Die Ursprünge der Sozialpädagogik in der industriellen Gesellschaft [Werkkommentar]

1 Werk: Formale Beschreibung

1.1 Leittext

[1] Mollenhauer, Klaus. Die Ursprünge der Sozialpädagogik in der industriellen Gesellschaft. Eine Untersuchung zur Struktur sozialpädagogischen Denkens und Handelns (Monografie 1959; KMG 005-A). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqvc&edition=A.
[2] Basierend auf:
  • [3] Mollenhauer, Klaus (1959). Die Ursprünge der Sozialpädagogik in der industriellen Gesellschaft. Eine Untersuchung zur Struktur sozialpädagogischen Denkens und Handelns. Weinheim und Berlin: Beltz.
[4] Das Werk wurde 1959 als Heft 8 der von Erich Weniger herausgegebenen Reihe Göttinger Studien zur Pädagogik veröffentlicht. Es umfasst 184 Druckseiten.
[5] Dem Buch von 1959 lag die titelgleiche maschinenschriftliche Dissertation von 1958 zugrunde. Der erste Druckbogen des Buches lag laut Schreiben von Erich Weniger vom 18.12.1958 an den Dekan der Philosophischen Fakultät im Dezember 1958 vor. Der Beginn der Drucklegung des Werkes erfolgte mithin Ende 1958 und wurde in der ersten Hälfte des Jahres 1959 abgeschlossen. Der Revisionsschein zum Druck der Dissertation wurde von Weniger am 18.6.1959 unterzeichnet, das gedruckte Werk lag am 10.7.1959 der Fakultät vor (alle Angaben nach UniA GOE, Phil. Prom., 74).

1.2 Weitere Fassungen

[6] Mollenhauer, Klaus. Die Ursprünge der Sozialpädagogik in der industriellen Gesellschaft. Eine Untersuchung zur Struktur sozialpädagogischen Denkens und Handelns (Monografie 1987; KMG 005-B). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqvc&edition=B.
[7] Basierend auf:
  • [8] Mollenhauer, Klaus (1987). Die Ursprünge der Sozialpädagogik in der industriellen Gesellschaft. Eine Untersuchung zur Struktur sozialpädagogischen Denkens und Handelns. Reprint der Originalausgabe. Mit einem Vorwort von Klaus Mollenhauer und Notizen von Christian Marzahn. Weinheim und Basel: Beltz.
[9] 1987 wurde das Werk als Reprint der Originalausgabe von 1959 wiederum bei Beltz veröffentlicht. Der Text dieser Fassung entspricht vollständig dem der Originalausgabe. Ergänzend traten hinzu ein Vorwort von Klaus Mollenhauer (etwas mehr als zwei Druckseiten) sowie ein Beitrag von Christian Marzahn Sozialpädagogik als Pädagogik. Notizen beim Wiederlesen der
Ursprünge
(ca. sechseinhalb Druckseiten), die beide auf eigens mit römischen Ziffern nummerierten Seiten dem eigentlichen Text vorangestellt sind.
[10] 1983 wurde in einem Quellenband ein Auszug aus Die Ursprünge der Sozialpädagogik unter dem Gesamttitel der Monografie veröffentlicht. Der Auszug bezieht sich auf die Seiten 121–125 sowie 129–132 der Monografie. Es handelt sich dabei um das Schlusskapitel, aus dem die Unterabschnitte 1., 2. und 5. übernommen wurden, mitsamt der Originalzählung der Anmerkungen (s. detailliert dazu die Erläuterungen zu KMG A09-a).

1.3 Übersetzungen

[11] Es liegt eine Übersetzung der Seiten 19–37 nach der Neuausgabe 1987 (KMG 005-B) ins Ungarische vor:
  • [12] Mollenhauer, Klaus (2000). A szociálpedagógia eredete az ipari társadalomban. A szociálpedagógiai gondolkodás és cselekvés szerkezetének vizsgálata. In Tamás Kozma, & Gábor Tomasz (szerk.), Szociálpedagógia (pp. 101–123). Budapest: Osiris.

