungsstellen (die zuvor zitierte Beratungsstelle hatte es nur mit 3,6%
Drogen- und Genußmittelmißbrauchs
-Fällen zu tun), hat auch die Frage nach dem selbstbestimmten Aufsuchen solcher Einrichtungen eine andere Bedeutung: Es handelt sich in der Regel um zwar junge, häufig noch adoleszente, aber im Rechtssinne mündige Bürgerinnen und Bürger. Die Frage, ob auch in solchen Fällen fremdbestimmte Veranlassungen zum Aufsuchen einer Beratungsstelle und zur Annahme eines Therapie-Angebotes gerechtfertigt sein könnten, ist ziemlich schwer zu beantworten. Die Sachlage ist besonders dann schwierig, wenn die Beratung/Therapie zugleich mit einer Strafandrohung verbunden sein sollte; der oben beschriebenen
richtigen Haltung
des Beraters könnte dadurch der Boden entzogen werden. Aber: Welche Ausmaße hat das Problem eigentlich?
[128:42] Da die statistische Dokumentation im Bereich der Beratungseinrichtungen unzureichend ist, sind die Zahlen zumeist eher Schätzungen: Es gab 1990 etwa 50 spezialisierte
Jugend- und Drogenberatungsstellen
in den alten Ländern der Bundesrepublik (für diese und die weiteren Zahlenangaben vgl. Jahrbuch Sucht 1992 und Achter Jugendbericht 1990); insgesamt aber kümmerten sich ca. 800 Beratungsstellen um diese Probleme, viele allerdings nur nebenbei, und viele ohne besondere Aufmerksamkeit für Jugendliche. Man geht von ca. 100.000 Hilfesuchenden aus, nur die Hälfte davon ist aber mit einer Beratungsstelle in Kontakt; und von diesen wiederum sind nur ungefähr 7% Jugendliche (Auszubildende, Schüler und Studierende). Aus solchen Zahlen ergibt sich eine schwer zu beantwortende Frage: Der sehr geringe Anteil derjenigen, die sich selbst als beratungs- oder therapiebedürftig empfinden und deshalb eine solche Einrichtung aufsuchen,, kann als ein Hinweis darauf gedeutet werden, daß wir im Hinblick auf vorbeugende Hilfen ziemlich ratlos sind und daß die sozialpädagogischen Institutionen, jedenfalls im Bereich der Drogenhilfe, erst dann auf den Plan treten, wenn ein Problem lebensgeschichtlich dramatische oder gar ausweglos scheinende Formen angenommen hat. Darf man in dieser Situation auf dem Beratungsgrundsatz bestehen, der Klient müsse un|A 27|ter allen Umständen sich selbst als beratungsbedürftig bestimmen, ehe eine institutionelle Intervention, ein wenn auch sanft vorgenommener Eingriff von außen in sein Leben erfolgt? Schwer zu entscheiden.
[128:43] Man sieht an diesen beiden Einrichtungen – den Erziehungs-/Familienberatungsstellen und den Einrichtungen der Suchthilfe – besonders deutlich, in welcher Weise sozialpädagogische Einrichtungen eine Gratwanderung zu bewältigen haben zwischen förderlicher Unterstützung in schwierigen Lebenslagen und möglichst frühzeitiger Kontrolle von Entwicklungen, die in problematische und belastende Biographien hineinführen können. Jedenfalls sind für den Bereich der Suchtberatung die geringen Erfolgsquoten – nur ca. 17% der Beratungs- und Behandlungsfälle werden als
gebessert
eingestuft – Anlaß zum Nachdenken und zu verbesserter Forschung.

1.3.5. Jugendstrafvollzug

[128:44] Jugendstrafanstalten sind der vielleicht problematischste, sicherlich aber der extremste Fall sozialpädagogischer Einrichtungen. Der sozialpädagogische Konflikt zwischen förderlicher Hilfe/Unterstützung und öffentlichem Eingriff/Kontrolle tritt hier am stärksten und am offensichtlichsten hervor. Die Unterbringung eines Jugendlichen in einer Jugendvollzugsanstalt erfolgt durch die Anordnung eines Jugendgerichtes nach einem regulären Jugendgerichtsverfahren (gemäß JGG), ist also die Verhängung einer Freiheitsstrafe (Jugendstrafe), Einsperrung für viele Monate oder Jahre, in Einzel- oder Gruppenzellen und mit einem höchst künstlichen Lebensalltag, der nur noch entfernt Ähnlichkeit mit einem
normalen
Leben hat. Ist unter solchen Strafbedingungen überhaupt noch Erziehung möglich? Das Gesetz verlangt dies, denn die Jugendstrafe als Freiheitsentzug soll dem Zweck der Erziehung – oder, mit einem unschönen Fremdwort: der
Resozialisierung
– dienen. Die gefängnismäßige Einsperrung und Absonderung der straffällig gewordenen Jugendlichen von den sozialen Kontexten, in denen sie gelebt haben, soll also dazu genutzt werden können, sie dort wieder – mit dann hoffentlich eher sozialverträglichen Verhaltensweisen – einzugliedern, zu
resozialisieren
. Das könnte als eine absurde Aufgabenstellung erscheinen.
[128:45] Auch im Falle dieser Einrichtung ist es nützlich, sich den Umfang des Problems klarzumachen und damit auch die Art der von dieser Einrichtung betroffenen Jugendlichen vor Augen zu führen. Zunächst ist es wichtig zu wissen, daß von allen Jugendlichen, die in ein Jugendgerichtsverfahren verstrickt werden, nur etwa knapp 10% zu einer Jugendstrafe, also Unterbringung in einem Jugendgefängnis, verurteilt werden (übrigens sind von diesen nur etwa ein |A 28|Zwanzigstel Mädchen oder junge Frauen). Obwohl nach dem Gesetz möglich (Strafmündigkeit mit 14 Jahren), wird fast niemand unter 16 Jahren zur Jugendstrafe verurteilt. Ehe es dazu kommt – nicht nur bei den unter 16jährigen, sondern in der überwältigenden Zahl der Fälle auch bei den älteren –, benutzt der Jugendrichter die vielen anderen ihm gesetzlich zur Verfügung stehenden Möglichkeiten: Er kann es bei einer Verwarnung belassen, eine Wiedergutmachung des Schadens anordnen, den Jugendlichen zu einer Arbeit verpflichten, ihn zu einer gemeinnützigen Tätigkeit veranlassen und vieles andere mehr. Erst wenn nach häufig wiederholter
Rückfälligkeit
und angesichts der Schwere der Straftat alle Wege erschöpft zu sein scheinen, wird der Jugendrichter eine Jugendstrafe verhängen.
[128:46] Wer als Jugendlicher derzeit zur Verbüßung einer Jugendstrafe in einer Jugendstrafvollzugsanstalt untergebracht ist, von dem darf in der Regel angenommen werden, daß er sich über Jahre hinweg in einer
kriminellen Karriere
befindet, ohne daß ein Ende abzusehen ist – daß er, auch dies in Wiederholungen, schwere Straftaten beging (etwa schwere Körperverletzung, Raub) – oder daß er durch einmalige, aber äußerst schwerwiegende Verbrechen (Tötungsdelikte) nach der Rechtsauffassung des Gerichtes derart schwere Schuld auf sich geladen hat, daß eine Freiheitsstrafe gerechtfertigt erscheint. Dies alles – selbst noch das Tötungsdelikt – kann aber in der größten Zahl der Fälle, jedenfalls im Jugendalter, als Moment höchst schwieriger, belasteter, konflikthafter Lebensläufe interpretiert werden. Wie soll die Einrichtung
Gefängnis
darauf vernünftig reagieren, zumal viele Straftaten als Folge gesellschaftlicher Entwicklungen leicht zu identifizieren sind, beispielsweise: Die Eigentumsdelikte von Jugendlichen nahmen in den letzten 10 Jahren parallel zu der – häufig wenig scharf geahndeten – Wirtschaftskriminalität der Erwachsenen zu; die Ladendiebstähle vermehrten sich mit der Vermehrung der Supermärkte; die
Verkehrskriminalität
von Jugendlichen stieg in dem Maße, in dem der Verkehr insgesamt zunahm und robuster wurde. Derartige gesamtgesellschaftliche Abhängigkeiten individueller Biographien kann auch ein Jugendgefängnis nicht außer Kraft setzen. Es kann nur zweierlei zu erreichen suchen: eine folgenreiche Einsicht in die eigene Verantwortlichkeit für das soziale Handeln und den Erwerb von Verhaltensweisen und Handlungsstrategien, die sozial verträglich sind. Wie macht man das – und ist das überhaupt möglich unter der Bedingung des gefängnismäßigen Freiheitsentzuges?
[128:47-48] Im Jahre 1984 beispielsweise (alle Zahlen nach: Deutscher Bundestag, Drucksache 10/6739) befanden sich 6.406 Jugendliche (14 – 18 Jahre alt) in Jugendgefängnissen (davon nur 294 weibliche); man muß aber die
Heranwachsenden
im Alter von 18 – 21 Jahren (noch einmal 13.327, darunter 823 weibliche) hinzurechnen. Ca. 20.000 Jugendliche im weiteren Sinne |A 29|befanden sich also in bundesdeutschen Gefängnissen. Je nach Größe eines Bundeslandes (z. B. Bayern ca. 3.500, Schleswig-Holstein ca. 800) gibt es dort je mehrere Vollzugsanstalten. Diese sind nach Strafdauer und Behandlungsarten gegliedert, und man kann sagen, daß dies zugleich eine Gliederung nach der
Schwere der Schuld
, und das heißt auch nach der Schwierigkeit der je individuellen Biographie ist. So gibt es Jugendgefängnisse, die nur für Jugendliche mit kurzen Freiheitsstrafen unter fünf Monaten vorgesehen sind. Hier wird gegenwärtig ein Erziehungsstil realisiert, der die Prinzipien der Heimerziehung mit denen des juristischen Strafzwecks locker zu verbinden sucht, und zwar dadurch, daß sogenannte
offene
Formen des Vollzuges angestrebt werden: Die in Gruppen zusammenwohnenden Jugendlichen werden, soweit irgend möglich, an Ausbildungs- und Arbeitsplätze im näheren regionalen Umfeld vermittelt, müssen sich aber in der übrigen Tageszeit dem Anstalts-Reglement unterwerfen. Jugendliche, die längere, zum Teil viele Jahre währende Strafen zu verbüßen haben, erleben derartige Formen eines halboffenen Vollzuges erst gegen Ende ihrer Haftzeit. Den größten Teil der Aufenthaltsdauer im Gefängnis verbringen sie vollständig eingeschlossen. Der Erziehungs- bzw. Resozialisierungsaufgabe versuchen die Anstalten dadurch nachzukommen, daß innerhalb der Gefängnismauern möglichst viel geschieht im Hinblick auf versäumtes Lernen, auf Eingliederung in die Berufswelt, auf soziale Verhaltensweisen u. ä. Ein sehr großer Teil dieser Jugendlichen/Heranwachsenden verfügt nicht über einen regulären Schulabschluß; der größte Teil hat keine abgeschlossene Berufsausbildung; die meisten haben nicht lernen können, wie man mit Personen umgeht, die sich außerhalb der engsten eigenen, zumeist ebenfalls
kriminellen
Subkultur oder Clique befinden; in ihren privat-personalen Beziehungen scheiterten die meisten. Eine Jugendstrafvollzugsanstalt müßte alle diese Aufgaben bewältigen. Sie tut das in vielen Fällen durch ein gefängnis-internes Unterrichtsangebot, durch Bereitstellung von Arbeits- und Berufsausbildungsmöglichkeiten, durch soziale Trainingskurse, durch Therapie-Angebote.
[128:49] Die Wirklichkeit der
Gefängnis-Pädagogik
ist indessen in vielen Fällen von einer derartigen Ausgestaltung des Vollzuges der Jugendstrafe noch entfernt. Die Gründe dafür sind nicht nur finanzieller Natur. Für viele Kritiker liegen sie vor allem in einer, wie behauptet wird, prinzipiellen Unvereinbarkeit von Erziehungs- und Strafzweck, besonders wenn, wie in diesem Fall, die Strafe in einem längerfristigen Freiheitsentzug besteht. Seit es die Jugendstrafe gibt, also seit 1923, wird deshalb auch diskutiert, ob sie nicht abgeschafft werden sollte. Die dafür ins Feld geführten Argumente sind vor allem psychologischer und pädagogischer Art: Die Biographien jugendlicher Straftäter, besonders derjenigen, die zu einer Jugendstrafe verurteilt |A 30|werden, sind derart konflikthaft, entbehrungsreich, auch in viele Zufälle verstrickt, daß eigentlich eine Entkriminalisierung des Jugendrechts nötig sei – im Extremfall wird die Heraufsetzung der Strafmündigkeit auf 18 Jahre gefordert. Erst dann habe eine pädagogische und therapeutische Behandlung wirklich eine Chance, könne die Resozialisierungsaufgabe erfüllt werden. Die hohe Rate der
Rückfälligen
, derer also, die trotz dieser harten Strafform immer wieder straffällig werden, also eine verfestigte
kriminelle Karriere
einschlagen (das sind mehr als zwei Drittel), scheint jenen Kritikern recht zu geben. Der Gegeneinwand bringt zur Sprache, daß es dann aber nicht mehr die
abschreckende Wirkung
der Strafe gebe und möglicherweise gerade ein Anreiz für Straftaten im Jugendalter geschaffen werde. In dieser Kontroverse steckt im Kern ein pädagogisches Problem von allgemeiner Bedeutung: Mit welchen Regeln, Maßnahmen, Einrichtungen kann eine Kultur sichern, daß ein Bewußtsein der Differenz von Recht und Unrecht aufrechterhalten und bekräftigt wird? Wie kann sie vor allem Sorge dafür tragen, daß im Jugendalter, der für die Bildung des Rechtsbewußtseins entscheidenden Lebensphase, diese Differenz nicht nur eingesehen wird, sondern auch Folgen im sozialen Handeln hat? Und gehören nicht, trotz allem notwendigen Verständnis für schwierige Lebenslagen und Lebensläufe, die Unterscheidungen von Recht und Unrecht, Strafe und Sühne, letzten Endes also ein Begriff von Schuld und schuldhaftem Handeln notwendig zu dem, was auch der Pädagoge nicht aus seinen Orientierungen streichen darf? Wenn es gelänge, die Jugendgefängnisse abzuschaffen, ohne damit zugleich jene Orientierungen zu vergessen, könnte das Problem vielleicht einer Lösung nähergebracht werden.
[128:50] Damit sind die sozialpädagogischen Einrichtungen keineswegs vollständig beschrieben, sondern nur fünf besonders markante Typen charakterisiert. Es liegt in der Eigenart der Sozialpädagogik, der außerschulischen Bestandteile unseres modernen Erziehungs- und Bildungssystems, daß vorhandene Einrichtungen sich beständig differenzieren und neue hinzukommen. Denn: Dieser Teil der pädagogischen Versorgung der Bevölkerung muß, manchmal sehr kurzfristig, auf entstehende Notlagen, auf aktuell neu auftauchenden Bedarf, auf Erfolglosigkeit alter Einrichtungen reagieren. Dafür sollen noch einige Beispiele wenigstens benannt werden.
[128:51] Das Unbehagen an den öffentlichen Formen der Kindergartenerziehung führte nach 1968 zur Gründung von privaten Initiativen der Vorschulerziehung (
Antiautoritäre Kindergärten
). Die Schwierigkeiten der Heimerziehung, besonders bei Jugendlichen über 16 Jahren, führten in den 70er Jahren zur Einrichtung von
Jugendwohngemeinschaften
, also kleinen Haushaltseinheiten mit sechs bis neun Jugendlichen und einer entsprechenden Anzahl von pädagogischen Betreuern. Die Zunahme von Suchtgefährdeten und Suchtabhängigen machte neuarti|A 31|ge Beratungs- und Therapie-Einrichtungen nötig. Die angestiegene Aufmerksamkeit für Kindesmißhandlungen hatte zur Folge, daß Kinderschutzstätten eingerichtet und neue Formen der Hilfe für die in Gewalt verstrickten Familien gesucht wurden. Das sind nur einige Beipiele dafür, daß, im Unterschied zum System des Unterrichts und der Schulen, die sozialpädagogischen Einrichtungen sich beständig neuen Problemlagen anpassen müssen. Das hat Folgen für die wissenschaftliche Beschäftigung mit diesem Problemfeld: Die Pädagogik/Erziehungswissenschaft allein ist nicht in der Lage, die nötige Forschungsarbeit zu leisten; soziologische Analysen gesellschaftlicher Strukturveränderungen und der Ursachen für jene Problemlagen sind ebenso nötig wie kriminologische Forschung, eine kritische Diskussion gesetzlicher Bedingungen oder die psychologische Klärung von Behandlungsmöglichkeiten.

