Jugendhilfe [Werkkommentar]

1 Werk: Formale Beschreibung

1.1 Leittext

[1] Mollenhauer, Klaus. Jugendhilfe. Soziologische Materialien (Monografie 1968-1973; KMG 029-A). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqrh&edition=A.
[2] basierend auf:
  • [3] Mollenhauer, Klaus (1968). Jugendhilfe. Soziologische Materialien. Heidelberg: Quelle & Meyer.
  • [4] Mollenhauer, Klaus (1973). Jugendhilfe. Soziologische Materialien (2. Aufl.). Heidelberg: Quelle & Meyer.
[5] Das Buch im Umfang von 87 Druckseiten erschien als Band V der Veröffentlichungsreihe Gesellschaft und Erziehung, die von Carl-Ludwig Furck, Dietrich Goldschmidt und Ingeborg Röbbelen herausgegeben wurde; zugleich firmiert er als Band 40 von Pädagogische Forschungen. Veröffentlichungen des Comenius-Instituts. Reihe: Erziehungswissenschaftliche Studien.
[6] Die Literaturangaben sind über ein Verweissystem mit durchnummerierten Literaturangaben in der Bibliografie zu finden, die insgesamt 222 Titel (darunter 18 englische und ein französischer) enthält, von denen allerdings lediglich 94 im Bericht selbst bzw. in den Anmerkungen vorkommen. Der Band wird abgeschlossen durch ein Namen- und ein Sachregister.

1.2 Weitere Fassungen

[7] Als Vorabdruck aus dem Band wurden 1968 die zwei Teilkapitel 4.3 Die Gruppe: Gruppenpädagogik und 4.4 Die Gruppe: Skizze eines gruppenpädagogischen Deutungsrahmens; KMG 029-A, Abs. 029:106–120) unter der gemeinsamen Überschrift Skizze eines Gruppenpädagogischen Deutungsrahmens in der Zeitschrift
Moderne Sozialarbeit
veröffentlicht (s. dazu den Kommentar zu KMG A03-a).

1.3 Übersetzungen

[8] Übersetzungen liegen unserem Kenntnisstand nach nicht vor.

1.4 Unveröffentlichte Quellen

[9] SUB Göttingen, Cod. Ms. K. Mollenhauer
  • [10] Manu. nicht-pub. 60 06: Probleme einer Theorie der Gruppenpädagogik (Thesenhafter Umriß) (Das Dokument ist als Vorstufe der gedruckten Texte KMG 029-A bzw. KMG A03-a zu verstehen und umfasst 11 Seiten. Der Text auf den ersten fünfeinhalb Seiten ist mit Korrekturanweisungen versehen, die im zweiten Teil umgesetzt sind. Dieser zweite Teil entspricht den Seiten 41–44 von KMG 029-A bzw. den Seiten 46–49 von KMG A03-a.)
  • [11] Manu. nicht-pub. 60 07: Studientag zur Theoriebildung der Gruppenpädagogik 12. bis 14. Juni 1967, Erlangen. Exposé Prof. Dr. Klaus Mollenhauer, Christian-Albrechts-Universität Kiel. Bemerkungen zur Theorie der Gruppenpädagogik (aus der Sicht der Sozialpädagogik) (Auch dieses Dokument ist als Vorstufe der gedruckten Texte KMG 029-A bzw. KMG A03-a anzusehe; es beinhaltet auf den Seiten 3–4, z. T. in handschriftlichen Korrekturen am ursprünglichen Text, wortgleiche Passagen zu KMG 029-A und KMG A03-a.)

