I
[075:2] Ich weiß nicht, ob es eine wissenschaftliche Disziplin gibt, in
der so viel Worte gemacht werden über die Frage, ob es diese Disziplin
geben solle; und wenn ja, wie sie sich selbst verstehen solle; was sie
tun oder lassen müsse; wie sie das betreiben solle, was sie treibt;
welches ihre Grundbegriffe zu sein hätten und auf welche Methoden sie
sich vorzugsweise stützen möge. Das alles wird in der Regel mit dem
Etikett
„Wissenschaftstheorie der Pädagogik“
oder
auch
„Wissenschaftslogik“
oder
„Methodologie“
versehen; und die Zahl derer, die sich an solcher
Übung beteiligen, ist beträchtlich. Das hat inzwischen schon die
Examensarbeiten der Studenten dieser Disziplin erreicht: Da werden
zunächst einmal programmatische Erklärungen abgegeben, sogenannte
„Erkenntnisinteressen“
formuliert; da grenzt man
sich ab und ordnet sich zu; oder es werden wissenschaftstheoretische
Positionen
„aufgearbeitet“
– was häufig, und nicht
nur in Examensarbeiten, wenig mehr bedeutet, als Etikettierungen und
Umetikettierungen, die rasche Subsumtion von Fällen unter
Klassifikationen, die für
„bewährt“
gehalten werden.
Die Gründe für solche Übungen will ich nicht den Studenten zurechnen.
Wir, die Lehrenden dieses Faches, haben es ihnen vorgemacht; jedenfalls
häufiger als gut war. An Empfehlungen, wie unsere Disziplin zu betreiben
sei, gelegentlich auch an dogmatischen, herrscht kein Mangel.
[075:3] Für die Forschungspraxis sind derartige Veranstaltungen denn
auch in der Regel – wenn ich recht sehe – relativ erfolglos geblieben.
Ich werde den Eindruck nicht los, daß wissenschaftstheoretische
Programmatiken in unserem Fach eher der nachträglichen Rechtfertigung
vorgängiger Forschungsinteressen dienen, nicht aber Forschung möglich
machen, normieren oder modifizieren. Handlungsforscher und
Begleitforscher brauchen nicht den Aufwand an Exegesen der
„Kritischen Theorie“
, um ihre Interessen zu
verfolgen und ihre Sache gut zu machen;
„klassische“
Empiriker können die Ratschläge der Präzeptoren |a 253|des
„Kritischen Rationalismus“
ganz gut entbehren,
sofern sie nur die Gütekriterien der Forschung gebührend
berücksichtigen. Zum Zwecke der Immunisierung gegen Einwände erweisen
sich allerdings solche Hintergründe als nützlich: Wer sich
beispielsweise auf den Kritischen Rationalismus beruft, kann sich für
die an ihn gerichteten praktischen Fragen (im Unterschied zu
technischen) als unzuständig erklären und sie (beispielsweise) In den
Bereich einer Moralphilosophie der Erziehung (was ist das und nach
welchen Regeln argumentiert sie?) verweisen. Wer sich auf die Kritische
Theorie beruft, glaubt sich gelegentlich entlastet von den heiklen
Begründungen im Hinblick auf Repräsentanz und Objektivierbarkeit seiner
Verfahren – so als sei der Hinweis auf praktische Interessen, auf die
„Bedürfnisse der Betroffenen“
, auf
„emanzipatorische“
Orientierungen schon Begründung genug.
Demgegenüber vollzog sich der Erkenntnisfortschritt und der
Wissenszuwachs der Pädagogik in den unzähligen Einzeluntersuchungen
relativ unabhängig vom Streit um die rechte wissenschaftstheoretische
Begründung, unabhängig auch von der Legitimation, um die sich die
Autoren solcher Untersuchungen bisweilen jeweils bemühten, jedenfalls
aber unabhängig von den häufig abstrakt – ohne Bezug auf diese oder jene
bestimmte pädagogische Problemstellung – vorgenommenen
Grundsatzüberlegungen.
