Ist ästhetische Bildung möglich? [Textfassung a]

Zusammenfassung

[100:1] Es scheint, als habe
ästhetische Bildung
gegenwärtig Konjunktur, und zwar weit über die Ränder einer Didaktik der Kunsterziehung hinaus. Im vorliegenden Aufsatz wird dieses Interesse positiv aufgegriffen und als Symptom unserer kulturgeschichtlichen Situation interpretiert. Hält man indessen an einer Kontinuität von Problemstellungen ästhetischer Bildung seit Schiller fest, dann ergeben sich, auf dem Niveau unserer Gegenwart und als wissenschaftliche Fragen, zunächst einige Schwierigkeiten: Was verdient heute den Namen
ästhetisches Urteil
? In welcher Weise ist dies auf innere, subjektive Empfindungen bezogen? Welche Rolle spielen ästhetische Symbole? Wie kann deren Bildungsbedeutung im Hinblick auf die Verschiedenheit der Sinne und ihrer Medien diskutiert werden? Derartige Fragen werden nicht beantwortet, vielmehr nur in einem ersten Zugang konturiert. Sie laufen vorerst auf die Frage hinaus, ob ästhetische Bildung/Erziehung in der Form differenzieller semiologischer Lehrgänge zu konzipieren sei oder als Reflexion ästhetischer Empfindungen/Tätigkeiten und ob die ästhetische Didaktik des Bauhauses nicht vielleicht eine Antwort vorgezeichnet habe.
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Ist ästhetische Bildung möglich?1
1Im folgenden Essay wären Anmerkungen an verschiedenen Stellen des Textes erforderlich gewesen, zumal um dessen Vorläufigkeit besser kenntlich und mögliche Mißverständnisse weniger wahrscheinlich zu machen. Ich merke deshalb hier summarisch an, was sonst über viele Fußnoten verteilt worden wäre: 1. Die Perspektive des Textes ist
unausgewogen
oder
schief
insofern, als in ihr weder die neueren kunstdidaktischen Problemstellungen – etwa von Pfennig bis Otto – diskutiert werden, noch die soziologisch inspirierte
Kritik der Waren-Ästhetik
oder das Konzept der
Visuellen Kommunikation
; diese bleiben lediglich der Hintergrund, vor dem ich versuche, eine davon unterschiedene Hypothese zu akzentuieren, die meines Wissens in der Bildungstheorie bisher eher zu kurz kam. 2. Die sehr fragmentarischen und nur kursorischen Hinweise auf die historisch-europäische Ursprungssituation der ästhesiologischen und ästhetisch-theoretischen Problemstellungen (Diderot, Lessing, Herder, Kant, Schiller, Schopenhauer) können manch einem mit gutem Grund degoutant erscheinen, besonders da eine bildungshistorische Rekonstruktion jener
Entdeckung
der ästhetischen Dimension des Bildungsprozesses immer noch aussteht; diese – historische – Problemlage genauer auszuführen, schien mir indessen hier, auf engem Raum, unmöglich; über die bildungstheoretisch-ästhesiologische Bedeutung Diderots oder Schopenhauers (beispielsweise) zu schreiben, wäre allerdings gewiß sehr nützlich – vor allem um vor voreiligen pädagogischen Vereinnahmungen zu warnen. 3. Das ärgerlichste Defizit dieses Essays wird mancher darin finden, daß von der historisch-kulturellen Formation von Sinnesempfindungen und Körpererfahrungen, eingeschränkter: von ästhetischer Empfindung, kaum die Rede ist; obwohl einige gegenwärtig vorgetragenen Hypothesen zur Historizität ästhesiologischer Ereignisse mir im Detail nicht überzeugend begründet erscheinen, steht für mich prinzipiell doch außer Frage, daß alles ästhetische Urteilen, Empfinden und Tätigsein historisch bestimmtes Ereignis ist; eine historisch ideologiekritische Selbstanalyse meines Gedankenganges hätte also nahegelegen, zumal die sensuellen Umwelten der modernen Situation den ermöglichenden Kontext für
ästhetische Bildung
darstellen. Schon wenn Goethe oder Salzmann angesichts eines antikisierenden klassizistischen Tempelchens in Verzückung geraten, ist mir diese Empfindung nur in historisierender Nach-Empathie möglich, als ironischer Genuß – den ich freilich auch, meinen Zeitgenossen zuschauend, bei deren gelegentlichem Versuch habe, überhistorische Unmittelbarkeit zur Geltung zu bringen; ich hebe dies besonders hervor, da Autoren, die auf Ideologie-Kritik erpicht sind, bis zurück zu Adorno, diese in der Regel nicht auf ihre eigene Produktion anwenden, wenngleich doch erst in dieser
selbst-reflexiven
Einstellung der Nerv des Bildungsproblems der Moderne getroffen wäre. Ich bleibe also hinter derartigen Erwartungen zurück.

[100:2]
Die Dinge, die unser Leben sachlich erfüllen und umgeben, Geräte, Verkehrsmittel, die Produkte der Wissenschaft, der Technik, der Kunst, sind unsäglich kultiviert, aber die Kultur der Individuen... ist keineswegs in demselben Verhältnis vorangeschritten, ja vielleicht sogar zurückgegangen
(Simmel 1900, S. 477)
.
Das schrieb Georg Simmel in seiner zu Beginn des Jahrhunderts erschienenen
Philosophie des Geldes
. Er meinte, daß durch den universalisierten Geldverkehr und die fortgeschrittenen Formen von Arbeitsteilung ein abstraktes Tauschverhältnis zwischen Kulturding und Mensch eingeführt worden sei, das es immer schwieriger mache, die Bedürfnisse, Antriebe oder Sinnentwürfe mit den kulturellen
Objektviationen
zu verknüpfen. Die Produkte unserer Kultur seien der Persönlichkeit immer weniger
assimilierbar
, woraus, als Reaktion auf diese Konfliktlage, für das einzelne Individuum folge, daß es zu resignieren geneigt sei und sich auf private Wege der
Selbstverwirklichung
(wie es heute heißt) begebe, um doch noch eine befriedigende Konkordanz zwischen innerer und äußerer Natur, zwischen Person und Kulturobjekt herstellen zu können.
[100:3] Die Bestandteile dieser Hypothese lassen ihren historischen Ort erkennen: sie gehören dem Umfeld der
Kulturkritik
zu; sie nehmen das Unbehagen an den Folgen von Industrialisierung und Kapital auf; sie nehmen die um die Jahrhundertwende neu akzentuierte Subjektivität im Bereich der Kunst auf; sie kündigen die wertphilosophische Fassung des Kulturbegriffs an, die wenige Jahre später schon sich in vielen Facetten darstellt (z. B. Cohn 1914; Spranger 1927). Dabei spielt das
Ästhetische
eine verständlicherweise hervorgehobene Rolle, scheint es doch dem am nächsten zu sein, was
Subjektivität
genannt und den Objektivitätszumutungen der überlieferten Kulturformen entgegengesetzt wird. Allein: Daß beides doch letzten Endes irgendwie zusammenstimmen müsse, scheint jenen Autoren selbstverständlich. Nicht nur charakterisierte Spranger den
ästhetischen Menschen
, das
ästhetische Verhalten
, das
ästhetisch bedeutsame Gebilde
dadurch, daß Eindruck und Ausdruck
verschmelzen
, sondern auch so, daß das
Gesetz der |a 444|Seele
und das
Gesetz der Sache
zum Ausgleich gebracht werden sollten
(Spranger 1927, S. 74 ff., S. 165 ff.)
. Daß gerade Künstler jener Jahre vor dem Ende des alten und zu Beginn des neuen Jahrhunderts einer derartigen, freilich nur theoretischen, Inbesitznahme ihrer Produktion durch objektivierende Werttheorien über Kultur heftig widersprachen, blieb in dieser Perspektive verborgen. Kurz: Die Kritik an der herrschenden Kultur, wie sie sich etwa in den vielen Variationen von Munchs
Krankes Kind
oder in Schieles Porträts ausdrückt, ist weit radikaler als das, was beispielsweise Cohn über Baudelaire zu sagen weiß oder Spranger über den
vollkommenen Ausgleich
zwischen Seele und Sache.
