Ästhetische Bildung und Kultur – Begriffe, Unterscheidungen, Perspektiven [Werkkommentar]

1 Werk: Formale Beschreibung

1.1 Leittext

[1] Mollenhauer, Klaus. Ästhetische Bildung und Kultur – Begriffe, Unterscheidungen, Perspektiven (Monografie 1988; KMG V69-A). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqhc&edition=A.
[2] Basierend auf:
  • [3] Mollenhauer, Klaus (1988). Ästhetische Bildung und Kultur – Begriffe, Unterscheidungen, Perspektiven. In Musisch-ästhetische Erziehung in der Grundschule. Grundbaustein 2. Ästhetische Bildung und Kultur – Begriffe, Unterscheidungen, Perspektiven. Mit einer Einführung von Wilfried Lippitz (S. 17–47). Tübingen: Deutsches Institut für Fernstudien an der Universität Tübingen.
[4] Das Werk erschien 1988, inklusive Literaturverzeichnis, als ein Fernstudienprojekt zur Lehrerfortbildung. Das Vorwort (Lippitz, 1988, S. 5) zu und die Einführung (Lippitz, 1988, S. 7–16) in Mollenhauers Werk verfasste Wilfried Lippitz. Die Textabschnitte Das Sehen, Das Hören, Bewegung und Die Nahsinne auf den Seiten 36–38 in Mollenhauers Werk sind deckungsgleich mit den gleichbenannten Abschnitten in Mollenhauers Zeitschriftenartikel Ist ästhetische Bildung möglich (KMG 100-a, Abs. 100:27–33).

1.2 Weitere Fassungen

[5] Weitere Fassungen liegen unserem Kenntnisstand nach nicht vor.

1.3 Übersetzungen

[6] Übersetzungen liegen unserem Kenntnisstand nach nicht vor.

1.4 Unveröffentlichte Quellen

[7] SUB Göttingen, Cod. Ms. K. Mollenhauer
  • [8] Manu. pub. 80 44: Klaus Mollenhauer (o. D.). Ästhetische Bildung und Kultur – Begriffe, Unterscheidungen, Perspektiven. (Kopie der ersten Fassung des Manuskripts ohne Bilder, Umfang: 49 S.)
  • [9] Manu. pub. 80 45: Klaus Mollenhauer (o. D.). Ästhetische Bildung und Kultur – Begriffe, Unterscheidungen, Perspektiven. (Korrigierte Fassung, inhaltlich deckungsgleich mit der Druckfassung, Umfang: 33 Doppelseiten)
  • [10] Manu. pub. 80 46: Klaus Mollenhauer (o. D.). Ästhetische Bildung und Kultur – Begriffe, Unterscheidungen, Perspektiven. (Korrigiertes Manuskript mit fünf eingeklebten Bildern von Laokoon (nicht in der Druckversion vorhanden), Caspar David Friedrichs Mönch am Meer,
    Tanzende Mänade
    (Relief, 5. Jh. v. Chr.) und
    Kinderkritzel
    von Paul Klee, Umfang: 50 S.)
  • [11] Korr. All. Lipp: 3.12.1987-8.2.1988, vier Briefe zwischen Klaus Mollenhauer und Wilfried Lippitz (zu technischen Fragen der Veröffentlichung)

