Anmerkungen zu einer pädagogischen Hermeneutik [Werkkommentar]

1 Werk: Formale Beschreibung

1.1 Leittext

[1] Mollenhauer, Klaus. Anmerkungen zu einer pädagogischen Hermeneutik (Beitrag 1985; KMG 086-a). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqjp&edition=a.
[2] Basierend auf:
  • [3] Mollenhauer, Klaus (1985). Anmerkungen zu einer pädagogischen Hermeneutik. Neue Sammlung, 25, 420–432.
[4] Das Werk enthält 31 Fußnoten mit Zitatnachweisen und ergänzenden Hinweisen. Der Text ist neben den einleitenden Bemerkungen und einem Schlussteil in vier Abschnitte gegliedert, die den vier Schritten des als
Versuch
(KMG 086-a, Abs. 086:7)
bezeichneten Gedankengangs entsprechen.

1.2 Weitere Fassungen

[5] Der Text wurde 1986 von Klaus Mollenhauer in seine Monografie Umwege mit wenigen redaktionellen Korrekturen übernommen. Eine nahezu unveränderte Neuausgabe dieser Monografie erschien 2014. Die sich daraus ergebenden Fassungen des Beitrags sind im Onlineportal in der textkritischen interaktiven Ansicht des Aufsatzes berücksichtigt, werden aber gemäß den Editionsrichtlinien der KMG nicht als eigenständige Ansichten abgebildet.

1.3 Übersetzungen

[6] 2012 erschien eine japanische Übersetzung des Beitrags im Rahmen der Übersetzung der Monografie Umwege (KMG 091-A).
  • [7] Mollenhauer, Klaus (2012). Mawarimichi. Bunka to kyoiku no toyaronteki kosatsu. Machidashi: Tamagawadaigakushuppanbu.

1.4 Unveröffentlichte Quellen

[8] SUB Göttingen, Cod. Ms. K. Mollenhauer
  • [9] Korr. All. Lenz 19: Klaus Mollenhauer an Dieter Lenzen vom 2.3.1985. (Hinweis u. a. auf die widersprüchlichen Eindrücke aus einer Tagung in Utrecht mit
    den jungen, nachrückenden Phänomeno[log]en
    ; gemeint ist die Tagung, auf der Mollenhauer den Vortrag hielt, der dem Werk KMG 126-a zu Grunde liegt. Briefkopie mit handschriftlichen Korrekturen und Ergänzungen, 4 Seiten)
  • [10] Korr. Ver. Neue Sammlung: Korrespondenz mit der Redaktion von
    Neue Sammlung
    . (Begleitschreiben zu Druckfahnen für Beitrag
    Anmerkungen zu einer pädagogischen Hermeneutik
    und Ankündigung des Abdrucks in der Monografie
    Umwege
    . 2 Briefe, 2.9.1984 und 1.10.1984 und eine Briefkopie)
  • [11] Manu. pub. 80 21: Mollenhauer, Klaus (o. D.). Anmerkungen zu einer pädagogischen Hermeneutik. (Mit handschriftlichem Hinweis:
    überarbeitete Fassung des Vortrags in Utrecht
    . Typoskript, 19 Seiten)
  • [12] Manu. pub. 80 22: Mollenhauer, Klaus (o. D.). Anmerkungen zu einer pädagogischen Hermeneutik. (Druckfahnen, mit wenigen handschriftlichen Korrekturen (Anmerkung auf Seite 3), 11 Seiten)