[100:4] Georg Simmel sah das schärfer. Die pointierten Ausdrucksgesten der Kunst in Wien, Paris, Berlin, Oslo, Zürich und anderswo hat er nicht auf Konvergenzformeln gebracht, so als sei letzten Endes die mögliche Versöhnung der individuellen ästhetischen Produktion und der kollektiven Kulturgestalt schon in Sicht. Er hat vielmehr hartnäckig, wie mir scheint, gerade die offensichtliche Unvereinbarkeit von ästhetisch-expressiven Sinnentwürfen einerseits und kulturell-objektiven Vorlagen der gesellschaftlichen Realität andererseits als ein beunruhigendes Verhältnis zu beschreiben versucht. Eben darin hat seine Kulturdiagnose – im Unterschied zu vielen anderen – noch heute Plausibilität: Die Kluft zwischen dem sich bildenden Ich (als Kind oder als Erwachsener) und den zwar raffiniert, aber fremd erscheinenden Produkten der herrschenden Kultur ist, wenn ich recht sehe, nicht geringer geworden. Angesichts der empfundenen Vergeblichkeit, in den vorhandenen Kulturprodukten – den Möblierungen elterlicher Wohnungen, der überlieferten Bilderwelt in den Gemäldesammlungen, der historischen Vielfalt der Architektur, den Rollenverhaltensregeln der Institutionen, dem technischen Standard der Maschinen usw. – noch eine
Objektivation
der kultivierten eigenen inneren Natur zu erkennen, liegt die Suche nach Aus- oder Nebenwegen nahe. Seit eine derartige Kulturentwicklung wenigstens ahnbar war, seit Schillers
Ästhetischer Erziehung
also, hat es immer wieder nahegelegen, einen Ausweg oder eine Kompensation über Konzepte der ästhetischen Bildung und Erziehung zu suchen, weil derartige Konzepte zu versprechen schienen – über Kategorien wie
Form
oder
Stil
–, das Nicht-Prognostizierbare des subjektiven Ausdrucks dennoch in die objektiven Verhältnisse von Kultur einfädeln zu können; das machte sie – die Kunsterziehungsbewegung, die neukantianische und die geisteswissenschaftliche Kulturtheorie, die ästhetische Theorie des Bauhauses, die anthroposophischen Kunstauffassungen – für Pädagogen empfehlenswert. In allen diesen Erscheinungen spielt wohl die Hoffnung eine Rolle, den verlorengeglaubten Kontakt zu den objektiven Kulturprodukten dadurch wiederherstellen zu können, daß die Sinnestätigkeit als eine Art Ausgangspunkt für Bildungsprozesse gemacht und auf diese Weise das individuell hervorgebrachte
Werk
tatsächlich als Ausdruck der
inneren Natur
erfahrbar wird. Denn, so Simmel:
Indem der Mensch die Objekte kultiviert, schafft er sie sich zum Bilde
, sind
sie nur die Sichtbarkeit oder der Körper für die gleiche Entfaltung unserer Energien
. Dieser ideale Sachverhalt aber werde zur
Tragödie
(so im Titel eines Aufsatzes von 1911) der Kulturentwicklung, wenn das
Werk
nicht mehr zugleich seelischer Ausdruck und objektiv-sinnvolles Moment in der Kulturreihe sei oder sein könnte. Damit hat Simmel die Schwierigkeiten, die sich in der Moderne mit der Lokalisierung ästhetischer Erscheinungen im Kulturzusammenhang ergeben, schärfer und aber auch als |a 445|gravierender bestimmt, als die Versöhnungsgesten Cohns oder Sprangers es vermochten.
[100:5] Man kann in dieser Lage verschiedenartig reagieren: Man kann das sich neuerdings ausbreitende Interesse an ästhetischer Erziehung aufgreifen und praktisch unterstützen in der Hoffnung, daß die darin liegenden Versprechen auch erfüllbar seien; man kann in ideologiekritischer Einstellung von der Vermutung ausgehen, daß diese Interessen vielleicht immer schon nichts anderes gewesen seien als eine bürgerliche Kompensation der Schwierigkeiten, die die kapitalistisch-industrielle Gesellschaft mit sich bringt; man kann wohl auch einen Nachholbedarf der Bildungstheorie konstatieren und – etwa im Sinne einer
anthropologischen Ästhetik
(Zur Lippe 1987) – die in den Hintergrund geratene Leibhaftigkeit aller Bildung wieder stärker ins Bewußtsein heben. Das alles ist gewiß irgendwie nützlich. Aber es bleiben, denke ich, zwei Arten von Fragen, denen Pädagogen, sofern sie an ästhetischer Bildung oder an der ästhetischen Dimension des Bildungsprozesses interessiert sind, nachgehen könnten, um sich genauere Rechenschaft über die Eigenart der damit verbundenen Urteile und Ereignisse zu geben: Inwiefern darf man sagen, daß ein Quint-Intervall (eine Figur-Grund-Komposition, eine sprachliche Metapher, eine Schritt-Folge usw.) irgend etwas Innerseelisches zum Ausdruck bringt, also
bedeutet
? Und inwiefern darf man sagen, daß dieses Quint-lntervall (oder jene anderen ästhetischen Ereignisse) zugleich in einer Kulturreihe musikalischer Zeichen steht, die nicht nur musikhistorisch von Interesse ist, sondern sich einer größeren oder breiteren Kulturbewegung
bedeutungsvoll
einfügt? Derartige Fragen scheinen mir zu schwierig – für die Musik hatte Schopenhauer sie schon exponiert (Schopenhauer 1938, S. 302 ff.) –, als daß ich sie hier, im Hinblick auf ihre pädagogische Bedeutsamkeit, klären könnte. Mein eigener Beitrag an dieser Stelle ist weniger anspruchsvoll. Mir scheint, daß es nützlich ist zu fragen, ob wir in Bezug auf ästhetische Bildung mit hinreichenden begrifflichen Unterscheidungen operieren und welche solcher Unterscheidungen vielleicht stärker als bisher zur Diskussion gestellt werden müßten, wenn wir denn tatsächlich
ästhetische Bildung
nicht nur als eine didaktische Spezialität des Faches Kunsterziehung oder Musik- oder Bewegungserziehung verstehen, sondern als breite Komponente von Bildungsprozessen überhaupt. In diesem Sinne möchte ich die folgenden Fragen behandeln: 1. Worin unterscheiden sich ästhetische Urteile von anderen? 2. Gibt es so etwas wie
ästhetische Empfindungen
?
3. Sollte die allgemeine Rede von
ästhetischer Bildung
nicht differenziert werden nach Maßgabe der verschiedenen davon betroffenen menschlichen Sinne?

1.
Ästhetische
und
nicht-ästhetische
Urteile

[100:6] Wer für ästhetische Bildung plädiert, setzt sich in Ideologieverdacht, wenigstens aber der Vermutung aus, er wollte auf eher private Selbsterfahrung ausgehende und an
Ästhetik
im allgemeinen Sinne interessierte Tendenzen befördern; er ziele, im Hinblick auf
Selbstbestimmung
, weniger die Bestimmung des Selbst in den objektiv gegebenen Kulturverhältnissen der Moderne an als vielmehr einen archaischen, prä- oder postmodernen Punkt, von dem her dann der Bildungsprozeß
ursprünglich
konstruiert werden könne; oder er wolle, auf dem Umweg über |a 446|ästhetische Bildung, die in unserer Kultur gelegentlich schroffe Entgegensetzung von individuell-subjektivem Sinnentwurf und kollektiv-objektiven Kulturmustern schon in Kindheit und Jugend versöhnen, dort nämlich, wo ein Bewußtsein von Subjektivität und Sinnlichkeit sich zuerst artikulieren könnte. Derartige Perspektiven sind freilich für Pädagogen verführerisch, versprechen sie doch eine Kompensation der oftmals frustrierenden, jedenfalls aber schwierigen Erfahrungen mit der Moderne, und sie scheinen in der
Natur des Gegenstandes
eine Rechtfertigung zu haben, sofern nämlich die anthropologische Gestalt des Kindes uns die Annahme gestattet, daß gleichsam vor dessen Integration in die Differenzierungen der objektiven Kultur die Sinnenwelt den ersten Schritt der Bildung vorantreibe. Was liegt also näher, als die ästhetischen Problemstellungen zur Bildung des Menschen in Richtung auf die Ursprungsbedeutung von
Aisthesis
hin auszuweiten? Die Bindung des Begriffs
ästhetisch
an die Kunst erscheint dann eher als eine Fessel, die den freien Bildungsgang behindert. Irgendwie ist das vielleicht sogar vernünftig, etwa in dem Sinne, in dem es vor einigen Jahren an exponierter Stelle hieß:
Vielleicht kommen wir dem Sinn der Kunstvermittlung näher, wenn wir die Vorstellung zulassen, daß in der Kunstvermittlung auch anderes Bedeutung bekommt als die Kunst. – Zum Beispiel eine kleine, bislang nicht entdeckte Fähigkeit, zum Beispiel eine bislang nicht beachtete eigene Erfahrung, ein Stück eigene Lebensgeschichte; zum Beispiel eine bislang nicht wahrgenommene Beziehung; zum Beispiel eine größere Nähe zu sich selbst
(Ehmer 1983, S. 214)
. Ehe ich einen solchen Eintopf auslöffele, möchte ich doch – in zugegeben pedantischer oder konservativer Attitüde – die Zutaten schmecken können.