[075:4] Vermutlich hat diese Diskontinuität zwischen der Gestalt und
den Ergebnissen der pädagogischen Forschung einerseits und den Theorien
über solche Forschung andererseits etwas zu tun mit der Tatsache, daß
die Pädagogik in den letzten zwei Jahrzehnten allzu häufig sich in
Zugzwang fühlte, im Vergleich zu den benachbarten Wissenschaften und zum
internationalen Standard der Bildungs- und Erziehungsforschung. Das
hatte zunächst, angesichts des Defizits an empirischer
Erziehungsforschung bei uns, einen guten Sinn. Wohl niemand wird heute
mehr bestreiten, daß die Aneignung des erfahrungswissenschaftlichen
Instrumentariums zu einer sinnvollen Bereicherung des pädagogischen
Wissenskorpus geführt hat. Über pädagogische Beziehungen,
Bildungsbarrieren, Lehrstrategien, Verhaltensstörungen,
Curriculum-Konstruktionen, Lernprozesse, soziale Bedingungen und
Funktionen pädagogischer Einrichtungen usw. läßt sich seitdem mit
besseren Gründen reden.
[075:5] Diese Bereicherung aber hat auch problematische Aspekte. Die
wissenschaftsgeschichtliche Verspätung, mit der die Pädagogik sich zu
einer modernen Sozialwissenschaft zu entwickeln begann, erzeugte bei
ihren Vertretern auch den Eindruck, daß nicht nur im Bereich empirischen
Wissens, sondern auch im Bereich theoretischer Konstrukte vieles
nachzuholen sei. Andere Wissenschaften – so schien es – waren |a 254|immer schon einen oder mehrere Schritte weiter.
Die letzten zwanzig Jahre unserer Diskussionen lesen sich in Teilen
deshalb wie eine Kette immer neuer
„Rezeptionen“
,
allzu häufig mit der Hoffnung verbunden, nun erst werde die Pädagogik
„kritisch“
werden, ihre Thematik präzisieren können,
einen methodologisch befriedigenden Weg finden: Positivismusstreit,
Psychoanalyse, Interaktionismus, Labeling
Approach, Systemtheorie, Ethnomethodologie,
Strukturalismus, Theorie des Alltags usw.
III
[075:15] Das Gemeinsame jener drei vergeblichen Auswege – und es ließen
sich gewiß weitere hinzufügen, die in das gleiche oder ein ähnliches Dilemma
führen – liegt meines Erachtens in der Einstellung, die hier zum Gegenstand
der Erziehungswissenschaft eingenommen wird, besser noch: liegt in der Definition des Gegenstandes dieser Wissenschaft.
Autoren wie beispielsweise D .Benner, H.
Blankertz, J. Derbolav,
W. Eischer, A. Flitner, H. von
Hentig, W. Klafki, P.M. Roeder
haben das – freilich jeder auf eigene Weise – gesehen; die Faszination durch
die Objektkonstruktionen in Soziologie und Psychologie aber war anscheinend
zu groß, die Skepsis wurde häufig eher zögernd eingebracht, die herrschenden
szientistischen Paradigmen waren zu domi|a 258|nant.
Jedenfalls ist in der Rückschau auf die letzten 15 Jahre unserer
Wissenschaft doch wohl bemerkenswert, daß die Frage nach der Autonomie der
Pädagogik – und das soll hier heißen: die Frage nach einem eigentümlichen
Paradigma zur theoretischen Erschließung dessen, was Bildungs- und
Erziehungsprozesse ausmacht – nur noch verschämt gestellt wurde. Ich sehe
mehrere Versäumnisse:
[075:16] Blättert man in den Neuerscheinungen der letzten Jahre und der
großen pädagogischen Verlage, dann kann man den Eindruck gewinnen, daß in
unserer Wissenschaft sich Ähnliches vollzieht, wie in der jungen Generation
(die hat vielleicht noch Gründe dafür): der Verlust der Geschichte. Das gilt
– wenn ich recht sehe – für den größten Teil der Curriculum-Forschung und
Didaktik ebenso wie für die Theorie der Schule, besonders aber für den
Bereich der sogenannten Sozialpädagogik. Die Geschichte des pädagogischen
Denkens taucht allenfalls in
„Abrissen“
auf – aus zweiter
Hand, versteht sich; die Beteuerung, man berücksichtige den
historisch-gesellschaftlichen Kontext, ist zur Beschwörungsformel ohne
Kenntnis der Sache, der Historie nämlich, geschrumpft; was in der Geschichte
über Erziehung und Bildung gedacht wurde, darf ungestraft mit leichter Hand
einer Ideologie zugeschlagen, als spekulativ diskriminiert oder – wie im
Beitrag
Rössners in diesem Band – überhaupt ignoriert werden. Das
heißt aber nichts anderes als: das pädagogische Denken droht geschichtslos
zu werden; die Auseinandersetzung mit der Geschichte überläßt man denen, die
nach Maßgabe der wissenschaftlichen Arbeitsteilung dafür zuständig sind;
oder um es am Beispiel und sehr pointiert zu sagen: In den vielen
sozialpädagogischen Veröffentlichungen der letzten Jahre steckt in der Regel
wenig Ahnung von den historischen Forschungen beispielsweise Roeders,
Herrlitzs, Herrmanns,
Tietzes, Rösslers usw.; Sie machen sich ihre pädagogische Geschichte – wenn überhaupt: in
Kurzfassung – selbst oder verwenden Anleihen aus anderen Bereichen.