1.4. Schluß: Normalitätsentwürfe

[128:52] Daß es innerhalb unserer Kultur
normal
ist, wenn erwartet wird, jeder Bürger solle lesen, schreiben und rechnen können, solle mit den wichtigsten Inhalten der Kultur bekannt geworden sein, solle schließlich auch arbeits- und berufsfähig werden – das ist derart selbstverständlich, daß es uns kaum einfällt, solche Erwartungen in Zweifel zu ziehen. Auch wenn einzelne Bildungsinhalte der Schulen gelegentlich ein wenig verändert werden, akzeptieren wir doch im ganzen den
Normalitäts-Entwurf
, den die Schulen repräsentieren. Und wir glauben, uns darauf verlassen zu können, daß im Regelfall jedes Kind, jeder Jugendliche bereit und in der Lage ist, dieser Vorstellung eines normalen Lebens, normaler Sozialbeziehungen, normaler Wissensbestände und Fähigkeiten zu folgen.
[128:53] Das ist in der Sozialpädagogik anders. Sozialpädagogische Einrichtungen haben es gleichsam mit der anderen Seite jenes kulturellen Normalitätsentwurfs zu tun. Mit Ausnahme vielleicht des Kindergartens ist jede sozialpädagogische Einrichtung einer doppelten Schwierigkeit konfrontiert: Sie hat es einerseits in der gößten Zahl der Fälle mit einer Klientel zu tun, der es schwer fällt, sich in die Normalitätserwartungen einzufädeln, freilich aus ganz verschiedenen Gründen; diese können in der psychosomatischen Charakteristik des Individuums liegen, in gesellschaftlichen Bedingungen (z. B. Jugendarbeitslosigkeit, Kindesmißhandlung), in normativen Konflikten zwischen den kulturell-allgemeinen Normalitätserwartungen und dem Wunsch oder Willen nach irgendwie andersartigen Formen der Lebensführung oder gar im offenen Widerspruch zu den gesellschaftlich herrschenden Normen. Die Sozialpädagogik hat sich deshalb mit der Frage auseinanderzusetzen, ob der kulturell-allgemeine Normalitätsentwurf weiterhin Geltung beanspruchen darf. Die Klienten sozialpädagogischer Ein|A 32|richtungen sind ja zum großen Teil solche, deren Lebensschwierigkeiten aus dem Konflikt mit den Standard-Erwartungen entstehen. Die Einrichtungen, ihre Mitarbeiter müssen deshalb diesen Konflikt sich zum Thema machen; sie können nicht – wenn sie ihre Klientel wirklich verstehen wollen – naiv die Partei der einen oder der anderen Seite nehmen.
[128:54] Das zeigt sich an sehr verschiedenen, mehr oder weniger dramatischen Lebenssituationen: Einrichtungen der Familienberatung, -Bildung und -Therapie, aber auch die sozialpolitischen Strategien der Familien-Hilfe sind mit der Frage konfrontiert, ob der
Normalitätsentwurf
der bürgerlichen Kleinfamilie nicht modifiziert werden muß, besonders angesichts des steigenden Anteils sogenannter alleinerziehender Elternteile. Selbstverwaltete Jugendzentren konfrontieren die dort arbeitenden Sozialpädagogen gelegentlich mit der Frage, ob anarchistische Orientierung noch mit der Funktion öffentlich subventionierter Jugendarbeit verträglich sind. Behinderte Kinder veranlassen dazu, die Standardformen des schulischen Unterrichts in Frage zu stellen. Angesichts steigender Drogenabhängigkeit entstehen Zweifel im Hinblick auf den traditionellen Umgang unserer Kultur mit Drogen jederlei Art. Die (schleichende) Verlängerung des Jugendalters stellt unsere Erwartungen im Hinblick auf die Normen altersgemäßen Verhaltens in Frage, damit auch die Standardformen gelungener Bildungs- und Berufskarrieren. Angesichts der Unfähigkeit des Rechtssystems, mit den vielfältigen Formen von Wirtschaftskriminalität in der Erwachsenen-Generation fertig zu werden, mag man sich fragen, wo noch der Geltungsgrund liegt für eine strenge strafrechtliche Verfolgung von Eigentumsdelikten Jugendlicher.
[128:55] Sozialpädagogische Einrichtungen haben es letzten Endes also immer nicht nur mit den alltäglichen Erziehungs-, Bildungs- und Behandlungsproblemen zu tun, sondern auch mit derart fundamentalen Rückfragen an die normativen Geltungsgründe unserer kulturellen Lebensform, unserer kollektiven Normalitätsentwürfe. Das sind teils empirische (stimmen die Tatsachenbehauptungen?), teils kulturtheoretische (befindet sich die moderne Gesellschaft wirklich in einer Art Übergang zu neuen Formen?), teils ethische Fragen (gibt es eine Form des guten/gerechten Lebens, die ich argumentativ vertreten kann?). Derartige Fragen stellen sich nur dem, der sensibel ist für die Dynamik der gesellschaftlichen Entwicklungen und der Risiken, die sie bergen. Sozialpädagogische Einrichtungen können solchen Fragen kaum ausweichen.
|A 33|

Nachdenken über Erziehung – Schwierigkeiten mit der Moderne

[143:1] Daß Sie1
1Die Diktion des Vortragstextes habe ich im folgenden beibehalten
zur Eröffnung einer Tagung, die doch offenbar an praktischen Problemlösungen interessiert ist, jemanden bitten, also mich, der eher dem Bereich akademischer, forschungsgestützter Argumentation zugehört als dem Bereich pädagogischer Praxis, läßt mich vermuten, dass Ihnen ein Blick aus der Distanz willkommen ist. Das fällt denjenigen, die sich Pädagogen nennen, nicht ganz leicht, meint der Name
Pädagogik
doch zumeist zweierlei: eine gesellschaftliche Tätigkeit, die sich auf die Praxis des Umgangs der Generationen miteinander bezieht, und eine Form des Argumentierens, die diese Tätigkeit sich zum Gegenstand macht. Sie werden also von mir, so hoffe ich, keine praktischen Empfehlungen für die Praxis von Schule und Sozialarbeit und all dessen, was, mit Bezug auf den Umgang der Generationen miteinander, gesagt werden könnte, erwarten, sondern nur eine (distanzierte) Beschreibung von (möglichen) Argumentationen. Zu den Argumentationen gehören auch die im gegenwärtigen Diskurs vorgeschlagenen Orientierungen, die zwar die alltägliche Praxis betreffen können, ihrerseits aber aus eher allgemeinen gegenwartsdiagnostischen Optionen gefolgert werden.
[143:2] In dieser Absicht werde ich die folgenden Fragen behandeln: 1. Gegenwärtiges Krisengerede, 2. Grundthemen der Erziehung und Bildung, 3. Besonderheiten des außerschulischen Feldes und 4. Zwei Konstruktionen von
Pädagogik
.

2.1. Krisengerede

[143:3] Wer von
Krisen
redet, darf zumeist der öffentlichen Aufmerksamkeit sicher sein. Andererseits ist es wie beim Roulette, nur daß der Croupier hier nicht sofort auf
rouge
oder
noir
erkennen lässt. Die Prüfung des Befundes dauert einige Zeit; inzwischen steigen die Auflagen der Diagnostiker; der materielle und ideologischeGewinn ist ihnen sicher.
[143:4]
Krise
nennen wir, in Anlehnung an die medizinische Diagnostik, eine Situation, in der es um Leben oder Tod geht;
Krise
meint aber, jedenfalls nach der ursprünglichen Bedeutung dieser Vokabel, auch schon eine Lage, in der nach wahr oder unwahr, richtig oder falsch, gerecht oder ungerecht entschieden werden muss. Nach dieser zweiten Bedeutung lebt unsere Gattung beständig in
Krisen
. Das Krisengerede indessen profitiert von der dramatischen medizinisch-diagnostischen Konnotation, so als stünde Wesentliches auf dem Spiel.
Offensichtlich befindet sich die Pädagogik in einer tiefen Krise, die alle Ebenen erfasst hat, die dafür in Frage kommen
(Giesecke 1996)
, so heißt es dann beispielsweise. Schaut man |A 34|sich dann aber die Befunde an, auf die derart kühne Behauptungen sich zu gründen versuchen – es ist übrigens ein Charakteristikum dieser Art von Literatur, daß sie mit der zuverlässigen Ermittlung von Tatsachen relativ großzügig umgeht –, dann stößt man auf
alte Hüte
, d. h. auf Problemstellungen, mit denen unser Erziehungs- und Bildungssystem seit gut 200 Jahren zu tun hat. Ich nenne einige Beispiele:
  • [143:5] Zur
    Krise
    der Schule:
    Seit der französischen Revolution, spätestens seit Humboldts Argumentationen und der preußischen Bildungsreform vor knapp 180 Jahren gibt es, wenn man so reden will, eine Dauerkrise im Hinblick auf die Gestalt des Curriculums. Das ist nicht zu beklagen, sondern ein akzeptabler Sachverhalt. Wenn die Diagnose stimmt, daß moderne Gesellschaften es mit einer Beschleunigung ihrer Entwicklung zu tun haben, dann müssen Lehrpläne solchen Veränderungen Rechnung tragen. In eine
    Krise
    geräte dann ein Bildungswesen, das dazu nicht mehr in der Lage ist. Ähnliches gilt für die Erziehungskomponente des Unterrichts: Wenn nun tatsächlich 100% der nachwachsenden Generation in Schulen versorgt werden, dann wächst der Schule unweigerlich eine
    erzieherische
    Komponente zu, über das Unterrichten hinaus. Daß sich damit Schwierigkeiten, besonders auch für den Lehrerberuf, einstellen, kann gar nicht bestritten werden. Eine kulturelle
    Krise
    würde allerdings dann riskiert werden, wenn die Schule und ihr professionelles Personal die Durchlässigkeitszumutung zwischen Unterricht und Erziehung konsequent und organisiert verweigern würden. Derartiges aber ist nicht in Sicht.
  • [143:6] Zur Krise der Familie. Sie befindet sich, wenn man das Vokabular des Krisengeredes verwenden will, seit 250 Jahren in einer Dauerkrise. Zunächst mußte sie sich, im Unterschied zu den Haushaltseinheiten vorangegangener Jahrhunderte, als kleiner privater Binnenraum mit großer Dichte emotionaler Beziehungen konstitutieren und dann behaupten. Dann geriet sie unter den Druck der Erwartungen des öffentlichen Unterrichtssystems, bis zum Kindergarten hinab. Sie mußte sich fragen, ob sie ein eigenständiger Ort des Lebens ist oder nur eine Zuliefer-Instanz für institutionelle Bildungskarrieren. Schließlich, in unseren Jahrzehnten, wird die Konkurrenz zu anderen Instanzen der Sozialisation hervorgehoben, gelegentlich auch beklagt. Freilich nehmen die
    Kids
    vielerlei außerfamiliare und außerschulische Erfahrungsfelder in Anspruch: die Peer-Groups, das Fernsehen, die Medien überhaupt, das Lernen am Computer (den Eltern zumeist noch fremd), die Disco, die Fußgängerzonen u. ä.. Aber sie kehren von diesen Erfahrungen immer wieder, jedenfalls bis zum 14. oder 16. Lebensjahr, in diese Haushaltseinheit zurück. Ich hätte – trotz der unbestreitbaren, aber nur gelegentlichen, pathogenen Struktur von Familien – keinen Grund, hier von
    Krisen
    zu reden. |A 35|Eher schon schiene mir dieses Etikett angebracht angesichts der enormen Schwierigkeiten, die ein Landarbeiter-Haushalt um 1860 hatte, sich in das proletarische Milieu irgendeiner europäischen Metropole einzufädeln. Das, damals, könnte man als Krise des bürgerlichen Familienkonzepts bezeichnen. Was wir heute erleben, sind eher Nachhutgefechte, aber keine
    Krisen
    . Es sind Anpassungserfordernisse an den Prozess fortschreitender Modernisierung.
  • [143:7] Zur Krise der Sozialpädagogik: Im Hinblick auf dieses Feld pädagogischer Praxis, gemeinhin Kinder- und Jugendhilfe genannt, gilt Ähnliches. Von einer
    Krise
    ließ sich allenfalls reden, als im Bereich des damaligen Deutschen Reiches, nach dem Ersten Weltkrieg, die nur auf sozialisatorische Kontrollhandlungen erpichte Jugendpflege und Jugendfürsorge des Kaiserreichs einem Entwurf von Jugendwohlfahrtspflege konfrontiert wurde, der
    Hilfe
    statt
    Kontrolle
    im Auge hatte; wenngleich noch eher halbherzig. Damit war eine
    kritische
    Lage signalisiert, die bis heute ihre Problemkontur nicht verloren hat. Wir sind also Erben dieser Lage – bis hin zu den Fragen, die sich nicht nur für die aktuellen Probleme der Heimerziehung, des Streetwork, der verschiedensten therapeutischen Bemühungen ergeben, sondern auch für die Frage, was denn noch sinnvolle Jugendarbeit oder Jugendverbandsarbeit sein könnte. Letztere kam, in den 50er und 60er Jahren, tatsächlich in eine Krise, als nämlich sich zeigte, daß die Mitgliederzahlen derart schrumpften, dass das Konzept außerschulische Bildung überhaupt fragwürdig zu werden drohte. Mit einiger Verzögerung geriet die Heimerziehung unter Druck und wurde, endlich, genötigt, sich auf die Hilfe für ihre Klientel einzulassen und sich nicht mehr als ein Ensemble von Kontrollhandlungen zu begreifen. Die modischen Vokabeln wie etwa
    Lebensweltorientierung
    indizieren keine Krise, haben inzwischen auch keinerlei
    Brisanz
    mehr, sondern zeigen nur den normalen Gang der Ereignisse in modernen differenzierten und die Würde ihrer Bürger achtenden Sozietäten an.
[143:8] Das aktuelle Krisengerede will mir also, als pädagogische Rede, nicht einleuchten. Die historisch je ermittelbaren tatsächlich dramatischen Krisen sind im Übergang zur bürgerlichen Demokratie zu finden, mal früher, mal später. Womit wir heute – in Schule, Familie und Jugendhilfe – konfrontiert sind, das sind Anpassungsprobleme an die sich beständig verändernden Bedingungen der Sozialstruktur.
[143:9] In dieser Hinsicht könnten uns nun allerdings tatsächlich Krisen bevorstehen, wenn wir uns nicht schon mittendrin befinden sollten. Ich sehe zwei solcher Krisenpotentiale, die nun aller|A 36|dings nicht der Pädagogik entstammen, sondern ihr vorgegeben sind: die Krisen des ökonomischen Systems und die zu erwartenden Schwierigkeiten im Blick auf multikulturelle oder multiethnische Gesellschaften. Beide Problemstellungen bringen die pädagogische Überlieferung und die in demokratischer Attitüde entworfenen Selbstverständlichkeiten der Egalité und Fraternité in praktische und theoretische Dilemmata. Die Pädagogik, als praktische wie als theoretische Tätigkeit, muß die Folgen verarbeiten, die sich daraus für ihr eigenes Feld ergeben. Eine
Krise
dieses gesellschaftlichen Teilsystems könnte sich allerdings dann auch hier einstellen, wenn dieses sich als unbeweglich erwiese und das angeblich
bewährte Alte
als Problemlösung empfehlen würde oder wenn, innerhalb der wissenschaftlichen Bearbeitung solcher Probleme, die zuhandenen Argumentationen versagen sollten (Lenzen 1996). Mit anderen Worten: Wer die
Krisen
-Rhetorik liebt, wird sie allemal herbeireden können. Ich liebe diese Rhetorik nicht und möchte deshalb einfach nur von dem sprechen, was mir relativ dauerhaft wichtig scheint.