[100:7] Bei diesem Versuch scheint mir hilfreich, was von Kant bis zur analytischen Philosophie unserer Tage zur Differenz zwischen ästhetischen und nicht-ästhetischen Urteilen erörtert wurde. Natürlich fällen wir im Alltag ununterbrochen
Aisthesis
-Urteile, Urteile also über unsere Sinnesempfindungen. Unter diesen aber gibt es – möglicherweise neben vielen anderen möglichen Unterscheidungen – auch die Differenz zwischen Urteilen etwa der folgenden Art: Ein Ton kann mir, im Vergleich zu anderen, länger oder höher vorkommen; eine Figur befindet sich rechts auf dem Bild; ein Tanzschritt überwindet die Distanz von zwei Metern; das Berühren der Oberfläches eines Gegenstandes zeigt mir, daß er kantig ist; ein Duft kann scharf sein und mich also vom Verzehr des Objektes, von dem der Duft ausgeht, fernhalten. Dieser Art von Urteilen stehen andere gegenüber, in denen es etwa heißen könnte: Der Ton oder die Tonfolge und die damit verbundenen Intervalle repräsentieren
Trauer
; das Bild ist
ausgewogen
; der Tanzschritt sei
anmutig
, die Objekt-Oberfläche
samten
, der Geruch
verblüffend
. Die erste Klasse der Urteile läßt sich, in ihrem Wahrheitsgehalt, durch einfache Messung entscheiden. Für die zweite Klasse der Urteile ist das nicht möglich. Freilich kann man diese Klassendifferenz für unerheblich erklären; dann aber wäre die logische Folge, daß es eine Besonderheit
ästhetischer Bildung
überhaupt nicht gäbe;
ästhetische Bildung
wäre dann einfach nichts anderes als die Bezugnahme pädagogischer Prozeduren auf
Sinnliches
überhaupt. Das hatte schon Kant und Schiller nicht befriedigt, und sie grenzten ästhetische Urteile deshalb nicht nur gegen
theoretische
ab – gegen solche also, die sich durch objektivierte Messung begründen oder widerlegen ließen –, sondern auch gegen
praktische
. Danach ist ein ästhetisches Urteil eines, das weder an dem
Material
(bei einem Stilleben |a 447|beispielsweise, daß man die dargestellten Früchte essen könnte und wollte) noch an der
Moralität
(z. B. daß in der 5. Symphonie Beethovens die vielzitierten Schicksalsschläge an die Tür pochen, oder daß Picassos
Guernica
für antifaschistische Propaganda verwendet werden kann) interessiert ist, sondern sich,
interesselos
, ganz und gar auf das einläßt, was durch das ästhetische Objekt unserem Empfinden dargeboten wird. Das ästhetische Urteil ist also nicht einfach eine Subsumption der Sinnesempfindung unter einen vorher schon gewußten allgemeinen Begriff, kein
bestimmendes Urteil
also, sondern es ist ein Urteil, das in der Auseinandersetzung mit den Sinneseindrücken und den durch sie erregten Empfindungen einen dazu passenden Begriff allererst hinzufinden muß, ein
reflektierendes
Urteil also.
Ist das Allgemeine... gegeben, so ist die Urteilskraft, welche das Besondere darunter subsumiert... bestimmend. Ist aber nur das Besondere gegeben, wozu sie das Allgemeine finden soll, so ist die Urteilskraft bloß reflektierend
(Kant/Weischedel 1974, Bd. 10, S. 87)
.
[100:8] Schiller faßte das zusammen, als er im 21. Brief
Über die ästhetische Erziehung
schrieb: Die Schönheit sei
in Rücksicht auf Erkenntnis und Gesinnung ... völlig indifferent und unfruchtbar
, und im nächsten Brief, daß
der Begriff einer schönen lehrenden (didaktischen) oder bessernden (moralischen) Kunst
ein Widerspruch sei, denn
nichts streitet mehr mit dem Begriff der Schönheit, als dem Gemüt eine bestimmte Tendenz zu geben
, eine Richtung also, die aus dem Ästhetischen herausweist. Die analytische Philosophie der Ästhetik unserer Jahrzehnte nimmt diesen Problemtypus auf und fragt unter anderem, ob es denn einen Zusammenhang, gar einen begründenden, geben könne zwischen derartigen ästhetischen Urteilen und solchen, die sich einfach nur auf Sinnesempfindungen beziehen, nicht aber schon der Klasse der ästhetischen zugerechnet werden können.
[100:9] Die ästhetischen und die nicht-ästhetischen Urteile unterscheiden sich – so jedenfalls lautet eine Position innerhalb der analytischen Philosophie – darin, daß, in einem Vergleich gesprochen, es sich um zwei verschiedene Spiele handelt, allerdings mit den gleichen Steinen. Wir können uns zwei Spiele denken, die beide mit, sagen wir, 12 weißen und 12 schwarzen Steinen gespielt werden können, wenngleich nach verschiedenen Regeln. Die Spielsteine wären, nach diesem Vergleich, die Sinnesreize, die für das nicht-ästhetische wie auch für das ästhetische Urteil ganz unverzichtbar sind; auch das ästhetische Urteil kann offenbar ohne sie überhaupt nicht zustande kommen. Indessen nehmen die Spielsteine doch in beiden Spielen und in Abhängigkeit von der je anderen Regel eine je andere Bedeutung an. Aber das betrifft nur die Differenz zwischen ästhetischen und nicht-ästhetischen Urteilen. Ich möchte nun – wiederum zunächst mit Kant fragen, ob es nicht schon im Hinblick auf unsere Sinnesempfindungen einen Unterschied gibt, der berücksichtigt werden muß, wenn das Reden über ästhetische Bildung nicht von vornherein in die Irre gehen soll. Kant schlug in dieser Hinsicht vor, zwischen zwei Arten von Empfindungen zu unterscheiden: solchen, in denen unsere Vorstellung auf ein Objekt, und anderen, in denen sie
lediglich auf das Subjekt bezogen
werden:
Die grüne Farbe der Wiesen gehört zur objektiven Empfindung, als Wahrnehmung eines Gegenstandes des Sinnes; die Annehmlichkeit derselben aber zur subjektiven Empfindung, wodurch kein Gegenstand vorgestellt wird
(Kant/Weischedel 1974, Bd. 10, S. 118, 119)
.
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2. Ästhetische und nicht-ästhetische Empfindungen

[100:10] Unter vielen möglichen Unterscheidungen läßt sich also auch die folgende treffen: Wir können unterscheiden zwischen solchen Sinnesempfindungen, die in praktische Zwecke eingespannt sind, und anderen, die sich von solchen Zwecken gleichsam lösen. Ich kann
Hunger haben
und, ohne weitere Repräsentation dieses Sachverhaltes in meinem Bewußtsein, eilen, ihn zu stillen; ich kann aber auch
Hunger spüren
, d. h. meine Aufmerksamkeitsrichtung von dem Zweck der Nahrungsaufnahme weg und auf das Empfinden jenes Reizes selbst lenken. Im ersten Fall wird die Aufmerksamkeit auf ein Objekt gerichtet, das zur Befriedigung dienlich ist; im zweiten Fall wird die Aufmerksamkeit auf die Leibempfindung konzentriert und also diese Empfindung selbst zum Gegenstand. So wie ich sagen kann:
Picassos Bild Guernica schaue ich mir als Bild und nicht als eine politische Parole dieser oder jener Partei an
, kann ich auch sagen:
Ich blicke jetzt auf die Empfindung, die ich beim Betrachten dieser Linie, beim Hören dieses Tons, beim Ertasten dieser Oberfläche habe
. Relativ unabhängig von dem Hunger, den ich habe, kann ich analog meine Aufmerksamkeit auch vollständig auf das Schmecken konzentrieren. Freilich sind solche Empfindungen vermutlich in der Regel nur möglich in Situationen, in denen die primären Lebensbedürfnisse sich nicht allzu dringlich melden. Mindestens also kann man sagen, daß ein derartiges Aufmerken auf die sinnlichen Empfindungen möglich ist. Das Empfinden selbst und das Aufmerken auf diese Empfindung sind offenbar zweierlei. Das Aufmerken macht sich die Empfindung zum Gegenstand. Das Aufmerken oder Gewahrwerden wird nicht einfach nur des Reizes gewahr oder der Reaktion des Organismus, sondern es wird der Empfindung gewahr, die sich daraufhin einstellt.
[100:11] Dieser Unterschied hat mit der
Interesselosigkeit
zu tun, von der bei Kant und Schiller die Rede war. In der zweiten Aufmerksamkeitsrichtung werden Interessen und praktische Zwecke gleichsam suspendiert. An ihre Stelle tritt die in Lust- und Unlustempfindungen ausdrückbare Konzentration auf das
Phänomen
, das Erscheinen von Empfindungen, die sich angesichts eines äußeren Reizes einstellen. Ich möchte vorschlagen, derartige Empfindungen, die sich bei der Aufmerksamkeit auf Sinnenreize in dieser Art einstellen,
ästhetische Empfindungen
zu nennen. (Kant nannte diese Art von Empfindungen
Gefühl
; dieser Sprachgebrauch scheint mir heute, angesichts der inflationären Verwendung der Ausdrücke
Gefühl
,
Emotion
und
Affekt
in der pädagogischen Literatur, eher neue Mißverständnisse möglich zu machen.) Folgt man dieser Unterscheidung, dann wären ästhetische Tätigkeiten solche, die auf diese besondere Art der Empfindung und Aufmerksamkeitsrichtung bezogen sind.
