Das Konzept des pädagogischen Bezugs ist v. a. mit Herman Nohl verbunden, s. Nohl, 1957,
bes. S.
130–140. [Klaus-Peter Horn]
Editorial Note
Siehe das Werk Emile von 1762 (Rousseau,
1963) [Klaus-Peter Horn]
Editorial Note
Siehe insbesondere
das
„Journal über meine Reise im Jahr 1769“
(Herder,
1997). [Klaus-Peter Horn]
Editorial Note
Siehe Humboldts Schriften zur
Bildungstheorie (Humboldt, 1960). [Klaus-Peter Horn]
Editorial Note
Siehe insbesondere die Vorlesungen aus dem Jahr
1826(Schleiermacher, 1957). [Klaus-Peter Horn]
Editorial Note
Vermutlich bezieht sich Mollenhauer hier
auf Ernst Krieck(Krieck,
1929; Krieck, 1922) [Anne Kirchberg]
Editorial Note
Siehe dazu z. B. Konopka, 1963; Schiller,
1963. [Klaus-Peter Horn]
Editorial Note
Vgl. Lewin,
1963 [Anne Kirchberg]
Editorial Note
Vgl. Brezinka, 1959 [Anne Kirchberg]
Editorial Note
Vgl.
Raapke, 1958 [Anne Kirchberg]
Editorial Note
Diese Formulierung nimmt
den Titel einer Abhandlung von Friedrich Copei aus dem Jahr 1930 auf, die bis in die 1960er
Jahre mehrfach aufgelegt wurde (Copei, 1930). [Klaus-Peter Horn]
Editorial Note
Müller, 1965, S.
20. [Klaus-Peter Horn]
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[021:1] Weniger in der erziehungswissenschaftlichen Fachliteratur als
vielmehr im Gespräch derjenigen, die in den pädagogischen Randbezirken tätig
sind, gewinnt ein Begriff immer größer werdende Bedeutung, der indessen noch
kaum als pädagogischer Begriff, in keinem Falle aber als
erziehungswissenschaftlicher Terminus eingeführt ist – und dies sehr zum
Nachteil der Erfassung und Analyse dessen, was wir die
Erziehungswirklichkeit nennen –: der Begriff
„Beratung“
.
Niemanden wird es verwundern, daß dieser Begriff und seine pädagogische
Relevanz sich nicht im Bereich der Schule gebildet hat, an einem
pädagogischen Ort nämlich, in dem Dominanzen, hierarchische Verhältnisse,
Autoritätsstrukturen, Bildungsgefälle, Unterrichtsformen ihrer
geschichtlichen Herkunft nach eine kaum zu übersehende Rolle spielen.
„Beratung“
als eine Form des zwischenmenschlichen
Verhaltens im Alltagssinne des Wortes mußte hier ein Fremdkörper sein, zumal
da zunächst schwer einzusehen ist, inwiefern es sich dabei überhaupt um
einen pädagogischen Vorgang handeln soll.
[021:2] Am augenfälligsten scheint das Phänomen Beratung an den
Institutionen gleichen Namens hervorzutreten, in den Beratungsstellen der
verschiedensten Art. Dort liegen außerordentlich reiche und vielseitige
Erfahrungen vor, und zwar im wesentlichen in zwei Hinsichten: in Hinsicht
auf den Personenkreis der Klienten und in Hinsicht auf die
Beratungsgegenstände (Erziehung, Familie, Beruf, persönliche Schicksale
usw.). Diese beiden Aspekte verdienen deshalb hier vor möglichen anderen
hervorgehoben zu werden, weil sie, wie sich noch zeigen wird, gerade für
unsere Erörterungen wichtig sind.
[021:3] Eine zweite Erfahrungsquelle bedeutenderer Art ließe sich gewiß in
denjenigen Zeitschriften finden, die die
„Beratung“
in
den Kanon redaktioneller Aufgaben aufgenommen haben und eine regelmäßige,
wenn auch nur literarische Praxis dieser Art betreiben. Das gleiche ist von
den Rundfunkanstalten zu vermuten. Hier ist wahrscheinlich ein reiches
Material zu erwarten, das vielleicht weniger analytische und diagnostische
Erfahrung, weniger methodische Mitteilung enthält, dafür aber um so mehr
über die Bedürfnislage der Ratsuchenden, deren Zahl, Art und Herkunft, über
die |a 26|Beratungsinhalte informieren könnte. So bedürften
wir eigentlich derjenigen Erfahrung, die Erziehungsberater und Redakteure
haben und die die Voraussetzung dessen zu sein scheint, was im folgenden
behandelt werden soll. Unbeschadet dieser Einschränkung halten wir es
dennoch für sinnvoll, Überlegungen zu unserem Thema anzustellen, insofern
nämlich, als Beratung kein auf die genannten Institutionen beschränktes
Phänomen ist, sondern – als pädagogischer Vorgang – innerhalb des
gegenwärtigen Erziehungsgeschehens überhaupt an Verbreitung und Bedeutung
gewinnt. Jedenfalls ist dies die Hypothese dieser Abhandlung, die hier nicht
verifiziert oder falsifiziert werden kann, sondern nur als Hypothese
exponiert und in ihren einzelnen Momenten dargestellt werden soll.
[021:4] Die Zunahme der Beratungsstellen in Anzahl und Art sowie die Vergrößerung und Vermehrung der Beratungsspalten in den modernen Massenmedien scheint uns also nur ein Symptom für eine Erscheinung zu sein, die sich nicht nur in diesen Einrichtungen, sondern in der Erziehungswirklichkeit im allgemeinen manifestiert. Vor allem auf zwei Tendenzen der jüngsten Erziehungsgeschichte ist in diesem Zusammenhang hinzuweisen:1
1Aus der Fülle
vorliegender Literatur zur Arbeit der Erziehungsberatungsstellen sollen
hier wenigstens einige Titel genannt werden, allerdings nur solche, die
zum Beratungsvorgang selbst etwas beisteuern:
August Aichhorn, Erziehungsberatung und Erziehungshilfe, Bern und
Stuttgart 1959; Ernst Bornemann, Erziehungsberatung, München
1963; Handbuch der
Erziehungsberatung, hrsg. von H.-R. Lückert, 2 Bände, München/Basel 1964; Ruth Rudert und
Rudolf Stein, Erziehungsberatung, in:
Handbuch der Psychologie, 10. Band, hrsg. von H. Hetzer, Göttingen 1959; Sozialer Beratungsdienst
Nürnberg, hrsg. von der Arbeitsgemeinschaft für Jugendpflege und
Jugendfürsorge, Deutsches Jugendarchiv München e. V., München 1951
ff.; Hugo Sauer, Jugendberatungsstellen, Leipzig o.
J. (1923). Dieser letzte Titel ist besonders deshalb
interessant, weil in ihm das Phänomen Beratung noch nicht unter dem
spezialistischen Aspekt der Erziehungsberatung o. ä., sondern das
allgemeine Problem einer zu schaffenden Jugendberatung in vielerlei
Hinsichten behandelt wird. In diesen
Veröffentlichungen findet sich indessen kein verläßliches Material über
das in der Bevölkerung vorhandene Beratungsbedürfnis, seine Art und
seine Ausmaße. Der von den Erziehungsberatungsstellen konstatierte
Anstieg der Beratungsfälle und die zu bemerkende Veränderung in der
Problematik läßt nur Rückschlüsse auf jenen Kreis der Ratsuchenden zu,
die solche Institutionen aufsuchen; keinen Aufschluß geben diese
Beobachtungen über die Lage des Beratungsbedürfnisses im allgemeinen.
Auch das bei den Presse- und Rundfunkredaktionen liegende Material, das
sehr zahlreich und vielgestaltig ist, ist bisher noch nicht in diesem
Sinne gesichtet und ausgewertet worden.
[021:5] 1. Die Zunahme des
„Beratungsbedürfnisses“
[021:6] Dieser Sachverhalt wird am deutlichsten in den
Beratungseinrichtungen selbst, jedenfalls dann, wenn die Zahl der
Ratsuchenden als ein Kriterium für das Beratungsbedürfnis gelten darf. Es
ist sogar zu vermuten, daß das tatsächliche Bedürfnis größer ist, als es die
zahlenmäßigen Daten anzudeuten vermögen. Unter anderem ist es diese latente
Bedürfnislage, die eine allgemeine Erörterung des Problems der Beratung
sinnvoll erscheinen läßt.