2.2. Grundthemen der Erziehung und Bildung

[143:10] Die Titelfrage dieser Tagung, nämlich ob die Pädagogik sich als
Reparaturwerkstatt
für misslingende Sozialisation oder ob sie sich als
Zukunftsschmiede
verstehen solle, hat nicht nur in der Wahl dieser Opposition, sondern schon in den Vokabeln etwas Provozierendes2
2Der Titel jener Tagung lautet: Schule und Soziale Arbeit – Reparaturwekstätte oder Zukunftsschmiede?
. Daß Pädagogik sich einerseits mit Vergangenheiten, andererseits mit Zukünftigem befaßt, wird seit vielen hundert Jahren niemand leugnen. Inwiefern aber zur Beschreibung dieser Verhältnisse mechanistische Metaphern tauglich sind, ist seit 250 Jahren, seit La Mettries
l’homme machine
, strittig. Die Maschinen-Metapher, aber auch die ihr entgegengesetzte einer dynamischen Ganzheit des
Organismus
hat einige Plausibilität. Überdies waren beide in der Geschichte des pädagogischen Denkens ziemlich produktiv. Da dies aber ein eigenes Thema wäre und ich zu beschreiben hätte, welche Richtungen mit der Wahl solcher Metaphern eingeschlagen werden und wie sie sich zueinander verhalten, verzichte ich auf solche Erörterungen (vgl. Meyer-Drawe 1996). Ich bleibe also gewißermaßen
unterhalb
solcher denkstrategisch wichtigen Problemstellungen.
[143:11] Jeder Versuch,
Grundthemen
zu ermitteln, enthält das Risiko, das komplexe Feld von Praktiken und Forschungen über Gebühr zu stilisieren, zumal dann, wenn man sich auf wenige zu beschränken sucht. Unabhängig von deren institutioneller Lokalisierung möchte ich die folgenden vier Themen in die Aufmerksamkeit, in den Vordergrund rücken: Generation, univer|A 37|salistische moralische Orientierungen, Interkulturalität und die aisthesiologischen Komponenten der Bildung des Menschen. Alle vier Themen haben den Vorteil, pädagogisch Allgemeines zur Sprache zu bringen, in der Geschichte überliefert zu sein und auf ungelöste Probleme in der gegenwärtigen Praxis und Theorie zu verweisen.
[143:12] 1. Generation: Die täglichen Anforderungen der Praxis in den verschiedenen und inzwischen höchst spezialisierten pädagogischen Institutionen verstellen leicht den Blick dafür, daß sie alle eingebettet sind in einen kulturellen Entwurf des Verhältnisses der Generationen zueinander. Diesen auf lange Zeiträume hin gerichteten Blick hatte vor 170 Jahren Schleiermacher empfohlen. Die inzwischen bis zum Überdruß zitierte Ausgangsfrage der Pädagogik lautet, in Schleiermachers Worten:
Was will denn eigentlich die ältere Generation mit der jüngeren?
Man kann diese Frage heute in zwei verschiedene differenzieren, nämlich: Was will ein Individuum der erwachsenen Generation im Hinblick auf die ihm verbundenen Individuen der heranwachsenden, und welche Vernunftgründe kann es für seine Art des Umgangs mit Kindern und Jugendlichen geltend machen? Und: Welche Verhältnisse, als sozialstrukturelle Systemvorgaben, sind herrschend oder greifen Platz, Vorgaben, die ohne Rücksicht auf konkrete Personen und individuell verantwortete Formen des Umgangs den Rahmen markieren, innerhalb dessen das pädagogische Handeln spielt, auch wenn es sich dieses Rahmens nicht bewußt ist. – Jede dieser beiden Fragen enthält eine je eigene Problematik.
[143:13] Die erste Frage wird, wie es scheint, zunehmend ausgedünnt. Sie droht, im Unterschied zu Schleiermachers Begriff von der Sache, auf private Dimensionen oder auf die Verhältnisse singulärer Erziehungseinrichtungen zu schrumpfen: Die kulturelle Überlieferungsaufgabe wird den von Personen verantworteten Handlungen im Umgang mit der jüngeren Generation von anderen Instanzen der Sozialisation immer mehr aus der Hand genommen. Denkt man sich die Familie als den primären Ort der Artikulation von Generationenbeziehungen, dann wird eine solche Behauptung anschaulich: Die Erfahrungsberichte und die Fälle mehren sich, in denen nicht mehr Generationen-Beziehungen inszeniert werden, sondern die junge Generation eigene Wege geht und sich selbst inszeniert. In Venedig beispielsweise, eine Familie, ferienmäßig: Wer studiert die Bellinis, wer die Biennale, wer die Discos? Oder in Bern: Ist Paul Klee noch ein relevantes Thema oder haben Computer-Bilder und Videoclips nicht längst dessen Stelle eingenommen? – In dieser Situation schrumpft die Generationenbeziehung fast auf nur eine Frage zusammen: Bin ich, als Erwachsener, ein noch hinreichend überzeugendes Modell für zukunftsfähige Problemstellungen? Mit dieser Frage sind nicht nur Eltern, sondern auch die Lehrerinnen und Lehrer der Altphilologie (beispielsweise), ist auch die |A 38|Heimerziehung konfrontiert, etwa dann, wenn es um Entscheidungen über innenarchitektonische Ausgestaltung der Räume geht. Krisenhaft ist die Lage dann, wenn die ältere Generation den Mut und die Kraft verliert, die deutliche Konturierung ihrer eigenen Lebensform, ihrer Herkünfte und Zukunftsprojektionen zur Geltung zu bringen, konturiert zur Diskussion zu stellen, ohne dadurch die Selbstinszenierungen der jungen Generation abzuwerten.
[143:14] Eine solche Empfehlung folgt noch der Meinung Schleiermachers, ist also selbst ein Moment der traditionellen und überlieferungswürdigen Bestände unserer Kultur. Etwas anders steht es mit der zweiten Frage, den sozialstrukturellen Vorgaben. Viel ist gegenwärtig die Rede vom
Generationen-Vertrag
. In seinem Licht könnten die individuell zu präsentierenden und zu verantwortenden Entwürfe von Generationen-Beziehungen obsolet erscheinen, als Reste eines idealistischen Denkens, das von der irrigen Meinung geleitet ist, die Ausgestaltung der Generationen-Beziehung sei noch in der Verfügung der Individuen. Die gesellschaftlichen Verhältnisse haben längst andere Entscheidungen gesetzt. Z. B.: Die ethnologisch vergleichende Sozialpolitik-Forschung hat uns darüber belehrt, daß, je zuverlässiger die staatliche Altersvorsorge gesichert ist (Altersrenten), um so dünner und brüchiger die persönlich bestimmten Beziehungen zwischen den Generationen werden können. Das ist plausibel, denn die adressatenunspezifische frühzeitige Zahlung von Rentenbeiträgen entlastet die persönlich bestimmte Verantwortung für die Alten, kann deshalb auch die persönliche Beziehung zwischen den Generationen ausdünnen. Der
contrat social
hat also Folgen im System der Interaktionen. Es gibt auch, neuerdings, den umgekehrten Fall: Die Wirtschaft ist, gelegentlich, nicht mehr in der Lage, für die junge Generation ausreichende Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen, kündigt also den Generationen-Vertrag zu seiner einen Seite hin. Zwar müßen die jungen Arbeitnehmer ihre Rentenbeiträge zahlen, sie haben aber keine Garantie dafür, daß sie dazu überhaupt in der Lage sein können. Der sicherlich wohlmeinenden Idee, wir müßten die Beziehungen zwischen den Generationen als persönlich zu verantwortende, das Verhältnis der Vergangenheit zur Zukunft reflexiv in Rechnung stellende Beziehung zum Thema machen, wird dadurch der Boden entzogen. Wer erzieherisch tätig ist, als Eltern, Lehrer oder Sozialpädagogin, muß heute mit dieser Differenz, oder gar mit diesem Widerspruch, seinen Weg zu finden suchen. Die Differenz wurde kürzlich in einer anschaulichen Metapher formuliert: Sollen wir uns die
Neuankömmlinge
in unserer Gesellschaft, die Kinder also, wie Immigranten denken, die sich unserer Kultur assimilieren müssen, oder wie Neuankömmlinge, denen wir eine wohnliche Welt präsentieren sollten, die sie zum Bleiben ermuntert? (Brumlik |A 39|1995)
[143:15] 2. Ganz anders geartet ist die Frage nach einer universalistischen Moral. Die Forschungen zu diesem Thema sind inzwischen kaum noch zu übersehen. Die vielen Aufmerksamkeiten, die es gewonnen hat, verweisen auf ein Grundproblem unserer Kultur und dessen pädagogische Folgen. Jede Art von Erziehung – so will es unsere Überlieferung – soll moralisch rechtfertigungsfähig sein; und Kant hat uns Hoffnung gemacht, daß solche Rechtfertigungen letzten Endes eine Form finden könnten, die von allen gebilligt wird. Seitdem denken wir nicht nur darüber nach, welche Form des Urteilens im Fluchtpunkt unserer Argumentationen liegen sollte; uns beschäftigt auch das Problem, ob es Lernwege dorthin gibt. Solche Lernwege lassen sich als individuelle Genese oder als Kulturentwicklung denken. Die Pädagogik hat es mit beidem zu tun.
[143:16] Im Hinblick auf die Kulturentwicklung, also auf die kollektiv mehr oder weniger akzeptierten moralischen Standards, befinden wir Europäer uns in einer mißlichen Lage. Wir haben uns von den religiösen Institutionen als den letztendlich entscheidenden moralischen Autoritäten gelöst. In die entstandene Lücke haben wir die rationale, Güter abwägende Begründung gesetzt. Wir haben Menschenrechte und Verfassungen entworfen, deren vornehmlicher Zweck darin besteht, das Individuum vor kollektiven/staatlichen Zugriffen zu schützen. Wir haben damit den innerhalb unserer Kultur entwickelten Begriff von Individualität und bürgerlicher Subjektivität in Anspruch genommen – ein historischer Vorgang, der nichtumstandlos für die ganze Gattung geltend gemacht werden kann, von dem wir aber dennoch unterstellen, er müßte universell geltend gemacht werden.
[143:17] Auch im Hinblick auf die Ontogenese, die Entwicklung des einzelnen Individuums also, gibt es Mißlichkeiten. Zwar finden wir es plausibel, eine postkonventionelle Moral ins Auge zu fassen, d. h. ein moralisches Argumentationsniveau, auf dem Besonderheiten der historischen, kulturellen und individuellen Lebenslage relativierend ins Verhältnis gesetzt und zu universell geltenden Maximen hingeführt werden können. Aber ähnlich wie beim Kulturvergleich ist an solchen theoretischen Entwürfen bemängelt worden, daß sie die konkrete Erfahrungswelt der Kinder nicht erreichen; blicken wir nämlich von der postkonventionellen Stufe der Entwicklung moralischer Urteilsbildung her auf die Optionen von Kindern – z. B. für Solidarität mit den Schwachen und gegen die Eigentumsordnung, für das Leben und gegen Zerstörung und Ausbeutung, aber auch für das Wohlergehen der eigenen Gruppe in Gleichgültigkeit gegen andere –, dann geschieht es leicht, dass die moralische Substanz solcher Optionen verblaßt, und zwar nur deshalb, weil sie nicht als güterabwägende Argumentation vorgetragen werden, keine rational zu nennende allgemeine Geltungsbegründung regelhaft anstreben.
|A 40|
[143:18] Dieses zunächst nur moral-theoretisch scheinende Problem hat eine historische Seite. Das sogenannte
westliche
Demokratieprojekt enthält ein sehr anspruchsvolles moralisches Lernprogramm. Es greift tief in die traditionellen Bestände und Gewißheiten ein, vor allem dadurch, daß nun nicht mehr kollektiv akzeptierte Autoritäten das sittlich Gute verbürgen sollen und auch die Reduktion auf je singuläre Interessenlagen oder auf die in den primären Lebenszusammenhängen erfahrenen
Werte
einer kritisch abwägenden Prüfung bedürfen. Durch die Historiographie der höchst langsamen Veränderung von Mentalitäten im Lauf der Geschichte belehrt, dürfen wir annehmen, daß jene ja auch mit dem Begriff der
Mündigkeit
verknüpfte Lernerwartung eine Zumutung ist, der die Individuen wie die sozialen Kollektive nur in allmählichen historischen Schritten gerecht werden können.
[143:19] Dabei stellt sich leicht Ungeduld, wenn nicht gar Frustration ein. Es ist deshalb gar nicht so verwunderlich, wenn im politischen und pädagogischen Feld viele vor dieser schwierigen Mündigkeits-Erwartung zurückweichen. Das ist z. B. dann der Fall, wenn der angebliche Werteverlust beklagt wird. Ich vermag diesen Verlust nicht zu entdecken, jedenfalls nicht als
Verlust
, allenfalls als leichte Verschiebung: Die dem Konzept des postkonventionellen moralischen Urteils angemessene und in unseren Verfassungen zum Ausdruck gebrachte Verfahrensrationalität wird nur von Randgruppen nicht als Wert anerkannt. In den 60er Jahren setzte eine Sensibilisierung für die Lebenslagen von Kindern ein, die zwar noch nicht die ganze Gesellschaft erfaßt hat, aber doch stetig größere Kreise zu ziehen scheint. Daß Natur nicht nur ein Ausbeutungsobjekt ist, sondern daß der schonende Umgang mit ihr einen Wert darstellt, an dem das Überleben der Gattung hängt, wird von immer weniger Gesellschaftsmitgliedern in Zweifel gezogen. Daß der Gerechtigkeitswert in Geltung ist, zeigen die heftigen Auseinandersetzungen um die Zukunft des Sozialstaates. Fast überflüssig zu sagen: Die Werte, die sich aus der herrschenden Eigentumsordnung ergeben bzw. diese legitimieren, sind kaum strittig, bis hin zu dem Punkt, an dem sie, wie im massenhaften Konsumverhalten, zum Fetisch zu werden drohen; aber auch sie können, wie auch die anderen im Prinzip, ihre Geltung einbüßen, wenn der moralische Diskurs nicht in der Lage ist, sie, im Verhältnis zu jenen anderen, in Kontrolle zu halten. Werte können also freilich unterhöhlt werden. Wo beginnt diese Unterhöhlung im Falle der Eigentumswerte: bei der überproportional steigenden Wirtschaftskriminalität der Reichen oder bei den Warenhausdiebstählen der 15jährigen? Die sogenannte