1.4 Unveröffentlichte Quellen

[13] SUB Göttingen, Cod. Ms. K. Mollenhauer
  • [14] Korr. All. Marz 03: Korrespondenz Klaus Mollenhauer und Christian Marzahn, 30.9.1986 und 2.10.1986 (Mollenhauer sandte einen Entwurf für einen Werbetext für den Reprint mit der Bitte um kritische Lektüre und Umformulierungsvorschläge an Christian Marzahn, der keine Anmerkungen dazu hatte und die Neuauflage dieses
    Klassiker[s]
    der sozialpädagogischen Geschichtsschreibung
    begrüßte.)
  • [15] Korr. Ver. Beltz: Richard Grübling (Beltz Verlag) an Klaus Mollenhauer, 24.09., 30.09. und 28.10.1986 (6 Seiten mit Anlagen) (Der Briefwechsel zwischen Mollenhauer und Grübling vom Beltz-Verlag aus dem Jahr 1986 bezog sich auf den vom Verlag vorgeschlagenen Reprint der Arbeit von 1959, dem Mollenhauer ambivalent gegenüberstand, letztlich aber zustimmte. Die Korrespondenz beinhaltet u. a. den vom Verlag erbetenen Werbetext Mollenhauers sowie den Verlagsvertrag zum Reprint.)
  • [16] Manu. pub. 90 02: Mollenhauer, Klaus (1958). Die Ursprünge der Sozialpädagogik in der industriellen Gesellschaft. Eine Untersuchung zur Struktur sozialpädagogischen Denkens und Handelns. Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Philosophischen Fakultät der Georg-August-Universität zu Göttingen vorgelegt von Klaus Mollenhauer. Göttingen. Typoskript (Die maschinenschriftliche Dissertation von 1958 enthält nach dem Titelblatt das Inhaltsverzeichnis (3 Seiten), den Text mit Fußnoten (197 Seiten) und das Literaturverzeichnis (12 Seiten) sowie abschließend ein nicht nummeriertes Blatt mit dem maschinenschriftlichen Lebenslauf. Das Titelblatt weist auf der Vorderseite neben den üblichen Angaben zu Titel, Autor und Zweck des Werkes handschriftliche Eintragungen (
    Mollenhauer / Candida[t] / 361.
    ) auf; auf der Rückseite sind der
    Berichterstatter
    Weniger maschinenschriftlich, die beiden Mitberichterstatter Walter Herrmann und Helmuth Plessner sowie das Datum der mündlichen Prüfung handschriftlich vermerkt. Die Druckfassung unterscheidet sich vom Typoskript durch verschiedene redaktionelle und typografische Änderungen. Vereinzelt sind im Typoskript mit Bleistift vorgenommene Korrekturen zu finden, die in der Druckfassung berücksichtigt wurden; allerdings sind in der Druckfassung auch Fehler, trotz Korrektur im Typoskript, erhalten geblieben, und es wurden bei der Übertragung Fehler in die Druckfassung hineinfabriziert.)
  • [17] Rez. über KM 01 (In der Sammlung von Rezensionen von Mollenhauers Texten ist auch die Rezension von Janssen, 1961, enthalten.)
  • [18] Uni Forschung 19 09: Sammlung von Exzerpten 3, (o. O.) (o. D.). [späte 1950er–frühe 1960er Jahre] (In einer Handkartei mit Exzerpten sind zahlreiche handschriftliche und getippte Exzerpte von Werken enthalten, die Mollenhauer in seiner Dissertation referiert und zitiert hat.)
[19] Universitätsarchiv Göttingen (UniA GOE)
  • [20] Phil. Prom., 74: Promotionsakte Klaus Mollenhauer (Die Promotionsakte beinhaltet alle Unterlagen vom Antrag auf Eröffnung des Verfahrens über Prüfungsprotokolle und Briefe bis zu den Gutachten über die Dissertation und der Promotionsurkunde.)
[21] Privatbesitz Familie Mollenhauer:
  • [22] Mollenhauer, Klaus (1950). Tagebuch II: Göttingen 21.V.50 – Vechta 10.X.50 (Privatbesitz Familie Mollenhauer).
  • [23] Mollenhauer, Klaus (1951–1952). Tagebuch IV: 16.6.1951 bis 3.7.1952 Bremen, England, Bremen, Hamburg (Privatbesitz Familie Mollenhauer).
  • [24] Mollenhauer, Klaus (1952–1954). Tagebuch V: Aufzeichnungen Juli 1952, Hamburg-Rissen (Privatbesitz Familie Mollenhauer).
    (In seinen Tagebüchern hat Mollenhauer wiederholt Überlegungen zu einem Promotionsstudium notiert.)

