Vergessene Zusammenhänge [Werkkommentar]

1 Werk: Formale Beschreibung

1.1 Leittext

[1] Mollenhauer, Klaus. Vergessene Zusammenhänge. Über Kultur und Erziehung (Monografie 1983; KMG 081-A). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqkc&edition=A.
[2] Basierend auf:
  • [3] Mollenhauer, Klaus (1983). Vergessene Zusammenhänge. Über Kultur und Erziehung. München: Juventa.
[4] Das Werk Vergessene Zusammenhänge. Über Kultur und Erziehung ist in erster Auflage 1983 im Juventa Verlag als Paperback mit Schutzumschlag und 184 Druckseiten erschienen. Es enthält neben der Einleitung vier Hauptkapitel und ein im Seitenumfang etwas kürzeres Schlusskapitel, einen Anmerkungsteil mit 17 Einträgen, ein Abbildungsverzeichnis mit 22 Einträgen, darunter weit überwiegend Werke aus der Kunstgeschichte, ein 26 Titel umfassendes Verzeichnis der literarischen Dokumente sowie ein Verzeichnis der verwendeten Sekundärliteratur. Die Erstauflage des Buches ist in einer besonderen, aus dem damaligen Cover-Design des Juventa Verlags herausfallenden Form erschienen (runde,
gefällige
Beschriftung des Covers zusammen mit der Abbildung eines historischen Gemäldes; höherwertiges Druckpapier und aufwendigerer Pappeinband). Der damalige Verlagsleiter Martin Faltermaier erinnert sich später in einer Rückschau auf seine Verlagsarbeit an die besondere Intention, die mit der Publikation der Monografie Vergessene Zusammenhänge als einem von drei Büchern (die beiden anderen waren Die Erfindung des Jugendlichen von Lutz Roth und Von politischen Köpfen und schönen Seelen von Gerhard Vowinckel), die 1983, im letzten Jahr seiner Verlagstätigkeit, verbunden war (Vowinckel, 1983). Die Bücher erschienen
außerhalb der bestehenden Verlagsreihen
und in einer
von den bisherigen Ausstattungen der Juventa Titel abweichenden Form
(Faltermaier, 1992, S. 137)
:
in englischer Broschur, etwas eleganter als die Paperbacks, die Titel eher zum literarischen als zum Sachbuch hinweisend, teilweise mit Bildern, und so, wie sie geschrieben waren, mehr am wissenschaftlichen Essay orientiert als dem Typ der systematischen Abhandlung
(Faltermaier, 1992, S. 138)
,
Bücher[], die klug sein sollten, aber nicht nur klug, sondern auch schön
(Faltermaier, 1992, S. 139)
. Schon mit der 2. Auflage 1985 wurde dann allerdings vom Verlag die äußere Form den (neuen) Standards der Juventa Publikationen angeglichen.
[5] In einer der Einleitung der Vergessenen Zusammenhänge vorangestellten Notiz findet sich neben anderem der folgende Hinweis:
Das Ganze der Pädagogik, die Erziehung, hat einen szientistisch nicht einholbaren Sinn
(H. Blankertz), wäre ein gutes Motto für diese Arbeit
(KMG 081-A, Abs. 081:2)
. Es wird sich dabei vermutlich um eine erst kurz vor der Drucklegung des Bandes erfolgte Einfügung handeln, die den Band auf eine diskrete und indirekte Weise dem kurz vor Erscheinen der Monografie Vergessene Zusammenhänge tödlich verunglückten Kollegen Herwig Blankertz (neben Wolfgang Klafki ein langjähriger Mitstreiter Mollenhauers bei der Etablierung einer Kritischen Erziehungswissenschaft) widmet. Das Zitat von Blankertz ist dessen ein Jahr zuvor erschienenen Geschichte der Pädagogik (Blankertz, 1982, S. 307) entnommen.

1.2 Weitere Fassungen

[6] Die Monografie Vergessene Zusammenhänge erschienen seit 1983 (bis 2007) in sieben Auflagen, wobei lediglich von der ersten zur zweiten Auflage (1985) geringfügige redaktionelle Korrekturen vorgenommen wurden.
[7] Mollenhauer, Klaus. Vergessene Zusammenhänge. Über Kultur und Erziehung (Monografie 1985-2008; KMG 081-B). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqkc&edition=B.
[8] Basierend auf:
  • [9] Mollenhauer, Klaus (1985). Vergessene Zusammenhänge. Über Kultur und Erziehung (2. Auflage). Weinheim [u. a.]: Juventa.
  • [10] Mollenhauer, Klaus (1991). Vergessene Zusammenhänge. Über Kultur und Erziehung (3. Auflage). Weinheim [u. a.]: Juventa.
  • [11] Mollenhauer, Klaus (1994). Vergessene Zusammenhänge. Über Kultur und Erziehung (4. Auflage). Weinheim: Juventa.
  • [12] Mollenhauer, Klaus (1998). Vergessene Zusammenhänge. Über Kultur und Erziehung (5. Auflage). Weinheim [u. a.]: Juventa.
  • [13] Mollenhauer, Klaus (2003). Vergessene Zusammenhänge. Über Kultur und Erziehung (6. Auflage). Weinheim [u. a.]: Juventa.
  • [14] Mollenhauer, Klaus (2008). Vergessene Zusammenhänge. Über Kultur und Erziehung (7. Auflage). Weinheim [u. a.]: Juventa.
[15] 1983 erschien das Kapitel Selbsttätigkeit als separate Vortragspublikation mit einem abweichenden Einleitungstext in einem von Günter Eifler u. a. herausgegebenen Band der Mainzer Universitätsgespräche. Der Text wurde unter KMG A08-a in die Edition aufgenommen.