Ästhetische Erziehung
wäre dann, nicht nur, aber auch, das Ensemble von Bemühungen, die solche Aufmerksamkeitsrichtungen befördern.
[100:12] Indessen sollten wir von
Erziehung
in diesem Zusammenhang nicht zu rasch reden. Es könnte ja immerhin möglich sein, daß das, was wir ästhetisches Urteilen oder ästhetisches Empfinden nennen,
pädagogisch
unzugänglich ist und, beispielsweise, in keinem Sinne irgendwie
lehrbar
. Um dieser Frage näherzukommen, wäre der Hinweis darauf, daß es schließlich
ästhetische Erziehung/Bildung
, beispielsweise im Kunstunterricht unserer Schulen oder in der Anleitung, die Eltern ihren Kindern beim Erlernen der Gebrauchsanweisung für Musikinstrumente |a 449|angedeihen lassen, gibt, wenig befriedigend. Derartige Praktiken sind nicht allein schon deshalb
ästhetisch
zu nennen, weil sie sich mit Werken der sogenannten Kunst befassen oder Kinder Farben auf Papier übertragen. Ich möchte deshalb noch auf zwei Vorfragen hinweisen: auf eine neuere Variante der Kantschen Unterscheidung von objektiver und subjektiver Empfindung und auf die mögliche Bedeutung des Symbolbegriffs in diesem Zusammenhang.
[100:13] Was Kant
subjektive Empfindung
(oder
Gefühl
) nannte, heißt bei Ulrich Pothast, wenn ich recht sehe,
nicht-konfrontiertes Spüren
(Pothast 1987, S. 21ff.)
. Pothast führt diese zunächst befremdliche Vokabel ein, um in diesem
Bereich notorischer Sprachunsicherheit und Spracharmut
(ebd., S. 17)
sich nicht unnötigen Mißverständnissen auszusetzen (eine der Kantschen ähnliche Schwierigkeit, als dieser zwischen
Empfindung
und
Gefühl
unterschied). Immer enthält die Bedeutung des Ausdrucks
Spüren
die Gleichzeitigkeit eines irgendwie äußeren Reizes und eines damit verbundenen, schwer zu kennzeichnenden Ereignisses in meinem Leibinneren. Diese beiden Ereignisse aber können sich verschieden zueinander verhalten, jedenfalls aber verschiedene Aufmerksamkeit beanspruchen: Der Schmerz im Knie, den ich spüre, ist, was immer auch die Hirnphysiologie dazu sagen mag, für mich im Knie lokalisiert, in einem Teil meines Körper-Dings; ich spüre ihn
konfrontiert
, wie Pothast, im Anschluß an geläufige Subjekt-Objekt-Differenzierungen, zu sagen vorschlägt. Die Angst hingegen oder die Freude oder das Wohlgefallen oder die Unlust lassen sich nicht derart lokalisieren. Ich kann nicht klar sagen, wo sie sitzen, ich kann sie nicht
konfrontieren
; sie sind für mich
nicht-konfrontiert
. Pothast formuliert vorsichtig, dieses nicht-konfrontierte Spüren sei
ein innerlich, aber nicht in einem bestimmten Körperteil, sondern in einer Art Zentralbereich meines spürenden Welt- und Körperumgangs vorhandener Grund
; er nennt diesen Grund
Innengrund
im Unterschied zu Außengründen, die für das konfrontierte Spüren je geltend gemacht werden können. Mir scheint, daß dies ein kleines Stück weiter an die Beantwortung der Frage heranführt, was eine ästhetische Empfindung sei, wenngleich
dem kostenlosen Spott der philosophischen Hardliner ausgesetzt
(ebd., S. 23)
. Die relative Unbestimmtheit, in der bei Kant die
subjektive Empfindung
noch blieb, ist hier, historisch nach Phänomenologie und Psychoanalyse, einen Schritt weiter aufgeklärt, insofern wir jetzt sagen können: Eine ästhetische Empfindung gehört zu der Art von Empfindungen, die
subjektiv
genannt werden können; das bedeutet negativ, daß wir sie nicht zuverlässig in Körperteilen lokalisieren (
konfrontieren
) können, und positiv, daß sie – in einem freilich noch relativ unbestimmten Sinne – ganz-körperlich sind, und das wiederum bedeutet, daß sie auf das bezogen sind, was wir gelegentlich meinen, wenn wir
ich
sagen: z. B.
ich habe Angst
,
mir ist unwohl
,
ich finde dies schön
oder angesichts eines Textes, den man schreibt:
ich habe Lust, das ganze Manuskript wegzuschmeißen... ich spüre es so
(Pothast 1987, S. 22)
. Von dieser Art sind nicht nur ästhetische Urteile, sondern ist auch der Empfindungsstoff, auf den sie bezogen sind.
[100:14] Die zweite meiner beiden Vorfragen richtet sich auf den Symbol-Begriff – oder zunächst vorsichtiger und in dichterem Anschluß an das zuvor Geschriebene formuliert, darauf, wie denn derartige
subjektive Empfindungen
(Kant) oder Ereignisse
nicht-konfrontierten Spürens
(Pothast) hervorgerufen werden könn|a 450|ten, und zwar nicht durch diese oder jene sinnlich bestimmte Konfigurationen des alltäglichen Lebens, sondern artifiziell, als gemachtes Objekt. Derartige Objekte müßten offenbar, alles vorher zur Sprache Gebrachte berücksichtigend, die folgenden Kriterien erfüllen: Wie auch immer eingebettet in Zusammenhänge praktischer Interessen müßten sie, über diese hinaus, ein Wohlgefallen/Mißfallen hervorrufen, das diesen Interessen (Begriffen) nicht subsumierbar wäre; sie müßten im Hinblick auf Theorien über dies oder das indifferent sein; sie müßten auf
Subjektivität
in einem leibhaften Sinne bezogen sein; sie müßten also jenes nicht-konfrontierte Spüren hervorrufen können, und zwar so, daß die Aufmerksamkeit auf den
Innengrund
, die gespürte Subjektivität, gerichtet wird. Kulturelle Zeichen, die das leisten, werden häufig, besonders im Umkreis ästhetisch-hermeneutischer oder auch kunst-psychiatrischer/therapeutischer Erörterungen, Symbole genannt (z. B. Benedetti 1983, Gorsen 1980, Kramer 1978, Ricoeur 1974). Der begrifflichen Unschärfe wegen, mit der der Ausdruck Symbol verwendet wird, möchte ich die genannten Merkmale zunächst nur für ästhetische Symbole geltend machen und zwei Bestimmungen hinzufügen, die sowohl mit Theorien der Ästhetik als auch mit Theorien der Bildung verträglich sind:
  • [100:15] Die Bedeutung ästhetischer Symbole ist nicht arbiträr, also nicht aufgrund beliebiger Konventionen durch andere Zeichen zu ersetzen – so wie wir etwa im griechischen Alphabet niedergeschriebene Wörter ohne Veränderung der Information auch in lateinischen Buchstaben schreiben, oder wie wir bei der Einrichtung unserer Verkehrsampeln auch andere Farben für die gleiche Bedeutung einsetzen könnten. Das in Ultramarinblau gemalte Gewand einer Madonna läßt sich nicht durch Zitronengelb ersetzen, der Totem-Pfahl nicht durch einen Querbalken, das Quint-Intervall am Ende eines Musikstücks nicht durch einen Dreiklang, ohne daß damit auch eine andere Bedeutung gegeben wäre; wenn ein Tanzschritt durch einen anderen ausgetauscht wird, läßt sich durch keine Konvention sichern, daß er für den Tanzenden das gleiche bedeutet; eine Wellenlinie kann nicht, durch Verwendung von Übersetzungsregeln, die gleiche Empfindung hervorrufen wie eine gezackte; auf einem Bild ist jedes Element nur bestimmbar im Hinblick auf alle anderen. Ein
    ästhetisches Symbol
    würde dann also, folgt man diesem Vorschlag, die leib-seelische Erfahrung eines Menschen auf dem Weg über die Konzentration auf die dabei sich einstellende Empfindung zum Ausdruck bringen, und zwar auf eine vorbegriffliche, vor-rationale Weise. Zugleich würden etwa die Zeichnung eines vierjährigen Kindes, das Bild eines Schizophrenen, die Leibgesten eines Schamanen während einer rituellen Heilungshandlung beim Betrachter derartige Produkte oder Vorgänge – konzentriert er sich nur hinreichend intensiv auf das, was der sinnlichen Empfindung dargeboten wird – die in der ästhetischen Gebärde ausgedrückte Stimmung oder leib-seelische Empfindung hervorrufen können.
