Vgl. Henningsen,
1962. Zwei Jahre nach Erscheinen von Mollenhauers Beitrag
wurden die Studien dann als Monographie publiziert: Vgl.
Henningsen, 1981. [Lasse Clausen]
Editorial Note
Vgl. Mead,
1968 [Lasse Clausen]
Editorial Note
Vgl.
Berger&Luckmann, 1978 [Lasse Clausen]
Editorial Note
Aus heutiger Sicht
(2025) erscheint dieser Sprachgebrauch rassistisch; zur für diese
Edition grundlegenden Entscheidung zum Umgang damit siehe den Editionsbericht, Abschnitt 3.3.
Editorial Note
Veröffentlicht
1979 [Lasse Clausen]
Bibliographical Reference
Could not load data.
Bibliographical Reference
Could not load data.
Bibliographical Reference
Could not load data.
Bibliographical Reference
Could not load data.
Bibliographical Reference
Could not load data.
Bibliographical Reference
Could not load data.
Bibliographical Reference
Could not load data.
Bibliographical Reference
Could not load data.
Bibliographical Reference
Could not load data.
Bibliographical Reference
Could not load data.
Bibliographical Reference
Could not load data.
Bibliographical Reference
Could not load data.
Bibliographical Reference
Could not load data.
Bibliographical Reference
Could not load data.
Bibliographical Reference
Could not load data.
Bibliographical Reference
Could not load data.
Bibliographical Reference
Could not load data.
Bibliographical Reference
Could not load data.
Bibliographical Reference
Could not load data.
Bibliographical Reference
Could not load data.
Bibliographical Reference
Could not load data.
Bibliographical Reference
Could not load data.
Bibliographical Reference
Could not load data.
Bibliographical Reference
Could not load data.
Bibliographical Reference
Could not load data.
Bibliographical Reference
Could not load data.
Bibliographical Reference
Could not load data.
Bibliographical Reference
Could not load data.
Bibliographical Reference
Could not load data.
Bibliographical Reference
Could not load data.
Bibliographical Reference
Could not load data.
Bibliographical Reference
Could not load data.
Bibliographical Reference
Could not load data.
Bibliographical Reference
Could not load data.
The result of the citation check can be viewed in the following Zotero entry: ELSEGAID
Bibliographical Reference
Could not load data.
The result of the citation check can be viewed in the following Zotero entry: UGH7LIMA
Bibliographical Reference
Could not load data.
Bibliographical Reference
Could not load data.
Bibliographical Reference
Could not load data.
Bibliographical Reference
Could not load data.
Bibliographical Reference
Could not load data.
Bibliographical Reference
Could not load data.
Bibliographical Reference
Could not load data.
Bibliographical Reference
Could not load data.
Bibliographical Reference
Could not load data.
Bibliographical Reference
Could not load data.
Bibliographical Reference (added)
Could not load data.
The result of the citation check can be viewed in the following Zotero entry: ELSEGAID
Aspekte einer strukturalen pädagogischen Interaktionsanalyse. Methodologische
Hypothesen zur gesellschaftlichen Formierung von Bildungsverläufen
[062:1] Als Ziel von Interaktionsanalysen finden wir in der vorliegenden
Literatur vor allem
–
[062:2] das Interesse an der Wirkung pädagogischer Interaktionen im
Hinblick auf gewünschte und definierte Lernresultate (Unterricht,
soziales Lernen),
–
[062:3] das Interesse an der Aufklärung von Störungen im Verhalten
von Kindern, und zwar vornehmlich in Abhängigkeit vom Interaktionsmodus
der Familie (Familientherapie-Forschung),
–
[062:4] das eher phänomenologische Interesse an Verfahren zur
zureichenden Beschreibung dessen, was in pädagogischen
Interaktionen vor sich geht.
[062:5] Ich möchte im folgenden dieses zuletzt genannte Interesse
aufgreifen, und zwar so, daß ich einige Gedanken zu seiner systematischen
Erweiterung vortrage. Das von mir vielleicht etwas gewaltsam unter diesem
Namen zusammengefaßte
»phänomenologische«
Interesse an
Interaktionen scheint mir besonders nahe an denjenigen Fragen zu liegen, die
in der Erziehungswissenschaft einstmals im Rahmen einer
»Theorie der Bildung«
, der historischen Rekonstruktion von
»Bildungsidealen«
, besonders aber in der Darstellung der
europäischen
»Gesittung«
aufgeworfen wurden1
1Vergl. besonders W. Flitner: Europäische Gesittung, Zürich
1961; aber beispielsweise auch H. Gerth: Die sozialgeschichtliche Lage
der bürgerlichen Intelligenz um die Wende des 18. Jahrhunderts,
Diss. Frankfurt/M. 1935; Th.
Litt: Das Bildungsideal der deutschen Klassik und die moderne
Arbeitswelt, Bonn 1958⁵. N. Elias: Über den Prozeß
der Zivilisation, 2 Bde., Basel 1939.
. Das waren
Fragen, die sich darauf richten, auf welche Weise und nach welchen Maßen das
Subjekt im Prozeß seiner
»Bildung«
seine Form bekommt;
etwas genauer könnte man sagen: was für den Bildungsprozeß
bedeutsam ist, nach welchen Regeln das verschiedene Bedeutsame
geordnet wird, wie diese Ordnung auf den Lebenskontext bezogen ist. In der
Sprache der Linguistik und der Zeichentheorie könnte man sagen: solche
Theorie der Bildung interessiert sich für die Syntax, die
Semantik und Pragmatik der inneren und äußeren Form2
2Daß diese terminologische
Übertragung sinnvoll ist, zeigt sich beispielsweise bei U. Eco (Einführung in die Semiotik,
München 1972), aber auch in den linguistischen Arbeiten D. Wunderlichs (Studium zur
Sprechakttheorie, Frankfurt/M. 1976) oder Ch. J. Fillmores (Pragmatik und die
Beschreibung der Rede, in: M. Auwärter u. a. (Hg.): Seminar:
Kommunikation, Interaktion, Identität, Frankfurt/M.
1976).
von individuellen (oder auch gruppentypischen)
Lebensläufen.
[062:6] Bemerkenswert ist nun, daß diese – freilich ehedem in anderer
Terminologie vorgetragenen – Problemstellungen neuerdings wieder auftauchen.