2 Inhalt und Kontexte

[25] Das Werk ist, gerahmt von der Einleitung und dem Schlusskapitel, in drei Teile mit jeweils drei Kapiteln gegliedert:
    [26] Einleitung: Der Begriff
    Sozialpädagogik
    Erster Teil: Die Bedingungen der Sozialpädagogik
      I. Der gesellschaftliche Strukturwandel und das soziale Bewußtsein
      II. Volkserziehung und Nationalidee
      III. Phänomen und Problematik der Verwahrlosung
    Zweiter Teil: Die Ansätze einer sozialpädagogischen Theorie
      I. Die Diskrepanz von Individuum und Gesellschaft als sozialpädagogisches Problem
      II. Die sozialpädagogischen Grundprobleme
      III. Die Lösung des sozialpädagogischen Problems durch pädagogisch-soziale Gesamtkonzeptionen
    Dritter Teil: Die sozialpädagogischen Institutionen
      I. Die Ansätze der Kriminalpädagogik
      II. Die Verwahrlostenerziehung
      III. Die Erziehungshilfe zur gesellschaftlichen Eingliederung
[26] Schluß: Probleme einer Theorie der Sozialpädagogik
[27] In der Einleitung der Ursprünge befasst Mollenhauer sich zunächst mit den gängigen
Fassungen des Begriffes
(KMG 005-A, Abs. 005:45)
Sozialpädagogik als Begriff für den formalen Sachverhalt einer Erziehung zur oder durch die Gemeinschaft; Sozialpädagogik als Terminus für ein inhaltlich bestimmtes Bildungsideal; Sozialpädagogik als Inbegriff einer Gruppe von neuen pädagogischen Maßnahmen und Einrichtungen als Antwort auf typische Probleme der modernen Gesellschaft
(KMG 005-A, Abs. 005:62)
– und nutzt im Folgenden die letztgenannte als Ausgangspunkt. Diese Begriffsfassung zeichne
sich durch eine dreifache geschichtliche Abhängigkeit aus: durch die Deutung der jüngeren Sozialgeschichte als eines Vorganges der
Volkszerstörung
, die Übernahme pädagogischer Theorien zur sozialen Erneuerung und durch den Hintergrund einer pädagogischen Praxis als neu entwickelter Erziehungshilfe, die sich so um theoretische Fixierung ihrer Situation und ein angemessenes Selbstverständnis bemüht.
(KMG 005-A, Abs. 005:63)
[28] Die folgende historische Untersuchung nimmt die genannten drei Abhängigkeiten als je eigene Untersuchungsteile wieder auf. Im I. Teil werden die im frühen 19. Jahrhundert durch die Industrialisierung eingetretenen Veränderungen in Gesellschaft, Arbeits- und Berufswelt sowie deren zeitgenössische, als ideologisch bezeichnete Deutungen skizziert, wobei dem Begriff und Phänomen
Verwahrlosung
ein eigenes Kapitel gewidmet wird. Im II. Teil wendet sich der Autor den (sozial)pädagogischen Konzepten zu, die auf den Deutungen basierten. Im 3. Teil werden die daraus entstandenen neuen pädagogischen Institutionen dargestellt.
[29] Grundlage der Untersuchungen sind Schriften von fast 60 verschiedenen Autorinnen und Autoren aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die unter Rekurs auf einschlägige soziologische und sozialgeschichtliche Literatur sowie mit Bezug zu einschlägigen Darstellungen zu Geschichte, Begriff und Theorie der Sozialpädagogik dargestellt und analysiert werden.
