Theorie und Empirie im Nachdenken über Jugendarbeit [Textfassung a]
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Theorie und Empirie im Nachdenken über Jugendarbeit

[019:1] Ich halte es für sinnvoll, davon auszugehen, daß Mißverständnisse von Texten nicht nur den Mißverstehenden, sondern auch den Autoren solcher mißverstandenen Texte zur Last zu legen sind. Am Beispiel der Veröffentlichung
Was ist Jugendarbeit?
zeigt sich das. Freilich gab es auch sachliche Kontroversen, die eben nicht auf Mißverständnissen beruhen, sondern in den verschiedenen Positionen der an der Diskussion Beteiligten ihren Grund haben. Von diesen Kontroversen soll hier zunächst nicht die Rede sein. Die Mißverständnisse indessen sind angesichts derjenigen Probleme aufgetreten, die weder bei den Autoren noch bei den Kritikern in einleuchtender Ausführlichkeit zur Darstellung kamen, zugleich aber für eine Theorie der Jugendarbeit von erheblicher Bedeutung sind. – Im folgenden versuche ich einige hoffentlich klärende Bemerkungen zu einer Auswahl solcher Probleme; nämlich:
  1. 1.
    [019:2] Das Verhältnis zwischen der Wirklichkeit der Jugendarbeit und ihrer Theorie,
  2. 2.
    [019:3] das sogenannte
    Axiom
    der Theorie-Versuche,
  3. 3.
    [019:4] das sogenannte
    Ziel
    der Jugendarbeit und
  4. 4.
    [019:5] das Verhältnis von Jugendarbeit und Schule.

1. Wirklichkeit und Theorie der Jugendarbeit

[019:6] Es besteht kein Zweifel darüber, daß eine Theorie der Jugendarbeit auf Beschreibung ihres Gegenstandes angewiesen ist. Es besteht weiterhin kein Zweifel, daß diese Beschreibung in den vier Theorie-Versuchen – um mich zurückhaltend auszudrücken – nicht eben sehr viel Raum einnimmt. Das stimmt aber nur, wenn man als den Gegenstand solcher Theorie nur das organisatorische Geschehen ins Auge faßt. Auf dieser Ebene freilich ist der Ertrag der Theorie-Versuche mager: Sie geben keine komplette Beschreibung der Wirklichkeit gegenwärtiger Jugend|a 456|arbeit, sondern sie schlagen ein Kategorien- und Ordnungsschema vor, um diese Wirklichkeit in theoretischer Absicht überhaupt erst beschreiben zu können. Das hängt, wie Walter Hornstein
(
Die Schwierigkeit, eine Theorie der Jugendarbeit zu entwerfen
, in
deutsche jugend
, Maiheft 1965, S. 219–227)
richtig vermutet, mit dem Fehlen sozialwissenschaftlicher Forschung in diesem Feld zusammen. Um nämlich mit sinnvoller Forschung beginnen zu können, ist – unnötig, es zu sagen – so etwas wie ein theoretischer Vorentwurf nötig, mit dessen Hilfe das Forschungsthema erst formuliert werden kann.
[019:7] Würde sich nun ein solcher theoretischer Vorentwurf tatsächlich, wie Hornstein meint, durch
Ignorierung wirklicher Verhältnisse
auszeichnen, wäre er in der Tat auch als Vorentwurf kaum brauchbar. Aber welche sind diese
wirklichen Verhältnisse
, welche ist die
erzieherische Wirklichkeit
, aus der angeblich die
Wünsche, Ziele, Vorstellungen
der Theorie-Versuche nicht stammen? In vornehmer Zurückhaltung verzichtet Hornstein an dieser doch entscheidenden Stelle auf Argumente und verläßt sich aufs Dekretieren, statt zu zeigen, welche von den in den
Versuchen
angeführten Begriffen und Ordnungsgesichtspunkten die Wirklichkeit der Jugendarbeit nicht zu erreichen vermögen.