Werte
-Debatte ist also ein Phantom-Spektakel
[143:20] Es ist ein dümmliches, vielleicht sogar verschlagenes Abwehrmanöver, die Auffüllung der Lücken, die zwischen Geltung und empirischer Befolgung klaffen, den Pädagogen aufzubür|A 41|den oder, schlimmer noch, deren Entstehen ihnen anzulasten. Es ist nichts weniger als ein schleichender Fundamentalismus, im Gewände europäischer Überlieferung. Statt sich den Schwierigkeiten einer die Werte gegeneinander abwägenden Urteilsfindung zu stellen, wird ein konventionelles Verfahren empfohlen mit dem Titel
Werteerziehung
. Derartiges erfordert eine professionelle pädagogische Antwort. Meine Antwort ist diese: Es ist überhaupt nicht strittig, daß Kinder in ihren primären Lebensbezügen – also Familie, Kindergarten, Grundschule, Heim – so etwas wie Eindeutigkeit, Konstanz, Verläßlichkeit der moralischen Orientierung, also auch der in der Lebenspraxis solcher Gruppen geltenden Werte erfahren müßen. Der Unterschied liegt im Verhalten oder Handeln des Erwachsenen, der Kenntnis hat von den sensiblen Nuancen der Interaktion, der weiß, wie schwierig der Weg zur Fähigkeit der Übernahme der Perspektiven von anderen ist, der einen Begriff von jenem fiktiven Ende eines postkonventionellen Moralurteils hat. Die Unterhaltung mit einem Kinde – dessen können wir angesichts der vielen empirischen Befunde sicher sein – wird anders ausfallen bei einem Erwachsenen, der die damit zugemuteten Balanceleistungen im Kopf hat, als bei einem, der auf naive Identifikation mit Werten setzt. Die mögliche Universalisierung moralischer Urteile wäre dann auch kein Dogma, sondern, für professionelle Pädagoginnen und Pädagogen, ein regulatives Prinzip.
[143:21] 3. Das hängt nun eng zusammen mit dem dritten meiner Grundthemen, der Interkulturalität. Die Schweiz, aber auch die Niederlande, Frankreich und England, verfügen in Europa und in dieser Frage schon über längere Erfahrungen. Die Deutschen sind Anfänger in diesem der ganzen Kultur zugemuteten Curriculum. Man könnte es – wenn es nicht zynisch wäre – als einen historischen Großversuch, einen Test ansehen, in dem die folgende Frage geprüft wird: Ist eine politische Kultur, die mit den Leitbegriffen der Liberté, Fraternité und Egalité ihre eigene Zukunft entwarf, noch in der Lage, unter neuen Bedingungen ethnisch-kultureller Mischungsverhältnisse das ursprünglich universalistische Projekt aufrechtzuerhalten? Der Test bringt, jedenfalls derzeit, keine eindeutigen Resultate, bis hin zu kriminellem Widerspruch.
[143:22] Auch in dieser Lage wird der Pädagogik aufgebürdet, die Wogen zu glätten, die von den (erwachsenen!) Konventionalisten in Bewegung gebracht wurden. Wir, die Pädagoginnen und Pädagogen, versuchen es: wir lassen keinen Zweifel daran – er wäre aberwitzig –, daß die Einwanderer und ihre Kinder sich durch das Nadelöhr der je herrschenden Sprache hindurchzwängen müssen. Das ist unzweifelhaft eine Assimilationserwartung. Aber unterhalb der gemeinsamen Verständigungsmedien, und sich durch diese hindurchartikulierend, behalten die kulturellen Herkünfte und Zugehörigkeiten indessen ihr je thematisches Profil. Wenn wir das |A 42|akzeptieren, tun wir nichts anderes als zu bekräftigen, daß wir die pluralistische Struktur der modernen Gesellschaften anerkennen, wenngleich hier in einem besonders exponierten Fall. Dieser Fall ist nicht nur eine Probe auf die Tragfähigkeit nicht-imperialer universalistischer Antizipationen, sondern auch auf unsere schon erwähnte Fähigkeit zur virtuellen Übernahme, zum Sich-Hineindenken in die Perspektive anderer. Diese aus der Philosophie des Pragmatismus stammende Idee, inzwischen zahllos als empirischer Sachverhalt nachgewiesen, enthält freilich im Hinblick auf die Wirklichkeit multikultureller Gesellschaften eine Zumutung an Lernfähigkeit, mit der sich Ängste schüren lassen, so als gäbe seine Identität auf, wer sich ernstlich auf die der anderen einzustellen versucht. Wir sollten uns bewusst halten, daß der inzwischen abgegriffene Terminus
Identität
ursprünglich eine schwierige und erst im Tode endende Balance-Leistung des Individuums bedeutet, jederzeit fragil. Wer diese Dynamik stillstellen will, etwa als bloße
Zugehörigkeit
, verleugnet damit das kulturelle Konzept von
Mündigkeit
(Gruschka 1995).
[143:23] Der schlichte Rassismus, der aus den Äußerungen und Tätigkeiten Le Pens und seiner Anhänger spricht, oder die Unfähigkeit deutscher rechtsradikaler, zur Gewalt neigender Cliquen, mit Ambiguitäten, Mehrdeutigkeiten also umzugehen – das sind deutliche Zeichen historischer Regression. Wird eine Aufgabe zu schwer, dann wehrt man sie ab oder greift zu früheren, primitiveren Lösungen. Das gilt für Kinder, aber auch für Politiker und Pädagogen. Daß ziemlich viele noch an dieser Hürde scheitern, zeigen die europaweit etwa auf 15% geschätzten Bürgerinnen und Bürger, die die letzten 200 Jahre der Entwicklung moderner Demokratien nicht haben nachvollziehen können – Fußkranke gleichsam auf diesem beschwerlichen Weg.
[143:24] Der schwierigste Lernfall ist dabei nicht einmal der erwachsenen, der erziehenden Generation aufgebürdet. Diese verfügt vielleicht, dort wo sie professionell ist, über die notwendigen interaktionstheoretischen Kenntnisse (etwa zum Problem des Perspektivenwechsels) und über die Kompetenz, entsprechende Lernarrangements für Kinder und Jugendliche zu inszenieren. Dem schwierigsten Lernfall sind jene konfrontiert, die aus der Fremde kommen und unter uns leben wollen. Denken wir uns ein 16jähriges muslimisches Mädchen, kurdisch, aus einer Familie, der die Herkunftskultur wichtig ist, der Vater ist Taxifahrer, sie hat gerade den Übergang in die Sekundarstufe geschafft, geht abends gelegentlich in Discos, hat Freunde, aber muß ihre
Ehre
bewahren, will in Mitteleuropa bleiben, aber auch ihre
Wurzeln
in der Türkei nicht verlieren, weiß nicht, ob die Familie dorthin zurückkehren wird, wird zur Frau in einem Land, in dem sie
feministische
Erwartungen erreichen, mit ihrer Herkunft überhaupt|A 43| nicht kompatibel, usw..usw. Die sozial-psychischen Lernprobleme, denen dieses Mädchen konfrontiert ist, übertreffen bei weitem das, was wir Erwachsene uns, universalistisch und pluralistisch gebildet, abverlangen müßten.
[143:25] 4. Die ästhesiologischen Komponenten der Bildung des Menschen: Der Ausdruck
ästhesiologisch
weist auf die Frage hin, welche Bedeutung im Leben des Menschen seiner Sinnestätigkeit zukommt, wenn er ein Bewusstsein von sich selbst erwirbt und damit zu anderem, zu Personen oder Kulturprodukten, in Beziehung tritt. Diese Frage spielte in der Pädagogik eine lange Zeit nur eine untergeordnete, wenn nicht gar keine Rolle. Pädagogen sind merkwürdigerweise zumeist auf alles Sprachliche fixiert. Das ist deshalb merkwürdig, weil doch der ontogenetische Anfang jeder Erziehung in einem vorsprachlichen Stadium beginnt und also es zunächst gleichsam auf der Hand liegt, dass dieser Anfang der Bildebewegungen des Menschen mit der Sinnestätigkeit anhebt.
[143:26] Damit stellt sich eine für die Pädagogik ziemlich fundamentale Frage ein: Bleiben diese Anfänge über die ganze Entwicklung des Individuums erhalten oder werden sie, durch die Prozeduren des Spracherwerbs, durch die Aneignung von Wissensbeständen und Verhaltensgewohnheiten, durch immer komplizierter werdende kognitive Operationen allmählich weggearbeitet?
[143:27] Eines der für unser Fach, für seine Praxis wie auch für seine Theorie, interessantesten Gedankenexperimente stellte Condillac in der Mitte des 18. Jahrhunderts an. Er gehörte jenen französischen Philosophen zu, die in der Regel als
Materialisten
etikettiert werden, den argumentativen Hintergrund für die französische Revolution vorbereiteten, in der Tradition des pädagogischen Denkens dann aber kaum mehr vorkamen. Er stellte sich eine Marmorstatue vorin der Tradition der antiken Erzählung von
Pygmalion
, und fragte, wenn sie lebendig würde, wann sie wohl, im Nacheinander der erwachenden Sinne, ein Bewusstsein von sich selbst gewinnen würde. Seine Antwort, nach abwägendem Durchgang durch die verschiedenen Sinne, lautete: Ich gewinne ein Bewußtsein meiner selbst, im ersten Schritt, durch das taktile Spüren meines eigenen Leibes (
Elle se touche, et dit: c’est moi
), in Abwägung zu den Sensationen des Gesichtssinnes
(vgl. Müller 1996)
.
[143:28] Derartige Fragen – die Antworten müßten heute angesichts der biologisch-anthropologischen Forschung komplizierter ausfallen – gewinnen derzeit eine besondere Aktualität, und zwar von drei Richtungen her: Die Kinder- und Jugendkultur konfrontiert uns, zunehmend, wie es scheint, mit einem
Habitus
, in dem Körperselbsterfahrung inszeniert wird; Auto-Crashing, |A 44|Skooter-Kunststücke, Graffiti, die Freude an wirbelnden Videoclips, an sprachlosen Computerspielen, auch an Techno-Dance; dies und Ähnliches sind nicht nur einer Beschleunigungsmode, einem Protest oder einem profitablen Markt geschuldet, sondern auch (!), so vermute ich, einem Impuls, sich selbst in einer Weise zu erfahren, die noch nicht durch die intellektuellen Pädagogen-Diskurse besetzt ist. Dazu gibt es im kulturellen Habitus der Erwachsenen, wenngleich durch traditionelle Gewohnheiten gebremst, eine Parallele, nämlich die massenhaft ansteigenden Museums- und Sonderausstellungs-Besuche. Auch hier ist schwer zu entscheiden, ob der Markt ein Bedürfnis befriedigt oder ob er es erzeugt. (Schaue ich mir die Bilder Vermeers in Den Haag oder van Goyens in Leiden an, weil ich es mir vom Feuilleton habe einreden lassen oder weil solche Bilder mich schon immer faszinierten und ich glaube, dabei etwas über mich zu erfahren?). Diderot, mit Condillac befreundet, schrieb manchen Bildern der Pariser Salons um die Mitte des 18. Jahrhunderts, insbesondere denen Chardins,
Magie
zu. Sie hatten nämlich, nach seiner und auch der Meinung späterer Kunsthistoriker, die Eigenschaft, den taktilen Sinn (wenngleich nur virtuell), das Spüren also meiner selbst, mit dem optischen zu verbinden. Joseph Beuys (und freilich noch manch anderer) hat das, in unserem Jahrhundert, zur Meisterschaft gebracht. Steckt also nicht doch in der ästhetischen Geschäftigkeit der Märkte und Kunden ein Bildungssinn, der tiefer reicht? Schließlich ist, nahezu gleichzeitig, in den pädagogischen Institutionen und an ihrem Rande Ähnliches aufgetaucht (inzwischen ist es schon ganz unoriginell geworden, darauf hinzuweisen): In der Elementar- und Primarpädagogik wächst das Interesse an expressiv-ästhetischen Tätigkeiten; auf Körperempfindungen bezogene Therapien, Paratherapien und
Kreativitäts
-Kurse gehören mehr und mehr zum Standard-Angebot in Jugendhilfe und Erwachsenenbildung und verbreiten sich weit in den Freizeitmarkt hinein. Derartiges wird in einer reichhaltigen und fast unübersehbaren Literatur kommentiert und befördert; auch die Forschung in diesem Feld nimmt allmählich an Zahl und Zuverlässigkeit zu (vgl. Mollenhauer 1996).
[143:29] Darf man dies alles so verstehen, daß innerhalb unserer pädagogischen Kultur nun das Gedankenexperiment Condillacs in Bildungs- und Selbstbildungs-Taten übertragen wird? Oder handelt es sich um nichts anderes als um Fluchten in ein Gelände von Irrationalität hinein, um den System- Zumutungen zu entgehen, eine neuerliche Variante von bürgerlicher Ideologie? Der inflationäre Gebrauch der schwer aufklärbaren Vokabel
Kreativität
könnte das vermuten lassen. Ich denke indessen, daß mit diesem Etikett der kulturelle, anthropologische und bildungstheoretische Sinn dieser Phänomene verspielt würde. Die Argumentationsstände der französischen
Materialisten
konnten, aus vielerlei Gründen, die deutsche Bildungstheorie |A 45|und ihre pädagogische Institutionalisierung nicht erreichen. Nun hat, nach 200 Jahren, die Praxis sie zurückgewonnen. Es ist zu hoffen, dass die akademische Theorie damit zwar streng, aber auch
hermeneutisch
umgeht.