[021:7] 2. Die Zunahme eines neuen pädagogischen
Verhaltenstypus
[021:8] Ist die erstgenannte Tendenz vor allem für die Planung und
Einrichtung zweckdienlicher pädagogischer Institutionen wichtig, so liegt in
dieser zweiten Tendenz ein Problem, das für unsere Erziehungslage wie für
die Erziehungswissenschaft von allgemeiner Bedeutung ist. Schon seit
längerem läßt sich beobachten, wie – vor allem in der sozialpädagogischen
Praxis – ein Typus pädagogischen Verhaltens Verbreitung gewinnt, der mit dem
Ausdruck
„Beratung“
nicht unglücklich bezeichnet wäre: der Umgang zwischen Erwachsenen und jungen Menschen im lenkenden Gespräch außerhalb des Kontinuums nachdrücklich erzieherischer Einwirkungen.2
2Aus zwei Bereichen vor
allem dringt dieser neue Verhaltenstypus in unsere Erziehungspraxis ein:
aus dem Bereich der Sozialarbeit (Social Case
Work und Social Group
Work) und dem der gegenwärtigen Jugendarbeit. Vgl. dazu:
Ruth Bang, Hilfe zur Selbsthilfe für Klient und Sozialarbeiter,
München/Basel 1960; Marie Kamphuis, Die persönliche Hilfe in der
Sozialarbeit, Stuttgart 1963; Helmut Kentler, Jugendarbeit in der
Industriewelt, 2. Aufl., München 1962; Gisela Konopka,
Social Group Work: A Helping Process, New Jersey 1963; Wolfgang Müller, Gruppen in Bewegung, München 1962.
[021:9] Mindestens zwei Gründe scheinen diese Tendenz zu fördern:
„Beratung“
repräsentiert einen Erziehungsstil3
3Wenn wir hier von
„Erziehungsstil“
sprechen, dann meinen wir damit –
vgl. auch die Einführung und den Beitrag von Wolfgang Müller – ein differenzenreiches
Phänomen, das sich nicht in der Alternative autoritär – demokratisch
erschöpfen läßt. So wie sich in der Beratung im ganzen ein bestimmter
Erziehungsstil dokumentiert, der anders ist, als der im Üben,
Unterrichten, Spielen usw., so kann sie selbst auch verschiedene
stilistische Formen annehmen. In einer seelsorgerlichen Beratung des 18.
Jahrhunderts verwirklicht sich ein anderer Stil als in einer modernen
Erziehungsberatungsstelle. Dieser stilistische Unterschied der Epochen
ist ein Unterschied der zugrundeliegenden Konzeption; er wird u. a. in
der Etymologie des Wortes
„Rat“
deutlich, das mdh.
„rât“
noch soviel wie Anweisung,
Gebot, sogar Befehl bedeutet, auch Reichtum, Hab und Gut. Zur
Geistesgeschichte der Beratung vgl.
Wilhelm Hennis, Rat und Beratung im
modernen Staat, in: Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für
öffentliche und private Fürsorge, Jahrgang 1963, S. 8 ff.
, der unserer Gegenwart in besonderer Weise
„liegt“
, vor allem aber dem Erziehungsbedürfnis der heranwachsenden
Generation entgegenkommt.
„Beratung“
scheint außerdem ein
Moment des Erziehungsgeschehens zu sein, das sich im Vergleich zu den
traditionel|a 27|len Verhaltensweisen des Erziehers als
gleichsam
„unpädagogisches“
Phänomen darstellt, als ein
Situationstyp, in dem der Ratsuchende nicht in der Rolle des
„Zöglings“
,
„Schülers“
oder in weniger definierter Weise Erziehungsbedürftigen auftritt, sondern als jemand, der zu selbständiger Entscheidung und Lebensführung fähig und deshalb dem Erziehungsanspruch, wenn überhaupt, nur noch in begrenztem Sinne unterworfen werden kann. Diese Sachverhalte zeigen sich nun nicht nur in den Beratungsstellen, sondern mindestens im ganzen sozialpädagogischen Bereich, wenn auch mit unterschiedlicher Deutlichkeit. Die institutionalisierte Beratungstätigkeit ist also nur ein Sonderfall eines allgemeineren pädagogischen Phänomens. Dieses allgemeine Phänomen ist es, was uns hier beschäftigt. Nun hätte es nahe gelegen, daß dort, wo die meisten Erfahrungen mit Beratungsvorgängen gemacht werden, etwa in den Erziehungsberatungsstellen, auch die deutlichste Einsicht in die pädagogische Problematik dieser Vorgänge sich zeigt. Überraschenderweise ist das kaum der Fall. Es ist merkwürdig, daß die aus der Erziehungs- oder Berufsberatung hervorgegangene Literatur fast nichts in dieser Richtung enthält. Bei der Durchsicht der einschlägigen Veröffentlichungen findet man zwar viel psychologische Grundlegung, viele Fall-Analysen, viel diagnostische Erörterung, kaum aber pädagogische Reflexionen über die pädagogische Struktur und Relevanz des Beratungsvorganges selbst. 4
4Diejenigen Beiträge, die sich intensiver
mit der Beschreibung und Analyse des Beratungsvorganges befassen,
entstammen bezeichnenderweise nicht den Erziehungsberatungsstellen,
nicht der Feder von Psychologen, sondern vor allem von Sozialarbeitern.
Außer der Literatur zum Case Work und
Group Work sei hier, neben
dem schon zitierten
Artikel von W. Hennis,
hingewiesen auf Emilie Müller-Zadow, Grundzüge der Beratung in
der Jugendhilfe und Sozialhilfe, in: Nachrichtendienst des Deutschen
Vereins für öffentliche und private Fürsorge, Jg. 1963, S. 13
ff., und Die Beratung nach §
8 Abs. 2 BSHG, a.a.O., Jg. 1962, S. 306 ff.
Das mag daran liegen, daß innerhalb eines sehr komplexen und
vielseitigen therapeutischen Verfahrens dem Erziehungsberater die
Beratungsvorgänge im engeren und wörtlichen Sinne vergleichsweise
untergeordnet erscheinen; vielleicht auch daran, daß es sich bei diesen
Berufen in der Regel um Psychologen handelt. Wahrscheinlich aber bedarf es
einer erziehungswissenschaftlichen Fragestellung, um das hier verborgene
Problem ans Licht zu heben. Darin liegt auch die Rechtfertigung dieser
Abhandlung.
I.Die Beratung und der Erziehungsbegriff
[021:10] Eine entscheidende Ursache für die mangelhafte Aufmerksamkeit, die die Erziehungswissenschaft bisher der Beratung gewidmet hat, ist vermutlich ein im Hinblick auf den Prozeß des Heranwachsens in unserer Gesellschaft zu eingeschränkter Erziehungsbegriff.5
5Vgl.
Klaus Mollenhauer, Einführung in die Sozialpädagogik, Weinheim
1964, S. 19
ff.
Vorgänge wie die nämlich,
die sprachgebräuchlich unter dem Ausdruck Beratung zusammengefaßt werden,
sind offenbar von einer Art, die unter die herkömmliche Fassung des
Begriffes
„pädagogischer Bezug“
sich nicht subsumieren
läßt.
[021:11] Die Begriffe Lenkung, Leitung, Führung, die Bestimmung der
Erziehungsvorgänge als Vorgänge einer direkten Einwirkung ebenso wenig wie
die Bestimmung der Erziehungsakte als planvolles, auf ein eindeutiges Ziel,
Leitbild oder Ideal gerichtetes Handeln am Unmündigen vermögen das zu
charakterisieren, was für die Beratung ausschlaggebend wäre. Sie scheint,
|a 28|diesem traditionellen Erziehungsverständnis
gemäß, nicht in den Kreis erzieherischer Phänomene zu fallen, höchstens ein
Randphänomen zu sein, in dem das endet, was sinnvoll noch Erziehung genannt
werden kann. Im Sinne dieser Meinung wird daher Beratung auch nur dort
vermutet oder dahin verwiesen, wo der Erziehungsauftrag im engeren Sinne des
Wortes erloschen ist oder wo es sich um andere, angeblich nichtpädagogische
Probleme handelt: im beratenden Umgang Erwachsener miteinander. Aber schon
die Berufsberatung müßte zeigen, daß durch solche Sicht der Sache eine
entscheidende Dimension verlorengeht, wenn man nicht schlankweg leugnen
will, daß es sich hier um Erziehung handelt.
[021:12] Diese durch einen zu beschränkten Erziehungsbegriff bedingte
Behinderung der pädagogischen Erkenntnis, die sich übrigens nicht nur im
Falle der Beratung bemerkbar macht, wird noch verstärkt durch ein relativ
beharrliches Festhalten der Erziehungswissenschaft an ihren traditionellen
Themen. Die in die erziehungswissenschaftlichen Erörterungen vornehmlich
eingehenden Gegenstände sind Familie, Heim, Beruf, bisweilen noch die in der
Form der Jugendgruppe auftretenden Gesellungsformen junger Menschen, vor
allem aber die Schule in ihren verschiedenen Ausprägungen. Immer handelt es
sich hier um komplexe, vielsinnige, faktorenreiche Prozesse, durch die
bestimmte Erziehungsabsichten der Gesellschaft nachdrücklich durchgesetzt
werden sollen, um kontinuierlich kontrollierte Vorgänge pädagogischer
Einwirkung.