    Mit diesen Hinweisen wird allerdings ein universalistisches Mißverständnis riskiert, so als sei das
    Spüren
    oder sein
    Innengrund
    der historischen Bestimmtheit enthoben (vgl. dazu etwa Douglas 1981), als ließe sich in kultur- und bildungstheoretischer Absicht über Leibhaftigkeit überhaupt begründet disputieren.
  • [100:16] Für die Verwendung des Ausdrucks
    ästhetisches Symbol
    schlage ich deshalb vor, daß geltend gemacht wird, was auch für konventionelle (arbiträre) Zeichen gilt: Symbole sollen eine intersubjektiv geteilte Bedeutung haben. Das ist trivial, |a 451|denn selbstverständlich läßt sich im Hinblick auf einen Ausdruck, der
    Bedeutung
    nur für den Sich-Ausdrückenden (Sich-Äußernden) hat, gar nichts Symbolisches ausmachen – es sei denn, jede privat-individuell als bedeutungsvoll gemeinte Äußerung solle schon ein Symbol genannt werden. Anders formuliert: Von ästhetischen Symbolen zu reden ist nur sinnvoll, sofern die damit gemeinten Äußerungen/Ausdrücke/Objekte eine verstehbare Mitteilung enthalten. Wenngleich auf
    subjektive Empfindung
    auf
    nicht-konfrontiertes Spüren
    und
    Innengrund
    bezogen, sind sie doch zugleich mit intersubjektiv geteilter Bedeutung verknüpft. Diese aber ist, wie mir scheint, auf keine andere Weise zugänglich als durch die Teilhabe an einem kulturellen und historisch bestimmten Code (dem dann bisweilen freilich, z. B. unter dem Namen
    Archetyp
    , auch Fremdes einverleibt werden mag). Die Schwierigkeiten, in die etwa eine Theorie der
    sinnlich-sittlichen Wirkung
    der Farben von Goethe (vgl. Schöne 1987) bis zu Albers oder Itten führt, zeigen, ebenso wie die historische Tatsache, daß das neuzeitlich-europäische Musikempfinden mit der Erfindung der Noten-Schrift im späten Hochmittelalter engstens verknüpft ist, wie wenig dieser Frage ausgewichen werden kann. Ästhetische Symbole sind also solche Zeichen, die nicht etwa eine allgemein-menschliche
    Subjektivität
    mit einem historisch gegebenen Repertoire sinnlich zugänglicher Figurationen verknüpfen, sondern es sind Zeichen, die, kraft ihrer historischen Bestimmtheit und relativen Allgemeinheit, ästhetische Empfindungen überhaupt erst möglich machen, und zwar dadurch, daß sie den
    Innengrund
    in bestimmbarer Weise, im Lichte des Kulturell-Allgemeinen, interpretieren.
[100:18] Damit ist nun allerdings kein irgendwie absichtsvolles pädagogisches Projekt, schon gar nicht irgendeine der geläufigen Veranstaltungen organisierten Lernens im Hinblick auf ästhetische Erziehung oder Bildung begründet oder gar gerechtfertigt – so unschädlich die Tätigkeiten unter diesen Namen auch immer sein mögen. Wir haben aber damit einen ersten Anhaltspunkt für eine bildungstheoretische Argumentation (die ja nicht notwendig zu pädagogisch-intentionalen Projekten führen muß), und zwar insofern, als Folgendes zugestanden werden kann: Wenn es bei dem, was wir Bildung nennen, auch um
Subjektivität
geht, dann gehört offenbar deren ästhetische Komponente zur Sache (und nicht nur zu einem Unterrichtsfach); wenn wir ferner diese ästhetische Komponente ernst nehmen, dann liegt die Frage nahe, welche Figurationen in Tätigkeiten oder Produkten jenen
Innengrund
des Subjektes erreichen und deuten könnten; wenn schließlich derartige Tätigkeiten und Produkte samt der ihnen korrespondierenden
subjektiven Empfindungen
nur auf dem Wege über ihre Funktion als Momente eines historisch bestimmten kulturellen Codes verständlich werden können und also endlich nur insofern, als sie ästhetische Symbole sind, der Subjektivität zu historischem Leben verhelfen – dann liegt es nicht sehr fern zu fragen, ob, wie schon von Schiller exponiert, die Idee einer ästhetischen Erziehung oder Bildung nicht vielleicht immer noch in der Lage wäre, den Kontrast zwischen
Selbst
und
Welt
herauszustellen, und zwar im Sinne einer kritischen Subjekt-Erfahrung.
[100:20] Wie die exponierten Produkte künstlerischer Tätigkeit in der Moderne zeigen, gelingt das in der Regel nur mit hohen existentiellen Risiken, denen gegenüber die pädagogischen Veranstaltungen –
Zeichenunterricht
,
Genius im Kinde
,
ästhetische Kommunikation
, Didaktik der
Waren-Ästhetik
usw. – wie Dressur-|a 452|Akte, wie kleine Zirkus-Nummern sich ausnehmen. Jenes Risiko indessen, das mit dem Weg verbunden ist, eine kulturell eingespielte Symbolik zu transformieren, ohne dabei den Bezug zum
nicht-konfrontierten Spüren
zu verlieren, könnte nur dann auch Sache oder Thema von
Pädagogik
sein, wenn diese ihren Normalitätsentwurf aufgeben würde. Dergleichen aber ist, so scheint mir, nicht in Sicht.

3. Die Verschiedenheit der Sinne

[100:21] Die Problemlage kompliziert sich noch einmal, wenn man versucht, das allgemeine Reden über
Ästhetisches
zu differenzieren, da es doch immerhin verschiedene Sinne gibt, die an dem Ganzen beteiligt sind. Die generelle Rede von
ästhetischer Bildung
unterstellt, daß die Sachlage in allen Bereichen des Ästhetischen gleich sei. Das aber ist, wenn ich recht sehe, nicht der Fall. Schon ein flüchtiger Blick auf die verschiedenen Künste zeigt, daß das ästhetische Urteil sich mit verschiedenen Operationen auseinandersetzen muß: Die Wortkunst bedient sich der linguistischen Regeln, die Musik kann in einem konventionellen Zeichensystem notiert werden, in der bildenden Kunst ist jedes singuläre Objekt zugleich die
Aufführung
seiner selbst. Analoges gilt für das ästhetische Gewahrwerden: Körperbewegung und Gleichgewichtssinn; das Hören auf den momentan erklingenden, den gerade nachklingenden und den erwarteten Ton; die einer Kombination von Farbempfindungen korrespondierende innere Bewegung – die je besondere Aufmerksamkeit also, die diesem oder jenem Sinn entspricht, setzt dem zusammenfassenden Reden über
Ästhetisches
notwendige Differenzierungen entgegen und verunsichert auch das Reden von ästhetischer Erziehung/Bildung.
[100:22] Das Problem ist nicht neu. Diderot beispielsweise, von Anfang an sehr interessiert an sensuellen Problemstellungen, schrieb nicht nur über die (hypothetisch von ihm erörterte) Sinnen- und Begriffswelt von Taubstummen und Blinden, sondern versuchte auch (in den
Allgemeinen Prinzipien der Akustik
1748), der Eigentümlichkeit musikalisch-ästhetischer Ereignisse auf die Spur zu kommen; die dort vorgetragenen Argumente waren durchaus verschieden von denen, die er später im Hinblick auf die Malerei geltend machte (in den
Salons
1759 ff. und im
Versuch über die Malerei
1765), und zwar mit genauem Bezug auf das je gegebene sinnliche Material (z. B. Töne, Farben) und auf die Medien, in denen es zu ästhetischen Figurationen verarbeitet wird (z. B. Intervalle, Flächen auf Leinwand). Lessing versuchte es 1766 im
Laokoon
etwas genauer und mit Konzentration auf einen systematischen Vergleich der Regeln ästhetischer Produktionen der Malerei/Skulptur mit denen der Poesie. Heinrich von Kleist hatte ein ähnliches Problem, als er versuchte, die Empfindungen angesichts des Bildes
Der Mönch am Meer
von Caspar David Friedrich in einen poetischen Text zu übertragen. Er behalf sich mit einem
Als ob
und mit dem Eingeständnis, daß die heftigen Empfindungen, die das Bild im Gesichtssinn und dessen seelischen Folgen auslöste, im Medium der Sprache nur
verworren
ausgedrückt werden könnten. In unseren Jahrzehnten endlich führt Nelson Goodman vor, in welche schwierigen Detailfragen man gerät, wenn die je besondere Charakteristik der ästhetischen Medien, ihre Bindung an die Sinne und an das mediale Material sowie die damit sich einstellenden Fragen nach Syntax und Semantik ästhetischer Zeichen ernst genommen werden (Goodman |a 453|1973; 1984), – dann fällt es nicht mehr so leicht, zusammenfassend über
ästhetische Erziehung
zu reden. Der jeweilige
Sinn der Sinne
, wie H. Plessner und E. Straus sagten, wäre auszumachen, um wenigstens in die Nähe dessen zu kommen, was dann auch als
Bildungssinn
dieses oder jenes Sinnes zu bestimmen wäre. Ich kann das hier nur andeuten.
