Kinder- und Jugendhilfe [Werkkommentar]

1 Werk: Formale Beschreibung

1.1 Leittext

[1] Mollenhauer, Klaus (136-a). Kinder- und Jugendhilfe. Theorie der Sozialpädagogik – ein thematisch-kritischer Grundriß (Zeitschriftenartikel 1996). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition (2024). Hrsg. von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqcn&edition=a.
[2] Basierend auf:
  • [3] Mollenhauer, Klaus (1996). Kinder- und Jugendhilfe. Theorie der Sozialpädagogik – ein thematisch-kritischer Grundriß. Zeitschrift für Pädagogik, 42(6), 869–886.
[4] Das Werk erschien 1996 als Aufsatz und umfasst 18 Druckseiten inklusive Literaturverzeichnis. Vor den eigentlichen Text ist eine kurze Zusammenfassung gestellt, welche in englischer Übersetzung hinter dem Text erneut auftaucht.

1.2 Weitere Fassungen

[5] Weitere Fassungen liegen unserem Kenntnisstand nach nicht vor.
[6] Mollenhauer hat diesen Text im Folgejahr überarbeitet und erweitert. Dieser stark veränderte Text erschien 1997 und 1998 unter dem Titel
Sozialpädagogische
Forschung – Eine theoretisch-thematische Skizze.
1997 wurde er als drittes Kapitel der zusammengesetzten Monografie Sozialpädagogische Praxis, Forschung und Theorie – Drei einführende Versuche (KMG V83-A, S. 53–68) publiziert. Diese Monografie aus der Reihe Göttinger Beiträge zur erziehungswissenschaftlichen Forschung gilt als graue Literatur und erscheint daher unter der Rubrik
Varia
. 1998 erschien dieser Text nahezu identisch in einem Sammelband, den Hans Gängler und Thomas Rauschenbach herausgaben (KMG 149-a).

1.3 Übersetzungen

[7] Übersetzungen liegen unserem Kenntnisstand nach nicht vor.

1.4 Unveröffentlichte Quellen

[8] SUB Göttingen, Cod. Ms. K. Mollenhauer
  • [9] Manu. pub. 90 33: Klaus Mollenhauer (o. D.). Kinder- und Jugendhilfe. Theorie der Sozialpädagogik – ein thematisch kritischer Grundriß (Druckfahne mit Anmerkungen und Korrekturen in verschiedenen Handschriften, Umfang: 18 S.)
  • [10] Manu. pub. 90 34: Klaus Mollenhauer (o. D.). Klaus Mollenhauer Kinder- und Jugendhilfe. Theorie der Sozialpädagogik – ein thematisch kritischer Grundriß (Druckfahne mit Anmerkungen und Korrekturen, Umfang: 18 S.)
  • [11] Korr. All. Winkler 01: 23.7.1996 und 01.08.1996, 2 Briefe zwischen Klaus Mollenhauer und Michael Winkler