Nachdem – vielleicht etwas voreilig – der geisteswissenschaftlichen
Pädagogik der
»Ausgang ihrer Epoche«
bescheinigt wurde3
3Geisteswissenschaftliche Pädagogik am Ausgang ihrer Epoche – Erich
Weniger, hrsg. von I. Dahmer/W. Klafki, Weinheim
1968.
, setzte zunächst – durch die Reform-Anstrengungen im
Bildungswesen kräftig unterstützt – die Periode der
»Bildungsforschung«
ein, die einerseits im Wesentlichen empirisch-sozialwissenschaftliche Forschung, andererseits zu großen Teilen Sozialisationsforschung ist. Fragen nach dem Bildungsprozeß wurden auf Fragen nach dem Sozialisationsprozeß reduziert4
4Am deutlichsten wurde das in den
Theoremen oder Hypothesen zur sogenannten
»schichtspezifischen Sozialisation«
. Die durch diese Forschung
erbrachten Ergebnisse – eigentlich ihrerseits nichts anderes als
Konstrukte der Wissenschaft – werden zu Klichees der Sekundär-Literatur und teils auch der Praxis. Sie gerieten
damit in eine Zone von Ambivalenzen, mit der wir heute – in
industrialisierten Massengesellschaften – allenthalben zu tun haben:
einerseits
»wahr«
zu sein in dem Sinne, daß sie –
sofern zutreffend – notwendige Planungsdaten für die Verbesserung des
Ganzen enthalten, andererseits aber auch für
»unwahr«
gehalten werden können, sofern damit etwas über die Bedeutungsstruktur
individueller Bildungsverläufe ausgesagt werden soll.
. Parallel
zu diesem Trend verlief ein zweiter: Die Publizität der Frankfurter
»Kritischen Theorie«
und das Anwachsen marxistischer
Orientierungen in der Pädagogik beförderten einerseits eine – wie mir
scheint naive – Rhetorik, nach der
»bürgerliche«
und
irgendwie andere Wissenschaft unterschieden wurde; |a 242|die Literatur, die in diesem Umkreis erschien, beschränkte sich häufig auf eine begriffliche Auseinandersetzung mit pädagogisch relevanten sozialwissenschaftlichen Konstrukten, klassentheoretischen Deduktionen oder ökonomischen Analysen, in denen das Kind und pädagogische Erfahrung kaum noch vorkamen5
5Vergl. dazu beispielsweise
J. Beck u. a.: Erziehung in der
Klassengesellschaft; H. J.
Gamm: Das Elend der spätbürgerlichen Pädagogik, München 1972
oder die Zeitschrift
»Erziehung und Klassenkampf«
.
. Andererseits
entstand eine dem Anspruch nach sehr erfahrungsnahe Literatur, in der die
Praxis selbst zur Sprache gebracht werden sollte, die aber weder dies noch
eine erziehungswissenschaftliche Verarbeitung solcher Erfahrung
zufriedenstellend leistete.
[062:7] Dies Bild hat sich seit einiger Zeit verändert: In der Sozialisationsforschung macht sich ein auf die historisch ausgeprägte Grundstruktur individueller oder gruppentypischer Bildungsprozesse gerichtetes Interesse immer bemerkbarer6
6Dies trifft vor allem für die Arbeiten
Oevermanns zu; vergl. dazu
insbesondere U. Oevermann u. a.: Beobachtungen zur Struktur
sozialisatorischer Interaktion, in: M. Auwärter u. a., a. a.
O.
; das Interesse an der Autobiographie als Quelle für die gesellschaftliche Form eines Bildungsprozesses wird wieder deutlich zum Thema7
7Vergl. die Beiträge von D. Baacke, G. Bittner, W. Gstettner und Th.
Schulze in: Die Neue Sammlung, Jg. 1978, Heft 4. In dieser
Hinsicht scheint mir bemerkenswert, daß noch vor 15 Jahren die Studien
J. Henningssens zur Interpretation von Autobiographien kaum Beachtung fanden.
; die Geschichte der Erziehungswirklichkeit, mindestens im Kontext der bürgerlichen Gesellschaft, wird wieder wichtig – jedenfalls signalisieren dies die in hohen Auflagen erschienenen Anthologien8
8Beispielsweise K. Rutschky (Hg.): Schwarze Pädagogik.
Quellen zur Naturgeschichte der bürgerlichen Erziehung,
Frankfurt/Berlin/Wien 1977; I. Hardach-Pinke/G. Hardach (Hg.): Deutsche Kindheiten 1700–1900,
Kronberg/Ts. 1978; M.-L. Könnecker (Hg.): Kinderschaukel, 2 Bde., Darmstadt
1976.
der jüngsten Zeit, die Popularität der Bücher von
Aries und De
Mause9
9Ph. Aries: Geschichte der Kindheit, München 1975; L. De Mause: Hört ihr die Kinder weinen,
Frankfurt 1977.
, die begierige Aufnahme, die die
Veröffentlichungen M.
Foucaults10
10Vor allem M. Foucault: Überwachen und Strafen,
Frankfurt 1976.
bei uns finden; ein drei Jahrzehnte
lang nahezu verschollen gebliebenes Werk, N. Elias
»Prozeß der Zivilisation«
, tritt wieder an die Oberfläche11
11N. Elias: Der Prozeß der
Zivilisation, Frankfurt 1976, Neuauflage des in Anm. 1 genannten Werkes. Vielleicht kann man
auch hierin – en passant – ein Indiz für die Tiefe der Schädigung sehen,
die uns der Nationalsozialismus zufügte. Die Tradition
bildungswissenschaftlicher Forschung, die sich beispielsweise mit Namen
wie Elias,
Gerth, Weil, Groethuysen verbindet, muß
heute mühsam wieder hergestellt werden. Es würde mich nicht wundern,
wenn nächstens auch B.
Groethuysen: Die Entstehung der bürgerlichen Welt- und
Lebensanschauung in Frankreich, 2 Bde., Halle 1927 und 1930
als Paperbackausgabe erscheint.