2 Inhalt und Kontexte

[13] Wie in einer Fußnote zum Titel des Beitrags angegeben (nicht in dieser Edition reproduziert), beruht das Werk auf einem Vortrag Mollenhauers auf einem Symposion zum Thema Hermeneutische Psychodiagnostik an der Universität Utrecht im Januar 1985. Weiterhin wird in der Fußnote darauf hingewiesen, dass es sich bei dem vorliegenden Text um eine
Ausführung des in der Festschrift für H. v. Hentig abgedruckten Werkstattberichts
Mollenhauer, 1985, S. 420)
handele, der unter dem Titel Anfänger-Probleme ebenfalls 1985 erschienen ist (KMG 085-a), aufgrund seiner komplett andersartigen Textform jedoch nicht als Vorfassung des hier kommentierten Werks betrachtet werden kann.
[14] Mollenhauer kennzeichnet in dem hier kommentierten Werk Hermeneutik als eine philosophisch begründete Form des Fremdverstehens, die auf das Verhältnis zwischen gesellschaftlichen
Typisierungen und dem
Subjekt
-Charakter menschlicher Existenz
(KMG 086-a, Abs. 086:11)
abziele und dabei stets auch ein Selbstverstehen des Beobachters impliziere (
Nur sofern wir uns selbst kennen, sind wir imstande, den anderen zu verstehen
,
KMG 086-a, Abs. 086:28–30
). Diese
in Opposition zu den szientistisch-arbeitsteiligen
erklärenden
Theorien und Verfahren der Einzelwissenschaften
(KMG 086-a, Abs. 086:8)
stehende Erkenntnisweise biete sich besonders dort an, wo – wie in der Pädagogik – nach der Konstitution von Bildungsprozessen gefragt werde, in denen immer die
Differenz zwischen dem, was das unprogrammierte
Subjekt
, und dem, was das gesellschaftsfähige
Individuum
als mehr oder weniger kompetenter Teilnehmer an Sprach- und Handlungsspielen ist
(KMG 086-a, Abs. 086:10)
, virulent bliebe. Mollenhauer folgt hier einer methodischen Erkenntniseinstellung, die – Friedrich Schleiermacher wird neben Jacques Lacan als einer der zentralen Referenzautoren genannt – deutlich seine geisteswissenschaftliche Herkunft erkennen lässt und sein Werk von Beginn an bis zu den späten Studien zur Sozialpädagogik wie auch zur ästhetischen Bildung durchzieht. Auch in dem acht Jahre zuvor zusammen mit Christian Rittelmeyer verfassten Band Methoden der Erziehungswissenschaft heißt es:
Die wichtigste methodologische Aufgabe für die weitere Entwicklung der Erziehungswis//senschaft ist vermutlich, diese Frage zu beantworten: Wie ist ein objektivierendes Verstehen pädagogischer Sachverhalte möglich?
(KMG 057-A, Abs. 057:7)
. In einem 1990 abgedruckten Interview bekräftigte Mollenhauer nochmals seine Position zur Hermeneutik:
Ich fühle mich jedenfalls in der Meinung bestärkt, daß es vernünftig ist, an einem recht verstandenen Begriff von Hermeneutik als dem methodischen Zentrum unserer Wissenschaft ohne Abwertung der Empirie festzuhalten
(KMG V74-a, Abs. V74:83).
Als Ausblick sieht Mollenhauer eine besondere Ergiebigkeit pädagogischer Hermeneutik zum einen in der Untersuchung von Autobiografien (einer Quellensorte, die auch vorher bereits in vielen seiner Werke auftauchte) und in der Analyse von ästhetischen Kulturprodukten (
weil sie das in diskursiver Argumentation kaum zu fassende Spiel des Subjekts mit seinen grammatischen Formen zur Darstellung bringen
,
KMG 086-a, Abs. 086:32–35
) sowie in der stärkeren Orientierung der Pädagogik am ästhetischen Urteil (weil
es im ästhetischen Objekt nach dessen eigenen
Begriff
sucht und es nicht nach Maßgabe theoretischer Kategorien oder verallgemeinerter praktischer Zwecke
bestimmt
,
KMG 086-a, Abs. 086:32–35
). Damit zeichnete er gewissermaßen schon programmatisch vor, was dann in den folgenden zehn Jahren die Schwerpunkte seiner Arbeit ausmachte.
[15] In seinem Werkstattbericht über das Problem, für den Vortrag auf dem Utrechter Symposion einen passenden Anfang zu finden, berichtet Mollenhauer, dass der bei den Veranstaltern von ihm eingereichte Arbeitstitel zunächst lautete Ist ein nicht-psychologisches Verstehen von Kindern möglich? (KMG 085-a, Abs. 085:1–2). Mit diesem Titel spielt Mollenhauer offensichtlich auf den psychologisch-therapeutischen Diskurs an, der zu Beginn der 1980er Jahre das Verstehen und den praktischen Umgang mit Kindern und Jugendlichen in der Pädagogik, insbesondere auch in der Sozialpädagogik, dominierte. Neben psychoanalytischen und verhaltenstherapeutischen Konzepten trugen vor allem Ansätze aus der Humanistischen Psychologie (Petzold, 1978, Cohn, 1983, Rogers, 1972) sowie der psychologischen Kommunikationstheorie (Watzlawick, Beavin & Jackson, 1982), die sich auch begrifflich-theoretisch gut an die in der akademischen Pädagogik verbreitete Interaktionstheorie anschließen ließen, zu einer Psychologisierung der pädagogischen Beziehungen bei. Mollenhauer hatte sich bereits in den Vergessenen Zusammenhängen (KMG 081-A) kritisch gegen diese Tendenz mit dem polemischen Hinweis gewendet, man könne
den Zusammenhang unserer Erziehungsgewohnheiten für pathologisch erklären, sich einer der therapeutischen Moden anschließen und Kinder so behandeln, als seien sie in der Sprechstunde eines Erziehungsberaters
(KMG 081-A, Abs. 081:20)
, würde dann allerdings die mit der Entwicklung der Gesamtkultur ursächlich zusammenhängenden Erziehungs- und Bildungsprobleme verfehlen. Ähnlich kritisch zu einer Therapeutisierung pädagogischen Handels äußerten sich zur gleichen Zeit auch u. a. die mit Mollenhauer befreundeten Kollegen Hermann Giesecke (1985), Konrad Wünsche (1985) und Dieter Lenzen (1985).
[16] Hinsichtlich der methodologischen Ausrichtung, die die Erziehungswissenschaft in den Jahren zuvor genommen hatte, versucht Mollenhauer mit seinem Beitrag – wie bereits angedeutet – die pädagogische Hermeneutik als die für die Pädagogik zentrale Methodologie gegenüber dem wachsenden Einfluss der empirisch-analytischen Forschung zu rehabilitieren und ihre kritische Funktion gegenüber der Macht gesellschaftlicher Diskurse herauszustellen, ohne jedoch die Brauchbarkeit auch empirisch orientierter Forschung zu leugnen.