1.3 Übersetzungen

[16] Übersetzungen erfolgten in niederländischer (Übers.: Ciske Balhan, Wouter Pols), japanischer (Übers.: Yasuo Imai), norwegischer (Übers.: Stein Wivestad) und englischer (Übers.: Norm Friesen) Sprache.
  • [17] Mollenhauer, Klaus (1986). Vergeten samenhang. Over cultuur en opvoeding. Amsterdam: Boom.
  • [18] Mollenhauer, Klaus (1987). 忘られた連関 –「教える‐学ぶ」とは何か. Vergessene Zusammenhänge. Über Kultur und Erziehung. Tokyo: Misuzu Shobo.
  • [19] Mollenhauer, Klaus (1996). Glemte sammenhenger. Om kultur og oppdragelse. Oslo: Ad Notam Gyldendal.
  • [20] Mollenhauer, Klaus (2006). Glemte sammenhenger. Om kultur og oppdragelse. Oslo: Pensumtjeneste.
  • [21] Mollenhauer, Klaus (2014). Forgotten connections. On culture and upbringing. London: Routledge.

1.4 Unveröffentlichte Quellen

[22] SUB Göttingen, Cod. Ms. K. Mollenhauer
  • [23] Korr. All. Hill 01: Korrespondenz mit Gotthilf Gerhard Hiller vom 23.8.1988 (ein Brief und ein ausgearbeitetes Seminarprotokoll von Hiller zu einer Lehrveranstaltung mit dem Titel
    Über Repräsentation und Rekonstruktion als schulpädagogisches Problem
    , dem das zweite Kapitel (
    Repräsentation
    ) der
    Vergessenen Zusammenhänge
    zugrunde gelegt wurde, 8 Seiten. Gesamt 9 Seiten)
  • [24] Korr. All. Wive: 1994-1996, Briefwechsel mit Stein Wivestad (anlässlich der norwegischen Übersetzung. 4 Briefe)
  • [25] Korr. Versch. 3-01: Rezension von Jürgen Oelkers zu den Vergessenen Zusammenhängen für die Pädagogische Rundschau (Typoskript und Begleitschreiben von Jürgen Oelkers vom 26.7.1984 mit weiteren Anmerkungen und Hinweisen zu den Vergessenen Zusammenhängen; Antwortschreiben Mollenhauers vom 17.8.1984 mit Erwiderungen)
  • [26] Korr. Versch. 3-02: Schreiben vom 9.7.1985 an Eva Brandt (darin Erwiderung auf kritische Fragen zum Zusammenhang von Kunst und Bildungstheorie)
  • [27] Korr. Versch. 3-07: Vorwort zur norwegischen Übersetzung
  • [28] Manu. pub. 80 63 (001 - 031): Mappe/Arbeitsunterlagen zu
    Umwege
    und
    Vergessene Zusammenhänge
    . (Umfangreiches Konvolut von Bild- und Textmaterial zu den Monografien
    Vergessene Zusammenhänge
    (1983, KMG 118) und
    Umwege
    (1986, KMG 182) sowie ein Blatt mit handschriftlichen Notizen (Stichwörter zum Problem der
    Identität
    als Thema der Moderne, Mappe 002)
  • [29] Uni-Lehre 70 13-001: K. Mollenhauer, Vorlesung SS 1979, Zur Problematik und Theorie pädagogischen Handelns (Typoskript mit handschriftlichen Korrekturen, 57 Seiten)
  • [30] Uni-Lehre 70 13-002: K. Mollenhauer, Vorlesung SS 1979, Zur Problematik und Theorie pädagogischen Handelns (Literaturhinweise zu den einzelnen Abschnitten der Vorlesung, 1 Seite, nummeriert als S. 58 des Vorlesungsmanuskripts)
  • [31] Uni-Lehre 70 13-003: K. Mollenhauer, Vorlesung SS 1979, Zur Operationalisierung von Bildsamkeit (Typoskript, [handschriftlich:] Nachtrag für ein Kolloquium, 3 Seiten, mit einer tabellarischen Darstellung)
  • [32] Uni-Lehre 80 02: Klaus Mollenhauer, Vorlesung WS 1982/83, Grundmuster der Erziehung und Bildung – Systematische Reflexionen und historische Beschreibungen (Vorlesungsmanuskript, 135 Seiten)