. Den in solcher Forschungs- und
Publikationstätigkeit enthaltenen Interessen ist nach meinem Urteil eines
gemeinsam: Sie werfen die Frage auf, ob und in welcher Form individuelle
Erfahrung und Organisation (einer bestimmbaren Ordnung folgend) von
Bildungsverläufen gesellschaftlich-geschichtlichen
»Mustern«
unterworfen ist und welche aktuell-praktischen Fragen sich ergeben, wenn es gelingen sollte, diese Muster zweifelsfrei zu identifizieren12
12K. Mollenhauer:
Organisation und Interaktion in pädagogischen Feldern, in: Z. f.
Päd., 13. Beiheft, Weinheim und Basel
1977.
.
[062:8] Damit ist ein langer Forschungsweg angedeutet. Auf diesem Weg mag
es nützlich sein, verschiedene Hypothesen ins Spiel zu bringen. Meine
Hypothese mit Bezug auf diese Frage lautet (in einem ersten Schritt):
Bildungsverläufe repräsentieren immer das Insgesamt von Interaktionen, in
die das sich bildende Individuum verflochten ist; die Ordnungen, denen es in
solchen Interaktionen konfrontiert ist, sind also eine wesentliche
Komponente seines Bildungsprozesses, durch die ihm möglicher Lebenssinn
tradiert wird (der freilich von ihm selbst aber auch
modifiziert oder – gegen die Tradition – produziert
wird). Es wäre deshalb von Interesse, welchen epochalen Grundregeln die
Interaktionen folgen, in die das Individuum verflochten ist. Es scheint also
nützlich zu sein zu überlegen,
–
[062:9] auf welche Weise das in den Interaktionen geschieht,
–
[062:10] welche Merkmale von Interaktionen dies vor allem leisten,
–
[062:11] wie wir Interaktionen beschreiben könnten, um solche Fragen zu
beantworten.
Eine
»ökologische«
Klassifikation von
Interaktionsmustern
[062:12] Der amerikanische Sozialisationsforscher Bronfenbrenner hat kürzlich kritisch auf eine Eigentümlichkeit der Sozialisationsforschung, wenigstens der amerikanischen, hingewiesen13
13U. Bronfenbrenner: Ökologische
Sozialisationsforschung, Stuttgart 1976, und ders.: Ansätze zu einer experimentellen
Ökologie menschlicher Entwicklung, in R. Oerter (Hg.): Entwicklung
als lebenslanger Prozeß, Hamburg 1978.
. Er bemängelt
an ihr, daß sie am Forschungs-Typus des Labor-Experimentes orientiert sei,
einzelne Merkmale des Umgangs von Er|a 243|wachsenen mit
Kindern aus dem komplexen Lebensfeld herauslöse und diese dann wiederum auf
isolierte Merkmale des kindlichen Verhaltens beziehe. Der Nachteil dieses
Verfahrens zeige sich im Kulturvergleich: ein Zusammenhang, der innerhalb
der einen Kultur gültig ist, ist es für die andere nicht.
[062:13] Bronfenbrenner
folgert daraus seinen Forschungsvorschlag: Man solle künftig stärker
»die Struktur der
alltäglichen Umwelt und ihrer wichtigsten Bestimmungsgrößen unter
die Lupe nehmen«
14
14U.
Bronfenbrenner, a. a. O. (1976), S. 203.
. Das bedeutet zunächst nichts anderes, als daß wir den Begriff
»Struktur der
alltäglichen Umwelt«
genauer bestimmen müssen: Was gehört dazu,
damit man sagen kann, es bilde eine
»Struktur«
, und von
welchen derart bestimmten Strukturen oder Strukturelementen ist sinnvoll, d.
h. vorerst nur heuristisch, anzunehmen, daß sie für den Bildungsprozeß des
Kindes von Bedeutung sind?
[062:14] Bronfenbrenner
schlägt nun – als ersten Schritt in dieser Richtung – eine Klassifikation in
drei Umweltschichten und drei Dimensionen vor. Seine Dimensionen
sind:
–
[062:15]
»die Personen mit ihren verschiedenen Rollen und
Beziehungen«
,
–
[062:16] die Lebensverhältnisse
»nach ihrer räumlichen und
stofflichen Anordnung«
,
–
[062:17]
»die Tätigkeiten, die Personen ausüben«
.
[062:18] Seine Schichten sind:
–
[062:19]
»die unmittelbare
Umgebung«
,
–
[062:20] die Bedingungen dieser Umgebung in der Form von Interaktionen und
»sozialen Netzwerken«
,
–
[062:21] das
»ideologische System«
oder – wie ich sagen möchte – das System dominanter
gesellschaftlicher Verkehrsformen.
[062:22] Bronfenbrenner will
damit – wenn ich recht sehe – zweierlei vorschlagen: Im Hinblick auf die
Gegenstände pädagogischer Forschung lenkt er den Blick zwar
nicht von den Individuen weg, aber konzentriert ihn ebenso auf die
»Strukturen«
der Lebenswelt; nicht auf einzelne
isolierte Merkmale, sondern auf die in ihr enthaltenen Regeln; im Hinblick
auf die Methodologie pädagogischer Forschung will er soziale
»Settings«
, wie im Experiment, variieren, und zwar
vorzugsweise dadurch, daß diejenigen
»natürlichen«
Settings beobachtet werden, die dem Bildungsalltag des Kindes seine Form
geben, sei es im Bezug auf die gegenwärtigen pädagogisch relevanten
Umwelten, sei es mit Bezug auf den historischen Vergleich.
[062:23] Dies ist – ich wies schon darauf hin – kein ganz neues Thema.