[021:13] Die Konzentration des erziehungswissenschaftlichen Interesses auf diese Gegenstände ist geschichtlich durchaus verstehbar und ist zu rechtfertigen, so lange nicht nur das für die Erziehungspraxis Wesentliche auf diese Weise erkannt, sondern auch der Fortschritt dieser Praxis gefördert werden kann. Nun ist aber gerade die pädagogische Praxis schon seit längerer Zeit dabei, einen Erziehungsbegriff hervorzubringen, der andere Akzente enthält als diejenigen, die den pädagogischen Theorien ausschließlich oder vornehmlich wichtig schienen.6
6In diesem Zusammenhang ist es
bemerkenswert, daß die m. E. erziehungswissenschaftlich anregendste
Literatur der letzten Jahre zum außerschulischen Bereich nicht aus der
Feder von Erziehungswissenschaftlern stammt. H. Kentler(Jugendarbeit in der
Industriewelt) ist Psychologe, L. Rösner(Jugend in der offenen Tür) ist
Philosoph und Psychologe, W. Müller (Jugendpflege als Freizeiterziehung, Was ist
Jugendarbeit?) ist ursprünglich Publizist; für einige
jugendsoziologische Veröffentlichungen (vor allem L. v. Friedeburg) gilt das
ohnehin.
Vor allem für einige relativ neue Bereiche der
Erziehungspraxis läßt sich dieser Sachverhalt konstatieren:
Gruppenpädagogik, Case-Work, Beratung,
offene Formen moderner Jugendhilfe. Die Erziehungstätigkeit in diesen
Bereichen ist durch eine eigentümliche Zurückhaltung der erziehenden
Personen gekennzeichnet, durch eine Veränderung dessen, was man den
„Pädagogischen Bezug“
genannt hat und durch eine Objektivierung des Erziehungsgeschehens dergestalt,
daß sachliche Strukturen statt des persönlichen Verhältnisses im Vordergrund
stehen. Schließlich findet in solchen Erziehungsformen die Spontaneität des
Heranwachsenden nicht nur methodisch-taktische Berücksichtigung, sondern
stellt den entscheidenden Faktor – jedenfalls in der Erziehungsabsicht – des
erzieherischen Prozesses dar. Der pädagogische Eingriff ist eher vom Typus
korrigierender als vom Typus führender Verhaltensweisen.
|a 29|
[021:14] Diese in neuen Erziehungsformen sich dokumentierende Auffassung
von Erziehung ist indessen nur eine Bekräftigung dessen, was bereits in der
Praxis der pädagogischen Reformbewegung sich ankündigte, dort freilich in
einer mit Skepsis aufzunehmenden ideologischen Überformung. Sie ist überdies
eine erziehungspraktische Bekräftigung derjenigen pädagogischen Theorien,
die seit der Aufklärung die Erziehungsgeschichte beschäftigen und unter
verschiedenen, mehr oder weniger glücklichen Formulierungen aufgetreten
sind: Rousseaus These von der
„negativen Erziehung“
; Herders und Humboldts Ansatz der
Bildungstheorie im Phänomen der Selbstbildung; Schleiermachers Versuch, die
Erziehungstheorie nicht auf das Verhältnis eines einzelnen Erwachsenen zu
einem einzelnen Unerwachsenen, sondern auf das sozio-kulturelle Phänomen des
Verhältnisses zweier Generationen zueinander zu gründen; die Versuche einer
Theorie der sogenannten
„funktionalen Erziehung“
in unserem Jahrhundert; die anglo-amerikanischen Theorien der Gruppenpädagogik; die soziale Feldtheorie Lewins; der Begriff der
„erzieherisch
bedeutsamen Wirklichkeit“
Brezinkas; der Begriff des
„freien Raumes“
in der Erziehung (Raapke).
[021:15] Diesem Zusammenhang, in dem, wie es scheint, der Begriff der
Erziehung erweitert bzw. verändert wird, fügt sich auch die Beratung als
pädagogisches Phänomen ein, und zwar, im Hinblick auf die Problematik des
Erziehungsbegriffes, in exponierter Weise: neben wesentlichen Momenten jenes
neueren Erziehungsverständnisses hat sie es an sich, daß sie noch ein
greifbares persönlich-pädagogisches Verfahren ist: sie hat es außerdem an sich, daß sie nicht nur nachdrücklicher,
sondern auch kontrollierter (darin der Gruppenpädagogik vergleichbar) die
Aktivierung des
„Klienten“
betreibt. In den
Beratungseinrichtungen ist dieser pädagogische Vorgang zwar spezialistisch
institutionalisiert; indessen ist er doch vor allem ein charakteristisches
Element mindestens im Felde moderner Sozialpädagogik, wenn nicht überhaupt
ein Stilmerkmal der sich selbst demokratisch verstehenden
Erziehungspraxis.
II.Beschreibung des Beratungsvorganges
[021:16] Es wäre unzureichend und dem Phänomen nicht angemessen, wollte man
Beratung als spezifische Form pädagogischer Tätigkeit auf den Umgang mit
Erwachsenen, vornehmlich Eltern, beschränken. Sie findet auch im
erzieherischen Umgang mit jungen Menschen statt und hat hier sogar ihren
erzieherisch entscheidenden Ort. In jedem wenig spezialisierten
Erziehungsprozeß – und von dieser Art sind vor allem die sozialpädagogischen
– kann die Beratung eine Form erzieherischer Hilfe sein, auf die nur zum
Schaden der Heranwachsenden selbst verzichtet werden kann, sofern es sich um
Altersklassen handelt, die imstande sind, als Ratsuchende aufzutreten. Der
Rat, der Eltern erteilt wird im Hinblick auf die Erziehung ihrer Kinder, ist
also |a 30|nur ein Sonderfall der pädagogischen Situation,
die wir allgemein die Beratung nennen, und des Prozesses, der durch sie in
Gang gebracht wird.
[021:17] Die Beratung gehört zu denjenigen Erziehungsvorgängen, die einen
Einschnitt im kontinuierlichen Fluß des gesamten Erziehungsprozesses
darstellen. Es sind herausgehobene Momente, in denen die Probleme verdichtet
hervortreten, artikuliert und formuliert werden, in denen eine besonders
dringliche Frage die Unterbrechung des Gewohnten erheischt. Die Beratung
beginnt mit einer Frage. Zu einem
„fruchtbaren
Moment“
wird dieser
Beginn aber nur, wenn es sich auch in der Tat um eine Frage des Ratsuchenden
handelt, wenn er von sich aus in der Tat ein Ratsuchender ist. Es ist ein
Erziehungsstil denkbar, in dem die Rolle des zu Erziehenden als eines
Ratsuchenden nicht vorgesehen ist, in dem er deshalb in dieser Rolle auch
kaum auftreten wird. Dieser Hinweis ist deshalb wichtig, weil, nach allem,
was wir über die junge Generation heute wissen, diese nicht von sich aus
diese Rolle des Ratsuchenden zum Vorschein bringt, sondern eher in
eigenartiger Zurückhaltung sich als eine gibt, die mit dem Leben
zurechtkommt. Es bedarf daher eines Stiles in der Erziehung, der die Frage
ermöglicht, zu ihr ermuntert, sie evoziert. Eine
„autoritätsarme“
Erziehung wird diese Bedingungen eher erfüllen als
eine, in der die autoritäre Dominanz des Erziehers das pädagogische Feld in
hierarchischer Weise gliedert. Damit zeigt sich, wie fundamental die
Bedeutung des
„Stils“
in jeglicher Erziehung ist, wie weitgehend durch ihn die pädagogischen Möglichkeiten begrenzt oder erweitert werden können7
7Der Zusammenhang von
Erziehungsstil und Bildsamkeit ist bisher wenig erforscht. Daß eine
solche Erforschung aber ergiebige Resultate erbringen könnte, lassen die
Untersuchungen von Lewin(vgl. den Beitrag Wolfgang
Müllers) und Bernstein(Basil Bernstein, Sozio-kulturelle
Determinanten des Lernens, in: Soziologie der Schule, hrsg. von
Peter Heintz, Köln 1959, S. 52 ff.) mindestens vermuten,
besonders die Feststellung der Studie Lewins, daß die Bildsamkeit, Plastizität,
Umstellungsfähigkeit von Kindern, die in einer autoritären Atmosphäre
aufwachsen, vergleichsweise reduziert ist.
.
[021:18] Die Funktion der Frage im Beratungszusammenhang ist nicht so
problemlos, wie es scheinen könnte. In der Gegenüberstellung der eingangs
genannten beiden Erfahrungsquellen – Beratung in eigens dafür eingerichteten
pädagogischen Institutionen und Beratung durch die sogenannten Massenmedien
– wird, in Verbindung mit der besonderen Art von Erfahrung, die sich dort
jeweils angesammelt hat, zugleich ein methodisches Grundproblem dieser
Tätigkeit deutlich. Es scheint nämlich, als ließe sich der folgende
Unterschied im Verfahren konstatieren:
[021:19] 1. Beratung geschieht nicht als unmittelbare Antwort auf eine
Frage. Nicht die formulierte Frage enthält schon den ganzen
Beratungsgegenstand; von diesem kann sie sogar noch ziemlich weit entfernt
sein. Die Frage ist nur der Ausgangspunkt für einen Vorgang, in dem der
Berater von vornherein versucht, einen größeren als den zunächst in der
Frage formulierten Zusammenhang von Sachverhalten in den Beratungsprozeß
hineinzuziehen. Das zunächst Formulierte wird im Beratungsprozeß Schritt für
Schritt, in allmählicher Annäherung an den Kern des Beratungsgegenstandes,
präzisiert. Beratung dieses Typs ist nur als Gespräch denkbar.