3 Rezeption

[17] –––

4 Literatur

4.1 Andere hier verwendete Werke von Klaus Mollenhauer

    [18] Mollenhauer, Klaus & Rittelmeyer, Christian. Methoden der Erziehungswissenschaft (Monografie 1977; KMG 057-A). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqnx&edition=A.
    [19] Mollenhauer, Klaus. Vergessene Zusammenhänge. Über Kultur und Erziehung (Monografie 1983; KMG 081-A). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqkc&edition=A.
    [20] Mollenhauer, Klaus. Anfänger-Probleme. Ein ganz unwissenschaftliches Werkstattprotokoll (Beitrag 1985; KMG 085-a). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqjr&edition=a.
    [21] Mollenhauer, Klaus & Winkel, Rainer. Pädagogik – gestern, heute und morgen. Klaus Mollenhauer im Gespräch mit Rainer Winkel – Teil 2 (Gespräch 1990; KMG V74-a). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqfn&edition=a.

4.2 Weitere Literatur

    [22] Cohn, Ruth C. (1983). Von der Psychoanalyse zur themenzentrierten Interaktion (6. Auflage). Stuttgart: Klett-Cotta.
    [23] Giesecke, Hermann (1985). Das Ende der Erziehung. Neue Chancen für Familie und Schule. Stuttgart: Klett-Cotta.
    [24] Lenzen, Dieter (1985). Mythologie der Kindheit. Die Verewigung des Kindlichen in der Erwachsenenkultur. Versteckte Bilder und vergessene Geschichten. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.
    [25] Petzold, Hilarion (1978). Angewandtes Psychodrama in Therapie, Pädagogik und Theater (3. Auflage). Paderborn: Junfermann.
    [26] Rogers, Carl R. (1972). Die nicht-direktive Beratung. Counseling and Psychotherapy. München: Kindler.
    [27] Watzlawick, Paul, Beavin, Janet H. & Jackson, Don D. (1982). Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien (6. Auflage). Bern [u.a.]: Huber.
    [28] Wünsche, Konrad (1985). Die Endlichkeit der pädagogischen Bewegung. Neue Sammlung, 25(1), 433–449.
[29] [Hans-Rüdiger Müller]