Legenden und Gegenlegenden [Werkkommentar]

1 Werk: Formale Beschreibung

1.1 Leittext

[1] Mollenhauer, Klaus. Legenden und Gegenlegenden. Ein kritischer Kommentar zum Beitrag von Barbara Siemsen (Beitrag 1997; KMG 140-a). In Klaus Mollenhauer Gesamtausgabe. Historisch-kritische Edition. (2025). Herausgegeben von Cornelie Dietrich, Klaus-Peter Horn & Hans-Rüdiger Müller. https://mollenhauer-edition.de/kmg.html?file=3qqc5&edition=a.
[2] Basierend auf:
  • [3] Mollenhauer, Klaus (1997). Legenden und Gegenlegenden. Ein kritischer Kommentar zum Beitrag von Barbara Siemsen. Die Deutsche Schule, 89(2), 158–160.
[4] Das Werk erschien 1997 und umfasst 2,5 Druckseiten.

1.2 Weitere Fassungen

[5] Weitere Fassungen liegen unserem Kenntnisstand nach nicht vor.

1.3 Übersetzungen

[6] Übersetzungen liegen unserem Kenntnisstand nach nicht vor.

1.4 Unveröffentlichte Quellen

[7] SUB Göttingen, Cod. Ms. K. Mollenhauer
  • [8] Manu. pub. 32: Klaus Mollenhauer, o. D.: Legenden und Gegenlegenden – Ein kritischer Kommentar [handschriftlich auf Deckblatt] [unleserlich] ad DDS 2/97; (Typoskript mit wenigen handschriftlichen formalen Korrekturen am Text; 3 S.)
  • [9] Korr. All. Schlöm 02: o. D. und 13.1.-18.2.1997, drei Briefe zwischen Klaus Mollenhauer und Jörg Schlömerkemper (zum Kommentar von Mollenhauer zum Text von Barbara Siemsen)
  • [10] Korr. All. Siem: 2.5.-5.6.1997, drei Briefe zwischen Klaus Mollenhauer und Barbara Siemsen (mit ausführlichen Ex-post-Stellungnahmen zu Erich Weniger und seinen Texten vor und nach 1945)
  • [11] Korr. All. Matt: 30.7.-5.8.1997, zwei Briefe zwischen Eva Matthes und Klaus Mollenhauer (Matthes fragt Mollenhauer zum Zwecke ihrer Habilitationsschrift an, ob er Aufzeichnungen aus den
    Politischen Kolloquien
    Erich Wenigers besitze, was Mollenhauer verneinen muss.)
  • [12] Korr. All. Rehb: 19.2.1997, Brief von Klaus Mollenhauer an Klaus Rehbein (Mollenhauer nimmt ausführlich Stellung zu Rehbeins Artikel über die NS-Vergangenheit Erich Wenigers und kritisiert die mangelnde Lektüre von Wenigers Werken bei Barbara Siemsen und Kurt Beutler.)

2 Inhalt und Kontexte

[13] Mollenhauer kommentiert in diesem Beitrag einen Aufsatz von Barbara Siemsen, in dem diese die sehr unterschiedlichen Reaktionen der Pädagogen Erich Weniger und Adolf Reichwein auf ihre jeweiligen Amtsenthebungsverfahren im Jahr 1933 einander gegenüberstellt (Siemsen, 1997a). Einem der Briefe ist zu entnehmen, dass Mollenhauer von der Redaktion um diesen Kommentar gebeten worden ist (Mollenhauer an Siemsen, 2.5.1997, Korr. All. Siem, S. 1). So tritt er hier – nach 1994 (KMG 131-a) – ein zweites Mal in der Rolle des ehemaligen Schülers und Doktoranden Wenigers auf und artikuliert dabei auch sein ambivalentes Verhältnis zu diesem. Siemsen hatte zwei Jahre zuvor ihre Dissertation über Weniger und dessen bis dahin wenig rezipierte Texte zwischen 1930 und 1945 publiziert und war dabei zu dem Ergebnis gekommen, dass sich um Weniger eine Legende gebildet habe, der zufolge er Opfer nationalsozialistischer Herrschaft gewesen sei; diese könne aufgrund ihrer Studien nicht länger aufrechterhalten werden (Siemsen, 1995). Mollenhauer bezieht sich mit seinem Titel Legenden und Gegenlegenden darauf und führt drei methodische bzw. methodologische Einwände auf, die die Autorin seines Erachtens nicht hinreichend beachtet habe: der Umgang mit unterschiedlichen Textsorten sei nicht angemessen berücksichtigt, die verwendeten Vokabularien bei der Beschreibung und Interpretation der Quellen seien
herabsetzend
(KMG 140-a, Abs. 140:3)
und der Text zeige einige historische Ungenauigkeiten bzw. belege Behauptungen nicht hinreichend. Insgesamt zielt Mollenhauer darauf, dass in der historischen Forschung
Empörung und moralische Mißbilligung nicht zum naiven Leitfaden der Recherche nach Belastungsmaterial
(KMG 140-a, Abs. 140:1)
führen dürfe. Zudem berichtet Mollenhauer von eigenen Studienerfahrungen bei Weniger und zeichnet einen dem Widerstand nahestehenden Hochschullehrer.
[14] Das Heft der Zeitschrift Die Deutsche Schule widmete dem Thema insgesamt vier Beiträge, neben den beiden erwähnten nimmt auch Hans-Georg Herrlitz in der Rubrik Offensive Pädagogik mit seinem Text Vergangenheitsbewältigungen (Herrlitz, 1997) Stellung und Siemsen selbst schreibt eine Entgegnung auf Mollenhauers kritischen Kommentar (Siemsen, 1997b). Alle Beiträge sind Teil einer seit den 1980er Jahren geführten Debatte um die Verstrickungen der Pädagogik und ihrer Vertreter in das Herrschaftssystem des Nationalsozialismus (siehe auch Beutler, 1995; Berg & Eller-Rüttgardt, 1991; Gamm, 1990; Sünker & Otto, 1989).