[021:20] 2. Beratung geschieht als unmittelbare Antwort auf eine Frage. Der
Berater |a 31|muß davon ausgehen, daß die Frage des
Ratsuchenden wirklich das enthält, was dieser meint. Sein einziger
Anhaltspunkt ist die vorliegende Formulierung, die er zwar interpretieren
kann, die sich aber nicht – wie im Gespräch – modifizieren und präzisieren
läßt. Diesem einmaligen Wortwechsel ist nur ein minimaler Prozeßcharakter
zuzusprechen. Was danach geschieht, kann schwerlich noch zur Beratung
gerechnet werden. – Wir wollen diese an sich wichtige Unterscheidung hier
jedoch noch nicht weiter verfolgen.
[021:21] Eine Beratungssituation ist eine Ernstsituation8
8Zum folgenden vgl. Otto Friedrich Bollnow, Existenzphilosophie und Pädagogik, S. 78 ff., ferner die
schon genannten Aufsätze von W. Hennis und E. Müller-Zadow. Aus den beiden letzteren Arbeiten
einige unseren Zusammenhang betreffende Zitate:
„Wie heikel das Beraten eines anderen Menschen
in den Dingen der Führung des Lebens ist, ist jedem von uns
deutlich, wenn er bedenkt, daß das Aufdrängen eines Rates jedem
von uns als indezent erscheinen wird. Rat ist von vornherein nur
legitim, wenn es ein erbetener Rat ist; und der Rat steht und
fällt damit, daß er Rat bleibt, daß er dem Beratenen die
Freiheit der Ausführung des Rates in Gänze beläßt“
(W. Hennis, a.a.O., S. 11)
.
„Das Höchste, was Beratung heute sich als Ziel
setzen kann, ist, dem Ratsuchenden zu eigener Klarheit zu
verhelfen, ihm das, worum es ihm wirklich geht, bewußt zu
machen, ihm zu helfen, eine Entscheidung zu finden, mit sich
selbst zu Rat zu gehen, eine Rangordnung der Ziele für sich zu
setzen, ihn zum Denken, zum Nachdenken, zur Überlegung zu
bringen, ihm deutlich zu machen, daß die Führung des Lebens
nichts ist, was als Produkt einer einfachen Entscheidung
dastehen kann, sondern was eine vorherige Reflexion voraussetzt,
was ein Mitsichzurategehen zuläßt, ja erfordert“
(ebd)
.
„Dem Empfänger der Hilfe soll ein Leben
ermöglicht werden, das nicht nur seiner individuellen Lage,
sondern auch der Würde des Menschen entspricht. Damit kommt ...
dem Vorgang der Beratung eine entscheidende Bedeutung zu.
Beratung kann vielfältige Elemente der Orientierung und der
Belehrung auf sachlichem Gebiet enthalten, aber in ihrem
eigentlichen Sinn ist sie mehr als eines von beiden oder auch
als beides zusammen. Sie strebt an, daß im Miteinander der
überzeugte Entschluß als freie selbstgewählte Entscheidung
reift“
(E. Müller-Zadow, a.a.O.,
S.
14)
. Man kann
„Beratung nicht gleichsetzen mit Belehrung, wenn
auch mancherlei Beratung auf gewissen Spezialgebieten Belehrung
enthält. Selbst wenn es sich um eine einfache Orientierung
(beispielsweise auf juristischem Gebiet) handelt, ist das Wie
der Auskunfterteilung von Bedeutung. Der fragende Mensch muß in
seiner Gesamtheit betrachtet werden, damit sich die jeweilige
Auskunft seiner Bewußtseinslage anpassen kann“
(a.a.O., S. 15)
.
„Im Anfangsstadium der Beziehung ist die
vorbehaltlose Bejahung des Hilfesuchenden eine notwendige Voraussetzung, aber
im Verlauf einer längeren Beratung kommt fast immer der
Augenblick, in dem der Helfer es wagen muß, klar zu
widersprechen, vielleicht sogar anzugreifen. Daß er nicht nur
versteht, sondern auch einmal deutlich sein Nichtbilligen
äußert, bedeutet nicht, daß er seine eigenen moralischen
Maßstäbe zur Norm für den anderen setzt. Weil er ihn kennt, kann
er ihn durch seinen Widerspruch daran erinnern, wie er wirklich
ist, wenn nicht der chaotische Widerstreit von Leidenschaften
und Empfindungen sein eigentliches Wesen überschattet“
(a.a.O., S. 16)
. Es sei in diesem Zusammenhang
ausdrücklich hervorgehoben, daß das Fehlen des Beitrags
psychoanalytischer Theorie und psychotherapeutischer Praxis zum Thema
dieser Abhandlung nicht bedeutet, daß wir diesen Beitrag gering
einschätzen. Das Gegenteil ist der Fall. Nur hätte eine Erörterung
dieses Zugangs zum Phänomen ein weiteres Ausholen erforderlich gemacht,
was unsere Absicht, zunächst nur ein Konzept zu geben, durchkreuzt
hätte. Dem Kenner wird ohnehin deutlich sein, an welchen Stellen unseres
Gedankenganges die psychoanalytische Theorie einsetzen würde.
.
Auch insofern ist sie aus dem alltäglichen Erziehungsgeschehen
herausgehoben. Für den Ratsuchenden bedeutet sie die Vorbereitung einer
Entscheidung. Er will aus einer Aporie heraus. Bestimmte Erziehungsmittel
können hier keine Anwendung mehr finden, denn der Befragte ist nicht in
seiner Rolle als Erzieher angesprochen, sondern als jemand, der sich im
Geflecht der persönlichen und gesellschaftlichen Existenz besser auskennt.
Man erwartet von ihm keine Anweisungen, sondern daß er zuhört und aus
vielleicht besserer Übersicht eine Antwort als Möglichkeit gibt. Man
erwartet von ihm keinen Zwang, keine Vorschriften, keine unumstößlichen
Wahrheiten, kein Urteil, das nicht revidiert werden könnte. In dieser
Offenheit liegt die Fruchtbarkeit der Situation.
[021:22] Eine Beratung ist nicht nur eine Auskunft. Zwar genießt auch sie
den Vorzug rationaler Distanz. Sie verbindet damit aber den Nachteil, daß
der Ratsuchende als zugleich Ratloser sich in einer Abhängigkeit befindet,
in die er, im unglücklichen Fall, noch tiefer hineingeraten kann, die aber,
soll die Situation pädagogisch, d. h. im Hinblick auf eine Veränderung
fruchtbar werden, aufgehoben werden muß. Der Rat hat deshalb zunächst auch
keine Verbindlichkeit für den Ratsuchenden. Die Antwort des Beratenden ist
allenfalls Beispiel, nicht Vorbild, das zur Nachahmung oder Befolgung
auffordert. Insofern liegt der pädagogische Sinn der Beratungssituation
gerade darin, daß sie die Selbsttätigkeit, die Produktivität, die
Rationalität und Phantasie des Ratsuchenden anspricht und erregt, daß sie
ihn instand setzt, selbst auf einen Ausweg zu verfallen bzw. die erteilte
Antwort nun als gleichsam selbst vollzogene zu akzeptieren oder auch sie zu
verwerfen. Eine Beratung, die das Nein des Ratsuchenden nicht duldet oder
ihm diese Möglichkeit nicht beständig ernsthaft zugesteht, verfehlt damit
ihren Bildungssinn.
[021:23] Darin erschöpft sich aber nicht der Wert der Beratung.
Entscheidend für ihre pädagogische Struktur ist die Tatsache, daß sie
ausschließlich im Medium der Sprache, als Gespräch vollzogen wird und damit
der Möglichkeit nach immer auch Information ist. Gerade die Sozialpädagogik
ist in Gefahr, diese Seite der Erziehungsaufgabe gering zu achten, sie den
Beratungsstellen und unterrichtenden Institutionen zu überlassen, sie neben
den auf Charak|a 32|ter und Verhalten gerichteten
Bemühungen zu vernachlässigen. Information ist unerläßlich, wo der Mensch
als jemand betrachtet wird, der sein Leben planen kann und soll. Planung ist
indessen nicht nur ein Moment der Erziehungstätigkeit, sondern auch ein
notwendiger Bestandteil der Lebensführung. Planung ist nicht möglich ohne
Information. Nicht zuletzt ist ja gerade dies ein Motiv für die Einrichtung
von Beratungsstellen, was mit besonderer Klarheit in der Berufsberatung
hervortritt. Information und Planungshilfe kann aber nicht auf diese
Institutionen beschränkt bleiben. Auch die Schule ist nicht in der Lage, die
ganze Masse der Information zu vermitteln, die für die heranwachsende
Generation im Zusammenhang der modernen Lebensbedingungen unerläßlich ist.