2 Inhalt und Kontexte

[33] Wie der der Einleitung vorangestellten Notiz (KMG 081-A, Abs. 081:1) zu entnehmen ist, beruht der Band auf einer Vorlesung, die Mollenhauer unter dem Titel Grundmuster der Erziehung und Bildung. Systematische Reflexionen und historische Beschreibungen im Wintersemester 1982/83 an der Universität Göttingen gehalten hat. Das Vorlesungsmanuskript (Uni-Lehre 80 02) enthält bereits die wesentlichen Gedankengänge und Materialien, umfangreiche wörtliche Textpassagen und im Groben auch die Gliederung des Bandes. Allerdings finden sich in dem Vorlesungsmanuskript auch Materialien und Passagen, die nicht in die Publikation übernommen wurden. Das Vorlesungsmanuskript führt das Schlusskapitel zum Thema Identität nicht mehr vollständig aus. Der Text des Vorlesungsmanuskripts bricht dort mit dem ersten Absatz auf Seite 158 der Monografie Vergessene Zusammenhänge ab.
[34] Die Gliederung des Vorlesungsmanuskripts folgt einer nicht durchgehend konsistenten Zählung, einzelne Gliederungspunkte bleiben zudem unausgeführt. Das der Einleitung folgende erste Kapitel enthält die Überschrift Elementare pädagogische Situationen auf der obersten Gliederungsebene mit den Unterkapiteln 1. Repräsentation und 2. Bildsamkeit. Dem folgt der Textabschnitt Selbsttätigkeit als 3. Kapitel wiederum auf der obersten Gliederungsebene, eine Überschrift Kapitel 2 fehlt. Ebenso sind auch die Unterabschnitte auf den verschiedenen Unterebenen nicht durchgängig nummeriert. Mit dem dritten Kapitel (Selbsttätigkeit) beginnt zudem eine neue Seitenzählung. Das Vorlesungsmanuskript enthält Kapitel- und Zwischenüberschriften in der folgenden Reihenfolge (Einfügungen der Hrsg. in eckigen Klammern):
[35] Einleitung [S. 1]
(Nachdenken über Erziehung – Aktuelle Problemstellungen – Wissenschaftliche Argumentationen)
1. Nachdenken über Erziehung
2. Aktuelle Problemstellungen
1. Institutionalisierung [nicht ausgeführt]
2. Affirmation [nicht ausgeführt]
3. Zukunft [nicht ausgeführt]
4. Kulturelle Überlieferung
3. Erziehungswissenschaftliche Argumentationen
1. Kapitel: Elementare pädagogische Situationen [S. 18]
1. Repräsentation [S. 21]
1.1 Die Sprache
Methodische Anmerkung
5. Zwischenresümee
6. Pestalozzi
2. Bildsamkeit [S. 70]
1. Die Aporie der Bildung
2.2 Das Unsagbare machbar machen
2.3 Das Gleichheitspostulat
[bis S. 96, ab hier neue Seitenzählung]
3. Kapitel: Selbsttätigkeit [S. 1]
Überschreiten
3. Rechnen
Malen
2. Zur Geschichte der Selbsttätigkeit
1. Zur Entdeckung des Ich
2. Das tätige Individuum
3. Das selbsttätige Individuum
4. Kapitel: Identität [S. 29]
[36] Bereits im Sommersemester 1979 hielt Mollenhauer eine Vorlesung Zur Problematik und Theorie pädagogischen Handelns (Manuskript siehe Uni-Lehre 70 13-001 bis Uni-Lehre 70 13-003), in der er einige der zentralen Begriffe aus den Vergessenen Zusammenhängen (Repräsentation, Bildsamkeit, Selbsttätigkeit) systematisch als
Elementarkategorien
(Uni-Lehre 70 13-001, S. 8)
unter der Frage zusammenführt:
Wie muß über pädagogisches Handeln sachgerecht geredet werden? Wie muß der Begriff pädagogischen Handelns beschaffen sein, damit dies und also auch eine pädagogisch-kritische Beurteilung der Erziehungs-Wirklichkeit möglich ist?
(Uni-Lehre 70 13-001, S. 5)
. Auch viele Materialien, die später in den Vergessenen Zusammenhängen wieder auftauchen, werden hier bereits als Erkenntnisquellen verwendet, insbesondere aus der autobiografischen und erzählenden Literatur (u. a. Augustinus, Bernhard, Büffelkind Langspeer, Jegge, Kafka, Kleist, Pestalozzi, Rousseau). Auch Bildmaterialien (genannt wird Magritte) kommen – etwa zur Erläuterung der universellen, aber je historisch ausgeprägten Balance von Teilnahme und Distanz des Kindes gegenüber der Erwachsenen-Realität – zum Einsatz, wie der vortragstechnische Hinweis
Darstellung von Kindern auf alten Bildern etc.
(Uni-Lehre 70 13-001, S. 11)
belegt. Allerdings hat hier insgesamt noch die systematische Rezeption pädagogisch-klassischer Literatur, zum Beispiel Schleiermacher im Hinblick auf die Kategorie der Selbsttätigkeit, einen höheren Stellenwert, als in der späteren, noch ausführlicher auf kulturgeschichtliche Materialien eingehenden Vorlesung, bzw. in der Monografie von 1983.