[100:26] Wir bewohnen unseren Leib
wie eine Hülle, ein Futteral
(Plessner 1980)
; wir
haben
ihn, aber wir
sind
auch zugleich der Leib, den wir haben. Unser Leib vermittelt uns
Ich-
und
Mich-Töne
, ist aber ebensowohl sinnliches differenziertes Instrument, auf dem wir spielen. Diese Differenz ist die anthropologische Möglichkeitsbedingung für das, was wir riskanterweise ästhetische Bildung nennen. Wer seine Aufmerksamkeit ganz auf die
Ich-
und
Mich-Töne
konzentriert, mag rasch von Synästhesien sprechen, vom Zusammenspiel des sinnlich Verschiedenen im Hinblick auf die
Ich
-Instanz. Wer sich mehr für die Hülle, das Futteral interessiert, für das gleichsam instrumentelle Verhältnis zwischen dem Ich und den Sinnen also, der ist vielleicht eher an den Differenzen zwischen den Sinnen interessiert, daran, welche Ich- und Mich-Töne durch welche Organe ins Spiel gebracht werden. Also:
  1. 1.
    [100:27] Das Sehen. Wenn der Mensch sich aufrichtet, sei es am Anfang seiner Gattungsgeschichte, sei es im Kleinkindalter, eröffnet sich ihm das
    Auge-Hand-Feld
    . Der Augensinn löst sich aus der Verbundenheit mit den Nah-Sinnen und kann nun horizontal in die Weite schweifen und nach Belieben willkürlich die Richtung wechseln. Da er in der Kombination von Reichweite und Zielgenauigkeit (gelegentlich reicht das Ohr weiter als das Auge, dann aber mir geringerer Zielgenauigkeit) allen anderen Sinnen überlegen ist, übernimmt er jetzt die Führung: Hand- und Geh-Bewegungen vermitteln zwischen dem Leib und den fernen Objekten. Der Begriff einer
    Handlung
    wird denkbar, auf ein fernes Ziel gerichtet. Deshalb heißt es immer wieder, wo in historischen Zeugnissen der Anthropologie vom Auge die Rede ist, daß es
    strahlig
    oder
    strahlend
    sei. Im
    Strahlen
    des Auges wird seine Gerichtetheit zur Sprache gebracht, die Idee der geraden Linie und alles dessen, was darauf folgt – Winkelbrechung, Dreieck, Parallele, Perspektive, Wandern von Punkt zu Punkt (ebd., S. 258ff.). Der Gesichtssinn enthält als seinen
    Logos
    (deshalb spricht Plessner in diesem Zusammenhang von einer
    Ästhesiologie
    ) aber nicht nur die Idee der Geometrie; er registriert auch Flächen und das heißt Farben, da alle Farben ausgedehnt, also keine Punkte sind. Der Bildungssinn des Auges müßte also mindestens in diesen beiden Hinsichten bestimmt werden.
  2. 2.
    [100:28] Das Hören. Nicht nur das Auge, sondern auch das Ohr ist ein Organ (Werkzeug) des Fernsinns. Aber es enthält eine gänzlich andere Idee, einen anderen
    Sinn
    seiner Tätigkeit. Zunächst – man kann es an sich selbst erproben – ist das Gehör, im Unterschied zum Gesicht, nicht nur nach außen, sondern auch nach innen hin empfänglich. Das Ohr läßt sich, genau genommen, nicht schließen wie das Auge. Schließe ich das Auge, dann sehe ich – vom
    Nachhall
    der Lichtempfindungen abgesehen – nichts;
    schließe
    ich dagegen das Ohr, höre ich mich (Blutrauschen, Pulsschlag u. ä.). Die propriozeptive (selbstwahrnehmende) Fähigkeit des Ohres korrespondiert mit der Tatsache, daß Töne, wie es metaphorisch heißt, rascher
    zu Herzen gehen
    als optische Empfindungen (Shakespeare hat das immer wieder |a 454|bekräftigt, und Herder meinte, daß das Gehör
    die eigentliche Tür zur Seele
    sei). Dies wiederum korrespondiert damit, daß die Empfänglichkeit des Ohres anders strukturiert ist als die des Auges. Sie ist nicht auf Richtung und Ziel hin orientiert, sondern, in dieser Hinsicht, diffus und eher unbestimmt. Diese richtungsmäßige Unbestimmtheit hat eine Entsprechung in der Körperhaltung: In bezug auf eine Schallquelle kann ich mich in beliebiger Körperhaltung und -richtung befinden, ohne dabei den Sinn der akustischen Empfindung zu verletzen. Das wiederum hängt damit zusammen, daß der metaphorische Ausdruck
    Tonraum
    etwas durchaus anderes bezeichnet als den Raum, der dem Gesichtssinn zugänglich ist oder von ihm konstruiert wird. Überhaupt verweisen die Metaphern zur Bezeichnung akustischer Ereignisse – Tonraum, Tonhöhe, Klangfarbe, Tonleiter usw. – nicht etwa auf den Eigen-Sinn des Gehörs, sondern deuten eher die Verlegenheit an, diesen Sinn gehörig zur Sprache bringen zu können. Die spezifischen Sensationen (Sinnesereignisse) des Gehörs haben es denn auch eher mit dem Intervall, dem Volumen (aber auch dies sind räumliche Metaphern) und mit der Zeitlichkeit akustischer Phänomene zu tun (ebd., S. 221ff., 343ff.). Das Auge kann, gerichtet und strahlig, beliebig auf einem Punkt oder einer Fläche verweilen; das Ohr aber – entsprechend den akustischen Objekten, die es wahrnimmt – muß naturgemäß in der Zeit von Ton zu Ton weitereilen, innerhalb des Tons seine Veränderungen wahrnehmen, das Verhältnis der Töne zueinander registrieren. Diese – gemessen am Gesichtssinn – höchst
    abstrakte
    Leistung vollbringt das Gehör nur mittels seiner Zweiseitigkeit als fremd- und selbstwahrnehmendes Organ: Die Tonfolge, in dieser oder jener zeitlichen, voluminösen und Intervall-Struktur wahrgenommen, kommt zu ihrem
    Sinn
    in der inneren Bewegung des Leibes.
  3. 3.
    [100:29] Bewegung. Im Unterschied zu optischen und akustischen Empfindungen scheint der Bewegung kein Sinnesorgan zu entsprechen. Dennoch soll ihr hier ein
    ästhesiologischer
    Eigenwert zugesprochen werden. Zwar scheint sie merkwürdig
    zwischen
    den verschiedenen Sinnesorganen zu liegen – nicht nur zwischen Gehör und Gesicht, denn auch Muskelreize, Gleichgewicht, libidinöse Empfindungen sind beteiligt –, aber gerade diese Zwischenstellung zeichnet sie aus: Bewegung ist, darin dem Gehör mindestens ähnlich, auf sehr dichte Weise sowohl fremd- als auch selbstwahrnehmend (apperzeptiv und propriozeptiv)! Das wird bereits in der Ursprungssituation des Gehens deutlich:
    Der gehende Mensch bewegt sich so, daß der Körper vorgeschwungen wird. Dem Schwerpunkt wird für einen Augenblick die Unterstützung entzogen. Das vorgestreckte Bein ist es, das den drohenden Fall aufzufangen hat... unser Gehen ist eine Bewegung auf Kredit
    (Straus 1960, S. 228)
    . Der Ausdruck
    Bewegung auf Kredit
    bedarf weiterer Erläuterung: Der Sachverhalt wird nirgends deutlicher als beim gerade Gehen lernenden Kind: Gegen die äußeren Widerstände, gegen Stolpern und Fallen, den Zug der Schwerkraft zurück auf die Knie, bietet das Kind den Gleichgewichtssinn und die nach oben gerichtete Streckbewegung des Oberkörpers auf, riskiert, den einen Fuß anzuheben, im Glauben oder zweifelnden Vertrauen (Kredit) darauf, daß es gelingen möge. Die Widerstände kommen zugleich von außen (Stolpern) und innen (die Tendenz zum Fallen wird in der Schwere des eigenen Körpers verspürt); gegen sie werden Arme, zur Unterstützung der Balance-Problem-Lösung, und Augen, zur Regulierung der Reichweiten und Richtungen, ins Feld geführt. Wir brauchen das Kind gar nicht darüber zu befragen: Seine Körperbewegungen teilen uns alles mit; |a 455|sie sind unmittelbar symbolischer Ausdruck des Sinnes der Bewegung. Die Bedeutung der Formel
    ich bin mein Leib
    kann in der Bewegung am intensivsten erfahren, am wenigsten verborgen werden. Die Unbefangenheit der Körperbewegungen, die wir an Kindern beobachten, verliert sich bald aus eben diesem Grund: In der nichtroutinierten Bewegung, in expressiv-freien Tanzbewegungen etwa, geben wir unwillkürlich viel von uns den anderen preis. Aber selbst noch in den routiniert-standardisierten Bewegungsformen – im rituellen Tanz, dem Schlenderschritt in Einkaufsstraßen, den Bewegungsgesten in Klassenzimmern und auf Pausenhöfen, im Menuett des 18. und dem Walzer des 19. Jahrhunderts, in den Tanzstilen der Discos heutzutage – offenbart sich zwar nicht das je individuelle Ich, aber das Leib-Ich-Projekt eines Kollektivs.