2 Inhalt und Kontexte

[12] Die Reihe Gesellschaft und Erziehung entstand im Zusammenhang mit Arbeitstagungen der Studienkommission Pädagogik und Soziologie am Comenius-Institut in Münster (s. dazu Furck, 2004, S. 30–32), bei denen Erziehungswissenschaftler*innen und Soziologinnen und Soziologen
theoretische und methodologische Fragen
(Furck, Goldschmidt & Röbbelen, 1968, S. 5)
diskutierten. Die einzelnen Bände sollten
in die verschiedenen pädagogisch relevanten Gebiete der empirischen Soziologie einführen und über die deutschsprachige Literatur unterrichten
(Furck, Goldschmidt & Röbbelen, 1968, S. 5)
. Klaus Mollenhauer übernahm in dieser Reihe den von ihm später als
Auftragsarbeit
und
Fleißarbeit
(KMG 147-a, 1998, Abs. 147:14)
bezeichneten Band zur Jugendhilfe.
[13] Zu Beginn erläutert Mollenhauer, dass 1. der Gegenstandsbereich Jugendhilfe heterogen sei und es keine alle Felder der Jugendhilfe übergreifende Theorie gebe; 2. die Forschung sich vornehmlich einzelnen Problemen und Maßnahmen zuwende und eher der Psychologie (und der Medizin) zugerechnet werden müsse, während sozialwissenschaftliche Literatur nur einen kleinen Teil ausmache; 3. einige Bereiche sehr intensiv, andere dagegen kaum bearbeitet seien; 4. in der Literatur sehr oft nicht zwischen wissenschaftlich-theoretischen und praktisch-orientierten Aussagen unterschieden werde.
[14] Diese Probleme werden anschließend in den einzelnen thematischen Kapiteln differenziert anhand konkreter Forschungsfragen ausgebreitet. Wiederholt bemängelt Mollenhauer fehlende Forschung und fehlende Daten, unzureichende Unterscheidungen zwischen programmatischen, normativen, ideologischen und von sozialen Stereotypen geprägten Darstellungen einerseits und wissenschaftlichen Analysen andererseits, vornehmlich deskriptive und pragmatisch orientierte Berichte, fehlende kontrollierte Experimente und Begleitforschung. Inhaltlich hebt er insbesondere als Lücken hervor, dass die soziologische Seite der Jugendhilfethematik, die gruppen- und schichtbezogenen Aspekte, die sozio-ökonomische Herkunft und ihre Bedeutung im Bereich der Jugendhilfe bis dato nur unzureichend erforscht seien. Schließlich sei die pädagogische Praxis selbst fast gar nicht erforscht, ebenso wie die Frage nach dem Zusammenhang von sozio-ökonomischen Faktoren und Jugendhilfe. Daraus resultiert, dass in der Darstellung Mollenhauers oft nur von Vermutungen, geschätzten Werten und Hypothesen die Rede ist statt von Erkenntnissen auf Basis (vorläufig) gesicherter Daten.
[15] Neben der institutionellen Seite der Jugendhilfe werden die beiden Themenfelder Gruppe und Dissozialität behandelt. Dabei fällt das Kapitel 4.4 Die Gruppe: Skizze eines gruppenpädagogischen Deutungsrahmens formal – das Kapitel ist das einzige ohne Literaturverweise – und inhaltlich – theoretische Überlegungen zur Gruppenpädagogik – aus dem Rahmen. Für den theoretischen Hintergrund stehen die Stichwörter Demokratisierung, Emanzipation und Kritik. Mollenhauer nimmt an dieser Stelle Aspekte seines Theorieversuchs von 1964 (KMG 017-a) auf, ergänzt um Argumente aus Erziehung und Emanzipation von 1968 (KMG 028-A), um eine Theorie der Gruppenpädagogik in nuce zu entwickeln, deren Hauptbegriffe
Bedürfnisse
,
Interessen
,
Inhalte
,
Rollen
und
Herrschaftsformen
(KMG 029-A, Abs. 029:115)
lauten.
[16] Der Band stand zudem in einem engen Zusammenhang mit dem von Mollenhauer beantragten und geleiteten Forschungsprojekt
Deskription und Analyse von Jugendhilfeprozessen in einer Gemeinde – Beiträge zu einer Funktionstheorie der Jugendhilfe
(Birke et al., 1975, S. 10). Hier beschreiben die Autoren, dass im Vorfeld des Projekts Ende 1967 u. a. ein Mitarbeiter eingestellt worden sei, um eine
annotierte[.] Bibliographie
(Birke et al., 1975, S. 15–16)
der deutschsprachigen empirischen Forschung zur Jugendhilfe seit 1945 zu erstellen. Diese Bibliografie habe 833 Titel umfasst, zu denen die untersuchten Personen, die Methoden, das Untersuchungsthema sowie die Ergebnisse erhoben worden seien. In der Darstellung der Ergebnisse dieser Dokumentation (Birke et al., 1975, S. 16–19) sind die Mängellisten Mollenhauers unschwer wiederzuerkennen. Insbesondere wird dort betont, dass
eine spezifisch sozialpädagogische Forschung [nicht] existierte
(Birke et al., 1975, S. 19)
. Klaus Mollenhauer ging in seinem Nachwort zu diesem Bericht ebenfalls kurz auf die Situation um 1967/68 und die weiteren Entwicklungen in der Forschung ein (KMG V43-a,Abs. V43:1–2).
[17] Das Buch hat 1973 eine zweite, unveränderte Auflage erlebt. Im Feld der Sozialpädagogik, die sich, wie die Erziehungswissenschaft insgesamt, Ende der 1960er Jahre noch wenig durch eigene empirische Forschung hervorgetan hatte (s. a. Birke et al., 1975, S. 10), bot der Band von Mollenhauer einen sortierten und systematisierten Überblick über die im Themenbereich Jugendhilfe relevante sozialwissenschaftliche Forschung.