[37] Die Monografie Vergessene Zusammenhänge reflektiert eine theoretische und methodologische Neujustierung des pädagogischen Denkens, die spätestens seit Mitte der 1970er Jahre in verschiedenen Werken (vgl. z. B. Monografie Die Familienerziehung, KMG 054-A, den zusammen mit Christian Rittelmeyer auf dem 6. DGfE-Kongress 1978 gehaltenen Vortrag Einige Gründe für die Wiederaufnahme ethischer Argumentationen in der Pädagogik, KMG 058-a) vorbereitet wurde. Die kritische Auseinandersetzung mit der sozialwissenschaftlichen Wende der Erziehungswissenschaft seit Beginn der 1960er Jahre brachte Mollenhauer u. a. den Vorwurf ein, den Emanzipationsanspruch einer Kritischen Erziehungswissenschaft aufzugeben (Brumlik, 1989). In einem 1987 erschienenen Gespräch mit Theodor Schulze über Kontinuität und Traditionsbrüche in der Pädagogik erläutert Mollenhauer zu dieser Revision pädagogischer Theorie, zu der insbesondere auch eine präzisere Sprache als die um sich greifende sozialwissenschaftliche Terminologie gehöre:
[38]
Dennoch denke ich nicht, daß dieses Buch eine Abwendung vom Begriff der Emanzipation ist; es bedeutet für mich eher einen Weg, den ich erst noch einmal gehen muß, um dahin zu kommen, um einen substanziellen Begriff von
Emanzipation
zu gewinnen. Außerdem spielt das Sprachproblem für mich eine große Rolle. Es ist nicht so, daß ich besonders allergisch gegen den sozialwissenschaftlichen Jargon wäre, der psychologische ist mir noch unsympathischer. Ich dachte also: Um eine andere Sprache zu finden, muß ich den Gegenstand verschieben; ich komme selbst zu einer besseren erziehungswissenschaftlichen Sprache, wenn ich beispielsweise mehr Kafka lese, diesen hervorragenden pädagogischen Text (
Brief an den Vater
). Oder die außerordentliche Sorgfalt, in der Augustinus formuliert. Das sind sozusagen Übungen zur Selbstbildung
(KMG V66-a), Abs. V66:112
.
[39] Die Einleitung des Werks dient vor allem der eigenen Positionierung Mollenhauers im zeitgenössischen gesellschaftlichen Diskurs über Erziehung, Bildung und Sozialisation. Obwohl der Verfasser anmerkt, dass die Studie – trotz ihrer Kürze – durchaus als eine
grobe Skizze für das [gelesen werden könne; d. Hrsg.], was
Allgemeine Pädagogik
heute sein könnte
(KMG 081-A, Abs. 081:27)
, folge sie
nicht dem Vorbild linearer Argumentationen
(KMG 081-A, Abs. 081:33)
. Stattdessen orientiert sie sich am Typus einer kulturhistorisch-rekonstruktiven Forschung unter Verwendung einer Vielzahl von Text- und insbesondere auch Bild-Dokumenten aus der Geschichte der Moderne und ihrer Vorgeschichte, die nicht lediglich zur Illustration des Textes dienen, sondern als selbstständige Quellen der europäischen Erziehungsgeschichte interpretiert werden (vgl. Methodische Anmerkung, KMG 081-A, Abs. 081:79). Als Einzelstudie dieser Art publizierte Mollenhauer 1983 parallel zu der Monografie Vergessene Zusammenhänge die Interpretation eines Renaissance-Bildes unter dem Titel Streifzug durch fremdes Terrain: Interpretation eines Bildes aus dem Quattrocento in bildungstheoretischer Absicht (KMG 080-a). Diese Studie enthält zudem weitere theoretische und methodologische Reflexionen zur bildungstheoretischen Interpretation von Werken aus der Kunstgeschichte.
[40] In den ersten beiden Kapiteln der Monografie werden unter den Begriffen der Präsentation und der Repräsentation zwei historische Formen der Erziehung beschrieben und materialreich dargestellt: Präsentation der kulturellen Lebensform im Erwachsenen-Kind-Verhältnis als ein
notwendiges, nicht hintergehbares Element allen Erziehungsgeschehens
(KMG 081-A, Abs. 081:55)
, dem auf Seiten des Kindes ein
tätiges Nachahmen und Mitmachen
(KMG 081-A, Abs. 081:189)
entspräche, und Repräsentation der Erwachsenenwelt in einer gesonderten
pädagogische[n] Sphäre
(KMG 081-A, Abs. 081:157)
, die durch die Institutionalisierung der Erziehung im Laufe der Neuzeit entstanden sei, das Kind vom direkten Kontakt mit der Erwachsenenkultur trenne und das Problem der Auswahl und adäquaten Vermittlung der für die Erziehung relevanten Kulturbestände aufwerfe. In den nächsten beiden Kapiteln (Bildsamkeit, Selbsttätigkeit) rekonstruiert Mollenhauer historisch wie auch systematisch das mit der Neuzeit sich entwickelnde Bewusstsein von der
Bildsamkeit
des Kindes (
Wie bildet sich im Kinde die Bereitschaft, etwas zu lernen?
,
KMG 081-A, Abs. 081:191
) und der Rolle der kindlichen
Selbsttätigkeit
im Lernprozess, also einer die bloß äußere Prägung überschreitenden
Tätigkeit [seiner; die Hrsg.] möglichen Vernunftkräfte
(KMG 081-A, Abs. 081:370)
in Auseinandersetzung mit der pädagogisch repräsentierten Kultur. Hier finden sich Argumentationen pädagogisch-anthropologischer und subjektphilosophischer Provenienz zur Bildungstheorie, wie auch sozialgeschichtliche Überlegungen zur Didaktik und Methodik pädagogischen Handelns. Eine Sonderstellung nimmt das die Studie abschließende Kapitel Schwierigkeiten mit Identität ein, in dem besonders nachdrücklich die kritische Bezugnahme Mollenhauers auf ein zentrales Dispositiv des damaligen pädagogischen Diskurses, die unter dem