  4. 4.
    [100:30] Die Nahsinne: Bewegung hegt zwischen den Fern- und den Nahsinnen. Auge und Ohr sind zwar für sie nützliche Hilfsmittel; zugleich aber ist sie dicht mit der selbstempfundenen Leiblichkeit verbunden, mit dem Spüren von Schwerkraft, Balance, Muskelreizen. Schmecken, Riechen, Tasten sind demgegenüber anders zu lokalisieren. Daß es an unseren Schulen Unterricht im Zeichnen/Malen, Hören/Musizieren, in Bewegen/Tanzen/Rhythmik/Leibeserziehung gibt, aber keinen Unterricht für Tasten, Riechen oder Schmecken ist kein Produkt unserer Erziehungsgeschichte, das mit diesen oder jenen Merkmalen
    bürgerlicher
    oder gar
    abendländischer
    Vereinseitigungen erklärbar wäre. Diese Vernachlässigung der Nahsinne hat einen anthropologischen Grund: In ihnen läßt sich schlechterdings kein organisierbarer Bildungssinn finden. Zwar haben auch sie eine ihnen eigene
    Ästhetik
    ; zwar können wir auch mit ihrer Hilfe ästhetisch genießen; zwar lassen sich Geruch, Getast und Geschmack verfeinern, differenzierter ausgestalten. Aber: Sind sie zu Symbolbildungen fähig? Kann irgendeine Sinnesempfindung dieser Art über den Wahrnehmungsmoment hinaus Dauer beanspruchen, dergestalt, daß sie, für andere mitteilbar, situationsunabhängig objektiviert wird? Andererseits operiert die Sprache (und wohl auch unsere Vorstellung)
    synästhetisch
    , das heißt wirbelt die verschiedenen Sinne in Metaphern zusammen: süße Töne, duftige Farben, rauhe Bewegungen usw. Die prinzipielle Unsagbarheit der ästhetischen Empfindung, jedenfalls im Sinne der diskursiven Rede, des
    bestimmenden Verstandesurteils
    , führt uns offenbar dahin, durch metaphorische Anreicherung des Redens über ästhetische Empfindungen das Vokabular der je anderen Sinne zu Hilfe zu nehmen. Diese (im übrigen noch lexikalisch zu überprüfende!) wechselseitige Vertausch- oder Vertretbarkeit zwischen den verschiedenen Sinnen suggeriert eine
    Einheit
    der ästhetischen Erfahrung, die womöglich gar nicht existiert, sondern deren Konstruktionen lediglich der Schwierigkeit des ästhetischen Aussagens geschuldet sind. Jedenfalls gibt es diesen wichtigen Unterschied zu Auge und Ohr: Evolutionsgeschichtlich verloren die Nahsinne an lebenserhaltender Bedeutsamkeit; für die Konstruktion von Kulturen, für die Objektivation dauerhafter Sinnentwürfe also, traten sie deshalb zurück. Es entspricht dieser kulturellen Logik, wenn der Roman über den Geruchssinn, Süskinds
    Das Parfüm
    , in einem tierischen Desaster endet. Dennoch ist die heute gelegentlich anzutreffende Schwärmerei für die Nahsinne (sie liegen ja auch der Sexualität näher als die Fernsinne) ein nachdenkenswertes Indiz für eine wichtige ästhesiologische Eigentümlichkeit: Die Nahsinne vermitteln dichten Kontakt der lebendigen Organismen; sie sichern rasche und unwillkürliche Reiz-Reaktions-Muster; sie sind ganz an das |a 456|Gegenwärtige, das raumzeitliche Hier-Jetzt gebunden. Allerdings lassen sich zwar die entsprechenden ästhetischen Empfindungen erinnern, aber nicht in ihrem eigenen Medium dauerhaft repräsentieren. Sie sind das Verbindungsglied zwischen Natur und Kultur und verweisen, in ihrer
    natürlich-biologischen
    Ästhesiologie, voraus auf Kultur, und zwar insofern, als sie die primären Sinne der Selbstwahrnehmung sind. Bei H. Plessner heißt es:
    Wenn etwas meine Haut berührt, kommt sofort ein Mein- und Michton ins Spiel
    , d.h. Fremd- und Selbstwahrnehmung fallen gleichsam zusammen. Aber dieses Zusammenfallen ist distanzlos. Es entbehrt des Umweges über das Fremde und Ferne, der möglichen Sicht von außen, der Perspektive des
    Wir
    . Im besten Fall vermittelt es die Empfindung dyadischer Symbiose oder leibhafter Trennung, auch von
    Einverleibung
    oder
    Einstimmung
    , aber es vermittelt keinen in die Welt ausgreifenden Gestus, der dauerhafte kulturelle Produktionen ermöglichen könnte. Die Nahsinne sind ästhesiologisches Fundament; aber sie machen den Bau nur möglich, sie können ihn nicht ausführen. Deshalb auch haben sich in ihrem Medium keine
    Künste
    entfaltet, ebensowenig wie ihre Vorform, eine intersubjektiv mitteilbare Symbolik; sie erfüllen ihren Sinn
    in bloßer Leibvergegenwärtigung
    (Plessner 1980, S. 273)
    .
[100:31] Es bleiben also – wenn wir die frühkindlichen Sinneserfahrungen und ihre fundamentale Bedeutung für die weitere Entwicklung außer acht lassen, denn davon sollte hier nicht die Rede sein – Sehen, Hören, Bewegen als die für ästhetische Bildung vornehmlich thematischen Sinnesereignisse. Man kann indessen – trotz der vorstehenden Argumente zur Differenz zwischen den Fern- und den Nahsinnen – nicht schlechterdings ausschließen, daß sich darin ein kulturelles Vorurteil ausdrückt. Schließlich ist ja wohlbekannt, daß beispielsweise Geruch und Getast in anderen Kulturen größere Bedeutung haben als bei uns. Aber welchen argumentativen Status hätte ein solcher Einwand? Ich beanspruche ja keineswegs, Probleme der ästhetischen Bildung für alle Kulturen zu skizzieren, sondern nur für die unsere. Und in dieser Hinsicht sind natürlich auch die Argumente Plessners – wie übrigens auch die Beispiele Kants, die aggressiven Behauptungen Schopenhauers (Schopenhauer 1938, S. 197ff.; 1939, S. 448ff.), die von Goodman bevorzugte Thematik (Musik und Malerei) – verdächtig, einen neueuropäischen Habitus in Sachen Ästhetik zu repetieren. Ehe man sich aber einem solchen, gegenwärtig wohlfeilen kultur relativistischen Einwand anschließt, sollte man vielleicht doch zuvor folgendes bedenken: Wenn wir, wie eingangs angedeutet,
ästhetisch
nicht Sinnesereignisse überhaupt, sondern nur eine besondere Klasse von diesen nennen wollen; wenn darüber hinaus diese nun
ästhetisch
genannten Ereignisse auf
subjektive Empfindungen
, Empfindungen also meiner selbst, unabhängig von den praktischen Handlungszwecken, in die ich natürlich sonst dauernd eingespannt bin, bezogen sein sollen, und zwar so, daß sie die Empfindungen (Gefühle) hervorrufen; wenn ferner diese Empfindungen oder Gefühle oder dieses Spüren
nicht-konfrontiert
, also nicht körperhaft lokalisierbar, sondern ganz-leiblich als
Ich
-Erlebnisse auftauchen; wenn schließlich derartige Erlebnisse – freilich sind sie punktuell beliebig möglich, in den mannigfaltigsten Alltagssituationen – nur dann in kulturellen Objektivationen repräsentiert und von ihnen vermittelbar sind, wenn sie
symbolisch
sind; wenn endlich die Zeichen-Welt
ästhetischer Symbole
differenziert werden sollte nach Maßgabe des für jeden Sinn geltend zu machenden besonderen Bildungs-
Sinns
– wenn dies alles akzeptabel sein und nicht schon dem |a 457|begründeten (!) Verdacht anheimfallen sollte, es sei ein kulturelles Vorurteil, dann stehen uns offenbar die folgenden Aufgaben bevor: Wir müßten (wenn wir denn unter dem Namen
ästhetische Bildung
künftig nicht nur die Didaktik der Unterrichtung in der sogenannten Bildenden Kunst oder in Musik verstehen wollen) den Bildungs-Sinn aller Sinne ermitteln; wir müßten ihn mit Bezug auf je spezifische
subjektive Empfindungen
bestimmen können; wir müßten die den Sinnen je entsprechende Symbol-Charakteristik bestimmen und also über eine Hermeneutik des Bildes (Böhm 1978), der Musik usw. ebenso verfügen können wie über eine Hermeneutik alltäglicher ästhetischer Lebensäußerungen, die von der Geburt an und lebenslang eine wesentliche Komponente von Bildungsvorgängen bleiben. Daß diese Komponente
wesentlich
sei, soll heißen, daß in dem breiten Zwischenfeld zwischen gelungener ästhetischer Objektivation und den ästhetisch-subjektiven Empfindungen der Grund dessen gespürt werden und zum Bewußtsein kommen kann, was wir
Subjektivität
nennen.