Solche Information kann wahrscheinlich überhaupt nicht in systematischen
Kursen gegeben werden, sondern nur von Fall zu Fall, in direkter Hinsicht
auf die konkrete Lebenssituation, aus der die Frage erwächst, welche die
Beratung herbeiführt. Schließlich ist zweifelhaft, ob es zu wünschen ist,
daß für die vielen und differenzierten Beratungsbedürfnisse – im Hinblick
auf Beruf und Berufschance; auf die realen Möglichkeiten, eine einmal
gewonnene Position zu verändern; auf Freizeit und Ferien; auf Probleme des
sexuellen Verhaltens; auf Probleme der privaten Lebensführung, Ehe- und
Familiengründung, konfessionelle, weltanschauliche, ideologische Fragen; im
Hinblick auf Verständnisfragen zur modernen gesellschaftlichen und
politischen Existenz des einzelnen (um hier nur einige Fragengruppen zu
nennen) – je besondere Institutionen geschaffen werden, oder ob solche
Information nicht vielmehr ausdrücklich in jeden Erziehungsprozeß
hineingenommen werden sollte. Das bedeutet nicht, daß dann vielleicht auf
die zweckentsprechenden Beratungsstellen verzichtet werden könnte; es gibt
deren zweifellos viel zu wenige; pädagogische Arbeitsteilung ist
unumgänglich, und es wäre eine Utopie, sie prinzipiell zu verwerfen. Sie
kann aber dennoch nicht beliebig weit getrieben werden. Vor allem entlastet
sie den Erzieher nicht davon, trotzdem die ganze Wirklichkeit des jungen
Menschen in seine Konzeption mit aufzunehmen.
[021:24] Die entscheidende Funktion der Beratung endlich liegt darin, daß
sie kritische Aufklärung sein kann. Das Gespräch schafft Distanz, es
ermöglicht, das Besprochene objektivierend zu betrachten, es ermöglicht ein
rationales Verhalten zu sich selbst und zu den Bedingungen der eigenen
Existenz. In der Beratung werden nicht nur Antworten gegeben, sondern
zugleich neue Fragen formuliert; die rationale Erhellung eines Problems wird
so weit wie möglich versucht, um eine Entscheidung vorzubereiten, die von
Vorurteilen und Verfestigungen frei nach dem Abwägen der vernünftig
entscheidbaren Fragen getroffen werden kann.
[021:25] Kentler formuliert
diese Funktion der Beratung aus der Erfahrung mit der Industriejugend:
„Der Industriejugendliche muß aus seiner abgründigen
|a 33|Welt- und Selbstvergessenheit
herausgerissen werden und sich selbst und die Welt, in der er lebt,
kennenlernen, sein geistiger Horizont muß erweitert werden, und er
muß Anhaltspunkte finden, nach denen er sich orientieren kann.
Während er sonst in einer diffusen Welt ohne
Bedeutsamkeitsbeziehungen lebt und aus Mangel an verpflichtenden
Formen eines
‚inneren Weges‘
auch kein
‚Koordinatensystem‘
besitzt, in das er seine
Eindrücke von der äußeren Welt einordnen könnte, während er sonst an
einer Bewußtseinstrübung leidet, so daß er nicht Stellung nehmen,
keine Entscheidungen fällen und Engagements eingehen kann, soll er
jetzt auf einen Weg zunehmender Horizonterweiterung und
Bewußtseinserhellung gestellt werden, indem er mit der Welt und sich
selbst bekannt wird. Es wird dann nicht ausbleiben, daß aus seinem
Wissen, was und wie etwas ist, schließlich auch die Fähigkeit
entspringt, eine eigene Einstellung zu finden und Stellung zu
beziehen. Damit aber hat er sich bereits auch engagiert, denn wenn
seine Aufmerksamkeit erst einmal erregt ist, stellt er sich auch
bereit für das, was am Horizont des Bemerkens auftaucht, und läßt
sich anziehen von dem, das er suchte und nun endlich fand.“
9
9Helmut Kentler, Jugendarbeit in der
Industriewelt, 2. Aufl., München 1962, S. 54.
[021:26] Zwar können wir uns der von Kentler verwendeten Terminologie und der darin
implizierten Analyse und Deutung der Existenz jugendlicher Industriearbeiter
kaum anschließen; die formale Struktur der Beratung aber scheint hier
deutlich ausgesprochen zu sein, wie denn auch die praktische Tätigkeit
selbst, von der Kentler
berichtet, die Form des dort praktizierten Umganges mit jungen Menschen auf
weiten Strecken nichts anderes ist, als eben Beratung.
[021:27] Kritische Aufgeklärtheit, engagierte Auseinandersetzung setzen
Information voraus. Im Akt der Selbstaufklärung wird die Information in ein
kritisches Selbst- und Weltverhältnis umgesetzt. Das Maß an Aufgeklärtheit,
das erreicht wird, richtet sich freilich nach den jeweils besonderen, mehr
oder weniger begrenzten Möglichkeiten des einzelnen Jugendlichen.
Prinzipiell aber ist sie, in subjektiv angemessener Weise, im Gefängnis so
gut möglich wie im Heim für Verwahrloste, in der Jugendpflege so gut wie in
der Fürsorge, der Bewährungshilfe oder irgendeinem anderen Arbeitsgebiet der
Sozialpädagogik, ebenso wie in der Schule, der Familie oder an der
Arbeitsstelle. In der Einzelfallhilfe (Case-Work) ist diese Annahme sogar zur Grundlage der ganzen
Methode geworden, obwohl die angestrebte kritische Distanz des Klienten sich
hier mehr auf ihn selbst und seine unmittelbaren Lebensumstände als auf die
gesellschaftlichen Bedingungen seiner Existenz zu beziehen scheint. Beratung
soll nicht in die Anpassung hineinführen, sondern vom Konformitätszwang
befreien. Ein Rat, der keine Alternative erkennen läßt, sondern nur die
gleichsam naive normative Eindeutigkeit der Antwort kennt, ist ein
schlechter Rat. Er verfehlt die pädagogische Chance, die in ihm liegt.
|a 34|
[021:28] Versucht man den Bildungssinn der Beratung zusammenfassend zu
formulieren, so ließen sich mehrere Momente unterscheiden.
[021:29] 1. Beratung in der hier beschriebenen Weise entsteht nur
angesichts einer Frage. In dieser Frage dokumentieren sich nicht nur die
relative Selbständigkeit und Distanz des Klienten, sondern in ihr ist auch
die methodisch entscheidende Tatsache gesetzt, daß ausschließlich die
Erwartungen des Klienten – und nicht die Erwartungen, Wünsche, Normen,
Hoffnungen des Beraters – den Ansatz und Fortgang der Beratung bestimmen.
Nur was der Ratsuchende formuliert, ist ein vertretbarer Gegenstand der
Beratung. Er ist Subjekt der Situation, die damit die pädagogische Provinz
verlassen hat.
[021:30] 2. Beratung schreitet fort als Gespräch, d. h. als rein verbales
Wechselspiel. Insofern die Frage des Ratsuchenden immer auch eine Frage nach
Sachverhalten (nach Wirklichem) ist, enthält das
Beratungsgespräch immer auch Information. Eine Beratung kann, wenn nach
nichts anderem gefragt ist, damit enden.
[021:31] 3. Insofern die Frage des Ratsuchenden aber eine Frage nach seinen
eigenen Möglichkeiten ist, enthält das
Beratungsgespräch Elemente einer kritischen Aufklärung bzw. ist selbst diese
Aufklärung als Prozeß.
[021:32] 4. Die Beratung endet mit dem Rat, der, wenn er sich nicht als
Ergebnis des Gesprächs für den Ratsuchenden selbst ergibt, vom Berater
erteilt wird. Dieser Rat ist insofern verbindlich (für den Berater), als er
das Engagement des Beraters enthält. Er ist insofern unverbindlich (für den
Ratsuchenden), als er auch die subjektiven Motivationen des Beraters
enthält, für den Ratsuchenden also nur Beispiel ist. Der Rat verweist nur
auf das vom Ratsuchenden einzugehende, für diesen selbst verbindliche
Engagement, was nur gelingt, wo die Position des Beraters
„nicht mehr so stark von der sozialen Position (des
Ratsuchenden) abgehoben ist, daß sich das Verhalten (des Beraters)
gar nicht exemplarisch (für den Ratsuchenden) auswirken kann“
(W.
Müller)
.
[021:33] 5. So wenig indessen der Berater auf eigenes Engagement verzichten
bzw. es völlig unterdrücken kann, so sehr kann gerade dies das entschiedene
Engagement des Ratsuchenden verhindern. Häufig genug hat der Ratsuchende die
Tendenz, in der akuten Unselbständigkeit, in der er sich befindet, zu
verharren, noch tiefer in sie hineinzuflüchten dadurch, daß er sich an den
Berater anlehnt, sich seiner Meinung unterwirft, sich als selbst
Entscheidender und Planender aufgibt. Der Beratungsvorgang würde seiner
Möglichkeit als Aufklärung zuwiderlaufen, wenn das Engagement des Beraters
entscheidendes Gewicht bekäme. Er würde aber die Möglichkeit der Aufklärung
wie die Möglichkeit, zur Selbständigkeit (Autonomie) zu führen, bewahren
können, wenn er dem Ratsuchenden dessen Situation zu spiegeln vermöchte,
wenn der Bedingungszusammenhang, in dem die vor|a 35|stellbaren Entscheidungen stehen, wenn die realmöglichen Folgen eines
Handelns konkret vergegenwärtigt werden. Wenn man gelten lassen will, daß
Initiative und Selbständigkeit, die Fähigkeit, subjektive Problemlagen zu
formulieren und zu objektivieren, daß Information und Aufklärung, daß
Engagement zu konstituierenden Bestandteilen einer modernen Bildung gehören,
dann darf man vermuten, daß die Beratung ein pädagogischer Vorgang ist, in
dem Bildungsmöglichkeiten in exponierter Weise sich realisieren lassen.