Wenngleich in anderer Terminologie vorgetragen, steckt der Gedanke, den
Bildungsprozeß mit Hilfe der Regeln zu beschreiben, denen die
Interaktions-Netze folgen, in denen das sich bildende Individuum sich
bewegt, bereits in dem schon zitierten Werk von N. Elias. Er untersucht dort die Frage, wie es in der
Zeit seit dem Mittelalter zu demjenigen Verhaltenstypus gekommen ist, der
für uns heute als der
»zivilisierte«
die Regel ist. Er
bezeichnet sein Unternehmen als Darstellung der Soziogenese
zwischenmenschlichen Verhaltens. Sein Verfahren besteht darin, daß er über
den ihn interessierenden Zeitraum hinweg mikro- und makrosoziale
Beobachtungen miteinander vergleicht: beispielsweise die Entstehung des
Geldverkehrs, der feudalen Administration, der Konzentration der politischen
Macht – mit den Eigentümlichkeiten des persönlichen Verhaltens der Menschen
zueinander (allmählicher Rückgang spontaner aggressiver Verhaltensweisen,
»Zivili|a 244|sierung«
der Tischsitten,
rational gesteuerter Umgang mit Kindern usw.). Es geht also um die
Darstellung von
»Lebensformen«
, der dem Individuum im
Bildungsprozeß vorgegebenen Muster für ihre Beziehungen. Von
»Lebenformen«
spricht denn auch W. Flitner; bei deren Geschichte handelt es sich
[062:24]
»um die Ansprüche, welche die
Menschen im Zusammenleben an ihr Verhalten zueinander und dann auch
an sich selber stellen ... die minimale Erfüllung von
Verhaltensregeln, die man in jedem Lebenskreis voneinander heischt
... um die Verhaltensweisen, die im zwischenmenschlichen Verkehr als
selbstverständlich gelten«
15
15
W. Flitner: Die Geschichte der
abendländischen Lebensformen, München 1967, S. 10
(Neuauflage des Buches in Anm.
1).
.
[062:25] Wiederum ähnlich, wenn auch in der methodischen Durchführung
verschieden von Elias und
Flitner, ist Ph. Aries
»Geschichte der Kindheit«
. Er beschreibt die
Wandlung im Umgang zwischen Erwachsenen und Kindern im Kontext spezifisch
pädagogischer Umwelten, vor allem Familie und Schule. Er kommt dabei zu dem
Ergebnis, daß die pädagogischen Interaktionsmuster, die sich in der neuesten
Zeit durchgesetzt haben, nicht etwa als Fortschritt der
»Zivilisation«
zu begrüßen sind, sondern durch sie dem Kinde gerade
mehr Gewalt, wenn auch psychische, angetan wird. Der amerikanische
Psychoanalytiker De Mausse wiederum hat eine Psychogenese des Umgangs von Eltern
mit Kindern skizziert, die sich nach der Klassifikation Bronfenbrenners ganz auf die mikrosoziale Schicht konzentriert16
16L. De Mause, a. a. O. (vergl. Anm. 9).
. Aufgrund eines breiten
Quellenstudiums und detaillierter Interpretation von zeitgenössischen Texten
kommt er zu der evolutionistischen These, daß die
»zivilisierte«
Interaktionsstruktur zwischen Eltern und Kindern durch
eine Art Akkumulation psychologischer Erfahrung über die Generationen hinweg
entstanden sei: Da jede Generation gleichsam zweimal durch den Engpaß der
Kindheit hindurch muß, zunächst in der unmittelbar eigenen Erfahrung als
Kind und dann als Mutter oder Vater in der Erinnerung an die eigenen
Erfahrungen angesichts des eigenen Kindes, entsteht eine immer
differenziertere Form dessen, was in der Sprache G. H. Meads
»role-taking«
heißt; ein Interaktionsmuster, für das das
Sich-hinein-Versetzen in die Perspektive des anderen wesentlicher
Bestandteil ist.
[062:26] Bei aller Verschiedenheit der Thematik und Methodik steckt in
solchen Untersuchungen doch eine gemeinsame Frage. Man kann es so
formulieren: Lassen sich – gleichsam unterhalb von pädagogischer
Absichtlichkeit – Interaktionen ermitteln, die dem Bildungsprozeß der
Individuen ihre gesellschaftlich bestimmte Form geben; welche Gründe und
Ursachen haben diese Muster; welche Funktionen erfüllen sie; welche
praktischen Fragen werden dadurch aufgeworfen, daß man sie ermittelt? Im
Folgenden möchte ich einen Vorschlag für die Bearbeitung der ersten dieser
Fragen machen.
Dimensionen der Beschreibung bildungsrelevanter Interaktionsmuster
[062:27] Die von mir ins Auge gefaßte
»Dimensionierung«
von Interaktionsmustern – man könnte auch sagen: die Klassifikation
relevanter Komponenten eines solchen Musters – ist hypothetisch in
doppeltem Sinne: einerseits ist es noch ungewiß, ob die Anwendung dieser
Beschreibungsdimension tatsächlich konsistente und relevante Ergebnisse
erbringt über ihre bloße Plausibilität hinaus; anderer|a 245|seits ist die Wahl der Dimensionen noch nicht zwingend begründet17
17Ein wenigstens partieller
Begründungsversuch liegt vor bei M.
Parmentier: Die Struktur der kindlichen Interaktion, Diss. Göttingen
1978.
; auch sie kann sich also vorerst nur auf
Plausibilität berufen. Kurzum: Mein Vorschlag umfaßt eine Unterscheidung der
folgenden
»Schemata«
als
Dimensionen der Beschreibung typischer pädagogischer Interaktionen:
–
[062:28] das Klassifikationsschema,
–
[062:29] das Raumschema,
–
[062:30] das Zeitschema,
–
[062:31] das Werkzeugschema,
–
[062:32] das Interpunktionsschema.
[062:33] Dieser Wahl liegt folgende Überlegung zugrunde: Blicken wir auf
die frühen Phasen des Bildungsprozesses – und zwar gleichviel ob er sich in
der Gegenwart, zur Zeit Pestalozzis oder zur Zeit des Erasmus abspielt – dann scheint es,
als gäbe es eine prinzipiell begrenzte Klasse von Grundentscheidungen, die
geschichtlich teils bereits getroffen sind, die anderenteils zunächst der
Edukator, später auch der Edukandus zu treffen hat im Hinblick auf die
gesellschaftliche Form von dessen Bildung: Die Welt ist immer schon
»geordnet«
, mindestens durch den lexikalischen Bestand
der Sprache (Klassifikation); sie hat aber auch in Raum und Zeit eine
bestimmte Form; für das Kind und seine dingliche Erfahrung gibt es oder gibt
es nicht
»Sachen«
und
»Werkzeuge«
, mit
denen es umgeht und die eine bedeutungsvolle Beziehung sowohl zur Welt wie
auch zum Ich haben; zwischenmenschliche Beziehungen orientieren sich an
Zuschreibungsregeln, in denen Anfang und Ende, Ursache und Folge, Schuld und
Unschuld bestimmt werden (Interpunktion); schließlich enthält der
Bildungsprozeß Antizipationen im Hinblick auf den Wert des Erworbenen im
Rahmen des gesellschaftlichen Zusammenhangs, für die Sicherung der
materiellen Existenz. Dieser Katalog von Dimensionen ist gewiß nicht
vollständig; einerseits erfaßt er weder die affektiven Merkmale
pädagogischer Beziehungen, noch die ethische Dimension pädagogischen
Handelns; andererseits bezieht er sich nur auf eine mittlere Schicht
zwischen Individuum und Gesellschaft, zwischen pädagogischem Mikro- und
gesellschaftlichem Makrosystem. Das soll nun an den einzelnen
»Schemata«
erläutert werden.