2 Inhalt und Kontexte

[12] Das Werk findet sich als vierter Beitrag im Themenschwerpunkt Soziale Arbeit und Jugendhilfe der Zeitschrift. Im Einführungstext zu dem Schwerpunkt nennt Heinz Sünker das Werk eine
grundlagentheoretische Analyse
(Sünker, 1996, S. 809)
, mit der Mollenhauer einen
Schlusspunkt
(Sünker, 1996, S. 809)
hinter die anderen drei, teils empirischen Arbeiten setze. Sünker erläutert einführend den Zwiespalt, in dem die Jugendhilfe in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts stecke: Sie sei zum einen durch Ausbau und Professionalisierung
auf dem Weg zur Normalität
(Sünker, 1996, S. 805)
, gerate zum anderen durch den Abbau sozialstaatlicher Ausgaben im Zuge politisch neuer Prioritätensetzung nach dem Ende der sozialliberalen Koalition wie andere sozialstaatliche Leistungen auch in die
Krise des Wohlfahrtsstaates
(Sünker, 1996, S. 805)
. In dieser Einleitung bezieht sich Sünker zweifach auf Mollenhauers sozialpädagogische Arbeiten. Zum einen erinnert er an seine Arbeiten aus den 70er Jahren, in denen dieser eine emanzipatorische, nicht-repressive Sozialpädagogik fundiert, die zugleich die Kinder und Jugendlichen nicht nur als Individuen, sondern eingebettet in ihre je besonderen sozialen Lebenslagen und Biografien auffasst und anspricht (Sünker, 1996, S. 807). Zum anderen verweist er auf die jüngsten empirischen Arbeiten zur sozialpädagogischen Diagnostik von 1992 und 1995, die Mollenhauer mit Uwe Uhlendorff gemeinsam vorgelegt hat.
[13] Mollenhauer fragt in dem Text nach
theoretischen Fluchtpunkten
und
Forschungsproblemen
(KMG 136-a, S. 869)
innerhalb der Sozialpädagogik. Diese sieht er als Disziplin aufgespannt zwischen professionspolitischen und professionspraktischen Herausforderungen einerseits und theoretischen, empirischen und epistemologischen Fragen und Konstruktionsregeln andererseits. In einem ersten Abschnitt fragt Mollenhauer danach, ob es angesichts der großen Heterogenität der sozialpädagogischen Praxisbezüge überhaupt einen gemeinsamen Gegenstand der Sozialpädagogik gebe: Zum Gegenstandsfeld. Im Anschluss plädiert er – ausgeführt an einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Begriff der Lebenswelt – für eine Aufrechterhaltung der Differenz zwischen wissenschaftlichem Erkenntnisinteresse und berufs- und studienpraktischer Orientierung:
Theorie
und
Praxis
. Gegenüber einem Abschnitt zu Methodologien in der Sozialpädagogik (Konturen
theoretischer
Problemlagen, methodologisch
), für die Mollenhauer keine Fachspezifik ausmachen kann, entfaltet er im vierten Abschnitt (Konturen
theoretischer
Problemlagen, thematisch
) vier thematische Spezifika der Sozialpädagogik, die im dritten pädagogischen Feld zwischen Schule und Familie eine ganz eigene Bedeutsamkeit für Reproduktion und Erneuerung gesellschaftlicher Verhältnisse sowie für die Individuierung der Adressat*innen erlangen:
Generation
,
Normalitätsbalancen
,
Armut
und
Interkulturalität
. Für Mollenhauer sind nun allerdings diese vier Grundthemen nicht nur aus der Allgemeinen Pädagogik abgeleitete Unterkategorien, die in der Sozialpädagogik zur Anwendung kämen, sondern er sieht hier ebenso in reziproker Weise das Potential der angesprochenen Themen, einen
erziehungssystematisch besonderen Sinn
(KMG 136-a, Abs. 136:36)
zu entfalten.

3 Rezeption

[14] Der Text ist vielfach rezipiert worden. So betonen Heinz-Hermann Krüger und Werner Thole (Krüger & Thole, 1998, S. 463) die Gültigkeit und Aktualität des vorgelegten Programms einer aus der Allgemeinen Pädagogik, namentlich der kritisch aufgeklärten Theorie heraus entwickelten sozialpädagogischen Forschung. Auch Michael Winkler (Winkler, 2002, S. 117) bespricht den Text u. a. als den Versuch, Sozialpädagogik und Allgemeine Pädagogik wieder stärker aufeinander zu beziehen und zitiert das Jahrbuch der sozialen Arbeit (2000), in dem der Text als einer der
herausragenden Beiträge des 20. Jahrhunderts
vorgestellt wird
(Winkler, 2002, S. 101)
. Der Nachlass enthält Briefwechsel mit Michael Winkler (Korr. All. Winkler 01). Mollenhauer hatte Winkler vor Veröffentlichung um eine Einschätzung gebeten. Winkler antwortete darauf grundsätzlich mit Zustimmung zu Grundgestus und Argumentation des Textes, führt aber auch kritische Punkte an. Interessant ist diese wertschätzende, sozialpädagogisch-kollegiale peer review insbesondere vor dem Hintergrund, dass beide, Mollenhauer und Winkler, zur selben Zeit auf dem Feld der Allgemeinen Pädagogik eine durchaus polemische Kontroverse um den Niedergang der Allgemeinen Pädagogik führten (s. dazu den Werkkommentar zu KMG 137-a; Dietrich, 2024; Clausen & Heyhusen, 2024). Auch Cornelia Füssenhäuser und Hans Thiersch (Füssenhäuser & Thiersch, 2000, S. 1882) greifen den Text auf und betonen die Suche nach einer Systematisierung von Sozialpädagogik und Sozialer Arbeit, die durch die sozialwissenschaftliche Wende und subdisziplinäre Ausdifferenzierung verlorengegangen scheint (Füssenhäuser, 2005, S. 111). Im Rahmen einer Darlegung der sozialpädagogischen Kasuistik ziehen Sabine Ader und Christian Schrapper (Ader & Schrapper, 2020, S. 34) den Text zur begrifflichen Klärung ihrer Vorannahmen heran.