2.3. Besonderheiten des außerschulischen Feldes

[143:30] Von dem, was außerhalb der Unterrichtsanstalten geschieht, war gelegentlich schon in Andeutungen die Rede. Dieses Feld – im theoretischen Vokabular nennen wir es
Sozialpädagogik
, in praktischer Beschreibung sagen wir
Kinder- und Jugendhilfe
und haben dann immer noch das Problem, wie wir den Ausdruck
Sozialarbeit
darin unterbringen oder sonst irgendwie darauf beziehen – dieses Feld also ist, so scheint mir, ein besonders sensibler Indikator für pädagogisch relevante Vorgänge innerhalb unseres Gemeinwesens. Das mag überraschen, handelt es sich doch statistisch gesehen nur um eine Minderheit der nachwachsenden Generation, die von diesen Einrichtungen und Maßnahmen erreicht wird. Zudem könnte man hier tatsächlich annehmen, dem Titel dieser Tagung folgend, daß es die
Reparaturwerkstatt
unseres Generationen-Verhältnisses ist. Indessen hat man sich, seit dieses Feld in die akademische und wissenschaftliche Aufmerksamkeit gerückt ist – also seit den 20er Jahren, mit einigen Vorahnungen im 19. Jahrhundert –, gegen eine solche Etikettierung immer wieder gewehrt, als sei es ein zugeschriebenes Stigma. Ich halte eine solche Abwehr für falsch. Nur ein sehr trüber Blick auf unsere Gesellschaft könnte übersehen, dass der schwierige Weg der Moderne, gepflastert mit den Stolpersteinen institutioneller Differenzierung, Pluralisierung der Lebensformen, abstrakter Leistungserwartung, Mißerfolgsbedrohung, emotionaler Kälte oder Überhitzung, Konsum-Verführungen usw., angesichts der anspruchsvollen Vorstellung eines politisch und alltäglich
mündigen
Bürgers nicht von jedem erfolgreich begangen werden kann. Daß viele stolpern, gehört zur Normalität dieser Gesellschaften. Es mindert nicht den Status der Sozialpädagogik, wenn sie die Schattenseite der Moderne im Auge hat. Aber so eindeutig ist das gar nicht. Um es zu erläutern, greife ich aus der Fülle der beschreibbaren Probleme nur drei heraus, die mir besonders aktuell erscheinen und im Felde der Sozialpädagogik deutlicher zum Bewusstsein kommen als anderswo: Normalitätsentwürfe, Armuts-Fragen, Verwertungszumutungen.
[143:31] 1. Normalitätsentwürfe. In etwas grober Vereinfachung kann man sagen, daß die nun ungefähr 500 Jahre alte europäische Alphabetisierungskampagne recht erfolgreich war. Sie hat indessen nicht nur ein differenziertes System von Unterrichtsanstalten zur Folge gehabt, sondern auch den Entwurf eines Normalverlaufs von Lebenswegen, zunächst nach Ständen geordnet, dann |A 46|aber auch mit manchen Verzweigungen. Wie wir aus alten Schulordnungen, aber auch aus den Genre-Bildern besonders der niederländischen Malerei ersehen können, griff dies tief in Verhaltensgewohnheiten der jungen Generation ein. Die Schule präsentierte nicht nur ein Alphabetisierungs-, sondern auch ein Disziplinierungsprogramm, das bis zurück auf die Familien sich erstreckte. Es paßt ins Bild, daß sich parallel zur Schulentwicklung Bemühungen etablierten, stationär und ambulant, die sich um jene kümmerten, die dem schulischen Normalitätsentwurf nicht folgen konnten oder mochten. Seitdem gibt es auch in pädagogischen Feldern Modernitätsgewinner und -Verlierer.
[143:32] Die Sozialpädagogik hat es großenteils mit den Verlierern zu tun. Allerdings sind die Grenzlinien nicht mehr so leicht zu ziehen. Inzwischen nämlich, besonders in der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts – aber vordem schon in der kaiserdeutschen Abwehr proletarischer oder sozialdemokratischer Lebensentwürfe – scheint überhaupt zur Disposition zu stehen, ob die Pädagogik noch, von der Pflicht zu zuverlässiger Unterrichtung abgesehen, mit einem einheitlichen Normalitätsentwurf operieren kann. Das Problemfeld, mit dem es die Sozialpädagogik derzeit zu tun hat, indiziert nämlich eine Charakteristik unserer Kulturlage, die schon Schleiermacher 1826 ahnte, als er die Meinung vertrat, man müsse, um des Fortschreitens der Kultur willen, das Jugendalter als eine Experimentierphase mit Normalitätsentwürfen ansehen. Wenn wir heute den soziologischen Schlagworten
Individualisierung
und
Pluralisierung
willig folgen, gelegentlich wohl allzu rasch, dann betrifft das auch die Frage, mit welcher Gewissheit wir noch von
Normalität
reden können. Die Klientel der Kinder- und Jugendhilfe ist zum großen Teil dadurch zu charakterisieren, daß sie unter den institutionalisierten Normalitätsentwürfen leidet. Das breite Problemfeld, das zwischen dem autistischen Kind und dem der Schule und seiner Familie mit Gleichgültigkeit oder Verachtung den Rükken kehrenden Jugendlichen liegt, bringt eine zweifache Frage hervor: Welches sind die elementaren Kompetenzen, die wir für normale Lebensführung unterstellen müssen – und wie kann unser eigener Normalitätsentwurf gerechtfertigt werden, wenn wir die vielen Alternativen zur Kenntnis nehmen?
[143:33] In dieser Lage zu empfehlen, wie heute häufig zu beobachten, man solle sich an der
Lebenswelt
der Klientel
orientieren
, kommt mir unbedacht oder verschleiernd vor, jedenfalls dann, wenn pädagogisches Handeln gemeint ist. Wie könnte ich mein Handeln an der Lebenswelt eines 14jährigen Jungen orientieren, der, im Alter von 10 Jahren, in einem Heim untergebracht ist, wegen schwer erträglicher Familienverhältnisse, nun auch aus dem Heim beständig fortläuft, die Schule vermeidet, sich mal dieser, mal jener Clique oder Subkultur |A 47|anschließt, am Stadtrand in Bretterbuden übernachtet, durch kleine Diebstähle sich über Wasser hält, sonst niemandem etwas zuleide tut, dem eine spätere Zukunft noch gleichgültig ist usw.? Es ist keine Frage, daß es hermeneutisch-diagnostischer Anstrengungen bedarf, um die Lage und die Normalitätsexperimente dieses Jungen zu verstehen. Das pädagogische Handeln aber muß sich in das schwierige Feld pluraler Normalitätsentwürfe hineinbegeben und darf sich nicht einzig an dieser
Lebenswelt
orientieren, sondern an dem rechtfertigungsfähigen Weg, der für einen solchen Jugendlichen begehbar ist.
[143:34] 2. Armutslagen: Sozialpädagogik und Sozialarbeit haben es immer schon auch mit denen zu tun gehabt, die am gesellschaftlichen Wohlstand weniger teilhatten als andere. Das war zu Zeiten Pestalozzis und Wicherns nicht anders, als es heute ist.
[143:35] Historiographische Hinweise, die darauf hinauslaufen, daß wenigstens eines der sozialpädagogischen Grundthemen mit der frühneuzeitlichen Armengesetzgebung oder dem Amsterdamer
Tuchthuis
beginnen, treffen auch heute noch die Sache. Schon aus dem Vergleich der Jugendhilfe- mit den Sozialhilfe-Statistiken geht hervor, daß die Klientel der außerschulischen pädagogischen Einrichtungen und Maßnahmen vorwiegend den durch Armut bedrohten Bevölkerungsteilen entstammt. In dieser Lage ist bemerkenswert, daß auch die sozialpolitischen Prognosen uns kaum einen Rückgang dieser Bedrohung versprechen können. Wir werden es also, selbst in Europa, mit einem relativ dauerhaft bleibenden Problem zu tun haben.
[143:36] In dieser Sachlage können die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen durch Pädagogik kaum verändert werden. Das gilt nicht nur global, sondern selbst für Europa. Keine Art von Pädagogik kann das immer stärker werdende Auseinanderdriften von hohen und niedrigsten Haushaltsbudgets verhindern. In dieser Lage hilft die an Pädagogik und Jugendstrafrechtspflege gerichtete Erinnerung wenig, ein europäischer Sozialhilfeempfänger verfüge über materielle Ressourcen, die in manchen Entwicklungsländern Wohlstand indizieren. Armut ist eine kulturrelative Kategorie, weil sie sich an dem innerhalb einer Gesellschaft oder Kultur durchschnittlich herrschenden Anspruchsniveau bemisst. Dieses Niveau wird nicht von Pädagogen in Szene gesetzt, sondern von Ökonomie und Politik. Die Pädagogik hat lediglich die Folgen zu tragen. Die empirisch bisher nicht widerlegte, wenngleich vielfältig benörgelte
Anomie
-Theorie R. Mertons, nach der in einer Gesellschaft, die Eigentum, Besitz, Wohlstand als Werte favorisiert, diejenigen, die nicht über die Mittel dazu verfügen,
anomische
Handlungsstrategien einschlagen, um die Werte dennoch zu erreichen, ist also die Vorgabe.
|A 48|
[143:37] Über diese und ihre Folgen aber haben wir nachzudenken. Die Praxis des Unterrichts in Schulen erreicht diese Problemlage in der Regel zumeist nur unter dem merkwürdigen Namen
Sozialisationsdefizit
. Das führt dann zu den Diagnosen von Leistungsschwäche oder Lernverweigerung, um deren Hintergründe sich freilich das dort professionelle Personal nur innerhalb enger Grenzen kümmern kann. Es ist richtig, wenn die Schule sich auf ihre Aufgaben des Unterrichtens konzentriert und dabei einen unifizierenden, einen die Gleichheit vor den unterrichtlichen Ansprüchen betonenden Habitus realisiert. Mit Recherchen nach den
Lebenswelten
, wie manche heute gern sagen, wäre sie überfordert.
[143:38] Anders ist die Sachlage im Felde von Sozialpädagogik/Sozialarbeit. Wenn wir schon Armut dauerhaft in Rechnung stellen müssen, und wenn wir wissen, dass das Heranwachsen unter solchen Bedingungen mindestens mißlich ist, jedenfalls zu lebenslangen Beschädigungen führen kann, dann stellen sich pädagogische Fragen besonderer Art ein: Wissen wir wirklich hinreichend zuverlässig, welche Dimensionen der Erziehungskraft etwa von Familien durch Armut gravierend beschädigt werden? Verfügen vielleicht nicht doch auch Armutsmilieus über pädagogische Ressourcen, die in der einen oder anderen Hinsicht den Wohlstandsmilieus überlegen sein könnten? Gibt es ein pädagogisches Komplement zur sozialpolitischen Strategie der Armutsbekämpfung, wenn doch, jedenfalls mittelfristig, dies als Sisyphos-Tätigkeit eingeschätzt wird? Müssen wir nicht – anstatt in erlebnisdichten Beschreibungen die biographischen Engpässe und Versagungen immer wieder zu beklagen oder in der Manier von Fest- oder einleitenden Kongressvorträgen (wie diesem) auf den
Zusammenhang politischer, materieller, instrumenteller und sozialer Nöte und Aufgaben
(Thiersch)
und deren pädagogische Folgen appellativ zu verweisen – ich sage: müssen wir nicht jenseits oder diesseits der allgemeinen, aber abstrakten Richtigkeit solcher Formeln uns viel genauer einstellen auf die empirischen Details solcher Milieus oder Lebensformen und auf die hermeneutischen Herausforderungen, die sie für Theorie und Praxis bereithalten? Wissen wir wirklich genug über die pädagogisch relevanten Unterschiede zwischen Lebenslagen, innerhalb unserer Kultur, die unter kurzfristiger Armutsbedrohung stehen, und solchen, in denen wir langfristige, auch intergenerationell dauerhafte materielle Versagungsmilieus konstatieren müssen, und darüber, welche Formen des pädagogischen Eingriffs, der Hilfe, der Unterstützung hier angemessen wäre?
[143:39] Die Armutsthematik greift, wenn ich recht sehe, tief in das hinein, was seit einiger Zeit unter dem Titel
Wertedebatte
publizistisch reichhaltig bedient wird. Die Armutsfrage macht das Dilemma deutlich: Der herrschende Wert
Eigentum
, in den verschiedenen Auslegungen der gesellschaftlichen Praxis – vom Leistungsprinzip, dem Karriere-Erfolg, den Konsumzumutun|A 49|gen des Warenmarktes bis (negativ) zur Steuerhinterziehung und dem Kaufhausdiebstahl eines 13jährigen – ist unbestritten, wenn man von den Diskursen der akademischen Ethik absieht. Sind aber die Chancen zur Verwirklichung dieses Wertes deutlich ungleich verteilt, wie etwa im Falle der Armut, dann entstehen anomische Situationen, im Extremfall
Kriminalität
. Könnten vielleicht Armutsmilieus in der Lage sein, diesen Wert in Zweifel zu ziehen?
[143:40] 3. Verwertungszumutungen.
Was eine Funktion hat, ist ersetzlich; unersetzlich nur, was zu nichts taugt
, hat Adorno einmal geschrieben. Diese Behauptung bezog Adorno zwar auf die Kunst; aber könnte sie nicht auch im pädagogischen Feld einen Sinn haben? Das scheint zunächst absurd zu sein. Mindestens darin doch sind sich pädagogische Praxis und Wissenschaft einig, daß allen Einrichtungen des Erziehungs- und Bildungssystems eine Funktion zugesprochen wird, ein gesellschaftlicher Verwendungssinn dessen, was dort mit der nachwachsenden Generation geschieht. Notengebung, die verschiedenen Zeugnisarten, Übergänge von einer Einrichtung in die andere, der Streit um die Modernisierung der Lehrpläne, die Berufseinmündungsprobleme, die damit verbundenen Statuszuweisungen, selbst noch
Persönlichkeitsbildung
,
Kompetenzerwerb
– dies alles sind Komponenten der pädagogischen Funktionscharakteristik, auch wenn sie nicht mehr in dem älteren Vokabular von Utilität, Brauchbarkeit, Nützlichkeit, von Förderung oder Auslese vorgetragen werden. Auch die Vokabeln
Zukunftsschmiede
oder
Reparatur
verweisen auf derartige Funktionen. Die Sozialpädagogik/Sozialarbeit hat innerhalb solcher Verwendungszumutung ihren funktionalen Ort: Die Kfz-Werkstatt bringt in Ordnung, was durch Fehler im Herstellungswerk oder irgendwie unpassende Benutzung unbrauchbar wurde.
[143:41] An den Rändern des Unterrichtssystems,im Hinblick auf Familien, besonders aber im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe können sich Zweifel einstellen, ob solche Beschreibungen durchweg empirisch triftig und ob die damit verbundenen Erwartungen nicht eher Zumutungen sind, die einige Skepsis verdienen. Man kann das Problem, das darin liegt, am ehesten durch extreme Fälle erläutern. Die Integration behinderter Kinder in die Normalschule, jedenfalls in den ersten 6 Schuljahren, zeigt, daß es sich um eine Frage des pädagogischen Gesamthabitus handelt und nicht um eine Frage, mit der nur Spezialeinrichtungen konfrontiert sind, nämlich: Einerseits wird das Kind in einen situativen Kontext eingefädelt, in dem es beständig den Verwertungszumutungen, der
Funktion
des Unterrichtssystems konfrontiert ist, auch wenn das pädagogische Personal nicht solche Absichten verfolgen sollte; andererseits sollen die Unterrichtsprozeduren dafür sorgen, daß dieses Kind nicht ständig Versagens-Erfahrungen |A 50|macht. Woher kommt dieses zweite Motiv? Noch konturierter tritt das Problem hervor, wenn wir an autistische Kinder oder solche mit Down-Syndrom denken. Kann man in solchen Fällen überhaupt noch pädagogisch vernünftig handeln in der Perspektive von Funktionen und Verwertungen? Zwischen solchen Extremfällen und dem Alltag in schulischen oder Jugendhilfe- Einrichtungen gibt es mannigfache Übergänge, die meine skeptische Frage mal stärker konturieren, mal in den Hintergrund von
Ausnahmefällen
treten lassen.
[143:42]
Was eine Funktion hat, ist ersetzlich
; das gilt für Produkte, Einrichtungen und Menschen. Was indessen
zu nichts taugt
, das sei, so meinte Adorno,
unersetzlich
. Unersetzlich also ist auch ein Individuum, ein einzelnes Exemplar unserer Gattung, für das die Tauglichkeits-, Verwertungs- oder Funktionserwartungen ins Leere gehen. Das ist der Kontrapunkt zu den pragmatischen Entwürfen pädagogischer Einrichtungen.

2.4. Schluss: Zwei Konstruktionen von
Pädagogik

[143:43] Angesichts dieser Lage ist es nicht leicht, eine Summe zu ziehen, das Verschiedene auf handliche Formeln zu bringen. Ein solcher Versuch wäre auch ganz unpassend. Über Generationenverhältnisse, universalistische Moral, Interkulturalität, ästhesiologische Probleme und über Normalitätsentwürfe, Armutslagen und Verwertungszumutungen habe ich relativ naiv geredet. Bedenke ich nun noch einmal, was ich da eigentlich getan habe, dann muss ich einsehen, daß ich, trotz der vielen Bezugnahmen auf
Reales
, keine Realitäten beschrieben, sondern Problem-Konstruktionen vorgeschlagen habe. Ist die Art des Denkens über Pädagogik, die ich dabei vorgeführt habe, eigentlich akzeptabel? Lasse ich meine sieben Grundfragen noch einmal Revue passieren, dann fällt mir innerhalb dieser eine Differenz auf, die wichtiger sein könnte als die einzelnen Themen, die ja ohnehin nur skizzenhaft vorgetragen wurden und leicht mit anderen Optionen in Konkurrenz geraten können. Es ist die Differenz zwischen zwei verschiedenen Entwürfen derjenigen Tätigkeiten, die wir mit den Namen
Erziehung
und
Bildung
verbinden:
[143:44] Einerseits habe ich, mit den neuzeitlichen Traditionen pädagogischen Denkens übereinstimmend, diese Tätigkeiten als Handlungen gedacht. Bei den Stichworten
Generationenverhältnis
,
universalistische Moral
,
Interkulturalität
und Erziehung angesichts von
Armut
dominierte dieser Entwurf, ganz in dem Sinne, in dem häufig davon gesprochen wird, daß die Pädagogik eine
Handlungswissenschaft
sei. Verwendet man diese Vokabel, dann wird in der Regel eine schwierige Unterstellung mitgeführt: die Annahme nämlich, solche Handlungen hätten ein erreichbares Ziel, die Akteure könnten sich als ihrer selbst bewußte |A 51|Subjekte inszenieren, und sie könnten, durch derartig gedachte pädagogische Handlungen, die nachwachsende Generation auf den gleichen Weg bringen. Dieser Weg wird dann häufig so gedacht, daß er auf einen (unendlich fern liegenden) Fluchtpunkt, ein Telos, einen geschichtsphilosophisch ausmachbaren Endzweck hinführt. Wer den modisch gewordenen Ausdruck
Handlungskompetenz
verwendet, sei es zur Beschreibung von Ausbildungsabsichten für professionelle Pädagogen, sei es zur Beschreibung dessen, was man bei den Edukanden zu erreichen hofft, folgt dieser Konstruktion, auch wenn er die geschichtsphilosophischen Implikationen auf sich beruhen lässt. Es scheint, als gäbe es dazu keine vernünftige Alternative. Von der Alphabetisierung über soziales Lernen, heilpädagogische Formen der Behandlung bis hin zur Therapie von Süchten und Abhängigkeiten ist uns diese Form der Zweckrationalität, die vernünftige Begründung der Zwecke und die angemessene Wahl von Mitteln, um sie zu erreichen, auferlegt.
[143:45] Was aber wäre der Fall, wenn wir daran zweifeln würden, daß wir, in jenem idealistischen Sinne von Handlungskompetenz, tatsächlich bewußt und in den Folgen kalkulierbar, Subjekte unseres Handelns sind? Die Geschichte unseres Jahrhunderts hat dafür schmerzhafte Beispiele parat. Aber auch in der kleinteiligen trivialen pädagogischen Praxis gehört es zur alltäglichen Erfahrung, daß wir, die erwachsene Generation, uns undurchsichtig bleiben können und daß die rational entworfenen Erziehungshandlungen – trotz der überwältigenden Fülle empirischer Forschung in diesem Feld – ihr Ziel nicht erreichen. Seit Marx, Freud und Foucault können wir das wissen. In solcher Lage erscheint es anmaßend anzunehmen, daß die zweckrational angelegten pädagogischen Handlungen mehr als nur Oberflächenphänomene erreichen – auch wenn schon diese wichtig genug sein sollten. Es bedarf deshalb einer zweiten, nicht alternativen, aber konkurrierenden Konstruktion.
[143:46] Einer solchen zweiten Konstruktion folgen – andererseits – meine Stichworte
Ästhesiologie
,
Normalitätsentwürfe
und
Verwertungszumutungen
. In diesen Fällen habe ich es nicht auf die zweckrational organisierbaren pädagogischen Handlungen mit den je zugehörigen Kompetenzen abgesehen, sondern ein anderes Verhältnis zwischen Erwachsenen und Kindern konstruiert. Man hat ihm den Namen
Teilhabe
oder, in Erinnerung an Platon,
Metexis
gegeben
(Lenzen 1996)
. Man kann das philosophisch oder biologisch fundieren. Eines der biologisch relevanten Prinzipien ist die
Resonanz
(Cramer 1996), d. h. das biochemisch ermittelte Mitschwingen der Zellen mit dem, was in den anderen geschieht. Die pädagogische Phänomenologie nennt das, bezogen auf menschliche Interaktion,
Responsivität
. Da wir, trotz der vielen Hypothesen, nicht zuverlässig wissen, wie ein Organismus seine kulturelle Gestalt |A 52|als Individualität findet und wie diese zum souveränen Subjekt ihres Handelns werden könnte, da also unser prognostisches Wissen allzu dürftig ist, wäre es vielleicht hilfreich, dem traditionellen Konstrukt des voll handlungskompetenten Subjekts ein anderes Konstrukt an die Seite zu stellen. Kein Kind muss durch Pädagogik
zum Menschen gemacht
werden, wie es in der pädagogischen Tradition gelegentlich hieß. Es ist dies immer schon, und zwar vor jeder pädagogischen Bemühung. Die
Idee
des Menschen – wenn man so platonisch reden will – zeigt sich in jedem Neuankömmling von Beginn an, sie muß nicht erst hergestellt werden.
[143:47] Die Grenzen, bei dieser Konstruktion, verlaufen anders. Es ist dann, für die pädagogische Tätigkeit, nicht die Differenz zwischen handlungskompetenten und -inkompetenten Teilnehmern an einer Sozietät, sondern die Differenz zwischen einer Tätigkeit, die solche
Resonanz
oder
Responsivität
verhindert und einer anderen, die sie zuläßt. Der Philosoph R. Rorty, sonst gar nicht auf erziehungsphilosophische Erörterungen erpicht, hat dies auf eine knappste Formel gebracht. Die eine Frage, die nämlich nach der kompetenten Teilnahme an der res publica, sei letzten Endes eine nach dem je herrschenden Vokabular, eine Frage also danach, wie wir über das Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft reden – und da gibt es viele Varianten. Die andere Frage sei die,
ob du Schmerzen hast
,
leidest du?
Es sei möglich, beide Fragen zu stellen, ohne die eine der anderen aufzuopfern.
|A 53|