[30] Im Schlussteil nimmt Mollenhauer die die Arbeit leitende begriffliche Festlegung von Sozialpädagogik aus der Einleitung wieder auf und gelangt im Zuge einer
Entideologisierung
des sozialpädagogischen Ansatzes zu folgender Bestimmung:
Die sozialpädagogische Aufgabe besteht mithin in jedem Falle darin, ein akutes, mit der Struktur der modernen Gesellschaft wesensmäßig gegebenes und im Vergleich zur alten Gesellschaft neues Erziehungsbedürfnis zu befriedigen, das nicht ohne weiteres auf eine Minderwertigkeit, sondern auf eine Andersartigkeit dieser Gesellschaft zurückzuführen ist.
(KMG 005-A, Abs. 005:326, Herv. i. Orig.)
Zudem wurde das
Problem einer theoretischen Grundlegung der Einheit sozialer Arbeit
(KMG 005-A, Abs. 005:334-337)
thematisiert, die Mollenhauer in einer
Theorie der Sozialpädagogik als Grundlagentheorie
sah
(KMG 005-A,Abs. 005:338–350)
.
[31] Wie schon in der Einleitung rekurrierte Mollenhauer auch hier kontrastierend und diskutierend auf zahlreiche Autorinnen und Autoren verschiedener sozialpädagogischer bzw. fürsorgerischer Richtungen der 1920er bis 1950er Jahre.
[32] Zum 1987 erschienenen Reprint des Buches 1959 hat Klaus Mollenhauer ein Vorwort verfasst, in dem er sein Werk in den zeitgenössischen Kontext der Theoriebildung in der Sozialpädagogik in Deutschland zwischen geisteswissenschaftlicher Pädagogik und Rezeption amerikanischer Theorien von Social Work stellte. Zum einen betont er dabei das Neue und von der Sichtweise der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik Abweichende. Zum anderen macht er deutlich, dass eine über die Versuche der
Annäherung an soziologische und sozialgeschichtliche Denkweisen
hinausgehende Abwendung von dieser Tradition und Zuwendung zur
gesellschaftskritische[n] Perspektive des
Frankfurter Instituts für Sozialforschung
[…] für einen Göttinger Doktoranden 1958 und im Hinblick auf die pädagogisch-praktische Lage jener Jahre […] eine ziemlich abstrakte Alternative
(KMG 005-B, Abs. 005:2)
gewesen sei. Inhaltlich mischen sich im Vorwort 1987 selbstkritische (starke Verhaftung an die Institutionenperspektive, Vernachlässigung des Aspekts der Sozialkontrolle) mit selbstbestätigenden Anmerkungen (die Arbeit habe geholfen, eine
Diskussion […] zu eröffnen
,
KMG 005-B, Abs. 005:1
).
[33] Ebenfalls eigens für den Reprint von 1987 hat Christian Marzahn, selbst einst Student und Assistent bei Klaus Mollenhauer, Notizen beim Wiederlesen der
Ursprünge
verfasst. Das als Brief an Klaus Mollenhauer gestaltete Vorwort Marzahns bemüht sich um eine Einordnung des Werkes
in die Entwicklung des historischen Selbstverständnisses der Sozialpädagogik als wissenschaftlicher Disziplin
(Marzahn, 1987, S. X)
und verweist auf die Vorreiterrolle, die Mollenhauers Arbeit neben der Darstellung Hans Scherpners bezüglich der Historisierung der Entwicklung der Sozialpädagogik nach 1945 gehabt habe. Das Werk habe jedoch auf den
klassischen