[075:17] Diese
„Anleihen“
sind gewiß unerläßlich, wenn
es sich um Sozialgeschichte der Erziehung handeln soll – und diese scheint
hier vor allem wichtig. Aber können wir darüber die Geschichte des
pädagogischen Denkens entbehren? Mir scheint, daß in diesem Fall die
Soziologie uns ein Beispiel geben kann. Der Fortschritt des Denkens, oder
meinethalben auch – mit Foucault zu sprechen – seine
diskontinuierlichen Brüche und Wendungen, vollzieht sich zwar auf dem Grunde
vieler und geschichtlich namenlos gewordener Einzelschritte, aber doch für
uns alle sichtbar im gründlichen Nachdenken Weniger. Es scheint mir deshalb einen guten Grund für sich zu haben, daß
in anspruchsvollen soziologischen Arbeiten der Rekurs auf einen begrenzten,
aber theo|a 259|retisch je charakteristischen Kanon von
Autoren nahezu selbstverständlich ist: Hobbes, Rousseau, Comte, Hegel, Marx, Simmerl, Weber (usw.).
[075:18] Diese immer erneuerte Auseinandersetzung hat einen historischen
und einen systematischen Sinn: Das Denken wird nicht unhistorisch-naiv und
stellt sich den Grundfragen, die so rasch sich nicht ändern, wie ein naives
Bewußtsein sich das vorstellen mag. Und wie steht es in der Pädagogik? Man
darf bei uns heute über Bedürfnisse, Selbsttätigkeit, Bildungsziele usw.
schreiben, ohne auch nur eine Zeile Rousseau, Pestalozzi oder
Schleiermacher gelesen zu haben; von Hegels Gymnasialreden, von Dilthey, S. Bernfeld, W. Flitner, Th. Litt will ich gar nicht erst reden; sie tauchen
allenfalls als Zitatbrocken auf. Historisches Bewußtsein glaubt zu haben,
wer sich einige Kurzformeln über den Verlauf der letzten hundert Jahre
angeeignet hat.
[075:19] Mit dem dünn gewordenen Kontakt zur Geschichte des pädagogischen
Handelns und Denkens hängt – so vermute ich – der drohende und allmähliche
Verlust eines begründbaren Begriffs von der Sache zusammen. Diese Hypothese
ist nicht leicht zu erhärten; mir scheinen indessen doch verschiedene
Beobachtungen dafür zu sprechen, sie wenigstens in Vorschlag zu bringen:
-
–
[075:20] In der erziehungswissenschaftlichen Literatur des letzten
Jahrzehnts – so scheint mir – wurde das, was einst Herbart
der Pädagogik nannte, zunehmend aufgegeben. Dieser Vorgang war
nicht sogleich zu bemerken, da es zunächst so schien, als würden die
„einheimischen Begriffe“
nur
erfahrungswissenschaftlich präzisiert: beispielsweise
„Bildsamkeit“
durch
„Lernfähigkeit“
,
„Bildungsprozeß“
durch
„Sozialisationsprozeß“
,
„pädagogisches
Handeln“
durch
„Lehr-Lern-Strategien“
usw.