1.Das Klassifikationsschema
[062:34] Eine der elementaren Operationen bei der
»Konstruktion der Wirklichkeit«
ist das Klassifizieren.
Levi-Strauss hat diesen Gesichtspunkt bei der Analyse primitiver Kulturen, Foucault bei der Analyse von
Wissensstrukturen der Neuzeit relativ erfolgreich angewandt. Für die
pädagogische Interaktion läßt sich das folgendermaßen erläutern:
[062:35] Grundbestandteil jeder Interaktion sind Ordnungen, die im
Hinblick auf die Objekt- und Sozialwelt vorgenommen werden und die
zugleich die Bedingungen der Möglichkeit darstellen, Probleme zu
formulieren, Handlungen zu planen, definierte Beziehungen aufzunehmen
usw. Ein Beispiel dafür sind die Klassifikationen, die im Hinblick auf
Lebensalter jeweils in Geltung sind. Wir haben uns an die
gesellschaftlich eingespielten Altersklassifikationen derart gewöhnt,
daß bis|a 246|weilen der Anschein erweckt wird, es
handele sich dabei um gleichsam in der Natur des Menschen liegende
Sachverhalte: Frühe Kindheit, Vorschulalter, Kindheit bis zur Pubertät,
Adoleszenz. Noch bis ins 17. Jh. hinein waren Klassifikationen dieser
Art weniger dominant. Den Altersklassifikationen nebengeordnet waren
solche, die den sozialen Status und die Integration in den Arbeitsprozeß
betrafen. Anschauliche Dokumente dafür sind alte bildliche
Darstellungen. Die Kinder sind den Dienstboten gleich, man kann häufig
nicht erkennen, um wen von beiden es sich handelt. Es ist einleuchtend,
daß eine solche Art der Klassifikation unmittelbar relevant für das
pädagogische Handeln, die Interaktion mit den Kindern, ist. Spätestens
mit der konsequenten staatlichen Schulpolitik gibt es innerhalb der
Altersdimensionen die folgenreiche feinere Klassifikation nach
Jahrgängen. Auch in anderen Hinsichten müssen wir mit historischen und
kulturellen Variationen der Klassifikationsschemata rechnen. Häufig
diskutiert und offenbar auch innerhalb einer Kultur in gewissen Grenzen
variabel sind die Definitionen des gewünschten, gebilligten und
mißbilligten Verhaltens; ihnen liegen vermutlich die
»stabileren«
Unterscheidungen von
»normal«
und
»anormal«
zugrunde18
18Vergl. G. Devereux: Normal und Anormal, Frankfurt
1974.
. Wie stark sind die Grenzen, die zwischen diesen Klassen gezogen werden19
19Einen
ähnlichen Gedanken verfolgt B.
Bernstein: Beiträge zu einer Theorie des pädagogischen
Prozesses, Frankfurt 1977.
, und mit welchen
anderen werden sie assoziiert, wann finden sie vornehmlich pädagogische
Anwendung, in welchen Lebensaltern, in welchen Situationen? Gibt es in
einer bestimmten historischen Lage überhaupt die Klasse
»pädagogische Situationen«
usw. Ich denke mir, daß es für bestimmte historische Texte und Kontexte20
20Damit ist freilich nicht nur
Geschriebenes gemeint. Als Text bezeichne ich – dem ursprünglichen
Wortsinne nach – alles, was als verstehbarer Zusammenhang der
Beobachtung und Deutung zugänglich ist. Auch die
»stumme«
Spielhandlung eines Kindes ist demnach ein
pädagogischer
»Text«
.
möglich sein müsse,
das grundlegende und relativ stabile Raster von Klassifikationen zu
ermitteln, das die elementare Herausforderung an jeden Bildungsprozeß
darstellt.
2.Das Raumschema
[062:36] Die Konzentration der erziehungswissenschaftlichen Aufmerksamkeit auf die pädagogisch-intentionale Handlung, ihre psychischen Implikationen und die sozialen Formen ihrer Institutionalisierung hat die Frage nach der Bedeutung des gebauten Raumes für den Bildungsprozeß zurücktreten oder gar nicht erst aufkommen lassen. Eine Architekturgeschichte in pädagogischer Absicht ist – soviel ich weiß – noch nicht geschrieben worden20a
20aEinen materialreichen Anfang hat
gemacht H. Lange: Schulbau und
Schulverfassung der frühen Neuzeit, Weinheim/Berlin
1967.
. Dabei liegt es nahe anzunehmen, daß das
räumliche
»Setting«
nicht nur Ausdruck architektonischen Willens, ökonomischer Kalkulationen, von Nützlichkeitserwägungen oder Herrschaftsinteressen ist, sondern daß in ihr Lebensformen gleichsam vorstrukturiert, Bedeutungen festgelegt, Interaktionstypen reguliert werden. Ich möchte das an einem speziellen Fall erläutern: den Wohnungsgrundrissen21
21Vergl. beispielsweise St. Baumeier: Das Bürgerhaus in
Warendorf. Ein volkskundlicher Beitrag zur Geschichte des
Profanbaus in Westfalen, Münster 1974.
. Um 1600
dominierte ein Wohnungs- oder Haustyp, der nur ein Minimum an innerer
Gliederung enthielt. Essen, Arbeiten und Geselligkeit fanden im gleichen
Raum statt, sehr häufig sogar das Schlafen. Die Raumaufteilung folgte,
so könnte man mit einem von Bernstein zur Beschreibung didaktischer Planungen
verwendeten Begriff sagen, einem
»Integration Code«
: Lebensfunktion und Interaktionsstile wurden
nicht getrennt, sondern auch räumlich zu einer Sinn-Einheit verbunden.