Quellen der Sozialgeschichte basiert und sei damit den Verzerrungen einer Geschichte
von oben
(Marzahn, 1987, S. XIII)
unterlegen. Auch habe Mollenhauer in den Ursprüngen ganz in der Tradition der geisteswissenschaftlichen Pädagogik geschrieben, habe er die Ambivalenzen von Hilfe und Kontrolle doch (noch) nicht gesehen und einem ungebrochenen pädagogischen Optimismus das Wort geredet. Gewinnbringend sei die Lektüre aber nach wie vor in Bezug auf die Vorgeschichte der modernen Jugendhilfe.
[34] Die Ursprünge stellen das erste monografische Werk Klaus Mollenhauers dar. Es steht einerseits in einer thematischen Kontinuität zu den zuvor von ihm behandelten aktuellen sozialpädagogischen Fragen (s. KMG 003-a; KMG 004-a), weist aber andererseits mit der historischen Untersuchungsperspektive und dem systematischen Anspruch auf Theoriebildung eine neue Qualität auf. Die Auseinandersetzung mit der Frage nach einer Theorie der Sozialpädagogik führte Mollenhauer in seinen Publikationen der 1960er und frühen 1970er Jahre weiter (insbesondere KMG 011-A; KMG 028-A; KMG 047-A1) und auch einige andere der hier angesprochenen Themen finden sich in späteren Publikationen Mollenhauers wieder, z. B. das Thema
Verwahrlosung
, das in der 1964 erscheinenden Einführung in die Sozialpädagogik (KMG 011-A) erneut aufgenommen wurde.
[35] Thematisch war in den Ursprüngen u. a. auch bereits die Auseinandersetzung mit einem Verständnis sozialpädagogischer bzw. fürsorgerischer Tätigkeit als
persönliche[r] Hilfe
(s. KMG 005-A, Abs. 005:327 mit Anm. 613
), die als Problem des
Beamtentums
in diesem Feld diskutiert und hier in Analogie zu Nohls Konzept des
Pädagogischen Bezugs
(KMG 005-A, Abs. 005:327) gesehen wird, die sich in anderen Werken Mollenhauers aus dieser Zeit wiederfinden lässt (s. KMG 004-a; KMG 006-a).
[36] Schließlich ist anzumerken, dass bereits hier eine bis in die späten Werke zu findende Bezugnahme auf Friedrich Schleiermacher anzutreffen ist. Fragen der Sozialpädagogik werden schon hier nicht von Fragen der Pädagogik insgesamt getrennt, sondern in einem Zusammenhang gesehen, der sich insbesondere auf Schleiermachers Verständnis von Erziehung als ein geschichtlich-gesellschaftliches Phänomen beziehen lässt.
[37] Das Anknüpfen an die Konzepte der Jahre vor 1933 im theoretischen Fachdiskurs der Sozialpädagogik der Nachkriegsjahre (Marburger, 1981, S. 77; Füssenhäuser & Thiersch, 2001, S. 1878; Buchkremer, 2009, S. 222) wird auch an der Literaturliste in der Ursprünge deutlich, in der Theoretikerinnen und Theoretiker der Sozialpädagogik bzw. Sozialarbeit des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts eine große Rolle spielten. Aber auch die beginnende Rezeption von Theorien und Methoden aus der us-amerikanischen Tradition des Social Work, die ja u. a. von Fachvertreterinnen und Fachvertretern der deutschen Sozialpädagogik, die in der Zeit des Nationalsozialismus emigriert waren, geprägt war (Müller, 2006, S. 171–178), ist bei Mollenhauer – zumindest ansatzweise – bemerkbar.