3 Rezeption

[15] Eine erste Rezeption erfährt der kurze Text durch die erwähnte Entgegnung von Barbara Siemsen, die sich im selben Heft der Deutschen Schule an Mollenhauers Kommentar direkt anschließt und in der sie allen methodischen Vorwürfen an ihrem Aufsatz widerspricht und diese ausführlich kommentiert (Siemsen, 1997b). Im Gegenzug adressiert sie Mollenhauer als einen Weniger-Schüler, von denen sie sich erhofft, dass sie
als Zeitzeugen Licht in das Dunkel bringen könnten, in das der Fragenkomplex
Weniger und der Widerstand
bislang gehüllt ist
(Siemsen, 1997b, S. 162)
. Die Zeitschrift nimmt die zwischen Siemsen und Mollenhauer begonnene Diskussion zum Anlass, weitere Stellungnahmen zu erbitten und veröffentlicht im folgenden Heft (Die Deutsche Schule 4/1997) in der Rubrik Kontroverse unter dem Titel Über den Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit in der Erziehungswissenschaft: Erich Weniger sechs weitere Beiträge. Vier davon nehmen direkt auf Mollenhauers Argumentation Bezug (siehe die Beiträge von Hoffmann, 1997; Horn & Tenorth, 1997; Schreiner, 1997; Wunder, 1997 im genannten Heft).
[16] Micha Brumlik (1998, S. 439) vermisst – im Kontext seiner Würdigung von Mollenhauers späten ästhetischen Untersuchungen – in dem Text die Einsicht in den Verrat Wenigers und anderer am kritischen und utopischen Erbe der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik während und nach der NS-Zeit. Auch Christian Niemeyer rezipiert den kleinen Text kritisch und sichtlich irritiert über die Art und Weise, wie Mollenhauer nach der
wichtigen und nachdenkenswerten Studie von Barbara Siemsen
(
Niemeyer, 2010, S. 215
; ähnlich Niemeyer & Rautenberg, 2012, S. 332) mit dem geisteswissenschaftlichen Erbe in seiner akademischen Enkel- bzw. Sohnposition umgehe. Auch weitere, meist jüngere Kolleg*innen zeigen sich verwundert über die verhaltene Reaktion Mollenhauers auf den Artikel von Siemsen (siehe Aßmann, 2015, S. 283–284; Grunert, 2021, S. 6; Ortmeyer, 2008, S. 199).
[17] Zu erwähnen ist außerdem ein Briefwechsel zwischen Mollenhauer und Siemsen, den Mollenhauer im Mai 1997 initiiert und innerhalb dessen beide sich über Erinnerungen, die Reflexion von Erinnerungen, über die in der erziehungswissenschaftlichen Historiografie einzusetzenden Methoden sowie den zwischen ihnen liegenden generationalen Abstand austauschen und dabei auch annähern. Mollenhauer beschließt den letzten Brief wie folgt:
Jedenfalls: Sie sehen vielleicht, daß Ihre Studien, besonders auch Ihr Brief, mir nun mehr bedeuten als das, was ich in meinem
Kommentar
angedeutet hatte, eine ziemlich produktive Aufforderung nämlich zum sorgfältigen Erinnern.
(Mollenhauer an Siemsen, 5.6.1997, Korr. All. Siem, S. 3)