4 Literatur

4.1 Andere hier verwendete Werke von Klaus Mollenhauer

    [15] Mollenhauer, Klaus. Über Mutmaßungen zum
    Niedergang
    der Allgemeinen Pädagogik – eine Glosse (Beitrag 1996; KMG 137-a). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqck&edition=a.
    [16] Mollenhauer, Klaus. Sozialpädagogische Praxis, Forschung und Theorie - Drei einführende Versuche (Monografie 1997; KMG V83-A). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqbt&edition=A.
    [17] Mollenhauer, Klaus.
    Sozialpädagogische
    Forschung. Eine thematisch-theoretische Skizze (Beitrag 1998; KMG 149-a). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3xszf&edition=a.

4.2 Weitere Literatur

    [18] Ader, Sabine & Schrapper, Christian (Hrsg.) (2020). Sozialpädagogische Diagnostik und Fallverstehen in der Jugendhilfe. München: Reinhardt.
    [19] Clausen, Lasse & Heyhusen, Lisa-Katharina (2024). Zur Krise der Allgemeinen Pädagogik in den 1990er Jahren – Eine Fallanalyse aus dem Klaus-Mollenhauer-Gesamtausgabe-Projekt. In Daniel Erdmann, Selma Haupt, Susann Hofbauer, Lukas Otterspeer, Felix Schreiber, & Katharina Vogel (Hrsg.), Allgemeine Erziehungswissenschaft – Daten und Positionen (S. 185–194). Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
    [20] Dietrich, Cornelie (2024/i. E.). Wissenschaft als Praxis. Kon-Texte und Kon-Ereignisse zur Debatte um eine Krise der Allgemeinen Pädagogik in den 1990er Jahren. In Daniel Erdmann, Selma Haupt, Susann Hofbauer, Lukas Otterspeer, Felix Schreiber & Katharina Vogel (Hrsg.) Allgemeine Erziehungswissenschaft – Daten und Positionen. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
    [21] Füssenhäuser, Cornelia (2005). Werkgeschichte(n) der Sozialpädagogik. Klaus Mollenhauer, Hans Thiersch, Hans-Uwe Otto. Der Beitrag der ersten Generation nach 1945 zur universitären Sozialpädagogik. Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren.
    [22] Füssenhäuser, Cornelia & Thiersch, Hans (2001). Theorien der Sozialen Arbeit. In Hans-Uwe Otto & Hans Thiersch (Hrsg.), Handbuch Sozialarbeit, Sozialpädagogik (2., völlig überarbeitete Auflage). (S. 1876–1900). Neuwied: Luchterhand.
    [23] Krüger, Heinz-Hermann & Thole, Werner (1998).
    Gesellschaftsanalyse in sozialpädagogischer Absicht
    . Plädoyer für eine empirisch aufgeklärte, erziehungswissenschaftliche Sozialpädagogik. Neue Praxis, 28(5), 456–465.
    [24] Sünker, Heinz (1996). Soziale Arbeit und Jugendhilfe im modernen Wohlfahrtsstaat. Einführung in den Themenschwerpunkt. Zeitschrift für Pädagogik, 42(6), 805–810.
    [25] Winkler, Michael (2002). Klaus Mollenhauer. Ein Pädagogisches Porträt. Weinheim [u. a.]: Beltz.
[26] [Cornelie Dietrich]