sprachlichen Etikett
der
Identität
verhandelte Frage
wer ich bin und sein werde und sein möchte
, deutlich wird
(KMG 081-A, Abs. 081:406)
. In Abgrenzung zu einer Auffassung, nach der diese Fragen im Idealfall im Sinne einer
Einheit
der Person zu beantworten seien, in der sämtliche Bezüge des Ich zu sich selbst ein
integriertes
Ganzes bildeten, geht Mollenhauer von einem Begriffsverständnis aus, das Identität
nur als Fiktion
(KMG 081-A, Abs. 081:417)
verstehen kann, die den Bildungsprozess in Bewegung hielte. Stets fiktiv sei Identität deshalb, weil das Verhältnis zum eigenen Selbstbild zukunftsoffen und daher stets ein
riskanter (Herv. i. O.) Entwurf meiner selbst
(KMG 081-A, Abs. 081:417)
sei. Anhand einer Reihe von Selbstbildnissen aus unterschiedlichen Epochen der Kunstgeschichte erläutert Mollenhauer seine These, dass es,
jedenfalls für die pädagogische Theorie, keine Identitäten, sondern nur Identitätsprobleme
(KMG 081-A, Abs. 081:418)
gäbe.
[41] Zu der 13 Jahre nach der Erstveröffentlichung der Monografie Vergessene Zusammenhänge erschienenen norwegischen Übersetzung liegt ein Briefwechsel zwischen Klaus Mollenhauer und seinem Übersetzer Stein Wivestad vor (Cod. Ms. K. Mollenhauer Korr. All. Wive). Neben einigen Korrekturen, Ergänzungen und Klarstellungen findet sich darin eine – nur in die norwegische Übersetzung eingegangene – Veränderung des Subjekt-Verständnisses Mollenhauers. Während im Original der Monografie noch von einem
reinen Subjekt
die Rede ist, das im Kontakt mit der Welt sein Subjektsein riskiere, um in die kulturelle Welt intersubjektiver Übereinkünfte einzugehen, verwirft er nun die Vorstellung eines dem Kulturkontakt vorgängigen Subjekts (hier spricht er stattdessen von
reiner Natur
) und behält den Subjektstatus des Menschen jenem Zustand vor, der erst durch dessen Kulturkontakt erregt wird. Erst dann gerate in den Blick,
was wir
Subjekt
nennen
(Cod. Ms. K. Mollenhauer Korr. All. Wive, S. 8)
.
[42]
Ursprüngliche Textfassung (1983): Textfassung für die norwegische Übersetzung (1996;
Cod. Ms. K. Mollenhauer Korr. All. Wive, S. 9
):
Soweit er herüberkommt, ist er nicht mehr
Subjekt
; soweit er zögert, bleibt er es gerade noch. Soweit er sich auf
Bildsamkeit
einläßt, verläßt er sein
Subjektsein
; soweit er diesen Schritt verweigert, gehört er nicht zur
Welt
.
(KMG 081-A, Abs. 081:217)
Soweit er herüberkommt, ist er nicht mehr
reine Natur
; soweit er zögert, bleibt er es gerade noch. Soweit er sich auf
Bildsamkeit
einläßt, verläßt er den Naturstatus und begibt sich auf den Weg zum Subjektsein. Im Zustand der
Bildung
dann wird dies in die kulturellen sächlichen und symbolischen Formen eingefädelt, aber bleibt nun, als ein schwieriges Verhältnis zwischen
Subjektivität
und
Bildung
(als gesellschaftlicher Mitgliedschaft) ein Dauerproblem des Menschen in der Moderne.
gleichsam reines Subjekt
(KMG 081-A, Abs. 081:217)
gleichsam reine Natur
Das Subjekt, das ein Geheimnis ist, eine
Monade
, wie Leibniz sagte, fensterlos, wird auf der Schiene
Bildsamkeit
in die Welt intersubjektiver Übereinkünfte herübergezogen.
(KMG 081-A, Abs. 081:221)
Das Individuum, das ein Geheimnis ist … wird auf dem Wege über Bildsamkeit und tätige Auseinandersetzung mit den kulturellen Ordnungen zum
Subjekt
bis zur Bildung hin in die Welt intersubjektiver Übereinkünfte herübergezogen.
[43] Schon der Klappentext der Monografie verweist mit dem an erster Stelle stehenden Satz
Warum Erziehung nicht abgeschafft werden kann
(KMG 081-A, Klappentext)
auf ein im damaligen pädagogischen Diskurs virulentes Thema, die
Antipädagogik
(von Braunmühl, 1975) und eine in ähnlicher Richtung argumentierende psychoanalytische Literatur (Miller, 1980), die Erziehung als Unterdrückung kindlicher Spontaneität und Emotionalität rekonstruiert. Mollenhauers Kritik des zeitgenössischen pädagogischen Diskurses richtet sich ebenso gegen entsprechende Tendenzen in der pädagogischen Praxis wie in der wissenschaftlichen Argumentation (vgl. KMG 081-A, Abs. 081:22 sowie Anmerkung 1). Deutlich polemischer noch als in der Einleitung der publizierten Fassung formuliert Mollenhauer sein Unbehagen am aktuellen Diskurs im nicht veröffentlichten Manuskript der Vorlesung, die der Monografie zugrunde liegt:
[44]
Seit einigen Jahren schon ist es Mode geworden, was
Erziehung
oder
Pädagogik
genannt wird, nicht nur mit Mißtrauen zu beobachten – das ist verständlich und nötig –, sondern abschaffen zu wollen. Zwei Veröffentlichungen tun sich dabei besonders hervor: von Braunmühls