[021:34] Durch ein entscheidendes Merkmal indessen ist die Beratung nicht
nur ein pädagogisch exponierter Vorgang, sondern zugleich anders als nahezu
alle pädagogischen Vorgänge sonst: Der Berater empfängt seine
„pädagogische“
Legitimation einzig und allein vom Ratsuchenden. Er ist ausschließlich zu dem befugt, was dieser ihm einräumt. Diese Befugnis kann im Laufe eines Beratungsgesprächs erheblich erweitert werden, sie bleibt aber – auch wenn das Verhalten des Beraters solche Erweiterung fördern mag – an die Initiative des Ratsuchenden gebunden, wenn die Beratung nicht zu einem unmoralischen Verfahren werden soll. Wir dürfen annehmen, daß eine Beratung immer gesucht wird, um von Abhängigkeiten und Zwängen freier zu werden. Nur um dieses Gewinnes an Freiheit willen begibt sich der Ratsuchende in die vorübergehende und von ihm selbst begrenzte Abhängigkeit von dem, den er aufsucht.10
10Dem Augenschein nach mag es häufig
anders sein, so nämlich, daß der Ratsuchende gerade die Anlehnung, die
Abhängigkeit, die Entlastung von der Freiheit sucht. Versteht man
Freiheit aber als Freiheit von Zwang und Unterdrückung, wird jede
Situation psychischer und sozialer Belastung zu einer Situation der
Unfreiheit. Der Sinn des Ratsuchens ist dann, auch wenn er dem
Ratsuchenden selbst verborgen bleibt, auch wenn der Ratsuchende eine
Unfreiheit durch eine andere einzutauschen wünscht, von solchem Zwang
oder solcher Unterdrückung frei zu werden.
Der Sinn, den der
Ratsuchende seinem eigenen Schritt gibt, würde hintergangen, und ein im
engeren Sinne des Wortes pädagogisches Verhältnis würde vom Berater
erschlichen, wenn er die vorübergehende Abhängigkeit des Ratsuchenden zu
etwas benutzen würde, das nicht eindeutig zu dessen größerer Selbständigkeit
führt. Gerade weil sich nicht zweifelsfrei vorhersagen läßt, wohin im
Lebenszusammenhang des Klienten eine Beratung führt, gerade weil auch jeder
Rat des Beraters notwendig subjektiv bleibt, andererseits die Beratung durch
nichts anderes als die ratsuchende Frage konstituiert wird, bleibt der
Berater an die Legitimation durch den Klienten gebunden, handelt er in
dessen Auftrag. Die Verantwortung des Beraters ist die Verantwortung vor der
gewollten Freiheit des Klienten.
[021:35] So verstanden, ist die Beratung nicht nur eine ausgebaute und
methodisch wie wissenschaftlich gesicherte Institution (im Sinne der
Beratungsstellen), sondern ein durchgehendes Moment der Erziehungstätigkeit.
Sie ist ein
„fruchtbarer Moment“
im Erziehungsprozeß, und
zwar sowohl im Hinblick auf die Erziehung und Bildung des einzelnen, seine
Selbsterkenntnis und Veränderung, wie auch im Hinblick auf den Prozeß
selbst: Das Verhältnis des Erziehers zum Heranwachsenden kann sich in
solcher Situation von Grund auf verändern, es kann sich hier allererst als
persönliches Vertrauensverhältnis konstituieren, es kann die
Erziehungsrichtung verändern, die Vorgänge intensivieren oder überhaupt erst
ein bestimmtes Erziehungs|a 36|problem stellen, einen
Erziehungsvorgang einleiten oder auch ihn abschließen. Dort, wo durch ein
pädagogisches Arrangement der Bedingungen der Erziehung der Erzieher selbst
hinter seiner Planung, hinter Gruppen und Aktivitäten, hinter der
Atmosphäre, dem Stil, der geglückten Ausstattung eines Hauses zurücktritt,
holt die Beratungssituation ihn als den persönlichen und einzelnen, der
gebraucht wird, immer wieder hervor; dort, wo Erziehung im Kontinuum eines
persönlichen Verhältnisses geschieht, setzt die Beratung Einschnitte und
Akzente, intensiviert dieses Verhältnis, indem in ihr der Erzieher sich als
ein anderer, nicht nur im Erziehungprozeß Engagierter, sondern als Erwachsener unter Erwachsenen Lebender
zeigt.
III.Die Funktion der Beratung im Zusammenhang
pädagogischer Institutionen
[021:36] Dieser in der Beratung auftauchende und in die pädagogische Praxis
eingedrungene Typ erzieherischer Interaktion, den wir im vorangegangenen
nicht empirisch, sondern nach Maßgabe seines gleichsam besseren Begriffs
beschrieben haben, ist nun – das zeigte sich schon in der Art unserer
Darstellung – nicht einfach zu konstatieren. Seine erziehungstheoretische
Hervorhebung impliziert ein Postulat: daß nämlich seine Verbreitung und
möglichst reine Darstellung zu wünschen ist, weil diejenigen Fähigkeiten und
Möglichkeiten des Menschen, die nach unserer Vermutung in der Beratung
besonders nachdrücklich angesprochen werden und zum Vorschein kommen, in
besonderer Weise wert sind, in der Erziehung berücksichtigt zu werden. Aus
welchen Gründen wir dies wünschen, ist eine Frage, die hier nicht
ausführlich erörtert werden soll. Nur so viel ist für das Verständnis des
Folgenden zu sagen wichtig: Das Postulat ergibt sich aus der Meinung, daß
die Beratung in ausgezeichneter Weise ein unserer
kulturell-gesellschaftlichen Situation adäquates Verständnis von der
Eigenart pädagogischer Vorgänge dokumentiert; es ergibt sich ferner aus der
Vermutung, daß ihr spezifische und für die Selbständigkeit und Bildung des
Menschen entscheidende Wirkungen innewohnen.
[021:37] Während das erste Motiv des Postulates nicht verifiziert, sondern
nur diskutiert werden kann, ist das zweite, die Vermutung, mit den Mitteln
empirischer Kontrolle zu prüfen. Viele Untersuchungen sind hier denkbar.
Dabei macht sich erneut bemerkbar, wie gering unser Wissen im pädagogischen
Detail ist, wie gering besonders im Hinblick auf die Effektivität aller
Erziehungsprozesse, die in der Struktur des Dialogs verlaufen. Nahezu alle
pädagogischen Aussagen zur Rolle des persönlichen Verhältnisses in
Erziehungsvorgängen sind entweder bloße Meinungen oder aus einer
philosophischen Anthropologie deduzierte Urteile, bisweilen auch Phänomen-
Analysen, die zwar über die Form und die Natur solcher Dialog-Beziehun|a 37|gen Wesentliches mitzuteilen vermögen, im Hinblick
auf das Wissen über die pädagogischen Wirkungen uns aber weiterhin im
unklaren lassen. Diese Skepsis ist auch in bezug auf das Thema
„Beratung“
angebracht, was es um so dringlicher
erscheinen läßt, hier mit einer wissenschaftlichen Forschung im engeren
Sinne des Wortes zu beginnen, d. h. für den pädagogischen Vorgang das zu
leisten, was etwa in den Erziehungsberatungsstellen im Hinblick auf das
psychologische Handwerkszeug schon geleistet wurde.
[021:38] Dieser Skepsis unbeschadet und solange wir über jenes
Detail-Wissen nicht verfügen, bleibt es aber ein sinnvolles und zweckmäßiges
Prinzip der Erziehung, also auch der Beratung, sie so zu verwirklichen, daß
sie unserem gesellschaftlich-kulturellen Selbstverständnis entspricht, daß
das Bewußtsein des Erziehers und seine Praxis als die Objektivation dieses
Bewußtseins eine stilistische Einheit bilden, selbst auf die Gefahr hin, daß
diese Einheit dem Ideologieverdacht verfallen könnte. Jedenfalls darf dies
so lange gelten, wie wir die Praxis nicht an ihrem Erfolg kontrollieren
können. In diesem Sinne also scheint das genannte Postulat erhoben werden zu
können, daß Beratung ausdrücklich, methodisch artikuliert, vielfältig
institutionalisiert und in das Kontinuum der komplexeren
Erziehungsverhältnisse integriert, in die Erziehungspraxis einzuführen bzw.
dort zu erhalten und zu verbessern ist.
[021:39] Unsere Darstellung blieb bisher weitgehend abstrakt. Sie sah von
den institutionellen Konkretionen ab, in denen Beratung im pädagogischen
Praxiszusammenhang erscheint. Eine nähere Betrachtung der Praxis erweist
nämlich, daß die Beratung in unserem Erziehungswesen, ohne daß das bisher
deutlich zum Bewußtsein gekommen wäre, eine schon relativ große Ausbreitung
erlebt hat. Teils mehr, teils weniger ausdrücklich findet sie bereits in den
verschiedensten Institutionen statt.