[019:8] Welcher Wirklichkeit entspricht die Theorie der vier Versuche? Nicht jede Einrichtung der Jugendarbeit, nicht jedes Feld in diesem Bereich wird alle Elemente der Theorie auf sich beziehen können. Das aber ist auch hier so wenig nötig wie etwa in der Theorie der Schule. Die Kritik hat recht, wenn sie eine Spezifizierung vermißt, eine Aufgliederung des Ganzen und eine Beschreibung gerade der Heterogenität dessen, was wir zusammenfassend Jugendarbeit nennen. So scheint eine Pfadfindergruppe, die aus 12jährigen besteht, am Rande der vorgelegten Theorien zu liegen, die sich fast ausschließlich an der Jugendarbeit mit etwa 16- bis 20jährigen orientieren. Was aber im Bereich dieser Altersgruppe geschieht, und zwar in Jugendverbänden, Bildungsstätten, Freizeitheimen und Jugendferien, scheint mir in den Versuchen enthalten zu sein, wenn auch vielleicht verkürzt oder falsch akzentuiert. Aber wo liegen die falschen Akzente? Es wäre für die Diskussion nützlich gewesen, wenn Hornstein aus seiner wahrscheinlich intimen Kenntnis der Jugendarbeit, statt uns an den
Weg der Pädagogik zur Wissenschaft
zu erinnern, hier an das eine oder andere Faktum aus der Jugendarbeit erinnert hätte. An der einzigen Stelle, an der er konkret zu werden versucht, bei dem Verhältnis von Bedürfnissen und Inhalten, scheint seine Kenntnis so intim nun wieder nicht zu sein. Gerade das von ihm vorher (
S. 222
) erwähnte Gespräch
der in der Erziehung verantwortlich Tätigen
zeigt, daß sehr wohl die Frage nach den Bedürfnissen und ihrer Befriedigung eine zentrale Rolle spielt. Außerdem zeigt das auch die alltägliche Praxis selbst inhaltlich besonders engagierter Jugendverbände: Sie sind gezwungen – durch das sonst ausbleibende Publikum nämlich –, die Rücksicht auf die Bedürfnislage nicht hintan zu stellen. Oder hätten wir – die Verfasser der
Versuche
– als
erzieherische Wirklichkeit
nur die Meinungskundgebungen der Verbandsfunktionäre gelten lassen sollen? – An dieser Stelle zeigt sich, daß es gut wäre, in Zukunft mit empirischen Daten zu argumentieren.
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2. Das sogenannte
Axiom
der Theorie-Versuche

[019:9] Martin Rudolf Vogel behauptet in seiner Kritik
(
Annäherungsversuche an Theorieversuche
, in
deutsche jugend
, Märzheft 1965, S. 115–119)
, daß alle vier Theorieversuche sich zwar
pädagogisch
verstünden, es aber an einer entsprechenden Begründung fehlen ließen. Nun erwartet Vogel vermutlich nicht, daß auf einem nur weniger als 60 Seiten umfassenden Versuch einer Theorie der Jugendarbeit die wissenschaftstheoretische Problematik einer eigenständigen Erziehungswissenschaft oder Pädagogik entfaltet wird. Er formuliert aber dennoch:
Die zentrale Frage nach den Kriterien ... wird überhaupt nicht gestellt
(S. 118)
. Das ist richtig. Akzeptabel aber könnte diese Kritik nur sein, wenn es nicht erlaubt wäre, in einem so kurzen Text bestimmte Fragen als für den Verfasser schon entschieden vorauszusetzen. Aber vielleicht beseitigt ein kurzer Hinweis ein Mißverständnis: Ich vermute, daß Vogel aus dem Adjektiv
pädagogisch
eine andere als die in meinem Theorieversuch gemeinte Bedeutung herausgelesen hat:
pädagogisch
bezeichnet dort nicht unbedingt den besonderen Charakter der Theorie, sondern den von ihr gemeinten Gegenstand; es heißt, daß ich den Gegenstand für
Erziehung
halte und nicht für etwas anderes.
[019:10] In diesem Zusammenhang aber hat Vogel auf etwas Wichtiges aufmerksam gemacht: Es scheint so, als seien eine Reihe von Erscheinungen, die das Heranwachsen der jungen Generation betreffen, überhaupt nicht angemessen zu beschreiben und zu verstehen, wenn man sie nur als pädagogische Gegenstände betrachtet. Die Jugendarbeit gehört gewiß dazu. Eine Theorie der Jugendarbeit sollte also – im Sinne der Wissenschaftsteilungen als eine
interdisziplinäre
Theorie konzipiert werden (im übrigen scheint mir – im Unterschied zu Vogel –, daß das für alle
pädagogischen
Bereiche gilt). Indessen meine ich aber doch, daß zwischen den verschiedenen möglichen Aspekten eine Rangfolge besteht, vielleicht wiederum im Unterschied zu Vogel, der schreibt:
Es kann in einer Theorie der Jugendarbeit keine Vor- und Nachrangigkeiten im Sinne der herkömmlichen Wissenschaftssystematik geben.