Antipädagogik
(Weinheim 1975) und Alice Millers
Am Anfang war Erziehung
(Frankfurt 1980). […] Für beide Autoren liegt der Anfang jedes Umgangs mit Kindern – denn sie wollen die Erziehung abschaffen, nicht die Kinder (Herv. i. O.) – das, was von Braunmühl
mitmenschliche Selbstverständlichkeiten
nennt […]. Ein
antipädagogisch eingestellter Mensch
sei deshalb ein
einfach netter Mensch
[…]. Die vor Jahrzehnten vom Axel-Springer-Verlag im
Hamburger Abendblatt
ausgegebene Parole
Seid nett zueinander
würde, auf die richtige Weise ausgelegt, die pädagogischen Probleme befriedigend lösen.
(Uni-Lehre 80 02, S. 21–22)
.
[45] Insgesamt betrachtet stelle sich
die öffentliche Erörterung von Fragen der Erziehung und Bildung […] als ein ziemlich verworrener Diskurs dar, oder schlimmer noch: als Panorama von Monologen, in den verschiedenen politisch-pädagogischen Zirkeln immer wieder vorgetragen (und Wissenschaft nehme ich dabei nicht aus)
(Uni-Lehre 80 02, S. 7)
. Diese
monologische
Diskurslage schien Mollenhauer symptomatisch dafür, dass
einige Grundprobleme neuzeitlicher Erziehungsgeschichte […] sich gegenwärtig krisenhaft oder scheinbar aporetisch zuspitzen: Die Institutionalisierung der Erziehung; die Frage, ob Erziehung und Bildung affirmativ sein solle [sic!] oder nicht; die Schwierigkeit, in der pädagogischen Praxis mit einem Begriff von offener Zukunft zu operieren; die Frage, wie die pädagogische Aufgabe sich zur kulturellen Überlieferung verhält
(Uni-Lehre 80 02, S. 9)
. Im Anschluss an seine pädagogische Zeitdiagnose suchte Mollenhauer nach dem geeigneten Ansatzpunkt einer wissenschaftlichen Analyse.
Dabei frage ich nicht nach den auf der Oberfläche geschichtlicher Ereignisse rasch wechselnden Zielen, Orientierungen und Mitteln der Erziehung und Bildung, sondern nach denjenigen Elementen der pädagogischen Situation und der pädagogischen Handlung, die von jedem anerkannt werden müssen, der heute sich entschließt, ein pädagogisches Verhältnis einzugehen
(Uni-Lehre 80 02, S. 19–20)
. Auf diesem Wege hoffte er
Kriterien zu finden, die es erlauben, das, was unter dem Namen
Erziehung und Bildung
heute geschieht und geredet wird, zu beurteilen
(Uni-Lehre 80 02, S. 20)
. In diesem Sinne beabsichtigte er in seiner Vorlesung
drei Grundelemente pädagogischer Situationen historisch und in ihrer aktuellen Problematik [zu] erläuter[n]: Repräsentation, Bildsamkeit und Selbsttätigkeit
(Uni-Lehre 80 02, S. 20)
. Im Unterschied zur Monografie sind in der Vorlesung die Ausführungen zu den pädagogischen Modi der Präsentation und der Repräsentation noch unter der Überschrift Repräsentation zusammengefasst. Für die Erläuterung dieser drei Grundelemente formuliert er folgende Grundsätze:
[46]
1. Die zu entwickelnden Begriffe und Argumentationen sollen jedem, der heute mit Erziehung praktisch zu tun hat oder zu tun haben will, überzeugend einsichtig sein.[76] 2. Die Begriffe sollen so zur Darstellung kommen, daß die Geschichtlichkeit der Probleme hervortritt bzw. deutlich wird, inwiefern sie universale oder nur geschichtliche Geltung beanspruchen können.[77] 3. Die Begriffe sollen tauglich sein zur empirischen Beschreibung von Erziehungsvorgängen bzw. pädagogischem Handeln.[78] 4. Die Begriffe sollen, mit Bezug auf ihre empirische Leistungsfähigkeit, geeignet sein, Urteile über das rechte pädagogische Handeln zu formulieren und also pädagogische Praxis nicht nur beschreiben, sondern anleiten können
(Uni-Lehre 80 02, S. 20)
.
[47] In seinem Vorwort zur norwegischen Übersetzung (Cod. Ms. K. Mollenhauer Korr. Versch. 3-07), verfasst im zeitlichen Abstand von 13 Jahren zur Erstveröffentlichung in Deutschland, reflektiert Mollenhauer die in seiner Studie dominierende
mitteleuropäische
Sicht auf die Geschichte der pädagogischen Problemstellungen:
[48]
Das vorliegende Buch präsentiert eine Sicht auf Probleme der Erziehung und Bildung, die
mitteleuropäisch
genannt werden kann, auch wenn gelegentlich italienische oder spanische oder nordamerikanische Dokumente zur Sprache kommen. Insofern darf man ihm vorwerfen, daß er
ethnozentrisch
sei. Ich habe indessen darin eine Argumentation versucht, die solche Grenzziehungen zu erweitern erlaubt. Ich bin nämlich davon überzeugt, daß in der europäischen Neuzeit, beginnend mit der Frührenaissance in Italien, ein Typus des Nachdenkens über Erziehung und Bildung sich profiliert hat, der – trotz mancher Verengungen und Einseitigkeiten im Verlauf seiner Geschichte – einer Erweiterung fähig ist, sowohl regional als auch im Hinblick auf Zukunftsaufgaben unserer multikulturalen Gesellschaft.
(Korr. Versch. 3-07)