[021:40] 1. Von den Beratungsstellen zu sprechen, ist hier kaum
erforderlich. Daß ihre Vermehrung zu wünschen ist, auch ihre größere
thematische Reichweite, die Einrichtung von Beratungsstellen neuer Art,
besonders für die Beratung der Jugend selbst, ergibt sich aus der Einsicht
in die faktische und kaum zu übersehende Bedarfslage. Allerdings ist zu
vermerken, im Hinblick auf die Erziehungsberatungsstellen, daß hier der
gemeinsame Ausdruck
„Beratung“
zu Mißverständnissen Anlaß geben kann. Was in den Erziehungsberatungsstellen geschieht, ist nur zum Teil Beratung zu nennen. Diese Einrichtungen haben sich in bemerkenswertem Umfang zu therapeutischen Institutionen entwickelt, in denen Beratung im engeren Sinne des Wortes nur noch eine, dem Umfang nach, geringe Rolle spielt. Ihre Arbeit besteht aus einer Kombination verschiedener, aufklärender, therapeutischer, unterstützender Verfahren, wobei die Beratung nur eine Funktion unter anderen zu erfüllen hat.11
11Das wird bestätigt durch die geringe
Bedeutung und die untergeordnete Behandlung, die der Beratungstätigkeit
als solcher in der Erziehungsberatungsliteratur eingeräumt wird. Vgl. Anm. 1.
Trotz dieser Veränderung in
der Praxis der Erziehungsberatung hat man aber den Ausdruck beibehalten, |a 38|der nun hier zur Bezeichnung der ganzen Tätigkeit
dieser Einrichtungen verwendet wird. Im Sinne unserer Verwendung des
Ausdrucks wäre Beratung nur ein Aspekt der sogenannten
„Erziehungsberatung“
.
[021:41] 2. Eine zweite Gruppe von Erziehungsinstitutionen läßt sich unter
dem Begriff der
„beratungsreichen“
Erziehungsfelder
zusammenfassen. Hier hat die Beratungsabsicht zwar nicht die Institution
konstituiert, aber das Verfahren der Beratung ist dennoch für die
geschehende Praxis charakteristisch. Dazu wäre die Erziehungsbeistandschaft
zu rechnen, die Jugendgerichtshilfe, die Familienfürsorge, die
Bewährungshilfe. Beratung macht in allen diesen Einrichtungen einen zum Teil
sogar gesetzlich vorgeschriebenen wesentlichen Bestandteil der
Erziehungstätigkeit aus. Dennoch wissen wir wenig darüber, ob überhaupt in
nennenswertem Umfang und in welcher Weise hier beraten wird, welchen Ort und
welche Funktion die Beratung im Zusammenhang aller in diesen Einrichtungen
Verwendung findenden Maßnahmen erfüllt. Gerade angesichts der Tatsache, daß
noch wenig Klarheit über die faktisch angewandte und zweckmäßig anzuwendende
Methodik in diesen Bereichen herrscht, könnte ihre Durchforschung unter dem
Gesichtspunkt der Beratung einiges zur methodischen Erhellung beitragen.
[021:42] 3. Anders ist die Lage der Sache in jenen Erziehungseinrichtungen,
in denen die Beratung lediglich eine marginale Rolle spielt, für die
Beratungsvorgänge also weder konstituierend noch charakteristisch sind. Wenn
hier auch vielleicht alle Erziehungseinrichtungen, nur diejenigen für die
Erziehung von Kindern ausgenommen, genannt werden müßten, so sollen doch der
Jugendstrafvollzug, die Heimerziehung, die Einrichtungen der Jugendarbeit
und die Schule (und hier die
„beratungsfähigen“
Altersklassen) besonders genannt werden. Die institutionelle Strenge des
Jugendstrafvollzuges läßt die Beratungssituation besonders deutlich als
Einschnitt und Akzent im Erziehungsprozeß hervortreten, weil hier von dem
jungen Menschen ein Schicksal zu bewältigen ist, das der Verbalisierung und
Bewußtmachung, einer distanzierten und kritischen Verarbeitung bedarf, die
der beratenden Hilfe durch den Erwachsenen, den Erziehungsgruppen- oder
Vollzugsleiter, kaum entbehren kann. Ähnliches, wenn auch nicht in so
exponierter Weise, finden wir in der Heimerziehung, jedenfalls dort, wo der
Heimerzieher sich seiner Rolle als Berater bewußt geworden ist.
[021:43] Die Jugendarbeit verdient, als das vorläufig letzte der Beratung
ausdrücklich eingeräumte Erziehungsfeld, besonders hervorgehoben zu werden.
Bäumler hat in einer sehr treffenden Charakterisierung der Jugendarbeit diese unter anderem als eine Erziehungstätigkeit bezeichnet, in der die Funktion des erziehenden Erwachsenen im wesentlichen in einer beratenden Lenkung und Begleitung des Heranwachsenden besteht.12
12Christoph Bäumler, Anspruchsvollere Jugendarbeit, in: Die Deutsche
Jugend, 9. Jg., 1961, S. 157 ff.
Solche Formulierung
drückt nicht nur programmatisch eine bestimmte Erziehungshaltung aus, sondern bezeichnet zugleich eine institutionelle Struktur der Jugend|a 39|arbeit:
auch in der Erziehungsarbeit der Jugendverbände wird zunehmend nicht mehr
nur
„Jugend durch Jugend geführt“
, sondern entsteht eine Schicht von Erziehern, die im Hinblick auf das pädagogische Geschehen in den einzelnen Gruppen als Berater fungieren.13
13Das zeigen Berichte aus der Praxis
immer deutlicher, wie z. B. der folgende Auszug aus einem Gruppenbericht
(Dorothea Rohlfs und Jörg Ziegenspeck, Bericht aus der Gruppe; Beitrag zu einem
Wettbewerb des Deutschen Bundesjugendringes, 1964,
unveröffentlicht):
„... Einer der entscheidendsten Punkte, warum
die Mitgliederzahl so gestiegen ist, war der, daß sich der
Gemeindepfarrer und die Berater der Gruppe nie als Leiter oder
gar Führer der Gruppe fühlten. Ihnen fiel das oft besonders
schwer, denn sie hatten Vorstellungen für noch zielgerichtetere,
koordinierendere, schnellere Arbeit und hätten diese
Vorstellungen allzugern verwirklicht. Aber gerade die
Zurückhaltung dieser Erwachsenen tat der Gruppe gut, verhalf ihr
zur weitestgehenden Verselbständigung. Es kam außerdem nie zu
der Diskrepanz, die häufig dort angetroffen werden kann, wo die
Gruppenarbeit vom Führer zur Gruppe noch hierarchisch gegliedert
ist, wo übermäßige Abhängigkeit bis zur verhärteten Ablehnung
herrschen. Diese Gefahren waren in diesem Jugendclub nicht
gegeben. Als Berater hatten die Erwachsenen zwar
Mitspracherecht, jedoch kein Mitbestimmungsrecht, d. h.
Stimmrecht bei Wahlen und Abstimmungen. So wurden die Berater in
diesem Club zu dem, was moderne Jugendarbeit wohl in Zukunft
auszeichnen kann: zum neutralen Punkt innerhalb der Gruppe, zum
erfahrenen Begutachter, zum Wahrer der demokratischen
Spielregeln, zum Orientierungspunkt, an den man sich immer
wenden kann, der jedem einzelnen und der Gruppe in ihrer
Gesamtheit gerecht zu werden versucht, d. h. Verständnis
entgegenbringt.“
Vgl. auch Hans Maasch und Wolfgang Müller,
Gruppen in Bewegung, München 1962; ferner ist hier die
Einrichtung der
„consultants“
in der
amerikanischen Pfadfinderschaft zu nennen.
Die neu geschaffene
Rolle des
„Jugendbildungsreferenten“
ist von dieser Art,
wie vor allem die Arbeit der Jugendbildungsstätten, die neben der
unmittelbaren Jugendbildung sich eben jener Praxisberatung angenommen
haben.
[021:44] Schließlich ist auch im Hinblick auf die Schule zu fragen, ob in
ihr die Beratung nicht eine wichtige Funktion zu erfüllen hätte. Sicherlich
widerspricht die in der Beratung zum Vorschein kommende pädagogische Haltung
dem durch das Geschäft des Unterrichtens geprägten Stil der Schule. Aber
Nähe und Dauer des Zusammenseins von Lehrer und Schüler lassen vermuten, daß
hier eine vielleicht besonders fruchtbare Form von Beratung möglich wäre,
wenngleich nicht zu übersehen ist, daß dazu ein Rollenwechsel des Lehrers
und eine Änderung der schulischen Erwartungshaltung von seiten der Schüler
notwendig wäre, die zu bewerkstelligen wahrscheinlich nicht leicht fallen
würde. Zweifellos gibt es besonders geglückte Fälle dieser Art. Ob sie
indessen ausreichen, um für die Schule im Ganzen vermuten zu können, daß sie
die Beratung als ein durchgehendes Moment ihrer Erziehungstätigkeit
realisieren kann, vermag ich nicht zu entscheiden. Möglicherweise wird das
Problem dann mit Nachdruck akut werden, wenn die Ganztagsschule aus ihrem
programmatischen Stadium in das einer bildungspolitischen Realisierung
eintritt.