2 Inhalt und Kontexte

[12] Im Studienjahr 1986/87 war Mollenhauer Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin. In diesem Jahr setzte er sich ausführlich mit Fragen einer zeitgenössischen Kulturtheorie und der Ästhetischen Bildung auseinander. In Berlin traf er u. a. auf den Kunsthistoriker Otto Karl Werckmeister, mit dem er sich intensiv austauschte, und von dem er sagte, diese Begegnung habe ihm seine
eigenen Bemühungen in einem verfremdenden Licht erscheinen lassen
(KMG 097-a, Abs. 097:12)
. Alle Fellows waren verpflichtet, am Ende des Aufenthalts einen Bericht über ihre zurückliegenden Forschungen zu verfassen, Mollenhauer tat dies – untypisch – gemeinsam mit Werckmeister unter der Überschrift
Kunstgeschichte und Pädagogik
(KMG 097-a, Abs. 097:1)
. Darin nennt und kontextualisiert er die Entstehung von KMG V69-A: Er verfolge das Ziel einer doppelten Erweiterung des Faches, nämlich einmal
Fragen nach dem Verhältnis von Pädagogik und Kunst
(KMG 097-a, Abs. 097:7)
aus der Kunstdidaktik heraus in die Allgemeine Pädagogik aufzunehmen und zum andern eine Erweiterung jener Fachgrenzen zu ermöglichen,
die sich die Pädagogik in ihrer Beschränkung auf Sozialisations-, Unterrichts- und Institutionsforschung auferlegt hat
(KMG 097-a, Abs. 097:7)
. Sein in Berlin angefertigtes Manuskript Kultur und Ästhetische Bildung – Begriffe, Unterscheidungen, Perspektiven (Mollenhauer, o. D., Manu. pub. 80 44) erarbeite entsprechend die Frage nach den kulturtheoretischen und ästhesiologischen Grundlagen ästhetischer Bildung.
[13] Der Text erschien zunächst in einem schulpädagogischen Lehrgang des Deutschen Instituts für Fernstudien (DIFF). Das 1967 gegründete DIFF verfolgte das Ziel, die Möglichkeiten des Fernstudiums für die Lehrer*innenaus- und ‑weiterbildung fruchtbar zu machen. Damit reagierten die Initiatoren des Instituts (das Land Baden-Württemberg, die Volkswagenstiftung und die Universität Tübingen) auf die Herausforderung, dass zur Zeit der Bildungsexpansion und Verwissenschaftlichung der Lehrer*innenbildung zugleich ein großer Lehrkräftemangel herrschte (Dohmen, 1977). Der hier in Rede stehende Text bildet den zweiten Teil des theoretischen Grundbausteins im Studienprojekt Musisch-ästhetische Erziehung in der Grundschule; den ersten hat Gottfried Bräuer verfasst (Bräuer, 1988). Neben diesen grundlegenden theoretischen Texten bestand das gesamte Projekt außerdem aus fünf Studieneinheiten, die sich stärker auf die Praxis ästhetischer Erziehung richteten. Da es dabei nicht um fachdidaktische Fortbildungen in den Grundschulfächern Kunst, Musik und Werken, sondern um die Aktualisierung des fächerübergreifenden Prinzips ästhetischer Erziehung ging, befassten sich diese Studieneinheiten je mit der ästhetischen Dimension etwa von Schrift und Schreiben oder Festen und Feiern. In den 1970er Jahren wurde im Rahmen der Curriculumtheorie eine wissenschaftspropädeutische Fächerorientierung für die Grundschule vorherrschend; dabei traten fächerübergreifende Prinzipien der Primarstufenbildung zurück, die nun erneut reflektiert wurden. Den Herausgebern der Grundbausteine, Gerhard Schneider und Wolfgang K. Schulz, ging es darum,
die erziehungs- und bildungstheoretische Relevanz des Grundschulunterrichts neu zu bestimmen
(Schneider & Schulz, 1988, S. 7)
. Zugleich galt es, sich in den ästhetischen Lernbereichen mit der noch wirksamen Tradition der musischen Erziehung auseinanderzusetzen, was sich in dem Titel gebenden Begriff der
musisch-ästhetischen Erziehung
widerspiegelt.
[14] Mollenhauer nimmt in KMG V69-A eine kulturwissenschaftliche Perspektive auf die ästhetische Erziehung ein und beginnt entsprechend damit, Einiges über Kultur (KMG V69-A, Abs. V69:9) zu erläutern. Unter anderem mit Bezug zu Georg Simmels Kultursoziologie thematisiert er die Schwierigkeit des Auseinanderfallens von Kulturobjekten und einer Kultivierung des Menschen und seiner Sinne im Umgang damit, das für die Moderne kennzeichnend sei und damit einen wichtigen Ausgangspunkt für ästhetische Bildung und Erziehung darstelle. Diesen bezeichnet er als
die Kluft zwischen dem sich bildenden Ich (als Kind oder als Erwachsener) und den zwar raffiniert, aber fremd erscheinenden Produkten der herrschenden Kultur
(KMG V69-A, Abs. V69:21)
.
[15] Im zweiten Abschnitt, überschrieben mit Was heißt
ästhetisch
?
(KMG V69-A, Abs. V69:24), setzt sich Mollenhauer mit der Unterscheidung von Aisthesis und Ästhetik auseinander, indem er die Besonderheit ästhetischer Erfahrungen und Empfindungen gegenüber alltäglichen Wahrnehmungsprozessen erarbeitet und mit Immanuel Kant Spezifika des ästhetischen Urteils beschreibt. Wieder formuliert er die resultierenden Aufgaben für die Allgemeine, auf ästhetische Bildung hin ausgerichtete Pädagogik:
Der Vorgang der ästhetischen Bildung und die Orientierungen der ästhetischen Erziehung können also nach drei Seiten hin bestimmt werden: zur Seite des ästhetischen Urteils, zur Seite des ästhetischen Gegenstandes und zur Seite der ästhetischen Empfindung hin.
(KMG V69-A, Abs. V69:43)
[16] Nach diesen allgemein auf das Ästhetische im Ganzen bezogenen begrifflichen und theoretischen Klärungen wendet sich Mollenhauer dann im dritten Abschnitt, Die Verschiedenheit ästhetischer Tätigkeiten und Produkte, der Verschiedenartigkeit und Vielfalt der ästhetischen Erscheinungen in Malerei, Literatur, Musik, Tanz etc. zu, um den darin enthaltenen je spezifischen Bildungssinn finden zu können:
Eine Theorie ästhetischer Erziehung steht also vor der Aufgabe, die Besonderheiten der verschiedenen
Künste
herauszuarbeiten, die damit verbundenen Regeln des Gestaltens und Verstehens zu bestimmen und die darin gegebenen Bildungsaufgaben zu ermitteln
(KMG V69-A, Abs. V69:70)
. Grundlegend für diese Aufgabe pädagogischer Theoriebildung ist für Mollenhauer dann die Beschäftigung mit der Verschiedenartigkeit der Sinne sowie mit dem Phänomen, dass in der ästhetischen Erfahrung die Sinnestätigkeit selbst thematisch wird. Entsprechend schreibt er nachfolgend über das Sehen, das, die Bewegung sowie zusammenfassend über die Nahsinne Schmecken, Riechen, Tasten. Abschließend fasst Mollenhauer die vielfältigen Fragestellungen und Thematisierungen zusammen unter der Frage nach Folgerungen für die ästhetische Bildung/Erziehung. Darin diskutierte er zunächst verschiedene Ausgangspunkte einer Theorie ästhetischer Bildung, nämlich entweder
in der anthropologischen Beschaffenheit des Kindes […] oder in den kulturellen Formationen, in die das Kind hineinzuwachsen sich anschickt
(KMG V69-A, Abs. V69:84)
. Die Dualität in die Schwebe zu bringen, ist dann seine schlussfolgernde Haltung, denn beide Ausgangspunkte sind bedeutsam und können nicht einander aufheben. Als Brücke zwischen quasi natürlicher, spontaner und expressiver Sinnentätigkeit und dem zu lernenden Verstehen der kulturellen Objektivationen der unterschiedlichen Künste und Medien gilt Mollenhauer zum einen das
selbstreflexive Bewusstwerden des eigenen Empfindens
(KMG V69-A, Abs. V69:94)
sowie andererseits das Erlernen der
Sprachen der Künste
(KMG V69-A, Abs. V69:104)
. Elementaria dafür findet er in Paul Klees Pädagogischem Skizzenbuch (Klee, 1965, S. 6–7, zit. n. KMG V69-A, Abs. V69:102).