Sicher: die Rangfolge wird nicht durch den Praxiszusammenhang bestimmt; die Vorrangigkeit des pädagogischen Gesichtspunkts ist ein pragmatischer und keiner, der der Forschung entstammt. Diesen Gesichtspunkt liefert die Praxis selbst dadurch, daß die Jugendarbeit pädagogisch ist, das heißt, alles in ihr auf das Heranwachsen der jungen Generation hin geordnet ist. Diese Ordnung treffe ich auch dort an, wo von ihr nicht ausdrücklich die Rede ist. Sicher ist es unvorsichtig, in dieser Hinsicht von dem
unausgesprochenen Sinn
der Jugendarbeit zu schreiben. In der Tat kann der auf genaue Formulierung erpichte Kritiker – und einen solchen wünscht man sich – hier eine
metaphysische Implikation
(S. 119)
vermuten. Gemeint ist – und so soll nun auch formuliert werden –, daß die Jugendarbeit ihrer sozialen Funktion nach pädagogisch ist, unabhängig davon, ob ihre Träger das in Worte fassen oder nicht.
Pädagogisch
heißt dabei – um es noch einmal zu sagen – nichts anderes als: funktionell im Hinblick auf das Heranwachsen der jungen Generation.
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[019:11] Damit bleibt freilich auch in dieser kurzen Antwort die Begründung für jenes von Vogel sogenannte
Axiom
aus. Da die Begründung aber eine allgemeine erziehungstheoretische Erörterung erforderlich machen würde, werden – so hoffe ich – die Kritiker mir nachsehen, daß ich hier unterlasse, was ich andernorts bereits versucht habe. Daß Vogel – von der theoretischen Begründung der
pädagogischen
Kriterien abgesehen – in den Versuchen eine
wenigstens vorläufige Präzisierung dessen, was eigentlich unter
Jugendarbeit
verstanden und nicht verstanden werden soll
(S. 119)
,
einen zumindest groben begrifflichen Umriß
als Voraussetzung jener Begründung vermißt, ist weniger beunruhigend; denn die Versuche sind ja gerade – und das kann man ihnen vorwerfen – nahezu nichts anderes als solch ein Umriß. Aber vielleicht meint auch Vogel hier nicht, was er schreibt, sondern denkt eher an die in der Tat zu kurz gekommenen Konkretionen des Begriffs in den verschiedenen Feldern der Praxis.

3. Das sogenannte
Ziel
der Jugendarbeit

[019:12] Man hat den Autoren der Versuche vorgeworfen, daß sie sich allzu häufig im Bereich normativer Implikationen aufgehalten hätten, daß sie Aussagen über das Ziel der Jugendarbeit machen, wo es doch vernünftiger gewesen wäre, zuerst einmal
ganz nüchterne Erwägungen
(Theodor Wilhelm
Das schulische Prinzip und die außerschulische Jugendarbeit
, in
deutsche jugend
, Januarheft 1965, S. 13–23)
anzustellen oder sich mit der
erzieherischen Wirklichkeit
(Hornstein, S. 222)
zu befassen. Darauf ist zu antworten, 1. daß die sogenannten normativen Implikationen nicht
aus allen möglichen Bereichen
(Hornstein, S. 222)
stammen, sondern unter anderem auch aus der
Erziehungswirklichkeit
, daß mit ihnen nicht
der Boden des Faktischen bereits überschritten
(Wilhelm, S. 18)
ist, sondern lediglich ein Moment des Faktischen expliziert wurde. Freilich ist
der Horizont der letzten, absoluten, religiös oder weltanschaulich motivierten Normierungen
(Wilhelm, S. 18)