3.
Sozialpädagogische
Forschung – Eine theoretisch-thematische Skizze

[149:1]
Sozialpädagogik
ist, mindestens, der Sammelname für Lehrveranstaltungen von Studiengängen. So benannte Studiengänge haben als Gemeinsames ein Gegenstandsfeld der Lehre, das einerseits, mindestens, durch das Kinder- und Jugendhilfegesetz, andererseits durch das entsprechende Berufsfeld charakterisiert werden kann. Hat man ein Gesetz im Rücken, das damit angesprochene Berufsfeld und einen darauf vorbereitenden Studiengang vor Augen, dann liegt es nahe, Probleme des beruflichen Handelns in den Vordergrund zu rücken. Tut man dies, dann kann es geschehen, daß Probleme der professionellen
Orientierung
, Fragen der Berufsmoral, der adäquaten Einstellung oder Haltung zu Leitlinien der akademischen Ausbildung werden. Da sich überdies vor noch nicht so langer Zeit die akademische Lehre mit Namen
Sozialpädagogik
in Konkurrenz zu traditionsreicheren anderen Teil-Pädagogiken sah, insbesondere zur Seite der Schule hin, war die Verführung groß, in ihr so etwas wie die erziehungswissenschaftliche Avantgarde zu sehen. Schon in den 20er Jahren spielte dieser Topos, dieses rhetorische Stereotyp, eine Rolle, aber auch damals schon eher als professionspolitische Option, weniger als wissenschaftlich-analytische Beschreibung. So kommt es denn zu Formulierungen wie der, daß der
gemeinsame Nenner
für die Sozialpädagogik darin bestehe, daß die Lebenslagen, die professionelle sozialpädagogische Unterstützung fordern,
zugleich
personbedingt
und
situationsbedingt
sind
(Hamburger 1995, S. 126)
, mit dem Zusatz, dies sei eine
paradigmatische Grundfigur
. Derartige Bestimmungen lassen sich für alle Lagen, in die Angehörige unserer Gattung geraten, geltend machen.
[149:2] Im folgenden möchte ich zu solchen Abstraktionsleistungen Distanz halten, und zwar nicht etwa deshalb, weil sie falsch wären. Sie sind hinreichend allgemein, um in kühner Geste das, was seit mindestens 200 Jahren zum Grundbestand pädagogischen Denkens gehört, zu umgreifen. Niemand aus den vielen Teil-Pädagogiken, ebenso aus der Allgemeinen Pädagogik, mag widersprechen, denn diese Rhetorik bringt nichts zur Sprache außer dem, was jeder, weit über die Pädagogik hinaus, gelten lassen kann. Professionspolitik und -moral einerseits und wissenschaftliche Forschung im ins Auge gefaßten Gegenstandsfeld andererseits aber sind zweierlei, schon dadurch akzentuiert, daß die Aufgaben von Universitäten nicht nur in der Lehre, sondern auch in der Forschung, und zwar gleichgewichtig, gesehen werden. Die Forschung folgt anderen Regeln als denen, die für berufsmoralische Orientierungen, Haltungen, Gesinnungen mit den je für zweckmäßig gehaltenen Wissensbeständen, favorisiert werden. |A 54|Wäre es anders, dann würden wir den aufklärenden Gehalt von Forschung preisgeben. Forschung nämlich produziert skeptisches Wissen gegenüber berufs- oder standespolitischen Optionen. Der primäre Ort für solche Kontroversen ist die Universität. Und hier wäre zu diskutieren, zu prüfen, ob der zitierten Formel, Lebenslagen seien
zugleich
personbedingt
und
situationsbedingt
, etwas Differenzielles beizufügen wäre, das die sozialpädagogische vor anderer pädagogischer Forschung auszuzeichnen vermöchte.

3.1. Methodologische Fragen

[149:3] Könnte
Differenzielles
in einer Besonderheit von Forschungsmethoden zu finden sein? Gibt es eine der sozialpädagogischen bzw. Kinder- und Jugendhilfe-Forschung eigentümliche Methodologie? Der Gedanke, daß es das geben könne, liegt nahe; ich will deshalb einiges von dem, was unter dieser Thematik diskutiert werden müßte, zur Sprache bringen:
[149:4] 1. Man könnte die Fallanalyse als eine der Sozialpädagogik eigentümliche Forschungsmethode ins Auge fassen. Das wäre plausibel, liegen doch die wissenschaftlichen Anfänge der Auseinandersetzung mit den außerschulischen Bereichen unseres Erziehungs- und Bildungssystems nicht nur bei H. Nohl, P. Natorp, A. Fischer (vgl. z. B. aus jüngster Zeit Niemeyer 1997, Winkler 1997), sondern auch bei dem der amerikanischen Sozialarbeit entstammenden Konzept des
Case-Work
(Sachße 1993). Die dadurch (u. a.) auf den Weg gebrachte anamnestische und die Lebenskontexte einbeziehende Forschungsmethode hat inzwischen, da sie parallel auch in anderen wissenschaftlichen Disziplinen Fuß fassen konnte, eindrucksvolle Standards erreicht (Schütze 1993), z. B. auch in der literaturwissenschaftlichen Autobiographie-Forschung, der Ethnologie, der Industriesoziologie, der Biographieforschung mit Bezug auf Erwachsene (Krüger/Marotzki 1995). Obwohl also die Einzelfallanalyse auch in der Sozialpädagogik nicht fehlen sollte (vgl. dazu relativ früh schon Bonstedt 1972, später Nölke 1994, auf eine Mehrzahl von Fällen bezogen beispielsweise auch Mollenhauer/Uhlendorff 1995), fällt es schwer, sie als ein methodologisches Spezifikum auszumachen.
[149:5-6] 2. In dieser Lage könnte man sich vom
Lebenswelt
-Konzept eine methodologische Besonderheit sozialpädagogischer Forschung versprechen. Sieht man ab von der berufsmoralischen Bedeutungskomponente dieses Ausdrucks, davon, daß es (auch)
ein sozialpolitisch verortetes Arbeitsprogramm
, ein (praktisches)
Gestaltungsprinzip
, also eine Handlungsempfehlung sein könnte
(Thiersch 1993, S. 12)
, dann bleiben immer noch mindestens zwei Fragen, die forschungsmethodisch interessant sein könnten. Man muß dann allerdings unterscheiden: Der |A 55|Ausdruck
Lebenswelt
trägt von seinem Ursprung her eine erkenntniskritische Bedeutung mit sich (vgl. Habermas 1981) und meint die primären Gewißheiten, mit deren Hilfe das Subjekt sich überhaupt in
seiner
Welt zurechtfinden kann.
Lebenswelt
meint aber auch, nach häufigem Sprachgebrauch, nicht dieses erkenntniskritische Problem, sondern einen sozialräumlichen Sachverhalt (die Lebenswelt dieser Familie, dieser Vorstadt, dieser Clique von Jugendlichen am Bahnhof usw.). Die methodologischen Probleme sehen in beiden Fällen ziemlich verschieden aus. Der erste (erkenntniskritische) Fall gibt eine Methodologie vor, die ziemlich streng ist: Ich benötige dann Operationen, die mir möglichst zuverlässig jene primären Gewißheiten zugänglich machen – und das sind vor allem Verfahren der linguistischen Analyse oder, etwa im Fall kleiner Kinder, der genauesten Beobachtung. Der zweite Fall,
Lebenswelt
als sozial-räumliche Kategorie, erlegt mir weniger strenge methodologische Regeln auf. Um die
Lebenswelt
eines der Straßenkinder, seine sozial-räumliche Position also, zu erforschen, benötige ich Daten verschiedener Herkunft: Selbstaussagen (wenn sie zugänglich sind), Beobachtungen über soziale Kontakte, Herkunftsinformationen, siedlungsgeographische Skizzen, polizeiliche Aktivitäten, Betreuungsversuche usw.. Im ersten Fall also hätten wir es mit einer relativ eindeutigen Methodologie zu tun – aber leider ist sie für die Sozialpädagogik zwar wünschenswert, aber nicht spezifisch. Im zweiten Fall haben wir es mit Problemen zu tun, die in der Sozialpädagogik sich dringlicher stellen als in anderen Teil- Pädagogiken; aber sie sind ein Ensemble von Methoden, die in der Geschichtswissenschaft, der Ethnologie, der Volkskunde, der Schulforschung, der Entwicklungspädagogik ebenso Verwendung finden. Auch in dieser Hinsicht ist also
Lebenswelt
keine sozialpädagogische Besonderheit.
[149:7] 3. Indessen läßt sich kaum übersehen, daß die Sozialformen, in denen sozialpädagogische Praxis, also im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe, geschieht, andere sind als in schulischen Einrichtungen oder denen der Erwachsenenbildung. Könnte oder sollte es also etwas geben, der schulbezogenen Lehr-Lern-Forschung vergleichbar, was einen methodologisch besonderen Zugang zu den Lernproblemen der sozialpädagogischen Klientel eröffnet? Das ist eine schwierige Vorstellung. Fast ist es zu trivial, auf die Unterschiede hinzuweisen: Die auf Instruktion hin angelegte Schulklasse hat schon in ihrer Sozialform (entfernte) Ähnlichkeit mit einem Laboratorium, das begründete methodologische Entscheidungen – etwa im Hinblick auf die Kontrolle curricularer Varianzen, auf Leistungs-Diagnose, auf Lenwege und Lernzeiten – nahelegt, auch wenn gelegentlich selbst hier Vorbehalte sich einstellen (z. B. Rumpf 1986); das Lernfeld der sozialpädagogischen Klientel bietet indessen ein ungleich heterogenes und |A 56|komplexeres Bild. Das gilt selbst für die stationären Formen der Erziehungshilfe: Ein therapeutisches Kinderheim beispielsweise ist ein Lernmilieu, eine Kultur im kleinen, wo vom Umgang mit der Zahnbürste bis zu den symbolischen Produkten von Kinderbildern und Spieltherapien alles versammelt ist, was für Lernen und Bildung Bedeutung hat. Hier eine methodologische Forschungsentscheidung zu treffen, die eine Methode vor anderen favorisiert, müßte als Verstümmelung der Problemlagen erscheinen.
[149:8] 4. Empfiehlt sich also für die Sozialpädagogik am ehesten die Feldforschung? Es könnte so scheinen, denn in diesem methodologischen Konzept (dem
Lebenswelt
-Konzept, wenn ich recht sehe, verwandt), vor allem in der Ethnologie und Kulturanthropologie entwickelt, ist nun alles versammelt, was eine
dichte Beschreibung
lernrelevanter kultureller Umwelten möglich macht (Geertz 1987): Die sorgfältige Darstellung und Interpretation der sozialräumlichen Situierung, die Erfassung des materiellen Inventars, die Kommunikationssorten und -wege, die Deutungen der Beteiligten, die Vermittlungsinteressen der einen und die Aneignungsbereitschaften der anderen, die statistischen Verteilungen von Disparitäten usw.. All dies könnte (und sollte) in sozialpädagogischer Forschung zur Geltung gebracht werden. Wäre das bisher der Fall gewesen, dann wüßten wir (vermutlich) Genaueres über die pädagogische Potenz von Heimkulturen, Jugendzentren, Straßenmilieus o. a.. Aber wäre das eine der Sozialpädagogik eigentümliche Methodologie? Es wäre eher die Adaption dessen, was die Ethnologie uns vorgemacht hat. Man muß das nicht beklagen; die Pädagogik, auch die Sozialpädagogik, hinkt der Geschichte ohnehin, und zwar plausiblerweise, hinterher. Wir profitieren (methodologisch!) vom Fortschritt der anderen. Vom
sozialpädagogischen Jahrhundert
jedenfalls kann, methodologisch, keine Rede sein; eher ist es ein
ethnologisches Jahrhundert
. Die Völkerkunde nämlich belehrt uns über die Forschungswege, die auch für die Sozialpädagogik nützlich sein könnten.
[149:9] Es kann also, denke ich, keine methodologische Besonderheit der Sozialpädagogik geben. Das ist kein überraschender Befund, sondern der sozialwissenschaftliche Normalfall: Wer sich Milieus, kulturelle Umwelten, Lernsituationen außerhalb der Schule zum Forschungsgegenstand wählt – in der Sozialpädagogik, der historischen Mentalitätsforschung, der politikwissenschaftlichen Rekonstruktion von Wähler- und Parteien-Rekrutierungen, in der Ethnologie oder in der Volkskunde usw. –, wird immer auf eine Pluralität von Forschungsmethoden angewiesen sein. Der Terminus
Lebenswelt
, als Kategorie für sozial-räumliche Phänomene, versucht dies zur Sprache zu bringen. Man könnte statt dessen auch
Kultur
sagen oder
Miljöh
(Zille). Alle Wissenschaften, die sich Derartiges zum Gegenstand machen, sind dar|A 57|auf angewiesen, eine Vielfalt forschungsmethodischer Operationen ins Spiel zu bringen. Dazu gehören auch, wovon oben noch nicht die Rede war, die statistischen Vergewisserungen der Reichweite von Behauptungen und Forschungsresultaten.
[149:10] Schon die Beschreibung der Berufstätigkeit derer, die sich im Felde der Sozialen Dienste professionell bewegen, zeigt, in welche Schwierigkeiten die sozialpädagogische Forschung geriete, wenn sie sich einer methodologischen Option verschreiben würde: Quantitative Vorgaben über Wahrscheinlichkeiten, institutionelle Strukturen, administrative Prozeduren, professionelle Rollendefinitionen, Aufmerksamkeit für besondere Lebenslagen, für Selbstdeutungen der Klientel, für kulturale Traditionen etc. sind in verschiedener Mischung beständig präsent. Methodologisch erfordern sie eine Pluralität von Zugängen. Es wäre, in dieser Situation, eher schädlich, wollte die wissenschaftliche Sozialpädagogik etwa die Leiterin eines Jugendamtes oder den Sozialpädagogen in einer Wohngemeinschaft mit einem Wissen versorgen, das sich nur einer methodischen Option verdankt. (Einer einseitigen Methodologie in der Sozialpädagogik ist es vielleicht zuzuschreiben, daß es zwar keinen Mangel gibt an Praxisberichten, Fallanalysen, Alltagsbeschreibungen etc., daß aber etwas fehlt, das dem Stand der kontinuierlichen Berichterstattungen über schulische Entwicklungen auch nur annähernd gleichkommt.) Methodologisch also läßt sich für
Sozialpädagogik
kein Spezifikum ausmachen, das deren innere Konsistenz verbürgen könnte; bei einer sozialwissenschaftlichen Disziplin, die immer auch geisteswissenschaftlich-historische Problemstellungen mit sich führt, wäre das ohnehin merkwürdig. Gibt es, so ist nun zu fragen, vielleicht eine thematische Kohärenz von Problemstellungen, die in den anderen Teildisziplinen der Pädagogik zurücktritt oder wegen dort dringlicherer Fragen gar nicht recht erkennbar ist? Historisch gesehen, kann einem das als wahrscheinlich Vorkommen, jedenfalls als eine plausible Hypothese.