Das entspricht wirtschaftsgeschichtlich einem noch geringen Grad der
Arbeitsteilung und interaktionsgeschichtlich einem geringen Grad der
Differenzierung in verschiedene |a 247|institutionell
gestützte Stile oder Segmente des interpersonalen Handelns. In der
Folgezeit beginnen die Leute, ihre Häuser umzubauen, ein Prozeß, der
gegen Ende des 18. Jh. im wesentlichen abgeschlossen ist: Es entsteht
eine Art Teilung der Lebensfunktionen, eine analytische Aufgliederung in
Interaktionstypen, was sich darin ausdrückt, daß funktionsgerechte Räume
eingerichtet werden für das Schlafen, das Arbeiten, den Feierabend
(Wohnstube), das Kochen und Essen. Die alte Halle, der Saal oder die
Diele werden immer kleiner, schrumpfen zum Flur, der nur noch
Verteiler-Funktion hat. Das letzte Glied in der Kette ist das
Kinderzimmer. Dieser Entwicklung parallel verläuft die Geschichte der
Konstruktion von Lernräumen, deren Prinzip – wenigstens eine Zeit lang –
der Korridor und seine Verteilerfunktion, die Zerlegung und Sortierung
des homo educandus zu sein scheint22
22Quellenmaterial zu
dieser Frage findet sich bei K.
Rutschky, a. a. O.; M. Foucault interpretiert diesen
Sachverhalt vor allem im dritten Kapitel des Buches
Ȇberwachen und
Strafen«
.
.
3.Das Zeitschema
[062:37] Auch die Art, in der
»Zeit«
zu einer
strukturierenden Komponente von Interaktionen wird, ist veränderlich. Am
ehesten plausibel wird diese Tatsache, wenn man sich vergegenwärtigt,
was sich im Verlauf der Neuzeit in den pädagogischen Verhältnissen
dadurch geändert hat, daß die Erziehungs- und Bildungsvollzüge im Sinne
eines
»mechanischen Zeitschemas«
strukturiert wurden.
Auch an diesen Umstand haben wir uns offenbar derart gewöhnt, daß er in
der pädagogischen Forschung kaum noch zum Thema gemacht wird: wir
definieren – unabhängig von den subjektiv bestimmten Lernrhythmen –
Lern- und Interaktionseinheiten in Zeitintervallen: Schulstunden und -Jahre, biographische Lernphasen mit jeweils zugeordneten Leistungen,
sogar Therapiestunden mit festgesetzter Länge und dies offenbar in
Analogie zu den Prinzipien, denen auch die Zeitschemata der
industriellen Produktion folgen. Daß dies nicht nur eine Bedingung,
sondern auch ein Merkmal von Interaktionen selbst ist, scheint mir
einleuchtend: Zur
»Situationsdefinition«
– um einem Terminus des symbolischen Interaktionismus zu verwenden – und
damit zur Strukturierung einer interpersonalen Beziehung gehört es,
einerseits
»innere Zeit«
zu realisieren, d. h. den
Verlauf der Interaktion als Prozeß zu erfahren und zu gestalten –
andererseits aber auch
»äußere Zeit«
zu antizipieren
und in der Interaktion zur Geltung zu bringen. Wie dicht dies mit den
alltäglichen Lebensformen und ökonomischen Komponenten zusammenhängt,
möchte ich an einem historischen Beispiel erläutern:
[062:38] Zwischen dem 16. und dem 18. Jahrhundert gab es eine bestimmte Gruppe von Gewerbetreibenden, die immer wieder dem gleichen Strukturproblem ausgesetzt war: Ländliche Familien, die sich von Hausindustrie ernähren mußten. Die Bedingung dieser Nötigung lag einerseits im makrosozialen Bereich: im Entstehen einer zahlreichen, permanent unterbeschäftigten, kleinbürgerlichen und landarmen Schicht23
23H. Medick: Zur strukturellen Funktion
von Haushalt und Familie im Übergang von der traditionellen
Agrargesellschaft zum industriellen Kapitalismus: die
proto-industrielle Familienwirtschaft, in: W. Conze (Hg.):
Sozialgeschichte der Familie in der Neuzeit Europas, Stuttgart
1976. Die folgenden Ausführungen schließen eng an diesen
Aufsatz an.
und in der Ausdehnung des vom Handelskapital
beherrschten Weltmarktes. Andererseits lebten diese Familien – und das
ist ein mikrosoziales Datum – von Hausindustrie, die an die
Dynamik oder Eigengesetzlichkeit von Haushalt und Familie
gebunden war. Im Hinblick auf diese Gruppe und mit Bezug auf das Problem
der Zeitstruktur von Interaktionen scheint mir nun die folgende
Beobachtung von Historikern interessant zu sein: Diese Familien – |a 248|gleichsam auf der Grenze zwischen agrarischer
und industrieller Produktion, vorkapitalistischen und kapitalistischen
Verhältnissen angesiedelt – verhalten sich auf eigentümliche Weise
»unökonomisch«
; ihre ökonomische Ratio ist nicht am
Gewinn, sondern an einer Arbeit-Konsum-Balance orientiert. Obwohl vom
Kapitalmarkt abhängig, verhalten sie sich familienwirtschaftlich: Sinken
die Erträge der Familienwirtschaft, so steigert diese ihren
Arbeitsaufwand, und zwar prinzipiell unbegrenzt. Mit Bezug auf das
Problem der Zeitschemata ausgedrückt, könnte man sagen: diese Familien
geraten in Konflikt zwischen einem Zeitschemata, das nach den Rhythmen von Arbeit und Verbrauch,
ausschließlich nach dem Kontext der eigenen Lebenswelt, bestimmt ist und
einem Zeitschema, daß sich aus der Tatsache ergibt, daß die Arbeitskraft
und ihre Verausgabung in Relation zu Zeiteinheiten beginnt,
Warencharakter anzunehmen. Auf dieses Dilemma reagieren die Familien mit
vermehrter Kinderzahl; die Kinder wiederum, da für sie im Unterschied
vielleicht zu ihren Vorfahren Erbfolge in nennenswertem Ausmaß nicht
mehr in Frage kam, heirateten wesentlich früher als Bürger und Bauern.