[021:45] 4. Mit der Charakterisierung der Jugendarbeit als einer u. a.
beratenden Erziehungstätigkeit ist ein Beratungstypus angedeutet, der uns
unter dem Namen
„Supervision“
aus dem
anglo-amerikanischen Sprachbereich bekannt geworden ist. Bei diesem Typus,
von dem die Supervision nur einen Sonderfall darstellt, handelt es sich um
Beratung derjenigen, die selbst unmittelbar erziehend tätig sind. Je
komplexer die pädagogischen Situationen sind, denen die Erzieher
gegenüberstehen, je größer die Zahl derer wird, die nur eine begrenzt
pädagogische Ausbildung genießen, je komplizierter die Fälle werden, und je
wirkungsvoller die Erziehung sein soll, um so mehr wird es nötig, eine
Beratung der Praktiker am Standort ihrer eigenen Praxis durchzuführen.
Besonders dort, wo emotionale Phänomene einen bedeutenden Anteil am
Erziehungsvorgang haben, wo infolgedessen Distanzierung und Objektivierung
auch der eigenen Situation dem Erzieher besonders schwer fallen mögen (so
zum Beispiel im Case-Work und in der
Gruppenpädagogik), scheint diese Form von Praxisberatung unerläßlich zu
werden. Kaum ein Erziehungsbereich könnte hier prinzipiell ausgenommen
werden, besonders da sich bereits erwiesen hat, wie zweckmäßig solche
Beratung in der Fürsorge und der Gruppenpädagogik, in Schule (Schulberatung)
und Heim, in der Jugendarbeit und der Elternberatung ist. Was für |a 40|die Beratung im allgemeinen gilt, gilt auch in diesem
Fall: hierarchische Abhängigkeitsverhältnisse zerstören die pädagogische
Fruchtbarkeit, die Rolle des Beraters ist die eines Beistandes und nicht die
eines Vorgesetzten, das Medium der Beratung ist das aufklärende
Gespräch.
IV.Das didaktische Problem in der
Beratung
[021:46] Eine bisher noch nicht zur Sprache gekommene Eigentümlichkeit der
Beratung ist von besonderem erziehungswissenschaftlichen Interesse. Wie
jeder Erziehungsvorgang, so hat es auch die Beratung mit Inhalten zu tun. Es
ist bisher zwar üblich geblieben, inhaltlich-kritische, also didaktische
Erwägungen nur im Hinblick auf die Schule anzustellen. Es gibt daher
nennenswerte didaktische Theorien nur als Theorien des Unterrichts.
Neuerdings hat sich das durch Überlegungen zur außerschulischen politischen
Bildung geändert. Dies könnte der Anfang sein, für die außerschulische
Erziehung im allgemeinen die Lage der didaktischen Problematik zu erörtern.
Die Beratung ist dafür ein glückliches Beispiel.
[021:47] Didaktische Theorien in der Sozialpädagogik oder der
außerschulischen Pädagogik überhaupt können nicht – das unterscheidet sie
prinzipiell von schulbezogenen Didaktiken – von einem vorgegebenen
inhaltlichen Kanon der Lerngegenstände ausgehen oder einen solchen Kanon
herzustellen versuchen. So besteht die didaktisch ausschlaggebende Eigenart
des Beratungsvorganges darin, daß die Inhalte im aktuellen Beratungsvollzug
erst hervorgebracht werden, und zwar so, daß der Klient sie in den Vorgang
einbringt. Dieses Einbringen ist allerdings nicht nur Angelegenheit des
Klienten. Er macht allein nur den ersten Schritt, nach welchem im
Beratungsgespräch – im
„consilium“
– die
für den Vorgang wichtigen Inhalte in Erscheinung treten, sich entfalten, in
den Formulierungen artikulieren. Das schließt nicht aus, daß es in vielen
Beratungsfällen doch wesentlich auf ein Vermitteln bestimmter Kenntnisse
ankommt, über die dann auch der Berater vorweg verfügen muß. Nur werden
solche Kenntnisse nicht systematisch vorgetragen oder
„erarbeitet“
, sondern nur nach Maßgabe der ratsuchenden Frage bzw.
des Gesprächsverlaufs in Spiel gebracht. Kenntnisse als didaktische Voraussetzung
sinnvoller Beratung also gibt es auch hier. Was von ihnen allerdings zum
Inhalt des Beratungsvorganges wird, entscheidet sich immer erst im Prozeß
selbst und kann nicht vorweg entschieden werden. Dieser Typus pädagogischer
Vorgänge ist der einzige, in dem Methodik und Didaktik nicht nur verschränkt
oder abhängig voneinander sind, sondern nahezu identisch werden. Die Methode
der Beratung, die Art der Gesprächsführung – und darüber liegen in der
Erziehungsberatung wie im Case-Work
wertvolle Erfahrungen vor – ist unmittelbar Bedingung für |a 41|die in Rede kommenden Inhalte. So wie das Beratungsgespräch
immer
„Diagnose“
und
„Therapie“
zugleich ist, sind auch die Diagnose und Therapie selbst immer auch der
didaktische Gegenstand. Inhalt der Erziehungssituation
„Beratung“
ist die im Verlauf des Beratungsgesprächs zum Vorschein
kommende Diagnose. Hier gilt exemplarisch, was Wolfgang Müller über den
„Stil“
sagt: Beratung geschieht nicht nur in einer
„stilistischen Form, in der das
‚Eigentliche‘
(die Information, die Mitteilung
vorgegebener Kenntnisse) des Sachzusammenhanges vermittelt
wird, sondern (sie) stellt
als ein in sich
‚Eigentliches‘
den zu lehrenden
Handlungszusammenhang her“
, d. h. hier, sie ist, als aufklärender Prozeß, selbst das, was vermittelt werden soll, jedenfalls in ihrer einen Funktion als Aufklärung.14
14Die Lage der
didaktischen Problematik ist allerdings verschieden, je nach dem, ob es
sich um institutionelle (in Beratungsstellen)
oder funktionelle (im Zusammenhang komplexerer pädagogischer Vorgänge)
Beratung handelt – eine in der einschlägigen Literatur geläufige
Unterscheidung übrigens, die wir hier nur deshalb nicht expliziert
haben, weil sie für unsere Absicht, das Gemeinsame aller
Beratungstätigkeit zu bestimmen, wenig zweckmäßig gewesen wäre. Für jede
Form institutioneller Beratung spielen die Inhalte – man denke nur an
die Didaktik der Berufsberatung – eine bedeutende Rolle.
[021:48] Die didaktische Reflexion ist durch diese Struktur des
pädagogischen Verlaufs von vornherein Sache des Praktikers, und zwar als
Teil der Praxis selbst. Das macht die große Schwierigkeit aus, vor der jeder
Berater beständig steht, eine Schwierigkeit deshalb, weil diese Situation
ein hohes Maß an pädagogischer Reflexion, an Distanzierungs- und
Objektivierungsfähigkeit voraussetzt und wahrscheinlich weit weniger
mechanisierbar und in technischem Sinne methodisierbar ist als die
unterrichtende Tätigkeit.
[021:49] Damit soll allerdings nicht gesagt sein, daß sich die
Beratungsinhalte nicht in Klassen zusammenfassen ließen und es so etwas
geben könne, wie einen gegenständlichen didaktischen Kanon auch hier, zum
Beispiel den Kanon möglicher Gegenstände einer Berufsberatung, möglicher
Gegenstände in Beratungssituationen eines Heims der offenen Tür, einer
Abschlußklasse der höheren Schule. Das ergibt sich schon aus der Funktion
der Beratung als Information. Der vorläufige Charakter solcher Inhalte ist
indessen unübersehbar: was als Gegenstand im einzelnen Beratungsfall
fungiert, ist immer die besondere Lebensproblematik des einzelnen
Ratsuchenden, ist nicht der Beruf, die Freizeit, die Sexualität, das
politische Verhalten usw., sondern die spezielle Situation des ratsuchenden
Subjektes, in die zwar die allgemeinen Bedingungen seiner gesellschaftlichen
Existenz mit eingehen, aber ausschließlich in der subjektiven und
individuellen Darstellung zum Gegenstand und Inhalt der Beratung werden. Das
schließt nicht aus, sondern nachdrücklich ein, daß im Beratungsvorgang
gerade jene objektiven gesellschaftlichen Bedingungen als Bedingungen der
eigenen Problematik zum Bewußtsein gebracht werden.
[021:50] Da der Bildungsinhalt von Beratungsvorgängen nichts anderes ist
als das unmittelbar dargestellte Problem der eigenen Lebensführung, nichts
anderes als die Diagnose der eigenen Lage bzw. deren Bedingungen, ist die
Beratung der exponierteste Teil einer modernen Bildung, dadurch nämlich, daß
sie Aufklärung ist im fast reinen Fall.