-
–
[075:21] Der unbestreitbare Vorteil der erfahrungswissenschaftlichen
Präzisierung von Problemstellungen, die sich in solchen terminologischen
Verschiebungen ausdrückt, hatte aber doch wohl zur Folge, daß der
Begriff von der Sache
„Erziehung“
sich änderte. Zwei
Beobachtungen scheinen mir das anzuzeigen: einerseits haben wir ein erziehungswissenschaftliches Wissen
angesammelt (objektiv, reliabel, valide), das für durchschnittlich zu
erwartende Fälle gültig sein mag, das für die Lösung eines konkreten
pädagogischen Handlungsproblems angesichts eines einzelnen Falles – wenn
ich recht sehe – indessen wenig erbringt; das Wissen taugt eher für die
Organisation größerer institutioneller Settings, für die auf große
Fall-Zahlen abgestellte Planung, für die Randbedingungen des
pädagogischen Handelns. |a 260|Andererseits vermehrt sich das handlungsstrategische Wissen:
Kenntnisse also über Modelle oder Muster pädagogischen Handelns, die –
vom einzelnen Fall unabhängig – bestimmbaren Erfolg versprechen. In
beiden Fällen muß von der konkreten Lebenssituation, in der pädagogisch
gehandelt wird, abgesehen,
„abstrahiert“
werden.
-
–
[075:22] Mit diesem Wissenstypus hängen – auf eine hier nicht zu
explizierende Weise – einige Professionalisierungsprobleme zusammen.
Während nämlich die Erziehungswissenschaft (seit Herbart und Schleiermacher) sich aus der praktischen
Philosophie löste (jedenfalls in ihren dominanten Versionen) und sich in
ihren Problemstellungen und Methoden immer weiter von ihr entfernte,
entfaltete sie zugleich ihre heute herrschende Differenzierung und
Arbeitsteilung. Es hat mindestens den Anschein, als setze sich darin
gegenwärtig eine Klassifikation durch, die auf berufliche
Spezialisierung zielt. In dieser beruflichen Spezialisierung – eine
Komponente des Professionalierungsprozesses – treten an die Stelle der
„einheimischen Begriffe“
, die auf die Struktur
des pädagogischen Handelns bezogen sind, soche Begriffe und Wissensbestände, die der gesellschaftlichen
Sicherung von Berufsrollen dienen; das Erziehungssystem wird von
„Sozialingenieuren“
(vgl. das
Plädoyer für diese Entwicklung bei L. Rössner
in diesem Band) bevölkert und nach den entsprechenden
Berufssparten sektioniert: Lehrer der verschiedenen Schularten;
Erwachsenenbildner; Sozialpädagogen, diese wiederum spezialisiert –
möglichst schon in den Grundstudiengängen – nach Vorschulerziehern,
Heimerziehern, Gemeinwesen-Arbeitern, Jugend-Arbeitern usw.;
Freizeitpädagogen; Museumspädagogen; Entwicklungspädagogen;
Verhaltenstherapeuten, Gesprächstherapeuten, Gestalttherapeuten usw. usw.. An den therapeutischen Berufen – obschon am Rande der
Erziehungstätigkeit gelegen – wird besonders deutlich, daß eine solche
Entwicklung problematisch sein könnte: So droht beispielsweise in der
Heimerziehung und in der Beratungspraxis eine sowohl innere als auch
äußere Differenzierung nach therapeutischen Techniken, die die
pädagogischen Aufgaben nur noch als
„Restfunktionen“
übriglassen, als das alltägliche Geschäft der Gewöhnung der Kinder an
Ordnung und Stetigkeit.
[075:23] Dieses allmähliche Verblassen des Gegenstandes der
Erziehungswissenschaft und seine Auflösung in eine häufig unverbundene
Vielzahl besonderer Gegenstände in einem Spektrum zwischen Bildungsökonomie
und Therapie drückt sich, wie mir scheint, auch In der Methodologie aus. Ich
weiß nicht, ob die Behauptung übertrieben ist, daß es der|a 261|zeit noch keine eigentümlich pädagogische Methodologie gibt.