für unser Vorhaben nicht erforderlich. Aber nicht um solche handelt es sich in den Versuchen. Vielmehr handelt es sich – wenn ich meine Ko-Autoren recht verstehe – in allen vier Fällen darum, den unserem Erziehungssystem zugrunde liegenden Bildungssinn zu ermitteln und zu fragen, wie dieser Bildungssinn im Bereich der Jugendarbeit als eines Teils dieses Systems sich konkretisiert oder konkretisieren läßt. Mit anderen Worten: es geht um die Beantwortung der Frage, was die Erziehung leistet, beziehungsweise was sie leisten kann im Hinblick auf eine Gesellschaft, die zu ihrem Fortbestand des am öffentlichen Geschehen kritisch beteiligten Bürgers bedarf, der imstande ist, auch seine eigene Lebenssituation unbeschädigt zu bewältigen. Die pragmatischen Probleme unserer Erziehungsgegenwart könnnen überhaupt nicht sachgerecht behandelt werden ohne Rücksicht auf diese Frage, die – nach den Worten Wilhelms – durchaus in den Bereich des
Vorletzten
gehört (ich verweise hier nur, zur Klärung dieser Unterscheidung, auf Bonhoeffers Bestimmung der
mündigen Welt
). Die Frage nach dem Ort der Jugendarbeit im Erziehungssystem muß damit zugleich die Frage nach dem Beitrag sein, den die Jugendarbeit im Horizont dieser Aufgabe |a 459|leistet. Hier von
Wünschen, Zielen, Vorstellungen ... die aus allen möglichen Bereichen, nur nicht aus der erzieherischen Wirklichkeit stammen
(Hornstein, S. 222)
zu sprechen, dies ist mir eine nur noch ideologiekritisch zu verstehende Redeweise.
[019:13] Freilich haben auch die Autoren sich dem Ideologieverdacht ausgesetzt dadurch, daß die Begründung jener in den Versuchen implizierten
Ziel
-Vorstellungen ausblieb, wie sie auch in diesem Versuch einer Antwort ausbleiben muß; sie kann nämlich nur in einer historischen Analyse gegenwärtiger Gesellschaft gegeben werden. Die Aufgabe der Kritik also bestünde – im gegenwärtigen Zustand unserer Diskussion – darin, die fraglichen Implikationen als rational nicht begründbar zu erweisen oder sie als Verallgemeinerungen eines nur partikular Richtigen zu entlarven.

4. Jugendarbeit und Schule

[019:14] Wirklich fruchtbar, weil rational nachvollziehbar und konkret, scheint mir die Kritik an dem in den Versuchen behaupteten Verhältnis von Jugendarbeit und Schule zu sein, beziehungsweise die Kritik an dem angeblich verzeichneten Bild, das von der Schule entworfen wurde. Diese Kritik findet sich in den bereits erwähnten Beiträgen von Wilhelm und Hornstein sowie in der unter dem Titel
Was ist Jugendarbeit? Vier Versuche zu einer Theorie
in der Zeitschrift
Kulturarbeit
(Dezemberheft 1964, S. 236–237) veröffentlichten Kritik von Lutz Rössner. Es war gewiß nicht unsere Absicht,
der Jugendarbeit auf Kosten der Schule pädagogische Pluspunkte zu verschaffen
(Wilhelm, S. 20)
, und auch ich bin der Meinung, daß einer Theorie der Jugendarbeit nur gedient ist, wenn sie mit der Schulpädagogik in einer allen pädagogischen Bereichen gemeinsamen Theorie der Erziehung verbunden ist. Das enthebt uns aber nicht der Aufgabe, die Differenzen in der Leistungsfähigkeit oder Leistungsart der verschiedenen an der Erziehung beteiligten Institutionen herauszuarbeiten, weil erst in Gemeinsamkeit und Differenz der besondere Begriff der Sache deutlich wird.