3.2. Thematische Optionen

[149:11] Zunächst könnte es scheinen, daß die Suche nach einem thematischen Profil der Sozialpädagogik ähnlich ausgeht wie die Suche nach methodologischer Besonderheit. Was hat denn, thematisch, der Kindergarten mit der Straßensozialarbeit, ein Jugendzentrum mit einem therapeutischen Kinderheim, das Pflegekinderwesen mit den administrativ definierten Berufsrollen zu tun? Nicht nur müssen hier beständig andere forschungsmethodische Zugänge gefunden werden, auch die Thematik, die interessierende und aufzuklärende Problemstellung ist eine je besondere und wird, in Hinsicht auf Forschungsfragen, von den gesetzlichen Vorgaben (KJHG) nur mühselig zusammengehalten. Dennoch soll hier versucht werden, in der Ver|A 58|schiedenartigkeit solcher Besonderheiten eine gemeinsame Thematik zu entdecken, die der sozialpädagogischen Forschung eine Orientierung sein, sie gleichsam bündeln könnte. Es müßten also solche Themen sein, die in anderen Teildisziplinen der Erziehungswissenschaft sich weniger dringlich stellen und die zugleich vermögen, einen Zusammenhang zu stiften, der sich unschwer in der Verschiedenheit der Institutionen und Maßnahmen wiedererkennen läßt.
[149:12-13] 1. Generation. Die Abfolge der Generationen läßt sich, für das 20. Jahrhundert, nicht mehr nur (!) durch die in pädagogischen Institutionen zu beobachtenden Transformationen von Curricula, von Lehr-Lern-Strategien und deren Eigendynamik – etwa als schulische Reformbemühungen – beschreiben. Trotz der im Generationenverhältnis nach wie vor gegebenen Dominanz der Bildungseinrichtungen und Familien läßt sich heute konstatieren, daß die kulturelle Kontinuität, die Schleiermacher noch nach Maßgabe einer Vorstellung vom Fortschreiten der Vernunft erhoffte, weniger fraglos ist, als er dachte. Das ist eine kulturtheoretische Frage, bei der offen bleiben mag, ob sie eher der Allgemeinen Pädagogik oder eher der Sozialpädagogik zugehört. Beide sollten sie sich zum Thema machen. Das ist indessen längst geschehen: Zur Seite der Sozialpädagogik hin gibt es seit längerem schon zahlreiche Studien, die Lebensläufe entlang jener von Schleiermacher nur vermuteten Grenze zwischen institutioneller Formierung und eigener Lebensdeutung (hier nur beispielhaft Bonstedt 1972, Nölke 1994) beschreiben und erklären. Gleiches aber zeigt sich, in allgemeinerer Perspektive, in der pädagogisch interessierten Lebenslauf- oder Biographieforschung (beispielhaft vgl. etwa Fuchs-Heinritz/Krüger 1991, Schütze 1987, besonders und zusammenfassend auch Büchner 1995). Zwei Forschungsthemen sind es, die hier vor allem hervortreten: die Auseinandersetzung der nachwachsenden Generation mit den kultural-institutionellen Gliederungen des Lebenslaufs und die Formierung von Generationsprofilen, die, so scheint es, in immer kürzerer Abfolge zu beobachten sind. Dem an der institutionellen Kontinuität der Schulen haftenden Blick erscheint dies als Störung, Irritation oder Reformnötigung. Dem
sozialpädagogischen Blick
könnte es als die pädagogische Grundfrage erscheinen. Er würde damit sich anschließen können nicht nur an die einschlägigen soziologischen Argumentationen (z. B. Mannheim 1928, Eisenstadt 1966, Tenbruck 1962), sondern auch an die Problemstellungen der Kulturgeschichtsschreibung und der Sozialgeschichte. Das gilt besonders deshalb, weil – und das wäre die zweite Komponente dieses Forschungsthemas – erst in diesen Jahrzehnten deutlich wird, daß das Generationenverhältnis nicht mehr in kulturalistischer Kurzform analysiert werden kann, sondern tief in die Probleme der materi|A 59|ellen Reproduktion, in Sozialpolitik hineinreicht (vgl. z. B. Lüscher/Schultheis 1993, Rauschenbach 1994). Was die Schulpädagogik zurückstellt – freilich entgeht auch ihr diese Thematik nicht –, rückt für die Sozialpädagogik in den Vordergrund, und zwar deshalb, weil die vor allem in Schulen institutionalisierten Prozeduren zur Aufrechterhaltung kultureller Kontinuitäten und
Identitäten
nicht zu den dominanten Themen gehören muß. Die Jugendhilfe hat es mit kritischen sozialen Lagen, mit kritischen Lebenssituationen zu tun, die in der größten Zahl der Fälle sich nicht in den institutionellen Kontinuitäten bruchlos lokalisieren lassen. Die Kinder- und Jugendhilfe kann auch nicht mehr übersehen, daß Generationen sich nicht mehr umstandslos als Kohorten beschreiben lassen und daß – noch wichtiger – ihre Relation einerseits das Problem der personalen Beziehung zwischen Erwachsenen und Kindern in sich birgt, andererseits aber auch als gesellschaftlich-strukturelles Verhältnis der generativen Reproduktion (Jugendarbeitslosigkeit, Rentensysteme u. ä.) den politisch-ökonomischen Rahmen absteckt, innerhalb dessen Jugendhilfeprobleme im Kontext des Sozialstaates fungieren. Die sozialpädagogische Forschung (jenseits einer eher appellativen Rhetorik wie in diesem Aufsatz) könnte hier den Vertretern anderer Teildisziplinen, die immer noch die Kategorie
Erziehung
an den Ausgangspunkt rücken möchten (vgl. z. B. Prange 1996, Sünkel 1996), wichtige Argumente entgegensetzen. Das sind nicht nur begriffliche Fragen nach der Logik erziehungswissenschaftlicher Argumentation, sondern auch solche, die die kulturhistorische Lokalisierung der Sozialpädagogik betreffen, vor allem aber auch empirische Forschung erforderlich machen.
[149:14] 2. Normalitätsbalancen. Daß es, trotz aller auch damals schon absehbaren institutionellen Differenzierungen des Erziehungs- und Bildungssystems einen (republikanischen) Grundkonsens über die normativen Orientierungen geben müsse und könne, das war den pädagogischen Theoretikern der klassischen Phase nicht zweifelhaft. Dieser Optimismus hat an Reichweite einiges eingebüßt. Von Beginn an bestimmte die sozialpädagogischen Diskurse die Abweichung von den gesellschaftlich herrschenden Normalitätsentwürfen. Was aber zunächst und bis in unser Jahrhundert hinein als Randproblem erschien, darf heute fast als ein Grundzug des Heranwachsens beschrieben werden.
[149:15] Das sind Fragen, die inzwischen bis in Gymnasiasten-Milieus hineinreichen und in der neueren Jugendforschung vielfältig, explizit und implizit, dokumentiert werden. In der Sozialpädagogik haben sie indessen ihren gleichsam ersten Ort. Wenn wir uns also kulturhistorisch in einer Lage befinden sollten, in der noch unentschieden ist, welche Entwürfe für die
Normalität
eines Lebens Geltung beanspruchen dürfen, dann müßten wir uns eigentlich von |A 60|der sozialpädagogischen Klientel belehren lassen können. Das, so scheint mir, ist ein starkes Motiv für eine Forschung, die nun
lebensweltliche
(im methodologischen Sinne des Wortes) Fragen aufwirft. Über welche Normalitäts-Gewißheiten verfügt die Klientel, in welchen Bedeutungszonen stellen sich Irritationen ein, gibt es
Normalitäts
-Experimente, wie wird der Bezug zu den institutionalisierten Nmormalitätsentwürfen gesehen, usw.? Die historisch-theoretischen Grundlagen für eine solche Thematik hat M. Winkler in einer Gründlichkeit und Genauigkeit beschrieben, die, wenn ich recht sehe, bisher unübertroffen ist (Winkler 1988).
Subjektivität
, heißt es dort, verfüge
stets über eine Affinität zur Anomalie
(a. a. O., S. 146)
.
Wie können unter den ständig veränderten Gesellschaftsbedingungen Individuen so
hergestellt
werden, daß Gesellschaft überhaupt bestehen bleibt
, wenn es, in der bürgerlichen Gesellschaft, doch das
Subjekt
ist, das den (einen) Fluchtpunkt pädagogischer Legitimation darstellen soll
(S. 186)
.
Sozialpädagogisches Handeln muß also mit der Normalität des Unterschiedes rechnen
, also z. B. mit der des Unterschiedes zwischen öffentlichen und privaten Normalitätsentwürfen
(S. 270)
, oder müsse anerkennen (im Unterschied zur Schule, die in diesen Fragen einem anderen Auftrag folgt), daß die Klienten
sich ein eigenes Universum ... schaffen, das dem unsrigen fremd sein mag
(S. 279)
. Derartiges bringe
das Subjekt in die eigentümliche Situation, mit zwei konkurrierenden
Normalitäten
in seiner Biographie umgehen zu müssen
(S. 289)
.
[149:16] Diese
eigentümliche Situation
müßte durch empirische Forschung zugänglich gemacht werden können. Heimerzieher(innen),
Street-Worker
, das Personal von Beratungseinrichtungen oder Jugendzentren etc., sie alle stehen beständig vor der Frage – von der die Schulen entlastet sind –, wo die Grenze liegt zwischen solchen Normalitätsentwürfen, die kalkulierbar sich in die gesellschaftlich konformen Lebenspraktiken einfädeln lassen, und anderen, die keine in dieser Art verträgliche Prognose erlauben. Die Klientel der Sozialpädagogik, auch wenn es statistisch nur eine Minderheit der Gesamtbevölkerung ist, konfrontiert uns mit diesem Problem deutlicher als andere Populationen. Die
Ethnomethodologie
hat gezeigt, welche Forschungswege sich hier eröffnen (vgl. Parmentier 1981; auch Bourdieu 1976; Habermas 1982, S. 182 ff.); auch in der sozialpädagogischen Diskussion der 70er Jahre gibt es einen wichtigen Hinweis: Der aus dem symbolischen Interaktionismus, besonders aus dem
labeling approach
, gelegentlich radikal gefolgerte Etikettierungsverzicht ist, im Sinne der Argumentationen praktischer Philosophie, die Option für eine Preisgabe vereinheitlichender Normalitätsentwürfe. Darin ist freilich nicht nur Kritik an herrschaftsförmigen Zurichtungen von Lebensläufen enthalten; es ist auch eine philosophisch und soziologisch naive Position, so |A 61|als könnten Sozietäten ohne artikulierte Vorstellung davon auskommen, was, je nach Maßgabe der Auslegung von
Humanität
, noch zum Bereich des zu billigenden Verhaltens gehört. Zwei Forschungsprobleme treten aus den vielfältigen Fragen in diesem Spektrum besonders hervor: die Rechtfertigungsfähigkeit von Normalitätserwartungen der institutionalisierten Kinder- und Jugendhilfe im Kontrast zu den pluralen Selbstinszenierungen (nicht nur der heranwachsenden Generation) – und die Relation zwischen solchen Entwürfen oder Stilsuchbewegungen, die auf gesellschaftliche
Realität
hin orientiert sind, und anderen, die eher fiktive Gehalte zur Darstellung bringen.
[149:17] 3. Armut. Daß die sozialpädagogisch interessierte Geschichtsschreibung meist mit den Armenpflege-Institutionen der frühen Neuzeit beginnt (beispielgebend Sachße/Tennstedt 1980) oder auch, vom
Überwachen
auf das
Strafen
verschoben, mit dem Amsterdamer
Tuchthuis
von 1596
(Winkler 1988, S. 239 ff.)
, ist nicht nur ein Datum der Historiographie. Läßt man die Kindergärten, für die freilich andere Bedingungen gelten, außer Betracht, dann zeigen die gegenwärtigen Jugend- und Sozialhilfestatistiken deutlich, daß der überwiegende Teil der
sozialpädagogischen
Klientel solchen Bevölkerungsgruppen entstammt, die (mindestens) von Armut bedroht sind, jedenfalls dann, wenn es sich nicht nur um relativ kurzfristige Maßnahmen handelt. Welche Art von Problemen führt ein Milieu mit sich, in dem die Sozialisationserwartungen unter dauerhafter Armut oder Armutsbedrohung stehen? Die sozialpädagogische Forschung (!) hat dies den soziologischen und sozialpolitischen Wegen der Erkenntnis überlassen. Interdisziplinarität, die ja häufig von sozialpädagogischer Seite her zur Sprache gebracht wird, bedeutet also hier offenbar nur, derartige Forschungsresultate zur Kenntnis, nicht aber eine eigene sozialpädagogische Armutsforschung systematisch in Angriff zu nehmen.
[149:18] Das ist bemerkenswert. Schon die frühe Studie von Hetzer (1937) hätte Anlaß sein können, das Armutsthema mehr zur Mitte sozialpädagogischer Forschung hinzurücken. Spätestens seit Zanders prägnanter und – wie wir heute sagen können – vorausschauender Problemskizze zur Armutsproblematik (Zander 1984), deutlicher noch in den theoretisch-methodologischen Konzepten der
dynamischen Armutsforschung
(Leibfried 1995), den Unterscheidungen zwischen kurzfristiger Armutsbedrohung, indiziert durch Sozialhilfebezug, und längerfristiger, gelegentlich gar über die Generationengrenze hinweg dauerhaft manifester Armut – die sozialpädagogische Forschung hätte hier eines ihrer dominanten Themen und hätte damit zugleich den Anschluß gesichert an die Systeme der materiellen Reproduktion. |A 62|Woran liegt es, daß sie davon keinen forschungsintensiven Gebrauch gemacht, sondern es eher bei Appellen und Zitaten gelassen hat?
[149:19] Wenn es stimmen sollte, daß
methodisches Arbeiten und Handeln in der Sozialarbeit
bedeute,
den Zusammenhang politischer, materieller, instrumenteller und sozialer Nöte und Aufgaben zu sehen
(Thiersch 1986, S. 45)
, dann ist es schwer verständlich, warum eben dies in den forschungsrelevanten Diskursen nicht in den Vordergrund gerückt wird. Die Furcht vor einem
minderen gesellschaftlichen Status
der Sozialarbeit als Praxis
(a. a. O., S. 44)
könnte hier in Theorie und Forschung hineingewirkt haben, so als riskiere auch eine sozialpädagogische Armutsforschung akademische Deklassierung. Die von Bäumer (1929) bis zu Böhnisch (1992) gelegentlich vorgetragenen Bestimmungen sozialpädagogischer Thematik lassen das vermuten. Daß die Sozialpädagogik, als wissenschaftliche Bemühung um die Aufklärung der Probleme von Kinder- und Jugendhilfe, es vornehmlich mit den Verlusten im Modernisierungsprozeß des Erziehungssystems zu tun hat, wird nur ungern akzeptiert. Die Differenz von arm und reich ist aber ein Kriterium der Unterscheidung, ein wesentliches, die sozialpädagogischen Fragestellungen charakterisierendes Merkmal sozialer Existenz. Wenn also von Hauptstücken sozialpädagogischer Forschung die Rede sein soll, dann sollte die pädagogische Problematik von Armutsmilieus, sollten die Strategien und Folgen der Sozialhilfe bis hin zu den drohenden
Umbauten
des Sozialstaates zu ihren ausgezeichneten Forschungsgegenständen gehören. Es wäre übrigens eine willkommene Bewährungsprobe für die mit Recht immer wieder betonte Nähe gerade der Sozialpädagogik zu anderen sozialwissenschaftlichen Disziplinen. Gegenwärtig zeigt sich indessen noch, wenn ich recht sehe, daß wir zwar, mal mehr, mal weniger, die Ergebnisse der Armuts- und Sozialhilfeforschung (z. B. Hauser/Hübinger 1993) zur Kenntnis nehmen, daß wir aber in diesem für die Sozialpädagogik zentralen Forschungsfeld kaum zu eigener Produktivität gelangt sind. Daß für sozialpädagogische Fragestellungen hier indessen viel zu tun wäre, läßt sich an der sozialpolitischen und sozologischen Forschungslage gut ablesen.
[149:20] 4. Interkulturalität. Generationen-Probleme, Normalitätsentwürfe, Armutslagen bündeln oder kumulieren sich gleichsam angesichts der Tatsache, daß die Verschiedenheit kultureller Herkünfte nicht nur aktuell zum Problem des Erziehungssysems geworden ist, sondern vermutlich auch dessen Zukunft wesentlich mitbestimmen wird. Das – so meine Vermutung – wird künftig eines der herausragenden Themen der Sozialpädagogik sein. Man könnte einwenden, daß eine solche Behauptung auch für die Schulpädagogik geltend gemacht werden könnte, nehmen doch die Einwandererkinder als Schülerinnen und Schüler beständig zu – eine Zunahme, |A 63|die ihrerseits die Probleme des
Schulehaltens
gelegentlich, besonders in Kindergärten, Grund- und Hauptschulen, kräftig tangiert. Diesem Einwand ließe sich die folgende Beobachtung entgegenhalten: Europäische Schulen folgen – auch wenn das gelegentlich beklagt werden mag – einer universalistischen Erwartung, führen diese indessen durch das Nadelöhr (mindestens) der Nationalsprache ein. Das Schulsystem, darin gestützt durch das Beschäftigungssystem, bringt, mindestens über die Sprache, eine Integrations- oder Assimilationserwartung zur Geltung. Die Sozialpädagogik als wissenschaftliche Aufklärung über die Probleme der Kinder- und Jugendhilfe hat es dann aber mit den Bedingungen und Folgen solcher Erwartungen zu tun. Hier, beispielsweise und m. E. ziemlich signifikant, kann die universalistische Erwartung nicht mehr, wie im Falle der organisierten Instruktion durch Schule, inszeniert werden. Das Handlungsfeld liegt zwischen den Assimilationserwartungen der Schule und den ambivalenten, zwischen Herkunftkultur und Integrationswünschen häufig eingeklemmten familialen Milieus. Es ist ein (nun sozialpädagogisches) Handlungsfeld, das es mit fragmentierten oder konkurrierenden
Identitäten
(um dieses Modewort hier abkürzend zu verwenden) zu tun hat, jedenfalls mit der lebensgeschichtlich relevanten Frage nach Zugehörigkeiten.
[149:21] Allerdings sollte man dies nicht im Sinne eines
kulturalistisch verkürzten Konzepts der Lebenswelt
(Habermas 1981, S. 205)
mißverstehen. Zugehörigkeiten und Distanzen müssen in verschiedenen Dimensionen beschrieben werden. Sie nur als Differenz symbolischer Ordnungen zu beschreiben, nur mit Hilfe der anthropologischen Kategorie der
Fremdheit
argumentationszugänglich zu machen oder nur als sozioökonomische Disparität zu interpretieren – um nur wenige Dimensionen zu nennen –, würde die Wirklichkeit verfehlen, die die Sozialpädagogik in den Blick zu nehmen sucht (vgl. Hamburger 1996). Vielleicht hätte sie in den Forschungen der Ethnologie ein Vorbild oder Beispiel.
[149:22] Einem derart differenzierenden sozialpädagogischen Blick kommt die Praxis zu Hilfe. Im Bereich der offenen Jugendarbeit, besonders der
aufsuchenden
und des
street work
, aber auch schon in den Kindergarten-Kontexten und andernorts zeigt sich die zunehmend gewichtige Stellung dieser Thematik als eine der Sozialpädagogik eigentümliche. Sie wäre überdies hervorragend geeignet, die in der einschlägigen Literatur gern geltend gemachte Beziehung zwischen
System
und
Lebenswelt
einer genaueren empirischen Analyse zugänglich zu machen. Das alles ließe sich gut an der Situation eines 16jährigen türkischen Mädchens, in Berlin-Kreuzberg lebend und Besucherin einer Jugendfreizeiteinrichtung, erläutern, sowohl die verschiedenen methodologischen Zugänge zur Beschreibung einer solchen sozialen und |A 64|kulturellen Lokalisierung als auch die mit Generation, Normalitätsentwürfen, Armutsbedrohung und Interkulturalität innerhalb unseres Erziehungssystems gegebene sozialpädagogische Thematik. Auch die Problemstellungen der Allgemeinen Pädagogik hätten hier ihren Ort: die theoretischen Konstrukte von Bildungsgenesen, die moralischen und ästhetischen Dimensionen des Heranwachsens, die Phänomenologie von Kindheit und Jugendalter, die Geschlechterdifferenzen, die in Anspruch genommene
Mündigkeits
-Erwartung, die sozialstrukturellen Bedingungen pädagogischer Interventionen und manches andere.
[149:23] 5.
Treatment
-Forschung.
Der Ausdruck ist unglücklich gewählt – aber wie soll man den mehr oder weniger genauen Konnotationen entgehen, die sich bei den Vokabeln
Behandlung
,
Erziehung
,
Therapie
,
Bildung
,
Versorgung
,
Hilfe
usw. einstellen? Gemeint ist eine Forschung, die sich die Maßnahmen und Einrichtungen, die materiellen und personalen Prozeduren der Kinder- und Jugendhilfe zum Gegenstand macht, und zwar unter dem Gesichtspunkt ihrer Evaluation. Dürfen wir eine Maßnahme oder eine Einrichtung erfolgreich nennen, wenn die beabsichtigte Unterstützung/Hilfe/Erziehung in 50% der Fälle zum (selbstgesetzten) Ziele führt? Sind wir mit weniger zufrieden oder setzen wir das Kriterium höher an? Die ersten vier Themen meines Vorschlages betreffen die Problemkonstellationen, auf die die sozialpädagogische Praxis reagiert. Hier nun geht es um die Problemangemessenheit der Reaktion, z. B.: Welche Art von
street work
ist wirklich hilfreich (vgl. Hansbauer 1996), welches Heim verhindert am ehesten dauerhafte Devianz-Karrieren, unter welchen Bedingungen bilden sich die Besucher von Jugendzentren zu produktiv beteiligungsfähigen Bürgern, wann erreicht ein
therapeutisches Milieu
die Selbstbildungsbereitschaft ihrer Klienten, wann arbeitet ein Jugendamt effektiv im Sinne einer humanen Prognose für seine
Fälle
, woran bemißt sch der Erfolg von Familienberatung, usw.? Es soll überhaupt nicht strittig sein, daß, im Vergleich etwa zur Schulpädagogik, die Sozialpädagogik hier einen ungleich schwierigeren Ausgangspunkt hat und deshalb die genauere Bestimmung von
Erfolg
ungleich größere theoretisch-begriffliche Anstrengung erfordert (der Erfolg einer Familientherapie kann in einem wiedergewonnenen Zuammenhalt dieser Haushaltseinheit liegen, aber auch in der Scheidung; der Resozialisierungserfolg einer mehrjährigen Gefängnisstrafe kann in einer relativ unauffälligen Berufskarriere, in einer Familiengründung oder in anderem liegen). Jedenfalls: irgendwelche forschungszugänglichen Kriterien sind nötig, es sei denn, die Sozialpädagogik ist der Meinung, schon eine solche Kriterien-Erwartung sei obsolet.
[149:24] Das könnte eine begründete Meinung sein. Wenn nämlich die sozialpädagogische Praxis nichts wäre, außer daß sie die den Individuen zugefügten Modernisierungsschäden immer |A 65|wieder und häufig nur notdürftig zu beheben hätte, dann wäre das Kriterium der psychosozialen Überlebenschance hinreichend. Mit ebenso guten Gründen aber läßt sich – vgl. die oben aufgeführten Hinweise auf
Generation
,
Normalität
und
Interkulturalität
– geltend machen, daß im praktischen Erfahrungsfeld der Sozialpädagogik die Frage auftaucht, ob diese in der Lage sei, mit der entstandenen Vielfalt ihrer Einrichtungen das neue Gefilde zu bebauen, und zwar so, daß sie ihre Beiträge zur Weiterentwicklung des Erziehungssystems der Kritik zugänglich macht. In dieser Perspektive wäre der sozialpädagogischen Forschung eine konstruktive Leistung abverlangt. Sie könnte dabei von der didaktischen Forschung für Schulen einiges lernen, weniger im Detail, aber doch in den allgemeinen Strategien, die man dort verfolgt hat: Ermittlung der kategorial akzeptablen Dimensionierungen der Bildungsinhalte, Verteilung und entwicklungslogische Stufung dieser Inhalte/Kategorien auf Schulstufen, diagnostische Prüfung und Bewertung der Leistungsfähigkeit einer schulischen Einrichtung und der von ihr betreuten Population.
[149:25] Derartige Parallelen und Vokabularien finden derzeit in der Sozialpädagogik nur wenige Freunde. Ich formuliere solche Fragen deshalb noch einmal um, und zwar am Beispiel einer gleichsam extrem anders gelagerten Maßnahme der Sozialpädagogik, nämlich Straßenkinder und die sozialpädagogische Reaktion darauf: In welchen kategorial akzeptablen Dimensionen könnten die Lernprobleme dieser potentiellen
Klientel
beschrieben werden, wie könnten diese zum Entwicklungsalter der Kinder und Jugendlichen in Beziehung gesetzt werden, was können sozialpädagogische Interventionen (welche!) in solchen Lagen bewirken? Läßt sich also der in die sozialpädagogische Diskussion eingeführte Ausdruck
gelungener Alltag
in irgendeiner Weise der rationalen Kritik, d. h. dem kriterienorientierten Vergleich zugänglich machen?