3 Rezeption

[18] In einer kurzen, sehr positiven Besprechung in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung fasst Tilman Moser die Ergebnisse der Studie Mollenhauers so zusammen, dass es sich bei der Jugendhilfe um
ein forschungsfernes Gebiet, vielleicht sogar ein forschungsfeindliches
(Moser, 1969)
handle. Der
gründliche[.] Nachweis von Forschungslücken […] ist ein Appell an die Soziologie, Kritik und Hilfestellung zu geben in einer Situation, wo wissenschaftliche Erkenntnis sich rasch in emanzipative Veränderung von Teilbereichen der Gesellschaft umsetzen kann
(Moser, 1969)
.
[19] In ihrer ebenfalls 1969 erschienenen Rezension in der Zeitschrift für Pädagogik begrüßen die beiden Autoren, dass mit dem Band nunmehr Informationen über den Bereich der Jugendhilfe leicht zugänglich vorlägen, kritisieren aber, dass Mollenhauer die nicht-deutsche Literatur kaum und aus der deutschsprachigen Forschung und Diskussion einige Aspekte nur randständig oder gar nicht behandelt habe. Außerdem sei unklar, nach welchen Kriterien
die Materialien als
soziologische
(Colla & Wenzel, 1969, S. 482–483)
zu gelten hätten.
[20] Heinz-Hermann Krüger und Werner Thole gingen 30 Jahre später kurz auf Mollenhauers Plädoyer für eine
eigenständige[.] sozialpädagogische[.] Jugendhilfeforschung
(Krüger & Thole, 1998, S. 460–461)
ein. Aus heutiger Sicht scheint der Band in wissenschaftshistorischer Perspektive als Schlaglicht auf den seinerzeitigen Stand der Forschung noch von Interesse. Doch wird er in einem Rückblick auf die Entwicklung der Forschung in der Sozialpädagogik nicht erwähnt, trotz der an Mollenhauer erinnernden Feststellung, dass
das Verhältnis von Sozialpädagogik und Forschung nach wie vor fragil und ambivalent, ja vielleicht noch nicht einmal angemessen ausbuchstabiert
sei und von einer
eigenen sozialpädagogischen Forschungskultur, von einem abgrenzbaren Profil und einem erkennbaren Zusammenhang allenfalls in Ansätzen gesprochen werden
(Rauschenbach & Thole, 1998, S. 9 ; Herv. i. Orig.
) könne (s. a. Flösser et al., 1998).