4 Literatur

4.1 Andere hier verwendete Werke von Mollenhauer

    [18] KMG 131-a

4.2 Weitere Literatur

    [19] Aßmann, Alex (2015). Klaus Mollenhauer. Vordenker der 68er – Begründer der emanzipatorischen Pädagogik. Eine Biografie. Paderborn: Schöningh.
    [20] Berg, Christa & Eller-Rüttgardt, Sieglind (1991).
    Du bist nichts, Dein Volk ist alles
    . Forschungen zum Verhältnis von Pädagogik und Nationalsozialismus
    . Weinheim: Deutscher Studien Verlag.
    [21] Beutler, Kurt (1995). Geisteswissenschaftliche Pädagogik zwischen Politisierung und Militarisierung – Erich Weniger. Frankfurt am Main [u. a.]: Lang.
    [22] Brumlik, Micha (1998). Klaus Mollenhauer – Die Sozialpädagogik in der Einheit seines Werks. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 1(3), 431–440.
    [23] Die Deutsche Schule (1997). Kontroverse: Über den Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit in der Erziehungswissenschaft: Erich Weniger. Die Deutsche Schule, 89(4), 485–518.
    [24] Hoffmann, Dietrich (1997). Gegen eine Renazifizierung Erich Wenigers. Die Deutsche Schule, 89(4), 497–504.
    [25] Horn, Klaus-Peter & Tenorth, Heinz-Elmar (1997). Biographieforschung vs. Disziplingeschichte. Die Deutsche Schule, 89(4), 505–512.
    [26] Gamm, Hans-Joachim (1990). Führung und Verführung. Pädagogik des Nationalsozialismus (3. Auflage). München: List
    [27] Grunert, Cathleen (2021). Klaus Mollenhauer und die Pädagogik der Kritischen Theorie—Eine Einleitung. In Klaus Mollenhauer, Pädagogik der
    Kritischen Theorie
    . Vier Studienbriefe für die FernUniversität in Hagen
    (S. 1–18). Wiesbaden: Springer VS.
    [28] Mollenhauer, Klaus (2021). Pädagogik der
    Kritischen Theorie
    . Vier Studienbriefe für die Fernuniversität in Hagen—Klaus Mollenhauer unter Mitwirkung von Christiane Giffhorn, Wolfgang Keckeisen, Michael Parmentier und Brigitte Hantsche
    . Herausgegeben von Cathleen Grunert und Katja Ludwig. Wiesbaden: Springer VS.
    [29] Herrlitz, Hans-Georg (1997). Vergangenheitsbewältigungen. Die Deutsche Schule, 89(2), 134–136.
    [30] Niemeyer, Christian (2010). Klaus Mollenhauer (1928–1998): Der eine Enkel geisteswissenschaftlicher Sozialpädagogik. In Christian Niemeyer, Klassiker der Sozialpädagogik: Einführung in die Theoriegeschichte einer Wissenschaft (3., aktualisierte Auflage, S. 212–251). Weinheim [u. a.]: Juventa.
    [31] Niemeyer, Christian & Rautenberg, Michael (2012). Klaus Mollenhauer (1928-1998). Pädagogik als vergessener Zusammenhang. In Bernd Dollinger (Hrsg.), Klassiker der Pädagogik. Die Bildung der modernen Gesellschaft (3., durchgesehene Auflage, S. 331–352). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
    [32] Ortmeyer, Benjamin (2008). Erich Weniger und die NS-Zeit. Forschungsbericht. Frankfurt am Main: Johann-Wolfgang-Goethe-Universität.
    [33] Schreiner, Günter (1997). Weder voreilige Verurteilungen noch einfühlsame Entschuldigen helfen weiter. Die Deutsche Schule, 89(4), 513–514.
    [34] Siemsen, Barbara (1995). Der andere Weniger. Eine Untersuchung zu Erich Wenigers kaum beachteten Schriften. Frankfurt am Main [u. a.]: Lang.
    [35] Siemsen, Barbara (1997a).
    In der Entscheidung gibt es keine Umwege
    . Zwei Pädagogen reagieren auf ihre Amtsenthebung 1933: Erich Weniger und Adolf Reichwein. Die Deutsche Schule, 89(2), 137–157.
    [36] Siemsen, Barbara (1997b). Entgegnung. Die Deutsche Schule, 89(2), 160–162.
    [37] Sünker, Heinz & Otto, Hans-Uwe (1989). Soziale Arbeit und Faschismus. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
    [38] Wunder, Dieter (1997). Diese Vergangenheit läßt uns nicht los. Die Deutsche Schule, 89(4), 515–518.
[39] [Cornelie Dietrich]