Die Einführungen in Forschungsmethoden für Pädagogen sind in der Regel
erfahrungswissenschaftliche Methoden-Lehren, die lediglich durch die Wahl
der Beispiele sich von anderen sozialwissenschaftlichen Methodenlehren
unterscheiden (von Gründlichkeit und Genauigkeit hier einmal abgesehen).
Vielleicht gibt es daran nichts zu beklagen; vielleicht waren die Anläufe
von W. Flitner vor 30 Jahren oder von Bittner/A. Flitner vor 10 Jahren schon damals
wissenschaftstheoretische
„Verspätungen“
; vielleicht ist
das Unbefriedigende meines eigenen Versuchs in dieser Richtung ebenfalls ein
Symptom der notwendigen Vergeblichkeit solcher
Bemühungen. Dennoch geben einige Beobachtungen aus jüngster Zeit zu
denken:
[075:24] Warum eigentlich hat die Handlungsforschung so viele Fürsprecher unter den Pädagogen
gefunden? War es wirklich nur ein schlecht reflektiertes praktisches
Interesse, ein Ausweichen vor der Mühe sorgfältiger empirischer Forschung,
ein kurzatmiger Solidarisierungs-Wunsch mit den
„Betroffenen“
? Spielte vielmehr nicht auch das Motiv eine Rolle, die
Methoden erziehungswissenschaftlicher Erkenntnis von der praktischen Gestalt
des Gegenstandes her zu begründen und zu entwickeln?
[075:25] Warum hat sich die Neigung, Erziehungs- und Unterrichtsforschung
als Interaktions- bzw. Kommunikations-Analyse zu
betreiben so rasch verbreitet? Liegt der Grund dafür nur darin, daß die
Konzentration auf das mikro-pädagogische Detail Entlastung von
gesellschaftstheoretischen und politischen Reflexionen verspricht; daß die
dafür zweckmäßigen Verfahren anspruchsvollere statistische Datenverarbeitung
überflüssig erscheinen lassen; daß sie ein praktisch relevantes Wissen
insofern erwarten lassen, als durch dieses Wissen die Selbstreflexion des
Erziehers/Lehrers gestützt werden könnte? Oder liegt ein Grund dafür nicht
auch in der Hoffnung, sich auf solchem Wege wieder der spezifischen
pädagogischen Thematik nähern zu können, eine Methodologie zu finden, die
dieser Thematik adäquat ist?
[075:26] Warum finden neuerdings ethnomethodologische und sogenannte
„Alltags-Theorien“
so bereitwillige Aufnahme in
der Pädagogik? Liegt das nur daran, daß eine gewisse Müdigkeit sich breit
macht, die gelegentlich vielleicht zu hoch gespannten Erwartungen an
„substanzielle“
sozialwissenschaftliche Theorien
(Rollen-Theorien, psychoanalytische Theorie, Lerntheorie, Devianztheorie
usw.) weiterzuverfolgen; liegt es daran, daß hier die Hoffnung entsteht, auf
diese Weise der Erziehungswissenschaft größere Praxis-Nähe zu sichern oder
ist ein Ausweg aus der eigenen normativen Schwäche, der Unsicherheit im
Hinblick auf die Begründbarkeit pädagogischer Forderungen, Aufgaben, Ziele
ge|a 262|sucht? Oder zeigt sich nicht auch hier der –
freilich noch nicht explizierte – Versuch, im Hinblick auf den Vorgefundenen
„alltäglichen“
, aber doch auch historisch
rekonstruierbaren Handlungszusammenhang pädagogischer Felder, die
Problemstellungen der Erziehung zu entwikkeln, und zwar gleichsam unterhalb derjenigen Konstrukte, die in der
Regel den empirischen Einzelwissenschaften entlehnt sind? Methodisch
bedeutet das beispielsweise: Favorisierung von Feldstudien und Fall-Analysen
– Verfahren also, die sich nach Auskunft vieler Methodenlehrbücher weniger
zur exakten Hypothesenprüfung eignen als vielmehr zum Finden von Hypothesen
(wenn sie nicht nur in illustrativer Absicht verwendet werden).