3 Rezeption

[38] Die ersten Rezipienten der Dissertation waren die Gutachter der Arbeit, die insgesamt zu der Bewertung sehr gut gelangten (s. die Gutachten im
UniA GOE, Phil. Prom., 74
). Erich Weniger hob insbesondere
die sorgfältige Entwicklung des Begriffs der Verwahrlosung
und das
besonders gut gelungen[e]
Kapitel Die sozialpädagogischen Grundprobleme im 2. Teil hervor. Lediglich zum Schlusskapitel klingen die Formulierungen Wenigers etwas distanzierter:
Die eignen Schlußfolgerungen des Verf. […] werden nicht mehr eigentlich bewiesen, erscheinen als ein Zukunftsprogramm.
Am sehr positiven Gesamturteil hat dies aber nichts geändert, denn
das Ganze gibt doch wirklich Neues und ist in einer sauberen Begriffssprache entwickelt.
Walter Herrmann bescheinigte der Arbeit in seinem Korreferat,
gegenwärtig von besonderer Bedeutung zu sein
, sei doch eine Klärung der Grundbegriffe angesichts der Neufassung des Jugendwohlfahrtsgesetzes
dringend notwendig
, und hob ebenfalls das Kapitel
Phänomen und Problematik der Verwahrlosung
besonders hervor. Aber auch er war dem Schlusskapitel gegenüber reserviert. Helmuth Plessner weicht im Gesamturteil nicht von den beiden anderen ab, setzt aber in den Bemerkungen zur Arbeit andere Akzente, lobt die thematische Hinwendung zum 19. Jahrhundert,
in die Anfänge der Krisenzeit der
Bürgerlichen Gesellschaft
und begrüßt die
Absicht einer Entideologisierung […] im Interesse einer Annäherung zwischen Soziologie und Pädagogik
. Und auch er ist des Lobes voll bezüglich der
grosse[n] Umsicht und bemerkenswerte[n] distinktive[n] Fähigkeit
, des Aufbaus der Arbeit, der
unaffektierte[n] Sprache
und der
erfreulich knappe[n] Fassung, die wir bei unseren Dissertationen seit dem Kriege […] häufig vermissen
.
[39] Ein knappes Jahr nach der Veröffentlichung des Buches erschien 1960 in der Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform eine erste Rezension (Zeugner, 1960): Die Arbeit von Mollenhauer sei ein
wertvoller Beitrag in dem Bemühen, den vieldeutigen Begriff Sozialpädagogik zu klären und den gemeinten Sachbereich in seiner Eigenständigkeit zu erkennen und abzugrenzen
(Zeugner, 1960, S. 244)
. Kennzeichnend sei das
Bestreben, Ideologien als solche zu erkennen und sie von der Sache zu trennen
(Zeugner, 1960, S. 244)
, und der Abschnitt zum Thema
Verwahrlosung
gebe
wertvolle klärende Hinweise
(Zeugner, 1960, S. 245)
.
[40] Ebenfalls 1960 wurde Mollenhauers Dissertation in der sozialpädagogischen Fachzeitschrift Unsere Jugend rezensiert (Pietrowicz, 1960). Es handele sich um eine
klare Arbeit mit präzisen Formulierungen
(Pietrowicz, 1960, S. 138)
, in der
eine ganz neue Gruppe von sozialpädagogischen Einrichtungen
(Pietrowicz, 1960, S. 139)
in ihrer jeweiligen gesellschaftlichen Gegebenheit beschrieben werde.
[41] 1961 folgte in der Zeitschrift Sozialpädagogik. Zeitschrift für Mitarbeiter eine weitere Rezension (Janssen, 1961), in der einerseits das Werk begrüßt und als überzeugend sowie als Vorbild für die
Untersuchung des Verwahrlosungsbegriffes
(Janssen, 1961, S. 286)
bezeichnet, andererseits eine gewisse Praxisferne hervorgehoben wird. Das Werk enthalte aber
für den denkenden und um eine wirklich
erleuchtete Praxis
im Sinne J. H. Wicherns ringenden Mitarbeiter viel Wertvolles
(Janssen, 1961, S. 287)
, und der Rezensent erhoffte sich von Mollenhauer