Schluß

[100:32] Das Problem ästhetischer Bildung bestünde demnach immer noch in der Frage, ob überhaupt und wie, unter gegebenen historischen Umständen, die Leibhaftigkeit unserer historischen Existenz in ein Verhältnis zu den Formen ästhetischer Produktion unserer Kultur gesetzt werden kann. Dieses Verhältnis aber scheint mir, unter den Bedingungen der Moderne, keinen versöhnenden oder affirmativen Gestus zu erlauben. Das pädagogische Wohlgefallen, das sich seit Beginn des Jahrhunderts angesichts ästhetischer Äußerungen von Kindern breit macht, die Vorliebe für pentatonische Musikproduktion oder entwicklungsgerechte Maltechniken beispielsweise, hat fast nichts zu tun mit dem, was in den Bildern Francis Bacons repräsentiert ist, und den
subjektiven Empfindungen
, die sich angesichts ihrer Symbolsprache einstellen können. Die Reflexionszumutung, die in den symbolischen Figurationen liegt und, auf der anderen Seite des Vorgangs, die äußerste Schwierigkeit, die sich bei dem Versuch einstellt, die Erfahrung des eigenen
Innengrundes
in symbolisch Mitteilbares zu übertragen, lassen pädagogische Praktiken ästhetischer Erziehung wie Beschwichtigungsformeln oder gelegentlich wie Dressur-Akte erscheinen. Aus diesem Grund auch reagierte Adorno auf die
musikpädagogische Musik
so allergisch-aggressiv (Adorno 1973, S. 67ff., 108ff.) oder suchte, in anderer Richtung, Schopenhauer Zuflucht bei der trostreichen Formel, Musik (vorzüglich diejenige Rossinis) repräsentiere die (platonischen) Ideen, sie sei
die wahre allgemeine Sprache, die man überall versteht
(Schopenhauer 1939, S. 457)
. Beide warnen vor dem pädagogisierenden Zugriff, beziehungsweise, in der von mir verwendeten Terminologie, davor, die selbstreflexive und zumeist schmerzhafte Betroffenheit, die sich in der modernen ästhetischen Erfahrung des Erwachsenen einstellt, dieses im Spüren Gewahrwerden der Aporie, in die das Konzept des
Leib-Apriori
angesichts des kulturellen Umfeldes führt, die fundamentale Verstörung der gesellschaftlich routinisierten Normalitätsentwürfe durch die
ästhetische Wirkung
(König 1957) – nicht nur bei Goya, Friedrich, van Gogh, Ernst, Bacon usw., sondern auch bei den Symbolproduktionen sogenannter Geisteskranker –, dieses Zurückwerfen des |a 458|Individuums auf die Tiefe seiner, dann freilich immer noch historisch präformierten
Subjektivität
– sie warnen, sage ich, davor, auch dies noch zu einem pädagogischen Projekt zu machen.
[100:33] Aber das muß uns, in bildungstheoretischer Absicht, nicht beunruhigen. Im Gegenteil: Die Theorie der (wirklichen und möglichen) Bildung des Menschen muß nicht durchaus mit einer Theorie oder Beschreibung der pädagogisch-praktischen Verrichtungen zur Instruktion des gesellschaftlichen Nachwuchses in Übereinstimmung gebracht werden. Nicht alles, was für mein Leben, meine Bildung wichtig war oder ist und was nun auch für das Leben und die Bildung meiner Kinder wichtig erscheinen mag, muß sich in pädagogisch bestimmbaren Handlungen, in Handlungsfiguren, gar in institutionalisierten Mustern formulieren oder instituieren lassen. Aber wenn schon derart die Bildungstheorie als Kritiker der Pädagogik auftritt (wie schon bei Schiller und Humboldt), dann darf man dennoch nach möglichen Vermittlungsgliedern fragen. Ästhetische Bildung und ihre pädagogischen Voraussetzungen wären dann in einem Zwischenfeld anzusiedeln: zwischen dem Bewußtwerden eigener Sinnlichkeit und den kulturell-semiologischen Symbolrepertoires unserer ästhetischen Lage; zwischen Empfindung, Tätigkeit, Produkt und Urteil; zwischen Gehör, Gesicht, Getast, Bewegung usw.; zwischen dem selbst erfahrenen Ausdruck einer empfundenen Empfindung und den symbolischen Repräsentationen ästhetischer Objektivationen.
[100:34] Das mag schwierig sein und auch recht akademisch klingen. Denn tatsächlich geschieht ja Tag für Tag, in Schulen, Familien und anderswo anscheinend dauernd das, was manch einer
ästhetische Bildung
nennt – wenngleich nicht mit dieser Absicht; aber ist das wichtig? Man könnte deshalb meinen, daß das Stichwort
ästhetische Bildung
etwas hervorhebt, was ohnehin geschieht, da doch unsere Leib-Seele, vom ersten Lebenstage an – darin jedenfalls können wir den Sensualisten des 18. Jahrhunderts kaum widersprechen – den Sinneseindrücken ausgesetzt wird, angesichts der sie umgebenden Kulturprodukte zu beständigen Symbolisierungen genötigt ist. Was gibt es da noch zu
erziehen
oder zu
bilden
? Das ist einfach der Fall! Indessen ist doch die Beantwortung von zwei Fragen, jedenfalls für die Moderne und für Veranstaltungen, die sich
Bildungstheorie
nennen, aufgegeben: Wie entschlüsseln wir die ästhetischen Zeichen/Symbole unserer Gegenwart, von wem auch immer sie hervorgebracht sein mögen; was können wir dafür tun, daß die nachwachsende Generation in die Lage gerät, sie lesen zu lernen – und sei es schließlich auch durch ikonographische oder andere Zeichen-Leseübungen; und: Können wir dieser Generation vermitteln, wie sich diese Zeichen/Symbole auf das beziehen, was unsereins spürt, auf das, was er selbst zu sein vermeint? Ob wir das noch
Pädagogik
nennen sollten, lasse ich dahingestellt. Ich denke aber, daß Erwachsene ihren Kindern eine Antwort schuldig sind.
[100:35] In seiner ersten Vorlesung am
Bauhaus
gab Paul Klee 1921 eine schlichte, durchaus bescheidene, auf sein Metier bezogene Antwort, vorläufig, später in gekürzter Form als
Pädagogisches Skizzenbuch
veröffentlicht: Aus der Führung des Stiftes über das weiße Blatt Papier läßt sich eine Welt erzeugen, eine Sprache entwickeln, in der das objektivierte ästhetische Produkt wie auch das innere Gewahrwerden der eigenen Empfindungen aufeinander bezogen sein könnten. |a 459|Eine demgegenüber avanciertere Theorie der ästhetischen Bildung sehe ich nicht.

Literatur

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    [100:39] Benedetti, G.: Todeslandschaften der Seele. Göttingen 1983.
    |a 460|
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    Körperschema
    und
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    . Salzburg 1970.
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    [100:69] Richter, H.-G.: Anfang und Entwicklung der zeichnerischen Symbole. Kastellaun 1976.
    [100:70] Richter, H.-G.: Pädagogische Kunsttherapie. Grundlegung, Didaktik, Anregungen. Düsseldorf 1984.
    [100:71] Ricoeur, P.: Hermeneutik und Psychoanalyse. München 1974.
    [100:72] Schöne, A.: Goethes Farbentheologie. München 1987.
    [100:73] Schopenhauer, A.: Die Welt als Wille und Vorstellung. Hrsg, von A. Hübscher. Leipzig 1938.
    [100:74] Schopenhauer, A.: Parerga und Paralipomena. Hrsg. von A. Hübscher. Leipzig 1939.
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Abstract
On the Possibility of the Formation of Aesthetic Competence

[100:86] Recently we seem to experience an emphasis on aesthetics going far beyond the scope of a didactics of art education. The author takes up this interest and interprets it as a symptom of our cultural-historical situation. Assuming a continuity in conceptualizing problems of aesthetic education since Friedrich Schiller, several difficulties will arise when translating these conceptualizations into modern research questions: What does the term
aesthetic judgement
nowadays signify? In what way does this refer to our inner, subjective sensations? In what are aesthetic symbols important? How can their educational significance be discussed in view of the distinctness of the senses and their media? A tentative approach to questions such as these is sketched in this article. In a first step this leads to the question of whether aesthetic education/training has to be conceived in the form of reflections on aesthetic sensations/activities, and whether an answer is to be found in the aesthetic didactics of the
Bauhaus
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