Einige Gründe für die Wiederaufnahme ethischer Argumentation in der Pädagogik
I.
II.
III.
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(1)[058:12] Die Diskussion zur Bedeutung des Begriffs„Emanzipation“für die Erziehung und Bildung und das Unbehagen an seiner unzureichenden pädagogischen Bestimmung hat manche Autoren dazu veranlaßt, beim„Diskurs“-Begriff Zuflucht zu suchen17. Offenbar |a 84|bestand die Hoffnung, daß das Legitimationsproblem, das sich aus der Begründungsbedürftigkeit pädagogischer Handlungsziele ergibt, mit seiner Hilfe lösbar wäre.
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(2)[058:13] Erstaunlich ist auch die Intensität, mit der in der jüngsten Zeit die Theorie der moralischen Urteilsbildung , vor allem aber rezipiert wurde. Die dort formulierten Stadien der Bildung moralischer Urteilskompetenz stellen ja zugleich verschiedene Argumentationen angesichts moralischer Entscheidungen dar. Das„postkonventionelle“Stadium ist überdies dadurch ausgezeichnet, daß sein Argumentationsmodus als die gleichsam„reifste“Form moralischer Urteilsbildung verstanden werden und dadurch – wenngleich ohne zwingenden Grund – als Norm für das pädagogische Handeln fungieren kann.
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(3)[058:14] Ferner: Die seit einigen Jahren propagierte„Handlungsforschung“macht den praktischen Diskurs, die Verständigung über Handlungsziele mit den„Betroffenen“, zu einem wichtigen oder gar entscheidenden Bestandteil des Forschungsprozesses. Wenn dieser Vorschlag nicht so verstanden wird, daß die Forscher Interessen-Homogenität im Handlungsfeld voraussetzen, auch nicht so, daß sie die Handlungsziele der„Praxis“argumentationslos übernehmen und ihre eigene Forschungstätigkeit als szientistische Dienstleistung definieren, sondern wenn Handlungsforschung auch für den Fall vorgesehen sein soll, in dem eine Differenz in den Handlungszielen zur Ausgangslage gehört, dann entscheidet sich offenbar die methodologische Dignität dieses Forschungstyps an der Frage, ob es gelingt, zu zeigen, in welchen Argumentationen sich eine solche„Beratung“entfalten soll. Die gelegentlichen ex-post-Beschreibungen der Probleme und Konflikte, die in Handlungsforschungsprojekten bisweilen entstehen, verfehlen diese Aufgabe, sofern sie keinen Vorschlag ausarbeiten, wie in derartigen Situationen, die durch praktischen Dissens ausgezeichnet sind, argumentativ verfahren werden kann.
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(4)[058:15] Schließlich: Neuerdings scheint, wenngleich zögernd18, auch die konstruktivistische Variante praktischer Philosophie19 die Aufmerksamkeit von Pädagogen auf sich zu ziehen. Sie hat im Vergleich zur Kritischen Theorie den Vorteil, offensichtlicher an die Tradition Praktischer Philosophie anzuschließen, der die Pädagogik ja ursprünglich entstammt. Sie präsentiert außerdem Vorschläge, die näher an dem liegen, was im pädagogischen Handlungsfeld als„Beratung über Fragen nach Handlungszielen“stattfinden sollte. Sie hat schließlich selbst eine pädagogisch-didaktische Struktur, da„Lehrbarkeit“eines ihrer Leitmotive ist.