Die wertvollste, weil die relative Haushaltsgröße, d. h. das Verhältnis
von Produzenten zu Konsumenten verbessernde Mitgift der Frauen war ihre
handwerkliche Fähigkeit, die Folge professionelle Endogamie. Eine andere
Folge war die relativ frühe Einführung der Kinder in die
Produktionstechniken. Der Zeit-Zyklus einer Familie bekommt auf diese
Weise eine eigentümliche Struktur: Mit der Geburt der Kinder wird die
Familie arm, die Anstrengung richtet sich auf die Ausbildung in den
produktiven Fertigkeiten; mit dem Heranwachsen der Kinder wird die
Familie reich, die Kinder projektieren eigene Familiengründung; die
Eltern werden wiederum arm; das erzeugt einen weiteren Effekt: die
Erweiterung des Haushalts um familienfremde Mitglieder. Es läßt sich
denken, daß dieser der Familie durch ihre Produktionssituation
aufgenötigte Zyklus nicht nur das gleichsam äußere Zeitschema darstellt,
in dem die Rhythmen für Geburt und Heirat, Phasen der Knappheit und des
(relativen) Wohlstandes vorgezeichnet sind, sondern auch Bedeutung für
die Interaktionen im familialen Binnenraum für das Lernmilieu des Kindes
hat. Für die Mikro-Ebene beispielsweise läßt sich vermuten, daß solche
Zeitschemata auch den Rhythmus von Bedürfnis und Befriedigung und damit
die Interaktion zwischen Mutter und Kind regulieren. Daß dies wiederum
folgenreich für die Form der individuellen Bildung sein kann, hat die
Sozialisationsforschung am Beispiel des
»Deferred Gratification-Pattern«
plausibel machen können24
24Die
unterschiedliche Ausprägung dieses Musters in Abhängigkeit von der
sozialen Situation oder Position verweist vermutlich nicht nur auf
das mikro-pädagogische Datum verschiedener Umgangstechniken in der
unmittelbaren Beziehung zwischen Eltern und Kindern, sondern auch
auf verschiedene kulturspezifische Zeitschemata der Handlungs- und
Lebensorientierung überhaupt. Vergl.
dazu G. Kasakos: Zeitperspektive, Planungsverhalten und
Sozialisation, München 1971.
.
4.Das Werkzeugschema
[062:39] Jede Interaktion enthält etwas, das ich ihre
»Instrumentierung«
nennen möchte. In der gegenwärtigen
Interaktionsforschung analysieren wir für gewöhnlich sprachliche
Vorgänge. Das ist auch naheliegend in einem kulturellen Kontext, der
jene eigentümlichen pädagogischen Institutionen hervorgebracht hat, die
nicht nur durch ihre Vorläufigkeit im Bezug auf den
»Ernst des Lebens«
sich
auszeichnen, sondern geradezu definiert werden können durch die ihnen
eigenen pädagogischen Sprachspiele. Obwohl also die Interaktionsanalyse
als Analyse von Sprechakten oder – nach Maßgabe anderer theoretischer
Positionen – symboli|a 249|scher Kommunikation o. ä.
gewiß ihre Berechtigung hat, könnte es doch ein Fehler sein, wenn
dadurch unsere Aufmerksamkeit von den anderen möglichen
»Instrumentierungen«
der Interaktionen von Kindern ganz abgelenkt würde, zumal eine solche Beschränkung einen Kultur- oder Ethnozentrismus enthalten könnte, der die kritische Distanz zu dem, was wir selber sind und tun, erschwert. In diesen Zusammenhang gehört, daß bei uns Geschichte der Pädagogik nahezu ausschließlich als Geschichte ihrer Texte, nicht aber auch als Geschichte ihrer Bilder geschrieben wird.
25Neuerdings deutet sich da eine
Wende an. Man merkt es daran, daß immer mehr wissenschaftliche
Veröffentlichungen zu pädagogischen Fragen auch bebildert sind,
wenngleich noch spärlich und ohne daß die Bilder selbst zum
Gegenstand der Interpretation gemacht werden.
Blättert man in
alten bildlichen Darstellungen pädagogischer Situationen – aber
eigentlich genügte schon eine aufmerksame Beobachtung von Kindern beim
Spiel – dann scheint der folgende Gedanke sinnvoll: Die Interaktionen
zwischen Erwachsenen und Kindern, zwischen Kindern untereinander
enthalten eine Vielzahl verschiedenartiger Werkzeuge, mit deren Hilfe
Interaktion bewerkstelligt wird; die Sprache ist nur eines von ihnen;
andere sind die Körpergesten, die Werkzeuge der Tätigkeit Erwachsener
(Hammer und Spinnrad, Webstuhl und Kugelschreiber, Papier und Farbe
usw.), die alten Spielgeräte (wie Ball und Reifen) die pädagogisch
erdachten Gegenstände (wie Puppenstuben, Baukästen, Lernspiele), die
Möbel unserer oder früherer Wohnungen (Badezuber oder Wanne, Tische,
Stühle und Betten), die pädagogischen Apparate (Schulbank, Tafel,
Sprachlabor).
[062:40] Auf Anhieb mag es schwer fallen, in diese Vielfalt eine Ordnung zu bringen, in ihr so etwas wie eine Regel zu entdecken26
26M. Parmentier (a. a. O., Anm. 17) hat einen Versuch dazu in
Anlehnung an die Zeichentheorie U. Ecos unternommen. Er klassifiziert die
»Instrumente«
pädagogischer Interaktion
danach, ob sie
»präsentierend«
oder
»repräsentierend«
und danch, ob sie
»digital«
oder
»analog«
sind. Auf diese Weise erhält er 4 Klassen, von denen
jede eine besondere pädagogische Funktion erfüllt (S.
146 ff.).
. Mir scheinen indessen
doch die folgenden Vermutungen plausibel: Es macht einen wesentlichen
Unterschied im
»objektiven Sinn«
einer Interaktion27
27Zum Terminus
»objektiver Sinn«
vergl. U. Oevermann, a. a. O.
(Anm. 6).