3 Rezeption

[49] Kurz nach Veröffentlichung wurde das Buch in verschiedenen Zeitschriften rezensiert – weitgehend mit positiver Bewertung. Konrad Wünsche hat das Werk unter einem etwas irritierenden (vermutlich von der Redaktion formulierten) Titel (Ideologiekritik und Emanzipation sind passé. Kultur erzieht sich selbst. Klaus Mollenhauer bricht mit seiner pädagogischen Vergangenheit) in der ZEIT besprochen (Wünsche 1984) und dabei sowohl die Originalität des methodischen Ansatzes (der pädagogisch interessierten Interpretation historischer Kulturprodukte) als auch die Aufforderung zur kritischen Reflexion auf die Grenzen pädagogischer Intentionalität hervorgehoben. Auch Horst Rumpf (1984), dessen Besprechung in der Zeitschrift für Pädagogik veröffentlicht wurde, stellt die erkenntnismethodische Seite und die Skepsis gegenüber der Verfügbarkeit des Subjekts und seiner Bildung für pädagogische Zwecke in den Vordergrund, ergänzt um den Hinweis auf die in diesem Buch verfolgte
Perspektive einer […] historischen Subjektwerdungsforschung
(Rumpf, 1984, S. 731)
. Lehrreich sei die Lektüre u. a.,
um unkonventionalisierte Sichtweisen und Subsumtionen aufzubrechen
(Rumpf, 1984, S. 731)
und um auf allgemeinpädagogische Problemstellungen in einer Weise schauen zu können, die die
Begriffszergliederungen
,
Metadiskussionen
und den
Erziehungswissenschafts-Jargon
meidet. Kritisch merkt er an, dass manche
Schnellsprünge über Jahrhunderte
(Rumpf, 1984, S. 732)
und lediglich angedeutete Bezüge etwa zwischen Piaget und Fichte oder Kleist und Sartres Flaubert-Biographie etwas
gar zu flüchtig und sibyllinisch skizziert
(Rumpf, 1984, S. 732)
seien:
sie imponieren mehr, als daß sie aufklären
(Rumpf, 1984, S. 732)
. Siegfried F. Müller konzentriert sich in seinen in der Neuen Sammlung erschienen Anmerkungen zu Mollenhauers Werk (Müller, 1984) vor allem auf eine problematisierende Analyse der Vermischung von systematischen und historischen Erkenntnisperspektiven sowie bildhermeneutischen und texthermeneutischen Methoden, wobei er als Verdienst Mollenhauers hervorhebt,
der bildungstheoretischen Diskussion neue Perspektiven eröffnet
(Müller, 1984, S. 399)
zu haben. Jürgen Oelkers hat das Werk in einer Buchbesprechung für die Pädagogische Rundschau (Oelkers, 1984) als einen Versuch beschrieben,
gegen die subjektiv-situationistischen Stimmungen der Gegenwart
(Oelkers, 1984, S. 239)
den Zusammenhang von Erziehung und Kultur in den Blickpunkt zu rücken. Kritisch wendet er dabei gegenüber der Auffassung, dass Erziehung letztlich als
Gesamtzusammenhang kultureller Einwirkungen
(Oelkers, 1984, S. 240)
zu verstehen sei, die eine
Personalisation
im Sinne Jean-Paul Sartres ermöglichten, ein, dass der von Mollenhauer vorgelegte Ansatz aus systematischer Sicht auch ungelöste Probleme aufwerfe. So fehle eine Auseinandersetzung mit den historischen Bildungsinhalten bzw.
Bildungsgüter[n]
(Oelkers, 1984, S. 242)
wie auch mit der abendländischen Idee, dass Bildung immer als
Höherbildung
(Oelkers, 1984, S. 242)
interpretiert worden sei. Zudem übersehe die These von der Unerreichbarkeit des kindlichen Subjekts die besondere Bedeutung des
Du […] als Erzieher
, das gedacht werden müsse,
als könnte es das Ich verändernd erreichen
(Oelkers, 1984, S. 242)
. Schließlich vermisse er die Auseinandersetzung mit dem aller Erziehung als pädagogischer Handlungspraxis zugrunde liegenden
pädagogischen Ethos
(Oelkers, 1984, S. 243)
. Die in der Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Pädagogik veröffentlichte Besprechung des Werks durch Ines M. Breinbauer setzt sich ebenfalls kritisch mit der
Legitimationsfrage
von Erziehung und Kultur auseinander, die in der Argumentation Mollenhauers
auf die nach der Zukunftsfähigkeit verkürzt
(Breinbauer, 1985, S. 510)
werde und selbst in dieser verkürzten Form nicht stringent durchgehalten würde. Konzentriert auf die Kapitel zu Präsentation und Repräsentation vermisst sie bei der ersteren der beiden Kategorien die genuin pädagogische, von alltäglicher Interaktion im Allgemeinen unterscheidbare Dimension, wie auch die über den bloßen Enkulturationsprozess hinausgehende
kritische Befassung mit Kultur
(Breinbauer, 1985, S. 511)
. Die Kategorie der Repräsentation werfe indessen die Frage auf, ob hier nicht das Bildungsproblem, das in einer angemessenen Distanzierung von der bestehenden kulturellen Lebensform und der Überschreitung des Gegebenen bestehe, in einen dogmatischen
Weg der Rechtfertigungsbemühungen
(Breinbauer, 1985, S. 514)
manövriert werde, wenn letztlich nur das von den Erwachsenen selbst im Umgang mit der Kultur gegebene Modell die
Anmaßung
(KMG 081-A, Abs. 081:445)
rechtfertigen könne, die jedem Erziehungshandeln zugrunde läge.
[50] 1984 ist in der Päd. Extra ein Gespräch der Redakteurin Helga Häsing mit Klaus Mollenhauer und Gert Wartenberg über das Werk erschienen (Häsing, Mollenhauer & Wartenberg, 1984), in dem sich Mollenhauer gleich eingangs von der Schlagzeile in der ZEIT-Rezension
Klaus Mollenhauer bricht mit seiner pädagogischen Vergangenheit
,
Wünsche, 1984
) entschieden absetzt.
[51] Das Buch hat, wie die vielfachen Auflagen und Übersetzungen ebenso belegen wie die angeführten Rezensionen, eine starke Resonanz in der Disziplin gefunden. Es hat allerdings unter einigen sozialwissenschaftlich ausgerichteten Kolleg*innen zunächst auch Unverständnis und den Vorwurf einer Rückwendung Mollenhauers auf eine gesellschaftsferne Pädagogik ausgelöst.
[52]
Als Klaus Mollenhauer 1983 einen schmalen Band unter dem Titel
Vergessene Zusammenhänge. Über Kultur und Erziehung
vorlegte, war das Unverständnis, das ihm als kritischen Erziehungswissenschaftler entgegenschlug, groß
(Brumlik 1989, S. 270)
. (Brumlik, 2006, S. 63)
[53] In den Jahren danach veränderte sich diese Einschätzung:
Gleichwohl: in dieser Arbeit findet sich die Grundlegung einer Pädagogik als Kulturwissenschaft
(Brumlik, 2006, S. 63)
. Dem Verdacht,
dass zumal eine kulturwissenschaftlich verstandene Pädagogik gegenüber allen Herrschaftsverhältnissen notwendig affirmativ sein müsse
, sei mit dem (auf Bourdieu anspielenden) Hinweis entgegenzutreten,
dass vor allem die theoretisch starken Entwürfe der Kulturwissenschaften allemal dem entsprechen, was man sich als kritische überhaupt nur wünschen konnte. Kulturwissenschaft ist kritische Kulturwissenschaft
(Brumlik, 2006, S. 64)
.
[54] Während in der pädagogischen Einführungsliteratur Mollenhauer lange noch als Klassiker einer emanzipatorischen Pädagogik mit Hinweis auf seine Schriften aus den 1960er und 1970er Jahren erwähnt wird (Koller, 2014; Krüger, 1997; auch noch Biesta, 2014, Thompson, 2020), wird er in neueren Einführungen und Übersichten zunehmend mit Bezug auf seine Schriften in den 1980er und 1990er Jahren, insbesondere auf die Monografie Vergessene Zusammenhänge, als Vertreter einer kulturwissenschaftlich ausgerichteten Erziehungswissenschaft zitiert (Böhm, Fuchs & Seichter, 2009; Klika & Schubert, 2013; Zirfas, 2018).
[55] Der Einschnitt, den die Monografie im Hinblick auf die soziologisch und psychologisch geprägten Argumentationsroutinen teils im eigenen Werk, besonders aber auch im damaligen erziehungswissenschaftlichen Diskurs bedeutete, wurde auch in vielen Nachrufen und Gedenkschriften nach Mollenhauers Tod (durchaus kontrovers) thematisiert (vgl. die Beiträge von Krüger & Thole, 1998; C. W. Müller, 1998 und C. Niemeyer, 1998 in der neuen praxis sowie die Nachrufe von Brumlik, 1998; Merten, 1998; Parmentier, 1998; Parmentier & Gruschka, 1998).
[56] Ausführlicher beziehen sich Alex Aßmann (2015) und Stefan Groß (2010, Kap. 5) auf die Monografie Vergessene Zusammenhänge, ebenso Michael Winkler (2002, S. 66–82) und Christian Niemeyer & Michael Rautenberg (2012). Auch im internationalen erziehungswissenschaftlichen Diskurs findet das Werk weit über Mollenhauers Tod hinaus Beachtung (Friesen & Sævi 2010).