[019:15] Sicher spielen Lernvorgänge, Interessen, Inhalte und Bedürfnisse in beiden – Jugendarbeit und Schule – eine Rolle. Ich glaube aber nicht, daß es förderlicher gewesen wäre, wenn wir gezeigt hätten,
daß auch die Schule ... nach einer neuen Theorie verlangt
Wilhelm, S. 21
, denn unsere Sache war eben keine neue Schultheorie, sondern eine Theorie der Jugendarbeit, so sehr wir – jedenfalls ich – dieser Meinung Wilhelms zustimmen möchten. Denn so wichtig die Gemeinsamkeit gewisser psychologischer und pädagogischer Grundvorgänge ist, so wichtig ist auch, das jeweils pädagogisch Spezifische festzustellen, gerade weil die Jugendarbeit erst dabei ist, in der eigenen Praxis ihr Spezifisches zu gewinnen. Ich möchte deshalb an folgenden Unterscheidungen festhalten:
[019:16] 1. Die Schule wird unter anderem durch das Vorhandensein von Bildungsplänen konstruiert, die verbindlichen Charakter haben und über deren Einhaltung die Schulaufsicht wacht. Das ist in keiner Weise abwertend gemeint, da jedermann |a 460|weiß, wieviel für den Bestand der Gesellschaft von solchem gemeinsam verbindlichen Wissen und Können abhängt. Die Arbeitsweise der Jugendarbeit geschieht unter anderen Bedingungen: Die
Bildungsinhalte
sind nicht in Plänen umrißhaft kanonisiert, sondern wechseln mit Situationen und Publikum; sie sind eher der Aktualität verbunden; die Inhalte des schulischen Unterrichts sind eher der Tradition verbunden. Beides enthält eigentümliche Chancen und Gefahren.
[019:17] 2. Die Schule geht aus von der objektiven
Bedarfslage
der Gesellschaft. Sie vergibt darum auch objektivierende Zeugnisse einer vergleichenden Leistungsmessung. Die Jugendarbeit geht aus von der subjektiven Bedürfnislage der jugendlichen Individuen; dem Verzicht auf gesellschaftlich relevante Leistungsmessung entspricht, daß mit ihr keine soziale Status-Zuweisung verbunden ist (von den statistisch nicht ins Gewicht fallenden Verbandsfunktionären abgesehen).
[019:18] 3. Die Sozialformen, in denen innerhalb der Institution Schule gelernt wird, sind vorgegeben, gebunden, formell. Die Schule kann hier nur in Grenzen variieren. Die Jugendarbeit ist an keine bestimmte Sozialform gebunden; sie kann sie relativ beliebig dem gerade aktuellen Zweck anpassen.
[019:19] Es ließen sich noch einige weitere Unterscheidungen feststellen. Sie alle aber bedeuten nicht, daß sich beide Praxisbereiche in einem starren Gegenüber befinden. Auch die Schule wird die Inhalte der Bildung immer stärker auf die Lebenswirklichkeit der jungen Menschen beziehen, die Möglichkeiten des sozialen Lernens durch größeren Variantenreichtum der Sozialformen vermehren, die Bedürfnislage der Heranwachsenden immer entschiedener berücksichtigen müssen usw. Ich frage aber, wieweit sie das tun darf, ohne ihre notwendige Funktion im gesamten Erziehungsprozeß einzubüßen. Im Augenblick scheinen mir Fehler in der Organisation des Schulwesens noch weit verhängnisvoller zu sein als Fehler in der Organisation der Jugendarbeit, die vergleichsweise von harmloser Natur sind. Auch in diesem unterschiedlichen Folgenreichtum deutet sich etwas Spezifisches beider Bereiche an. Damit aber ist nicht gesagt, daß nicht gerade eine Zusammenarbeit beider Bereiche nötig wäre. Eine fruchtbare Zusammenarbeit aber setzt, neben der gemeinsamen Basis, einen wirklichen, ja eigenen spezifischen Beitrag zum Ganzen des Erziehungsgeschäfts voraus, der erst einmal zu erarbeiten ist. Rössners Hinweis auf die
Gefahr einer weder notwendigen noch begrüßenswerten Autonomie der sogenannten Jugendarbeit
scheint mir deshalb eine Chimäre zu sein, soweit er mit dieser Formulierung überhaupt etwas gemeint hat, was sich aus den
Versuchen
herauslesen läßt. Rössner fragt in seiner
Rezension:
Wann ... beginnt endlich die Diskussion zwischen den pädagogischen Ressortvertretern?
Nun, sie ist – von Rössner unbemerkt – längst im Gange, von Aloys Fischer in den zwanziger Jahren bis zu Theodor Wilhelm und Wolfgang Fischer im Jahre 1965. Nur – und darin möchte ich Rössner recht geben – wird sie noch nicht mit der Intensität und Entschiedenheit geführt, die man sich wünschen möchte. Wenn die vom Juventa Verlag initiierte Diskussion uns hier zu größerer Klarheit verhülfe – und die Anfänge machen uns Hoffnung –, dann wäre das für die deutsche Pädagogik ein freundlicher Gewinn.