4 Literatur

4.1 Andere hier verwendete Werke von Klaus Mollenhauer

    [21] Mollenhauer, Klaus. Versuch 3 (Beitrag 1964-1986; KMG 017-a). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3w4vq&edition=a.
    [22] Mollenhauer, Klaus. Erziehung und Emanzipation. Polemische Skizzen (Monografie 1968-1971; KMG 028-A). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqrv&edition=A.
    [23] Mollenhauer, Klaus. Skizze eines Gruppenpädagogischen Deutungsrahmens (Beitrag 1968; KMG A03-a). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3xsz9&edition=a.
    [24] Mollenhauer, Klaus, Kasakos, Gerda, Ortmann, Hedwig & Bathke, Ulrich. Evangelische Jugendarbeit in Deutschland. Materialien und Analysen (Monografie 1969; KMG 035-A). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqr3&edition=A.
    [25] Mollenhauer, Klaus. Nachwort [zu Birke u. a., Jugendhilfeforschung] (Beitrag 1975; KMG V43-a). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqp4&edition=a.
    [26] Mollenhauer, Klaus. Ego-Histoire: Sozialpädagogik 1948–1970 (Beitrag 1998; KMG 147-a). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqbb&edition=a.

4.2 Weitere Literatur

    [27] Birke, Peter, Hüppauff, Hubertus, Funke, Dörte, Beneke, Eckhard & Kasakos, Gerda (1975). Jugendhilfeforschung. Ansätze, Prozesse, Erfahrungen. München: Juventa.
    [28] Colla, Herbert & Wenzel, Hermann (1969). [Rezension von] Klaus Mollenhauer (1968). Jugendhilfe. Heidelberg: Quelle & Meyer. Zeitschrift für Pädagogik, 15(4), 480–483.
    [29] Flösser, Gaby, Otto, Hans-Uwe, Rauschenbach, Thomas & Thole, Werner (1998). Jugendhilfeforschung. Beobachtungen zu einer wenig beachteten Forschungslandschaft. In Thomas Rauschenbach & Werner Thole (Hrsg.), Sozialpädagogische Forschung. Gegenstand und Funktionen, Bereich und Methoden (S. 225–261). Weinheim [u. a.]: Juventa.
    [30] Furck, Carl Ludwig (2004). Die ersten Jahre (1954–1970). In Volker Elsenblast, Annabelle Pithan, Peter Schreiner & Friedrich Schweitzer (Hrsg.), Wissen klären – Bildung stärken. 50 Jahre Comenius-Institut (S. 17–45). Münster [u. a.]: Waxmann.
    [31] Furck, Carl-Ludwig, Goldschmidt, Dietrich & Röbbelen, Ingeborg (1968). Vorwort der Herausgeber. In Klaus Mollenhauer, Jugendhilfe. Soziologische Materialien (S. 5–6). Heidelberg: Quelle & Meyer.
    [32] Krüger, Heinz-Hermann & Thole, Werner (1998).
    Gesellschaftsanalyse in sozialpädagogischer Absicht
    . Plädoyer für eine empirisch aufgeklärte, erziehungswissenschaftliche Sozialpädagogik. Neue Praxis, 28(5), 456–465.
    [33] Moser, Tilmann (13.2.1969). Notstand der Theorie. Klaus Mollenhauer:
    Jugendhilfe
    . Frankfurter Allgemeine Zeitung, S. 19.
    [34] Rauschenbach, Thomas & Thole, Werner (1998). Sozialpädagogik – ein Fach ohne Forschungskultur? Einleitende Beobachtungen. In Thomas Rauschenbach & Werner Thole (Hrsg.), Sozialpädagogische Forschung. Gegenstand und Funktionen, Bereich und Methoden (S. 9–28). Weinheim [u. a.]: Juventa.
[35] [Klaus-Peter Horn]