4 Literatur

4.1 Andere hier verwendete Werke von Klaus Mollenhauer

    [57] Mollenhauer, Klaus, Brumlik, Micha & Wudtke, Hubert. Die Familienerziehung (Monografie 1975, 1978; KMG 054-A). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqpj&edition=A.
    [58] Mollenhauer, Klaus & Rittelmeyer, Christian. Einige Gründe für die Wiederaufnahme ethischer Argumentation in der Pädagogik (Beitrag 1978; KMG 058-a). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqnq&edition=a.
    [59] Mollenhauer, Klaus. Streifzug durch fremdes Terrain: Interpretation eines Bildes aus dem Quattrocento in bildungstheoretischer Absicht (Beitrag 1983; KMG 080-a). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqkf&edition=a.
    [60] Mollenhauer, Klaus. Wie zukunftsfähig ist unsere Vergangenheit? Ein Gespräch mit Klaus Mollenhauer über sein Buch
    Vergessene Zusammenhänge
    (Beitrag 1984; KMG V61-a). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqjt&edition=a.
    [61] Klaus Mollenhauer im Gespräch mit Theodor Schulze (Gespräch 1987; KMG V66-a). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqhq&edition=a.

4.2 Weitere Literatur

    [62] Aßmann, Alex (2015). Klaus Mollenhauer. Vordenker der 68er – Begründer der emanzipatorischen Pädagogik. Eine Biografie. Paderborn: Schöningh.
    [63] Biesta, Gert (2014). The Beautiful Risk of Education. London: Paradigm Publishers.
    [64] Blankertz, Herwig (1982). Die Geschichte der Pädagogik. Von der Aufklärung bis zur Gegenwart. Wetzlar: Büchse der Pandora.
    [65] Böhm, Winfried, Fuchs, Brigitta & Seichter, Sabine (Hrsg.) (2009). Hauptwerke der Pädagogik. Paderborn [u. a.]: Schöningh.
    [66] Braunmühl, Ekkehard von (1975). Antipädagogik. Studien zur Abschaffung der Erziehung. Weinheim: Beltz.
    [67] Breinbauer, Ines M. (1985). Klaus Mollenhauer: Vergessene Zusammenhänge: Über Kultur und Erziehung. München: Juventa 1983. 184 S. Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Pädagogik, 61(3), 510–514.
    [68] Brumlik, Micha (1989). Kohlbergs
    Just Community
    -Ansatz als Grundlage einer Theorie der Sozialpädagogik. Neue Praxis. Zeitschrift für Sozialarbeit, Sozialpädagogik und Sozialpolitik, 19(5), 374–383.
    [69] Brumlik, Micha (1998). Klaus Mollenhauer – Die Sozialpädagogik in der Einheit seines Werks. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 1(3), 431–440.
    [70] Brumlik, Micha (2006).
    Kultur
    ist das Thema. Pädagogik als kritische Kulturwissenschaft. Zeitschrift für Pädagogik, 52(1), 60–68.
    [71] Faltermaier, Martin (1992). Zurückschauen auf die Verlagsjahre. Bad Tölz: Busch.
    [72] Friesen, Norm & Sævi, Tone (2010). Reviving forgotten connections in North American teacher education. Klaus Mollenhauer and the pedagogical relation. Journal of curriculum studies, 42(1), 123–147.
    [73] Groß, Stefan (2010). Zwischen Politik und Kultur. Pädagogische Studien zur Sache der Emanzipation bei Klaus Mollenhauer. Würzburg: Königshausen & Neumann.
    [74] Häsing, Helga, Mollenhauer, Klaus & Wartenberg, Gert (1984). Wie zukunftsfähig ist unsere Vergangenheit?. Ein Gespräch mit Klaus Mollenhauer über sein Buch
    Vergessene Zusammenhänge
    . Päd. extra, 12(4), 46–49.
    [75] Klika, Dorle & Schubert, Volker (2013). Einführung in die allgemeine Erziehungswissenschaft. Erziehung und Bildung in einer globalisierten Welt. Weinheim [u. a.]: Beltz Juventa.
    [76] Koller, Hans-Christoph (2014). Grundbegriffe, Theorien und Methoden der Erziehungswissenschaft: Eine Einführung (7., durchges. Aufl). Stuttgart: Kohlhammer.
    [77] Krüger, Heinz-Hermann (1997). Einführung in Theorien und Methoden der Erziehungswissenschaft. Opladen: Leske und Budrich.
    [78] Krüger, Heinz-Hermann & Thole, Werner (1998).
    Gesellschaftsanalyse in sozialpädagogischer Absicht
    . Plädoyer für eine empirisch aufgeklärte, erziehungswissenschaftliche Sozialpädagogik. Neue Praxis, 28(5), 456–465.
    [79] Merten, Roland (1998). Klaus Mollenhauer (31.10.1928 – 18.03.1998) – Ein Nachruf. Der pädagogische Blick, 6(3), 132–135.
    [80] Miller, Alice (1980). Am Anfang war Erziehung. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
    [81] Müller, C. Wolfgang (1998).
    … Der Figur vom
    Arrangement der Umstände
    treu geblieben
    . Über Klaus Mollenhauer. Neue Praxis, 28(5), 436–441.
    [82] Müller, Sebastian F. (1984). Kultur und Erziehung. Anmerkungen zu Klaus Mollenhauer
    Vergessene Zusammenhänge
    . Neue Sammlung. Zeitschrift für Erziehung und Gesellschaft, 24(4), 395–399.
    [83] Niemeyer, Christian (1998). Klaus Mollenhauer und sein Verhältnis zur geisteswissenschaftlichen (Sozial-)Pädagogik. Neue Praxis, 28(5), 465–472.
    [84] Niemeyer, Christian & Rautenberg, Michael (2012). Klaus Mollenhauer (1928-1998). Pädagogik als vergessener Zusammenhang. In Bernd Dollinger (Hrsg.), Klassiker der Pädagogik. Die Bildung der modernen Gesellschaft (3., durchgesehene Auflage, S. 331–352). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
    [85] Oelkers, Jürgen (1984). [Rezension von] Klaus Mollenhauer (1983). Vergessene Zusammenhänge. Über Kultur und Erziehung. München: Juventa. Pädagogische Rundschau, 39(2), 238–243.
    [86] Parmentier, Michael (1998). Entdeckt, was ihr wollt. Zum Tode von Klaus Mollenhauer. Eine Würdigung. Erziehungswissenschaft, 9(17), 23–42.
    [87] Parmentier, Michael & Gruschka, Andreas (1998). Der Pädagoge als Intellektueller. Erinnerungen an Klaus Mollenhauer. Pädagogische Korrespondenz, 23, 5–24.
    [88] Roth, Lutz (1983). Die Erfindung des Jugendlichen. München: Juventa.
    [89] Rumpf, Horst (1984). Klaus Mollenhauer: Vergessene Zusammenhänge. Über Kultur und Erziehung. München: Juventa 1983. 184 S., DM 22,–. Zeitschrift für Pädagogik, 30(5), 728–732.
    [90] Thompson, Christiane (2020). Allgemeine Erziehungswissenschaft. Eine Einführung. Stuttgart: Kohlhammer.
    [91] Vowinckel, Gerhard (1983). Von politischen Köpfen und schönen Seelen. München: Juventa.
    [92] Winkler, Michael (2002). Klaus Mollenhauer. Ein pädagogisches Porträt. Weinheim [u. a.]: Beltz.
    [93] Wünsche, Konrad (27.1.1984). Ideologiekritik und Emanzipation sind passé. Kultur erzieht sich selbst. Klaus Mollenhauer bricht mit seiner pädagogischen Vergangenheit. Die Zeit, S. 26.
    [94] Zirfas, Jörg (2018). Einführung in die Erziehungswissenschaft. Paderborn: Schöningh.
[95] [Hans-Rüdiger Müller]