3.3. Kategoriale Ordnungen

[149:26] Immer wieder wird in der sozialpädagogischen Literatur hervorgehoben, daß die Probleme dieses Feldes nur zureichend bearbeitet werden können, wenn ein dichter Kontakt zu anderen Wissenschaften, besonders zu den benachbarten Sozialwissenschaften, gesucht oder aufrechterhalten wird. Das hat verschiedene Folgen. Einerseits ist damit verträglich, daß es – wie oben skizziert – keine der Sozialpädagogik eigentümliche Forschungsmethode gibt, sondern nur die Aufgabe, aus einem pluralen methodologischen Reservoir diejenigen Methoden oder Methodenkombinationen auszuwählen, die der je gewählten Problemdefinition angemessen zu sein scheinen. Andererseits aber entsteht durch solche Interdisziplinaritäts-Orientierung die |A 66|Schwierigkeit, daß hinter der unabweisbaren Vielfalt von Forschungszugängen die kategoriale Aufmerksamkeit nachläßt oder verschwindet.
Kategorial
nenne ich eine Aufmerksamkeit dann, wenn sie durch leitende Begriffe strukturiert wird, die nicht nur erläutert, sondern auch begründet werden. Forschungsthemen ergeben sich von diesen Begriffen, also einer wissenschaftlich konstruierenden Tätigkeit her, nicht aber aus den Vokabularien der praktischen Handlungsvollzüge, jedenfalls dann, wenn die wissenschaftliche Tätigkeit gerade durch ihre Beobachtungsperspektive sich von der
Praxis
unterscheidet. In dieser Perspektive nun ist es nützlich zu fragen, ob es denn eine
kategoriale
Ordnung der Sozialpädagogik geben könne, die der Forschung eine Richtung weist. Meine forschungsthematische Skizze bringt keine kategoriale Ordnungsvorstellung zur Sprache, sondern erläutert nur, implizit, deren Bedarf. Das aber ist derzeit ein Feld für Strittiges.
[149:27] Dafür, daß es strittig ist, gibt es einige Symptome. Einerseits gibt es, in der Lehrbuch-Literatur, solche Publikationen, in denen
Sozialpädagogen
(Rauschenbach in Lenzen 1994) und
sozialpädagogische Einrichtungen
(Mollenhauer in Lenzen 1994) in eigenen Kapiteln behandelt werden, andererseits taucht die Sozialpädagogik gar nicht mehr als Kapitelüberschrift auf (Krüger/Helsper 1995, Krüger/Rauschenbach 1995), sondern bleibt hinter Stichworten wie Erziehung, Diagnose, Beratung, Hilfe, Kindergarten, Jugendarbeit u. ä. verborgen. Es werden gegenwärtig also offenbar zwei Wege begangen: Der letztere ist auf
Grundbegriffe
und
Arbeitsfelder
hin orientiert, die sich zu den Teildisziplinen der Erziehungswissenschaft neutral verhalten mit dem Vorzug, nun professionalisierte pädagogische Handlungstypen in institutioneller Differenzierung vorzutragen und der Forschung zu empfehlen. Der erste Weg hingegen versucht, einen
sozialpädagogischen Blick
(Rauschenbach u. a. 1993) zu konturieren, dem sich ein Segment des Erziehungs- und Bildungssystem zeigt, in dem Probleme zur Sprache kommen, die im Spektrum erziehungswissenschaftlicher Forschung sonst nicht geltend gemacht werden. Das klingt nun so, als würden hier nur Restposten verwertet. Mit meiner forschungsthematischen Revue habe ich dem bereits widersprochen. Der Widerspruch soll nun noch,
kategorial
, ein wenig präzisiert werden.
[149:28] Autoren, die mit den sozialpädagogischen Praxisfeldern weniger vertraut sind, haben gelegentlich Schwierigkeiten damit, daß dort eine Rhetorik entsteht, die die überlieferten begrifflichen Ordnungen des pädagogischen/erziehungswissenschaftlichen Sprachgebrauchs verletzt. In einer Wissenschaft, die den Ausdruck
Erziehung
in ihrem Namen trägt, ist es verständlich, wenn man immer wieder darauf zurückzukommen sucht, was dieser Aus|A 67|druck/Terminus/Begriff zur Sprache bringt. An ihm müsse sich, könnte man meinen, alles bemessen, was im Bereich der Sozialpädagogik an Problemen auftaucht, die auch noch dem Forschungsblick relevant erscheinen. Eine solche Erwartung gerät indessen in Differenz zu dem in der sozialpädagogischen Diskussion bevorzugten Vokabular. Mit Recht wurde bemängelt, daß ein Ausdruck wie (z. B.)
Hilfe zur Lebensbewältigung
oder die vielen Konnotationen von
sozial
häufig die kategoriale Strenge vermissen lassen, die von Leitbegriffen einer wissenschaftlichen Disziplin zu erwarten ist (Prange 1996). Diese zutreffend beschriebene Ungenauigkeit der
sozialpädagogischen
Rede ist aber nicht nur, wie Prange nahelegt, eine Folge mangelnder intellektueller Anstrengung; es ist auch die Folge eines innerhalb der Pädagogik traditionell eingespielten Vokabulars, das, seinem alltagssprachlichen (!) Sinne nach, die Form des Handelns in vielen Teilbereichen der Sozialpädagogik nicht mehr erreicht.
[149:29] In dieser strittigen Lage hat kürzlich Sünkel, allerdings ohne sich dabei ausdrücklich auf die Sozialpädagogik zu beziehen, noch einmal erinnert an die für einen
pädagogischen Begriff der Generation
geltend zu machenden Bestimmungen: Er sei
triangulär
, enthalte nämlich zwei Klassen von Subjektpositionen, eine
aneignende
und eine
vermittelnde
, und einen kulturellen Bestand von
nicht-genetischen Dispositionen
, die einerseits vermittelt, andererseits angeeignet werden müssen. Die Tätigkeiten der Aneignung und der Vermittlung können dabei höchst verschieden verteilt sein und müssen zumal nicht der Zuordnung zu Altersklassen folgen (Sünkel 1996). Um sozialpädagogische Forschung würde es sich demnach immer dann und nur dann handeln, wenn jene drei Momente im Blick sind.
[149:30] Die umgangssprachliche Semantik von Ausdrücken wie Erziehung, Hilfe (vgl. dazu knapp und prägnant Gängler 1995), Beratung und ähnlichem ließe sich so vielleicht präzisieren. Immer aber muß es – darin folge ich Sünkel – ein genetisch nicht dispositioniertes Etwas geben, das der Vermittlung bedarf, um ein Vorhaben noch als sozialpädagogische Forschungsthematik geltend machen zu können. Das Etikett
Erziehung
, so scheint mir, ist für den Objektbereich der Sozialpädagogik verbraucht, jedenfalls für viele ihrer Maßnahmen; das Etikett
Lebensbewältigung
entstammt eher der Erbauungsliteratur und präzisiert – darin folge ich Prange – noch keinen Forschungsblick. Im Gespräch mit der Allgemeinen Pädagogik aber ließen sich vielleicht solche Mängel bereinigen. Hinter den von mir vorgeschlagenen Forschungsthemen – Generation, Normalität, Armut, Interkulturalität und
Treatment
-Forschung – steht also die Frage, ob sie im Sinne kategorialer Genauigkeit und Zuverlässigkeit orientiert und geordnet sind. Etwas offensiver formuliert: Uns sollte die Frage beschäftigen, ob sozialpädagogische Forschung kategorial der Erziehungswissenschaft (um diesen mit guten Grün|A 68|den strittigen Namen zu verwenden) zugehört oder ob das Objektfeld der Forschungsaufmerksamkeit sich in den mehr oder weniger zufälligen Zuordnungen zu anderen sozialwissenschaftlichen Disziplinen diffundiert, dann aber dort in der kategorialen und methodologischen Strenge der neuen Bezugswissenschaft sich wiederfindet. Als Spielwiese für
Restposten
würde ich sie nicht gern betrachten wollen. Sozialpädagogische Forschung hat es also nicht nur mit methodologischen Problemen und mit für relevant gehaltener Forschungsthematik zu tun, sondern auch mit den begrifflich genau zu bestimmenden Fragen nach ihrer Zugehörigkeit zum Fach. Man kann diese Zugehörigkeit kündigen. Das wäre vielleicht nicht schlimm, weil es hinreichend viele Disziplinen gibt, die, ohne kategoriale Skrupel, den seriösen Teil solcher Forschungsambitionen integrieren könnten. Für die Pädagogik/Erziehungswissenschaft und deren Interesse wäre es aber ein Verlust: Ihr würde mit der Sozialpädagogik ein höchst wichtiger Teil kulturtheoretischer Fragen nach der
triangulären
Form des Generationenverhältnisses verlorengehen.
|A 69|

Literatur

    [V83:6] Baethge, M./Hantsche, B./Pellul, W./Voßkamp, U.: Jugend: Arbeit und Identität. Lebensperspektiven und Interessenorientierungen von Jugendlichen. Opladen 1988
    [V83:7] Blandow, J./Faltermeier, J. (Hrsg.): Erziehungshilfen in der Bundesrepublik Deutschland. Stand und Entwicklung. Frankfurt/M. 1989
    [V83:8] Böhnisch, L./Münchmeier, R.: Wozu Jugendarbeit? Orientierungen für Ausbildung, Fortbildung und Praxis. Weinheim/München 1987
    [V83:9] Bonstedt, Chr.: Organisierte Verfestigung abweichenden Verhaltens. München 1972
    [V83:10] Bourdieu, P.: Entwurf einer Theorie der Praxis. Frankfurt/M. 1976
    [V83:11] Brumlik, M.: Advokatorische Ethik. Zur Legitimation pädagogischer Eingriffe. Bielefeld 1992
    [V83:12] Brumlik, M.: Gerechtigkeit zwischen den Generationen. Berlin 1995
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    Straßenkinder
    . Anmerkungen zu einem
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