viel Gutes für die weitere Ausgestaltung der Sozialpädagogik als Wissenschaft und für die sozialpädagogische Praxis
(Janssen, 1961, S. 287)
.
[42] 1962 wurde dem Band im Rahmen einer Sammelbesprechung in der Zeitschrift für Pädagogik ein Abschnitt gewidmet, in dem Werner Küchenhoff dem Band
gute[.] Ansätze einer neuen sozialpädagogischen Theoriebildung
(Küchenhoff, 1962, S. 80)
bescheinigt. Es sei Mollenhauer
gelungen, mit Hilfe einiger Ordnungsbegriffe aus dem Gewirr vielfältiger Gedanken und Strömungen übersichtliche Leitlinien herauszulösen und so zur Terminologie und Grundlegung der Sozialpädagogik klärend beizutragen
(Küchenhoff, 1962, S. 79–80)
.
[43] Das Werk Die Ursprünge der Sozialpädagogik in der industriellen Gesellschaft wird bis heute rezipiert, von knappen Erwähnungen bis hin zu längeren Referaten und Diskussionen. Es wird als
Klassiker
bezeichnet (
Gängler, 1998, S. 509
, unter Verweis auf den Klappentext der Ausgabe von 1987;
Sandermann & Neumann, 2018, S. 72
, ergänzt um den Hinweis, dass es, wie andere klassische Werke von Mollenhauer
in der aktuellen Diskussion […] [eine] auffallend geringe Rolle
spiele; Engelke et al., 2018, S. 356), als Text, dem
im Etablierungsprozess der Sozialpädagogik […] eine Schlüsselfunktion
(
Winkler, 2004, S. 923
; s. a. Koerrenz & Winkler, 2013, S. 139) zukomme, oder als im Bereich der Geschichtsschreibung der Sozialpädagogik
wegweisende Studie
(Sachße, 1995, S. 49
, der das Buch dann aber im Weiteren mit keinem Wort mehr erwähnt).
[44] Längere Ausführungen zu dem Werk finden sich bei Marburger, 1979, S. 78–83; Khella, 1980, S. 110–111; Ackermann, 1983, S. 107–108; Gängler, 1998; Winkler, 2002, S. 106–109; Füssenhäuser, 2005, S. 62–73; Niemeyer, 2010, S. 213–214 und 217–224; Aßmann, 2015, S. 102–107; Sandermann & Neumann, 2018, S. 74–76; Engelke et al., 2018, S. 360–362. Inhaltlich wird wiederholt auf einzelne Themenkomplexe Bezug genommen: 1. die Stellung der Dissertation im Entwicklungsprozess des Theoretikers Mollenhauer von der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik zu einer sozialwissenschaftlich orientierten Erziehungswissenschaft und Sozialpädagogik, wobei die Deutung überwiegt, dass sie noch stark der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik verhaftet gewesen sei; 2. das Konzept der
Entideologisierung
der Sozialpädagogik, wobei allerdings die in der Regel von den Rezipienten genutzten Ausdrücke
Ideologiekritik
resp.
ideologiekritisch
eine Konnotation mit sich führen, die die Tatsache, dass Mollenhauer sich v. a. an der über Plessner vermittelten Wissenssoziologie Karl Mannheims orientiert hat, verwischt und den Verweis Mollenhauers auf die einschlägige Abhandlung Plessners aus dem Jahr 1931 unberücksichtigt lässt (KMG 005-A, Abs. 005:325, Anm. 609; s. a. die Exzerpte zum Thema Ideologie in der Handkartei, Uni-Forschung 19 09); 3. die Wendung zur Soziologie bzw. den Sozialwissenschaften, die einerseits nicht zu übersehen war – schon in der Anlage der Arbeit und in der Referenzliteratur –, andererseits aber doch auch von Mollenhauer mit Vorbehalt angesprochen wurde (KMG 005-A, Abs. 005:336 mit Anm. 635). 4. schließlich zentrale Unterscheidungen zwischen Sozialpädagogik als individueller Hilfe und institutionellen Arrangements sowie – auf einer anderen Ebene – zwischen Sozialpädagogik als
Nothilfe
und einer positiven Aufgabenbegründung als Integrationshilfe.