, ob in ihr
symbolische (z.B. sprachliche) oder Tätigkeiten bezeichnende (z. B. die
Geräte des täglichen Hantierens) Werkzeuge dominieren; es macht ferner
einen vielleicht wesentlichen Unterschied, ob die Instrumentierung der
pädagogischen Interaktion vorwiegend über die unmittelbare Teilhabe an
dem Leben der Erwachsenen verläuft oder von diesem separiert wird und
eigenen Konstruktionsregeln folgt; es macht schließlich – so vermute ich
– einen wesentlichen Unterschied, ob die pädagogische Instrumentierung
dem Prinzip einer weiteren Differenzierung nach Lernarten, Lernzielen
und zu trainierenden psychischen Fähigkeiten folgt oder ob sie solche
Ausbildung der Individualität den möglichen Regulierungen im Lebensfeld
des Kindes überläßt. Es könnte sein, daß die kulturspezifischen, und je
sicher auch für die Gesellschaftsformation im Ganzen funktionalen
Ausprägungen bestimmter Werkzeugschemata pädagogischer Interaktion mehr
über die gesellschaftliche Form eines Bildungsprozesses zu erkennen
geben, als die nur auf symbolische Gesten konzentrierte
Interaktionsanalyse.
5.Interpunktionsschemata
[062:41] Bei den vielen Versuchen der letzten Jahre, die Theorie
menschlicher Kommunikation Watzlawicks für die Pädagogik nutzbar zu machen, war – im
Vergleich zu den anderen
»Axiomen«
dieser Theorie –
seltener von dem die Rede, was die
»Interpunktion«
zwischenmenschlicher Beziehungen genannt wird28
28P. Watzlawick/I. H. Beavin/D. D. Jackson: Menschliche Kommunikation,
Bern 1969, S. 61
ff.
. Ich nehme gerade dieses
Axiom in meinen Gedankengang auf, weil es mir besser als die anderen
geeignet scheint, sowohl Merkmale der Umwelt als auch kognitive Merk|a 250|male der individuellen Handlungsplanung
hervorzuheben. Unter
»Interpunktion«
möchte ich, im
Anschluß an Watzlawick,
solche Kausalattributierungen verstehen, die sich auf die Erklärung von Interaktionen
beziehen. Solche Erklärungen werden zwar in besonderen praktischen
Situationen aktualisiert, aber sie entstammen – jedenfalls in der Regel
– nicht diesen Situationen. Sie repräsentieren vielmehr
situationsunabhängig und überindividuell geltende Schemata, gleichsam
kulturell gebilligte Deutungen menschlicher Handlungen.
[062:42] Dazu einige Beispiele: Die immer größere Verbreitung, die
gegenwärtig psychologisch-therapeutische und paratherapeutische
Verfahren in der Pädagogik finden, wird u. a. ermöglicht durch ein
»Interpunktionsschema«
, nach dem die Ursache für
Verhaltensprobleme und Interaktionsstörungen in bestimmten Merkmalen der
Psychogenese des Individuums gesehen wird; an diesen Merkmalen
orientieren sich die Interaktionen im therapeutischen Prozeß; aber nicht
nur diese: Da das Schema zum zuhandenen gesellschaftlichen Wissen
gehört, können solche Attributierungen auch in der alltäglichen Erziehungspraxis auftauchen.
Interpunktionsschemata können sich also danach unterscheiden, wo die
Bedingungen für den Verlauf einer Interaktion, die Quellen für eine
Störung lokalisiert werden: in den beteiligten Individuen, in externen
sozialen Variablen, in institutionalisierten Interaktionssystemen. Sie
können sich ferner danach unterscheiden, ob die an der Interaktion
Beteiligten Gründe für ihr Verhalten intentional geltend machen, oder ob
sie sich und ihre Partner als
»Opfer«
von
Determinationen interpretieren. Die Geschichte der Erziehung könnte so
als die Geschichte jeweils anderer die Erziehungsverhältnisse leitender
Interpunktionsschemata geschrieben werden. Unter welchen Bedingungen, zu
welchem Zweck und mit welchen Folgen entstand beispielsweise das heute
verbreitete Schema psychologischer Kausalattributierungen29
29Vergl. dazu D. Ulich/K. Haußer:
Methodologische Probleme bei der Untersuchung kognitiver
Kontrolle (Kausalattributierung und Coping), vervielfältigtes
Manuskript 1978.
; repräsentiert es – oder irgend ein anderes –
zugleich die Interpretationsgewalt von pädagogischen Institutionen; wie
verhalten sich Kinder und Jugendliche zu solchen Interpretationen;
variieren die herrschenden Schemata – beispielsweise in der Familie –
mit dem Alter der Kinder; wodurch behalten die Schemata ihre Geltung und
wie können sie verändert werden?
[062:43] Erwägungen dieser Art könnten den Eindruck erwecken, als seien
sie nur von akademischem Interesse, Theorie ohne praktische
Bedeutsamkeit, für das pädagogische Handeln keine Entscheidungshilfe.
Einige Beobachtungen aus jüngster Zeit lassen es mir indessen plausibel
erscheinen, daß dem nicht so ist: Jugendliche Subkulturen und
Wohngemeinschaften suchen nach neuen Interpunktionsschemata,
experimentieren mit religiösen Vorstellungen, lesen Castaneda und Tolkien, um andere in die
Zukunft hinein offenere Erklärungen zu finden. Neue Initiativen im
Beratungswesen, im Bereich der psychosozialen Versorgung versuchen, sich
von etablierten Klassifikationsschemata von gesund und krank, normal und
anormal zu trennen. Das ist der Sinn der Antipsychiatrie. Bei
Neugründungen von Kleinheimen und der Reform bestehender Einrichtungen,
gelegentlich auch in Schulen, beginnt die Suche nach neuen Raum- und Zeit- Schemata; hier, besonders aber auch in den Versuchen,
»Freie Schulen«
einzurichten, in der Waldorfpädagogik schon seit
langem, erleben wir darüber hinaus das praktische Experimentieren mit
Werkzeugschemata, die die gegenständliche Handlung des Kindes, seine
Beteiligung an den Tätigkeiten des Erwachsenen, die |a 251|Objektwelt, mit der es umgeht, ernster nehmen. Das alles
betrifft eine besondere Komponente der pädagogischen Handlung, ihr
eigentümlich zugehörend. In Anlehnung an Levi-Strauss möchte ich sagen: Erziehen ist
(auch) eine
»strukturale Tätigkeit«
. Was das heißen
und welche Fragen dann die Erziehungsforschung bearbeiten könnte, habe
ich versucht zu skizzieren. Ob ein solcher Weg indessen erfolgreich und
für die Praxis nützlich ist, steht freilich noch dahin.