3 Rezeption

[17] Eine spezifische Rezeption des Studienbriefes ist fast nicht zu erkennen, was vermutlich mit seiner exklusiven Verbreitung im Rahmen der Weiterbildung zusammenhängt.
[18] Christian Zenke bezieht sich in seiner Dissertation auf KMG V69-A im Kapitel
Die Ausweitung der ästhetischen Erziehung
(Zenke, 2018, S. 89–101) über die ab Anfang der 70er Jahre im Diskurs zu Kunst, Ästhetik, Bildung und Erziehung einsetzende Etablierung des Begriffs der
ästhetischen Erziehung
in Auseinandersetzung mit den Traditionen der musischen Erziehung einerseits, der Kritik an einem bürgerlichen und elitären Kunstverständnis sowie der Grundlegung in den sinnlichen Empfindungen (Aisthesis) andererseits.

4 Literatur

4.1 Andere hier verwendete Werke von Klaus Mollenhauer

    [19] Mollenhauer, Klaus & Werckmeister, Otto Karl. Kunstgeschichte und Pädagogik (Beitrag 1988; KMG 097-a). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqhh&edition=a.

4.2 Weitere Literatur

    [20] Bräuer, Gottfried (1988). Zugänge zur ästhetischen Elementarerziehung. In Musisch-ästhetische Erziehung in der Grundschule. Grundbaustein 1. Zugänge zur ästhetischen Elementarerziehung (S. 31–102). Tübingen: Deutsches Institut für Fernstudien an der Universität Tübingen.
    [21] Dohmen, Günther (1977). Das Deutsche Institut für Fernstudien an der Universität Tübingen (DIFF). Perspektiven, Fakten und Probleme. Bildung und Erziehung, 30(3), 187–195.
    [22] Klee, Paul (1965). Pädagogisches Skizzenbuch (Faksimile-Nachdruck nach der Ausgabe von 1925 durch Oemsdruck KG Frankfurt am Main). Mainz [u. a.]: Kupferberg.
    [23] Lippitz, Wilfried (1988). Einführung in den Grundbaustein Teil 2. In Musisch-ästhetische Erziehung in der Grundschule. Grundbaustein 2. Ästhetische Bildung und Kultur – Begriffe, Unterscheidungen, Perspektiven. Mit einer Einführung von Wilfried Lippitz (S. 5). Tübingen: Deutsches Institut für Fernstudien an der Universität Tübingen.
    [24] Lippitz, Wilfried (1988). Vorwort. In Musisch-ästhetische Erziehung in der Grundschule. Grundbaustein 2. Ästhetische Bildung und Kultur – Begriffe, Unterscheidungen, Perspektiven. Mit einer Einführung von Wilfried Lippitz (S. 7–16). Tübingen: Deutsches Institut für Fernstudien an der Universität Tübingen.
    [25] Schneider, Gerhard & Schulz, Wolfgang K. (1988). Einführung in das Fernstudienprojekt Musisch-Ästhetische Erziehung in der Grundschule. In Musisch-Ästhetische Erziehung in der Grundschule. Grundbaustein 1. Zugänge zur Ästhetischen Elementarerziehung (S. 5–29). Tübingen: Deutsches Institut für Fernstudien an der Universität Tübingen.
    [26] Zenke, Christian Timo (2018). Hartmut von Hentig und die ästhetische Erziehung. Eine kritische Bestandsaufnahme. Wien [u. a.]: Böhlau.
[27] [Cornelie Dietrich]