4 Literatur

4.1 Andere Werke von Mollenhauer

    [45] Mollenhauer, Klaus. Jugend und Beruf (Beitrag 1956; KMG 003-a). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3wjz3&edition=a.
    [46] Mollenhauer, Klaus. Soziale Arbeit heute. Gedanken über ihre sozialen und ideologischen Voraussetzungen (Beitrag 1959; KMG 004-a). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqv4&edition=a.
    [47] Mollenhauer, Klaus. Einführung in die Sozialpädagogik. Probleme und Begriffe (Monografie 1964; KMG 011-A). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqtk&edition=A.
    [48] Mollenhauer, Klaus. Erziehung und Emanzipation. Polemische Skizzen (Monografie 1968-1971; KMG 028-A). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqrv&edition=A.
    [49] Mollenhauer, Klaus. Theorien zum Erziehungsprozeß. Zur Einführung in erziehungswissenschaftliche Fragestellungen (Monografie 1972; KMG 047-A1). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqq8&edition=A1.
    [50] Mollenhauer, Klaus. Die Ursprünge der Sozialpädagogik in der industriellen Gesellschaft (Beitrag 1983; KMG A09-a). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=41zm9&edition=a.

4.2 Weitere Literatur

    [51] Ackermann, Karl-Ernst (1983). Die Entwicklung der sozialpädagogischen Fragestellung im Werk von Klaus Mollenhauer. In Horst Wollenweber (Hrsg.), Modelle sozialpädagogischer Theoriebildung (S. 93–120). Paderborn: Schöningh.
    [52] Aßmann, Alex (2015). Klaus Mollenhauer. Vordenker der 68er — Begründer der emanzipatorischen Pädagogik. Eine Biografie. Paderborn: Schöningh.
    [53] Buchkremer, Hansjosef (2009). Handbuch Sozialpädagogik. Ein Leitfaden in der Sozialen Arbeit. (3., vollständig überarbeitete Auflage). Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.
    [54] Engelke, Ernst, Borrmann, Stefan & Spatscheck, Christian (2018). Theorien der Sozialen Arbeit. Eine Einführung (7., überarbeitete und erweiterte Auflage). Freiburg: Lambertus.
    [55] Füssenhäuser, Cornelia (2005). Werkgeschichte(n) der Sozialpädagogik. Klaus Mollenhauer, Hans Thiersch, Hans-Uwe Otto; der Beitrag der ersten Generation nach 1945 zur universitären Sozialpädagogik. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren.
    [56] Füssenhäuser, Cornelia & Thiersch, Hans (2001). Theorien der Sozialen Arbeit. In Hans-Uwe Otto & Hans Thiersch (Hrsg.), Handbuch Sozialarbeit Sozialpädagogik (2., völlig überarbeitete Auflage). (S. 1876–1900). Neuwied: Luchterhand.
    [57] Gängler, Hans (1998). Anmerkungen zu
    Die Ursprünge der Sozialpädagogik in der industriellen Gesellschaft
    . Neue Praxis, 28(5), 509–511.
    [58] Janssen, Karl (1961). [Rezension von] Klaus Mollenhauer (1959). Die Ursprünge der Sozialpädagogik in der industriellen Gesellschaft. Weinheim u. a.: Beltz 1959. Sozialpädagogik. Zeitschrift für Mitarbeiter, 3(6), 286–287.
    [59] Khella, Karam (1980). Handbuch der Sozialarbeit und Sozialpädagogik. Bd. 2: Theorie und Praxis der Sozialarbeit und Sozialpädagogik (2. Auflage). Hamburg: Theorie-und-Praxis-Verlag.
    [60] Koerrenz, Ralf & Winkler, Michael (2013). Pädagogik. Eine Einführung in Stichworten. Paderborn: Schöningh.
    [61] Küchenhoff, Werner (1962). Neuere Veröffentlichungen zur Sozialpädagogik. Zeitschrift für Pädagogik, 8(1), 79–91.
    [62] Marburger, Helga (1979). Entwicklung und Konzepte der Sozialpädagogik. München: Juventa.
    [63] Marburger, Helga (1981). Entwicklung und Konzepte der Sozialpädagogik (2. Auflage). München: Juventa.
    [64] Marzahn, Christian (1987). Sozialpädagogik als Pädagogik. Notizen beim Wiederlesen der
    Ursprünge
    . In Klaus Mollenhauer. Die Ursprünge der Sozialpädagogik in der industriellen Gesellschaft. Eine Untersuchung zur Struktur sozialpädagogischen Denkens und Handelns. Reprint mit einem Vorwort von Klaus Mollenhauer und Notizen von Christian Marzahn (S. IX–XV). Weinheim: Beltz.
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    [71] Winkler, Michael (2004). Sozialpädagogik. In Dietrich Benner & Jürgen Oelkers (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Pädagogik (S. 903–928). Weinheim: Beltz
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[73] [Klaus-Peter Horn]