Was ist
„politische Bildung“?
Bericht über ein
Seminar
Das Tagungskonzept oder:
„ja, mach nur einen Plan
...!“
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1.[038:5] Diskussion in Gruppen zu 15 Teilnehmern zur Klärung der Vorbegriffe von Demokratie;
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2.[038:6] Streitgespräch vor dem Plenum;
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3.[038:7] Plenumsdiskussionen;
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4.[038:8] thematisch festgelegte Literatur-Arbeit in Gruppen (Analyse von Schuldokumenten, Sozialkunde-Lehrbüchern, Schülerzeitungen und ähnlichem);
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5.[038:9] praktische Erkundungen der Gruppen (Interviews von Lehrern, Repräsentanten der Schulverwaltung, von Bürgern aus der Bevölkerung umliegender Ortschaften);
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6.[038:10] Anhörung der Meinungen von eingeladenen Vertretern der Schule und der politischen Instanzen (Parlament und Kultusministerium).
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1.[038:13] Sie konzipierte das Programm auf ein Publikum hin, dem politische Probleme interessant gemacht werden müssen und für das das Seminar die Funktion eines Problem-Aufrisses haben sollte – ohne daran zu denken, daß Studenten, die sich zu einem solchen Seminar anmelden, bereits ein Problembewußtsein und politische Interessen mitbringen; die Bildungsaufgabe hätte richtiger als die kritische Diskussion dieses Bewußtseins und dieser Interessen konzipiert werden müssen.
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2.[038:14] Man verstand den Seminar-Verlauf, trotz aller methodischen Auflockerung und Vielfalt, als eine Lehrveranstaltung, deren entscheidendes Kriterium im Kenntnis-Gewinn liegt – ohne daran zu denken, daß sich unter den Teilnehmern eines |a 443|solchen Seminars mit Sicherheit eine Gruppe findet, die nicht bereit ist, eine der dadurch definierten Rollen zu spielen; die Bildungsaufgabe hätte richtiger als die Analyse desjenigen Konflikts bestimmt werden müssen, der aus den institutionell vorgegebenen Rollenerwartungen der Veranstalter und der politisch motivierten Weigerung eines Teils der Teilnehmer, solche Rollen zu spielen, entstehen kann.
Ein mißglückter Beginn oder: die Exposition
Ein unpolitisches Happening – oder: das Seminar findet seinen Gegenstand
Die Folgen – oder: blinde Politik
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1.[038:30] das im Programm vorgesehene Thema„Demokratie und Schule“; sein methodischer Ort lag in der Tätigkeit der Arbeitsgruppen;
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2.[038:31] das durch die entstandenen Konflikte heraufbeschworene Thema„Analyse der stattfindenden Gruppenprozesse als Lernprozesse“; es hatte nur einen informellen methodischen Ort, und zwar in nächtlichen Anschlußdiskussionen in Pausen und informellen Gruppen und zum Teil sogar in formellen Plenumsdiskussionen, die während der Mahlzeiten stattfanden;
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3.[038:32] die durch die Bronze-Platten-Aktion ausgelöste Reaktion in den umliegenden Ortschaften bis hin zum Landratsamt (am nächsten Vormittag stand das Telefon nicht still; Presse und Rundfunk erschienen; Empörung regte sich in der Bevölkerung: der Sinnspruch war ihr wert und die Bronzeplatte wertvoll); ein Thema, das keinen methodischen Ort hatte.
Ergebnisse – oder: die zu früh erschöpfte Vernunft
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1.[038:43] Die Solidarisierung von Gruppen im Sinne politischer Interessen kann politische Probleme unter Umständen wirksamer zum Vorschein bringen und thematisieren als die sorgfältige Planung einer abgewogenen, an den Kriterien der Politikwissenschaft orientierten Information.
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2.[038:44] Die Technik der Provokation – nicht nur der Teilnehmer durch das Leitungsteam, sondern umgekehrt und der Teilnehmer untereinander – zwingt auch die zunächst indifferenten oder am Konsum von„Informationsgütern“allein interessierten Teilnehmer zur Parteinahme und vermittelt damit Kenntnis von Formen politischen Engagements wie auch Motivationen für politisches Handeln.
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3.[038:45] Die auf langatmige Erörterungen und Begründungen zunächst verzichtende Demonstration der eigenen Lage kann Ungerechtigkeiten und„Unterprivilegierungen“von einzelnen oder Gruppen der Gesamtgruppe schlagartig zum Bewußtsein bringen. So entwickelte das Seminar unter anderem die Technik, daß diejenigen, die vom Gang einer Diskussion„frustriert“wurden, sich stumm in der Mitte des Raumes auf dem Boden niederließen. Auch diejenigen, die in der Regel an Diskussion sich nicht beteiligten, demonstrierten auf diese Weise, daß die Taktiken der Redegewandten oder Redeeifrigen die Interessen anderer unterdrückten; sie„zwangen“damit das Plenum auf sie einzugehen und nach dem Grund der Demonstration zu fragen.
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4.[038:46] Gruppenkonflikte stellen nicht nur sozialpsychologische Probleme dar, sondern sind auch politisch interpretierbar. Gerade solche Konflikte, deren Quellen unter anderem außerhalb der Veranstaltung in der politischen Herkunft der Teilnehmer und den politischen Aspekten der Führungsrollen liegen, sind deshalb ein legitimes Thema solcher Seminare.
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5.[038:47] Der Übergang vom Spiel zum Ernst, wie an dem„Happening“und seinen Folgen zu beobachten war, kann die politische Bildung sowohl aus ihrer intellektuellen Enklave wie aus der Einübung in nur formale Verhaltensregeln befreien und dazu zwingen, den Zusammenhang von gut gemeintem Engagement und realistischer Einschätzung der Natur politischen Verhaltens und seiner Wirkungen als eigene Erfahrung zu thematisieren.
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6.[038:48] Die Institution des Leitungs-Teams kann für Zwecke der politischen Bildung dadurch erweitert werden, daß man der Einrichtung eines„Gegen-Teams“aus dem Kreis der Teilnehmer Raum gibt. Sowohl der formale Tagungsverlauf wie die Thematik können dadurch an Politisierung gewinnen, denn der Interessenkonflikt zwischen beiden Gruppen ist unter Umständen selbst ein politisches Thema.